Rationalismus

Aus kathPedia
Zur Navigation springenZur Suche springen

Rationalismus (vgl. Ratio) bezeichnet eine Geisteshaltung, die das begrifflich-diskursive Denken des menschlichen Verstandes überbetont und die Rückbezogenheit auf Erfahrung und Vernunft, Wille und Gemüt, Geschichte und Autorität in Gemeinschaft und Religion vernachlässigt.

Erklärung

Während sich rationalistische Haltungen immer wieder im Lauf der gesamten Geistesgeschichte finden, bezieht sich der Rationalismus als Lehre besonders auf Erkenntnistheorie und Religionsphilosophie. Der erkenntnistheoretische Rationalismus sieht die Gewissheit menschlicher Erkenntnis in der Sichterheit des analytisch-deduktiven Denkens von Logik und Mathematik begründet. Dadurch werden Grundlage und Funktion menschlichen Denkens verzerrt. Das abstrakte Denken gründet nämlich in der von der Vernunft erhellten Erfahrung. Indem der Rationalismus eine andere Grundlage dafür ansetzt (angeborene Ideen), tritt die Rüdcbezogenheit des Erkennens auf die erfahrene Seinsordnung zurück: die Aufmerksamkeit wendet sich nur dem Möglichen als Begreifbaren zu (Seinsvergessenheit). Damit wird aber die Bedeutung der erfahrenen geschichtlichen Wirklichkeit des Menschen vernachlässigt, was den Mangel des Rationalismus an Verständnis für geschichtliche und gesellsdtaftliche Bindungen erklärt und zum religionsphilosophischen Rationalismus überleitet. Aus der Geringschätzung der Erfahrung werden auch Neigungen des Rationalismus zu Ontologismus und Dualismus verständlich.

Geschichte

Zu Beginn der Neuzeit entspringt der Rationalismus dem Streben, gegenüber dem zerfallenden überkommenen Weltbild einen Ausgang zu gewinnen, der hinsichtlich Gewißheit und Methode am Vorbild der mathematischen Klarheit und Durchsichtigkeit ausgerichtet ist. An die Stelle der schon im Nominalismus der Spätscholastik zerfallenden Einheit von Erfahrung und Vernunft treten als inhaltliche Grundlage sicherer Erkenntnis die angeborenen Ideen (René Descartes), aus denen dann nach der Weise der Mathematik (Baruch de Spinoza) die Gewißheit begründet wird, so dass die Erkenntnis letztlich nur als Analyse der Ideen aufzufassen ist (Urteilstheorie von Gottfried Wilhelm Leibniz). Dieses Denken fand im Schulsystem Christian Wolffs systematische Ausprägung und wirkte sich stark in der Philosophie, zur Zeit der Aufklärung aus. Dieses Erbe des Rationalismus bestimmt auch noch Immanuel Kants Versuch, Verstand und Erfahrung zu einen, und das Ideal einer apriorischen, absoluten Vernunftwissenschaft im Deutschen Idealismus. Für den reilgionsphilosophischen bzw. theologischen Rationalismus ist die Reflexion des menschlichen Geistes nicht Aufweis der horchenden Verwiesenheit des Menschen an Gott und Mittel zur Aufnahme des Wortes der Offenbarung, sondern kritisch reduzierender Maßstab, der aus diesem Wort alles ausschaltet, was sich nicht vom rein menschlichen Verstand her "begreifen" läßt. Wurzelnd im aufklärerischen Deismus und Autonomismus, wird alles Übernatürliche in Offenbarung, Tradition, Kirche und Glaube umdeutend abgebaut, so dass es zu einer Reduktion des Christentums auf natürliche Religion, der Theologie auf eine Philosophie kommt. Dies äußert sich auch in Formen negativer Bibelkritik (Liberale Theologie). Dieser Rationalismus nahm seinen Ausgang von der englischen rationalistischen Religionsphilosophie (Deismus), von Herbert von Cherbury und John Toland, blühte im 18. und 19. Jahrhundert und spielt als unausgesprochene methodische Voraussetzung in verschiedenen Formen der Exegese und Theologie immer noch eine unheilvolle Rolle.

