Quanta cura (Wortlaut): Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 18. Mai 2018, 12:25 Uhr

Enzyklika
Quanta cura

von Papst
Pius IX.
an alle die Patriarchen, Primaten, Erzbischöfe und Bischöfe,
die in Frieden und Eintracht mit dem Apostolischen Stuhle leben
den Irrtum des Naturalismus
8. Dezember 1864

(Offizieller lateinischerText: ASS 3 [1867] 160-176; AP/IX, I 3, 687-700)

(Quelle: Die katholische Sozialdoktrin in ihrer geschichtlichen Entfaltung, Hsgr. Arthur Fridolin Utz + Birgitta Gräfin von Galen, Band I, II 26-39; S. 162-179, Scientia humana Institut Aachen 1976, lateinisch-deutsch, Imprimatur Friburgi Helv., die 2. decembris 1975 Th. Perroud, V.G.; Die Nummerierung folgt dem Text bei www.papalencyclicals.net - siehe Weblink; in deutsch auch in: Emil Marmy, (Hrsg.), Mensch und Gemeinschaft in christlicher Schau, Dokumente, Paulusdruckerei Freiburg/Schweiz 1945, S. 33-41, mit Imprimatur)

Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Einleitung: Der Kampf der Kirche gegen die freigeistigen Irrlehren

1. Allen und besonders Euch, Ehrwürdige Brüder, ist wohlbekannt, mit welcher Sorge und oberhirtlichen Wachsamkeit die Römischen Päpste, Unsere Vorgänger, ihre Amtspflichten allzeit erfüllten, die ihnen unser Herr Jesus Christus in der Person des heiligen Apostelfürsten Petrus anvertraut hatte: die Lämmer und Schafe zu weiden, die gesamte Herde des Herrn mit den Worten des Glaubens zu nähren, mit heilsamer Lehre zu tränken und von vergifteten Weideplätzen fernzuhalten. Wahrlich, Unsere Vorgänger erwiesen sich als Verteidiger und Schützer des erhabenen katholischen Glaubens, der Wahrheit und Gerechtigkeit, wachten über das Seelenheil und gaben sich alle Mühe, durch ihre weisen Briefe und Verordnungen alle Irrlehren und Irrtümer aufzudecken und zu verurteilen, die unserem göttlichen Glauben, der Lehre der katholischen Kirche, der Lauterkeit der Sitten und dem ewigen Heile der Menschen entgegenstehen, oft zu schweren Unruhen führten und Kirche und Staat in entsetzlicher Weise verwüsteten. Daher haben Unsere Vorgänger mit apostolischer Kraft den verderblichen Bestrebungen jener unseligen Menschen beharrlich Widerstand geleistet, die ihre wirren Vorstellungen wie Fluten eines aufgepeitschten Meeres auswarfen, Freiheit versprachen, während sie Knechte des Verderbens sind, und die darauf hinzielten, mit ihren trügerischen Meinungen und verderblichen Schriften die Grundlagen des katholischen Glaubens und der weltlichen. Herrschaft einzureißen, alle Tugend und Gerechtigkeit auszumerzen, alle Geister und Herzen zu verderben, besonders die noch unvorsichtige und unerfahrene Jugend vom rechten Wege der Sitten abzubringen, sie elend zu verführen, in die Fallstricke des Irrtums zu verlocken und schließlich vom Hort der katholischen Kirche loszureißen.

