Donum veritatis (Wortlaut)

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Instruktion
Donum veritatis

der Kongregation für die Glaubenslehre
unseres Heiligen Vaters
Johannes Paul II.
über die kirchliche Berufung des Theologen.
24. Mai 1990
(Offizieller lateinischer Text: AAS 82 [1990] 1550-1570)

(Quelle: Die deutsche Fassung auf der Vatikanseite
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


EINFÜHRUNG

1. Die Wahrheit, die frei macht, ist ein Geschenk Jesu Christi (vgl. Joh 8,32). Das Erforschen der Wahrheit wird von der Natur des Menschen gefordert, während Unwissenheit ihn in Knechtschaft hält. Der Mensch kann in der Tat nicht wahrhaft frei sein, wenn er über die wesentlichen Fragen seiner Existenz keine Klarheit erhält und zumal wenn er nicht weiß, woher er kommt und wohin er geht. Er wird frei, wenn Gott sich ihm nach dem Wort des Herrn als Freund anvertraut: „Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe“ (Joh 15,15). Befreit von der Entfremdung durch Sünde und Tod aber wird der Mensch, wenn Christus, der die Wahrheit ist, für ihn zum „Weg“ wird (vgl. Joh 14,6).

Im christlichen Glauben sind Erkenntnis und Leben, Wahrheit und Existenz innerlich verbunden. Gewiß übersteigt die in der Offenbarung Gottes geschenkte Wahrheit die Fassungskraft der Erkenntnis des Menschen, doch steht sie zur Vernunft des Menschen nicht im Gegensatz. Sie durchdringt und erhebt diese vielmehr und appelliert an die Verantwortung eines jeden Menschen (vgl. 1 Petr 3,15). So war die „Lehr-Regel“ (Röm 6,17) vom Anfang der Kirche an mit der Taufe an den Eintritt in das Geheimnis Christi gebunden. Der Dienst an der Lehre, zu dem das gläubige Bemühen um Glaubensverständnis, nämlich die Theologie, gehört, ist daher eine Forderung, auf die die Kirche nicht verzichten kann.

Zu allen Zeiten ist die Theologie wichtig, damit die Kirche auf den Plan Gottes antworten kann, der will, „dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“ (1 Tim 2,4). Doch in Zeiten großer geistiger und kultureller Umbrüche wird sie noch wichtiger, auch wenn sie dann besonderen Gefahren ausgesetzt ist, denn sie muss sich bemühen, in der Wahrheit „zu bleiben“ (vgl. Joh 8,31) und zugleich die neuen Probleme, die sich dem menschlichen Geist stellen, berücksichtigen. In unserem Jahrhundert und zumal bei der Vorbereitung und Durchführung des II. Vatikanischen Konzils hat die Theologie viel zu einem tieferen „Verständnis der überlieferten Dinge und Worte“<ref> Dogm. Konst. Dei verbum 8. </ref> beigetragen, freilich auch Momente der Krise und Spannung erlebt, und sie erlebt sie weiter.

Daher hält es die Kongregation für die Glaubenslehre für angebracht, den Bischöfen der katholischen Kirche und über sie den Theologen diese Instruktion vorzulegen, welche die Sendung der Theologie in der Kirche erhellen möchte. Die Instruktion behandelt zunächst (I) die Wahrheit als Geschenk Gottes für sein Volk, beschreibt dann (II) die Aufgabe der Theologen, geht auf den besonderen Auftrag der Hirten ein (III) und bietet schließlich (IV) einige Hinweise zum richtigen Verhältnis beider zueinander. Sie möchte damit dem Wachstum in der Erkenntnis der Wahrheit dienen (vgl. Kol 1,10), die uns in jene Freiheit einführt, für die Christus gestorben und auferstanden ist (vgl. Gal 5,1).

I. DIE WAHRHEIT, EIN GESCHENK GOTTES FÜR SEIN VOLK

2. Von grenzenloser Liebe bewogen, hat Gott dem Menschen auf der Suche nach der eigenen Identität nahe sein und sein Weggefährte werden wollen (vgl. Lk 24,15). Er wollte ihn ferner von den Fallstricken des „Vaters der Lüge“ (vgl. Joh 8,44) befreien und ihm Zugang zu einem innigen Verhältnis zu Gott schenken, damit er dort die volle Wahrheit und die wahre Freiheit in Überfülle finde. Dieser Liebesplan, der vom „Vater der Lichter“ (Jak 1,17; vgl. 1 Petr 2,9; 1 Joh 1,5) stammt und durch den dem Tod entrissenen Sohn (vgl. Joh 8,36) verwirklicht wurde, erhält durch den Geist, der „in die ganze Wahrheit führt“ (Joh 16,13), dauerhafte Gestalt.