Ursprung des Rationalismus in der Neuzeit

Papst Leo XIII. schreibt zum Ursprung: "Auf dem so erschlossenen Weg erschien nun die falsche Philosophie des 18. Jahrhunderts mit ihrem Hochmut und ihrer Spottsucht. Und sie ging noch weiter. Sie verhöhnte die Heilige Schrift und verwarf kurzweg jede göttlich geoffenbarte Wahrheit. Ihr Endziel war es, den Glauben, ja jeden Hauch christlichen Geistes im Herzen der Völker zu ersticken. Dieser Quelle entsprangen die Systeme des Rationalismus und Pantheismus, des Naturalismus und Materialismus mit ihrer verderblichen, zersetzenden Wirkung, übrigens alte in neuem Gewand wiedereingeführte Irrtümer, die von den Vätern und Apologeten der ersten christlichen Zeiten längst siegreich wiederlegt worden waren." (Leo XIII. am 19. März 1902 im Apostolsichen Brief Annum ingressi sumus über den Kampf gegen die Kirche und dem Herd der Antikirchlichen Machenschaften, Nr. 8).

Ziel des Rationalismus

Am 24. April 1870 beschreibt das Erste Vatikanische Konzi in der Dogmatischen Konstitution Dei filius über den katholischen Glauben dasselbe Ziel in Nr. 4+5:
4... Sogar die Heilige Schrift die man doch anfangs als die einzige Quelle und Regel der christlichen Lehre hinstellte, will mal jetzt nicht mehr als von Gott gegeben ansehen, sondern man hat sich unterfangen, sie zu den mythischen Dichtungen zu zählen. Dann entstand die bekannte Lehre des Rationalismus und Naturalismus, und fand nur zu weit Verbreitung in der Menschheit. Sie steht in vollem Gegensatz zur christlichen Religion, dieser ganz übernatürlichen Institution. Sie strebt mit aller Macht darnach, Christus, unsern alleinigen Herrn und Erlöser, aus den Herzen der Menschen, aus dem öffentlichen Leben und der Kultur der Völker zu verbannen. Dafür soll das Reich der bloßen Vernunft oder Natur, wie sie es nennen, aufgerichtet werden. Nachdem aber einmal alle christliche Religion preisgegeben und weggeworfen, der wahre Gott und sein Gesalbter weggeleugnet war, stürzten viele Geister in den Abgrund des Pantheismus, Materialismus und Atheismus. Zuletzt ist die Folge, dass man sogar die vernünftige Menschennatur leugnet, keinerlei Regel rechten und sittlichen Tuns gelten lässt, und so auf die Zerstörung auch der tiefsten Grundlagen der menschlichen Gesellschaft hinarbeitet.
5 Bei diesem allgemein um sich greifenden Unglauben irrten leider auch einige Söhne der katholischen Kirche vom Weg der wahren Frömmigkeit ab, und mit dem Verblassen der Glaubenswahrheiten schwand in ihnen allmählich auch die echt katholische Gesinnung. Unter dem Einfluss verschiedengerichteter, fremdartiger Lehrsysteme (Vgl. Hebr 13,9) vermengen und verwischen sie, wie man deutlich sehen kann, die Begriffe von Natur und Gnade, von menschlichem Wissen und göttlichem Glauben. Dadurch aber entstellen sie offensichtlich den wahren, klaren Sinn der Dogmen, wie ihn unsere heilige Mutter, die Kirche, versteht und lehrt, und gefährden so schwer die Unversehrtheit und Reinheit des Glaubens.