2. Sobald Wir nach dem geheimen Ratschluss der göttlichen Vorsehung, ohne jedes Verdienst Unsererseits, auf den Stuhl des hl. Petrus berufen wurden und zu unserem großen Schmerz den furchtbaren Sturm, den so viele verkehrte Meinungen erregt hatten, und die schweren, unsäglich traurigen Schäden sahen, die aus so vielen Quellen des Irrtums auf das Christenvolk einstürzten, erhoben Wir, wie es Euch, Ehrwürdige Brüder, bekannt ist, entsprechend Unserer Amtspflicht und dem Vorbild Unserer erlauchten Vorgänger folgend, Unsere Stimme. In mehreren Rundschreiben und in Ansprachen im Konsistorium wie auch in sonstigen Apostolischen Briefen haben Wir die hauptsächlichsten Irrtümer unserer traurigen Zeit verurteilt, Wir riefen Eure wertvolle bischöfliche Wachsamkeit auf und mahnten alle Uns so teuren Söhne der katholischen Kirche, sie sollten sich vor der Ansteckung dieser gräßlichen Seuche in acht nehmen und hüten. Besonders in Unserem ersten Rundschreiben vom 9. November 1846 und in den beiden Ansprachen im Konsistorium vom 9. Dezember 1854 und vom 9. Juni 1862 haben Wir die ungeheuerlichen Irrtümer verdammt, die gerade in Unserer Zeit zum größten Unheil der Seelen und auch zum Schaden der weltlichen Gesellschaft grassieren, die nicht nur der katholischen Kirche, ihren heilsamen Lehren und ihren ehrwürdigen Rechten, sondern auch dem ewigen Naturgesetz, das Gott in die Herzen aller geschrieben hat, und der gesunden Vernunft völlig widersprechen und von denen sich alle anderen Irrtümer herleiten.

3. Obwohl Wir es daher nicht im geringsten unterlassen haben, die wichtigsten derartigen Irrtümer immer wieder zurückzuweisen und zu verdammen, so verlangt doch die Sache der katholischen Kirche, das Heil der Seelen, das Uns Gott anvertraut hat, und auch das Wohl der menschlichen Gesellschaft, dass Wir erneut Eure Hirtensorge auf andere zu bekämpfende verderbliche Meinungen lenken, die aus denselben Irrtümern als ihren Quellen hervorgehen. Diese falschen, verkehrten Meinungen sind umso verwerflicher, als sie besonders darauf abzielen, jene heilsame Kraft zu behindern und aus der Welt zu schaffen, welche die katholische Kirche nach dem Gesetz und Auftrage ihres göttlichen Gründers bis ans Ende der Zeiten frei zur Auswirkung bringen soll, nicht nur den einzelnen Menschen gegenüber, sondern auch gegenüber den Staaten, den Völkern und ihren obersten Führern. Umso verwerflicher sind sie auch, als sie suchen, jene einträchtige Zusammenarbeit zwischen Sacerdotium und Imperium aufzuheben, die sowohl der kirchlichen als der bürgerlichen Sache immer heilsam und nützlich war.<ref>Gregor XVI., Enzykl. Mirari vos, 15. August 1832.</ref>

I. DER NATURALISMUS

1. Der Naturalismus als Lehre von der ungezügelten Freiheit

Denn Ihr wisst sehr gut, Ehrwürdige Brüder, dass es heute viele gibt, die auf die weltliche Gesellschaft den böswilligen, unsinnigen Grundsatz des sogenannten Naturalismus anwenden und dreist die Lehre verbreiten, "das Staatswohl und der menschliche Fortschritt verlange gebieterisch, dass die menschliche Gesellschaft aufgebaut und geleitet werde ohne jede Rücksicht auf den Glauben, als ob es einen solchen nicht gäbe oder mindestens ohne zwischen wahrem und falschem Glauben einen Unterschied zu machen." Und entgegen der Lehre der Heiligen Schrift, der Kirche und der heiligen Väter wagen sie die Behauptung: "In sehr guter Lage befindet sich die Gesellschaft, wenn in ihr der Staatshoheit nicht die Pflicht zugesprochen wird, die Verletzer des katholischen Glaubens mit gesetzlichen Strafen zu verfolgen, es sei denn, dass die öffentliche Ruhe es gebieterisch erheischt." Von dieser falschen Auffassung der Gesellschaftsordnung aus begünstigen sie weiter jene irrige Ansicht, die der katholischen Kirche und dem Seelenheile höchst verderblich ist und von Unserm unmittelbaren Vorgänger Gregor XVI.<ref>Gregor XVI., Enzyklika Mirari vos, 15. August 1832.</ref> als "Wahnsinn" erklärt wurde, nämlich, "die Freiheit des Gewissens und die Gottesverehrung seien jedes einzelnen Menschen Eigenrecht, das in jedem Staat mit ordentlicher Verfassung gesetzlich umschrieben und gewahrt werden müsse, und die Bürger hätten ein Recht auf jede beliebige Freiheit, die weder durch kirchliche noch staatliche Hoheit eingeschränkt werden dürfe, sie sollten vielmehr ihre Meinung in Wort und Schrift oder sonst wie öffentlich verkünden und verbreiten können." Indem sie dies ohne Überlegung behaupten, bedenken sie nicht, dass sie damit "die Freiheit des Verderbens"<ref>Augustinus, ep. 105 (166).</ref> predigen und dass "bei einer schrankenlosen Redefreiheit es immer Leute geben wird, die frech gegen die Wahrheit auftreten, und solche, die blindes Vertrauen auf die Geschwätzigkeit menschlicher Weisheit setzen, während Wir doch aus der Unterweisung unseres Herrn Jesus Christus selber wissen, wie sehr sich christlicher Glaube und christliche Weisheit vor diesem schädlichen Wahn in acht nehmen müssen".<ref>Leo I., ep. 164, PL LIV 1149.</ref>

