Paul VI. Papstworte in unsere Zeit

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Papstworte in unsere Zeit

von Papst
Paul VI.

(Quelle: Papstworte in unsere Zeit, Entnommen der Wochenausgabe „Osservatore Romano“ in deutscher Sprache, zusammengestellt von Benedikt Welser, Johannes Verlag Leutesdorf am Rhein 1974 [1. Auflage, ISBN 3-7794-0583-0], 61 Seiten)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Paul VI. - Vordere Umschlagseite des Buches

Zum Geleit

Papst Paul VI. erweist sich in seinen gelegentlichen Ansprachen in der geistig so verwirrten Gegenwart nicht nur als providentioneller Leiter der von Christus ins Leben gerufenen Liebesgemeinschaft, sondern auch als Lehrer der ganzen Menschheit. Es sind fein geschliffene Perlen, die den Glanz der ewigen Wahrheit immer wieder neu aufleuchten lassen und über die ganze Erde hin verbreiten, und zwar für alle, die sich des Glückes ihres Glaubens an Jesus Christus durch die Worte ihres Oberhirten wieder bewusst werden, aber auch für jene, die sich bemühen, aus der Verunsicherung herauszukommen und sich einen möglichst ungetrübten Blick über Gott und die Welt zu verschaffen. Alle seine Ansprachen sind Zeugnisse für seine Zeit- und Lebensnähe. Er informiert unverfälscht in einer Sprache, die allen verständlich ist und durch die er die menschliche Gemeinschaft zu erreichen vermag.

Leider dringen die Worte des Papstes nicht überall hin, wohin sie dringen wollen und sollen. Der Osservatore Romano, die Vatikanzeitung, ist in deutscher Sprache viel zuwenig verbreitet. Auch wollen die Ansprachen nicht bloß gehört, sondern immer wieder bedacht sein. Daher dürfte diese schlichte Sammlung „Papstworte in unsere Zeit" zu der von uns allen so ersehnten Selbstbesinnung einen bleibenden Beitrag liefern.

Benedikt WeIser, Studienrat

Würde der Familie

Wir möchten wünschen, dass die Familien tief durchdrungen sein mögen von der aufbauenden Bedeutung ihrer unzerstörbaren Liebe, ihrer Gemeinsamkeit und der in ihr gelebten sittlichen Tugenden, die das Glück und die Würde der Familie ausmachen. Überdies mögen die Familien tief geprägt sein vom Wissen des Christen um das Geheimnis, das sich in der ehelichen Gemeinschaft widerspiegelt: das Geheimnis der unendlichen Liebe, mit welcher Christus die Kirche heiligt. Diese außerordentliche und auch wieder ganz schlichte Heiligkeit der Familie ist - wie wir wissen - ein religiöses Gut von einzigartigem Rang. Zugleich stellt diese Heiligkeit auch einen gesellschaftlichen und bürgerlichen Wert von höchster Bedeutung in der natürlichen Ordnung dar. Wir werden gut daran tun, ihn ganz sorgfältig zu hüten. Wir müssen die Familie ehren und ihr wirksamer beistehen. Wir müssen unsere Anstrengungen auf dem Gebiet des Bildungsangebotes für die Familien verstärken, da die heute in Verfall geratenen Sitten ihr keine Hilfe mehr sind. Mehr als wegen irgendeines anderen Gutes in unserer Welt müssen wir uns um der Familie willen um ein gründliches Wissen von der Bedeutung der "Umwelt" bemühen. (26. Dezember 1971)

Friede und Gerechtigkeit

Der Friede ist ein hohes und umfassendes Gut für die ganze Menschheit, für die ganze Kultur. Der Friede muss in unser innerstes Empfinden eindringen, er muss zum Vorsatz und zu einer bestimmten Art des Denkens und Lebens für die ganze Menschheit werden. Der Friede ist unsere höchste Pflicht. Er muss an der Spitze unserer Interessen stehen.

Man muss den Frieden auf Gerechtigkeit aufbauen, wenn man will, dass er wahr, dauerhaft und segensreich sei. Wer den Frieden auf andere Weise zu erreichen sucht - durch Macht, Gewalt, Reichtum, Unterdrückung der bürgerlichen Rechte oder durch Unterdrückung der rechtmäßigen Freiheit, unter der die religiöse Freiheit den ersten Platz einnehmen muss -, schafft keinen menschlichen und echten Frieden. Wenn jemand glaubt, die Gerechtigkeit bestünde nur darin, eigene Rechte durchzusetzen ohne Rücksicht auf die Rechte der anderen und auf die Pflichten der Gemeinschaft, kann nicht dieses verheißungsvolle zweifache Ziel, "Friede und Gerechtigkeit", verwirklichen. Gerechtigkeit und Friede - das ist die prophetische und messianische Formel, die unser Heil bewirkt. Wir müssen sie daher mit allen Kräften herbeiwünschen und von Christus mit großem Vertrauen erflehen. (1. Januar 1972)

Die Antwort der Offenbarung

Versucht einmal, euch die großen Fragen zu vergegenwärtigen, die sich vor unserem Verstand, unserem Geist und Bewusstsein zu einem gewaltigen Berg auftürmen - die Frage nach dem Ursprung der Welt, nach dem Sinn des Lebens, dann die Sehnsucht, etwas über die Bestimmung der Menschheit zu erfahren, ferner das Phänomen des Religiösen, das auf diese Fragen eine Antwort geben möchte, in dem es alles, was Wissenschaft und Philosophie uns dazu sagen können, in sich aufnimmt und noch darüber hinausgeht. Diese großen Fragen nehmen sich in ihrer Uferlosigkeit wie das Dunkel der Nacht aus. Stellt man aber dann dahinein die christliche Wirklichkeit, dann hellt sich alles auf; die Fragen lassen eine geheimnisvolle Tiefe erkennen und eine wunderbare Schönheit erahnen. Als ob es in diesem Augenblick gesagt worden wäre, werdet ihr in eurem Innern das bekannte Wort des Johannes-Evangeliums vernehmen: "Das Licht leuchtet in der Finsternis" (Joh 1,5). Das Bild, das die Welt uns bietet, klärt sich, als hätte sich aus dem Dunkel der Nacht die Sonne erhoben. Die Dinge zeigen eine wunderbare und auch erkennbare Ordnung. Der Mensch, wie vor Freude strahlend und bebend, erkennt sich nun selbst. Er entdeckt sich als Wanderer auf der Bühne der Welt, winzig klein, aber doch hoch erhoben über alles, und er wird sich dessen bewusst, dass er das Recht und die Fähigkeit hat, über diese Welt zu herrschen, dass er die Pflicht und die Möglichkeit hat, über diese Welt hinauszugelangen, angezogen durch die viel tiefere Faszination einer neuen Beziehung: des Dialogs mit Gott. Eines Dialoges, der so beginnt: Vater unser, der Du bist im Himmel ...“