3. Die Wahrheit besitzt aus sich selbst eine einigende Kraft: Sie befreit die Menschen aus der Isolierung und den Gegensätzen, in denen sie die Unkenntnis der Wahrheit gefangenhält, öffnet ihnen den Weg zu Gott und vereinigt untereinander. Christus hat die Trennmauer zerstört, die sie der Verheißung Gottes und der Gemeinschaft des Bundes gegenüber zu Fremden machte (vgl. Eph 2,12-14). Er sendet in die Herzen der Glaubenden seinen Geist, durch den alle in Ihm nur noch „einer“ sind (vgl. Röm 5,5; Gal 3,28). So werden wir dank der Wiedergeburt und der Salbung des Heiligen Geistes (vgl. Joh 3,5; 1 Joh 2,20.27) zum einen und neuen Volk Gottes, das durch die verschiedenen Berufungen und Charismen beauftragt ist, das Geschenk der Wahrheit zu bewahren und weiterzugeben. Die ganze Kirche muss in der Tat als „Salz der Erde“ und „Licht der Welt“ (vgl. Mt 5,13 f.) von der Wahrheit Christi, die frei macht, Zeugnis geben.

4. Das Volk Gottes antwortet auf diesen Aufruf „vor allem durch ein Leben in Glauben und Liebe, in der Darbringung des Lobopfers an Gott“. Was näherhin das „Leben im Glauben“ betrifft, so führt das II. Vatikanische Konzil weiter aus: „Die Gesamtheit der Gläubigen, welche die Salbung von dem Heiligen haben (vgl. 1 Joh 2,20.27), kann im Glauben nicht irren. Und diese ihre besondere Eigenschaft macht sie durch den übernatürlichen Glaubenssinn des ganzen Volkes dann kund, wenn sie „’von den Bischöfen bis zu den letzten gläubigen Laien’ ihre allgemeine Übereinstimmung in Sachen des Glaubens und der Sitten äußert“.<ref>Dogm. Konst. Lumen gentium 12. </ref>

5. Um seine prophetische Funktion in der Welt auszuüben, muss das Volk Gottes sein Glaubensleben (vgl. 2 Tim 1,6) ständig in sich selber erwecken oder „neu beleben“, zumal durch eine immer tiefere Reflexion, die sich unter der Führung des Heiligen Geistes mit dem Inhalt des Glaubens selber auseinandersetzt und durch das Bemühen, den Glauben in den Augen jener zu rechtfertigen, die für ihn Gründe fordern (vgl. 1 Petr 3,15). Im Hinblick auf diese Sendung verteilt der Geist der Wahrheit unter den Glaubenden aller Stände besondere Gaben, die verliehen werden, „damit sie anderen nützen“ (1 Kor 12,7-11).

II. DIE BERUFUNG DES THEOLOGEN

6. Unter den durch den Geist in der Kirche entfachten Berufungen zeichnet sich die des Theologen aus, dessen Aufgabe darin besteht, in Gemeinschaft mit dem Lehramt ein immer tieferes Verständnis des Wortes Gottes, wie es in der inspirierten und von der lebendigen Tradition der Kirche getragenen Schrift enthalten ist, zu gewinnen.

Der Glaube strebt von seiner Natur her nach Erkenntnis, denn er enthüllt dem Menschen die Wahrheit über seine Bestimmung und den Weg, sie zu erreichen. Obwohl diese geoffenbarte Wahrheit all unser Reden überschreitet und unsere Begriffe angesichts seiner letzten Endes unergründlichen Erhabenheit (vgl. Eph 3,19) unvollkommen bleiben, so fordert er doch unsere Vernunft, dieses Geschenk Gottes zum Erfassen der Wahrheit, auf, in ihr Licht einzutreten und so fähig zu werden, das Geglaubte in einem gewissen Maß auch zu verstehen. Theologische Wissenschaft, die sich um das Verständnis des Glaubens in Antwort auf die Stimme der sie ansprechenden Wahrheit bemüht, hilft dem Volk Gottes, gemäß dem Auftrag des Apostels (vgl. 1 Petr 3,15) dem, der nach seiner Hoffnung fragt, Rede und Antwort zu stehen.