2. Der Kampf des Naturalismus gegen die religiösen Orden und die religiöse Lebensauffassung

4. Wo die Religion aus dem Staat verbannt wurde und Lehre und Autorität der göttlichen Offenbarung verachtet werden, da verdunkelt sich auch und geht verloren der wahre Begriff der Gerechtigkeit und des menschlichen Rechts. An die Stelle der wahren Gerechtigkeit und des legitimen Rechts tritt die rohe Gewalt. Daraus erklärt es sich, warum manche die sichersten Grundsätze gesunder Vernunft völlig vernachlässigen, beiseite werfen und zu verkünden wagen, "der Wille des Volkes, in der sogenannten öffentlichen Meinung oder in anderer Weise kundgetan, stelle das oberste Gesetz dar, losgelöst von allem göttlichen und menschlichen Recht, und in der staatlichen Ordnung hätten vollendete Tatsachen, gerade weil sie vollendet sind, Rechtskraft". Wer aber sieht nicht und begreift nicht, dass eine menschliche Gesellschaft, die sich von den Banden des Glaubens und der wahren Gerechtigkeit gelöst hat, keinen anderen Zweck mehr haben kann, als äußere Güter zu erwerben und aufzustapeln, dass sie in ihren Handlungen keinem anderen Gesetz folgt, als der ungezähmten Gier eines leidenschaftlichen Herzens, den eigenen Lüsten und Vorteilen zu frönen? Daher verfolgen solche Menschen mit bitterem Hass die religiösen Ordensgemeinschaften, die sich um das Christentum, um den Staat, um die Wissenschaft so verdient gemacht haben; sie streuen die Meinung aus, dass sie keinen rechtlichen Grund zu existieren hätten, und stimmen so dem Gesetz der Irrlehrer zu. Unser Vorgänger seligen Angedenkens Pius Vl. hat es treffend gesagt: "Die Abschaffung der Orden verletzt den Stand, der sich öffentlich zu den evangelischen Räten bekennt, verletzt eine Lebensweise der Kirche, die als übereinstimmend mit der apostolischen Lehre empfohlen wird, verletzt die ruhmreichen Gründer selbst, die wir auf den Altären verehren und die aus keinem anderen Grund als aus Gottes Eingebung diese Gesellschaften gegründet haben."<ref>Pius VI., ep. Quod aliquantum ad Card. de la Rochefoucault, 10. März 1791.</ref> Gottlos verteidigen sie die Ansicht, den Bürgern und der Kirche sei das Recht zu nehmen, "öffentlich Almosen für christliche Liebestätigkeit zu sammeln", und das Gesetz sei abzuschaffen, "gemäß welchem zur Verehrung Gottes an bestimmten Tagen knechtliche Arbeit zu ruhen hat", unter dem fälschlichen Vorwand, das erwähnte Recht und das erwähnte Gesetz seien den Grundsätzen einer gesunden Volkswirtschaft zuwider.

