Columba Marmion: Christus in seinen Geheimnissen

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Le Christ dans ses Mystéres

Christus in seinen Geheimnissen

Seliger Columba Marmion, französisches Original 1919

Quelle: Abt D. Columba Marmion OSB, Christus in seinen Geheimnissen, übertragen von M. Benedicta von Spiegel OSB, Mit einem Geleitwort von Professor Dr. M. Rackl, Regens, Ferdinand Schöningh Verlag Paderborn 1931 (1. u. 2. Auflage, 418 Seiten, Imprimatur Paderbornae, d. 8 m. Octobris 1930, Vicarus Generalis Gierse, in Frakturschrift). Bearbeitet von Benutzer:Oswald. Das Wort "Mystére" bedeutet hier meistens nicht die Sakramente, sondern allgemein die Geheimnisse Gottes. Bei der Digitalisierung erscheint die Grobeinteilung nicht im Inhaltsverzeichnis, jedoch im Text: Die "Einleitenden Betrachtungen" bestehen aus Kapitel I+II, "Die Person Christi" aus den Kapiteln III-V, "Die Geheimnisse Christi" aus den Kapiteln VI-XX. Die Bibelstellen folgen den Loccumer Richtlinien. Die Anmerkungen in diesem Buch wurden am entsprechenden Ort entweder in Klammern oder kleiner geschrieben abgedruckt. → Columba Marmion Opera.

Inhaltsverzeichnis

Apostolischer Segen Papst Benedikts XV.

Unserm geliebten Sohn, Columba Marmion, ABT VON MAREDSOUS

BENEDIKT XV. PAPST.

Geliebter Sohn, Gruß und Apostolischen Segen.

Wir haben, soweit es uns möglich war, Einsicht genommen in die beiden von Dir verfassten und uns freundlich überreichten Bücher, deren eines den Titel führt »Le Christ, Vie de l'âme«, das andere »Le Christ dans ses Mystéres«, und wir haben sie des größten Lobes würdig und für sehr geeignet befunden, die Flammen heiliger Gottesliebe zu entzünden und zu nähren. Wenn auch diese Seiten nicht alles umfassen, was Du Deine geistlichen Söhne lehrst über die Person unsers Herrn Jesu Christi, das Vorbild und die Ursache aller Heiligkeit, so ist ihr Inhalt doch vorzüglich geeignet, anzueifern zur Nachfolge Christi, zum Bestreben, nur dem zu leben, der »uns nach Gottes Anordnung zur Weisheit geworden ist, zur Rechtfertigung zur Heiligung und Erlösung«.

Es war daher ein sehr glücklicher Gedanke, diese Werke erscheinen zu lassen, um damit dem geistlichen Fortschritt nicht nur Deiner klösterlichen Familie, sondern eines weit größeren Kreises zu dienen, haben sie ja, wie wir hören, auch in der Laienwelt sehr großen Anklang gefunden.

Mit dem Dank verbinden wir darum auch unsere Glückwünsche und erteilen Dir, geliebter Sohn, als Unterpfand der himmlischen Güter aus väterlichem Herzen den Apostolischen Segen.

Gegeben zu Rom, bei St. Peter am 10. Oktober 1919

im sechsten Jahre unseres Pontifikates

BENEDICTUS PP XV.

GELEITWORT

Im Wintersemester 1899/1900 hat der bekannte freisinnige protestantische Theologe Adolf Harnack vor Studierenden aller Fakultäten an der Universität Berlin Vorlesungen gehalten über das Wesen des Christentums, die seinerzeit großes Aufsehen erregten. Wir können mit seinen Ausführungen in grundlegenden Fragen nicht einverstanden sein; aber darin hat er recht, wenn er die überragende Persönlichkeit Christi in den Mittelpunkt des Weltgeschehens rückt, und wenn er fordert, dass Christus als Zentralgedanke unser Denken und Wollen beherrschen müsse. Harnack begann seine Vorlesungen mit den Worten: »Der große Philosoph des Positivismus, John Stuart Mill, hat einmal gesagt, die Menschheit könne nicht oft genug daran erinnert werden, dass es einst einen Mann namens Sokrates gegeben hat. Er hat recht; aber wichtiger ist es, die Menschheit immer wieder daran zu erinnern, dass einst ein Mann namens Jesus Christus in ihrer Mitte gestanden hat.« 

Die katholische Kirche, die katholische Wissenschaft und die katholische Frömmigkeit sind aufgebaut und müssen aufgebaut sein auf jenem großen Gedanken, den der heilige Apostel Petrus in feierlicher Stunde ausgesprochen hat: »Nur im Namen unseres Herrn Jesus Christus ist Heil; denn kein anderer Name unter dem Himmel ist den Menschen gegeben, durch den wir selig werden sollten« (Apg 4, 12). Und doch, wie groß ist die Gefahr, dass wir diese fundamentale Wahrheit vergessen, wenigstens im praktischen Leben vergessen! Und deswegen hat Leo XIII. in einem Apostolischen Schreiben an Kardinal Gibbons vom 22. Januar 1899 mit allem Nachdruck auch für die moderne Zeit verkündet: »Magister et exemplar sanctitatis omnis Christus est: Christus ist der Lehrer und das Vorbild aller Heiligkeit.« 

Aus diesen Erwägungen heraus hat auch Papst Benedikt XV. sich über die Werke des Abtes Dom Columba Marmion von Maredsous in seinem Schreiben vom 10. Oktober 1919 mit Worten höchsten Lobes und freudigster Anerkennung geäußert. Handeln doch diese wahrhaft goldenen Bücher in erster Linie »de Jesu Christo, omnis sanctitatis et exemplari et effectore«, stellen also die erhabene Persönlichkeit Jesu Christi, sein Wort und Werk dar als das Vorbild und die Ursache aller Heiligkeit! Was könnte mehr geeignet sein die Flammen heiliger Gottesliebe zu entzünden und zu nähren?

Es ist deswegen freudigst begrüßt worden, dass die Äbtissin des Benediktinerinnenklosters St. Walburg in Eichstätt, M. Benedicta von Spiegel, das tiefgründige Werk Marmions »Le Christ, Vie de l'âme« unter dem Titel »Christus, das Leben der Seele« in deutscher Sprache hat erscheinen lassen, nachdem das Original in 60.000 Exemplaren verbreitet und ins Englische, Holländische, Polnische, Spanische und Portugiesische übersetzt worden war. In kürzester Frist konnte die deutsche Übersetzung in zweiter Auflage erscheinen, ein tröstlicher und aufmunternder Beweis dafür, dass die Gegenwart den Sinn für den tiefen Wahrheitsgehalt unserer heiligen christlichen Religion nicht verloren hat und dass gute tiefgründige Bücher auch gelesen werden, wenn sie nur geschrieben werden.

Die verständnisvolle und herzlich freundliche Aufnahme des ersten Buches hat der Übersetzerin den Mut gegeben, nunmehr auch das Buch» Le Christ dans ses Mystéres« (Christus in seinen Geheimnissen) der deutschen Leserwelt, soweit sie Interesse für religiöse Vertiefung und Verinnerlichung hat, zugänglich zu machen. Und dafür gebührt ihr Dank, aufrichtiger und herzlicher Dank. Die gewandte und fließende Übersetzung gibt die reizvolle Schönheit des Originals getreu wieder.

»Christus in seinen Geheimnissen« ist uns nichts Fremdes, sondern etwas Vertrautes von den Tagen der Kindheit an. Das jedem Katholiken heilige und insbesondere von Leo XIII. so warm empfohlene und gepflegte Rosenkranzgebet gruppiert sich um bestimmte Geheimnisse der Geburt des Lebens und Leidens, der Auferstehung und Himmelfahrt und Verherrlichung unseres göttlichen Erlösers. Sooft wir die freudenreichen, die schmerzhaften und glorreichen Geheimnisse des Rosenkranzes beten, verherrlichen und preisen wir »Christus in seinen Geheimnissen«. Freilich ist die Aufzählung der Geheimnisse im Rosenkranzgebet keineswegs erschöpfend.

»Christus in seinen Geheimnissen« ist etwas unergründlich Tiefes und Erhabenes, über das geistesgewaltige Kirchenväter und Theologen und liebeglühende Mystiker in heiliger Ergriffenheit begeisterte Abhandlungen geschrieben haben. Aber etwas vom Allerhöchsten und Allertiefsten ist das vorliegende Buch von Marmion. Die erhabensten Ideen christlicher Philosophie, die fruchtbarsten Wahrheiten des katholischen Dogmas, die innigsten Ergüsse heilig frommer Mystik haben sich hier zu einer harmonischen Einheit verbunden und ein Meisterwerk des geistlichen Lebens geschaffen, das den bedeutendsten Werken christlicher Aszetik und Mystik aller Jahrhunderte ebenbürtig an die Seite gestellt werden kann. Wenn man etwa das Exerzitienbüchlein des hl. Ignatius von Loyola damit vergleicht, das ja auch auf Christus und seinen Geheimnissen aufgebaut ist, dann sieht man, wie jede Eigenart katholischer Frömmigkeit, mag man sie benediktinisch oder franziskanisch oder ignatianisch heißen, charakterisiert ist durch »Christus in seinen Geheimnissen«. Daraus ergibt sich trotz der großen vielgestaltigen reizvollen Mannigfaltigkeit der Auffassungen und Systeme eine geschlossene Einheit von imponierender Wucht und unerschütterlicher Kraft, die aufgebaut ist auf dem Eckstein Jesus Christus, der mit seiner himmlischen Kraft und göttlichen Liebe alles trägt und zusammenhält.

So wünsche ich denn auch dem neuen Buch »Christus in seinen Geheimnissen« die weiteste Verbreitung in deutschen Landen. Es wird Segen und Freude stiften überall, wo es mit verständnisvoller Liebe aufgenommen wird, bei Laien und Priestern, bei Welt- und Ordensleuten. Es erörtert nicht theoretisch das Wesen von Aszese und Mystik, zeigt aber praktisch in klarer und sicherer Weise den Weg, der durch gediegene und gesunde Aszese zu den höchsten Stufen mystischer Vollkommenheit führt. Es kann in den Inhalt dieses Buches niemand mit ernstem Nachdenken sich vertiefen, ohne über dem Lesen reiner und edler in seinem Denken und Wollen geworden zu sein. Das Licht göttlicher Weisheit und die Kraft himmlischer Liebe möge das Antlitz der Erde erneuern durch Christus und seine Geheimnisse! Gerne möchten wir darum an alle die bekannte Geisterstimme ertönen lassen: Nimm und lies! Wir sprechen jetzt, da wir das 1500jährige Jubiläum des Todestages des hl. Augustinus feiern, wieder mehr von »augustinischer« Frömmigkeit. Und diese augustinische Frömmigkeit ist herausgewachsen aus dem Glauben an den dreieinigen Gott, den uns der menschgewordene Gottessohn, die göttliche Weisheit, verkündet hat, ist stark geworden und unerschütterlich geblieben durch die Kraft des Lebens und Leidens und Sterbens Christi, ist von Anfang an verwachsen gewesen und bis zum letzten Atemzug verwachsen geblieben mit »Christus in seinen Geheimnissen«.

Eichstätt i. B., am Feste des hl. Augustinus 1930.

Dr. MICHAEL RACKL,

Professor der Dogmatik und Aszetik, Regens des Priesterseminars.

Vorwort des Verfassers

Der Verfasser hatte, als er die Erlaubnis zur Herausgabe des 1. Bandes seiner Werke »Christus, das Leben der Seele« erteilte, keine andere Absicht als die Grundzüge des christlichen Lebens darzulegen und zwar so, wie uns diese im Evangelium, in den Briefen des hl. Paulus und in der kirchlichen Lehre von der theologischen Wissenschaft dargeboten werden. Das christliche Leben ist seinem Wesen nach übernatürlich und kann daher nur in Christus geschöpft werden, der das alleinige Vorbild der Vollkommenheit, die unergründliche Schatzkammer aller Gnaden und die bewirkende Ursache aller Heiligkeit ist.

Die Ausführungen des vorliegenden Bandes schließen sich in logischer Folge an jene des oben genannten Werkes an.

Das Leben Christi als göttliches und zugleich menschlich nahes Vorbild des christlichen Lebens hat sich geoffenbart in den Lebensstufen und Geheimnissen, den Tugenden und Taten der heiligsten Menschheit unseres Herrn. Das Leben des fleischgewordenen Wortes ist menschlich in seinem sinnfälligen Ausdruck, ganz göttlich aber in seinem Ursprung.

Daher sind auch die Geheimnisse des Gottmenschen nicht bloß Vorbilder, die wir betrachten sollen, sie bergen auch Schätze von Verdienst und Gnade in sich. Durch die Kraft seiner Allmacht bringt Christus, der immerdar lebt, die innere und übernatürliche Vollkommenheit der verschiedenen Stufen seines Lebens in jenen hervor, die von aufrichtigem Verlangen beseelt sind, ihn nachzuahmen und die sich durch den Glauben und die Liebe mit ihm in Verbindung setzen.

Im Lichte dieser Wahrheiten hat der Verfasser die vorzüglichsten Geheimnisse Christi darzustellen versucht.

Der Plan ist einfach. In den beiden Einleitungsbetrachtungen wird gezeigt, wie sehr die Geheimnisse Christi auch unsere Geheimnisse sind und wie wir uns deren Früchte zu eigen machen können.

Den überragenden Wert dieser Geheimnisse, all ihre Herrlichkeit, ihre logische Verkettung und die tiefe Einheitlichkeit, die sie verbindet, werden wir aber nur verstehen, wenn wir zuvor jenen betrachten, der sie für uns gelebt hat. Daher ist im ersten Teil des Buches versucht worden, die Wesenszüge der Person Christi selbst zu zeichnen das ewige Wort, das da Fleisch geworden ist und die Welt durch seinen Opfertod erlöst hat.

Der zweite Teil ist der Betrachtung der Geheimnisse des Gottmenschen gewidmet. - Gestützt auf die evangelischen Berichte sowohl wie auf die Texte unserer heiligen Liturgie hat der Verfasser sich bemüht, die zugleich menschliche und göttliche Wirklichkeit dieser Geheimnisse nachzuweisen, ihren Sinn zu erklären und zu deren praktischer Anwendung für die Seele anzuregen.

Was nun die Auswahl der Geheimnisse selbst betrifft, so hat der Verfasser geglaubt, sich an jene halten zu sollen, die uns die Kirche selbst in ihrem liturgischen Festkreis bietet. Denn wer kennt besser als sie das Herz ihres Bräutigams und wer versteht wie sie die Kunst, diese Texte des Evangeliums entsprechend anzuwenden? Wer könnte sicherer als sie uns dem Heiland zuführen?

Die außerordentlich gute Aufnahme, die das Buch» Christus, das Leben der Seele« besonders auch in der Laienwelt gefunden hat, war nicht nur eine kostbare Aufmunterung für den Verfasser, sondern vor allem auch ein tröstend erfreuliches Zeichen mitten im Elend und in den Sorgen unserer sturmbewegten Zeit. Es ist dies ein Beweis, dass sich unter dem Druck der Ereignisse viele Seelen, der Stimme des Herrn lauschend, in sich gesammelt haben und in heißem Verlangen nach Heil, Frieden und Licht sich jenem zuwenden, der da allein ist: der sichere »Weg«, die »Wahrheit« - die jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt - und das »Leben« - das vom Tode errettet.

»In ihm« muss nach den Worten des hl. Paulus »alles erneuert werden«; denn außerhalb dieses göttlichen Fundamentes kann es, wie derselbe Apostel sagt, weder Dauer noch Beständigkeit geben.

Der einzige Wunsch des Verfassers bei Herausgabe dieser Betrachtungen war, sein Scherflein beizutragen zu diesem großen Werke christlicher Erneuerung.

Möge Christus, der Herr, dieses Buch segnen! Für ihn ist es geschrieben, nur von ihm will es sprechen. Möchte es doch mehr und mehr den Menschen die Geheimnisse der Liebe eines Gottes künden, der unter uns erschienen ist! Möchte es sie bewegen, eifriger als bisher aus den Quellen lebendigen Wassers zu trinken, die, uns zum Heile und zur Freude, hervorgeströmt sind aus dem durchbohrten Herzen Jesu!

»Schöpfet in Freuden Wasser aus den Quellen des Erlösers.« 
Am Feste Mariä Verkündigung, den 25. März 1919. D.C.M.

VORWORT ZUR DEUTSCHEN AUSGABE

Die überaus freundliche und dankbare Aufnahme, welche die Werke Marmions auch in deutscher Übertragung, zumal im ersten Band derselben (»Christus, das Leben der Seele«), nicht nur bei Priestern und Ordensleuten, sondern auch bei der Laienwelt gefunden haben, war für uns Veranlassung, auch den vorliegenden Band »Christus in seinen Geheimnissen« dem deutschen Leserkreis vorzulegen.

Marmion<ref> Es dürfte unsere Leser interessieren, dass eine Lebensbeschreibung Marmions in französischer Sprache erschienen ist. (Un maître de la vie spiritúelle, Dom Columba Marmion par Dom Raymond Thibaut, Abbaye de Maredsous, Namur, Belgique 1929.) </ref> entwickelt hier seine tiefen Gedanken über die Person und das Werk Jesu Christi - und das ist das Eigenartige dieser Schrift - in einem wundervollen Anschluss an den Gang des Kirchenjahres. Er zeigt, wie der Sohn Gottes im Umlauf eines Jahres sein Leben und Werk gleichsam nochmals wiederholt, wie er Mensch wird gleich uns, um uns Anteil zu geben an seiner Gotteskindschaft, um in uns, die wir durch die Gnade ihm geeint sind, die Weiterführung seiner Geheimnisse zu bewirken und uns dadurch zu lebendigen Abbildern seiner selbst zu gestalten. Nach dem Worte Augustins: »Schließet euch an Christus an, nach dem, was er ist und nach dem, was er war. Er ist als der einzige geboren und wollte nicht einer bleiben ... Gott sandte ihn, diesen einzigen, den er gezeugt, und durch den er alles erschaffen hatte, in diese Welt, damit er nicht allein wäre, sondern an Kindes Statt angenommene Brüder hätte ... Wir sollen ihn besitzen und er soll uns besitzen; er soll uns besitzen als Herr, wir sollen ihn besitzen als unser Heil, wir sollen ihn besitzen als unser Licht.« (In Joan. Tract. II.)

Wer in diesem Sinne die Reihe der Geheimnisse Christi betrachtet und mitfeiert, so wie der Verlauf des Kirchenjahres sie darbietet, dessen Leben wird sich im schönsten Sinne christozentrisch gestalten. Ist aber dieses nicht erste Voraussetzung für all jene, die den Damm bauen wollen gegen die Entchristlichung unserer Zeit?

Abtei St. Walburg, Eichstätt, am Feste des hochheiligen Rosenkranzes 1930.
M.B.

< center> Einleitende Betrachtungen

I. DIE GEHEIMNISSE CHRISTI SIND UNSERE GEHEIMNISSE

Wenn man aufmerksam die Briefe des hl. Paulus liest und die Lehre und das Lebenswerk des großen Apostels in einen einheitlichen Gedanken zu fassen sucht, wird man unschwer erkennen, dass er alles auf die in die Tat umgesetzte Kenntnis des Geheimnisses Christi zurückführt.

»Wenn ihr meine Worte lest«, so schreibt er an die Epheser, »könnt ihr daraus meine Einsicht in das Geheimnis Christi entnehmen ... Mir, dem geringsten von allen Heiligen, ist die Gnade verliehen worden, den Heiden den unergründlichen Reichtum Christi zu verkünden und klar zu zeigen, wie das seit Ewigkeit bei Gott, dem Schöpfer aller Dinge, verborgene Geheimnis verwirklicht wurde« (Eph 3,4. 8f.).

Dieses unaussprechlich erhabene Geheimnis soll mit dem Beistand der göttlichen Gnade Gegenstand des vorliegenden Buches sein. In der ersten Betrachtung wollen wir aufzuzeigen versuchen, in welch inniger Weise wir selbst in dieses Geheimnis einbezogen sind.

Bevor wir aber an die Erklärung dieser grundlegenden, segensvollen Wahrheit gehen, wird es angezeigt sein, kurz zu erwägen, wie der hl. Paulus von dem Geheimnis spricht, dessen Verkündigung ihm vom Herrn selbst übertragen wurde. Wer könnte besser als er uns einführen in die Kenntnis dieses für unsere Seelen so fruchtbaren und lebenspendenden Geheimnisses?

1. Wie nachdrücklich der hl. Paulus das Geheimnis Christi hervorhebt

Gleich nach seiner Bekehrung erhielt Paulus den Befehl, den Namen Jesu zu verkünden. Von da an lag ihm nichts so sehr am Herzen, als diese ihm gewordene Sendung zu erfüllen. Seine vielen, gefahrvollen Reisen (2 Kor 1, 5ff), sein ununterbrochenes Predigen in den Synagogen, auf dem Areopag, vor den Juden, vor den Weisen Athens, vor den römischen Machthabern, seine umfangreichen Briefe, die er sogar vom Gefängnis aus an die Gläubigen richtet, die vielen geduldig ertragenen Verfolgungen (2 Kor 11, 26), all dies diente nur dem einen Zweck, »den Namen Christi vor Heiden und Könige und vor die Kinder Israels zu bringen« (Apg 9, 15).

Wie lebendig der hl. Paulus von diesem Geheimnis durchdrungen ist, ergibt sich besonders aus seiner Lehrweise den Heiden gegenüber. Er tritt vor die heidnische Welt hin, um sie zu erneuern, sie umzuwandeln und zu erretten. Was aber bringt er mit vor diese entartete Gesellschaft, deren tiefen sittlichen Verfall er mit erschreckenden Worten schildert? Ist es der Vorzug edler Geburt, die Weisheit der Philosophen, die Wissenschaft der Gelehrten oder die Macht der Eroberer?

Nichts von alledem ! Der Apostel bezeichnet sich als »abortivus« (1 Kor 15, 8), gleichsam als unzeitig geborenen Schwächling. Er schreibt an die Korinther, dass er »im Gefühl der Schwachheit und mit Furcht und großem Zagen bei ihnen austrat« (1 Kor 1, 2). Er erinnert die Galater daran, dass er das erste Mal »das Evangelium in körperlicher Schwäche verkündigte« (Gal 4, 13). Was er mitbringt, ist also nicht etwa der Zauber seiner Persönlichkeit oder der Ruhm der Wissenschaft, nicht das Ansehen natürlicher Weisheit und auch nicht eine glänzende Rednergabe. All das verachtet er. »Ich bin nicht mit hoher Rede und Weisheit gekommen ... meine Rede und meine Predigt bestand nicht in überredenden Worten der menschlichen Weisheit; denn euer Glaube sollte sich nicht auf Menschenweisheit gründen« (1 Kor 2, 1. 4f.).

Er bringt nur Christus, und zwar Christus den Gekreuzigten. »Ich hatte mir vorgenommen, kein anderes Wissen unter euch zu zeigen als das von Jesus Christus, und zwar dem Gekreuzigten« (1 Kor 2, 2). Paulus führt seine ganze Predigt auf diese Wissenschaft zurück, lässt seine ganze Lehre in diesem Geheimnis beschlossen sein.

So tief ist er davon durchdrungen, dass er es sogar zum Gegenstand seines Gebetes für die Gläubigen macht. »Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater unseres Herrn Jesus Christus ... Er möge euch nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit verleihen, dass ihr durch seinen Geist dem inneren Menschen nach mächtig erstarket, so dass Christus durch den Glauben in euern Herzen wohne und ihr, in der Liebe festgewurzelt und festgegründet, mit allen Heiligen zu erkennen vermöget die Breite und Länge, die Höhe und Tiefe und auch erkennt die Liebe Christi, die alle Begriffe übersteigt, auf dass ihr dadurch ganz von Gott erfüllt werdet« (Eph 3,14ff).

Ein erhabenes Gebet! Wie spricht aus ihm die tiefe Überzeugung des Apostels und der glühende Wunsch seiner Seele, diese Überzeugung auch von andern geteilt zu wissen! Darum betet er ohne Unterlass: »Seit dem Tage, da wir dieses vernommen haben, hören wir nicht auf, inständig für euch zu beten, ihr möchtet erfüllt werden mit der Erkenntnis seines Willens, um in aller geistlichen Weisheit und Einsicht des Herrn würdig zu wandeln und so ihm wohlzugefallen« (Kol 1,9).

Warum aber kommt der hl. Paulus immer wieder auf diesen Gegenstand zurück, so dass er ihn geradezu zum einzigen Lehrinhalt seiner Predigt macht? Warum fleht er so inständig, so unablässig zu Gott für seine Christengemeinden ? Warum ist er ganz durchglüht vom Verlangen, das Geheimnis Christi möge nicht bloß erkannt, sondern auch von all seinen Jüngern innerlich erlebt werden? Seine Briefe richten sich ja nicht nur an einige wenige Eingeweihte, sondern an alle Gläubigen der von ihm gegründeten Kirchen und sind dazu bestimmt, in den christlichen Versammlungen öffentlich vorgelesen zu werden. Was mag der tiefinnerste Grund dieses Vorgehens sein? Diese Frage beantwortet der Apostel in seinem Brief an die Kolosser. »Ihr sollt wissen, welche Mühe und Sorge ich mir mache um euch ... , damit ihr innerlich gefestigt und unterwiesen werdet zur Liebe und zur vollen Überzeugung und Einsicht, zur Erkenntnis des Geheimnisses Gottes des Vaters und Christi Jesu, in dem alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen sind« (Kol 2, 1ff).

Diese letzteren Worte enthüllen uns den ganzen Beweggrund für die Handlungsweise des Apostels. Er ist überzeugt davon, dass wir in Christus alles finden (Röm 8, 32), so dass, wenn wir ihn haben, »wir an keiner Gnade Mangel haben« (1 Kor 1, 7). »Christus ist derselbe gestern, heute und in Ewigkeit« (Hebr 13, 8).

Paulus will nur ein einziges Mittel anwenden, um die gesunkene Welt wieder aufzurichten: Er bringt ihr Christus, und zwar Christus den Gekreuzigten! Freilich ist das Geheimnis Christi »den Juden ein Ärgernis und den Heiden eine Torheit« (1 Kor 1, 23; 2, 4. 12), aber es enthält die Kraft des Hl. Geistes, der allein »das Angesicht der Erde erneuert« (Ps 104, 30).