Das ist kein Traum, keine Phantasie, keine Sinnestäuschung. Es ist einfach die erste und normale Wirkung des Evangeliums, seines Lichtes, das in die Seele dessen hineinstrahlt, der sich ihm öffnet. Wie nennen wir dieses Eindringen des Lichtes Offenbarung! Und wie nennen wir diese Öffnung der Seele? Glaube! Großartige Dinge, die wir da aus dem Katechismus schöpfen, dem hohen Buch der Theologie und der Mystik. Es ist das Buch der religiösen Grundwahrheiten. Indes, dies ist nur eine Einleitung, welche alle, die uns heute zuhören, auf die folgende Frage hinführen möchte, die wir für äußerst bedeutsam halten angesichts der geistigen Situation, in der sich der religiös denkende Mensch von heute befindet. Ist der sich aus dem Evangelium ergebende Kontakt mit Gott ein Augenblick der in die natürliche Entwicklung des menschlichen Geistes hineingehört und damit ständigem Wandel und steter Überbietung unterliegt? Oder aber ist er ein einmaliger und entscheidender Augenblick, der in die natürliche Entwicklung des menschlichen Geistes hineingehört und damit ständigem Wandel und steter Überbietung unterliegt? Oder aber ist er ein einmaliger und entscheidender Augenblick, von dem wir uns unaufhörlich nähren sollen, wobei wir jedoch den wesentlichen Inhalt als unveränderlich erkennen? Die Antwort ist klar: Dieser Augenblick ist einmalig und entscheidend. Das heißt, die Offenbarung ist eingefügt in die Zeit, in die Geschichte; sie ist an ein genaues Datum und an ein bestimmtes Ereignis geknüpft, das man mit dem Tod der Apostel als abgeschlossen und für uns vollendet betrachten muss. Die Offenbarung ist eine Tatsache, ein Ereignis, aber gleichzeitig ein Geheimnis, das nicht aus dem menschlichen Geist stammt, sondern aus göttlicher Initiative, die sich in fortschreitender Weise im Laufe der Geschichte durch das ganze Alte Testament bekundet und ihren Höhepunkt in Jesus Christus erreicht hat. Das Wort Gottes ist so für uns schließlich das fleischgewordene Wort, der historische Christus, der nun in der Gemeinschaft lebt, die mit ihm durch den Glauben und durch den Heiligen Geist verbunden ist, das heißt in der Kirche, seinem mystischen Leib. So ist es, geliebte Söhne! Und indem wir das bejahen, setzen wir uns ab von Irrtümern, die schon früher in Umlauf waren, im Geistesleben unserer Zeit wieder emporwuchern und unser christliches Verständnis vom Leben und der Geschichte völlig zerstören könnten. Der Modernismus war der charakteristische Ausdruck dieser Irrlehren; er ist, unter anderen Namen, noch immer aktuell. Wir können nun begreifen, warum die Katholische Kirche, gestern wie heute, der strengen Bewahrung der authentischen Offenbarung solche Bedeutung beimisst, sie als unantastbaren Schatz ansieht und warum sie eine so strenge Auffassung von ihrer grundlegenden Pflicht hat, die Lehre des Glaubens zu verteidigen und in eindeutiger Form weiterzugeben. Die Rechtgläubigkeit ist ihre Hauptsorge, und das Hirtenamt ist ihre wichtigste, von Gott gewollte Aufgabe. Die Lehre der Apostel bestimmt in der Tat den Kanon ihrer Verkündigung. Die Weisung des Apostels Paulus: "Bewahre, was dir anvertraut ist!" (1 Tim 6, 20) stellt für sie eine Verpflichtung dar, deren Verletzung Verrat wäre. Die Kirche als Lehrmeisterin erfindet ihre Lehre nicht; sie bezeugt, bewahrt, legt aus, vermittelt. Wenn es bei der Botschaft des Evangeliums um die Wahrheit selbst geht, kann man die Kirche als konservativ und unversöhnlich bezeichnen. Wer die Kirche dazu verleiten möchte, ihren Glauben zu vereinfachen und dem Geschmack des veränderlichen Zeitgeistes anzupassen, dem antwortet sie mit den Aposteln: "Wir können nicht" (Apg 4, 20). Diese allzu summarische Unterweisung ist damit jedoch noch nicht zu Ende. Denn es bliebe noch zu erwähnen, wie diese ursprüngliche Offenbarung weitervermittelt wird im Wort, in der Forschung, in der Auslegung und im konkreten Leben. Das heißt, es müsste darauf hingewiesen werden, dass die Offenbarung eine Tradition hervorgebracht hat, die vom Lehramt der Kirche aufgenommen und bisweilen mit letztverbindlicher, unfehlbarer Autorität überwacht wird. Es muss auch noch daran erinnert werden, dass das Glaubensbewusstsein und seine lehrmäßige Fassung, nämlich die Theologie, nach Umfang, Sprache und Form einen unterschiedlichen Ausdruck finden können. Mit anderen Worten: ein theologischer "Pluralismus" ist berechtigt, wenn er sich nur im Rahmen des Glaubens und Lehramtes hält, das Christus den Aposteln und deren Nachfolgern anvertraut hat. Es bleibt auch noch zu erklären, dass das in seiner Echtheit bewahrte Wort Gottes deshalb nicht dürr und unfruchtbar, sondern fruchtbar und lebendig ist. Es ist nicht dazu da, nur passiv gehört zu werden. Es will gelebt und immer wieder erneuert sein. Es muss in ursprünglicher Weise lebendige Gestalt annehmen in jedem einzelnen Menschen, in den Kirchen, je nach den menschlichen Fähigkeiten und den Gaben des Heiligen Geistes, die jeder besitzt, der ein treuer Schüler des lebendigen und durchdringenden Wortes Gottes sein will. (19. Januar 1972)

Das missionarische Wirken heute

Heute stellen sich der Missionsarbeit neue Probleme, vor allem jene, die sich um die Entwicklung der Völker und um die Verbesserung der Gerechtigkeit in der Welt drehen, Probleme, die der Missionar nicht ignorieren kann, die ihn aber zu Ideen und Haltungen verleiten können, welche nicht mehr mit der wahren Natur missionarischer Tätigkeit übereinstimmen. Die Einordnung der Missionare in die menschliche Gemeinschaft, zu der sie gesandt sind, ihr Beitrag zur ganzheitlichen Entfaltung des einzelnen und der Völker, die offene und kluge Aufnahme des Dialogs mit den nichtchristlichen Religionen, die ökumenische Gesinnung und die ökumenische Zusammenarbeit: all das muss in Unterordnung unter die Verkündigung des Glaubens gesehen werden, die niemals auf bloße soziologische und kulturelle Tätigkeit beschränkt werden kann, will man nicht das eigentliche und wesentliche Ziel missionarischen Wirkens verfehlen. Der Missionar muss überdies immer daran denken, dass er ein Gesandter der Kirche ist. Daher bedeutet die Treue zur eigenen Berufung die Treue zu der ihm von der Kirche übertragenen Aufgabe und die Treue zur Botschaft des Evangeliums, die er zu verkünden hat. Sein einziges Streben muss also sein, wie der ehrwürdige, unvergessliche Pater Manna sagte, "der Kirche zu dienen" und nicht "sich an ihre Stelle zu setzen". Als Gesandter der Kirche wird er sich davor hüten, sich in politische Aktionen hineinziehen zu lassen. Dies ist häufig die Folge einer Flucht vor der eigentlichen missionarischen Verantwortung und hat fast immer die Spaltung der neugegründeten Kirche zur Folge. (21. Januar 1972)

Die Natur ist Werk Gottes

Die Welt ist voller Ereignisse und Probleme, die sehr interessant, aber auch sehr beunruhigend sind. Es gibt jedoch eine Tatsache, die altbekannt und immer neu ist und die wir nicht übersehen können. Das ist der Frühling, dieses Erwachen der Natur. Das Leben regt sich wieder. Die Blumen beginnen wiederum zu blühen, voller Lebenskraft, Schönheit und Poesie.

Müssen wir uns da nicht einreihen in den Chor der Dinge, die den Hymnus des Lebens zu singen scheinen? Müssen wir, die wir denkende Lebewesen sind, nicht bewusst und anbetend unsere Stimme erheben und mit den Dingen singen, wie es uns die Heilige Schrift lehrt: "Preiset den Herrn, all ihr Werke des Herrn: lobet ihn und erhebt ihn in Ewigkeit!"

Und wir müssen das großartige Bild betrachten und bewundern, die Welt, in der sich unser Leben abspielt: der Himmel mit seinen schweigsamen und furchterregenden Tiefen; die Luft mit ihrem Lebensatem, mit ihren Winden und Stürmen; das Wasser, das wohltuend und schrecklich zugleich ist mit seinen unerschöpflichen Meeren; und die Erde, diese liebliche, aber auch strenge Mutter, die jetzt feierlich gekleidet ist, die mit emsigen Tieren bevölkert ist, die reich ist an Gütern aller Art, aber auch an Mühen für uns.

Mögen unsere Augen diesen Glanz wahrnehmen können! Unser Zeitalter beginnt wieder die Natur zu lieben. Sie ist ein Werk Gottes, das er den Menschen anvertraut hat, "und siehe, es war sehr gut". Aber dieses unser Staunen über die Natur darf nicht kurzsichtig und materialistisch sein. Die Natur ist eine Offenbarung des Geistes, so kann man sagen. Wer sie mit scharfsichtiger Intelligenz zu betrachten versteht, der wird eine schöpferische Hand spüren, einen wirksamen Geist, ein Geheimnis, das der Anbetung würdig ist. Und für uns Jünger des fleischgewordenen Wortes ist die Natur auch der Liebe und der Poesie wert. Der heilige Franziskus lehrt uns, unsere Stimme mit seinem Sonnengesang zu vereinen. Schon vor ihm forderte der Chor der Psalmisten uns auf: "Singet Jahwe ein neues Lied, denn Wunderbares hat er getan!"