3. Der Naturalismus und die Kollektivierung von Familie und Erziehung

Sie begnügen sich aber nicht damit, den Glauben aus der öffentlichen Gesellschaft zu entfernen, sondern wollen ihn auch von den einzelnen Familien fernhalten. Denn gemäß dem verhängnisvollen Irrtum des Kommunismus und Sozialismus, den sie lehren und bekennen, behaupten sie, "die häusliche Gemeinschaft oder die Familie leite ihr Daseinsrecht vom staatlichen Recht ab; alle Rechte der Eltern gegenüber ihren Kindern, vor allem das Unterrichts- und Erziehungsrecht, stammten einzig vom staatlichen Recht und hingen von ihm ab." Mit diesen gottlosen Irrlehren und Wühlereien bezwecken diese Leute voll Lug und Trug vor allem die gänzliche Ausschaltung der wohltätigen Lehre und Einflusskraft der Katholischen Kirche aus dem Unterricht und der Erziehung der Jugend, um die zarten, aufnahmefähigen Seelen der Jugendlichen in verderbliche Irrtümer zu verstricken, sie elend in Sünde zu bringen und zu verwüsten. Denn wer immer je die heiligen oder weltlichen Dinge in Verwirrung zu bringen, die gute gesellschaftliche Ordnung zu zerstören, alle göttlichen und menschlichen Rechte zu vernichten suchte, hat, worauf Wir weiter oben hingewiesen haben, alle seine schandbaren Pläne, Bestrebungen und Machenschaften mit Vorzug auf die Täuschung und die Entsittlichung der noch unvorsichtigen Jugend gerichtet, hat seine ganze Hoffnung auf die Verderbnis der Jugend gesetzt. Daher verfolgt man hartnäckig mit allen Mitteln den Welt- und Ordensklerus, der nach dem unwiderlegbaren Zeugnis der Geschichte soviel Segen für das Christentum, für den Staat und die Wissenschaft brachte, und behaupten unablässig, die Geistlichkeit müsse "vom gesamten Jugendunterricht ausgeschaltet werden, weil sie dem wahren nutzbringenden Fortschritt der Wissenschaft und Bildung feind sei".

4. Die Unterjochung der kirchlz'schen Autorität unter die staatliche Gewalt

5. Andere holen die irrigen, schon oft verworfenen Äußerungen der Neuerer wieder hervor und wagen es in unverschämter Anmaßung, die oberste Autorität der Kirche und dieses Apostolischen Stuhles, die auf Christus zurückgeht, der Willkür der staatlichen Macht zu unterwerfen, und alle Rechte der Kirche sowie des Apostolischen Stuhles hinsichtlich der zeitlichen Ordnung zu leugnen. Sie machen sich kein Gewissen daraus, zu behaupten, "die Gesetze der Kirche verpflichten nicht im Gewissen, außer sie seien von der weltlichen Gewalt verkündet; die Erlasse und Verfügungen der Römischen Päpste mit religiösem oder kirchlichem Inhalt benötigten der Bestätigung, Billigung oder mindestens der Zustimmung der weltlichen Macht; die apostolischen Konstitutionen,<ref>Klemens XII., In eminenti, 28. April 1738; Benedikt XIV., Providas, 18. März 1751; Pius VII., Ecclesiam, 13. September 1821; Leo XII., Quo graviora, 13. März 1825.</ref> in denen die geheimen Gesellschaften verurteilt und ihre Anhänger und Förderer mit dem Bann bestraft werden, ob nun in ihnen ein Eid zur Schweigepflicht gefordert werde oder nicht, hätten keinerlei Kraft in Ländern, wo solche Vereinigungen geduldet werden; der Bannspruch, den das Konzil von Trient und die Römischen Päpste gegen jene erließen, welche in die Rechte und Besitztümer der Kirche eingreifen und sie an sich reißen, beruhe auf einer Vermengung von geistlicher und bürgerlich-staatlicher Ordnung, lediglich zu dem Zweck, einen irdischen Vorteil zu erreichen; die Kirche dürfe nichts beschließen, was die Gewissen der Gläubigen im Gebrauch zeitlicher Güter verpflichten könne; die Kirche habe nicht das Recht, die Übertreter ihrer Gesetze mit zeitlichen Strafen zu belegen; es stimme mit der heiligen Theologie und den Grundsätzen des öffentlichen Rechts überein, das Eigentum von Kirchen, Ordensgenossenschaften und anderen frommen Institutionen der staatlichen Macht zuzusprechen und zu unterstellen." Sie scheuen sich auch nicht, offen vor aller Welt zu jenem von den Ketzern geäußerten Grundsatz zu stehen, aus dem so viele verkehrte Meinungen und Irrtümer hervorgehen. Sie können sich nämlich nicht genugtun zu erklären, "die kirchliche Macht sei nicht, kraft des göttlichen Rechtes, von der weltlichen Macht verschieden und unabhängig; ferner könne eine solche Verschiedenheit und Unabhängigkeit nicht aufrechterhalten werden, ohne dass die Kirche in wesentliche Rechte der staatlichen Macht einbreche und sich dieselben anmaße." Wir können auch nicht die Dreistheit jener übergehen, welche die gesunde Lehre nicht ertragen und behaupten, "man könne ohne Sünde, ohne den christlichen Glauben zu verletzen, jenen Entscheidungen und Verfügungen des Apostolischen Stuhles, von denen erklärt wird, dass sie sich auf das Gemeinwohl der Kirche, ihre Rechte und ihre Ordnung beziehen, Billigung und Gehorsam verweigern, solange nicht Lehrsätze der Glaubens- und Sittenlehre berührt werden". Jedermann muss doch sehen, dass dies dem katholischen Lehrsatz völlig widerspricht, nach dem der Römische Papst von Christus selbst, Unserem Herrn, die volle Macht erhalten hat, die gesamte Kirche zu weiden, zu regieren und zu leiten.