In Christus allein findet sich nach Gottes Anordnung alle Weisheit, alle Rechtfertigung und Erlösung (1 Kor 1, 30), deren die Seelen aller Menschen zu allen Zeiten bedürfen. Darum besteht für den hl. Paulus die ganze Ausgestaltung des inneren Menschen in der praktischen Kenntnis des Geheimnisses Christi Jesu. "Wie oft geschieht es, dass wir die Zeit mit zwecklosen Erwägungen und mühevollen Umwegen verlieren, während uns doch in Christus ein so leicht erreichbares und einfaches Mittel gegeben ist, geradenwegs zu Gott zu gelangen und in steter Vereinigung mit ihm zu leben ... Wenn sogar die berufenen Verkündiger des ewigen Wortes statt den Seelen Christus, die Auferstehung und das Leben zu spenden, nichts Besseres zu bieten wissen als eine durch menschliche Gedanken verwässerte Lehre und minderwertige Erzeugnisse einer gehaltlosen Literatur, so möchte man mit dem Apostel fragen: ,Wo sind die getreuen Ausspender des Evangeliums?' ,Hier nun wird gefordert von den Verwaltern, dass einer treu befunden werde' (1 Kor 4, 2).« (Kard. D. J. Mercier, Die Andacht zu Christus und seiner heiligsten Mutter ... ).

2. Wie sehr Gott wünscht, dass dieses Geheimnis erkannt werde

Hierin übrigens gibt uns der Apostel, der während einer geraumen Zeit von Christus selbst unterrichtet ward, nur ein getreues Echo der Lehre seines göttlichen Meisters.

Im hoch priesterlichen Gebete nach dem letzten Abendmahle, durch welches unser göttlicher Heiland in der erhabensten Stunde seines Erdenlebens vor den ergriffenen Jüngern den tiefinnersten Gesinnungen seiner heiligsten Seele Ausdruck verlieh, sprach er die Worte: »Vater, das ist das ewige Leben, dich erkennen, den allein wahren Gott und den du gesandt hast, Jesus Christus« (Joh 17, 3).

So lernen wir aus dem Munde Jesu, der untrüglichen Wahrheit selbst, dass das ganze christliche Leben, dessen selbstverständliche Entfaltung und natürlicher Abschluss das ewige Leben ist, in der in die Tat umgesetzten Kenntnis Gottes und seines eingeborenen Sohnes besteht.

Da könnte man nun vielleicht einwenden: »Niemand hat Gott je gesehen« (Joh 1, 18). Das ist wahr! Wir werden Gott erst dann vollkommen erkennen, wenn wir ihn in der ewigen Seligkeit von Angesicht zu Angesicht schauen dürfen. Hienieden aber offenbart sich Gott unserm Glauben durch seinen Sohn Jesus Christus. Das menschgewordene Wort ist die große Offenbarung Gottes an die Welt; denn »Gott ... leuchtete in unseren Herzen auf, um die Herrlichkeit Jesu Christi leuchten zu lassen« (2 Kor 4, 6).

Christus ist der den Menschen erschienene Gott, der im Judenlande mit ihnen wandelte und durch sein menschliches Leben ihnen zeigte, wie ein Gott unter Menschen lebt, damit die Menschen wüssten, wie sie leben sollen, um Gott wohlzugefallen.

Unser aller Blicke müssen daher stets auf Christus gerichtet sein. Im Evangelium lesen wir nur dreimal, dass der ewige Vater seine Stimme erschallen ließ und jedes Mal, um auf seinen Sohn hinzuweisen mit dem Gebote, ihn anzuhören, auf dass er, der Vater, verherrlicht werde. »Dieser ist mein geliebter Sohn ... ihn sollt ihr hören« (Mt 3, 17; Joh 12, 28).

Eines nur verlangt der Vater von uns, dass wir Jesus, seinen Sohn, betrachten und auf ihn hören, um ihn zu lieben und ihm nachzufolgen; denn Jesus ist sein Sohn und Gott wie er selbst. Wir sollen uns betrachtend versenken in seine allerheiligste Person und in alles, was er während seines Lebens gewirkt hat, in sein Leiden, seinen Tod und seine Verherrlichung. Da Christus wahrer Gott ist, sind die geringsten Umstände seines Lebens, die unscheinbarsten Züge in seinen Geheimnissen beachtenswert. Nichts ist geringfügig im Leben des Herrn. Der himmlische Vater sieht mit größerem Wohlgefallen auf die unscheinbarste Handlung seines Sohnes als auf das ganze Weltall. Nach dem göttlichen Heilsplan weist schon vor seiner Ankunft alles auf Christus hin, wie sich nach seiner Himmelfahrt alles auf ihn zurück bezieht. Alles auf Christus Bezügliche aber ist vorausgeschaut oder vorhergesagt worden. Jede Einzelheit seines Lebens, jeder Umstand seines Todes ward von den Propheten lange vor der Verwirklichung voraus verkündigt.

Warum aber hat Gott Sorge getragen, die Ankunft seines Sohnes so lange vorzubereiten? Warum hat Christus uns so viele göttliche Lehren hinterlassen? Warum hat der Hl. Geist den heiligen Schriftstellern eingegeben, so viele, oft scheinbar ganz unbedeutende Einzelheiten aus dem Leben des Heilandes niederzuschreiben? Warum haben die Apostel so lange und eindringliche Briefe an ihre Gemeinden gerichtet? Sollten all diese Lehren als tote Buchstaben in den heiligen Büchern verschlossen bleiben? Gewiss nicht! Wir sollen vielmehr, dem Wunsche des hl. Paulus entsprechend, das Geheimnis Christi eingehend betrachten und seine heiligste Person, all seine Handlungen, möglichst genau kennen zu lernen suchen, weil diese ja die Ausdrucksform seiner Tugenden, seine Willensäußerungen sind. Diese Betrachtung soll jedoch nicht nur Verstandestätigkeit sein, ein Studium, das nur zu oft trocken und unfruchtbar bleiben würde. Wir sollen vielmehr Christus betrachten im Geiste himmlischer Weisheit, der uns in der göttlichen Gabe nach der Wahrheit forschen lässt, die Licht ist für unser Leben. Wir sollen Christus betrachten, um unsern Wandel umzugestalten nach diesem Vorbild, in welchem Gott selbst uns erreichbar entgegentritt, auf dass wir in ihm das göttliche Leben schöpfen, das unsern Durst vollkommen stillen kann: »Dies ist das ewige Leben.« 

3. Diese Kenntnis ist die wahre Grundlage unserer Frömmigkeit und eine Quelle der Freude

Eine solche, unter Eingebung des hl. Geistes im Glauben und durch Gebet erlangte Erkenntnis ist wahrhaft »eine Quelle lebendigen Wassers« (Joh 4, 14), die ins ewige Leben empor springt. Der ewige Vater hat in Jesus Christus alle Gnaden, alle Gaben der Heiligung niedergelegt, die er für die einzelnen Seelen bestimmt hat. Das ist eine grundlegende Wahrheit, die sich im Laufe dieser Betrachtung immer klarer herausstellen wird. »Niemand kommt zum Vater als durch mich« (Joh 14, 6). Ohne Christus haben wir nichts; in ihm aber haben wir alles, »vermögen wir alles« (Phil 4,13), denn »in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit wesenhaft« (Kol 2, 9). Wer das Geheimnis Christi so erfasst, dass er sein Leben danach richtet, der hat fürwahr die kostbare Perle gefunden, wovon das Evangelium spricht, die Perle, die an Wert alle Schätze überbietet, denn mit dieser Perle erwirbt er sich das ewige Leben. »Das Leben unseres Herrn Jesus Christus sollst du wie eine gar kostbare Perle Tag und Nacht im Schatzkästlein deines Herzens verborgen halten; diese Perle sollst du überall bei dir tragen, sie mit den Augen der Seele liebevoll betrachten in der Arbeit wie in der Ruhe, gemäß der Gabe, die Gott deinem Herzen eingesenkt hat« (Ludw. Blosius, Geistl. Lebensregel, Kap. 19).

Je mehr wir Christus kennen lernen, je tiefer wir in die Geheimnisse seiner Person und seines Lebens eindringen und je aufmerksamer wir im Gebete alle Züge und Einzelheiten erwägen, die durch die heiligen Offenbarungsbücher uns mitgeteilt wurden, um so wahrer wird unsere Frömmigkeit, umso fester begründet unsere Heiligkeit sein. Unsere Frömmigkeit muss im Glauben und in der Erkenntnis wurzeln, die Gott uns von den übernatürlichen und göttlichen Dingen mitgeteilt hat. Eine aus dem Gefühl aufgebaute Frömmigkeit ist ebenso hinfällig und vergänglich wie das Gefühl selbst, auf dem sie ruht. Sie gleicht einem Haus, das auf Sand gebaut ist und beim ersten Windstoß zusammenstürzt. Ist die Frömmigkeit dagegen auf den Glauben und auf jene Überzeugung gegründet, die einer tieferen Kenntnis der Geheimnisse Christi entspringt, Christi, der da allein wahrer Gott ist mit dem Vater und dem Hl. Geiste, so gleicht sie einem Haus, das auf Felsen steht. Nichts vermag es zu erschüttern; »denn es ist auf Felsengrund gebaut« (Mt 7, 25).

Diese Kenntnis ist überdies für das Herz eine unerschöpfliche Quelle der Freude.

Freude ist eine Gemütsstimmung, die aus dem Bewusstsein des erlangten Gutes hervorgeht. Das Gut, das unser Verstand anstrebt, ist die Wahrheit und je reicher und lichtvoller diese Wahrheit ist, desto tiefer ist die Freude des Geistes.

Christus bringt uns die Wahrheit, ja er selbst ist die Wahrheit, die Wahrheit voller Milde, die uns zeugt von der Freigebigkeit des himmlischen Vaters. Aus dem Schoße des Vaters, wo er immerdar wohnt, bringt uns Christus Kenntnis von den göttlichen Geheimnissen, die wir im Glauben besitzen. »Der Eingeborene, der im Schoße des Vaters ruht, er hat Kunde von ihm gebracht« (Joh 1, 18). Welch hohe Befriedigung, welche Wonne und Seligkeit ist es für die gläubige Seele, Gott, den Unendlichen und Unergründlichem zu betrachten in der Person Jesu Christi, in seinen Worten Gottes Stimme zu hören, in den Gesinnungen des Herzens sozusagen die Gesinnung Gottes zu erkennen, göttliche Werke zu schauen und in deren Geheimnisse einzudringen, an der Quelle selbst in vollen Zügen göttliches Leben zu trinken und »ganz von Gott erfüllt zu werden« (Eph 3, 19).

O Herr Jesus Christus, der du unser Gott und Erlöser, die Offenbarung des Vaters, unser erstgeborener Bruder und unsere Freude bist, gib, dass wir dich erkennen! Erleuchte die Augen unseres Herzens, damit wir dich in seliger Freude betrachten, gebiete dem Lärm der Geschöpfe Schweigen, damit wir imstande seien, dir frei und ungehindert zu dienen! Wie einst den Emmausjüngern, so offenbare auch uns den Sinn der Schrift, die deine Geheimnisse verkündet; dann wird auch unser Herz »in heiliger Glut entbrennen« (Lk 24, 32), um dich zu lieben und dir anzuhängen!

4. Dreifacher Grund, weshalb die Geheimnisse Christi auch unsere Geheimnisse sind: Christus hat sie unsertwegen durchlebt; er zeigt sich in ihnen als unser Vorbild; er lässt uns als Glieder seines Leibes an denselben teilnehmen

In den folgenden Betrachtungen werden wir die Freude haben, uns im Einzelnen mit den vorzüglichsten Geheimnissen Christi zu beschäftigen, seine Werke zu schauen, seinen Worten zu lauschen. Wir werden erkennen, wie unaussprechlich göttlich und wahrhaft menschlich zugleich alle Handlungen des fleischgewordenen Wortes sind. Jedes Geheimnis enthält seine besondere Lehre, vermittelt ein ihm eigenes Licht und wird zum Quell einer besonderen Gnade, deren Zweck es ist, Christus in uns zu gestalten. In dieser ersten Betrachtung soll vor allem gezeigt werden, dass es den Geheimnissen Christi eigen ist, nicht nur seine, sondern auch unsere Geheimnisse zu sein.

Es ist das eine grundlegende Wahrheit, die wir gleich zu Beginn dieser Erwägung nicht genug beherzigen können und die wir nie ganz aus dem Auge verlieren dürfen, weil sie ungemein fruchtbringend ist für das geistliche Leben.

Ist es ja doch für die gottliebende Seele eine unerschöpfliche Quelle tiefsten Vertrauens zu wissen, dass sie aufs innigste an allen Geheimnissen Christi Anteil hat. Diese Wahrheit weckt in der Seele jene dankbar liebende Gesinnung, in welcher sie sich ganz dem zu eigen gibt, der sich so großmütig für sie geopfert und sie mit sich vereinigt hat.

Und diese Wahrheit ist nicht etwa ein Traum, eine leere Vorstellung; sie ist Wirklichkeit, göttliche Wirklichkeit, aber nur der Glaube vermag sie zu fassen, wie nur die Liebe sie uns zu eigen gab. »Wir erkennen gläubig die Liebe, die Gott zu uns hat« (Joh 4, 16).

Warum sind die Geheimnisse Christi auch unsere Geheimnisse? Aus einem dreifachen Grunde.

Zunächst weil Christus sie für uns durchlebt hat! Gewiss war der tiefste Beweggrund aller Handlungen im Leben des menschgewordenen Wortes die Liebe zum ewigen Vater: Als die Stunde gekommen war, da er sein Werk vollenden sollte, erklärt Jesus seinen Aposteln, dass er sich hinopfern werde, »damit die Welt erkenne, dass er den Vater liebe« (Joh 14, 31).

In dem wundervollen Gebet, das er so dann an seinen Vater richtet, bezeugt Jesus, dass er das ihm aufgetragene Werk, den Vater zu verherrlichen, vollbracht habe. »Ich habe dich auf Erden verherrlicht, indem ich das Werk vollbrachte, das zu vollbringen du mir aufgegeben hast« (Joh 17, 4). Konnte er doch in jedem Augenblick seines Lebens sagen, dass er nichts anderes suche, als den Willen seines Vaters zu erfüllen. »Ich tue allezeit, was ihm wohlgefällt« (Joh 8, 29).

Das Herz Jesu Christi aber schlägt nicht allein in Liebe zu seinem Vater, es liebt auch uns, liebt uns unendlich. Für uns ist Christus vom Himmel herabgestiegen, uns wollte er erlösen, uns durch seinen Tod erretten. »Für uns und um unsers Heiles willen«, singt die heilige Kirche im Credo. »Ich bin gekommen, damit sie Leben haben und es in Fülle haben« (Joh 10, 10). Für sich selbst hatte Jesus weder Genugtuung zu leisten noch Verdienste zu erwerben. Er ist ja der wahre Sohn Gottes, wesensgleich dem Vater, zu dessen Rechten er im höchsten Himmel thront. Für uns aber hat er alles vollbracht, für uns ist er Mensch geworden, für uns ward er zu Bethlehem geboren, für uns führte er dreißig Jahre lang ein Leben in Verborgenheit und Arbeit. Seine Predigten, seine Wunder, sein Tod, seine Auferstehung und Himmelfahrt, alles ist geschehen aus Liebe zu uns. Aus Liebe zu uns hat er den Hl. Geist gesandt. Unendliche Liebe zu uns hat ihn bewogen, im Tabernakel unter uns zu wohnen. »Christus hat seine Kirche geliebt«, sagt der hl. Paulus, die Kirche, die da ist das Reich aller Auserwählten - »er hat sich für sie hingegeben, um sie zu reinigen und zu heiligen, dass sie nicht Fleck oder Runzel ... oder etwas dergleichen habe, sondern vielmehr heilig und makellos sei« (Eph 5, 27).

So hat Jesus alle seine Geheimnisse für uns durchlebt, damit wir einst aus Gnade mit ihm dort seien, wo er von Natur aus das Recht hat zu sein, in der Herrlichkeit des Vaters. Fürwahr, jeder aus uns darf mit dem hl. Paulus sprechen: »Christus hat mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben« (Gal 2,20); sein Opfertod ist nur die Krönung der Geheimnisse seines irdischen Lebens. Für mich hat er alles vollbracht - für mich, aus Liebe zu mir.

Dank und Preis sei dir, o Gott, für das unaussprechlich große Geschenk, das wir von dir empfangen haben in deinem Sohn, der da ist unsere Erlösung! »Dank sei Gott für seine unaussprechliche Gabe« (2 Kor 9, 15)!

Ein weiterer Grund, warum die Geheimnisse Christi auch die unseren sind, ist dieser, dass Christus in all diesen Geheimnissen unser Vorbild ist. Er ist gekommen, um uns ein Beispiel zu geben. Das ewige Wort ist im Fleische erschienen nicht bloß, um der Menschheit das Heil zu verkünden und das Erlösungswerk zu vollbringen, sondern auch um das Ideal unserer Seele zu sein.

Christus ist Gott, der unter den Menschen wohnt, Gott in sichtbarer greifbarer Gestalt, der sich zu uns herablässt und uns durch Wort und Beispiel den Weg zur Heiligkeit zeigt. Wir sollen nicht anderswo das Vorbild unserer Vollkommenheit suchen als allein im menschgewordenen Gott. Jedes seiner Geheimnisse ist eine Offenbarung seiner Tugenden. Die Armut in der Krippe, die Demut des verborgenen Lebens, der unermüdliche Eifer des öffentlichen Wirkens, die Vernichtung im Opfertod, die Herrlichkeit der Auferstehung sind nichts anderes als Tugenden, die wir nachahmen, Gesinnungen, in denen wir leben und an denen wir durch die Gnade Anteil nehmen sollen. Beim letzten Abendmahl sprach Jesus zu seinen Jüngern, nachdem er, ihr Meister und Herr, demütig ihnen die Füße gewaschen hatte: »Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr tut, wie ich euch getan habe« (Joh 13,15). Diese Worte hätte er auf alle seine Handlungen anwenden können.

Übrigens hat er das auch getan, denn er sagt: »Ich bin der Weg.« (Joh 14, 6). Er ist aber dieser Weg nur, um uns voranzugehen. »Wer mir nachfolgt, wandelt nicht in Finsternis, sondern er hat das Licht des Lebens« (Joh 8, 12). In seinen Geheimnissen hat Jesus gewissermaßen alle Wegstationen bezeichnet, die der Christ im übernatürlichen Leben nach ihm und mit ihm durchwandern muss, oder vielmehr ist er selbst es, der die gläubige Seele mit sich fortreißt auf der Bahn, »die er wie ein Riese frohlockend durchläuft« (Ps 19, 6). »Ich habe euch erschaffen nach meinem Bild und Gleichnis« sprach der Herr zur hl. Katharina von Siena, »ja noch mehr: indem ich eure Natur annahm, bin ich euch gleich geworden. Deswegen höre ich nicht auf, an euch zu arbeiten, um euch mir gleichförmig zu machen, soweit ihr dessen fähig seid. Ich trachte darnach, in euren Seelen auf ihrem Weg zum Himmel das zu erneuern, was ich während meines Erdendaseins durchlebte.«  Der himmlische Vater würdigte sich, zu dieser Heiligen zu sagen: »Bedenke wohl, meine Tochter, dass alle Geheimnisse, alle Handlungen, die mein ewiges Wort auf Erden allein oder mit den Jüngern vollbracht hat, nur das darstellen, was in den Seelen meiner Diener und aller Menschen vorgeht. Aus jedem dieser Geheimnisse könnet ihr eine Lehre und eine Lebensregel ableiten. Ihr sollt sie betrachten im Licht der Vernunft. Ein jeder kann Nutzen daraus ziehen, wenn er nur will, das einfältigste Gemüt wie der scharfsinnigste Verstand, der einfachste wie der erhabenste Geist, jeder nehme für sich, was ihm entspricht und wessen er bedarf.« (Leben der Heiligen v. Raymund v. Capua I, 11).

Darum ist die Betrachtung der Geheimnisse Christi so fruchtbringend für die Seele. Das Leben, der Tod und die Verherrlichung Jesu sind das Vorbild unseres Lebens und Sterbens wie auch unserer Verherrlichung. Wir dürfen niemals außer Acht lassen, dass der himmlische Vater uns als die Seinen anerkennen wird nur in dem Maße, als wir seinem Sohn nachfolgen; denn »er hat uns von Ewigkeit vorherbestimmt, dem Bilde seines Sohnes gleichförmig zu werden« (Röm 8, 29). Es gibt keine andere Heiligkeit als jene, die Christus uns gelehrt hat. Das Maß unserer Vollkommenheit besteht in der Treue, mit der wir Jesus nachfolgen.

Endlich gibt es noch einen dritten, besonders tiefen und bedeutungsvollen Grund, weshalb Christi Geheimnisse die unseren sind. Christus hat sie nicht nur für uns gelebt, sondern er ist auch in seinen Geheimnissen mit uns eins geworden. Keine andere Wahrheit hat der hl. Paulus so ausdrücklich betont als gerade diese.

Im Gedanken Gottes sind wir eins mit Christus. »In ihm hat Gott, der Vater, uns auserwählt« (Eph 1, 4), nicht außer ihm; er trennt uns nicht von seinem Sohn. Wenn er uns vorherbestimmt hat, dem Bilde seines Sohnes gleichförmig zu werden, so geschah es, damit dieser Sohn »der erstgeborene sei unter vielen Brüdern« (Röm 8, 29).

Diese Verbindung, die Gott zwischen seinem Sohn und allen Auserwählten verwirklichen will, ist so innig, dass der hl. Paulus sie mit jener Verbindung vergleicht, die zwischen Haupt und Gliedern ein und desselben Leibes besteht. Die Kirche ist nach der Lehre des Völkerapostels der Leib Christi und Christus das Haupt dieses Leibes. Beide vereint bilden das, was der hl. Augustinus den »ganzen Christus« nennt. »Der ganze Christus besteht aus Haupt und Leib. Das Haupt ist der eingeborene Sohn Gottes, der Leib seine Kirche (De unitate Eccles. 4).« Das ist der Plan Gottes. »Alles hat er ihm zu Füßen gelegt und ihn zu dem alles überragenden Haupt der Kirche gemacht« (Eph 1(22).

Christus ist das Haupt dieses geheimnisvollen mystischen Leibes, den er mit der Kirche vereint bildet, deswegen, weil er Führer der Kirche und für alle ihre Glieder Quelle des Lebens ist. Christus und die Kirche sind sozusagen ein und dasselbe Wesen. »Wir sind Glieder seines Leibes, Fleisch von seinem Fleisch und Bein von seinem Bein« (Eph 5, 30). Der Vater betrachtet die Auserwählten als so innig verbunden mit seinem göttlichen Sohn, dass Christus alle Geheimnisse seiner Menschheit gelebt hat in seiner Eigenschaft als Oberhaupt der Kirche.

Der hl. Paulus spricht sich darüber sehr deutlich aus. »Gott aber, der reich ist in seiner großen Liebe zu uns, hat, obwohl wir durch unsere Vergehen tot waren, uns mit Christus lebendig gemacht. Er hat uns in Christus mit auferweckt und mitversetzt ins Himmelreich, um so in den künftigen Zeiten den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade zu zeigen, zufolge seiner Güte in Christo Jesu« (Eph 2, 4ff). Mehr als einmal kehrt der nämliche Gedanke beim hl. Paulus wieder. »Wir sind mit ihm begraben. Gott will, dass wir mit Christus eins seien in der Auferstehung, in der Himmelfahrt: er hat uns mit auferweckt, mit aufgenommen in den Himmel mit ihm« (Röm 6, 4).

Es gibt keine festere Gewissheit als diese, dass nach dem Gedanken Gottes Christus und seine Auserwählten eins sind. Die Geheimnisse Christi sind vor allem deshalb unsere Geheimnisse, weil der ewige Vater in jedem derselben zugleich mit seinem Sohn uns sah, und weil Christus sie vollbracht hat als Haupt der Kirche. Ja, man könnte sogar sagen, dass aus diesem Grunde die Geheimnisse Christi eigentlich mehr die unseren sind als die seinen. Christus als Sohn Gottes hätte die Erniedrigung der Menschwerdung, die Schmerzen und Wunden des bittern Leidens nicht erdulden müssen; er hätte auch nicht der siegreichen Auferstehung bedurft, wie sie auf die Schmach seines Todes folgte. Dies alles hat er als Haupt der Kirche auf sich genommen. »Er hat unser Elend und unsere Krankheiten getragen« (Jes 53,4) und all das gelitten, was auch wir einmal erleiden müssten und hat somit als unser Haupt uns die Gnade verdient, ihm nachzufolgen in jedem seiner Geheimnisse; denn auch Christus trennt sich nie von uns in seinen Werken. Er nennt sich »den Weinstock« und uns »die Reben« (Joh 15, 5). Könnte es eine innigere Vereinigung geben als diese? Dasselbe Leben, der gleiche Saft kreist in der Wurzel und in den Zweigen. Christus erachtet sich so innig vereint, dass er alles, was immer wir einem Menschen tun, so ansieht, als hätten wir es ihm getan. »Was ihr einem der geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan« (Mt 25, 40). Er will, dass die Verbindung, welche die Gnade zwischen ihm und seinen Jüngern herstellt, jener gleich sei, kraft deren er durch Natur eins ist mit dem Vater. »Damit sie alle eins seien so wie du, Vater in mir bist und ich in dir bin« (Joh 17, 21). Das ist das hehre Ziel, dem er uns durch seine Geheimnisse zuführen will.

So hat er auch alle Gnaden, die er durch jedes seiner Geheimnisse erworben hat, zu dem Zweck erworben, um sie uns auszuspenden. Er hat vom Vater die Fülle aller Gnaden erhalten. »Wir haben ihn gesehen voll der Gnade« (Joh 1, 16). Diese Gnadenfülle hat er nicht für sich allein empfangen; denn der hl. Johannes fügt hinzu, »dass wir aus seiner Fülle alle empfangen haben Gnade um Gnade«. Wir empfangen die Gnaden von ihm, weil er unser Haupt ist; »der Vater hat ihm alles zu Füßen gelegt und ihn zu dem alles überragenden Haupt der Kirche gemacht« (Eph 11, 22). Seine Weisheit, seine Gerechtigkeit, seine Heiligkeit, seine Stärke sind unsere Weisheit, unsere Gerechtigkeit, unsere Heiligkeit, unsere Stärke. »Christus Jesus ist uns nach Gottes Anordnung zur Weisheit geworden, zur Rechtfertigung, zur Heiligung und Erlösung« (1 Kor 1, 30). Alles, was sein ist, gehört auch uns. Wir sind reich durch seinen Reichtum und heilig durch seine Heiligkeit. »Begehrst du, o Mensch«, so schreibt Blosius, »wahrhaft Gott zu lieben, so bist du reich in Christus, so arm und bloß du auch aus dir selbst sein magst; denn in Demut darfst du dir alles aneignen, was Christus für uns getan und erduldet hat« (Canon vitae spiritualis c. 37).