Dieser Atem der Natur, den der innere religiöse Sinn tiefer deutet, erfüllt unseren Geist und macht uns frommer, glücklicher und besser. Er hilft uns, mit Liebe und Vertrauen an unsere Arbeit zu gehen. Maria, die "geheimnisvolle Rose", möge uns beistehen in unseren alltäglichen und manchmal bitteren Mühen. (30. April 1972)

Das Geheimnis der Auferstehung

Ostern geht uns nach und verpflichtet uns zur Frage an uns selbst, ob wir die Beziehung, die zwischen der Auferstehung des Herrn und unserem persönlichen Schicksal sowie unserer eigenen Auferstehung am "letzten Tag" besteht, ernst genug genommen haben. Der Herr hat den Tod für sich selbst besiegt; aber er hat ihn der Möglichkeit nach auch für uns besiegt. Dieser Sieg betrifft nicht so sehr unsere Seele, die von Natur aus unsterblich ist, sondern er betrifft auch unseren Leib, diesen unseren sinnenhaften, sterblichen Leib, der jetzt mit unserer Seele zu einem einzigen Ganzen verbunden ist. Der Leib ist das Lebensinstrument der Seele und zeigt wie eine Uhr unsere Gegenwart in der Zeit an. Aber am Ende ist er zur völligen Auflösung bestimmt. Erinnert ihr euch an den harten Realismus der Worte bei der Aschenbestreuung am Aschermittwoch: "Bedenke, Mensch, dass du aus Staub bist und zu Staub zurückkehren wirst!"

Ostern sagt ein entschiedenes Nein zu dieser Auflösung. Ostern hat uns eine neue Bestimmung zugesichert. Unsere Asche wird sich wieder zusammenfügen und wiederaufleben. Die Auferstehung Christi wird die unsere sein. Hören wir den heiligen Paulus: "Wir wollen euch nicht unwissend lassen, Brüder, über die Entschlafenen, damit ihr nicht trauert wie die anderen, die keine Hoffnung haben. Denn wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, so wird Gott auch die in Gemeinschaft mit Jesus Entschlafenen mit ihm führen" (Thess 4,13-14).

Hier dringen wir in die Tiefe einer anderen Wirklichkeit, eines anderen Geheimnisses ein. Wir meinen die Verbundenheit, die zwischen dem Haupt des mystischen Leibes, das ist Christus, und seinen Gliedern, das sind wir, besteht. Wenn das Haupt auferstanden ist, dann werden auch die Glieder auferstehen. Der heilige Paulus argumentiert: Wer behauptet, dass die Glieder nicht auferstehen, muss zu dem Schluss kommen, dass auch das Haupt nicht auferstanden ist. Das aber ist nach dem ganzen christlichen Heilsplan undenkbar. Die Behauptung und Beweisführung des Apostels könnte nicht deutlicher und kategorischer sein. Man kann das an der berühmten Stelle des 1. Briefes an die Korinther nachlesen, im 15. Kapitel, Vers 12-19. Diese Aussage ist so gewaltig und zugleich so befremdend angesichts unserer schrecklichen Erfahrung mit der Auflösung unseres körperlichen Seins im Tod, dass unser Geist zunächst verwirrt ist und fragen möchte: "Wie werden denn die Toten erweckt? Mit was für einem Leibe kommen sie wieder?" Der heilige Paulus erklärt uns nun, dass unsere Auferstehung ein Werk der göttlichen Allmacht ist, die unsere Vorstellungen weit übersteigt und über den Tod triumphiert. Man kann das in etwa noch vergleichen mit der Entwicklung des Samens zur Pflanze. Auch das Samenkorn erleidet dabei radikale Veränderungen, und dennoch bewahrt es seine wesentliche Identität.

"Gesät wird in Verweslichkeit, auferweckt in Unverweslichkeit. Gesät wird in Unansehnlichkeit, auferweckt in Herrlichkeit. Gesät wird in Schwachheit, auferweckt in Kraft. Gesät wird ein sinnenhafter Leib, auferweckt ein geistiger Leib." Der Glaube sagt uns, dass dies keine Phantasie, kein Traum und kein Mythos ist, sondern Wahrheit und Wirklichkeit, auch wenn es sich unserer gegenwärtigen Erkenntniskraft entzieht. Man kann es nur im Blick auf Christus annehmen, der als Mensch, als der neue Adam und der Stammvater einer neuen Menschheit das ursächliche Vorbild und als Wort Gottes, Quelle und Urheber des Lebens die Wirkursache der Auferstehung ist.

Daher wagen wir Jünger und Gläubige Christi einzeln und gemeinsam am Schluss des Glaubensbekenntnisses zu beten: "Ich erwarte die Auferstehung der Toten und das Leben der zukünftigen Welt." Damit bekennen wir, dass es ein Leben nach dem Tode gibt, das endgültig und ewig, eschatologisch, persönlich, erfüllt, vollkommen und glücklich ist durch Christus, den Bezwinger des Todes. Dieses Glaubensbekenntnis muss sich auf das ganze gegenwärtige Leben auswirken, dem es einen Sinn, einen Wert und eine Hoffnung, eine neue Lebendigkeit verleiht, wie nur Christus sie uns zu geben vermag, da er für uns gestorben und auferweckt ist. Unser Glaube, unser Gebet, unsere Verbundenheit mit dem gestorbenen und auferstandenen Christus werden nie so groß und uns so lebendig bewusst sein, wie es nötig wäre.

Christus verleiht auch unserem Leib, unserem "Fleisch", ein neues Schicksal, eine neue Kraft, eine neue Würde. Wir brauchen nicht mehr zu fürchten, dass unser Leib wegen seiner sinnenhaften Natur und seiner sündhaften, verführerischen Neigung infolge der Erbsünde, durch die er zum Herd vieler aktueller Sünden wurde, uns noch beunruhigen kann, denn auch unser Fleisch, unsere Leiblichkeit ist von der Person des göttlichen Wortes angenommen und dadurch mit der göttlichen Natur verbunden worden: "Das Wort ist Fleisch geworden" (Joh 1,14). Daher ist der Leib zur Selbstbeherrschung in Reinheit und zur wahren Schönheit hier auf Erden und morgen zur engelhaften Wiedergeburt, zum ewigen Leben bestimmt. Das ist von erheblicher Bedeutung für das ganze sittliche Leben als Mensch und als Christ, vor allem heute. (3. Mai 1972)

Sich zur Wehr setzen

Wir müssen uns bewusst werden, dass wir in einer Zeit leben, in der die leibliche Seite des Menschen oft zu zügelloser Sittenlosigkeit ausartet. Man watet im Schmutz. Wenn wir noch Sinn haben für persönliche Würde und für die Ehre der anderen, wenn wir uns vor allem bewusst sind, dass wir als Christen zum Range von Kindern Gottes erhoben sind, zu Getauften, die durch die Gnade geheiligt sind (das bedeutet, dass der Heilige Geist in uns wohnt), dann müssen wir uns verteidigen, zur Wehr setzen und auf die vielen Formen und Darbietungen moderner Unsitte verzichten.

Ferner müssen wir uns bewusst werden, dass die Jugend, die auf dem Weg ins Leben ist, kein Recht auf das Unsaubere hat, von dem hier die Rede ist, auch nicht der moderne Mensch, der sich teilweise von überholten Traditionen befreien muss, und auch nicht der Mensch im reiferen Alter, als ob er immun wäre gegen die Unordnung und Ansteckung der provozierenden Sittenlosigkeit. (13. September 1972)

Vereint im Dienst des Menschen

Warum sollten wir unseren Wunsch verbergen, dass auch die Anhänger der großen nichtchristlichen Religionen sich bemühen, die Kirche besser kennenzulernen, ebenso wie wir unser Herz ihnen gegenüber geöffnet haben? Wir möchten bald den Tag sehen, an dem alle Religionen ihre Bemühungen ganz konkret vereinen im Dienst des Menschen, seiner Freiheit und Würde. In dieser Beziehung möchte die katholische Kirche niemandem nachstehen, treu dem Vorbild des Herrn, der gekommen ist, "nicht um sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen und sein Leben hinzugeben".

Glaubt ihr nicht, dass die Menschheit heute mehr denn je Hilfe und Orientierung braucht von Menschen, die tief religiös sind? Ihr wisst, wie sehr die Religionen zum Frieden, zur Brüderlichkeit beitragen. Die Religionen inspirieren das sittliche Handeln und geben Hoffnung.