Papst Leo XIII. schreibt zum Ziel des Rationalismus: Der reine katholische Glaube kann nicht zusammengehen mit jenen Meinungen, welche dem Naturalismus oder Rationalismus beipflichten, deren Grundgedanke kein anderer ist, als: die christlichen Institutionen vollständig zu stürzen, Gott aus der Gesellschaft zu verbannen und dem Menschen die oberste Gewalt zuzuerkennen. (Leo XIII. am 1. November 1885 in der Enzyklika Immortale dei über die christliche Staatsordnung Immortale dei Nr. 47).

Das Dogma des Rationalismus, ist die Autonomie der Vernunft

Leo XIII. zeigt am 20. Juni 1888 in der Enzyklika Libertas praestantissimum über die Freiheit und den Irrtum des Liberalismus Nr. 15-16, Dass das Dogma des Rationalismus die Autonomie der Vernunft ist. Er schreibt:
15 In der Tat, was die Naturalisten oder Rationalisten in der Philosophie anstreben, das wollen auf dem Gebiete der Moral und des bürgerlichen Lebens die Anhänger des Liberalismus erreichen, indem sie von den Naturalisten aufgestellten Grundsätze in die Moral und das Leben einführen. Die Grundidee des ganzen Rationalismus ist aber die Oberherrlichkeit der menschlichen Vernunft, welche der göttlichen und ewigen Vernunft den Gehorsam verweigert, sich für unabhängig erklärt uns sich selbst zum obersten Prinzip, zur Quelle und zum Richter aller Wahrheit aufwirft.
Er lehrt die unabhängige Moral:
Die genannten Anhänger des Liberalismus erklären also, dass es keine göttliche Gewalt über uns gebe, der wir im Leben zu gehorchen hätten, jeder sei vielmehr sich selbst Gesetz. Daraus ist jene sogenannte unabhängige Lebensanschauung entstanden, welche unter dem Scheine der Freiheit den Willen von der Heilighaltung der Gebote Gottes befreit, dem Menschen aber eine grenzenlose Zügellosigkeit zu gewähren pflegt.
Der Volkswille sei höchstes Gesetz:
Es ist leicht vorauszusehen, wohin dies alles besonders in der menschlichen Gesellschaft führen muss. Steht einmal die Überzeugung fest, dass der Mensch niemanden untersteht, so folgt von selbst, dass die Ursache, durch welche eine bürgerliche oder staatliche Vereinigung zustande kommt, nicht in einer Macht, die außer oder über dem Menschen steht, zu suchen ist, sondern einzig und allein in dem freien Willen der Einzelnen; dann stammt die öffentliche Gewalt ebenfalls in ihrem letzten Ursprung vom Volke; und da die Vernunft des Einzelnen die einzige Führerin und Norm des Privatlebens ist, so muss folgerichtig die Vernunft der Gesamtheit die Norm für das öffentliche Leben bilden. Infolgedessen hat die größere Masse auch die größere Macht und die Majorität des Volkes ist es, welche die öffentliche Rechte und Pflichten bestimmt.
Diese Lehre ist unvernünftig:
Aus dem Gesagten folgt, wie unvernünftig dies ist. Es widerspricht absolut der Natur, nicht bloß des Menschen, sondern auch aller anderen Geschöpfe, wenn man kein Band annehmen will, das den einzelnen Menschen oder die bürgerliche Gesellschaft mit Gott dem Schöpfer und somit mit dem höchsten Gesetzgeber aller verknüpft. Denn alle geschaffenen Dinge müssen notwendigerweise mit der Ursache ihres Daseins in irgend einem Zusammenhange stehen; es gehört zum Wesen der Dinge, ja es gereicht zur Vervollkommnung jedes Wesens, die Stelle und Stufe einzunehmen, welche die natürliche Ordnung verlangt: dass nämlich das Niedere dem Höheren unterworfen sei und ihm gehorche.
Diese Lehre ist gefährlich für den Staat:
16 Außerdem ist jene Lehre für den Einzelnen wie für die Staaten äußerst verhängnisvoll; denn in der Tat, wenn die menschliche Vernunft einzig und allein über Gut und Bös zu entscheiden hat, wird jeder Unterschied zwischen Gut und Bös aufgehoben; es würde das Unsittliche vom Sittlichen sich nicht dem Wesen nach unterscheiden, der Unterschied wäre von der Meinung und dem Urteil des Einzelnen abhängig, was gefiele, wäre auch erlaubt. Diese sittliche Ordnung, die zur Bezähmung und Unterdrückung der stürmischen Leidenschaften fast keine Macht besitzt, würde von selbst zu jeglicher Sittenverderbnis führen. Im öffentlichen Leben löst sich alsdann die obrigkeitliche Gewalt los von ihrem wahren und natürlichen Fundamente, auf dem allein ihre ganze Macht der Förderung des Gemeinwohles beruht. Das Gesetz, das zu bestimmen hat, was zu tun und zu lassen ist der Willkür der Masse überantwortet, was leicht zur Tyrannei führen kann. Ist einmal die Oberherrlichkeit Gottes über den Menschen und über die menschliche Gesellschaft abgeschafft, so folgt von selbst, dass es öffentlich keine Religion mehr gibt und alles, was auf Religion bezug hat, gänzlich vernachlässigt werden wird. Ebenso wird die Menge, gestützt auf ihre vermeintliche Gewalt, leicht zu Empörung und Aufruhr sich erheben, und sind die Bande der Pflicht und des Gewissens zerrissen, so bleibt nichts als die rohe Gewalt mehr übrig, die aber für sich allein nicht stark genug ist, die Volksleidenschaft zu zügeln. Zur Genüge dies bewiesen durch den ständigen Kampf gegen die Sozialisten und andere aufrührerische Sekten, die schon daran sind, die Fundamente der Staaten zu erschüttern.
Es mögen also vorurteilsfreie Männer selbst entscheiden, ob solche Lehren dazu beitragen, dem Menschen die wahre und seiner würdige Freiheit zu erhalten, oder ob sie vielmehr diese verdrehen und ganz zu Grunde richten.