Christus gehört in Wahrheit uns; denn wir sind sein mystischer Leib. Seine Genugtuung, seine Verdienste, seine Freuden und seine Herrlichkeit sind unser ... O überaus erhabenes Los des Christen, der so innig mit Jesus und seinem Leben verbunden ist! O wunderbare Größe der Seele, der alle Gnaden zu eigen sind, »die Christus in seinen Geheimnissen erworben hat, damit wir an keiner Gnadengabe Mangel haben« (1 Kor 1, 7).

5. Diese Geheimnisse sind immer wirkkräftig

Die Geheimnisse des irdischen Lebens Christi gehören zwar, was ihre geschichtliche gegenständliche Dauer betrifft, der Vergangenheit an ihre Wirkkraft jedoch überdauert die Zeiten. Die Gnade, durch welche wir an diesen Geheimnissen teilnehmen, bleibt immer wirksam.

Im glorreichen Stande seiner Verherrlichung erwirbt Christus keine Verdienste mehr; nur während seines sterblichen Lebens bis zum letzten Atemzug am Kreuzesstamm hat er verdienen können. Aber er wendet uns unablässig die Verdienste zu, die er für uns erworben hat.

»Christus ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit« (Hebr 13, 8). O, dass wir es nie vergäßen: Christus will, dass sein mystischer Leib heilig sei. Alle seine Geheimnisse zielen hin auf diese Heiligung. »Er hat seine Kirche geliebt und sich selbst für sie hingegeben, um sie zu heiligen« (Eph 5, 25). Und wer ist diese Kirche? Etwa die verschwindend kleine Zahl derer, die das Glück hatten, den Gottmenschen zu sehen, als er auf Erden wandelte? Gewiss nicht! Unser Heiland ist nicht allein für seine Stammesbrüder und Zeitgenossen im Judenland erschienen, sondern für die Menschen aller Zeiten. »Für alle ist Christus gestorben« (2 Kor 5, 15). Jesus als Gott umfasste in einem Blick die Seelen aller Menschen; seine Liebe erstreckte sich auf jede von ihnen; sein heiligmachender Wille bleibt noch ebenso mächtig, ebenso wirksam wie an dem Tage, da er sein kostbares Blut für das Heil der Welt vergossen hat.

Wenn also auch die Zeit des Verdienens für Christus vorüber ist, die Zeit der Zuwendung seiner Verdienste dauert fort, bis der letzte der Auserwählten eingegangen sein wird zur ewigen Belohnung. Christus bleibt, »er lebt immerdar, um einzutreten für uns« (Hebr 7,25). Erheben wir das Auge unseres Geistes hinauf in den Himmel zu dem Heiligtum, wohin Christus vierzig Tage nach seiner Auferstehung emporgestiegen ist, und schauen wir unsern Herrn Jesus, wie er immerdar vor dem Angesicht seines Vaters steht! Er ist in den Himmel eingegangen, um nunmehr vor dem Angesicht Gottes für uns einzutreten« (Hebr 9, 24). Warum aber steht Christus allzeit vor seines Vaters Angesicht?

Weil er der Sohn, der eingeborene Sohn Gottes ist. Für ihn bedeutet es nicht ungerechte Anmaßung, wenn er erklärt, Gott gleich zu sein. Er ist der wahre Sohn Gottes. Der ewige Vater blickt auf ihn und spricht: »Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt« (Ps 2, 7). Auch jetzt, in diesem Augenblick steht Jesus vor dem Angesicht seines Vaters und spricht zu ihm: »Du bist mein Vater. Ich bin wahrhaft dein Sohn.« Als Sohn Gottes hat er das Recht, das Antlitz des Vaters zu schauen, als gleichberechtigt mit ihm zu verkehren, in alle Ewigkeit mit ihm zu herrschen.

Der hl. Paulus fügt aber hinzu, dass er dieses Recht ausübt für uns. Für uns steht er vor seinem Vater. Was will das anders besagen, als dass Christus vor dem Angesicht des Vaters steht nicht nur als der eingeborene Sohn, als Gegenstand des göttlichen Wohlgefallens, sondern auch als Mittler. Sein Name ist Jesus »Erlöser«, und dieser Name ist göttlich; denn er kommt von Gott. Gott hat ihm diesen Namen gegeben. Christus Jesus ist im Himmel zur Rechten des Vaters als unser Stellvertreter, als unser Hohepriester und Mittler. Als solcher hat er hienieden den Willen des Vaters bis zum letzten Jota in allen Einzelheiten erfüllt, als solcher hat er jedes seiner Geheimnisse durchlebt, in eben dieser Eigenschaft lebt er auch jetzt zur Rechten Gottes, um dem Vater beständig seine Verdienste vorzuweisen und uns zu unserer Heiligung die Frucht seiner Geheimnisse mitzuteilen. »Er lebt immerdar, um für uns einzutreten« (Hebr 7, 25).

Welch mächtiger Beweggrund für unser Vertrauen ist es doch zu wissen, dass derselbe Christus, dessen Leben das Evangelium erzählt, dessen Geheimnisse wir feiern, allezeit lebt, um unser Fürsprecher zu sein, zu wissen, dass die Kraft seiner Gottheit stets wirksam bleibt und dass die Macht seiner allerheiligsten, weil mit dem göttlichen Wort verbundenen Menschheit zur Heilung der Kranken, zum Trost der Betrübten, zur Belebung der Seelen immer noch die gleiche ist! Christus ist, wie einstens so auch heute noch, der sichere Weg, der uns zu Gott führt, die Wahrheit, die jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt und das vom Tode errettende Leben »Christus gestern und heute und in alle Ewigkeit« (Hebr 13, 8).

Ich glaube all das, 0 mein Jesus; aber vermehre meinen Glauben! Ich vertraue fest auf die Wirkkraft und die Fülle deiner Verdienste, aber stärke meine Hoffnung! Ich liebe dich, der du uns »bis ans Ende« deine unermessliche Liebe kundgetan in all deinen Geheimnissen. Entzünde mehr und mehr in mir das Feuer deiner Liebe!

II. WIE WIR UNS DIE FRUCHT DER GEHEIMNISSE CHRISTI ANEIGNEN

Christus, das menschgewordene Wort, hat die Geheimnisse seines Erdenlebens für uns gelebt. Er ist in ihnen unser Vorbild geworden. Vor allem aber will er als das Haupt des einen mystischen Leibes, dessen Glieder wir sind, ganz eins werden mit uns. Die Kraft dieser Geheimnisse ist so groß, dass sie stets tätig und wirksam bleibt; denn vom Himmel aus, wo er zur Rechten seines Vaters thront, fährt Christus fort, das Verdienst und die Frucht all seiner Geheimnisse den Seelen zuzuwenden, um die Gottähnlichkeit in ihnen zu bewirken. Die Anteilnahme an den Geheimnissen Jesu setzt aber persönliche Mitwirkung voraus.

Wenn Gott uns die Geheimnisse seiner Liebe zu uns offenbart, so will er, dass wir sie gläubig annehmen, dass wir auf seine Gedanken und Absichten eingehen und uns seinem ewigen Plan einfügen, in dem allein wir Heil und Heiligkeit finden können. Wenn Christus uns die unergründlichen Schätze seines Lebens und seiner Geheimnisse erschließt, so will er, dass wir daraus schöpfen und sie für uns fruchtbringend gestalten, andernfalls uns am Jüngsten Tag die Strafe des unnützen Knechtes im Evangelium treffen würde, der in die äußerste Finsternis geworfen wurde.

Was man aber nicht kennt, das sucht man auch nicht. Der Wille vermag nicht Güter anzustreben, die der Verstand ihm nicht zuvor als solche vorgelegt hat. »Nach Ungekanntem steht kein Begehr.« Wie sollen wir nun aber, da doch Christus uns seine sichtbare Gegenwart entzogen hat, die Schönheit und Harmonie, die Kraft und Macht seiner Geheimnisse kennen lernen? Wie sollen wir in lebensvolle Berührung mit ihnen treten, um aus ihnen jene Gnadenfrüchte zu gewinnen, die unsere Seelen allmählich umwandeln und zu jener innigen Vereinigung mit Christus führen sollen, die unerlässliche Bedingung ist, um seinen Jüngern beigezählt zu werden? Diese Frage müssen wir noch kurz beantworten, um damit die Erklärung der gnadenreichen Wahrheit zu beschließen, dass Christi Geheimnisse auch die unsern sind.

1. Wir nehmen teil an den Geheimnissen Christi, indem wir das Evangelium betrachten und vor allem, indem wir uns in der Liturgie an die Braut Christi, die hl. Kirche, anschließen

Wir lernen unsern Herrn Jesus Christus vor allem aus dem Evangelium kennen.

Diese heiligen, unter Eingebung des Hl. Geistes geschriebenen Blätter enthalten die Schilderung des Lebens und die Lehre unseres göttlichen Heilandes auf Erden. Es genügt, die schlichten und doch erhabenen Berichte im Geiste des Glaubens zu lesen, um ein lebendiges Bild unseres Herrn vor Augen zu haben und Jesu Worte zu hören. Die gottliebende Seele, die im betrachtenden Gebet oft in diesem einzigartigen Buch liest, wird nach und nach dazu gelangen, mit Christus und seinen Geheimnissen vertraut zu werden, in die Tiefen des Erlöserherzens einzudringen und jene wunderbare Offenbarung Gottes an die Welt zu verstehen, die da ist Jesus Christus. »Wer mich sieht, sieht auch den Vater« (Joh 14, 9). Dieses Buch ist eingegeben vom Hl. Geist; ihm entströmt Licht und Kraft, um alle zu erleuchten und zu stärken, die aufrichtigen und geraden Herzens sind. Glücklich die Seele, die täglich daraus schöpft, sie trinkt am Born lebendigen Wassers.

Eine andere Quelle der Kenntnis dieser Geheimnisse ist die Teilnahme am Leben der Kirche in der Liturgie.

Vor seiner Himmelfahrt sprach Jesus zu den Aposteln, auf die er seine Kirche gründete: »Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden« (Mt 28, 18). »Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch« (Joh 20, 21). »Wer euch hört, der hört mich« (Lk 10, 16). Auf Grund dieser Worte ist die Kirche gleichsam eine Fortsetzung der Menschwerdung durch alle Jahrhunderte. Sie vertritt den Herrn in unserer Mitte. Von ihrem himmlischen Bräutigam kommt ihr jene göttliche Liebe zu den Menschen. Von ihm auch hat sie als Brautschatz die Kraft erhalten, Seelen zu heiligen und überdies alle Reichtümer der Gnade, die Jesus am Tage seiner mystischen Vermählung mit ihm am Kreuz für sie erworben hat.

So kann man in gewissem Sinne auf die Kirche das nämliche anwenden, was ihr göttlicher Bräutigam von sich selbst sagt: Sie ist für uns der Weg, die Wahrheit und das Leben - Sie ist der Weg: Nur durch Christus können wir zu Gott gelangen, und wir werden mit Christus nur dann vereint, wenn wir der Kirche - sei es in Wirklichkeit, sei es bloß dem Verlangen nach - durch das Bad der Taufe einverleibt sind. - Die Kirche ist die Wahrheit, weil sie, ausgerüstet mit der vollen Autorität ihres Stifters, das heilige Pfand der Offenbarungswahrheiten hütet und uns zu glauben vorstellt - Die Kirche Christi ist endlich auch das Leben, weil sie durch den öffentlichen Gottesdienst, den sie allein anzuordnen berechtigt ist, in den Sakramenten, die sie allein spenden kann, den Seelen das Leben der Gnade vermittelt und es in ihnen unterhält. Wir können uns also nur in dem Maße heiligen, als wir uns von der Kirche lehren und leiten lassen; denn Christus hat zu seiner Braut gesprochen: »Wer euch hört, der hört mich.« Auf Jesu Stimme hören aber heißt zum Vater gehen.

Die Liturgie ist es vor allem, durch welche die Kirche ihre Kinder erzieht und unterweist, um sie Jesus ähnlich zu gestalten und jenes Bild in ihnen zu vollenden, dem sie ihrer» Vorherbestimmung nach gleichförmig werden sollen« (Röm 8, 28).

Vom Hl. Geiste und dem Geiste Jesu geleitet, lässt die Kirche alljährlich den Kreis der Geheimnisse des Herrn vom Feste der Geburt bis zur Himmelfahrt vor dem geistigen Auge ihrer Kinder vorüberziehen, bald in kurz zusammengedrängter Form, bald in der genauen Reihenfolge geschichtlicher Entwicklung wie in der Karwoche und in der Osterzeit. Sie lässt in seelenvoller, lebenswarmer Darstellung alle Geheimnisse ihres himmlischen Bräutigams vor unserm Auge vorüberziehen, so dass wir gleichsam alle Geschehnisse des Lebens Jesu von neuem miterleben. Wenn wir uns von der Kirche führen lassen, werden wir unfehlbar zur Kenntnis der Geheimnisse Christi gelangen und in die Gesinnungen seines göttlichen Herzens eindringen.

Die Kirche, die als Christi Braut mit den Geheimnissen ihres göttlichen Bräutigams vertraut ist, weiß mit sicherer Hand aus dem Evangelium gerade jene Abschnitte zu wählen, die jedes einzelne Geheimnis am besten beleuchten; auch versteht sie es mit vollendeter Meisterschaft, diese Abschnitte durch Stellen aus den Psalmen, den Propheten und den Briefen des hl. Paulus und der anderen Apostel oder durch Belegstellen aus den Kirchenvätern näher zu erklären. So stellt sie die Lehren des göttlichen Meisters, die Züge aus seinem Leben und die Tiefen seiner Geheimnisse in eine Flut lebenspendenden, klaren Lichtes.

Durch ihre Auswahl von Lesungen aus den heiligen Büchern und aus den Werken heiliger Schriftsteller, durch fromme Anmutungen, die sie uns auf die Lippen legt, wie durch die geheimnisvolle Pracht ihrer Zeremonien und feierlichen Riten versetzt sie gleichzeitig unsere Seelen in eine Verfassung wie der Sinn der Geheimnisse sie verlangt, und weckt in unsern Herzen jene Gesinnung, die erforderlich ist, um uns in reichstem Maße die geistliche Frucht jedes Geheimnisses aneignen zu können.

2. Mannigfaltigkeit und Fruchtbarkeit der Gnade in den Geheimnissen, wie die Liturgie sie feiert

Wohl ist es immer der nämliche Heiland und Erlöser, der am gleichen Werke unserer Heiligung arbeitet und dennoch bedeutet jedes seiner Geheimnisse für unsere Seelen eine neue Offenbarung Christi. Jedes hat seine eigene Schönheit, sein eigenes Licht und seine besondere Gnade. So ist z. B. die Gnade, die der heiligen Weihnachtszeit entströmt, nicht dieselbe wie jene, die uns in der Leidenswoche des Herrn zuteil wird. Zu Weihnachten sollen wir uns freuen mit den Engeln und Hirten; dagegen klagend unsere Schuld beweinen, wenn wir die namenlosen Martern betrachten, wodurch Christus unsere Sündenlast getilgt hat. Die jauchzende Freude, die zu Ostern unser ganzes Sein durchflutet, entspringt einer andern Quelle und hat ein ganz anderes Gepräge als der Jubel unseres Herzens vor der Krippe des kleinen Friedenskönigs.

Die Kirchenväter sprechen oft von der vis mysterii, »von der Kraft der Geheimnisse Christi«; es ist dies die jedem einzelnen Festgeheimnis innewohnende Wirksamkeit, die eigentümliche Bedeutung eines jeden. An jedem Fest des Kirchenjahres ließe sich aus den gläubigen Christen das Wort des hl. Gregor von Nazianz anwenden. »Derselbe kann Gott keine wohlgefälligere Gabe darbringen, als wenn er sich selbst mit dem vollkommenen Verständnis des Festgeheimnisses ihm darstellt.« (»Nihil autem daturus est tantum, quantum si se ipse obtulerit huius mysterii rationem probe intelligentem.« S. Greg. Naz. Orat. 1. in sanct. Pascha IV).

Manche Menschen achten bei der Feier der liturgischen Geheimnisse nur auf die Schönheit der Zeremonien, den Wohlklang des Gesanges, die Pracht der Gewänder und die Harmonie der Riten. All das kann vorhanden sein und ist auch oft tatsächlich vorhanden, und das ist gut und ganz in der Ordnung. Zunächst weil durch die vollkommene Betrachtung all dieser Vorschriften, die von der heiligen Kirche, der Braut Christi, bis ins Kleinste geregelt worden sind, der himmlische Vater und sein Sohn Jesus Christus verherrlicht werden. Es ist ein für alle Geheimnisse des Christentums feststehendes Gesetz, dass sie zuerst von den Sinnen erfasst werden müssen, ehe sie in unser Verständnis übergehen können. Dadurch wird Christus verherrlicht, der, seiner Natur nach unsichtbar, aus Liebe zu uns in Menschengestalt, den Sinnen wahrnehmbar erschienen ist. Auch ist es ein psychologisches Gesetz unserer Natur, die aus Leib und Seele zusammengesetzt ist, dass wir durch das Sinnfällige zum Unsichtbaren aufsteigen. Die äußere Feier der Geheimnisse soll unseren Seelen gleichsam als Stufenleiter dienen zur Betrachtung und zur Liebe der übernatürlichen, göttlichen Wahrheiten. Dies ist übrigens, wie die heilige Kirche in der Weihnachtspräfation es so schön zum Ausdruck bringt, auch die Heilsordnung des wunderbaren Geheimnisses der Menschwerdung: »Möchten wir, indem wir Gott sichtbar erkennen, durch ihn zur Liebe des Unsichtbaren hingerissen werden « (Ut dum visibiliter Deum cognoscimus, per hunc in invisibilium amorem rapiamur [Praefatio de Nativ.]).

Das Sinnfällig-Äußere hat also beim Gottesdienst zweifellos seine Berechtigung, nur darf man nicht ausschließlich dabei stehen bleiben. Das ist nur der Saum vom Gewande Christi. Die Herrlichkeit und Schönheit, der Glanz und die Kraft der Geheimnisse unseres Herrn sind verborgen im Innern. Dort sollen wir sie suchen. Die Kirche erlebt häufig als Frucht der Kommunion die Gnade, dass wir einzugehen vermöchten in den Sinn des Festgeheimnisses, um ganz davon durchdrungen zu werden und danach zu leben. »Damit wir das, was wir in heiligen Festfeiern begehen, mit dem Verständnis eines geläuterten Sinnes erlangen« (Postkommunion vom Feste der Erscheinung und der Himmelfahrt des Herrn). So lernen wir Christus kennen, wie der hl. Paulus es wünscht, in aller Weisheit und geistlichen Einsicht (Kol 1,9).

Die Geheimnisse Christi sind uns ja nicht bloß zum Vorbild und als Gegenstand der Betrachtung gegeben, sie sind auch Quelle der Gnade.

Als unser Herr auf Erden wandelte, »ging eine Kraft von ihm aus und machte alle gesund« (Lk 6,19). Christus aber bleibt immer derselbe. Wenn wir die Geheimnisse seines Lebens betrachten, sei es im Evangelium, sei es in der Liturgie, so werden uns die Gnaden zuteil, die er, als er jedes einzelne dieser Geheimnisse durchlebte, uns erworben hat. Solche Betrachtung führt uns vor Augen, wie Christus, unser Vorbild, die Tugend geübt hat und lässt uns an den Gesinnungen teilnehmen, die sein heiligstes Herz in den verschiedensten Lebenslagen beseelten. Vor allem aber schöpfen wir daraus die besonderen Gnaden, die er für uns verdient hat, als er diese Geheimnisse durchlebte.

Die Geheimnisse Christi entsprechen den einzelnen Lebensstufen seiner allerheiligsten Menschheit. Christus hat die Fülle aller Gnaden von seiner Gottheit empfangen und zwar zu dem Zwecke, dass diese Gnaden seine menschliche Natur und durch diese allen Gliedern des mystischen Leibes zufließen, »einem jeden in dem Maß, in dem Christus sie ausgeteilt hat« (Eph 4,7). Das göttliche Wort hat, da es die Natur unseres Geschlechtes annahm, sich sozusagen mit der gesamten Menschheit vermählt, und jede Seele nimmt in dem Maße, das nur Gott bekannt und durch den Glauben bestimmt ist, an der Gnadenfülle teil, die Christi heilige Seele durchflutet.

Jedes Geheimnis des Herrn vermittelt uns also, indem es eine Lebensstufe der allerheiligsten Menschheit Jesu darstellt, eine besondere Anteilnahme an der Gottheit des Erlösers. - So feiern wir z. B. zu Weihnachten die Geburt Christi auf Erden. Wir preisen den »wunderbaren Austausch« (Antiphon am Feste der Beschneidung des Herrn), der sich vollzieht, indem der Schöpfer des Menschengeschlechtes unsere Menschheit annimmt und uns dafür seine Gottheit schenkt.

So wird jede neue Weihnacht, die wir fromm begehen, für unsere Seele durch eine reichlichere Mitteilung der Gnade eine Art Wiedergeburt zum göttlichen Leben. Bei Christi Tod auf Golgatha sterben wir der Sünde ab, der Heiland am Kreuz schenkt uns die Gnade, in immer tieferem Abscheu allem zu entsagen, was ihn beleidigen könnte. ln der Osterzeit nehmen wir teil an der heiligen Freiheit von allem Irdischen, am gesteigerten Leben für Gott, dessen glorreiches Vorbild der auferstandene Heiland uns bietet. Am Himmelfahrtstage erheben wir uns in gläubiger Sehnsucht zum Himmel, um dort dem Glauben und Verlangen nach mit unserm Vorbild und Erlöser »im Schoße des Vaters« (Joh 1,18) in der hocherhabenen Heimlichkeit des göttlichen Heiligtums zu ruhen.

Wenn wir auf diese Weise den Herrn in seinen Geheimnissen begleiten und mit ihm uns vereinigen, nehmen wir allmählich aber sicher und zwar mit jeder neuen Festfeier in verstärktem Maße innigen Anteil an seiner Gottheit, an seinem göttlichen Leben. Das drückt der hl. Augustin mit den Worten aus: »Was einst in der Geschichte in hehrer Wirklichkeit sich zugetragen hat, das erneuert sich Geistigerweise in den Seelen der Gläubigen durch die wiederholte Feier der Geheimnisse « (Quod semel factum in rebus veritas indicat, hoc saepius celebrandum in cordibus piis solemnitas renovat [Sermo 220 in vigil. Paschae II]).

Man kann daher in Wahrheit sagen, dass wir die Geheimnisse Christi in ihrer geordneten Reihenfolge nicht nur zu dem Zwecke betrachten, um die Erinnerung an Tatsachen zu begehen, die ehedem zum Heil der Menschheit geschehen sind, auch nicht nur um Gott den schuldigen Dank und Lobpreis für seine Hulderweise darzubringen oder um das gläubige Gemüt zur Nachfolge Jesu zu begeistern. Wir betrachten sie vorzüglich zu dem Ende, dass unsere Seele an einer bestimmten Lebensstufe der heiligsten Menschheit Christi teilnehme und aus jeder derselben besondere Gnade schöpfe, die der göttliche Meister gerade an sie geknüpft hat, indem er sie als Haupt des mystischen Leibes für alle Glieder verdiente. Deshalb konnte auch Papst Pius X., glorreichen Angedenkens, sagen, dass die tätige Anteilnahme der Gläubigen an den hochheiligen Geheimnissen und am feierlichen und öffentlichen Gebet der Kirche »die vorzüglichste und unentbehrlichste Quelle des christlichen Geistes sei.« Der Statthalter Christi spricht sich in seinem Motu proprio vom 23. Nov. 1903 folgendermaßen aus: »Da es unser lebhafter Wunsch ist, dass der wahre christliche Geist auf jede Weise wieder aufblühe und sich in den Gläubigen lebendig erhalte, ist es vor allem notwendig, für die Heiligkeit und Würde des Gotteshauses zu sorgen, in welchem die Gläubigen sich versammeln, um diesen Geist an seiner ersten und unentbehrlichsten Quelle zu schöpfen, nämlich in der tätigen Anteilnahme an den hochheiligen Geheimnissen und an dem öffentlichen und feierlichen Gebet der Kirche.«  Das ist in der Tat eine sehr wichtige Wahrheit, die leider oft genug nicht beachtet, manchmal sogar geradezu verkannt wird.

Der Mensch kann auf zweifache Weise Jesus Christus, sein göttliches Vorbild, nachahmen. Er kann in rein natürlicher Weise danach streben, so wie man etwa einen Helden, irgendeine berühmte Persönlichkeit nachahmt, die man als menschliches Ideal liebt und bewundert. Es gibt Seelen, die da glauben, dass sie solcherart dem Herrn nachfolgen und die Züge seiner anbetungswürdigen Person in sich ausnehmen müssten. Eine solche Nachfolge Christi würde aber nur unserer eng begrenzten, menschlichen Auffassung entsprechen.

Das hieße vergessen, dass Christus in einem zweiten Sinne für uns vorbildlich ist, dass er göttIiches Vorbild ist. Seine Schönheit und alle Tugenden seiner heiligsten Menschheit wurzeln in der Gottheit und empfangen von dieser all ihren Glanz. Gewiss sollen und können wir, unterstützt durch die Gnade, mit ganzer Kraft danach streben, Christus, den Herrn, verstehen zu lernen, unsere Handlungen, unser ganzes Tugendstreben nach dem seinigen zu richten. Aber das wirkliche und wahre Bildnis des Sohnes vermag nur der Hl. Geist, der »Finger an des Vaters Hand« in den Herzen hervorzubringen, weil unsere Nachfolge Christi eben eine durchaus übernatürliche sein muss.