Diese praktische Zusammenarbeit, die gefördert werden muss, wie auch die gegenseitige Kenntnis durch den Dialog dürfen selbstverständlich nicht das Problem der "wahren Religion" verächtlich beiseite schieben. Dieses Problem bleibt voll und ganz bestehen und ist dem Gewissen jedes Menschen und jeder Menschengruppe aufgegeben. Wir werden um so fähiger sein, die anderen zu verstehen und zu lieben, je mehr wir der einzigen Wahrheit unserer Religion treu sind, die ihre Gewissheit und ihre Autorität auf die Tatsache der eindeutigen und universalen Offenbarung gründet. (5. Oktober 1972)

Pflicht der Rücksichtnahme

Noch immer tötet der Bruder den Bruder, nicht nur an den kriegerischen Brennpunkten der Welt, sondern auch auf den Straßen, wenn er die strenge Beachtung der Straßenverkehrsordnung vernachlässigt. Die Klage über diese Tatsache ist um so schmerzlicher, als sie verbunden ist mit sichtlich zur Schau getragener Missachtung der Gesetze, mit Übermut, mit sittlicher und seelischer Unreife, damit, dass man das unschätzbare Geschenk des Lebens leichtfertig aufs Spiel setzt. Die moderne Gesellschaft, die einerseits so fortschrittlich sowie der Achtung und Ehre würdig ist, bietet uns andererseits bisweilen leider diese widersprüchlichen Aspekte - zusammen mit vielen anderen besorgniserregenden Symptomen, die untereinander zusammenhängen: Mangel an Selbstbeherrschung und als Folge davon Entwürdigung des Menschen und Verrohung.

Daher erheben Wir eindringlich Unsere Stimme und fordern alle Menschen guten Willens mit großem Ernst auf, dazu beizutragen, dass die bürgerliche und christliche Sitte, die sich an den Werten des Evangeliums, der Brüderlichkeit, der Höflichkeit, der gegenseitigen Achtung und Hilfe orientiert, auch diesen Bereim entschiedener präge und darin greifbarer zum Ausdruck komme; denn er ist wie jeder andere Bereim des menschlichen Lebens den eindeutigen Vorschriften des Gesetzes Gottes und des sittlichen Gewissens unterworfen.

Wir ermutigen die Behörden und Organisationen, die sich für diesen edlen Zweck einsetzen. Wir fordern sie auf, nicht den Mut zu verlieren und darauf zu vertrauen, dass der dem Menschen angeborene Adel sich auch in der Verkehrserziehung immer stärker durchsetzen wird. (30. November 1972)

Erneuerung ist innere Umkehr

Das Wort "Erneuerung" ist nicht immer von allen richtig verstanden worden. Manche sahen darin eine Verurteilung des Vergangenen und einen Freibrief dafür, sich vom Althergebrachten zu trennen, ohne Rücksicht auf dessen verbindlich-lebendige Funktion, die wesentlichen Grundlagen zu vermitteln, aus denen die Kirche in ihrem Glauben und ihrer Verfassung lebt. Es gab solche, die Erneuerung als Loslösung von den institutionellen, geschichtlich gewachsenen, sichtbaren äußeren Strukturen auffassten, um so eine reinere, wirkungsvollere, geistlich-charismatische Kirche zu erhalten; dabei vergaßen sie, dass die Seele der Kirche, wenn es den Leib nicht gibt, in dem diese Seele lebt, für uns unauffindbar ist und gar nicht wirken kann. Und es gab auch Leute, die die Kirche erneuern wollten durch Säkularisierung, durch eine bisweilen ohne jede Unterscheidung betriebene Umprägung ihrer Strukturen und ihrer Mentalität nach dem Muster der profanen Gesellschaft, die ihr dann die ersehnte Qualifikation "Modern" verleihen könnte.

Zwei Dingen aber schenkte und schenkt man noch immer zu wenig Beachtung. Erstens: Die Erneuerung, die ein lebendiger und kontinuierlicher Prozess in einem lebendigen Organismus, wie ihn die Kirche darstellt, ist, kann keine radikale Umwandlung, keine Absage an ihre wesentlichen, beständigen Elemente sein. Erneuerung kann hier nur Stärkung heißen, nicht aber Umwandlung. Zweitens: Bei der ersehnten Erneuerung handelt es sich mehr um eine innere Umkehr als um eine äußere Veränderung. Dazu ermahnt uns - mit einem Wort, das immer aktuell bleibt - der heilige Paulus: "Erneuert euren Geist und Sinn." (8. November 1972)

Verantwortung für die ganze Menschheitsfamilie

Wird die Menschheit nicht von einem unruhigen Drang angetrieben, die zwischenmenschlichen Beziehungen sowie die Beziehungen unter den Gruppen und Völkern neu zu überdenken, damit sie den Forderungen nach Gerechtigkeit und Menschenwürde besser entsprechen?

Die Menschheitsfamilie verfügt noch nicht über die nötigen Mittel, um zu einem wirksamen Handeln zu kommen, das den Anforderungen der modernen Zeit wirklich entspricht. Man würde uns schlecht verstehen, wollte man in diesen Worten eine Geringschätzung der schon bestehenden Organisationen erblicken.

Die internationale Wirklichkeit ist jedoch nun einmal so, dass diese Institutionen nur über so viel Macht und Mittel verfügen, wie sie ihnen die Mitgliedstaaten gewähren wollen. Es genügt, die Verantwortung der Politiker zu unterstreichen, denen die Aufgabe zukommt, die Beziehungen unter den Völkern zu gestalten oder ihr Land bei diesen Organisationen zu vertreten.

Diese Politiker müssen die klare Überzeugung haben, dass das öffentliche Wohl ihrer Völker noch nicht voll erreicht ist, wenn es sich nicht gleichzeitig auch auswirkt zum Segen für die anderen Völker und die ganze Menschheitsfamilie. (5. Dezember 1972)

Religiöse Gleichgültigkeit ist unmenschlich

Wer ist Gott? An dieser Frage können wir nicht vorbeigehen - wenn der Mensch von heute überhaupt noch an seinem Ziel festhält. Hat der heutige Mensch überhaupt noch den Wunsch und ist er noch in der Lage, sich dieser Frage zu stellen? Merken viele Menschen unserer Zeit, die danach streben, frei zu sein, denn nicht, wie sie gefesselt werden, wenn sie, oft völlig kritiklos und je nach der Mode, von einer um sich greifenden Gleichgültigkeit gegenüber der Frage nach Gott, also gegenüber dem religiösen Problem, abhängig sind?

Die Gleichgültigkeit ist kein Zeichen von Intelligenz, ist unmenschlich. Der Mensch ist seinem Wesen nach dazu geschaffen, Gott zu erkennen, zu lieben, ihm in diesem Leben zu dienen und sich im zukünftigen Leben ewig in ihm zu freuen. Den Menschen am Zugang zu Gott zu hindern, bedeutet, die intellektuelle, gefühlsmäßige und tätige Entwicklung seines Seins einzuschränken. Es bedeutet, ihn in sich selbst einzusperren mit all den unlogischen und schmerzlichen Folgen, die ein unterdrückter, begrenzter, blinder, getäuschter und seiner höchsten Motive zum Erkennen, Lieben und Hoffen beraubter Humanismus mit sich bringt. (6. Dezember 1972)

Die Freude in Gott

Das ist die wahre, die große, die frohe Botschaft unserer Religion: Gott ist unser Glück Gott ist die Freude, Gott ist die Seligkeit, Gott ist die Fülle des Lebens, nicht nur in sich selbst, sondern für uns.

Gott offenbart sich in der Liebe, er kommt unseren tiefsten Erwartungen entgegen. Gott hatte in seinem Herzen Verständnis für all unser Versagen, für unsere Schlechtigkeit und für alle unsere Sünden. Gott hat sich uns gezeigt als Erbarmen, als Gnade, als Heil, als überraschende Freude und Herrlichkeit.

Ja, unsere Religion ist eine Religion des Heils, eine Religion der Freude. Spüren wir etwa nicht in uns gleichsam wie Festgeläute das Echo der Aufforderung des Apostels an die Philipper: "Freuet euch im Herrn zu jeder Zeit! Noch einmal sage ich: Freuet euch." Das ist die wahre Religion, unsere Religion. unsere Spiritualität: Die Freude in Gott. (20. Dezember 1972)