7. Die Arbeit des Theologen entspricht daher einer Dynamik, die dem Glauben selber innewohnt: Die Wahrheit will sich ihrer Natur nach mitteilen, denn der Mensch ist für die Erkenntnis der Wahrheit geschaffen und verlangt in seinem tiefsten Inneren nach ihrer Kenntnis, um sich in ihr wiederzufinden und darin sein Heil zu erlangen (vgl. 1 Tim 2,4). Deswegen hat der Herr seine Apostel ausgesandt, alle Nationen zu seinen „Jüngern“ zu machen und sie zu lehren (vgl. Mt 28,19 f.). Die Theologie, die nach dem „Grund des Glaubens“ forscht und ihn den Suchenden als eine Antwort anbietet, bildet einen integralen Teil des Gehorsams gegenüber diesem Gebot; denn die Menschen können nicht zu Jüngern werden, wenn ihnen die im Wort des Glaubens enthaltene Wahrheit nicht dargelegt wird (vgl. Röm 10,14 f.).

Die Theologie leistet ihren Beitrag dazu, dass der Glaube mittelbar wird und der Verstand jener Menschen, die Christus noch nicht kennen, den Glauben suchen und finden kann. Wenn die Theologie damit dem Antrieb der Wahrheit, die sich mitteilen möchte, entspricht, so wird sie zugleich aus der Liebe und ihrer Dynamik geboren: Im Glaubensakt erkennt der Mensch die Güte Gottes und beginnt, ihn zu lieben. Liebe aber will den Geliebten immer noch besser kennenlernen.<ref>Vgl. Hl. Bonaventura, Proem. In I. Sent. q.2., a.6: “quando fides non assentit propter rationem, sed propter amorem eius cui assentit, desiderat habere rationes”. </ref> Aus diesem doppelten Ursprung der Theologie im inneren Leben des Volkes Gottes und seiner missionarischen Berufung ergibt sich die Weise, wie sie auszuarbeiten ist, um den Ansprüchen ihrer eigenen Natur gerecht zu werden.

8. Da das Objekt der Theologie die Wahrheit, nämlich der lebendige Gott und sein in Jesus Christus geoffenbarter Heilsplan ist, muss der Theologe sein Glaubensleben vertiefen sowie wissenschaftliches Forschen und Gebet immer vereinen.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Ansprache bei der Verleihung des “Internationalen Preises Pauls VI.” an Hans Urs von Balthasar, 23. Juni 1984: Insegnamenti di Giovanni Paolo II, VII, 1 (1984) 1911-1917. </ref> Er wird auf diese Weise für den „übernatürlichen Glaubenssinn“ aufgeschlossener, von dem er abhängt und der ihm als sichere Regel gelten wird, die seine Reflexion leitet und die Richtigkeit seiner Ergebnisse messen läßt.

9. Im Verlauf der Jahrhunderte ist die Theologie nach und nach zu einem wirklich wissenschaftlichen Wissen geworden. Der Theologe muss daher notwendig auf die erkenntnismäßigen Erfordernisse seines Faches und die der kritischen Strenge, mit anderen Worten auf die rationale Kontrolle eines jeden Schrittes seiner Forschung achten. Doch kritische Strenge ist etwas anderes als der Geist der Kritik, der eher auf affektive Gründe oder Vorurteile zurückgeht. Der Theologe muss daher bei sich selber Ursprung und Motive seiner kritischen Haltung prüfen und seinen Blick durch den Glauben reinigen lassen, denn Theologie treiben erfordert ein geistliches Bemühen um Redlichkeit und Heiligung.

10. Obwohl die geoffenbarte Wahrheit die menschliche Vernunft übersteigt, so steht sie mit ihr doch in tiefer Übereinstimmung und setzt voraus, dass die Vernunft ihrer Natur nach auf die Wahrheit hingeordnet ist, so dass sie, vom Glauben erleuchtet, den Sinn der Offenbarung erfassen kann. Trotz der Behauptungen vieler philosophischer Strömungen, aber in Übereinstimmung mit einer gesunden, von der Schrift bekräftigten Denkweise, ist die Wahrheitsfähigkeit der menschlichen Vernunft anzuerkennen sowie auch ihre metaphysische Fähigkeit, Gott von der Schöpfung her zu erfassen.<ref>Vgl. Vatic. I, Dogm. Konst. De fide catholica, De revelatione, can. 1: DS 3026. </ref>