Der göttliche Werkmeister vollbringt diese Arbeit vor allem in gläubigem, liebeglühendem Gebet. Während wir, gestützt auf den Glauben und beseelt von jener Liebe, die nach Hingabe verlangt, die Geheimnisse Christi betrachten, ist der Geist Christi im innersten Heiligtum der Seele tätig, um sozusagen mit den geheimnisvollen Pinselstrichen seiner göttlichen Wirksamkeit wie mit sakramentaler Kraft die Züge des göttlichen Vorbildes in ihr auszuprägen. Deshalb ist die Betrachtung der Geheimnisse Christi an sich so reich an Gnaden. Deshalb ist der wesentlich übernatürliche Anschluss an diese Geheimnisse, welchen die vom Hl. Geist geleitete Kirche in der Liturgie ihren Gläubigen vermittelt, so lebensspendend und fruchtbar Es gibt keinen sichereren Weg, kein unfehlbareres Mittel, um uns Christo gleichförmig zu gestalten (Siehe das Zitat am Schlusse des Kapitels).

3. Um in reichstem Maße ihre Früchte zu genießen, müssen wir die Liturgie feiern mit den Gesinnungen des Glaubens, der Anbetung und Liebe

Diese Betrachtung der Geheimnisse Christi wird jedoch solch kostbare Frucht nur dann in uns zeitigen, wenn wir die erforderliche Gesinnung mitbringen, die sich wesentlich aus drei Hauptmerkmalen zusammensetzt: Glaube, Ehrfurcht und Liebe.

Erstes und grundlegendes Erfordernis, um in lebendige Berührung mit Christus zu treten, ist der Glaube. Was wir feiern, das sind Geheimnisse, Mysterien, d. h. menschliche, sinnlich wahrnehmbare Zeichen einer unsichtbaren göttlichen Wirklichkeit. Um diese Wirklichkeit zu erfassen und mit ihr in Fühlung zu treten, ist der Glaube notwendig. Christus ist Gott und Mensch zugleich. Das Menschliche ist bei ihm der stete Begleiter des Göttlichen. So offenbart er sich auch in jedem seiner Geheimnisse als Gott und Mensch zugleich. Manchmal sogar verbirgt die Gottheit sich ganz besonders tief, wie z. B. in der Geburt, im bitteren Leiden. Nur der Glaube vermag die äußere Hülle zu durchdringen, nur er ist imstande, in der Gestalt des schwachen Kindleins in der Krippe, im »Verfluchten« (Gal 3,13) am Kreuzesholz, wie in der Verborgenheit der Eucharistie seinen Herrn und Gott zu erkennen; denn »der Glaube muss ersetzen, was der Sinn nicht fassen kann « (Hymnus Pange lingua: Praestet fides supplementum sensuum defectui).

Ohne den Glauben werden wir niemals in die Geheimnisse Christi eindringen, wie wir anderseits im Besitze des Glaubens die Zeitgenossen des Herrn um nichts zu beneiden haben. Wohl sehen wir den Herrn nicht mit leiblichen Augen, wie sie ihn sahen. Der Glaube aber lässt uns ihn schauen, liebend bei ihm verweilen und ihm nicht minder wirksam vereint sein als jene, die einst mit ihm lebten. Wir möchten manchmal sagen: »O hätte ich doch zu jener Zeit gelebt. O, hätte ich ihm folgen dürfen mit den Scharen seiner Jünger, ihm dienen wie Martha, lauschend zu seinen Füßen sitzen dürfen wie Maria!« Er selbst aber hat gesagt: »Selig, die nicht sehen und doch glauben« (Joh 20, 29).

Warum sind solche selig? Weil der Verkehr mit Christus im Glauben nicht weniger nutzbringend ist für unsere Seelen, noch auch vor allem nicht weniger glorreich für Jesus, dem wir durch unsern Glauben huldigen, obwohl wir ihn nicht sehen. Wir haben keine Veranlassung die Jünger zu beneiden; durch den Glauben sind wir ihm ebenso nahe wie jene, die ihn einst mit leiblichen Augen geschaut, mit ihren Händen berührt haben.

Man kann sogar sagen, dass das Maß des Glaubens das Maß der Gnade bestimmt, die uns aus der Teilnahme an den Geheimnissen Christi zuteil wird. So war es auch, als Jesus auf Erden weilte. Alle, die mit ihm lebten, mit ihm in persönliche Berührung kamen, wie die Hirten und die Weisen an der Krippe, die Apostel und Juden während seines öffentlichen Lebens, der Liebesjünger und Magdalena unter dem Kreuze, die Jünger, denen er nach der Auferstehung erschien und die ihn auffahren sahen in den Himmel: Sie alle, die ihn suchten, empfingen seine Gnade nach dem Maße ihres Glaubens. Nur dem Glauben wird Erhörung, nur für ihn wirkt Christus seine Wunder. Das Evangelium zeigt auf jeder Seite, dass er den Glauben zur unerlässlichen Bedingung für den Empfang der Gnade macht.

Wir sind jetzt nicht mehr in der Lage, mit leiblichen Augen Jesus zu sehen: Ist er ja in den Himmel zurückgekehrt! Der Glaube aber tritt an die Stelle des Schauens und dieser Glaube mit Liebe gepaart ist für uns, wie einst für die Zeitgenossen des Herrn, der Gradmesser unserer Vereinigung mit Christus. Diese wichtige Wahrheit sollte man nie vergessen. Jesus Christus, ohne den wir nichts vermögen und aus dessen Fülle wir alles empfangen, wird uns nur nach dem Maße unseres Glaubens Anteil gewähren an seiner Gnade. »Nicht mit leiblichen Schritten kommen wir Christus nahe, sondern durch den Glauben« sagt der hl. Augustin (Non enim ad Christus ambulando currimus sed credendo [Tract. in Joan. 26,3]). Je lebendiger und tiefer also unser Glaube an den menschgewordenen Gottessohn ist, desto inniger vereinigen wir uns mit Christus, dem Herrn.

Der Glaube weckt Ehrfurcht und Liebe, Gesinnungen, die der Stellungnahme unserer Seele Christo gegenüber die Vollendung geben.

Wir sollen uns dem Herrn nahen mit unaussprechlicher Ehrfurcht. Jesus Christus ist Gott, also der Allmächtige. Er ist das unendliche Sein, das alle Weisheit, alle Gerechtigkeit und Vollkommenheit in sich begreift. Er ist der Schöpfer des Alls, wie sein Endziel; er ist der unerschöpfliche Born aller Seligkeit. Immer und überall bleibt Jesus unser Gott und Herr. Auch wenn er sich mit unendlicher Güte und Freigebigkeit zu uns herablässt, bleibt er doch immer der höchste Herr, vor dem die Seraphim ihr Antlitz verhüllen, »die Herrschaften anbeten, die Mächte erzittern«. In der Krippe lässt er sich liebkosen. Das Evangelium berichtet uns, »wie die Scharen von allen Seiten ihn umdrängten« (Mk 5, 30); während seines bitteren Leidens erduldet er grausame Backenstreiche, Schläge und Beleidigungen, und dennoch ist er immer der eingeborene Gottessohn. Da man ihn geißelt, ihm ins Gesicht speit, da er elend am Kreuz stirbt, immer und überall bleibt er der allmächtige Schöpfer des Weltalls, die ewige Weisheit, die Himmel und Erde regiert. Welche Seite des Evangeliums wir auch lesen, welches Geheimnis wir feiern mögen, immer ist Jesus unser Gott, dem wir tiefste Anbetung schulden!

Wenn unser Glaube lebendig ist, wird die Ehrfurcht uns anbetend vor dem Gottmenschen in den Staub werfen. »Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes« (Mt 16,16), »und niedersinkend betete er ihn an« (Joh 9, 38).

Wie schon gesagt, wurzeln alle Geheimnisse Christi in der Liebe. Die Demut der Krippe von Bethlehem, das verborgene Leben in Nazareth, die Mühen des öffentlichen Lebens, die Qualen der Kreuzigung, die Herrlichkeit der Auferstehung, all das ist geschehen aus Liebe. »Da er die Seinen liebte, bewies er ihnen seine Liebe bis ans Ende« (Joh 13, 1). Liebe vor allem ist es, die sich in den Geheimnissen Christi offenbart und ihre Triumphe feiert. Nur die Liebe ist es auch, die diese Geheimnisse zu begreifen vermag. »Wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt« (Joh 4, 16).

Um reichen Gewinn aus der Betrachtung der Geheimnisse zu ziehen, müssen wir uns in dieselben gläubig und ehrfurchtsvoll versenken, und dies vor allem mit inniger Liebe, mit jener Liebe, die nach Hingabe verlangt, die sich rückhaltlos dem Wohlgefallen Gottes überlässt und bereit ist, seinen Willen zu erfüllen.

Nur dann wird diese Betrachtung wirklich fruchtbringend. »Wer mich liebt, dem werde ich mich offenbaren« (Joh 14, 21), so sprach der Heiland und das will besagen, dass er die Geheimnisse seiner Gottheit dem erschließen werde, der ihn mit gläubigem Herzen liebt und seine heiligste Menschheit in allen Lebenslagen betrachtet.

Selig, dreimal selig die Seele, an der sich diese herrliche Verheißung erfüllt! Jesus Christus wird ihr die »Gabe Gottes« (Joh 4, 10) »offenbaren durch seinen Geist, der die Tiefen Gottes erforscht« (1 Kor 2, 10); er wird sie einführen in die Wunder »des Geheimnisses, das verborgen war von Ewigkeit in Gott« (Eph 3,9). Er wird auftun »die Weinkeller des Königs« (Hld 1,3), die das Hohelied besingt, wo alles Dürsten der Seele gestillt wird in Wahrheit und Wonne. Freilich ist diese innige Offenbarung, durch welche Jesus sich der Seele mitteilt, hienieden wohl nicht gleichbedeutend mit der seligen Anschauung, die das Vorrecht der himmlischen Verklärung bleibt, aber sie erfüllt die Seele mit göttlichem Licht, das sie stärkt für den Aufstieg zu Gott, »um zu erkennen auch die alles Erkennen übersteigende Liebe Christi, damit sie erfüllt werde mit der ganzen Fülle Gottes« (Eph 3, 19).

Hier ist in Wahrheit die Quelle lebendigen Wassers, das emporquillt ins ewige Leben; denn »das ist in Wahrheit ewiges Leben, dass wir dich, o Gott, erkennen und den, den du gesandt hast, deinen Eingeborenen«, dass wir mit Herz und Mund und Werk bekennen, dass Jesus dein vielgeliebter Sohn ist, an dem du dein Wohlgefallen hast und in dem wir alles haben und alles finden sollen!ANMERKUNG: »Die Feste sind eingesetzt, um in feierlicher Gemeinsamkeit Gott in seinen heiligen Tempeln den höchsten Dienst der Anbetung, des Lobes, des Dankes und der Sühne zu leisten. In diesem Gottesdienst sind Zeremonien, Texte und Gesänge, sowie die äußere Gliederung in allen ihren Einzelheiten so weise angeordnet und den Umständen angepasst, um die Geheimnisse, Wahrheiten und Begebenheiten, die eben gefeiert werden, dem Geiste der Gläubigen einzuprägen und ihn zu entsprechenden Anmutungen und werktätigem Eifer anzuregen. Wenn die Gläubigen hierüber besser unterrichtet und beflissen wären, die Geheimnisse im Geiste der Kirche und mit der Kirche zu begehen, so ließe sich eine Erneuerung und sichtbare Zunahme des Glaubens, der Frömmigkeit und religiösen Bildung erreichen, der zufolge auch das innere Leben der Christen neu geweckt und gestärkt würde. - So möge sich denn jeder gute Christ bemühen, dank der Predigt oder eines geeigneten Buches den Geist der einzelnen Feste verstehen zu lernen und ihn sich anzueignen, indem er Gegenstand und Zweck jedes einzelnen Festes sich vergegenwärtigt, die Wahrheit und Kraft, das Wunder und den Segen, die es enthält, betrachtet und auf alle Weise daraus lernt, an der eignen Vervollkommnung zu arbeiten. So wird er Gott, unsern Herrn Jesus Christus, seine heiligste Mutter und alle Heiligen immer besser kennen und inniger lieben lernen. Er wird die Predigt, die Liturgie, die hI. Kirche höher schätzen und sich bemühen, die gleichen Gesinnungen auch in andern zu fördern. Jedes Fest wird ihm zu einem Tag des Herrn werden, zu einem Hochfest wahrer Herzensfreude, das seinen Geist kräftigt, neubelebt und mit frischem Mut erfüllt, die Leiden, Sorgen und Plagen der Woche in Sonntagsstimmung zu tragen « (Aus dem »Katechismus der christI. Lehre«, herausgegeben auf Befehl seiner Heiligkeit Pius X.).

TEIL I: DIE PERSON CHRISTI

Jesus Christus ist zuerst und vor allem Sohn Gottes

III. IM SCHOßE DES VATERS

Die Geheimnisse Christi sind auch die unsern. Christus will sich unserer Seele so innig verbinden, dass zwischen ihm und uns alles gemeinsam sei. Mit göttlicher Freigebigkeit will Christus uns Anteil geben an all den unerschöpflichen Gnaden des Heiles und der Heiligung, die er durch jedes seiner Geheimnisse uns verdient hat, damit wir dadurch sozusagen Teilhaber seiner göttlichen Stellung werden und zu immer größerer Ähnlichkeit mit ihm gelangen; diese Ähnlichkeit ist ja das sichere Pfand unserer ewigen Auserwählung.

Christus ist durch verschiedene Lebensstufen und Zustände hindurchgegangen; er war Kind und Jüngling, Lehrer der Wahrheit und Opferlamm am Kreuz, glorreicher Held in der Auferstehung und Himmelfahrt indem er in seinem Leben alle Altersstufen durchschritten hat, hat er das ganze Menschenleben geheiligt.

Ein Wesensmerkmal aber, eine Stellung hat er nie verlassen: er ist immer »der eingeborene Sohn Gottes, der da lebt im Schoße des Vaters« (Joh 1,18).

Christus ist der menschgewordene Sohn Gottes: Das Wort ist Fleisch geworden. Vor seiner Menschwerdung war er Gott und als er Mensch wurde, hörte er nicht auf Gott zu sein. »Er blieb, was er war«, sagt eine Antiphon am Fest der Beschneidung. Ob wir ihn sehen als hilfloses Kindlein in der Krippe, bei harter Arbeit in der Werkstätte von Nazareth, in den Tagen, da er lehrend und Wunder wirkend Israel durchwanderte, oder in seiner Todesnot am Kreuz, ob wir ihn sehen als glorreichen Sieger über den Tod oder aufsteigend gegen Himmel, immer und überall ist Christus der Eingeborene des Vaters.

Bevor wir uns daher mit den Geheimnissen der Menschwerdung befassen, müssen wir zunächst in tiefster Ehrfurcht seine Gottheit betrachten; denn alle Geheimnisse Jesu gründen auf seiner Gottheit; von ihr kommt ihnen alle Schönheit und alle fruchtbringende Kraft.

Es ist ein auffallender Unterschied zwischen dem Beginn des Evangeliums vom hl. Johannes und jenem der andern drei Evangelisten. Diese letzteren beginnen ihren Bericht mit dem Geschlechtsregister des Herrn und weisen seine irdische Abstammung aus dem Königshaus Davids nach. Der hl. Johannes aber verschmäht es, auf der Erde zu wandeln. Dem Adler gleich erhebt er sich in wundervollem Flug bis in die höchsten Höhen des Himmels, um uns die Geheimnisse zu künden, die sich im Allerheiligsten der Gottheit selbst vollziehen.

Bevor er vom irdischen Leben Jesu zu erzählen beginnt, zeigt uns dieser Evangelist, was Christus vor seiner Menschwerdung war. »Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. « Und um uns über den Wert dieses Zeugnisses keinen Zweifel zu lassen, setzt er bedeutungsvoll hinzu: »Niemand hat je Gott gesehen Der Eingeborene, der im Schoße des Vaters ist, er hat uns Kunde von ihm gebracht.« 

Drei Jahre lang hat Jesus mit seinen Jüngern gelebt und ihnen die göttlichen Geheimnisse erklärt. Am Vorabend seines Leidens erinnerte er sie daran und bezeichnete diese Mitteilung göttlicher Geheimnisse als ein Pfand besonderer Freundschaft, das er ihnen und allen, die auf ihr Wort an ihn glauben würden, geben wolle: »Ich habe euch Freunde genannt; denn alles, was ich von meinem Vater gehört habe, das habe ich euch geoffenbart« (Joh 12,15).

Wenn wir erkennen wollen, wer Jesus ist und war, müssen wir also nur jenen Jünger hören, der uns Christi Worte übermittelt hat oder richtiger gesagt, wir müssen den Herrn selbst hören. Aber das muss geschehen in Glauben, Liebe und Ehrfurcht; denn jener, der sich uns zu erkennen gibt, ist wahrhaft Gottes Sohn.

Die Worte, die Christus uns kundgibt, sind nicht derart, dass nur das leibliche Ohr sie vernehmen kann; es sind himmlische Worte, Worte des ewigen Lebens. »Die Worte, die ich zu euch geredet habe, sind Geist und Leben« (Joh 6, 64). Nur demütiger Glaube kann sie fassen.

Wir können uns daher nicht wundern, dass diese Worte uns hochheilige Geheimnisse offenbaren; denn so wollte es Jesus. Er hat sie gesprochen, um uns durch sie mit sich zu vereinen; darum sollten die heiligen Schriftsteller sie aufbewahren. Und er sendet seinen Hl. Geist, der »die Tiefen der Gottheit durchdringt« (1 Kor 2,10), »um sie uns ins Gedächtnis zu rufen« (Joh 14, 26), damit wir »in aller geistlichen Weisheit und Einsicht« (Kol 1,9) die Geheimnisse seines innergöttlichen Lebens in etwa begreifen und verkosten möchten. Die Teilnahme an diesem Leben bildet ja den Grundgedanken des Christentums und das Wesen aller Heiligkeit.

1. Der Glaubenssatz von der Fruchtbarkeit im innergöttlichen Leben: Gott ist Vater

Der Glaube enthüllt uns das wunderbare Geheimnis, dass es nämlich eine Vollkommenheit des innergöttlichen Lebens ist, fruchtbar zu sein. Gott ist die Fülle alles Seins, der uferlose Ozean alles Lebens und aller Vollkommenheit. Die unbeholfenen Bilder, womit der Mensch ihn zu schildern versucht, die Gleichnisse, die wir den schönsten Werken der Natur entnehmen, um ihn zu versinnbilden, sind außerstande, Gott darzustellen. Um sich zu einer Vorstellung aufzuschwingen, die der unendlichen Größe Gottes einigermaßen angemessen ist, genügt es nicht, die Grenzen des geschaffenen Seins bis ins Unendliche zu erweitern, wir müssen überhaupt alle Schranken ausdrücklich und bestimmt verneinen, um uns in etwa zu einem nicht allzu mangelhaften Begriff von der Unendlichkeit Gottes zu erheben: Gott ist das Sein, das notwendige Sein, das aus sich selbst das Dasein hat und die Fülle aller Vollkommenheit in sich begreift.

Die Offenbarung aber enthüllt uns ein weiteres Wunder. Gott ist fruchtbar. Es gibt in ihm eine ganz geistige, unaussprechliche Vaterschaft. Er ist Vater, Ursprung alles innergöttlichen Lebens in der allerheiligsten Dreifaltigkeit.

Gott ist die unendliche Erkenntnis. Er begreift sich, Gott selbst, in vollkommenster Weise. Mit einem einzigen Blick überschaut er sein ganzes Wesen, was er ist und was er in sich birgt. Er sieht sozusagen mit einem einzigen Blick die ganze Fülle seiner Vollkommenheit und mit einem Gedanken, einem Worte, das diese seine Erkenntnis erschöpft, bringt er in sich selbst sein unendliches Erkennen zum Ausdruck. Dieser, der ewigen Erkenntnis entsprungene Gedanke, dieses Wort, womit Gott sich selbst vollkommen ausspricht, ist das Verbum, das Wort Gottes. Der Glaube aber sagt uns, dass dieses Wort Gott ist; denn es hat, oder besser gesagt, es ist mit dem Vater die gleiche, göttliche Natur.

Weil der Vater diesem Wort Gottes eine Natur mitteilt, die der seinen nicht bloß ähnlich, sondern wesensgleich ist, daher sagt die Hl. Schrift, dass der Vater dieses Wort zeugt, und nennt es daher den Sohn Gottes. Aus der Hl. Schrift klingt Gottes Stimme heraus in unendlichem Entzücken über seine göttliche Vaterschaft, »Aus dem Schoße meiner Gottheit habe ich dich erzeugt« (Ps 110, 3). »Du bist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe« (Mk 1, 11; Lk 3, 22); denn in der Tat, der Sohn ist ganz vollkommen; er teilt mit dem Vater alle göttlichen Vollkommenheiten, ausgenommen nur die Vaterschaft; er ist so durchaus vollkommen, dass er dem Vater gleich ist durch die Einheit der Natur. Die geschaffenen Wesen können anderen durch Zeugung nur eine ihnen ähnIiche Natur geben. Gott aber zeugt Gott und gibt ihm seine eigene Natur. Gottes Herrlichkeit ist es, dass er Unendliches erzeugt und sich in einem Wesen wiederfindet, das ihm gleich ist - so gleich, dass es einzig ist; denn die göttliche Natur ist nur eine, und dieser Sohn erschöpft deren ewige Fruchtbarkeit. Er ist der eingeborene Sohn Gottes; darum ist er eins mit dem Vater: »Ich und der Vater sind eins« (Joh 10, 36).

Dieser vielgeliebte, dem Vater wesensgleiche und zugleich von ihm unterschiedene Sohn, der gleich dem Vater eine göttliche Person ist, trennt sich nicht vom Vater. Das Wort lebt ewig in dem unendlichen Geist, der es hervorbringt. Der Sohn bleibt ewig im Schoße des Vaters, der ihn zeugt: »Der eingeborene Sohn Gottes, der im Schoße des Vaters ist.« Er bleibt dort kraft der Einheit der Natur. Er bleibt auch eins mit dem Vater durch die Macht der gegenseitigen Liebe, aus der, wie aus einem einzigen Ursprung, der Hl. Geist hervorgeht, die wesenhafte Liebe des Vaters und des Sohnes.

Das ist der geheimnisvolle Kreislauf der unaussprechlichen Mitteilungen im innergöttlichen Leben der allerheiligsten Dreifaltigkeit. - Der Vater, die Fülle alles Lebens, zeugt den Sohn; vom Vater und vom Sohn, als aus einem Ursprung, geht der Hl. Geist, die Liebe, hervor. Alle drei Personen sind gleich ewig, gleich vollkommen, gleich weise, gleich mächtig und heilig, denn allen eignet ein und dieselbe göttliche Natur.

Jede der drei göttlichen Personen aber hat ihre ausschließlichen Eigentümlichkeiten - die Vaterschaft, die Sohnschaft und das Ausgehen vom Vater und vom Sohn -, die zwischen ihnen die unaussprechlichen Beziehungen (Relationen) herstellen und sie gleichzeitig voneinander unterscheiden. Es gibt in der allerheiligsten Dreifaltigkeit eine Ordnung dem Ursprung nach, ohne dass von einem Vorrang der Zeit nach oder von einer Überlegenheit des Ranges oder von einem Verhältnis der Abhängigkeit die Rede sein kann.

Das kündet uns die göttliche Offenbarung. Ohne sie hätten wir nie zu solcher Erkenntnis gelangen können. Der Heiland aber hat sich gewürdigt, uns diese Geheimnisse zu enthüllen zur Übung unseres Glaubens und zur Freude unserer Seelen.

Wenn wir einst in der Ewigkeit Gott schauen dürfen, dann werden wir erkennen, dass es zum Wesen des unendlichen Lebens, dass es zum göttlichen Sein gehört, dass Gott einer sei in drei Personen. »Um das ewige Leben zu erlangen, müssen wir den wahren Gott kennen« (Joh 17, 3), jenen Gott, den wir anbeten in der Dreiheit der Person und in der Einheit der Natur.

So kommet denn und lasset uns anbeten diese wunderbare Gemeinschaft in der Einheit, diese geheimnisvolle Gleichheit göttlicher Vollkommenheit in der Verschiedenheit der Personen! Ich bete dich an, o mein Gott, o »Vater unermesslicher Herrlichkeit«, ich bete auch »deinen Sohn an, der wie du würdig ist aller Verehrung«. Er ist dein wahrer Sohn, Gott wie du! Vater und Sohn, ich bete an den Geist, der von euch bei den ausgeht, euer ewiges Band der Liebe. Heiligste Dreifaltigkeit, ein einiger Gott, ich bete dich an! (Vgl. das Te Deum).

2. Die Stellung des göttlichen Wortes im Geheimnis der Trinität: Es geht ganz und gar aus vom Vater, es ist das getreue Abbild des Vaters; es bezieht sich durch die Liebe ganz auf den Vater

Es gilt nun, mit dem Auge des Glaubens das Wort, den Sohn Gottes, zu betrachten, um seine Eigentümlichkeiten besser kennen und bewundern zu lernen. Es ist ja dieser Sohn, der, von Ewigkeit her vom Vater gezeugt, in der Zeit von der Jungfrau geboren werden und als Gottmensch die Geheimnisse unserer Erlösung vollbringen sollte. Wie könnten wir ihm nachahmen und ihm vereint bleiben, ohne ihn vor allem zu kennen?

Der Sohn Gottes ist vom Vater. In der heiligsten Dreifaltigkeit unterscheidet der Sohn sich dadurch vom Vater, dass er Sohn ist, durch die Eigentümlichkeit der »Sohnschaft«.

Wenn wir von einem Menschen sagen, dass er Sohn sei, so stellen wir damit zwei verschiedene Dinge fest, nämlich seine ihm als Einzelwesen eigene Menschennatur und seine Eigenschaft als Sohn. In der Dreifaltigkeit aber ist es nicht so. Der Sohn ist ganz und gar eins mit der göttlichen Natur, die er in unzertrennlicher Weise mit dem Vater und dem Hl. Geiste besitzt. Was ihn vom Vater unterscheidet und im wesentlichen Sinne seine Persönlichkeit ausmacht, ist nicht, dass er Gott ist, sondern dass er Sohn ist; als göttliche Person ist er nur Sohn, ganz und gar Sohn und sonst nichts; er ist sozusagen die lebendige Sohnschaft; er ist einzig nur »Beziehung« zum Vater.