Die göttliche Vorsehung

In der einfachen und elementaren, aber ehrlichen Betrachtung der Welt, wie wir sie alle kennen und verstehen, stellt das Problem Gottes den modernen Menschen vor eine furchtbare Alternative; denn es bieten sich ihm zwei Antworten an. Wenn wir die Existenz Gottes nicht gelten lassen, müssen wir gezwungenermaßen den fundamentalen, zureichenden Grund für das Sein der Dinge, die erste Ursache und das Grundprinzip vernünftiger Erkenntnis aufgeben, müssen wir von höchsten Operationen des logischen Denkens sowie von dem absehen, wonach die Existenz der Dinge zuinnerst verlangt, und wir sind gezwungen, in Finsternis zu leben und zu denken, oder vielmehr im Halbdunkel hypothetischer und unzureichender Prinzipien unserem drängenden Suchen nach der Wahrheit eine abschließende Erklärung zu geben. Der Geist und damit das Leben münden in den Zweifel, in Hypothesen, in eine Welt des Scheins und schließlich in das Absurde, in den Skeptizismus und die falsche, aussichtslose "Weisheit" des Nihilismus. Oder aber: Wir geben zu, dass es einen persönlichen Schöpfergott gibt. Dann dürfen wir daraus folgern, dass es in der geschaffenen Welt eine Ordnung geben muss, einen leitenden Gedanken, einen Grund, der Bewusstsein hat, einen, der alles lenkt, also eine Vorsehung. Was ist das, die Vorsehung? Sie ist die Ursache für die Ordnung in der Welt. Sie ist der Abglanz des göttlichen Denkens in den Dingen und in der Geschichte. Sie ist die weise und gute Vernunft, die offen oder in verborgener Weise alles durchdringt. Alles hängt ab von einem Schöpferwort, und zwar seinsmäßig, seiner Wesenheit, seinem Existenzgrund nach, aber auch in seiner Erkennbarkeit und inneren Zielausrichtung, in den Gesetzmäßigkeiten, die den Dynamismus und das Werden der Dinge durchwalten und leiten. Jedoch nicht nur von einem überirdischen Denken, sondern auch von einem transzendenten Willen hängt alles ab, von einem, der voraussieht und vorsieht. Dieser Aspekt der inneren, geheimnisvollen Wirklichkeit der Dinge würde eine ausführliche, sehr genaue Analyse erfordern. Hier soll es uns indes genügen, festzuhalten, dass es in der Welt eine Ordnung, im Universum einen herrschenden Geist gibt, der auch das Schicksal jedes einzelnen von uns beherrscht. Die Existenz der Dinge erklärt sich nicht aus sich selbst, der Anstoß zu ihrem Werden entsteht nicht von selbst. Aber dort, wo unser bescheidener Geist in äußerster Anspannung seiner Erkenntniskraft sein Endziel erreicht zu haben glaubt, erhebt sich eine Schwierigkeit, welche die besten Ergebnisse seines Bemühens scheinbar zunichte macht, wenn er nämlich erkennt, dass die Ordnung, zu der er vorgedrungen zu sein scheint, für den natürlichen Lauf der Dinge etwas Notwendiges und Unabdingbares ist, ein blindes Schicksal, in dem alles vorherbestimmt ist. Ihm scheinen - wenigstens im Hinblick auf uns, die wir zwar irdische Wesen sind, aber doch die Fähigkeit besitzen, zu erkennen, zu lieben und zu leiden - Auge und Herz zu fehlen; wir haben den Eindruck, dass es uns erbarmungslos mitreißt und überrollt ...

Wo ist die göttliche Vorsehung? Wo ist der gute und weise Gott, den wir gefunden zu haben glaubten? Wie lassen sich Schmerz und Leid, der Tod und das Böse erklären? Welche Probleme! Welcher anhaltenden Anstrengung bedarf es, darauf zu antworten! Es wäre zu schwierig, hier und jetzt eine bündige Antwort darauf zu geben. Aber es gibt eine Antwort. Sie kann zwar an der Tatsache solcher Hindernisse nichts ändern, vermag uns aber doch zu sagen, wie diese in die Perspektiven einer höheren Ordnung hineingenommen werden können. Dazu gibt es allerdings einiges zu bedenken. Das letzte Ziel der göttlichen Vorsehung ist Gott selbst. Gott als Schöpfer wollte bei der Verwirklichung seines Planes auch andere Wesen an seiner Ursächlichkeit teilhaben lassen, darunter auch schwache und vergängliche, und da vor allem solche, die frei sind, also in gewisser Hinsicht autonom und einer Entscheidung zwischen Gut und Böse fähig. Und in einem Wunder seiner Vorsehung hat Gott sodann, selbst dem Leiden einen Sinn gegeben, einen sehr tiefen sogar, nämlich in der Ordnung des Kreuzes und der Erlösung. Er hat es dem Menschen ermöglich, das Gute wiederzuerlangen, oft sogar ein Gutes höherer Art, und zwar in jeglicher Lage, mag sie noch so elend und unglücklich sein: Gott führt bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten", sagt der heilige Paulus (Röm 8, 28). (7. Februar 1973)

Der wahre Mensch

Wir wollen glauben, dass ihr, Söhne und Töchter der Kirche, wisst und versteht, welches Menschenbild aus der Disziplin christlicher Aszetik hervorgeht: es ist der wahre Mensch, der starke Mensch, der freie Mensch, der Mensch in der Nachfolge Christi, der Mensch, der in der Kraft des Geistes Christi handelt. Manche, von den unmoralischen Strömungen unserer Zeit verleitet, werden vielleicht sagen, dass dies nicht ein Programm für die Menschen unserer Zeit sein könne, denen doch mit den Verlockungen der Befreiung als Ziel vor Augen stehe, sich endlich selbst zu finden und sich dem weiten und mitreißenden Leben der sogenannten "permissiven Moral" (eine Moral, in der alles erlaubt ist) zu überlassen; es komme darauf an, den Begriff der Sünde mit all seinen Wurzeln aus unserem Bewusstsein herauszureißen, damit also auch das Bewusstsein unserer Verantwortung gegenüber dem lebendigen, sehenden Gott; es besagt, mit herrischem Urteil den Sinn für Pflicht und gerechte Gesetze zu demütigen; es besagt, in unserem höheren Empfindungsvermögen das Gespür für das Gute und das Böse abzuwürgen.

Das ist Niedrigkeit, das ist Feigheit. Aber nicht Freiheit. Die Sportathleten wissen das; sollten es die Athleten des Geistes vergessen haben? (7. März 1973)

An die Jugend

Eure unruhigen Sorgen sind in Wirklichkeit das tiefe und persönliche Streben nach einer Idealgestalt des Menschen, der wahrhaftig, tapfer, großzügig, heldenhaft und gut sein soll. Kurz, der noch besser sein soll als die Modelle vom Menschen in Vergangenheit und Gegenwart, neu und vollkommen. Eure Sorgen sind das große und wunderbare Sehnen nach einer besseren, nach einer freien und gerechten Welt, ihr denkt an die Liebe, jenen Ausdruck von Freundschaft, Freude, Frieden, Höflichkeit und jedes höheren Gefühls. Und ihr träumt von der Liebe als dem zwischenmenschlichen, heiligen Sich-selbst-Verschenken, die eine Ausweitung des Lebens ist. Ihr träumt von der Liebe als von etwas, das jedes Opfer verdient und das glücklich macht.

Und wenn ihr dann die Reife habt, um in einer alles umgreifenden Synthese die Gesellschaft, die Politik, die Geschichte und die Würde des Menschengeschlechtes zu begreifen, dann wartet ihr auf ein "goldenes Zeitalter' - aber als Realität -, wo unter den Menschen Einheit, Brüderlichkeit und Friede herrschen.

Junge Menschen und alle, die ihr von diesen hohen und weiten Gedanken erfüllt seid: Öffnet eure Augen, werdet wach! Ihr wartet und sehnt euch nach einem messianischen Zeitalter. Ihr geht, ohne es vielleicht selbst wahrzunehmen, einem Messias entgegen. Ja, ihr geht Jesus Christus entgegen. Er ist es; es gibt keinen anderen, der den geheimnisvollen Durst in der Tiefe eurer Seelen zu stillen vermöchte. Jesus, Jesusl Er ist das Licht und das Heil für die Welt und für einen jeden von uns. (15. April 1973)