II. VERURTEILUNG DER NATURALISTISCHEN IRRTÜMER UND AUFRUF ZUR ABWEHR

1. Feierliche Verurteilung

6. Im Anblick eines solchen Durcheinanders von entarteten Anschauungen haben Wir im Bewusstsein Unserer apostolischen Pflicht in Sorge um Unsern heiligen Glauben, um die rechte Lehre, um das Heil der Seelen, das Uns von Gott anvertraut wurde, um das Wohl der menschlichen Gesellschaft selbst, abermals Unsere Stimme erhoben. Alle verkehrten Meinungen und Lehren also, die Wir in diesem Schreiben einzeln angeführt haben, weisen Wir kraft unserer apostolischen Vollmacht zurück, verbieten sie und verdammen sie und fordern, dass alle Söhne der Katholischen Kirche sie voll und ganz zurückgewiesen, verboten und verdammt betrachten.

2. Anerkennung des Eifers der Bischöfe und Aufmunterung zu weiteren seelsorglichen Bemühungen

7. Ihr wisst sehr wohl, Ehrwürdige Brüder, dass in unserer Zeit die Hasser aller Wahrheit und Gerechtigkeit, die erbitterten Feinde Unseres Glaubens mittels unheilvoller, über die ganze Welt verbreiteter Bücher, Broschüren und Zeitungen unter den Völkern in verführerischer und gehässig lügenhafter Weise auch noch verschiedene andere gottlose Irrlehren ausstreuen. Auch ist es Euch bekannt, dass es heute viele gibt, die, vom Geiste des Teufels getrieben, sich zu einem solchen Grad frevelhafter Gesinnung verstiegen, dass sie Unseren Gebieter, den Herrn Jesus Christus, leugnen und in verbrecherischer Unverschämtheit seine Gottheit zu bestreiten wagen. Hier müssen Wir Euch, Ehrwürdige Brüder, volles Lob zollen, dass Ihr gegen derartigen Frevel mit allem Eifer Eure Stimme erhoben habt.