Wie der Vater seine hochheilige Fruchtbarkeit erkennt und verkündet: »Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt« (Ps 2, 7), ebenso erkennt der Sohn, dass er Sohn ist, dass der Vater sein Ursprung, seine Quelle ist und dass alles vom Vater kommt. In dieser Erkenntnis kommt das erste Moment der Stellung des Wortes als Sohn des Vaters zum Ausdruck. Wenn wir das Evangelium, vor allem das des hl. Johannes, aufschlagen, so finden wir, dass es gerade diese Wesenseigenschaft ist, die das menschgewordene Wort Gottes beständig betont und uns vor Augen stellt. Der Heiland verkündet mit Vorliebe, dass er als der eingeborene Sohn Gottes alles vom Vater hat. »Ich lebe durch den Vater«, sagt er zu den Aposteln.

»Meine Lehre habe ich nicht aus mir, sondern von dem, der mich gesandt hat« - »Der Sohn kann nichts aus sich selbst tun; er kann nur tun, was er den Vater tun sieht, was dieser tut, tut gleicherweise der Sohn. Der Sohn tut nichts aus sich selbst. Er richtet so, wie er es hört, und sein Urteilsspruch ist gerecht; denn er folgt nicht seinem Willen, sondern dem Willen dessen, der ihn gesandt hat« ... »Ich stamme von ihm, und er hat mich gesandt« (Joh 6, 5.7.16; 5, 19.30; 8, 28).

Was will der Herr mit diesen geheimnisvollen Worten anders sagen, als dass er als Sohn alles vom Vater hat, dem er also ganz gleich ist. Immer wieder bei allen wichtigen Begebenheiten seines Lebens, wie z. B. bei der Auferweckung des Lazarus, hebt der Heiland seine unaussprechliche Wesensbeziehung zum Vater hervor, die ihn zum eingeborenen Sohn des Vaters macht.

Das tritt vor allem klar zutage in den Reden und Gebeten Jesu beim letzten Abendmahl, da er im Begriff steht, die Reihe seiner Geheimnisse mit dem Kreuzesopfer zu beschließen. Da hebt er ein wenig den Schleier, der uns das göttliche Leben verhüllt und spricht mit heiligem Nachdruck von seiner ewigen Sohnschaft und deren hochherrlichen Vorrechten. »Vater, die Stunde ist gekommen, verherrliche deinen Sohn, damit er auch dich verherrliche ... Verherrliche mich mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war ... Die Menschen, die du mir gegeben hast, wissen, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir ist ... Sie haben wahrhaft erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin ... All das Meinige ist ja dein, und all das Deinige ist mein ... , dass sie eins seien, wie wir eins sind ... Vater, lass jene, die du mir gegeben hast, bei mir sein, dort, wo ich bin, damit sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir verliehen hast; denn du liebtest mich, bevor die Welt war« (Joh 17)!

Welch wunderbare Offenbarung über den Vater und den Sohn und über ihre alles menschliche Begreifen übersteigenden Wesensbeziehungen liegt in diesen Worten! Fürwahr, »wir haben«, so können wir ähnlich wie der hl. Johannes am Schluss seines Evangeliums sagen, »Gott nicht gesehen. Der eingeborene Sohn aber, der im Schoße des Vaters ist, hat uns in etwa die Geheimnisse des innergöttlichen Lebens erschlossen.« Ich glaube, o Herr Jesus Christus, dass du der eingeborene Sohn des Vaters bist, gleicher Gott wie er; ich glaube, aber vermehre du meinen Glauben!

Das Wort ist sodann, wie der hl. Paulus sagt, das Abbild des Vaters, »das Bild des unsichtbaren Gottes« (Kol 1,15), und hierin finden wir ein zweites Moment der Stellung des Wortes ausgedrückt.

Wenn der hl. Paulus aber nun das Wort Abbild des Vaters nennt, so ist das nicht ein beliebiges Bild, sondern das vollkommene, lebendige Gleichbild des Vaters; Das Wort ist »der Abglanz der Herrlichkeit des Vaters und das Gleichbild seines Wesens« (Hebr 1, 3). Es ist, wie der griechische Text so treffend sagt, der »Charakter«, d. h. die Prägung, der vollkommen genaue Abdruck seines Wesens, gleichsam wie das Bild, das der Siegelstock im Wachs abdrückt. Es ist jedes Sohnes Freude und Ehre, ein lebendiges Abbild seines Vaters zu sein. So auch beim Wort Gottes. Der Vater sieht in seinem eingeborenen Sohn das vollkommene Gleichbild seiner göttlichen Eigenschaften; der Sohn strahlt wie ein »Spiegel ohne Makel« (Weish 7,16) alles zurück, was er vom Vater empfangen hat.

Darum sieht der Vater, indem er seinen Sohn betrachtet, in ihm die Fülle seiner eigenen Vollkommenheit, und hingerissen von diesem göttlichen Schauspiel, verkündet er der Welt, dass er an diesem Sohn sein Wohlgefallen hat: »Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe« (Mt 17, 5).

In der Menschwerdung enthüllt das Wort Gottes uns den Vater, offenbart es uns Gott. Als der Herr beim letzten Abendmahle in so ergreifenden Worten zu den Aposteln vom Vater sprach, rief Philippus aus: »Herr, zeige uns den Vater, und es genügt uns.« Und Jesus erwiderte ihm: »So lange bin ich schon bei euch, und ihr kennt mich noch nicht? Philippus, wer mich sieht, der sieht auch den Vater« (Joh 14, 8 ff). Welch tiefe Offenbarung birgt dieses Wort! Es genügt, Jesus, das menschgewordene Wort, zu sehen, um den Vater zu kennen; denn Jesus ist sein Abbild. In seinem menschlichen Tun bringt Jesus alle göttlichen Vollkommenheiten zum Ausdruck, so dass sie unserm schwachen Menschengeiste verständlich werden. O, dass wir oft des Wortes gedächten: »Wer mich sieht, der sieht auch den Vater!« 

Wir werden im folgenden die vorzüglichsten Geheimnisse des Lebens Jesu an unserem Geistesauge vorüberziehen lassen; Es ist Gott, den wir in ihnen betrachten, Gott, das unendliche, allmächtige, allerhöchste Wesen. Das Kindlein in der Krippe, vor dem die Hirten und die Weisen anbetend niedersinken, ist Gott. Der Jüngling, der wie ein gewöhnlicher Handwerksmann in einer kleinen Werkstätte arbeitet, ist Gott. Jener Mann, der die Kranken heilt, das Brot auf wunderbare Weise vermehrt, der Sünden vergibt und Seelen rettet, er ist Gott. Gott ist auch jener Prophet, den seine Feinde mit grimmem Hass verfolgen, Gott ist es, der am Ölberg in Todesangst gepeinigt, gegen Furcht und Trauer kämpft, Gott, der als Missetäter am Kreuz stirbt, Gott auch, der in der kleinen Hostie im Tabernakel ruht und den ich in der hl. Kommunion empfange. »Wer mich sieht, der sieht auch den Vater.« 

Das Gleiche gilt von all jenen Vollkommenheiten, die im Leben und in den Geheimnissen Jesu sich offenbaren. Diese Weisheit, die alle zuschanden macht, die Macht, die die Menge erstaunt und begeistert, die grenzenlose Barmherzigkeit gegen die Sünder, die unerschöpfliche Güte, die jede Beleidigung erträgt, der verzehrende Eifer für die Gerechtigkeit, die unerschütterliche Geduld bei allen Angriffen, die Liebe, die sich hingibt und ausliefert, all dieses sind Vollkommenheiten Gottes, unseres Gottes; denn »wer Jesus sieht, der sieht den Vater«, der sieht Gott.

Am Schluss seines hohepriesterlichen Gebetes spricht Christus zu seinem Vater: »Vater, ich habe meinen Jüngern deinen Namen kundgetan und werde ihn noch weiter kundtun, damit die Liebe, mit der du mich liebtest, in ihnen sei« (Joh 17, 26). 0 Jesus, göttlicher Heiland, zeige in deinen Geheimnissen auch uns den Vater, seine Schönheit, seine Größe, seine Gerechtigkeit und seinen Willen. Offenbare uns, was er dir ist und was er uns ist, damit wir ihn und er uns liebe. Darum allein bitten wir: »Zeige uns den Vater, und es genügt uns!« 

Das Wort bezieht endlich sich selbst durch die Liebe auf den Vater, und hierin spricht sich nun das dritte und letzte Moment der Sohnesstellung aus.

In der allerheiligsten Dreifaltigkeit ist die Liebe des Sohnes zum Vater eine unendliche. Das ewige Wort verkündet, dass es alles vom Vater hat, und ebenso bezieht es alles in Liebe zurück auf den Vater. Aus dieser liebenden Hingebung, die der Liebe des Vaters entgegenkommt, geht die dritte göttliche Person hervor, die von der Offenbarung mit dem geheimnisvollen Namen »der Hl. Geist« bezeichnet wird, der da ist die wesenhafte Liebe von Vater und Sohn.

Die Liebe Jesu zu seinem Vater hat sich in seinem Erdenleben in unaussprechlicher Weise gezeigt. Das ganze Leben des Herrn, all seine Geheimnisse lassen sich in das eine Wort des hl. Johannes zusammenfassen: »Ich liebe den Vater« (Joh 14,31). Und den Aposteln hat der Heiland den untrüglichsten Prüfstein der Liebe mit den Worten gegeben: »Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe.« Als Beispiel hierfür stellt er sich selbst hin: » ... wie ich auch die Gebote meines Vaters halte und in seiner Liebe bleibe« (Joh 15, 10). Jesus war immerdar in der Liebe des Vaters, weil er allezeit nur dessen Willen erfüllt hat. Der hl. Paulus sagt uns ausdrücklich, dass die ersten Regungen des menschgewordenen Wortes, der erste Schlag seines Herzens eine Regung der Liebe war: »Siehe, ich bin gekommen, Vater, deinen Willen zu erfüllen« (Hebr 10, 7). In diesem ersten Augenblick seines irdischen Lebens überschaute die Seele Jesu die ganze Reihe seiner Geheimnisse und die Summe aller Art von Erniedrigungen, Mühen und Leiden, aus denen sie gebildet waren. Und durch einen einzigen Akt hat seine Seele eingewilligt, dieses Lebensprogramm zu verwirklichen.

Diese liebende Hinordnung auf den Vater hat nie aufgehört. Der Heiland konnte von sich sagen: »Ich tue allezeit, was ihm wohlgefällt« (Joh 8,29). Er hat buchstäblich alles erfüllt, was der Vater von ihm verlangte, er hat aus seiner Hand alles angenommen, auch den bittern Todeskelch. »Nicht mein Wille geschehe, sondern der deine« (Lk 22, 42). Den schmachvollen Tod am Kreuz leidet er nach seinen eigenen Worten: »Damit die Welt erkenne, dass ich den Vater liebe und dass ich so tue, wie der Vater mir aufgetragen hat« (Joh 14, 31). Und als er alles vollendet hat, gilt auch sein letzter Herzschlag, auch sein letzter Gedanke dem Vater: »Vater, in deine Hände empfehle ich meinen Geist.« 

Die Liebe Jesu zum Vater ist der Grundton seines ganzen Lebens und erklärt all dessen Geheimnisse

3. Wir sind dazu berufen, dem Wort Gottes im gewissen Sinne auch in dieser seiner innertrinitarischen Stellung ähnlich zu werden

Dieses göttliche Wort ist unser hehres Ideal, das Vorbild unserer Vorherbestimmung. Auch nach der Menschwerdung bleibt es, was es ist, das ewige Wort des Vaters. Unsere Nachfolge Christi muss sich daher nicht nur auf seine menschlichen Tugenden, sondern in gewissem Sinne auch auf sein göttliches Sein erstrecken.

Wie Christus und mit Christus müssen wir erstens daher zunächst anerkennen und verkünden, dass er alles vom Vater empfängt.

Als der Heiland beim letzten Abendmahl für seine Jünger betete, empfiehlt er sie dem Vater mit den Worten: »Vater, die du mir gegeben hast, sie haben jetzt erkannt, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir ist ... sie haben wahrhaft erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin und sie haben geglaubt, dass du mich gesandt hast. Für sie bitte ich.« Das menschgewordene Wort will, dass wir die Tatsache anerkennen, »dass er alles, was er hat, vom Vater empfängt. Er hat dies so oft seinen Jüngern gesagt. Dies mit ihm verkünden, heißt ihm wohlgefällig sein. Beim gleichen letzten Abendmahl sagt der Heiland wiederum zu seinen Jüngern: »Der Vater liebt euch.« Könnte es ein lieberes, vertrauenerweckenderes Wort geben als dieses? Kommt es nicht aus dem Munde dessen, der die Geheimnisse des Vaters kennt? »Der Vater liebt euch.« Und welches ist der Beweggrund dieser Liebe? »Weil ihr mich geliebt und geglaubt habt, dass ich vom Vater ausgegangen bin« (Joh 16, 27). Die sicherste Weise, Gott zu gefallen, ist also der Glaube, und zwar ein lebendiger Glaube, der sich im hingebenden Gottesdienst offenbart, - der Glaube nämlich, dass Jesus, das menschgewordene Wort, vom Vater ausgegangen ist.

Wir sollten darum oft und gerne in tiefster Ehrfurcht, besonders nach Empfang der hl. Kommunion die Worte des Credo beten: Jesus Christus, du bist das Wort, das aus dem Vater geboren ist von Ewigkeit, Gott von Gott, Licht vom Lichte, wahrer Gott, vom wahren Gott, erzeugt, nicht erschaffen, gleichen Wesens mit dem Vater, durch den alles gemacht ist. So singe ich lobpreisend mit dem Munde. Gib mir, o Herr, die Gnade, diesen Glauben auch durch meine Werke zu verkünden!

Wir müssen sodann anerkennen, dass auch wir alles vom Vater empfangen und zwar in zweifacher Eigenschaft: als Geschöpfe und als Kinder Gottes.

Als Geschöpfe ! Die Schöpfung ist zwar ein Werk der ganzen heiligsten Dreifaltigkeit, doch wird sie vor allem dem Vater zugeschrieben (Marmion, Spiegel, Christus das Leben der Seele. 3. Aufl. S. 122. Schöningh, Paderborn 1928). Der Grund davon ist, dass im innergöttlichen Leben der Vater Ausgang für den Sohn und zugleich mit dem Sohn Ausgang für den Hl. Geist ist. Daher werden die äußeren Werke, welche vor allem das Merkmal eines Ursprungs an sich tragen, in besonderer Weise dem Vater zugeeignet. »Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer des Himmels und der Erde.« Die ganze Schöpfung ist aus der Hand des Vaters hervorgegangen, nicht etwa als ein Ausfluss seines Wesens, wie die Pantheisten meinen, sondern so, dass Gott sie aus nichts hervorgebracht hat durch die Kraft seiner göttlichen Allmacht.

Es ist uns von größtem Nutzen, diese Abhängigkeit immer wieder zu beherzigen und zu preisen. Gott bedarf unseres Lobes nicht, aber es ist recht und billig, weil unserer Stellung als Geschöpf entsprechend, dass wir uns dankend zu dem erheben, der uns Sein und Leben verliehen hat. »O, mein Gott, du hast mich erschaffen! Deine Hände haben mich gebildet« (Job 10, 8); was ich habe, Leib und Seele, Verstand, Freiheit und Gesundheit, alles habe ich von dir. Du bist mein Ursprung; ich bete dich an und danke dir; ich gebe mich ganz dir anheim, um deinen Willen zu erfüllen.

Vor allem aber müssen wir als Kinder Gottes diese Einstellung haben. Seinem ewigen, göttlichen Sohn hat der Vater aus unendlich freier Liebe Kinder der Gnade zugesellen wollen. Er hat uns zu Kindern angenommen, so dass wir einst an seiner eigenen, göttlichen Seligkeit teilnehmen dürfen. Das ist ein unbegreifliches Geheimnis. Aber der Glaube lehrt uns, dass jede Seele in der Taufe mit der heiligmachenden Gnade »an der Natur Gottes Anteil erhält« (2 Petr 1,4). Sie wird in Wahrheit ein Kind Gottes. »Ihr seid Götter und insgesamt Söhne des Allerhöchsten« (Ps 82, 6; Joh 10, 34). Der hl. Johannes spricht von »einer Geburt aus Gott« (Joh 1,13), nicht im eigentlichen Sinne wie von jener des Sohnes, der im Schoße des Vaters erzeugt ist, aber in ähnlicher Weise. »Aus freiem Willen hat er uns durch das Wort der Wahrheit gezeugt« (Jak 1,18).

Wir sind also wirklich und wahrhaft Kinder Gottes durch die Gnade. Wie das ewige Wort des Vaters und mit ihm, können auch wir sagen: »Dein Kind bin ich, ewiger Vater, von dir bin ich ausgegangen.« Das »Wort Gottes« spricht so mit innerer Notwendigkeit, von Rechts wegen, weil es der wesensgleiche Sohn Gottes ist. Wir aber können so sagen aus Gnade, als angenommene Kinder. - Das göttliche Wort spricht so von Ewigkeit her; wir haben in der Zeit angefangen, so zu sagen, wenngleich auch der Ratschluss Gottes über unsere Auserwählung ein ewiger ist; - für das göttliche Wort bedeutet diese Sprache einzig die Beziehung des Ursprungs, für uns bezeichnet sie die Abhängigkeit. Für uns jedoch wie für das göttliche Wort handelt es sich um eine wahrhaftige Sohnschaft; denn wir sind durch die Gnade Kinder Gottes. Gott will, dass wir trotz unserer Armseligkeit ihn Vater nennen. »Weil ihr nun Söhne seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in euer Herz, der da ruft: ,Abba, Vater'« (Gal 4,6)! Deswegen also sandte er den »Geist seines Sohnes«! Dieses Kindeslallen gefällt unserm himmlischen Vater. Unsere Gotteskindschaft ist eine unbegreifliche, aber unleugbare Wahrheit. »Sehet, welche Liebe uns der Vater erwiesen hat«, ruft der hl. Johannes aus (1 Joh 3, 1) »Wir heißen Kinder Gottes und sind es auch.« 

Um diese Annahme an Kindes Statt sicher zu stellen, um diese Kindschaft der Liebe zu verwirklichen, überhäuft Gottes unendliche Freigebigkeit unseren Erdenweg mit himmlischen Gnadenerweisen, als da sind: das Geheimnis der Menschwerdung, die hl. Kirche, die Sakramente, besonders die hl. Eucharistie, die Erleuchtungen des Hl. Geistes, so dass man sagen kann: »Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk steigt hernieder vom Vater des Lichtes« (Jak 1,17).

Dieser Gedanke muss die Seele mit innigstem Vertrauen erfüllen, aber auch mit tiefster Demut. Wir müssen gleichsam all unser Tun von Gott ausgehen lassen, all unser eigenes Denken und Wollen, unser Urteil ihm zu Füßen legen, um nichts mehr zu denken, zu tun oder zu wollen, als was Gott will. War dies nicht die Handlungsweise Jesu? Das menschgewordene Wort »tat nur, was es den Vater tun sah« (Joh 5,19). Ähnlich muss es auch bei uns sein. Wir müssen daher all unser ungeregeltes Streben Gott zum Opfer bringen. Das Verlangen, aus uns selbst etwas zu sein, die Sucht, das eigene Ich zur Geltung zu bringen, sich auf eigene Kraft stützen zu wollen. Vor allem aber müssen wir bei all unserem Tun den Beistand unseres Vaters im Himmel anrufen, so wie auch Jesus getan.

Das ist die Huldigung in der Tat und Wahrheit, durch welche wir unsere Abhängigkeit von unserem Vater anerkennen, der auch unser Gott ist, und bezeugen, wie Christus und mit ihm, dass alles, was wir haben, vom Vater ist. »Alles, was du mir gegeben hast, ist von dir« (Joh 17, 7).

Wir müssen - das ist das Zweite - das göttliche Wort auch nachahmen, insofern es Abbild des Vaters ist. - Die Hl. Schrift sagt, dass Gott uns nach seinem Bild und Gleichnis erschaffen hat. Wir tragen als Geschöpfe Spuren der göttlichen Macht, Weisheit und Güte in uns.

Vor allem aber werden wir Gott ähnlich durch die Heiligmachende Gnade. Diese Gnade ist ja nach dem hl. Thomas nichts anderes als eine uns mitgeteilte Ähnlichkeit mit der göttlichen Natur (Participata similitudo divinae naturae. [S. Thom. S. th. III. q. 62 a. 1]). Die Gnade macht, wie die Theologen sagen, deiformis, d. h. sie macht uns Gott ähnlich. Beim Anblick des ewigen Wortes ruft der Vater, entzückt von der Vollkommenheit dieses seines Sohnes, der von ihm ausgeht und sein wesensgleiches Abbild ist, aus: »Du bist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe.« Ähnliches geht vor, wenn Gott auf eine Seele blickt, die mit der Heiligmachenden Gnade geschmückt ist. Er hat sein Wohlgefallen an ihr. »Mein Vater wird ihn lieben und wir werden kommen und Wohnung bei ihm nehmen« (Joh 14, 23).

Die heiligmachende Gnade ist das erste und grundlegende Merkmal unserer Verähnlichung mit Gott, der Wiedergabe des Gottesbildes in uns. Wir sollen aber auch Abbild unseres himmlischen Vaters sein durch unser Tugendstreben. Der Heiland selbst sagt: »Seid vollkommen wie euer Vater im Himmel vollkommen ist« (Mt 5,48). Das will sagen: Seid gut, milde und barmherzig gleich ihm; dann werdet ihr die Züge seines Bildes in euch tragen. So sagt auch Paulus im Anschluss an den Herrn: »Seid Nachahmer Gottes als seine geliebten Kinder« (Eph 5, 1).

Gewiss ist diese Ähnlichkeit den körperlichen Sinnen nicht wahrnehmbar, wenn sie sich auch im heiligmäßigen Wandel nach außen kundgibt. Sie hat ihren Sitz in der Seele, wo sie sich immer vollkommener ausbildet. Hienieden ist ihr Glanz verborgen, ihre Schönheit verhüllt. Einmal aber wird sie aufleuchten und aller Augen sichtbar werden. »Wenn wir Gott schauen, wie er ist, dann werden wir ihm ähnlich sein« (1 Joh 3, 2); denn an jenem Tage werden wir als ganz lichter, ungetrübter Spiegel seiner Gottheit erscheinen.

Endlich müssen wir - das ist das Dritte - wie das Wort Gottes unser ganzes Sein zurückbeziehen auf den Vater durch die Liebe. Wir empfangen von Gott alles durch die Gnade. Unsere Liebe aber soll alles wieder zu Gott zurückführen. Gott soll nicht nur der Ursprung, sondern auch das Ziel unserer Handlung sein.

Unsere Werke gefallen dem Vater im Himmel nur insoweit, als sie von der Liebe belebt sind. Bei allem, was wir tun, es sei groß oder klein, offen oder verborgen, dürfen wir nur die Verherrlichung des Vaters suchen, nur die größere Ehre seines Namens im Auge haben, nur darauf hinzielen, sein Reich in uns und andern zu befestigen und seinen göttlichen Willen zu erfüllen. Das ist das Geheimnis aller Heiligkeit.

4. Christus ist das von Gott gesetzte Mittel, um die Teilnahme an der Kindschaft des göttlichen Wortes in uns zu verwirklichen

Die Gnadenwunder der Gotteskindschaft sind so groß und erhaben, dass die menschliche Sprache kein Wort hat, um sie auszudrücken; Es ist ein unfassbares Geheimnis, dass Gott uns als Kinder annimmt. Noch unbegreiflicher aber ist das Mittel, das er erwählt hat, um diese Annahme zu verwirklichen. Er bediente sich dazu seines »eigenen, geliebten Sohnes« (Eph 1, 6). Wir haben diese Wahrheit schon anderswo (Marrnion, Spiegel, Christus, das Leben der Seele. 3. Auf!. S. 13ff. Schöningh, Paderborn 1928) ausführlich behandelt, ihrer Wichtigkeit wegen müssen wir hier nochmals darauf zurückkommen.

GOTT HAT UNS DURCH SEIN WORT ERSCHAFFEN

»Im Anfange war das Wort und das Wort war bei Gott«, so beginnt der hl. Johannes seinen evangelischen Bericht und fügt sogleich hinzu: »Alles ist durch dasselbe gemacht worden und ohne dasselbe ist nichts gemacht worden.« Was wollen diese Worte besagen? Nichts anderes, als dass in der allerheiligsten Dreifaltigkeit das Wort Gottes der Ausdruck nicht nur aller Vollkommenheiten Gottes, sondern auch aller nur denkbaren Geschöpfe ist; denn sie alle haben in der göttlichen Wesenheit ihr Urbild und ihr Vorbild. Jedes Geschöpf ist die Verwirklichung irgendeines göttlichen Gedankens. Durch die Macht seines Wortes ruft er sie ins Dasein. »Er sprach, und alles ist geworden« (Ps 148, 5). Deswegen sagt auch die Hl. Schrift, dass der Vater alles durch sein Wort geschaffen hat. Daraus erhellt die geheimnisvolle Beziehung, die zwischen dem Worte Gottes und uns besteht durch die Schöpfung. Durch die bloße Tatsache unserer Erschaffung entsprechen wir einem Gedanken Gottes, sind wir der Ausfluss eines ewigen Gedankens, der im Worte Gottes enthalten war. Gott erkennt sich selbst, sein Wesen voll und ganz. Der Ausdruck dieser Erkenntnis ist das Wort Gottes, in welchem er das Urbild der ganzen Schöpfung sieht. Jeder von uns stellt daher einen Gedanken Gottes dar und unsere Heiligkeit besteht darin, den Gedanken zu verwirklichen, den Gott schon vor unserer Erschaffung über uns gefasst.

In einem gewissen Sinne gehen wir also durch das Wort von Gott aus und müssen gleich dem Worte der reine vollkommene Ausdruck des göttlichen Gedankens über uns sein. Die Verwirklichung dieses Gottesgedankens wird einzig dadurch vereitelt, dass wir irgendwie störend in den Plan Gottes eingreifen. Gottes Pläne zu stören, das ist fürwahr das einzige Werk in der Schöpfung, das uns ganz und gar zu »eigen« ist. Alles daher, was nur von uns kommt, was wir nicht im Einklang mit Gottes Willen vollbringen, wie Sünde, Untreue, Widerstand gegen die Einsprechungen von oben, rein menschliche und natürliche Anschauungen, all das verdirbt und zerstört den göttlichen Gedanken in uns.