Zum Tag der Arbeit

Ehren wir vor allem die Arbeit im Hinblick auf uns als eine natürliche Notwendigkeit des menschlichen Seins. Der Mensch ist ein Wesen, in dem viele Möglichkeiten angelegt sind. Ihm ist das Bedürfnis nach Entwicklung und Vervollkommnung eigen. Diese Entwicklung und Vervollkommnung geschieht nicht von selbst in der erforderlichen Weise und in zufriedenstellendem Maße, so wie das Wachstum der Pflanzen; sie vollzieht sich vielmehr durch die Aktivität des Menschen, durch eine vernünftige, geordnete Tätigkeit, in der die menschlichen Kräfte und Fähigkeiten zum Einsatz kommen, und dieser Einsatz ist die Arbeit. Arbeit heißt Tätigkeit, Schule, Übung, Ermüdung. Ohne die Arbeit, die für uns alle ein heilsames und schweres Gesetz ist, erreicht der Mensch nicht seine wahre Dimension. Wehe dem Müßiggang, der Faulheit, der Zeitvergeudung, wehe der nutzlosen und überflüssigen Verschwendung der eigenen Fähigkeiten! Jeder Mensch muss auf irgendeine Weise ein intelligenter und williger Arbeiter sein. Wir ehren in der Arbeit, was sie groß, edel und verdienstvoll macht: die Pflicht Aufrichtigerweise müssen wir aber auch noch einen anderen Aspekt der Arbeit erwähnen; sie hat, sagen wir es so, den Charakter einer Strafe. Die Arbeit ist nicht immer erfreulich. In der Natur der Arbeit selbst liegt eine unangenehme Wirkung: die Ermüdung, die Anstrengung, der Überdruss. Und die Tatsache, dass Arbeit Pflicht, Gehorsam, Notwendigkeit ist, erinnert uns dann daran, dass die Tätigkeit des Menschen die Natur einer Strafe in sich trägt, einer Strafe für ein altes Vergehen, die Erbsünde, an deren traurigem Erbe wir noch immer zu tragen haben: "Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen", sagte Gott, der Schöpfer, zu dem sündig gewordenen Adam. Erinnert ihr euch daran? (Gen 3,17-19). Das gilt so sehr, dass der heilige Paulus, als er ein ewiges Prinzip für die Pflichtenlehre und den wirtschaftlich-sozialen Bereich entwarf, in einem seiner ersten Briefe klar und unmissverständlich an die Thessalonicher schrieb: "Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen" (Thess 3,10). Ja, die Arbeit ist beschwerlich, bisweilen voll Mühsal und Gefahr. Ehren wir den Arbeiter, der leidet. Ehren wir den erschöpften, oft gedemütigten und ausgebeuteten Arbeiter. Versuchen wir seinen Schweiß zu trocknen, indem wir dafür sorgen, dass er ihm erleichtert, ja erspart wird, und versuchen wir, ihn zu stärken, um die Strafe zu tragen; denn sie ist auch Ausdruck einer höheren menschlichen Würde und sinnträchtiges Zeichen der Ähnlichkeit mit dem leidenden Christus. Wir ehren die Arbeit auch unter ihrem wirtschaftlichen Aspekt, das heißt als Mittel zur Beherrschung der Natur, das die Dinge in Gebrauchsgüter für den Menschen umwandelt. Es geht da um eine universale, gewaltige Sache. Der denkende Mensch ist heute dem müden Menschen zu Hilfe gekommen. Er hat für ihn Werkzeuge erfunden und hergestellt, die nicht nur die körperliche Mühe erleichtern, ja beinahe aufheben, sondern auch die Wirksamkeit über alle Maßen vermehren. Das ist ein wunderbares Kennzeichen unserer Zeit, unserer modernen Zivilisation: das Bündnis der Wissenschaft mit der Technik. Darauf beruhen die gigantische Produktion der Industrie und die großartigen Erfindungen unserer Kultur. Das ist ein Ruhm, eine Ehre, die wir auch religiös sehen und achten müssen. Das Leben der modernen Gesellschaft hängt nun davon ab. Und das Werk des Menschen gewinnt solche Strahlkraft, dass wir in ihm jene Gottesebenbildlichkeit ehren dürfen, die der Vater bei der Schöpfung in die menschliche Seele hineingelegt hat. Ist also der Triumph der Arbeit, der unser Zeitalter kennzeichnet, nur gut und schön? Da zeigt sich noch ein anderer und bedeutender Aspekt, den wir in der Arbeit beachten müssen, nämlich der soziale Aspekt. Unter dieser Rücksicht ist die Arbeit noch mehr unserer Ehre wert, denn hier geht es um den vorrangigen Wert in der Arbeit, und das ist der Mensch. Gerade der sogenannte "Arbeiter" hat im Zuge der industriellen Entwicklung die Mitglieder der Gesellschaft über jede Erwartung hinaus vermehrt, sie in Klassen eingeteilt und, wie wir alle wissen, aus der Gesellschaft keine Familie, sondern eine unvermeidliche Kampfstätte gemacht, oftmals ohne Eintracht, ohne Frieden und ohne Liebe. Die großen Werte des Fortschritts - Brot, Freiheit und Lebensfreude - sind ständig umstritten, wenn der große Strom des Reichtums, der aus der neuen Erfindungs- und Produktionsarbeit hervorgeht, von einem doppelten Egoismus in Beschlag genommen wird: von jenem Egoismus, der das einzige und höchste Ziel des Menschen in die irdischen Güter setzt, ja aus dem Menschen das oberste Ziel für den Menschen selbst macht - ein ideologischer, materialistischer Irrtum; und von jenem Egoismus, der den radikalen, ausschließlichen Kampf der verschiedenen Klassen untereinander wegen des Monopolanspruchs des Reichtums zum Aufbauprogramm des Gemeinschaftslebens erhebt - ein sozialer und ökonomischer Irrtum. (1. Mai 1973)

Die Stimme des Gewissens

Wer kein eigenes inneres Leben besitzt, dem fehlt die normale Fähigkeit, den Heiligen Geist aufzunehmen, seine zarte und angenehme Stimme zu hören, sich seinen Eingebungen zu öffnen und seiner charismatischen Gaben teilhaftig zu werden. Die Diagnose des modernen Menschen lässt uns ihn als ein nach außen gekehrtes Wesen erkennen; er lebt meist außerhalb seiner selbst und kaum in sich selbst, wie ein Gerät, das empfänglicher ist für die Sprache der Sinne als für die des Denkens und des Bewusstseins.

Sofort drängt sich als praktische Schlussfolgerung ein Wort zur Verteidigung der Stille auf, nicht der wortlosen Stille des Müßiggangs, wo man sich seiner selbst nicht bewusst ist, sondern jener Stille, die dem Lärm und Geschrei von draußen zu schweigen gebietet und zu hören vermag, hineinzuhören in die Tiefe, auf die echte Stimme des Gewissens, auf jene Stimmen, die aus der Sammlung des Gebets hervorgehen. (2. Juni 1973)

Erneuerung der Christenheit

Spaltungen, Verständnislosigkeit, gegenseitige Verdächtigungen fördern das Wirken der Kirche im gegenwärtigen Augenblick nicht; im Gegenteil, sie behindern es und bringen es zum Erliegen. Die Verwirrung in der Lehre und die Disziplinlosigkeit auf dem Antlitz der Kirche, die strahlende Schönheit einer Braut Christi verblassen und verwischen ihre Konturen für den klaren Blick der Gläubigen und all jener, die auf sie schauen. So ist es nicht möglich, wahrlich nicht möglich, der Welt von heute, die in ihrem Innern von Ideologien bedroht ist und von einem Treiben, das nicht nur zum Evangelium, sondern selbst zur Menschenwürde in Widerspruch steht, jenes Beispiel zu bieten, dessen sie bedarf und das darin besteht, ihr die evangelischen Tugenden der Armut, der Demut, der Reinheit, der Geduld, der Liebe und des heroischen Mutes vor Augen zu führen. Daher ist ein kräftiger Aufschwung des evangelischen Geistes nötig, eine Bewegung der Reinigung, der Versöhnung, der inneren Heiligkeit und der brüderlichen Solidarität. Eine tiefgreifende geistliche Erneuerung muss die Christen beseelen, muss ihnen zu Bewusstsein bringen, dass sie das Salz der Erde und das Licht der Welt zu sein haben. (22. Juni 1973)

Treue zu Christus im Leben

Seien wir realistisch: Das christliche Leben, wenn wir es echt leben wollen, ist schwierig. Wer dies leugnen wollte, wer unangebrachterweise diese schwierige Seite ausklammern wollte, würde gerade die Echtheit des christlichen Lebens verfälschen und vielleicht sogar verraten. Der Versuch, es leichtzumachen, einfach, mühelos und ohne Opfer, ist heute in vollem Schwange, auf der Ebene der Lehre wie in der Praxis.

Wir müssen alles tun, um dem christlichen Glauben den Sinn für Freiheit und Freude zu bewahren, der ihm eigen ist. Wir dürfen ihn nicht durch schwere und überflüssige Gesetze belasten. Wir müssen in uns selbst und in den anderen den Geschmack an all jenem wecken, was wahr ist, rein, gerecht, heilig, liebenswert, gut und recht.

Aber eben deshalb müssen wir Sinn für das Absolute haben, von dem die katholische Sicht der Dinge durch und durch geprägt ist. Absolut in der Wahrheit - "Ja, ja", "nein, nein", sagt das Evangelium-, ohne uns gewollten Blendwerken des Zweifels hinzugeben oder den illusorischen Bequemlichkeiten eines launischen Pluralismus. Absolut in der Moral, wo man nicht die Forderungen der Gesetze für das Leben, die Gott dem Menschen eingeprägt hat, beiseite schieben kann. Absolut im Wirken der Erlösung, das von uns die Verwirklichung des obersten Gesetzes der Liebe verlangt, mit dem sich daraus ergebenden Gesetz des Gehorsams, der Hingabe, der Sühne und des Opfers.