8. Wir wenden Uns also mit diesem Briefe wiederum voll Liebe an Euch, die Ihr berufen seid, teilzunehmen an Unseren Sorgen, an Euch, die Ihr Uns inmitten Unserer übergroßen Bitternis reichlichen Trost, Freude und Erquickung schafft durch Euren hervorragenden Glaubenseifer, Eure Frömmigkeit und Eure bewundernswerte Liebe, Treue und Folgsamkeit, mit der Ihr Uns und dem Heiligen Stuhle verbunden seid und Euer schwieriges bischöfliches Amt voll Mut und Eifer zu erfüllen trachtet. Denn im Hinblick auf vortrefflichen Hirteneifer erwarten Wir, dass Ihr das Schwert des Geistes ergreift, nämlich das Wort Gottes, und, gestärkt in der Gnade unseres Herrn Jesus Christus, mit doppeltem Eifer Eure ganze Sorge darauf verwendet, dass sich die Gläubigen, die Eurer Obhut anvertraut sind, "von den schädlichen Pflanzen fernhalten, die Christus nicht hegt, weil sie sein Vater nicht gepflanzt hat".<ref> Ignatius Mart., ep. ad Philadelph. 3.</ref> Prägt den Gläubigen tief ein, dass den Menschen alles wahre Glück aus unserer erhabenen Religion, aus ihrer Lehre und ihrer Praxis zuströmt, und dass jenes Volk glücklich ist, dessen Herr Gott ist.<ref> {{#ifeq: Buch der Psalmen | Quanta cura (Wortlaut) |{{#if: Ps|Ps|Buch der Psalmen}}|{{#if: Ps |Ps|Buch der Psalmen}}}} 143{{#if:15|,15}} EU | BHS =bibelwissenschaft.de">EU | #default =bibleserver.com">EU }} (144) 15. </ref> Lehrt sie, "dass die irdischen Reiche auf dem katholischen Glauben als ihrem Fundament aufruhen;<ref> Coelestin, ep. 22 ad Synod. Ephes.</ref> dass nichts so tödlich, nichts dem Sturz so nahe, nichts den verschiedensten Gefahren so ausgesetzt ist, als zu glauben, es genüge uns der freie Wille, den wir von Geburt in uns haben, ohne weiter etwas vom Herrn erbitten zu müssen, d. h. dass wir, des Schöpfers vergessend, seinem Machtgebot uns entwinden könnten, um uns als frei zu erweisen."<ref> Innozenz I., ep. 29 ad Episc. conc. Carthag., Mansi IV 1283. PL XX 582. </ref> Unterlasst auch nicht zu lehren, "dass die Herrschergewalt nicht nur zur Leitung der Welt verliehen wurde, sondern besonders auch zum Schutze der Kirche,<ref> Leo I. ep.156, PL LIV 1130. </ref> dass nichts den Staatslenkern und Königen größeren Nutzen, größeren Ruhm bringen kann, als wenn sie", wie Unser weiser und tapferer Vorgänger, der hl. Felix, eindringlich dem Kaiser Zeno schrieb, "der katholischen Kirche freien Rechtsgebrauch zugestehen und nicht dulden, dass irgend jemand ihrer Freiheit schade... Denn es ist sicher für sie heilsam, wenn sie in göttlichen Dingen nach Gottes Gebot ihren Herrscherwillen den Priestern Christi unterzuordnen, statt ihn durchzusetzen trachten."<ref> Pius VII., Enzyklika Diu satis, 15. Mai 1800. </ref>

3. Ermunterung der Gläubigen zu vertieftem religiöösen Leben und zum Gebet

9. Wenn aber je, Ehrwürdige Brüder, dann müssen wir uns heute in diesen ungeheuren Bedrängnissen von Kirche und Staat, bei dieser maßlosen Verschwörung der Feinde gegen die katholische Kirche und den Apostolischen Stuhl, bei dieser Überflut von Irrtümern, mit Vertrauen an den Thron der Gnade wenden, um von Gott Barmherzigkeit und das Geschenk wirksamer Hilfe zu erlangen. Aus diesem Grunde halten Wir es für angebracht, die Frömmigkeit aller Gläubigen anzuregen, damit sie mit Uns und mit Euch unablässig, inständig und demütig zum milden Vater des Lichtes und der Barmherzigkeit flehen, tiefgläubig ihre Zuflucht nehmen zu unserem Herrn Jesus Christus, der uns mit seinem Blut erkauft hat, und sein göttliches Herz, das Opfer glühender Liebe zu uns, beschwören, er möge alle Menschen mit seiner heiligen Liebe entzünden, nach seinem Herzen würdig und in allem gottgefällig wandeln und in guten Werken reiche Frucht bringen lassen. Da die Bitten der Menschen zweifellos dann Gott angenehmer sind, wenn sie mit reiner, makelloser Seele sich ihm nahen, so haben Wir beschlossen, den Christgläubigen mit apostolischer Freigebigkeit die Unserer Verwaltung anvertrauten himmlischen Schätze der Kirche zu öffnen. Die Gläubigen mögen, auf diese Weise zu vertiefter Frömmigkeit angeregt und durch das Bußsakrament von den Makeln der Sünde gereinigt, ihre Bitten mit größerem Vertrauen Gott vortragen und so sein Erbarmen und seine Gnade erlangen.