Unsere Beziehung zum ewigen Wort, zum Sohn Gottes, ist aber eine noch vieI innigere im Werke unserer Annahme an Kindes Statt.

Der hl. Jakobus sagt uns, dass »jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk von oben kommt, vom Vater der Lichter« und er fügt sogleich hinzu: »Aus freiem Willen hat er uns durch das Wort der Wahrheit geboren« (Jak 1, 18). Die Annahme an Kindes Statt durch die Gnade, die uns zu Kindern Gottes macht, vollzieht sich durch den Sohn Gottes, durch das ewige Wort.

Diese Wahrheit betont der hl. Paulus mit besonderer Vorliebe. Er verkündet wie der hl. Jakobus, dass alle Gnade, jede Segnung uns vom Vater komme und zurückgehe auf unsere Gotteskindschaft in Christus Jesus. Nach Gottes heiligem Ratschluss werden wir zu Kindern Gottes nur in Jesus Christus, dem menschgewordenen Worte. »In ihm hat er uns erwählt« (Eph 1,3ff). Wenn wir nicht die Züge seines Sohnes an uns tragen, erkennt der Vater uns nicht als seine Kinder an; denn »er hat uns vorherbestimmt, dem Bild seines Sohnes gleichförmig zu werden« (Röm 8, 29).

Nur als Miterben Christi werden dereinst auch wir »im Schoße des Vaters« ruhen.

Das ist der Ratschluss, der Wille Gottes. - Wir wollen nun auch betrachten, wie dieser ewige, göttliche Willensentschluss in der Zeitenfülle verwirklicht oder besser gesagt, wie er wieder hergestellt wurde, nachdem die Sünde Adams ihn durchkreuzt hatte.

Das Wort wurde Fleisch. Der Psalmist sagt von ihm, dass er wie ein Riese sich aufmachte, jauchzend seine Bahn zu durcheilen, wie ein Held frohlockte, seinen Weg zu laufen. »Von des Himmels Höhe ist sein Ausgang und seine Rückkehr bis zu dessen Höhe« (Ps 19, 6 ff).

Dieser Ausgang von des »Himmels Höhe«, das ist die ewige Geburt des Sohnes im Schoße des Vaters. »Ich bin vom Vater ausgegangen«; seine Rückkehr ist die Himmelfahrt. »Ich scheide von der Welt und gehe zum Vater« (Joh 16, 28).

Aber er kehrt nicht allein zurück Dieser Riese ging aus, die verlorene Menschheit zu suchen. Er hat sie wiedergefunden, und im Übermaß seiner Liebe reißt er sie mit sich fort in seinem Laufe, um ihr neben sich im Schoß des Vaters den Platz zu bereiten. »Ich gehe zu meinem Vater und zu eurem Vater. Ich gehe hin, euch einen Ort zu bereiten im Haus meines Vaters«. Der göttliche »Riese«, Gottes eingeborener Sohn, ist gekommen, um die gefallene Menschheit wieder heimzuführen in den Schoß des Vaters, zur göttlichen Quelle aller Seligkeit, indem er ihr durch sein Leben und sein Opfer die Gnade der Gotteskindschaft wiedergab.

Mit dem Apostel wollen wir daher preisen den »Vater unseres Herrn Jesu Christi, der uns durch seinen Sohn und in seinem Sohn gesegnet hat mit allen geistlichen Segnungen«, der uns mit sich teilen lässt seinen Thron im Glanz des Heiligtums, wo er in unendlicher Seligkeit aus seinem Schoß zeugt den Vielgeliebten, den Eingeborenen! Amen! Amen! Gepriesen sei auch das göttliche Wort, das für uns Fleisch geworden ist und uns um den Preis seines Blutes zu Erben des Himmels gemacht hat! Dir, o Jesus, ewiger Sohn des Vaters, sei alle Ehre und Herrlichkeit.

5. Praktische Schlussfolgerung aus dieser Lehre: Wir müssen dem menschgewordenen Wort vereint bleiben durch den Glauben, die Werke und die hl. Eucharistie

Was folgt nun aus dieser Lehre für unser Leben? Wenn der ewige Vater beschlossen hat, uns zu seinen Kindern zu machen, aber nur in seinem Sohn, wenn »er uns vorherbestimmt hat zur Annahme an Kindesstatt in Jesus Christus« (Eph 1, 5), wenn er gewollt hat, dass wir nur in seinem Sohn Miterben der ewigen Seligkeit werden sollen, dann können wir den Plan Gottes nur verwirklichen und unser Heil sicher stellen, wenn wir mit dem göttlichen Worte, dem Sohn Gottes, vereint bleiben. Wir dürfen nie vergessen, dass uns kein anderer Weg zum Vater führt. »Niemand kommt zum Vater außer durch mich« (Joh 14, 5). Niemand, gar niemand darf glauben, dass er auch auf einem andern Weg zum Vater gelangen würde. Zum Vater gehen jedoch, zu Gott gelangen, das ist all unser Heil und unsere Seligkeit.

Wie aber bleiben wir mit dem göttlichen Worte, dem Sohn, vereint? Vor allem durch den Glauben. »Im Anfang war das Wort und dass Wort war bei Gott. Alles ist durch dasselbe gemacht worden ... Er kam in sein Eigentum, und die Seinigen nahmen ihn nicht aus. Allen aber, die ihn ausnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, jenen, die da glauben an seinen Namen und daher aus Gott geboren sind.« 

Der Vater hat seinen Sohn in die Welt eingeführt mit den Worten: »Das ist mein geliebter Sohn ... ihn sollt ihr hören.« Wenn wir ihn nun im Glauben aufnehmen, gibt er uns Anteil an seinen Gütern, d. h. an seiner göttlichen Sohnschaft. Er teilt mit uns diese seine Eigenschaft als Sohn durch die Gnade der Anteilnahme an Kindesstatt »Er gibt uns Macht, Kinder Gottes zu werden« und das Recht, Gott Vater zu nennen.

Unsere ganze Vollkommenheit besteht in der getreuen Nachfolge des Gottessohnes. Der hl. Paulus schreibt: »Alle Vaterschaft hat ihren Namen von der göttlichen« (Eph 3, 15). Das gleiche ließe sich von der Sohnschaft sagen. Der Sohn Gottes allein kann uns durch seinen Geist lehren, wie wir Kinder sein sollen. Da ihr nun Kinder seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in eure Herzen, der da ruft: »Abba, Vater« (Gal 4, 6).

Wir müssen den Sohn Gottes selbst aufnehmen, immer und überall, wie er sich uns auch zeigen mag, müssen wir in ihm das ewige Wort des Vaters erkennen. Wir müssen auch seine Lehre, seine Worte, ausnehmen. Er ist im Schoß des Vaters und offenbart nur Selbstgeschautes; er berichtet aus Eigenem. Der Glaube ist die durch das Wort uns vermittelte Kenntnis der göttlichen Geheimnisse. Wenn immer wir eine Seite des Evangeliums lesen, wie die Kirche bei der Feier der Geheimnisse ihres Bräutigams sie uns vorlegt, müssen wir uns sagen, dass diese Worte »Worte des ewigen Wortes« sind, Worte dessen, der die Gedanken und Wünsche unseres Vaters im Himmel kundgibt. »Ihn sollt ihr hören« (Mt 17, 5; Lk 9, 38). Sagen wir darum »Amen«, »so ist es«, zu jedem seiner Worte, zu jedem Gedanken, den die Kirche in ihrer Liturgie unserm Glauben darbietet. Sprechen wir mit kindlichem Vertrauen: »O Gott, himmlischer Vater! Ich kenne dich zwar nicht, weil ich dich nie gesehen habe, aber ich nehme gläubig alles an, was dein Sohn, dein göttliches Wort, mir von dir geoffenbart hat.« Das ist ein vorzügliches Gebet. Wo es in Glaube und Demut verrichtet wird, mag gar manches Mal ein Lichtslrahl von oben herniedersteigen (vgl. Jak 1,17), der uns den Inhalt der heiligen Schriften erklärt und in seine Tiefen einführt, damit sie zur Quelle des Lebens werden.

Das Wort ist nämlich nicht bloß der Ausdruck der Vollkommenheiten des ewigen Vaters, sondern auch Ausdruck seiner Willensentschlüsse. - Was immer der Heiland uns befiehlt, was er in seinem heiligen Evangelium oder durch die Kirche uns vorschreibt, ist der Ausdruck des anbetungswürdigen Willens unseres Vaters, der im Himmel ist. Wenn wir die Gebote des Herrn liebend erfüllen, so bleiben wir eins mit ihm und durch ihn mit dem Vater: »Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe« ... »Wer mich liebt, wird auch von meinem Vater geliebt« (Joh 15, 10; 14, 21).

Darin besteht alle Heiligkeit, dass wir dem Worte Gottes, seiner Lehre und seinen Geboten anhängen und durch das Wort dem Vater, der es gesandt hat und ihm »die Worte gibt, die wir annehmen sollen« (vgl. Joh 17, 8).

Endlich und in vorzüglicher Weise bleiben wir dem Worte Gottes vereint durch das Sakrament der Vereinigung, durch die hl. Kommunion. Sie ist das Brot des Lebens, das» Brot der Kinder"« (Sequenz Lauda Sion). Unter den eucharistischen Gestalten ist wahrhaft das Wort Gottes verborgen, jenes Wort, das ewig hervorgeht aus dem Schoße des Vaters. Welch hohes Geheimnis! Derjenige, den wir in der hl. Kommunion empfangen, ist der von Ewigkeit gezeugte Sohn Gottes, der vielgeliebte eingeborene Sohn, dem der Vater sein Leben mitteilt, das göttliche Leben, die Fülle des Seins und der unendlichen Glückseligkeit. Mit vollstem Recht konnte der Heiland sagen: »Der Vater hat mir das Leben gegeben. Wie ich durch den Vater lebe, so wird, wer mich isst, durch mich leben ... Er bleibt in mir und ich in ihm« (Joh 6, 57 ff).

Wenn wir den Heiland fragen, womit wir seinem heiligsten Herzen die größte Freude machen könnten, wird er sicher sagen, dass wir vor allem wie er ein Kind Gottes sein sollen. Wenn wir ihm also gefallen wollen, bitten wir ihn täglich bei der hl. Kommunion: O, mein Jesus! Du bist der Sohn Gottes und das vollkommene Abbild des Vaters. Du kennst den Vater und bist ganz sein eigen. Du siehst sein Angesicht. Vermehre doch in mir die Gnade, die mich zum Kinde Gottes macht. Hilf mir, durch deine Gnade und mein Tugendstreben wie du und in dir sein würdiges Kind des Vaters zu sein! Gewiss wird uns der Sohn Gottes diese Bitte gewähren, wenn wir sie mit gläubigem Vertrauen vortragen.

Er selbst hat ja gesagt: »Der Sohn will nur, was der Vater will« (Joh 5, 19). Der Sohn geht also ganz auf die Absichten des Vaters ein. Er gibt sich uns nur, um in uns die Gnade der Gotteskindschaft zu begründen, sie zu erhalten und zu vermehren. All sein persönliches göttliches Leben ist lediglich Beziehung »zum Vater«. Wenn er sich uns gibt, so gibt er sich, wie er ist, d. h. ganz hingerichtet auf den Vater und auf dessen Verherrlichung. Wenn wir ihn daher mit Glaube, Hoffnung und Liebe in uns aufnehmen, dann verwirklicht er auch in uns diese innige Beziehung zum Vater. Darum also sollen wir immer beten und unser ganzes Sinnen darauf richten, dass all unser Denken, Wollen und Verlangen, all unser Tun, befruchtet durch die Gnade der Gotteskindschaft in Jesus Christus, nur zum himmlischen Vater gerichtet sei, dass wir »für Gott leben in Christus Jesus« (Röm 6, 2).

6. Diese unendlich erhabenen Wahrheiten bilden die Grundlage des Christentums und das Wesen aller Heiligkeit

Das Gesagte birgt gewiss hohe Wahrheiten, einen erhabenen Gnadenstand. Und dennoch ist es nur die Wiederholung dessen, was das Wort Gottes selbst uns geoffenbart, was der hl. Johannes und der hl. Paulus, dem Herrn folgend uns mitgeteilt haben. Es handelt sich nicht um leere Träumereien, sondern um Wirklichkeit, göttliche Wirklichkeit.

Diese Wirklichkeit bildet das Wesen des Christentums. Es hieße nichts erfassen von der Vollkommenheit und Heiligkeit, ja vom christlichen Leben überhaupt, wenn wir nicht zunächst tief durchdrungen wären von dem Gedanken, dass das Wesen des Christentums in der Gotteskindschaft besteht, die da ist Anteilnahme an der ewigen Kindschaft des Sohnes Gottes durch die Heiligmachende Gnade. Die ganze Lehre Christi und der Apostel lässt sich in diese Wahrheit zusammenfassen, und alle Geheimnisse Christi haben den Zweck, dieses wunderbare Gnadenwerk in unserer Seele zu verwirklichen.

Das ganze christliche Leben und alle Heiligkeit besteht also, kurz gesagt, darin, durch die Gnade das zu sein, was Christus von Natur aus ist: Kind Gottes. Darin liegt die Erhabenheit unserer Religion begründet. Alle Größe Jesu, all der Wert und die Wirksamkeit seiner Geheimnisse leitet sich ab von seiner Eigenschaft als Sohn Gottes. Ebenso wird im Himmel jener der größte Heilige sein, der hienieden im wahrsten Sinne Kind Gottes war, indem er die Gnade dieser übernatürlichen Gotteskindschaft in Jesus Christus am fruchtbringendsten in sich hat wirken lassen.

Darum muss unser ganzes geistliches Leben sich auf dieser Grundwahrheit aufbauen, die ganze Arbeit an unserer Vervollkommnung darin gipfeln, dass wir unsere Teilnahme an der göttlichen Sohnschaft Christi treu bewahren und immer mehr zu entfalten suchen.

Man sage ja nicht, dieses Leben sei zu erhoben, dieses Programm unausführbar. Unsere Natur, nur auf sich gestellt, könnte und dürfte allerdings dieses Ziel, das so unendlich weit über ihre Forderungen, ihre Rechte und Kräfte hinausgeht, nicht erstreben; eben darum bezeichnen wir es auch als »übernatürlich«.

Unser »Vater im Himmel aber weiß, was uns not tut« (Mt 6, 8), wenn er uns zu sich ruft, hilft er uns auch, dass wir zu ihm gelangen können. Er gibt uns seinen Sohn, damit er unser Weg sei, dass er uns alle Wahrheiten lehre und uns das Leben mitteile. Es genügt, dass wir durch die Gnade und unsere eigene Mitwirkung mit seinem Sohn vereinigt bleiben, um dereinst auch Anteil zu haben an seiner Verherrlichung im »Schoße des Vaters«.

Darum sprach der Heiland nach seiner Auferstehung zu Magdalena: »Ich fahre hinauf zu meinem Vater und«, fügte er bei, »zu eurem Vater« (Joh 20, 17). Was meinte er damit? Dass er uns den Platz bereiten will. »Ich gehe euch einen Platz zu bereiten; denn im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen« (Joh 14, 2).

Er ist zurückgekehrt zu seinem Vater, aber als unser Vorläufer. »Als Vorläufer ist Jesus für uns eingetreten« (Hebr 6, 20). Er ist uns vorangegangen, damit wir ihm folgen könnten; denn das irdische Leben ist nur ein Übergang, eine Prüfung. »Ihr habt hienieden viele Drangsale«, sprach wiederum Jesus (Joh 16, 33). »Ihr werdet Widerspruch leiden in euch selbst, Versuchungen erdulden von Seiten des Fürsten dieser Welt und vielerlei Drangsal wird sich wider euch erheben aus den Ereignissen dieser Zeitlichkeit«; denn »der Knecht steht nicht höher als sein Herr« (Joh 15, 20).

»Euer Herz aber zage nicht«, fügt der Meister tröstend bei. »Glaubt an Gott, glaubt an mich« (Joh 14, 1), »der ich Gott bin wie der Vater« und der »ich bei euch bleibe alle Tage bis an das Ende der Welt« (Mt 28, 20). »Eure Traurigkeit wird sich einst in Freude verwandeln« (Joh 16, 20); »denn ich werde wiederkommen und euch zu mir nehmen in das Reich meines Vaters, damit auch ihr seid, wo ich bin« (Joh 14, 3).

»Ich Werde wiederkommen!« O göttliches Wort, gesprochen vom unerschaffenen Worte selbst, vom Worte Gottes in Person, von der Untrüglichen Wahrheit! O beseligende Verheißung »Ich werde wiederkommen!« Wir werden mit Christus vereinigt sein und durch ihn mit dem Vater im Schoße seiner Herrlichkeit. »An jenem Tage«, spricht Jesus, »werdet ihr erkennen« - nicht mehr im Dunkel des Glaubens, sondern im Sonnenglanz des ewigen Lebens, im Lichte der Herrlichkeit - dass ich in meinem Vater bin und ihr in mir und ich in euch« (Joh 14, 20); ihr werdet schauen meine Verherrlichung als des Eingeborenen des Vaters« (Joh 1, 14) und diese beseligende Anschauung wird hier euch die neu sprudelnde, lebendige Quelle unverlierbarer Freude sein!

IV. DAS WORT IST FLEISCH GEWORDEN

»Im Anfang war das Wort und das Wort war Gott. Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.« - Christus ist das menschgewordene Wort. Die Offenbarung lehrt uns, dass die zweite Person der allerheiligsten Dreifaltigkeit, das Wort, der Sohn, eine menschliche Natur angenommen und sie mit sich in der Einheit der Person verbunden hat. Das ist das Geheimnis der Menschwerdung.

Wir wollen hier einen Augenblick verweilen, um den unfassbaren und doch so unendlich lieblichen Glaubenssatz vom Gottmenschen zu beherzigen. Hier ist das grundlegende Geheimnis, auf dem sich alle Geheimnisse Christi aufbauen. Sie schöpfen ja all ihre Schönheit, all ihren Glanz und Reichtum aus dieser unfassbaren Vereinigung von Gottheit und Menschheit. Wir werden sie auch nur dann verstehen, wenn wir zuvor dieses Grundgeheimnis in sich selbst und in den sich daraus ergebenden Folgerungen betrachtet haben. Jesus ist Gott und Mensch; wenn wir seine allerheiligste Person kennen lernen und an den verschiedenen Stufen seines Lebens teilnehmen wollen, müssen wir zu verstehen suchen nicht nur, dass er das Wort Gottes ist, sondern auch, dass dieses Wort Mensch geworden ist. Wenn wir ihn würdig ehren wollen, müssen wir ebenso wohl seine Wahre Menschennatur anerkennen wie seine Gottheit anbeten, mit welcher diese menschliche Natur vereinigt ist.

Was sagt uns der Glaube von Jesus Christus? In Christus sind zwei Naturen, die göttliche und menschliche, und so ist Christus wahrer Gott und wahrer Mensch zugleich. - Noch mehr! Diese beiden Naturen sind auf so innige Weise verbunden, dass Christus nur eine Person ist, die Person des göttlichen Wortes, die sich die Menschheit vereinigt hat. Aus dieser unaussprechlichen Vereinigung ergibt sich der unendliche Wert des Lebens und Wirkens Jesu und all seiner Geheimnisse.

Wenn wir diese Wahrheit mit demütigem Glauben und dankbarer Liebe betrachten, werden in unserer Seele ganz von selbst jene Gesinnungen erwachen, die wir den Geheimnissen des Gottmenschen entgegenbringen sollen.

1. Jesus Christus ist wahrer Gott und wahrer Mensch; unaussprechliche Vereinigung des Göttlichen und Menschlichen im Leben unseres Heilandes

Christus ist vollkommen Gott und vollkommen Mensch zugleich. In der Krippe zu Bethlehem, in der Werkstätte zu Nazareth, auf den Straßen Judäas, in den Synagogen, ja am Kreuz und bei der Himmelfahrt, überall offenbart er sich als Gott und Mensch zugleich.

Er ist wahrhaft Gott. - Das Wort »blieb das, was es war« (Antiphon an Neujahr), auch als es unsere Menschennatur annahm: Es blieb der ewige Gott, der in sich die Fülle alles Lebens, aller Vollkommenheit und Macht, aller Herrlichkeit und Schönheit, die unendliche Seligkeit besitzt. Das menschgewordene Wort selbst verkündet uns seine Gottheit. »Wie der Vater das Leben in sich hat, so hat er auch dem Sohn verliehen, das Leben in sich selbst zu haben«, ewiges, göttliches Leben (Joh 5, 26). »Ich und der Vater sind eins« (Joh 10, 30). »Wahrlich, wahrlich, sage ich euch, der Sohn kann nichts aus sich selbst tun; er kann nur tun, was er den Vater tun sieht« (Joh 5, 19). »All das Meinige ist des Vaters und was des Vaters ist, ist mein« (Joh 17, 20). Vater und Sohn besitzen also durchaus gleiche Vollkommenheit, gleiches Recht in der Einheit der Natur.

Christus ist Gottes Sohn, folglich selbst Gott. Die Pharisäer anerkennen, dass Gott allein Sünden nachlassen kann. In ihrem Beisein vergibt Jesus zum Beweis seiner Gottheit dem Gichtbrüchigen die Sünden und bestätigt die gewährte Gnade durch ein Wunder (Mk 2, 7 ff). Er nennt sich selbst das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist und das ewige Leben verleiht (Joh 6, 51 ff). Er allein kann aus eigener Macht in den Himmel aufsteigen, weil nur er »vom Himmel herabgestiegen ist« (Joh 3,13). Er bittet darum auch den Vater, dass die Menschheit, die er angenommen hat, verherrlicht werde mit jener ewigen Glorie, die er als Wort, als Gott, besitzt, »ehe die Welt war« (Joh 17, 5). Christus verkehrt mit Gott wie mit seinesgleichen, weil er der Sohn Gottes selbst ist.

Christus ist wahrer Gott; er ist aber auch wahrer Mensch. »Und das Wort ist Fleisch geworden« - Er hat von unserem Geschlecht eine menschliche Natur entlehnt und sie zur seinigen gemacht, indem er sie durch unaussprechliche Bande physisch, substanziell in der göttlichen Person mit sich vereinigte. »Was er nicht war, das hat er angenommen.« 

Dieser ewige Gott, das notwendig aus sich selbst bestehende Sein, wird »in der Zeit von einer Frau geboren« (Gal 4, 4). Christus hat gleich uns eine in all ihren Wesensbestandteilen vollständige Menschennatur. »Er sollte in allem seinen Brüdern gleich sein« (Hebr 2,17). Christus hat eine geschaffene Seele mit den nämlichen Fähigkeiten, wie die unsere. Sein Leib ist ein wirklicher menschlicher Leib, gebildet aus dem jungfräulichen Blut seiner allerreinsten Mutter. In den ersten Zeiten der Kirche standen Irrlehrer auf, die behaupteten, das Wort Gottes habe nur einen Scheinleib angenommen. Die Kirche hat diese Lehre verurteilt. Christus ist wirklich einer unseres Geschlechtes, ein Mensch wie wir geworden. Er hat wirklich, wie das Evangelium berichtet, gehungert und gedürstet und Müdigkeit ertragen. Er hat geweint und der Seele und dem Leib nach Peinen und Schmerzen erduldet wie wir. Auch nach der Auferstehung hat er diese menschliche Natur beibehalten und seinen ungläubigen Jüngern gestattet, sich von der Wirklichkeit zu überzeugen. »Tastet mich an und seht! Ein Geist hat nicht Fleisch und Gebein, wie ihr es an mir seht« (Lk 24, 39 ff). Und da sie dennoch zweifeln, fragt er sie: Habt ihr etwas zu essen? Sie reichten ihm ein Stück gebratenen Fisches und eine Honigscheibe. Er nahm es und aß vor ihren Augen.

Alles, was unser eigen ist hat er zum Seinigen gemacht, alles, »nur die Sünde nicht« (Hebr 4, 15). Christus blieb unberührt sowohl von der Sünde selbst, wie auch von ihren Ursachen und Folgen, als da sind: Begierlichkeit, Irrtum, Unwissenheit. Sein heiligster Leib ist leidensfähig, weil er gekommen ist, um durch Leiden die Sünde zu tilgen. Die Sünde selbst aber hatte keinen Teil an ihm. »Wer von euch kann mich einer Sünde überführen« (Joh 8, 40)? Diese Herausforderung an die Juden ist ohne Antwort geblieben, und es hat falscher Zeugen bedurft, um eine Todesursache an ihm zu finden. Er ist wahrer Mensch aber von fleckenloser Reinheit, wie es der Würde eines Gottmenschen entsprach. »Heilig, schuldlos, unbefleckt, abgesondert von den Sündern« (Hebr 7, 26). Christus besitzt also die göttliche und menschliche Natur. Er ist zugleich Gott und Mensch, wahrer Gott und wahrer Mensch.

Diese Wahrheit finden wir auf jeder Seite des Evangeliums bestätigt. Bei all seinem Tun und Handeln zeigt sich das menschgewordene Wort als Gott und Mensch zugleich.Christus hat sich in seinen Reden und Handlungen immer so gezeigt, dass er als Gott und Mensch zugleich im Glauben erfasst wird: Als Gott, der uns erschaffen hat und als Mensch, der gekommen ist uns zu suchen … er ist Mensch geworden, aber so, dass er nicht aufhörte Gott zu sein. Er blieb Gott und wurde zum Menschen, den er selbst erschaffen hat.« - Semper hoc egit Christus dictis et factis suis, ut Deus credatur et homo. Deus, qui nos fecit, homo qui nos quaesivit ... sie esse Christus hominem factum, ut non destiterit Deus esse; manens Deus accepit hominem qui fecit hominem. [St. Aug. Tract. in Joan. 28]. Überall offenbart sich ja nach ihrer Natur und ihren Eigenschaften sowohl die Gottheit wie die Menschheit.