Diese wesentliche Treue zu Christus und seinem Kreuz drückt dem christlichen Leben den Stempel der Echtheit auf und lässt es manchmal zu einem unvorhergesehenen und riskanten Abenteuer werden. Ja, das christliche Leben ist schwierig, weil es konsequent ist, weil es treu ist, weil es stark ist, weil es kämpferisch ist, weil es groß ist. Der Herr möge es uns so verstehen und leben lassen. (25. Juli 1973)

Die Schwierigkeit des Glaubens

Der Christ soll seinen Glauben leben. Der Glaube ist eine besondere Art des Erkennens. Des Menschen Wille und seine Einsicht stimmten dem Worte Gottes zu. Aber diese Zustimmung ist oft schwierig vor allem für Menschen, deren Mentalität nach sicherem Wissen gerichtet ist, auf sinnenhafte Erfahrung und auf wissenschaftlich begründete Gewissheit. Die Menschen von heute wehren sich gegen ein Erkennen, das unsichtbare Wirklichkeiten zum Ziel hat. Sie wollen alles von den Sinnen und von dem Verstand bezeugt wissen. Wir Gläubigen haben gewiss keine Einwände zu erheben gegen das Zeugnis der Sinne und noch weniger gegen das Zeugnis des Verstandes. Ja, wir bewundern und ermutigen das natürliche Bestreben des Menschen nach Erkenntnis und Wissen. Unser Einwand richtet sich aber dagegen, dass heute so viele Menschen und so viele Denksysteme für die natürlichen und verstandesmäßigen Erkenntnisse Absolutheit und Ausschließlichkeit in Anspruch nehmen, so als ob es keine anderen Erkenntnisse geben könne, zu denen Verstand und Sinn keinen Zugang haben. Dieser Geist der Selbstgenügsamkeit bringt sie dahin, jede Erkenntnis abzuleugnen, die auf das Zeugnis der Offenbarung, das heißt auf das Wort Gottes begründet ist.

Warum stehen heute so viele Menschen in Widerspruch zu den Forderungen des Glaubens? Weil sie ausschließlich ihren Sinnen und ihren Erfahrungen vertrauen. Sie sind Gefangene eines rebellischen Rationalismus, der eine Erkenntnis ablehnt, die sich ausschließlich an der reinen Wahrheit orientiert. (1. August 1973)

Reformen im Geist der Kirche

Es ist nötig, dass die vom Konzil eingeleiteten und von den zuständigen Autoritäten der Kirche festgelegten liturgischen Reformen treu, klug und eifrig durchgeführt werden.

Wer sie ohne Grund verhindert oder verlangsamt, versäumt den von der Vorsehung gewollten Moment der wahren Wiederbelebung und erfolgreichen Verbreitung der katholischen Religion in unserer Zeit.

Wer aber die Reform ausnützt zu willkürlichen Experimenten, vergeudet nur Energien und verstößt gegen den Geist der Kirche. Maßgebliche Personen empfehlen uns, mit dem Reformprozess der überlieferten und volkstümlichen religiösen Bräuche sehr vorsichtig zu verfahren und dafür zu sorgen, dass das religiöse Gefühl nicht erlischt, wenn es in neue und bessere geistliche Ausdrucksformen gekleidet wird

Der Sinn für das Wahre, Schöne, Einfache. für Gemeinschaft und Tradition (wenn sie geachtet zu werden verdient) muss die äußeren Formen des Kultus bestimmen. Und man muss zusehen, dass das Volk ihnen zugeneigt bleibt. (22. August 1973)

Wir müssen wieder beten lernen

Die Anbetung oder das Gebet ist der wesenseigene Akt der Religion. Wenn also im religiösen Leben die Nöte und Neigungen der Menschen unserer Zeit erkannt werden und zum Ausdruck kommen sollen, so müssen wir sie zum Gebet einladen und anleiten. Betet der Mensch heutzutage? Dort, wo die Kirche lebendig ist: ja. Das Gebet ist der Atem der Kirche, des mystischen Leibes Christi, ihr Gespräch mit Gott, Ausdruck ihrer Liebe und ihres Bemühens, zu Gott zu gelangen. Es ist die Anerkennung seiner Vorsehung im dynamischen Ablauf der WeItereignisse. Es ist das Flehen um seine Barmherzigkeit und um seinen Beistand, wenn unsere Kräfte versagen. Es ist das Bekenntnis, dass wir ihn brauchen und ihn ehren. Es ist die Freude des Gottesvolkes, ihn lobpreisen zu können und alles, was von ihm kommt. Es ist die Schule des christlichen Lebens. Das Gebet ist eine Blume, die aus einer doppelten, lebendigen und tiefen Wurzel sprosst: aus dem religiösen Sinn (das ist die natürliche Wurzel) und aus der Gnade des Heiligen Geistes (das ist die übernatürliche Wurzel). Diese beseelt unser Gebet. Ja man kann sagen, dass das Gebet der allerhöchste Ausdruck der Kirche ist, aber ebenfalls auch ihr Nährboden und ihr Beginn. Es ist der klassische Augenblick, in dem das göttliche Leben in der Kirche zu pulsieren beginnt. Daher müssen wir es ganz besonders pflegen und hochschätzen.

Wie kann man bewirken, dass die Menschen von heute wieder beten? Wir müssen zugeben, dass die Irreligiosität vieler Menschen unserer Zeit ihnen den Zugang zum Gebet sehr erschwert; das eigentlich leicht, spontan und freudig aus den Seelen unserer Zeitgenossen hervorbrechen sollte. Dem liegen, vereinfacht gesagt, zwei Einwände zugrunde: einmal wird grundsätzlich dem Gebet ein Sinn abgesprochen, als gäbe es den göttlichen Gesprächspartner gar nicht, an den sich das Gebet richtet. Daher sei es überflüssig, unnütz, ja schädlich für die Selbstgenügsamkeit des modernen Menschen und damit auch für die Entfaltung seiner Persönlichkeit. Das andere Mal kann man von einer völligen Vernachlässigung des Gebetslebens sprechen. Man verschließt Mund und Herz wie jemand, der nicht wagt, sich in einer fremden, ihm unbekannten Sprache auszudrücken, und gewohnt ist, das Leben ohne irgendeine Beziehung zu Gott aufzufassen. Das ist ein gewaltiges Hindernis. Aber es ist nicht unüberwindlich. Aus einem ganz einfachen Grunde: weil das Verlangen nach Gott dem Menschenherzen eingeboren ist, ob wir es wollen oder nicht. Der Mensch quält sich oft und verfällt gar einem unlogischen Skeptizismus, denn er hat in sich die Stimme unterdrückt, die sich aus vielen Antrieben heraus zum Himmel erheben möchte, nicht wie zu einem leeren, schrecklichen, geheimnisvollen Kosmos, sondern zum ersten, absoluten Sein, zum Schöpfer, zum lebendigen Gott. In der Tat zeigen sich in der jungen Generation von heute gewisse Phänomene eines merkwürdigen Mystizismus, der nicht immer eine künstliche Mystifizierung ist, sondern vielmehr ein unstillbarer Durst nach Gott zu sein scheint. Diese jungen Menschen sind sich vielleicht noch nicht der wahren Quelle bewusst, an der sie diesen Durst stillen können, aber sie bekennen aufrichtig und sozusagen stillschweigend, was sie empfinden: Durst, tiefen Durst.

Wie es auch sei, wir wollen dem Problem des Gebetes besondere Beamtung schenken, sowohl dem persönlichen Gebet, das je nach den Anforderungen des Alters und der Umwelt differenziert ist, wie dem gemeinsamen Gebet, das folglich dem Gemeinschaftsleben entsprechen muss. Wir tun das um der geistigen Erneuerung willen, die wir herbeiwünschen und einleiten möchten. (22. September 1973)

Versöhnung mit Gott

Durch Christus sind wir mit Gott versöhnt. In diesem Worte ist die ganze Lehre von unserer Erlösung, die gesamte Heilslehre enthalten. Unsere ganze menschliche Existenz geht aus von Gott, lebt von Gott und steht in ständiger wesentlicher und moralischer Beziehung mit Gott. In Gott haben alle Lebensweisheiten, alle wahre Philosophie, alle Wahrheit über das Dasein und unsere Bestimmung ihren Ausgang und ihr Ziel. Als Gottes Geschöpfe werden wir geboren, und wir sind ganz und gar von ihm abhängig. Und, ob wir es wollen oder nicht: wir sind ihm verantwortlich. Das liegt in unserem Wesen. Intelligenz, Wille, Freiheit, Herz, Liebe und Leid, Zeit und Arbeit, menschliche und soziale Beziehungen, mit einem Wort das Leben, alles hat seine Begründung und hat sein Ziel in der Beziehung mit Gott. Der Mensch kann nicht verstanden werden, ohne diese wesentliche Beziehung mit Gott. Geheimnisvoll durchwest der ewige Gott das gesamte Universum. Er wacht über uns, er kennt uns, er bewahrt uns, er durchdringt uns. Er ist der Vater unseres Lebens. Wir können ihn ignorieren, ihn bestreiten, ihn leugnen und verleugnen. Aber ER ist. Er lebt. Er ist wahrhaftig. "In ihm bewegen wir uns, sind wir", wie St. Paulus im Areopag zu Athen gesagt hat.