Daher erfordert die der Theologie eigene Aufgabe, den Sinn der Offenbarung zu verstehen, die Verwendung philosophischer Errungenschaften, die „ein gründliches und zusammenhängendes Wissen über Mensch, Welt und Gott“<ref>Dekret Optatam totius15. </ref> liefern und deren Aussagen bei der Reflexion über die geoffenbarte Lehre aufgenommen werden können. Notwendig für die Studien des Theologen sind ebenfalls die historischen Wissenschaften, an erster Stelle wegen des historischen Charakters der Offenbarung, die uns innerhalb einer „Heilsgeschichte“ übermittelt worden ist. Endlich soll er auch auf die Humanwissenschaften zurückgreifen, um die geoffenbarte Wahrheit über den Menschen und die moralischen Normen seines Tuns durch Einbringen der gültigen Ergebnisse dieser Wissenschaften besser zu erfassen.

In dieser Hinsicht gehört es zur Aufgabe des Theologen, in seiner eigenen Kultur Elemente zu finden, mit denen er den einen oder anderen Aspekt der Geheimnisse des Glaubens erhellen kann. Eine solche Aufgabe ist gewiß schwer und nicht ohne Gefahren, doch bleibt sie in sich selber berechtigt und soll ermuntert werden.

Hier ist zu betonen: Wenn die Theologie begriffliche Elemente und Methoden, die von der Philosophie oder anderen Wissenschaften herstammen, verwendet, muss sie zu unterscheiden wissen, wobei sie das letzte normgebende Prinzip in der geoffenbarten Lehre findet. Diese muss ihr die Kriterien für die Beurteilung dieser begrifflichen Elemente und Methoden an die Hand geben und nicht umgekehrt.

11. Da er nie vergessen wird, dass auch er ein Glied des Volkes Gottes ist, muss der Theologe dies achten und sich bemühen, ihm eine Lehre vorzutragen, die in keiner Weise der Glaubenslehre Schaden zufügt.

Die der theologischen Forschung eigene Freiheit gilt innerhalb des Glaubens der Kirche. Daher kann die Kühnheit, die sich dem Bewußtsein des Theologen oft nahelegt, keine Früchte bringen und „erbauen“, wenn sie nicht von der Geduld des Reifenlassens begleitet ist. Die neuen Vorschläge zum Verständnis des Glaubens „sind nur ein Angebot für die ganze Kirche. Vieles muss im brüderlichen Gespräch korrigiert und erweitert werden, bis die ganze Kirche es annehmen kann. Theologie ist zutiefst ein sehr selbstloser Dienst an der Gemeinschaft der Gläubigen. Darum gehören die sachliche Disputation, das brüderliche Gespräch, Offenheit und Bereitschaft zur Veränderung der eigenen Meinungen wesentlich zu ihr“.<ref>Johannes Paul II., Ansprache an die Theologen in Altötting, 18. November 1980: AAS 73 (1981) 104; vgl. ferner Paul VI., Ansprache an die Mitglieder der Internationalen Theologenkommission, 11. Oktober 1972: AAS 64 (1972) 682-683; Johannes Paul II., Ansprache an die Mitglieder der Internationalen Theologenkommission, 26. Oktober 1979: AAS 71 (1979) 1428-1433. </ref>

12. Die Freiheit der Forschung, an der die Gemeinschaft der Wissenschaftler mit Recht als einem ihrer kostbarsten Güter festhält, bedeutet die Bereitschaft, die Wahrheit so anzunehmen, wie sie sich am Ende einer Forschungsarbeit darbietet, bei der kein Element Einfluss gewinnt, das den Erfordernissen einer dem studierten Objekt entsprechenden Methode fremd ist.

In der Theologie ist diese Freiheit der Forschung innerhalb eines rationalen Wissens anzusetzen, dessen Gegenstand von der Offenbarung gegeben wird, wie sie in der Kirche unter der Autorität des Lehramtes übermittelt, ausgelegt und vom Glauben angenommen wird. Diese Elemente, die den Rang von Grundsätzen haben, beiseite zu lassen, würde bedeuten, dass man aufhört, Theologie zu treiben. Um die Art dieses Verhältnisses zum Lehramt klarzustellen, soll nun von dessen Aufgabe in der Kirche die Rede sein.

[Fortsetzung folgt]

Anmerkungen

<references />