Von einer Frau wollte Christus geboren werden, aber seine Mutter sollte Jungfrau sein und bleiben. - Er liegt in der Krippe als zartes Kindlein. Ein wenig Milch ist seine Nahrung. Die himmlische Heerschar aber feiert jubelnd seine Ankunft als die des Welterlösers. - Er liegt im Stall, auf Stroh gebettet, ein wunderbarer Stern aber führt die Weisen anbetend zu seinen Füßen. - Wie jedes jüdische Knäblein unterzieht er sich dem Gesetze der Beschneidung, zugleich aber empfängt er einen Namen, der vom Himmel kommt und seine göttliche Sendung bezeichnet. - Er nimmt zu an Alter und Weisheit, setzt aber zugleich schon mit zwölf Jahren die Schriftgelehrten in Staunen durch die göttliche Lichtfülle seiner Antworten. - Er lässt sich von Johannes taufen, als ob er der Buße bedürfe und im gleichen Augenblick öffnet sich der Himmel und der Vater bezeugt ihn als seinen vielgeliebten Sohn. - Er hungert in der Wüste, die Engel aber eilen zu seinem Dienste herbei. - Auf seinen Wanderungen durch das Judenland übermannte ihn Müdigkeit, Durst und Entbehrung; durch sein Wort aber heilte er Lahme und Blinde, richtete auf die Gebeugten und sättigte die Menge mit wunderbar vermehrtem Brot. - Auf dem See Genezareth drückt ihm der Schlummer die Augen zu, während die Jünger vergeblich gegen den Sturm ankämpfen; kaum aber haben sie, zu Tode geängstigt, ihn geweckt, da wird auf einen Wink seiner Hand große Stille. - Er steht weinend am Grabe des Lazarus, vergießt wirkliche, menschliche Tränen; durch sein allmächtiges Wort aber ruft er den seit vier Tagen toten Freund zum Leben zurück. Im Garten von Gethsemani erduldet er Traurigkeit und Todesangst, lässt sich von seinen Feinden umzingeln; sie suchen Jesus den Nazarener. Das einzige Wort jedoch: »Ich bin es!« wirft sie rücklings zu Boden. - Er stirbt am Kreuz, dem niedersten Verbrecher gleich; die ganze Schöpfung aber bezeugt durch die umwälzende Erschütterung, die sie erleidet, seine Gottheit.

So hat sich mit den schönen Worten des hl. Leo des Großen die Majestät mit der Niedrigkeit, die Macht mit der Schwäche, das Sterbliche mit dem Ewigen ... eine leidensfähige Natur mit der unverletzlichen göttlichen Natur verbunden. Der wahre Gott ist als Mensch geboren in der vollständigen und wahren Natur unseres Geschlechtes, »ganz und vollkommen in allem, was sein ist, ganz und vollkommen auch in allem, was unser ist« (Totus in suis, totus in nostris. [Epistola 28 dogmatica ad Flavian]).

Seit der Heiland in die Welt kam, offenbart sich in ihm die Vereinigung der Gottheit und Menschheit, eine Vereinigung, die in nichts die göttlichen Vollkommenheiten beeinträchtigte und dennoch die wahre Menschennatur unangetastet ließ. Die Menschwerdung des Gottessohnes ist ein unaussprechliches Geheimnis. »Erkenne den Mittler zwischen Gott und den Menschen, der vom ersten Augenblick seines irdischen Daseins an Gott und den Menschen, das Tiefste mit dem Höchsten verband.« - Agnosce mediatorem Dei hominum, qui ab ipso nativitatis suae exordio divinis humana sociat una summus. [St. Bem. Sermo I de Circumcisione].

O ewige Weisheit, wie unerforschlich sind deine Ratschläge, wie wunderbar deine Werke!

2. Die Art und Weise dieser Vereinigung: Die zwei Naturen sind vereint in ein und derselben göttlichen Person. Daraus folgt der Unendlichkeitswert aller Handlungen Jesu und das Wohlgefallen, das der Vater am Sohn hat

Was aber vollends dieses Geheimnis zum Gegenstand anbetenden Staunens macht, das ist die Art und Weise, wie die Vereinigung beider Naturen verwirklicht wurde.

Die göttliche und die menschliche Natur sind in einer einzigen Person vereinigt und zwar in der göttlichen Person des ewigen Wortes, des Sohnes Gottes.

Bei uns Menschen bilden Leib und Seele vereinigt eine menschliche Person. Bei Christus ist es nicht so. Die menschliche Natur, die in ihrem vollen Sein und in all ihren Wesensbestandteilen ganz und unversehrt vorhanden ist, besteht gleichwohl nicht für sich, sondern nur durch das Wort in der göttlichen Person des Wortes. Das Wort ist es, das der menschlichen Natur das Dasein verleiht, d. h. in diesem Falle die persönliche »Subsistenz«. In Christus ist dennoch nur eine einzige Person und zwar die Person des eingeborenen Gottessohnes.

Beide Naturen bewahren jedoch bei dieser innigsten Einheit ihre besonderen Kräfte und die ihnen eigene Betätigungsweise. Es kann keine Rede sein von Vermengung derselben oder Vermischung untereinander. Unauflöslich verbunden in der einen Person des Wortes, bewahrt jede der beiden Naturen doch ihre eigene Art zu wirken.

Endlich wird die menschliche Natur des Erlösers von der Gottheit getragen. Jesus zeigt eine ganz und gar echte und unverfälschte menschliche Tätigkeit. Ihr letzter und tiefster Grund aber liegt in der Gottheit. Die göttliche Person des Wortes ist die Quelle aller Vollkommenheiten Christi. In der allerheiligsten Dreifaltigkeit drückt das Wort in einem einzigen unendlich einfachen Akt alle Vollkommenheiten des Vaters aus. Mit der menschlichen Natur verbunden, gibt das Wort in der ihr entsprechenden vielgestaltigen menschlichen Tätigkeit diesen Vollkommenheiten Gottes Ausdruck, ähnlich wie ein Prisma den einfachen Lichtstrahl, in seine buntfarbigen Teile zerlegt, wiedergibt. Die Tugenden der allerheiligsten Menschheit Christi, seine Geduld, Milde, Güte, Sanftmut, Freigebigkeit, sein Eifer und seine Liebe werden zwar von seiner menschlichen Natur geübt, ihre tiefste Wurzel aber liegt in der Gottheit und sie enthüllen unserem Erdenauge die Schönheit des unsichtbaren Gottes. Das Leben Jesu ist menschlich den äußerlich wahrnehmbaren Merkmalen nach, göttlich aber in seiner Quelle und letzten Ursache.

Was folgt aus dieser Lehre? Wir wissen das längst! Doch ist es von größtem Nutzen für unsere Seele, uns immer wieder daran zu erinnern.

Alle Handlungen Christi sind also Handlungen eines Gottes, was der Heiland seiner Menschheit nach wirkte, war auf Zeit und Raum beschränkt. Es waren endliche Handlungen, wie ja auch seine menschliche Natur eine geschaffene war. Ihr sittlicher Wert aber war göttlich; denn jede Handlung, von welcher Fähigkeit der Natur sie auch hervorgebracht sein mag, gehört der Person an. In Christus ist immer Gott tätig, allerdings einmal durch die göttliche und ein andermal durch die menschliche Natur. Man kann also mit Fug und Recht von ihm sagen, dass Gott arbeitet, Gott weint, leidet und stirbt, obwohl all dieses durch die menschliche Natur vollbracht ward. Alle menschlichen Handlungen Jesu, auch die allerunscheinbarsten, haben göttlichen Wert (In der Theologie nennt man solche Werke Christi mit einem griechischen Doppelwort »theandrisch«, d. h. gottmenschlich).

Deswegen ist das ganze Leben Christi dem himmlischen Vater so wohlgefällig. Der Vater findet an Jesus, an seiner Person an ihrem Tun, an allen Stufen des Lebens Jesu von der tiefsten Erniedrigung bis zu der höchsten Verklärung sein größtes Wohlgefallen, weil er in ihm immer die Person seines eigenen göttlichen Sohnes sieht. Der Vater allein schaut Christus, wie kein Geschöpf ihn jemals sehen wird. Menschlich gesprochen, ist er allein imstande, den Wert aller Handlungen Christi zu beurteilen, wie der Heiland selbst sagt: »Niemand kennt den Sohn als der Vater« (Mt 11, 27; Lk 10, 22). Wie hoch wir auch die Flügel unseres Geistes erheben und die Lebensstufen und Geheimnisse Christi durchdenken mögen, niemals wird unsere geschichtliche Unzulänglichkeit sie gebührend zu würdigen vermögen. Nur ein Gott kann die Taten eines Gottes voll und ganz kennen und anerkennen. Für den ewigen Vater sind alle, auch die geringsten Werke der menschlichen Natur Christi, die leiseste Regung seines allerheiligsten Herzens eine Quelle des Entzückens und der Wonne.

Ein weiterer Grund, warum der Vater die Seele Christi mit unendlichem Wohlgefallen betrachtet, ist dieser, dass sie voll der Gnaden ist. Nachdem der hl. Johannes in seinem Prolog die Gottheit des Wortes und das Geheimnis der Menschwerdung verkündet hat, fügt er sogleich hinzu: »Wir haben ihn gesehen voll der Gnade« (Joh 1, 14).

Welches ist diese Gnadenfülle, von der der hl. Johannes bewundernd ausruft, dass wir aus ihr »Gnade um Gnade empfangen haben« ?

Der Heiland hatte zunächst die gratia unianis, die Gnade der Vereinigung kraft welcher eine menschliche Natur mit einer göttlichen Person substanziell vereinigt ist. Durch diese Gnade ward jene Vereinigung verwirklicht, die wir Menschwerdung nennen. Das ist eine ganz einzigartige Gnade, die nur Jesus Christus allein empfangen hat.

Ferner ward die Seele Jesu, die wie die unsere eine geschaffene ist, mit der Fülle der HeiIigmachenden Gnade ausgezeichnet. Durch die Gnade der Vereinigung war die Menschheit in Christus zur Menschheit eines Gottes geworden; Durch die Heiligmachende Gnade ward dies Seele Christi befähigt, so zu sein und zu handeln, wie es einer Seele geziemt, die in persönlicher Vereinigung mit der Gottheit verbunden ist. Jesus empfing diese Heiligmachende Gnade in ihrer ganzen Fülle. Uns wird sie ja nach den Absichten Gottes und unserer eigenen Mitwirkung im größeren oder kleineren Maße gegeben; Jesus aber ward sie mitgeteilt in all Ihrer Fülle, sowohl wegen seiner persönlichen Eigenschaft als Sohn Gottes wie auch als Haupt des mystischen Leibes, dem er sie mitteilen soll »nach dem Maße der Austeilung durch Christus« (Eph 4, 7).

Endlich ist die Menschheit Christi heilig, weil sie in unvergleichlich hohem Grade alle Tugenden besitzt, wenigstens jene, die mit der Würde des eingeborenen Gottessohnes vereinbar sind - und weil sie in ganz einzigartiger Weise (Joh 3, 34) mit den Gaben des Hl. Geistes geschmückt ist.

Die Menschheit Jesu besaß demnach alles, was der hohen Würde ihrer Vereinigung mit dem Worte Gottes entsprach. In ihr fand sich in Wahrheit die Fülle aller Gnaden. »Wir sahen ihn voll der Gnade« (Joh 1, 14); »in ihm sind alle Schätze der Weisheit und Wissenschaft« (Kol 2, 3). Er sollte in allem den Vorrang haben, denn es war Gottes Wille, »in ihm die ganze Fülle wohnen zu lassen« (Kol 1, 18 ff) auf immer und ewig. Darum wiederholt der hl. Paulus nur, was schon Johannes sagte: »In Christus wohnt die ganze Fülle der Gottheit wesentlich ... und ihr seid dieser Fülle teilhaftig geworden in ihm, der das Haupt jeglicher Herrschaft und Macht ist« (KoI 2, 9 ff).

3. Unsere Pflichten gegen das menschgewordene Wort: Wir müssen es vor allem anerkennen als Gott durch Glaube, Anbetung und Unterwerfung

Wie soll sich nun unsere Seele diesem grundlegenden Geheimnis des Gottmenschen gegenüber verhalten?

Die erste Gesinnung, die wir ihm entgegenbringen müssen, ist der Glaube. Wir haben dies schon wiederholt betont. Doch kann es nicht oft genug gesagt werden.

Gleich am Anfang seines Evangeliums sagt der hl. Johannes, nachdem er die Herrlichkeit des göttlichen Wortes besungen hat, dass dieses Wort in die Welt kam und dass diese Welt; die »sein Eigentum« war, es nicht aufnahm. »All jene aber, die ihn aufnahmen« - durch den Glauben nehmen wir das menschgewordene Wort auf, durch den Glauben anerkennen wir die Gottheit Christi. »Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes« (Mt 16, 16; Joh 11, 27).

Das ist die Gesinnung, die der ewige Vater von uns verlangt. »Das ist sein Gebot«, sagt der hl. Johannes (1 Joh 3, 23), »dass wir glauben an den Namen seines Sohnes Jesus Christus.« Er selbst hat es uns gesagt: »Das ist mein geliebter Sohn ... ihn sollt ihr hören« (Mt 17, 5; Mk 9, 6; Lk 9, 35). Dieses Wort, das der Vater sprach auf Tabors Höhen, als der Glanz göttlicher Schönheit die heilige Menschheit Christi durchstrahlte, ist nur der Widerhall in der geschaffenen Welt jenes anderen Wortes, das der ewige Vater »im Glanze seines Heiligtums« (Ps 110, 3) ausspricht: »Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt.« 

Wir sind also dem himmlischen Vater sehr wohlgefällig, wenn wir sein Zeugnis annehmen und bekennen, dass Christus wahrhaft sein Sohn ist, der gleich ihm in ewiger Gottesherrlichkeit lebt und regiert. »Du allein bist der Allerhöchste, Jesus Christus, in der Herrlichkeit Gottes des Vaters« 

Das ist die Lehre des hl. Paulus. Das Geheimnis der Erniedrigung des Wortes in der Menschwerdung erfüllt ihn mit solcher Bewunderung, dass ihm die Ausdrücke fehlen zur Schilderung jener Herrlichkeit, die nach dem Plane Gottes für Christus daraus erstehen musste. »Wenn auch Christus Gott gleich war, dachte er doch nicht daran, an seiner Gottheit festhalten zu müssen.« Er entäußerte sich vielmehr, nahm Knechtsgestalt an, wurde den Menschen gleich und im Äußeren als ein Mensch befunden. Er erniedrigte sich und ward gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn Gott auch so erhoben und ihm einen Namen gegeben, der da ist über alle Namen. Im Namen Jesu aber sollen sich alle Knie beugen, derer die im Himmel, auf Erden und in der Unterwelt sind. Und alle Zungen sollen zur Verherrlichung Gottes des Vaters bekennen: »Jesus Christus ist in der Herrlichkeit Gottes des Vaters« (PhiI 2, 6 ff).

Wir sollen uns recht oft dem Geiste und dem Herzen nach mit diesem Willen des ewigen Vaters vereinen, der die Verherrlichung seines Sohnes zum Gegenstand hat. »Ich habe ihn verherrlicht und will ihn fernerhin verherrlichen« (Joh 12, 28). Nie sollten wir die Hl. Schrift lesen oder die heiligen Geheimnisse Jesu feiern, ohne zuvor in die heiligen Absichten Gottes einzugehen und voll lebendigen Glaubens zu bekennen, dass dieser Jesus, den wir betrachten und anrufen, mit dem wir uns vereinen, wahrer Gott ist mit dem Vater und dem Hl. Geist.

Solche Einstellung der Seele ist ungemein fruchtbringend; denn sie hebt uns zu Gott empor und macht uns ihm wohlgefällig. »Der Vater liebt euch ... weil ihr geglaubt habt, dass ich von Gott ausgegangen bin« (Joh 16, 27). »Der Glaube, dass Jesus Christus wahrer Gott und Mensch ist«, sagt der hl. Leo, »rechtfertigt die Ungerechten und macht aus Sündern Heilige: wahrer Gott, vor aller Zeit dem Vater gleich und wahrer Mensch, der in unsern Tagen in Knechtsgestalt erschienen und den Menschen gleich geworden ist.«Hoc enim est quod iustificat impios, hoc quod ex peccatoribus facit sanctos, si in uno eodemque Domino nostro Jesu Christo et vera Deitas et vera credatur humanitas: Deitas qua ante omnia saecula in forma Dei aequalis est Patri; humanitas qua novissimis diebus in forma servi unitus est homini. [Serrno 4 de Epiphan.]

Dieser lebendige Glaube an die Gottheit Christi muss die Quelle unserer Anbetung sein. Im Evangelium sehen wir häufig, wie der Akt der Anbetung sich dem Glauben eint. So handeln die Weisen aus dem Morgenlande (Mt 2, 11), so Petrus nach dem wunderbaren Fischfang (Lk 5, 4), so die Jünger, als der Herr vor ihnen aus dem Meere wandelte (Mt 14, 22), so auch der Blindgeborene nach seiner Heilung. »Ich glaube, Herr«, ruft er aus und fiel nieder und betete ihn an (Joh 9, 38).

Durch solchen Akt der Anbetung gibt die Seele sich ganz und gar dem Worte Gottes hin. Wenn der Herr in unserm Herzen wohnt, besonders bei der hl. Kommunion, sollten wir nach dem Rate des hl. Franz von Sales alle unsere Fähigkeiten zu ihm hintragen und sie ihm ganz zu eigen geben, damit sie nur auf ihn hören, auf seine Absichten eingehen, seine Gesinnungen annehmen, ihm allein folgen und nur zu seiner Ehre arbeiten. »Le jour de vostre communion, tenez-vous la plus dévote que vous pourrez souspirant ál celuy qui sera en vous et le regardez perpcétuellement de l'oeil interieur gisant ou assis dans vostre propre coeur comme dans son throsne, et luy faites venir l'un après l'autre vos sens, vos puissances pour ouyr ses commandements et luy promettre fidelité.« Advis et résolutions pour la sainte communion. [Oeuvres t. 3. p. 702].

Auf diese Weise ahmen wir die heilige Menschheit Jesu nach. Sie war dem Worte Gottes so innig verbunden, gehörte ihm so ganz zu eigen, dass sie kein eigenes, persönliches Sein hatte. Hierin liegt ja ein wesentliches Merkmal des Geheimnisses der Menschwerdung.

Da Christus in allem unser Vorbild ist, so müssen wir ihn auch hierin nachahmen. Seine allerheiligste Menschheit handelte nie anders als in Unterwürfigkeit unter das Wort Gottes, mit dem sie wesentlich verbunden war und in dem sie ihr Dasein hatte; ähnlich sollte sich auch in uns keine Regung finden, die nicht ganz auf Gott gerichtet wäre, kein Wunsch, der nicht seinem göttlichen Wohlgefallen entspräche, keine Tat die nicht seiner Verherrlichung dienen würde. Eine Seele, die solcherart all ihr Lieben, Wollen und Tun ganz auf das Wohlgefallen Gottes einstellt, kann wie die allerheiligste Menschheit Christi in Wahrheit sagen: »Der Herr lenkt mich; er ist mein Hirte« (Ps 23, 1).

»Und nichts wird mir mangeln« (Ps 23, 1), fügt der Psalmist hinzu. Wirklich ist ja eine solche Seele ganz dem Worte Gottes anheim gegeben, so dass der Herr in Wahrheit von ihr sagen kann: »Diese Seele ist mein und darum auch dein, o Vater; denn all das Meinige ist dein!« Das göttliche Wort schenkt diese Seele dem Vater, damit er ihr ähnlich wie seinem Sohn mit seinem Wohlgefallen zugleich auch seine vollkommensten Gnadengaben schenken möge.

4. In Anbetung und unbedingtem Vertrauen müssen wir sodann seine wahre, dem ewigen Worte vereinte Menschheit anerkennen: »Müde wird der, durch den alle Müden gestärkt werden.«

Christus ist Gott und Mensch. Die gläubige Seele darf sich also nicht damit begnügen, die Gottheit Jesu anzuerkennen, sie muss auch seine allerheiligste Menschheit ehren. Unsere Frömmigkeit wäre nicht vollkommen und allumfassend, wenn wir zwar die Gottheit Christi bekennen, seine heiligste Menschheit aber aus dem Auge verlieren würden.

Manche Seelen glauben ihrem Fortschritt im geistlichen Leben besser zu dienen, wenn sie nur die Gottheit Christi betrachten, sich aber mit der allerheiligsten Menschheit nicht befassen. In diesem Irrtum war auch die große hl. Theresia einige Zeit befangen. Später hat die große Mystikerin ihren Irrtum eingesehen und ihn bitter bereut. Darum auch warnt sie aufs lebhafteste ihre Tochter und damit alle Seelen vor solcher Auffassung, die sie als »großen Irrtum« bezeichnet und deren sie sich nur mit Schmerz erinnert; denn sie hatte sich, wie sie selbst sagt, auf einen »schlechten Weg« begeben und »eines großen Verrates gegen den Heiland sich schuldig gemacht, wenn auch nur aus Unwissenheit«.

Nach der Heiligen beruht dieser Weg auf einem Mangel an Demut, »der so versteckt und verborgen ist, dass man ihn zuerst gar nicht bemerkt ... denn wir müssen uns für unaussprechlich reich halten, wenn es uns gestattet ist, bei der heiligsten Menschheit Christi zu verweilen ... Wenn man nicht zufrieden ist mit der Betrachtung einer so kostbaren Sache, wie die allerheiligste Menschheit Christi, so verrät dies Mangel an Demut ... So unbedeutend dieser kleine Mangel an Demut auch zu sein scheint, ist er doch der Seele, die in der Betrachtung voranschreiten will, sehr nachteilig.

Noch einen anderen Nachteil entdeckt die Heilige in dieser irrigen Auffassung. Die Seele beraubt sich dadurch eines sicheren Haltes. »Wir sind keine Engel«, sagt sie, »sondern wir haben einen Leib.« Unser Denken muss einen Stützpunkt haben ... »Da ist nun Christus ein sehr guter Freund für uns; denn wir sehen ihn als Menschen, wir sehen ihn in Schwachheit und Leiden, wir haben ihn also zum Genossen ... Wollen wir Gott gefallen und große Gnaden von ihm erlangen, so kann dies seinem Willen gemäß auf keine andere Weise geschehen als vermittelst der heiligsten Menschheit Christi.« Ist es nicht in der Tat in unserer Natur begründetes Gesetz, dass wir vom Sichtbaren zum Unsichtbaren aufsteigen? Die Menschwerdung aber ist die göttliche Bestätigung dieses psychologischen Gesetzes.

Die Braut im Hohenlied sagt: »Ich ruhe im Schatten dessen, den ich liebe.« Unter diesem »Schatten« ist die allerheiligste Menschheit Christi zu verstehen, in welcher wir betrachten, wie es sich uns in sichtbarer Gestalt darstellt. »Gott hat großes Wohlgefallen«, so schließt die Heilige, »an unserer Seele, die in Demut seinen Sohn zum Mittler nimmt.« (Leben der hl. Theresia, von ihr selbst beschrieben, Deutsche Ausabe von Fr. Pet. de Alcantara a. S. Maria), Regensburg 1903, 22, Hpstck. S. 274 ff).

Was ist nun der Grund dieser Anordnung? Die Menschwerdung ist ein göttliches Geheimnis. Sie ist das Meisterwerk göttlicher Weisheit und unendlicher Liebe Warum sollten wir nun auf diese wunderbaren Absichten Gottes nicht ganz und voll eingehen? Warum nicht unser kleines, beschränktes Wissen dieser unendlichen Weisheit unterwerfen. Glauben wir etwa, dass die Wege Gottes unzulänglich seien und mit unsern menschlichen Berechnungen ergänzt werden müssen? Wenn der ewige Gott unser Heil und unsere Heiligkeit durch die Vermittlung einer seinem göttlichen Worte vereinten menschlichen Natur verwirklichen wollte, warum sollten wir uns dann dieses Mittels nicht bedienen? Im Geheimnis seiner Menschwerdung ist seine Weisheit ebenso wunderbar wie seine Herablassung.

Bei Lesung des Evangeliums, bei der Feier der Geheimnisse des Herrn, sollen wir daher in Christus den Menschen betrachten. Diese Menschheit ist die Menschheit eines Gottes. Gott ist es, unser Gott und Herr, der da vor uns lebt und handelt, der mitten unter Menschen weilt, um sie mit Beweisen der Liebe an sich zu ziehen.

Vor allem dürfen wir der heiligen Menschheit gegenüber es nicht an der ihr gebührenden Huldigung fehlen lassen.

Ihr gilt zunächst unsere Anbetung. Die Menschheit Christi ist allerdings geschaffen wie die unsere; darum beten wir sie nicht an um ihrer selbst willen, dennoch aber in sich selbst wegen ihrer Vereinigung mit dem Sohn Gottes. Unsere Anbetung gilt der Menschheit, aber nur deshalb, weil sie wesentlich mit einer göttlichen Person vereinigt ist.

Sodann gebührt ihr unbedingtes Vertrauen. - Gott hat die Menschheit Christi zum Werkzeug seiner Gnade gemacht. Durch sie fließen uns alle Gnaden zu. Nicht vom Worte im Schoß des Vaters, sondern vom menschgewordenen Wort sagt der hl. Johannes, dass es »voll der Gnade ist und dass wir alle von seiner Fülle empfangen haben«.

Während seines Erdenlebens hätte der Heiland, weil er Gott war, alle seine Wunder und alle Gnadengaben an die Menschen nur durch einen Willensakt seiner Gottheit bewirken können. Wenn man Krankenheilungen, Totenerweckungen von ihm begehrte, hätte er das verlangte Wunder durch einen einzigen inneren Akt seines ewigen Willens wirken können. Er hat es nicht getan, wie das Evangelium beweist. Mit seiner Hand hat er die Augen der Blinden, die Ohren der Tauben berührt, hat die Zungen des Stummen mit Speichel benetzt, hat die Bahre des Jünglings von Naim festgehalten und die Tochter des Jairus emporgehoben, wie er auch durch den Hauch seines Mundes den Aposteln den Hl. Geist mitteilte. Durch die Berührung mit seiner allerheiligsten Menschheit wirkte Christus seine Wunder und teilte seine Gnaden aus. Sie war das Werkzeug des mit ihr vereinigten Wortes. Dieses wunderbare und ergreifende Gesetz bewahrheitet sich in allen Geheimnissen Jesu.

Diese von Gott selbst gewollte Ordnung bleibt aber deshalb immer bestehen, weil die Vereinigung der Naturen in Christus eine unzertrennliche ist. Wenn wir also im Evangelium lesen oder die kirchliche Liturgie miterleben, wenn wir uns durch einen Glaubensakt mit der allerheiligsten Menschheit Christi vereinen, besonders aber, wenn wir in der hl. Kommunion den Leib des Herrn empfangen, wird diese mit dem Worte Gottes untrennbar vereinigte Menschheit für unsere Seele zum Werkzeug der Gnade.