Gewiß, es gibt jene "Weltanschauung", jene Auffassung von der Welt, welche die Existenz Gottes nicht wahrhaben will. Sie zieht es vor, die eigene Vernunft mit dem absurden Begriff vom "Tode Gottes" zu vergewaltigen, statt den eigenen Geist mit der Sudle nach dem göttlichen Licht zu erfüllen. Der Atheismus scheint zu triumphieren. Hat die Religion keine Daseinsberechtigung mehr? Gibt es die Sünde nicht? ... Wir haben genug von diesen Ideologen. Aber wir sind dank der Gnade Gottes nach wie vor überzeugt, dass es Gott gibt, so wie es die Sonne gibt! Wir sind überzeugt, dass alles von ihm kommt, so wie alles von uns zu ihm geht.

Und ihr, ihr Wissenden und Gläubigen, die ihr uns zuhört, ihr seid sicherlich mit uns genauso davon überzeugt. Von daher verstehen wir, wie wichtig, wie modern das Ereignis des Heiligen Jahres ist, das uns nach innen und nach außen erneut die souveräne Existenz Gottes bestätigen soll: Seine Existenz und seinen Plan, ein Plan unendlicher Liebe, aus uns aufmerksame Jünger, treue Diener und insbesondere glückliche Menschen zu machen.

Wir fühlen alle, dass unsere Antwort auf das Heils-Angebot Gottes nur unvollkommen sein kann, vielleicht sogar feindselig. Ja, wir sind Sünder. Das ist eine andere, schmerzliche, erniedrigende Seite unseres Wesens. Unsere Antwort auf die Liebe Gottes ist immer unvollkommen. Wir sind Undankbare, Wir wären verloren, wenn Christus nicht gekommen wäre, uns zu erlösen. Nun, was folgt daraus? Daraus folgt die unbedingte Notwendigkeit, uns mit Gott zu versöhnen! Und die Versöhnung ist möglich! Das ist die Botschaft, die das Heilige Jahr in alle Welt tragen soll und die es uns bewusst machen soll! Die Versöhnung ist möglich! Diese Botschaft soll uns alle erreimen und soll in unser aller Herzen Aufnahme finden! (31. Oktober 1973)

Die Welt mit Sympathie betrachten

Wir müssen die Welt immer mit Sympathie betrachten und wir müssen uns dabei immer bewusst sein der Verpflichtung zum Unterscheiden. Wir dürfen uns nicht an der niemals verwirklichbaren TraumvorsteIlung einer vollkommenen Menschheit orientieren. Nie zu verwirklichen ist auch die Idee einer menschlichen Gesellschaft des Mittelmaßes, in Ordnung gehalten durch eine religiöse Ideologie, einer menschlichen Gesellschaft, die sich immer bewusst ist der Grenzen und Macht ihrer Kompetenzen. Schließlich dürfen wir uns auch nicht einer intoleranten und reaktionären Haltung befleißigen gegenüber der legitimen Eigengesetzlichkeit der irdischen Wirklichkeiten, das heißt gegenüber den Dingen der Schöpfung oder der Gemeinschaft an sich, gegenüber jenen Wirklichkeiten also, die nach der Lehre des Konzils ihre eigenen Gesetze und ihre eigenen Werte haben.

Halten wir uns also an jene großen Lehren, die das Bild des modernen Christen prägen. Wir müssen mit klarer Objektivität alle Dinge und alle Tatsachen betrachten, die rund um uns sind. Noch mehr: Wir müssen mit Bewunderung und Begeisterung und mit geschultem Geist das gesamte Panorama der Schöpfung betrachten. - So lasst uns mit Respekt, mit Sympathie, mit Liebe jedes menschliche Antlitz anschauen, auch das des Fremden, sogar das eines Gegners! Wir müssen also mit weisen und zugleich kritischen Blicken jede Bekundung menschlicher Erfahrung betrachten. Das soll aber nicht heißen, dass wir eine moralische Laxheit, einen Relativismus, eine zweideutige Haltung billigen möchten. (21. November 1973)

Neuer Gemeinschaftsgeist gegen Elend und Not

Heute wollen wir für Rom beten, für unsere und eure Diözese, für ihre kirchliche Gemeinschaft und die vielen anderen Ortskirchen, die sich in einer ähnlichen Lage befinden. Brüder und Schwestern, lasst uns insbesondere darum beten, dass wir uns alle gegenseitig als Brüder fühlen und es auch sind. Ja, uns als Brüder fühlen und es sein. Die Bevölkerung ist sehr verschiedenartig; in wenigen Jahren ist sie gewaltig angewachsen. Viele Menschen strömen in eine Stadt, die gänzlich unvorbereitet war. Um sie entsprechend aufzunehmen, reimt die bloße Tatsache des Wohnens in einer Stadt nicht aus, auch nicht, um zwischen den alten und den neuen Bewohnern Einheit, Solidarität und ein gemeinsames Geschichtsbewusstsein herzustellen, ihnen Arbeit und Fürsorge zu garantieren sowie Wohlstand und ein geordnetes Gefüge bürgerlichen Zusammenlebens entstehen zu lassen. Die von mancher Seite bisweilen mit mehr Verbitterung als Gerechtigkeit vorgenommene traurige Diagnose, die dieser Tage über das Elend und die Not so vieler Stadtviertel erstellt wurde, hat das menschliche und christliche Leid, das bereits viele von uns im Herzen trugen, noch gesteigert und grausam verschärft. Mit qualvoller Sorge fühlten sie die Notwendigkeit eines neuen Gemeinschaftsgeistes, ja die Verpflichtung dazu. Bringen wir dieses Leiden vor den Herrn, damit er es umwandle in neue Vorsätze, die von echtem und aktivem Gemeinschaftsbewusstsein getragen sind.

Lasst uns darum beten, dass wir "sozialer" werden, also bereit dazu, dass wir uns einer für den anderen einsetzen, eingedenk der Worte des Apostels: "Einer trage des andere Last; auf diese Weise erfüllt ihr das Gesetz Christi" (Ga! 6, 2). Oft sind wir jedoch versucht zu meinen, das Mittel gegen das unerfreuliche Zusammenleben in der Masse, die noch nicht zu einem organischen Ganzen geworden ist, sei die Gleichgültigkeit gegenüber der Lage des anderen, wenn es nicht gar passiert, dass man dem abwegigen Verlangen nachgibt, aus der ungeschützten Not des anderen auf listige Weise Nutzen zu ziehen, indem man gewinnsüchtige Spekulationen riskiert oder mehr noch wirtschaftliche oder demagogische Vorteile zu erraffen versucht.

Brüder, möge in uns ein neuer Gemeinschaftsgeist entstehen: großmütige Liebe für unsere Stadt - wie sehr verdient sie diese Liebe! -, religiöse Anhänglichkeit an unsere Diözese - können wir uns da auf ein Minimum beschränken oder sie gar verweigern? -, aufrichtige Hochschätzung unserer Schulen - jede Schule ist ein Hort, ein Heiligtum! -, aktive Eingliederung in unsere jeweiligen Pfarreien - die Pfarrei ist wahrlich ein Zentrum für die Ausbildung des Sinnes der Einheit, der Frömmigkeit und der Liebe! - und beharrliche Treue zu unseren katholischen Organisationen.

Und schließlich wollen wir dafür beten, dass die Verdienste der zahlreichen Wohltätigkeitseinrichtungen anerkannt und nicht bestritten oder herabgesetzt werden. Gewiss bedürfen sie der Erneuerung; aber noch immer werden sie getragen von den Grundsätzen der Liebe und der Gerechtigkeit, und sie verdienen Anerkennung und weiteren Ausbau. Und so mögen alle Wohltätigkeits- und sozialen Einrichtungen, wie sie die Bedürfnisse der Zeit und der christliche Geist erfordern, gefördert werden.

Lasst uns beten! Lasst uns beten, dass eine neue Welle der Liebe und der Gerechtigkeit von hier ihren Ausgang nehme. (17. Februar 1974)