10. Durch dieses Schreiben erteilen Wir deshalb in Unserer Apostolischen Machtvollkommenheit allen und jedem Gläubigen beiderlei Geschlechts in der ganzen katholischen Welt einen vollkommenen Jubiläumsablass während eines Monats im Laufe des Jahres 1865 nach der von Euch, Ehrwürdige Brüder, und den übrigen rechtmäßigen Ortsoberhirten zu treffenden Bestimmung. Wir gewähren diesen Ablass in der Art und Weise, wie dies zu Anfang Unseres Pontifikates geschehen ist, und zwar durch Unser Apostolisches Schreiben in Form eines Breve vom 20. November 1846, das an den gesamten Episkopat der Welt gesandt wurde und mit den Worten "Arcano divinae providentiae consilio" beginnt, mit all den Vollmachten, die durch jenes Schreiben von Uns gegeben wurden. Es soll auch alles beobachtet werden, was in dem genannten Breve vorgeschrieben wurde, und es soll ausgenommen sein, was Wir als solches erklärten. Und dies gewähren wir unbeachtet all der Gegengründe, die etwa in irgendeiner Weise in gegenteiligem Sinn angeführt werden könnten, auch wenn diese eine ausdrückliche Erwähnung oder Nichtigkeitserklärung verdienen würde. Damit jeder Zweifel und jede Auslegungsschwierigkeit ausgeschaltet werde, verordnen Wir, dass Euch ein Exemplar jenes Schreibens übersandt werde.

11. "Flehen wir, Ehrwürdige Brüder, aus tiefstem Grund des Herzens und der Seele zur Barmherzigkeit Gottes; denn Gott hat uns dazu aufgefordert, indem er sagt: Ich werde ihnen meine Barmherzigkeit nicht entziehen. Bitten wir und wir werden empfangen; und wenn die Erhörung vielleicht geraume Zeit auf sich warten lässt, weil wir ihn schwer beleidigt haben, so lasst uns anklopfen, weil dem Anklopfenden geöffnet wird, wenn nur unsere Gebete, Seufzer und Tränen, in denen wir inständig ausharren müssen, an der Pforte hörbar werden und das Gebet einmütig ist ... Ein jeder bitte Gott nicht für sich allein, sondern für alle Brüder, wie der Herr uns zu beten gelehrt hat."<ref>Cyprian, Ep. VII. </ref> Damit aber Gott Unsern und Euren Gebeten und Wünschen und denen aller Gläubigen geneigter sei, lasst uns in vollem Vertrauen als Fürsprecherin bei ihm die unbefleckte und heilige Gottesmutter und Jungfrau Maria erwählen, die alle Häresien in der ganzen Welt vernichtet hat und als unser aller gute Mutter "gütig und voller Barmherzigkeit allen zugänglich ist und sich gegen alle gnädig zeigt und sich mit umfassender Liebe aller erbarmt",<ref>Bernhard, Serm. de duodecim praerogativis B. M. V. ex verbis Apocalyp. </ref> die, als Königin zur Rechten ihres Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus, sitzend, strahlend in goldenem Gewand und in reichem Schmuck, alles von dem Herrn zu erhalten vermag. Flehen wir auch um die Fürbitte des heiligen Petrus, des Apostelfürsten, und seines Mitapostels Paulus und aller Heiligen des Himmels, die schon Freunde Gottes geworden und in das himmlische Reich gelangt sind, wo sie, mit der Krone geschmückt, die Siegespalme tragen und, ihrer eigenen Unsterblichkeit gewiß, sich um unser Heil sorgen.

12. Indem Wir innigst von Gott für Euch die Fülle aller seiner himmlischen Gaben erflehen, erteilen Wir aus ganzem Herzen als Unterpfand Unserer besonderen Liebe Euch, Ehrwürdige Brüder, allen Geistlichen und den Eurer Obhut anvertrauten Gläubigen Unsern Apostolischen Segen.

Gegeben zu Rom bei Sankt Peter am 8. Dezember 1864,

dem zehnten Jahrestag der Verkündigung des Dogmas von der unbefleckten Empfängnis der jungfräulichen Gottesmutter Maria,
im neunzehnten Jahr unseres Pontifikats.

Pius IX. Papst

Siehe auch: Syllabus errorum (Anhang zur Enzyklika)

Weblinks

Anmerkungen

<references />