Ad operam (Wortlaut)

Aus kathPedia
Version vom 7. Juli 2015, 09:08 Uhr von Oswald (Diskussion | Beiträge) (Die Seite wurde neu angelegt: „<center> Dekret <br> {|align="center" cellpadding=5px; !bgcolor="silver"|'''Ad operam''' |} Kongregation für das Katholische Bildungswesen<br> uns…“)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Zur Navigation springenZur Suche springen
Dekret
Ad operam

Kongregation für das Katholische Bildungswesen
unseres Heiligen Vaters
Benedikt XVI.
zur Reform der kirchlichen Studien der Philosophie
28. Januar 2011

(Offizieller lateinischer Text [1. Februar 2011]: AAS 103 [2011/2] 145- 161)

(Quelle: Die deutsche Fassung auf der Vatikanseite)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Präambel

I. Der aktuelle Kontext

1. Die Kirche verfolgt in ihrer Arbeit für die Evangelisierung der Welt mit Aufmerksamkeit und Unterscheidungsvermögen den schnellen kulturellen Wandel, der im Gange ist und der die Kirche selbst und die ganze Gesellschaft beeinflusst. Unter diesen Veränderungen der vorherrschenden Kultur sind einige, besonders grundlegende, die die Konzeption der Wahrheit betreffen. Sehr oft nämlich stellt man gegenüber der Fähigkeit der menschlichen Intelligenz, zu einer objektiven und universalen Wahrheit zu gelangen, an der sich Menschen in ihrem Leben zu orientieren vermögen, Misstrauen fest. Darüber hinaus stellen die Auswirkungen der Humanwissenschaften und die Folgen aus wissenschaftlicher und technischer Entwicklung die Kirche vor neue Herausforderungen.

2. Mit der Enzyklika Fides et ratio wollte Papst Johannes Paul II. die Notwendigkeit der Philosophie, um mit ihr in der Erkenntnis der Wahrheit voranzukommen und die irdische Existenz fortlaufend menschlicher zu gestalten, bekräftigen, da die Philosophie „unmittelbar dazu beiträgt, die Frage nach dem Sinn des Lebens zu stellen und die Antwort darauf zu entwerfen“.<ref> Enzyklika Fides et ratio (14. September 1998), AAS 91 (1999), 5-88, Nr. 3. In dieser Enzyklika richtet Johannes Paul II. die Aufmerksamkeit auf dasselbe Thema der Wahrheit und ihrer Grundlagen im Verhältnis zum Glauben. Er führt damit die Überlegungen fort, die er in der Enzyklika Veritatis splendor (6. August 1993) über die Wahrheit auf dem Gebiet der Moral (vgl. Fides et ratio, Nr. 6) geäußert hatte, die auch einige fundamentale, rein rationale Wahrheiten umfasst.</ref> Diese Frage entspringt sowohl dem Staunen, das der Mensch angesichts des Menschen und des Kosmos erfährt, als auch den schmerzlichen und tragischen Erfahrungen, die sein Leben bedrängen. Das philosophische Wissen „stellt sich daher als eine der vornehmsten Aufgaben der Menschheit dar“.<ref> Fides et ratio, Nr. 3.</ref>.

II. Die „ursprüngliche Berufung“ der Philosophie

3. Die philosophischen Strömungen haben sich im Laufe der Geschichte vervielfältigt und zeigen damit den Reichtum des konsequenten und von der Weisheit geleiteten Suchens nach der Wahrheit. Hat die antike Weisheit das Sein unter dem Blickwinkel des Kosmos betrachtet, so hat das patristische und mittelalterliche Denken die Erkenntnis, im Kosmos die freie Schöpfung eines wahren und guten Gottes (vgl. Weis 13,1-9; Apg 17,24-28) zu sehen, vertieft und gereinigt. Die modernen Philosophien haben besonders die Freiheit des Menschen, die Spontaneität der Vernunft und ihre Fähigkeit, das Universum zu messen und zu beherrschen, geschätzt. Gegenwärtig konzentriert eine bestimmte Anzahl von zeitgenössischen Richtungen, die sehr sensibel für die Verletzlichkeit unseres Wissens und unserer Humanität sind, ihre Reflexion auf die Vermittlung von Sprache<ref>Vgl. Fides et ratio, Nr. 84.</ref> und Kultur. Wie sollte man schließlich nicht, jenseits des abendländischen Denkens, auch an die vielen und zum Teil bemerkenswerten Ansätze erinnern, die über das Verständnis des Menschen, der Welt und des Absoluten in den verschiedenen Kulturen – wie z. B. in den asiatischen oder afrikanischen – angestellt werden? Diese vielfältige Erforschung des Denkens und des Redens darf jedoch nie ihre Verwurzelung im Sein vergessen. Die metaphysische Komponente ist der unumgängliche Weg, „um die Krisensituation, die heutzutage große Teile der Philosophie durchzieht, zu überwinden und auf diese Weise manche in unserer Gesellschaft verbreiteten abwegigen Verhaltensweisen zu korrigieren“.<ref>Fides et ratio, Nr. 83.</ref> Unter dieser Perspektive sind die Philosophen dazu eingeladen, mit Nachdruck die „ursprüngliche Berufung“ der Philosophie<ref>Vgl. Fides et ratio, Nr. 6.</ref> wieder zu gewinnen: die Suche nach dem Wahren und seiner weisheitlichen und metaphysischen Dimension.