Das Heilmittel gegen die Krankheit des Rationalismus

Um negative Einwirkungen des Protestantismus einzudämmen, ist die Volksfrömmigkeit das wirksame Mittel (Nr. 42). Seit dem 17. Jahrhundert ist die Herz-Jesu-Verehrung ein notwendiges Gegengewicht zum Rationalismus.

Zeitgeist der Theologen

Matthias Joseph Scheeben schreibt mit Blick auf Georg Hermes und ähnliche Theologen:

"In der neueren Zeit hat man, wie auf andern Gebieten der Wissenschaft und des Lebens, so auch für die Theologie den Radikalismus resp. den Liberalismus in der einen oder andern Form als das ‘moderne' Prinzip der theologischen Wissenschaft und ihres Fortschrittes proklamiert. Zunächst geschah das vonseiten der unkirchlichen Rationalisten gegen die kirchliche Theologie überhaupt, um sie als Feindin der Wissenschaft und des Fortschritts zu denunzieren; dann aber auch katholischerseits vonseiten einiger vom Rationalismus angesteckten Theologen im vermeintlichen Interesse der kirchlichen Theologie in der Meinung, dass sie eine solche Behandlung vertrage und durch dieselbe mit dem Geiste der neuen Zeit sich versöhnen und ihn für sich gewinnen müsse, während sie in Wirklichkeit dem Geiste der Zeit zum Opfer gebracht wurde (Handbuch der Katholischen Dogmatik I, nr. 1018 f).

Päpstliche Schreiben

Pius IX.

  • 15. Juni 1857 Brief „Eximiam tuam“ an den Kölner Erzbischof gegen den Rationalismus von Anton Günther (DH 2828-31).
  • 8. Dezember 1864 Enzyklika Syllabus errorum verurteilt Sätze zu einem gemäßigten Rationalismus Nr. 8-14.

Weblinks