4. Die Weisheit betrachtet die ersten und fundamentalen Prinzipien der Wirklichkeit und sucht nach dem letzten und umfassenden Sinn der Existenz. So ermöglicht sie „die entscheidende kritische Instanz [zu] sein, die die verschiedenen Seiten des wissenschaftlichen Wissens auf ihre Zuverlässigkeit und ihre Grenzen hinweist“, und sie steht dafür bereit „sich auch als letzte Instanz für die Einigung von menschlichem Wissen und Handeln [zu] erweisen, indem sie diese dazu veranläßt, ein endgültiges Ziel und einen letzten Sinn anzustreben“.<ref>Fides et ratio, Nr. 81.</ref> Der weisheitliche Charakter der Philosophie impliziert ihre „wahrhaft metaphysische(r) Tragweite“, die „imstande sein [muß], das empirisch Gegebene zu transzendieren, um bei ihrer Suche nach der Wahrheit zu etwas Absolutem, Letztem und Grundlegendem zu gelangen“,<ref>Fides et ratio, Nr. 83.</ref> wenn auch in einem schrittweisen Erkennen im Laufe der Geschichte. Die Philosophie oder Metaphysik handelt in der Tat zuerst vom Seienden und seinen Merkmalen und in dieser Weise erhebt sie sich zur Erkenntnis der spirituellen Wirklichkeit, indem sie nach der Ersten Ursache für alles sucht.<ref>Vgl. Hl. Thomas von Aquin, Kommentar zur Metaphysik des Aristoteles, Proemium; vgl. Benedikt XVI., Enzyklika Deus caritas est (25. Dezember 2005), AAS 98 (2006), 217-252, Nr. 9.</ref> Dieses Unterstreichen des weisheitlichen und metaphysischen Charakters sollte jedoch nicht als eine ausschließliche Ausrichtung auf die Philosophie des Seins gelten, denn alle verschiedenen Bereiche der Philosophie sind wichtig für die Erkenntnis der Wirklichkeit. Genauer gesagt, das eigene Studiengebiet und die spezifische Methode einer jeden Philosophie werden um der Angleichung an die Wirklichkeit und der Vielfalt der Weisen menschlicher Erkenntnis wegen respektiert.

III. Die philosophische Ausbildung im Horizont einer offenen Vernunft

5. „Da die Bruchstückhaftigkeit des Wissens eine fragmentarische Annäherung an die Wahrheit mit der sich daraus ergebenden Sinnzersplitterung mit sich bringt, verhindert sie die innere Einheit des heutigen Menschen“. Angesichts dieser Aufspaltung des Wissens hallen die Worte Johannes Pauls II. laut wider: „Ich greife deshalb auf, was die Päpste seit Generationen unaufhörlich lehren und was auch das II. Vatikanische Konzil bekräftigt hat, und möchte mit aller Deutlichkeit der Überzeugung Ausdruck geben, daß der Mensch imstande ist, zu einer einheitlichen und organischen Wissensschau zu gelangen. Das ist eine der Aufgaben, deren sich das christliche Denken im Laufe des nächsten Jahrtausends christlicher Zeitrechnung wird annehmen müssen“.<ref>Fides et ratio, Nr. 85.</ref>

6. Aus christlicher Sicht kann die Wahrheit nicht von der Liebe getrennt sein. Einerseits sind die Verteidigung und die Sorge um die Wahrheit eine wesentliche Form von Liebe: „Die Wahrheit zu verteidigen, sie demütig und überzeugt vorzubringen und sie im Leben zu bezeugen, sind daher anspruchsvolle und unersetzliche Formen der Liebe“.<ref>Benedikt XVI., Enzyklika Caritas in veritate (29. Juni 2009), Nr. 1.</ref> Andererseits ermöglicht allein die Wahrheit wahre Liebe: „Die Wahrheit ist ein Licht, das der Liebe Sinn und Wert verleiht“.<ref>Caritas in veritate, Nr. 3.</ref> Schließlich sind die Wahrheit und das Gute aufs engste miteinander verbunden: „Aber Wahrheit meint mehr als Wissen: Die Erkenntnis der Wahrheit zielt auf die Erkenntnis des Guten. Das ist auch der Sinn des sokratischen Fragens: Was ist das Gute, das uns wahr macht? Die Wahrheit macht uns gut, und das Gute ist wahr“.<ref>Benedikt XVI., Vorlesung von Benedikt XVI. für die römische Universität “La Sapienza”, 17. Januar 2008, OR (17. Januar 2008), 4-5.</ref> Durch das Angebot einer organischen Vision von Wissen, das nicht von der Liebe getrennt ist, kann die Kirche ihren spezifischen Beitrag leisten, und sie ist dadurch auch in der Lage, kulturelle und soziale Projekte wirksam zu gestalten.<ref>Vgl.Caritas in veritate, Nr. 5.</ref>

7. Daher ist die Philosophie, die man im Inneren der Universitas pflegt, zuerst dazu berufen, die Herausforderung anzunehmen, Vernünftigkeit in einem sehr weiten Horizont zu üben, zu entwickeln und zu verteidigen, damit „es auch wieder möglich [wird], den Horizont unserer Rationalität zu erweitern, […] Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften miteinander zu verbinden, mit vollem Respekt gegenüber […] ihrer Unabhängigkeit voneinander, aber auch im Bewußtsein der inneren Einheit, die sie zusammenhält“.<ref> Benedikt XVI., Ansprache an die Teilnehmer des IV. Nationalen Kongresses der Kirche in Italien, Verona, 19. Oktober 2006, OR (20. Oktober 2006), 6-7.</ref> Auf institutioneller Ebene ist es „die große Aufgabe der Universität“, „diesen großen Logos“ und „diese Weite der Vernunft“ wieder zu finden.<ref>Vgl. Benedikt XVI., Treffen mit den Vertretern aus dem Bereich der Wissenschaften in der Aula Magna der Universität Regensburg (12. September 2006), AAS 98 (2006), 728-739.</ref>

[Fortsetzung folgt]

Anmerkungen

<references />