»Jetzt erkenne ich klar«, schreibt wiederum die hl. Theresia (siehe oben), »dass, wollen wir Gott gefallen und große Gnaden von ihm erlangen, dies seinem Willen gemäß auf keine andere Weise geschehen könne als vermittelst der hochheiligen Menschheit Christi, an welcher seine Majestät, wie sie selbst sagt, ihr Wohlgefallen hat. Dies habe ich sehr oft durch die Erfahrung bestätigt gefunden, auch der Herr selbst hat es mir gesagt. Ich habe deutlich gesehen, dass wir durch diese Pforte eingehen müssen, wenn wir wollen, dass die allerhöchste Majestät uns große Geheimnisse offenbare ... hier wandelt man sicher!« 

Wenn wir etwas nachdenken, wird es uns auch klar, dass die ganze Heilsökonomie auf dieser Grundwahrheit aufgebaut ist. Die Kirche, die heiligen Sakramente, das heilige Opfer und die Predigt sind lauter sichtbare Mittel, mit denen uns Gott zu sich führt, und sie sind eigentlich nur eine ständige Erneuerung der Menschwerdung (Siehe darüber die Ausführungen in »Christus, das Leben der Seele« Kapitel: Die Kirche, die mystische Braut Christi, S. 11).

Es ist also äußerst wichtig und nutzbringend für uns, mit der Menschheit Christi vereinigt zu bleiben. In ihr wohnt nach den Worten des hl. Paulus die Fülle der Gottheit, und durch Vermittlung »der heiligsten Menschheit Christi erhalten wir vom Worte Gottes alle Gnaden. »Das Wort ist Fleisch geworden ... wir haben gesehen des Eingeborenen Herrlichkeit voll Gnade ... und aus seiner Fülle haben wir alle empfangen« (Joh 1, 14 ff). Die Menschheit Jesu Christi ist also das gottgewollte Mittel, um unsern Seelen die Gnade zuzuleiten.

Sie ist aber auch unser Weg, um zur Gottheit zu gelangen. Dieses ist eine nicht weniger wichtige und wohl zu beherzigende Wahrheit. Wir dürfen bei der Menschheit Christi nicht stehen bleiben, als sei sie unser Ziel. Wenn jemand sagen würde, dass sein geistliches Leben darin bestände, sich ganz dem Heiland hinzugeben, so wäre das gewiss gut und ausgezeichnet; denn es kann ja nichts Besseres geben als solche Hingabe an Jesus. Aber was heißt das anders, als sich ganz mit dem Willen Christi vereinigen. Christus aber will uns zum Vater führen. Das ist die Zusammenfassung, das Ziel all seiner Werke: der Vater. »Ich bin der Weg«, sagt er von sich selbst, von seiner allerheiligsten Menschheit. Er ist der einzige Weg, aber immerhin nur Weg. Das Ziel, zu dem dieser Weg uns führen soll, ist der Vater im Himmel. »Niemand kommt zum Vater außer durch mich« (Joh 14, 6). Die Menschheit Christi führt uns dem Wort zu, das Wort aber dem Vater.

So sprach auch Pilatus zu seinen Mitgenossen: »Alles gehört euch; ihr aber gehört Christus, und Christus gehört Gott« (1 Kor 3, 22 ff). In diesen einfachen Worten kennzeichnet der Apostel die Stufen des Gotteswerkes auf Erden. Die Schöpfung dient dem Menschen der für Gott erschaffen ist und durch Christus sein Ziel, Gott, erreicht.

Durch die heilige Menschheit Jesu gehören wir dem Wort Gottes, dem Sohn, der Sohn über ist der Weg zum Vater, Christus führt uns »in den Schoß des Vaters« (Joh 1, 18). Das ist, was uns betrifft, die Veranlassung zum unaussprechlichen Geheimnis des Gottmenschen.

Der hl. Johannes erzählt uns, dass der göttliche Heiland zu Beginn seines öffentlichen Lebens auf seiner Reise durch Samaria zu einer Stadt namens Sichar kam und sich nahe dabei am Jakobsbrunnen niederließ. Unter alt den Einzelheiten, mit denen der hl. Johannes diese Szene genau beschreibt, wird unser Herz besonders davon ergriffen, dass »Jesus müde von der Reise sich am Brunnen niedersetzt«« (Joh 4, 6). Ist dies ja doch eine wahrhaft rührende Offenbarung der Wirklichkeit seiner menschlichen Natur!

Man muss die wundervolle Erklärung dieser Stelle lesen, die der hl. Augustin in meisterhafter Form zu geben weiß mit der ihm eigenen, so bezeichnenden Ausdrucksweise, zumal da, wo er die Vereinigung und zugleich den Gegensatz des Göttlichen und Menschlichen in Christus zeichnen will. Nicht umsonst wird der müde, durch den die Müden gestärkt werden; nicht umsonst wird der müde, bei dessen Abwesenheit wir ermüden, bei dessen Anwesenheit wir gekräftigt werden ... Deinetwegen ist Jesus ermüdet von der Reise. Wir finden die Kraft Jesus, wir finden den schwachen Jesus, den starken und den schwachen Jesus: den starken; denn »im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dieses war im Anfang bei Gott.« Willst du sehen, wie stark dieser Sohn Gottes war? »Alles ist durch ihn geworden, und ohne ihn ist nichts geworden,« und ohne Anstrengung ist es geworden. Was ist also stärker als der, durch den ohne Anstrengung alles geworden ist? Willst du den Schwachen kennen lernen? »Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt. Die Stärke Christi hat dich geschaffen; die Schwäche Christi hat dich neu geschaffen!« 

Der Heilige schließt seine Ausführungen mit den Worten: »Jesus wird schwach im Fleisch; aber werde du nicht schwach! In seiner Schwäche sollst du stark sein.« (BibI. d. Kirchenväter: Des hl Kirchenvaters Aurelius Augustinus Vorträge über das Evangelium des hl. Johannes, 15. Vortr., Kempten und München 1913, 1. Bd., S. 254 ff).

V. ERLÖSER UND HOHEPRIESTER

Von der Notwendigkeit, das Werk und die Sendung des fleischgewordenen Wortes zu betrachten, um dessen anbetungswürdige Person besser zu verstehen. Die Namen des menschgewordenen Wortes erklären seine Sendung und kennzeichnen sein Werk. Jesus Christus ist der Sohn Gottes, der Hohepriester, der durch seinen Opfertod die Menschheit erlöst.

Jesus Christus ist das menschgewordene Wort Gottes, das im Fleisch unter uns erschienen ist; er ist zugleich Gott und Mensch, wahrer Gott und wahrer Mensch, vollkommen in seiner Gottheit, vollkommen auch in seiner Menschheit. In ihm sind zwei Naturen unzertrennlich verbunden in der Einheit der Person und zwar des göttlichen Wortes, damit ist das ganze Wesen Jesu ausgedrückt. Unser Glaube betet gläubig und fromm den Heiland an als unsern Gott und Herrn, während wir zugleich die rührend trostvolle Wirklichkeit seiner Menschheit bekennen.

Wenn wir tiefer in die Kenntnis der Person Jesu eindringen wollen, müssen wir zunächst kurz die Sendung und das Werk des Herrn betrachten. Die Person Jesu ist es, die dieser Sendung und diesem Werk ihren Wert verleiht; die Sendung und das Werk hinwiederum offenbaren uns vollends die Person des Gottmenschen.

Bemerkenswert ist, dass die persönlichen Namen des menschgewordenen Wortes zugleich auch seine Sendung und sein Werk kennzeichnen. Diese Namen sind nämlich nicht, wie so häufig die unseren, ohne tiefere Bedeutung. Sie entstammen dem Himmel und ihr Sinn ist reich, wunderbar und geheimnisvoll. Von den zahlreichen Namen des Heilandes hat die Kirche, eingedenk der Lehre des hl. Paulus, zwei vor allem sich zu eigen gemacht, nämlich Jesus und Christus.

Christus heißt soviel als der Gesalbte, Geweihte, Geheiligte. Im Alten Bunde wurden häufig die Könige durch Salbung geweiht, seltener die Propheten, immer jedoch der Hohepriester. Der Name Christus zugleich mit der Sendung als König, Prophet und Hohepriester, die dieser Name bezeichnet, war im Alten Testament bereits mehreren Personen verliehen worden, ehe das menschgewordene Wort sich würdigte, ihn zu tragen. Niemand aber sollte gleich ihm den Namen Christus in vollem Ausmaß seiner Bedeutung verwirklichen. Das menschgewordene Wort allein ist in Wahrheit der Christus, der Gesalbte, weil allein »der König der Zeiten«, der Prophet schlechthin und der einzige und allgemeine Hohepriester.

Christus ist König. - Er ist König durch seine Gottheit. »König der Könige« nennt ihn die Geheime Offenbarung und »Herr der Herren« (Offb 19,6). Er gebietet der ganzen Schöpfung, die er durch seine Allmacht aus dem Nichts hervorgebracht hat. »Kommt, lasset uns niederfallen vor dem Herrn und ihn anbeten« (Ps 95, 6). »Er hat uns geschaffen, uns selbst« (Ps 99, 2).

Christus ist König sodann als menschgewordenes Wort. Ihm ist durch seinen Vater der Herrscherstab, die königliche Macht über die Welt verheißen. »Ich aber«, so schreibt der Messias, »bin von ihm eingesetzt als König auf Sion, seinem heiligen Berge, und will seinen Ratschluss verkünden; es sprach der Herr zu mir: Mein Sohn bist du. Heute habe ich dich gezeugt. Fordere von mir und ich will dir die Völker geben als dein Erbe und als dein Besitztum die Enden der Erde« (Ps 2, 6 ff). Das Wort wird Fleisch, um »das Reich Gottes« zu begründen. Dieser Ausdruck kehrt in den Predigten des Heilandes sehr oft wieder. Eine ganze Reihe von Parabeln, z. B. vom Schatz im Acker, von der kostbaren Perle, vom Sämann, vom Senfkörnlein, von den Arbeitern im Weinberg, vom Hochzeitsmahl, vom Unkraut unter dem Weizen, von den Knechten, die auf die Ankunft ihres Herrn warten, von den anvertrauten Talenten usw., haben den Zweck, die Größe dieses Reiches zu zeigen, seinen Ursprung, seine Entwicklung, seine nach Verwerfung des Judenvolkes erfolgte Ausbreitung unter den Heiden, seine Gesetze, seine Kämpfe und seinen Triumph. Christus ordnet dieses Reich durch die Wahl der Apostel und die Gründung seiner Kirche, der er seine Lehre und seine Macht übergibt und die er zur Hüterin und Ausspenderin seiner Sakramente aufstellt. Es ist ein Reich ganz geistiger Art, das jenseits aller irdischen und politischen Interessen liegt, ganz anders also, als wie solche der grobsinnliche Geist der meisten Juden erträumte. Allen, die guten Willens sind, stehen die Pforten dieses Reiches offen, das in wunderbarer Schönheit erstrahlt und sich im himmlischen Glanze der ewigen Seligkeit vollendet.

Der Seher auf Patmos preist in seiner Geheimen Offenbarung die Herrlichkeit dieses Reiches. Er zeigt uns, wie die Auserwählten vor Jesus Christus, ihrem göttlichen Haupe, auf das Angesicht sinken, wie sie dem göttlichen Lamm lobsingen, das sie in seinem Blut erkauft hat, aus allen Stämmen und Sprachen, Völkern und Nationen und aus ihnen Gott ein Reich bereitet hat (Offb 5, 9 ff).

Christus muss Prophet sein. Er ist jedoch nicht irgendein Prophet. Er ist der Prophet im eigentlichen Sinne; »denn er ist das Wort Gottes in Person«, das »wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet« (Joh 1, 9). »Zu wiederholten Malen«, schreibt der Völkerapostel an die Hebräer, »und auf mannigfache Art hat Gott einst in den Propheten zu den Vätern gesprochen.« Sie alle waren Gesandte Gottes. »Am Ende dieser Tage aber hat er in seinem Sohn zu uns gesprochen« (Hebr 1, 1 ff). Das ist keiner von denen, die wie aus weiter Ferne und nur zu einem kleinen Teil der Menschheit sprachen und häufig nur unter dunklen Bildern verborgene Ratschlüsse Gottes verkündeten. Es ist jener selbst, der immer lebt im Schoß des Vaters, der allein die Geheimnisse Gottes kennt und der gesamten Menschheit deren wundervolle Offenbarung bringt. »Er hat von ihm Kunde gebracht« (Joh 1,18).

Zu Beginn seines öffentlichen Lebens las der Herr einst in der Synagoge zu Nazareth die herrliche Weissagung des Propheten Jesaja und erklärte feierlich, dass sie ihm selbst gelte. »Der Geist des Herrn ruht auf mir, er hat mich gesalbt, den Armen die frohe Botschaft zu bringen, er hat mich gesandt, gebrochene Herzen zu heilen, den Gefangenen Befreiung, den Blinden das Augenlicht, den Unterdrückten Erlösung zu verkünden, ein Gnadenjahr des Herrn und einen T8g der Vergeltung auszurufen« (Lk 4, 18 ff).

Christus ist somit im eigentlichen Sinne der Prophet, der Gesandte Gottes, der durch Wundertaten, die er aus eigener Machtvollkommenheit wirkt, die Göttlichkeit seiner Sendung, seiner Lehre und seiner Person beweist. Daher rief auch die Menge nach der geheimnisvollen Brotvermehrung in einmütigem Staunen: »Das ist wahrhaft der Prophet, der in die Welt kommen soll« (Joh 6, 14).

Vor allem jedoch hat das menschgewordene Wort den Namen Christus verwirklicht in seiner Eigenschaft als Hohepriester und allgemeiner Mittler.

Hier aber verbindet sich der Name Christus mit dem Namen Jesus. Der Name Jesus bedeutet Erlöser. »Du sollst ihm den Namen Jesus geben; denn er wird sein Volk erlösen von allen seinen Sünden« (Mt 1, 21), so spricht der Engel zu Joseph und bezeichnet damit die eigentliche Aufgabe des Menschensohnes, der gekommen ist »zu retten, was verloren war« (Mt 18,11; vgl. Lk 19, 10). Und in der Tat verwirklicht Jesus die volle Bedeutung seines Namens erst durch seinen Opfertod, da er sein Versöhnungsopfer als Hohepriester erfüllt. »Der Menschensohn ist gekommen, sein Leben als Lösegeld für alle zu opfern« (Mt 20, 28). Die beiden Namen ergänzen sich also gegenseitig und bleiben in alle Ewigkeit unzertrennlich verbunden. Jesus Christus ist der zum Hohepriester eingesetzte Sohn Gottes, der durch sein Opfer die ganze Menschheit erlöst.

Wir werden daher die anbetungswürdige Person des Gottmenschen, insoweit dies durch den Glauben überhaupt möglich ist, nur dann erfassen, wenn wir das Hohepriestertum Christi und sein Opfer betrachten. Im folgenden soll gezeigt werden, wie Christus durch seine Menschwerdung zum Hohepriester eingesetzt wurde und wie gleich beim Eintritt in die Welt sein Opfer begann. Das ganze Leben Christi erstrahlt uns im Glanze des Hohepriestertums und trägt das Siegel des Opfers.

So werden wir in etwa eindringen in das Verständnis der erhabenen Größe wie auch der Anordnung der Geheimnisse des Gottmenschen. Wir werden begreifen, welch erhabene Einheit diese Geheimnisse untereinander verbindet. Das Opfer Christi als sein wesentliches und eigentliches Werk ist gleichsam der Gipfelpunkt, in dem alle Geheimnisse seines irdischen Lebens zusammenlaufen, und ist zugleich die Quelle, aus welcher alle Stufen seines glorreichen Lebens ihren Glanz schöpfen. Wir werden auch verstehen lernen, dass eben dieses Opfer der Ursprung überreicher Gnaden für alle jene Seelen ist, die danach verlangen, aus ihm ihren Durst nach Leben und Freude zu stillen.

1. In der Menschwerdung ist Christus zum Hohepriester eingesetzt

Im Brief an die Hebräer beschreibt der hl. Paulus in einer Sprache voll großartiger wundervoller Kraft die unfassbare Herrlichkeit Christi als Hohepriester. Dies ist dem Apostel ein Gegenstand, worüber »er viel zu sagen hat und solche Dinge, die schwer verständlich zu machen sind« (Hebr 5, 11). Er zeichnet die Sendung Christi als jene des göttlichen Mittlers, er hebt den Vorzug seines Priestertums und seines Opfers vor dem Hohepriester Aarons und den Opfern des Alten Bundes hervor; denn Christi Opfer auf Golgatha ist das einzig wahre Opfer, das sich in unerschöpflicher Wirksamkeit im Heiligtum des Himmels fortsetzt.

Der hl. Paulus offenbart uns die Wahrheit, dass Jesus Christus sein Priestertum vom ersten Augenblick seiner Menschwerdung an besitzt.

Was ist der Priester? Der Apostel sagt es uns: Der Priester ist Mittler zwischen Gott und den Menschen. Er bringt seinen, Herrn und Gott die Anbetung der Geschöpfe dar und diesen hinwiederum gibt er Gott, den Heiligen, daher im Lateinischen der Name sacerdos = sacrum dans, d. i. Heiliges darbietend.

»Jeder Hohepriester wird aus der Zahl der Menschen genommen und für die Menschen aufgestellt in ihren Angelegenheiten bei Gott« (Hebr 5, 1).

Ehedem erfolgte die Weihe der Priester durch eine eigene Salbung, wodurch angezeigt werden sollte, dass der Geist des Herrn auf dem Erwählten ruhe und ihn dadurch in besonderer Weise für sein Priesteramt befähige. Beim menschlichen Priestertum ist dieser priesterliche Charakter etwas, das zur Person des Menschen hinzukommt. Bei Christus hingegen ist das Priestertum etwas alle gewöhnlichen Begriffe Übersteigendes, ebenso wie das Mittleramt, das er auf sich genommen. Jesus ist Hohepriester geworden im Augenblick seiner Menschwerdung und eben durch seine Menschwerdung. Nur der Glaube vermag in dieses Geheimnis einzudringen; denn menschliche Vernunft und irdische Weisheit versagen vor solcher Größe. Versetzen wir uns im Geiste in das Haus von Nazareth, um dem himmlischen Zwiegespräch zwischen dem Engel und der Jungfrau, wie es der Evangelist Lukas verzeichnet hat, zu lauschen. Der Gottesbote will der Allerreinsten erklären, was sich in ihr vollziehen soll, und spricht: »Der Hl. Geist wird auf dich herabkommen und die Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten.

Darum wird auch das Heilige, das aus dir geboren wird, Sohn Gottes heißen.« Maria aber sprach: »Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe nach deinem Wort« (Lk 1, 35 ff). In diesem Augenblick ist das Wort Fleisch geworden und hat sich in unaussprechlicher Vereinigung mit einer menschlichen Natur vermählt. Durch die Menschwerdung tritt das ewige Wort Gottes in unser Geschlecht ein und wird in vollster Wahrheit einer aus uns und uns gleich in allem, ausgenommen die Sünde. Daher kann Jesus nun auch Mittler und Hohepriester werden und die Menschen mit Gott verbinden; denn er ist aus der Zahl der Menschen genommen (Hebr 5, 1), Gott und Mensch zugleich. In der allerheiligsten Dreifaltigkeit ist die zweite göttliche Person, die unendlich wesenhafte Herrlichkeit des Vaters, »der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Abbild seines Wesens« (Hebr 1, 3). Das ewige Wort aber brachte vor der Menschwerdung dem Vater kein Opfer dar. Das Opfer setzt nämlich Huldigung, Anbetung voraus, somit Anerkennung der eigenen geschöpflichen Niedrigkeit dem höchsten, ungeschaffenen Sein gegenüber. Das Wort aber ist in allem dem Vater gleich, Gott mit ihm und wie er und kann ihm daher kein Opfer darbringen. Das Priestertum Christi konnte daher erst mit der Menschwerdung beginnen. Von dem Augenblicke an, da das ewige Wort sich mit der Hülle unseres Fleisches umgab und in seiner Person zwei Naturen vereinigte, die göttliche, kraft deren es sprechen durfte: »Ich und der Vater sind eins« (Joh 10,30) und die menschliche Natur, zufolge welcher der Heiland sprach: »Der Vater ist größer als ich« (Joh. 14, 28). Nur als Gottmensch also ist Jesus Hohepriester.

Gewichtige Autoren leiten das lateinische Wort für Hohepriester, Pontifex, ab vom Ausdruck pontem facere, »eine Brücke schlagen«. Welches immer der Wert dieser Auslegung sein möge, sicher ist, dass sich der Gedanke trefflich auf Christus anwenden lässt. Der himmlische Vater erklärte der hl. Katharina von Siena in wunderbarer erhabener Unterweisung, wie Christus der Herr durch die Verbindung beider Naturen eine Brücke über den tiefen Abgrund geschlagen habe, der die Menschheit vom Himmel trennte. »Ich will, dass du auf jene Brücke schaust die ich für euch in meinem eingeborenen Sohn geschlagen habe und dass du ihre Größe betrachtest, die vom Himmel bis zur Erde reicht, denn der Gottheit hehre Größe hat sich verbunden mit dem Staub eurer Menschheit. Das war notwendig, um den zerstörten Zugang wieder herzustellen und euch den Durchgang durch des Lebens Bitterkeiten auf solche Weise zu ermöglichen, damit ihr zur ewigen Seligkeit gelangen könnt« (S. Aug., De Trinitate XV. 27).

Ferner ist durch das Geheimnis der Menschwerdung die allerheiligste Menschheit des Wortes geweiht, »gesalbt« worden (Dialog. II. 6), nicht zwar durch äußere Salbung, wie einfache Geschöpfe sie empfangen, sondern mit einer durchaus geistigen Salbung. Durch die Wirkung des Hl. Geistes, den die Liturgie »geistige Salbung« (Spirtalis unctio: Hymn. Veni creator) nennt, hat dic Gottheit sich auf die Menschheit Jesu wie Freudenöl ausgegossen. »Es salbte dich der Herr, dein Gott, mit Freudenöl vor den Genossen dein« (Ps 45, 8). Diese Salbung ist so durchdringend, dass die Menschheit Jesu in so einzigartiger Weise Gott geweiht ist, wie man sich keine innigere Zusammengehörigkeit denken kann. Ist ja diese menschliche Natur die persönliche Menschheit eines Gottes geworden, die Menschheit des Gottessohnes.

Daher erscholl im Augenblick der Menschwerdung, die in göttlicher Salbung den ersten Priester des Neuen Bundes weihte, ein Freudenruf durch alle Himmel: »Auf ewig sollst du Priester sein nach der Ordnung des Melchisedech« (Ps 110, 4). Und Paulus, dessen Auge in so tiefe Geheimnisse eindringen durfte, schreibt im Hebräerbrief: »Niemand darf sich diese Würde anmaßen, sondern er muss wie Aaron von Gott berufen sein.« So hat auch Christus das Hohepriestertum nicht eigenmächtig an sich gerissen. Vielmehr hat der es ihm gegeben, der zu ihm sprach: »Mein Sohn bist du, ich habe dich heute gezeugt.« So sagt er auch an einer andern Stelle: »Du bist Priester in Ewigkeit« (Hebr 5, 4 ff).

Mithin hat Christus nach dem Zeugnis des Apostels vom ewigen Vater selbst das Hohepriestertum empfangen, vom Vater der zu ihm gesprochen: »Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt« (Ps 2, 7). Das Priestertum Christi ist eine notwendige und unmittelbare Folge der Menschwerdung.

Lasst uns ihn anbeten, diesen heiligen und makellosen Hohepriester, den wahren Gottessohn! Lasst dankerfüllt uns niedersinken vor dem Mittler, der, weil Gott und Mensch zugleich, allein seine Sendung zu unserm Heil erfüllen und uns die Gaben Gottes durch die Hinopferung seiner menschlichen Natur erwerben konnte! Lasst uns aber vor allem unbegrenzt vertrauen auf die heiligende Kraft seiner Gottheit, die einzig und allein imstande war, uns mit dem Vater zu versöhnen.

»Von der Erde ausgehend«, sprach Gott Vater zur hl. Katharina von Siena, »war es unmöglich, eine Brücke zu bauen, die weit genug gewesen wäre, um das ewige Leben zu erreichen; denn die staubgeborene menschliche Natur war durch sich selber außerstande, Sühne zu leisten für die Sünde und die Makel der Erbschuld Adams auszulöschen, durch welche die ganze Menschheit verderbt und vergiftet ward. Sie musste also mit der Erhabenheit der ewigen göttlichen Natur verbunden werden, damit so eine menschliche Natur befähigt würde, für das gesamte Menschengeschlecht genugzutun. Die menschliche Natur musste sich dem Leiden und der Strafe unterziehen, und die mit dieser menschlichen Natur verbundene Gottheit musste das Opfer annehmen, das mir mein Sohn in mir selber darbrachte, um den Tod zu töten und euch das Leben zu schenken. So hat sich meine Hoheit erniedrigt bis zu den Tiefen eurer staubgeborenen Natur. Durch diese Vereinigung ward die Brücke gebaut und der Weg gebahnt. Um aber das Leben zu erlangen, genügt es nicht, dass mein Sohn die Brücke geworden ist. Ihr müsst über diese Brücke gehen« (Siehe a. a. O.).

2. In und mit seiner Menschwerdung beginnt Christus gleicherweise sein Opfer

Wie das Priestertum, so hat auch das Opfer unseres einzig wahren Hohepriesters in der Menschwerdung seinen Anfang genommen.

Die Seele Christi, erschaffen wie die unsere, war in der Ausübung ihrer Fähigkeiten, des Verstandes und Willens nicht wie wir an die fortschreitende körperliche Entwicklung gebunden, sie besaß vielmehr vom ersten Augenblick ihres Daseins an die Vollkommenheit ihres eigenen Lebens, so wie es einer mit der Gottheit verbundenen Seele geziemte.

Der Apostel Paulus offenbart uns die erste Regung der Seele Jesu im Augenblick ihrer Menschwerdung.

Diese Seele umspannte mit einem einzigen Blick alle vergangenen Jahrhunderte. Sie durchmaß den tiefen Abgrund, worin die ganze Menschheit versunken war, unfähig, sich wieder zu erheben. Sie erkannte die trotz aller Mannigfaltigkeit völlige Unzulänglichkeit der alttestamentlichen Opfer; denn das endliche Geschöpf, auch das vollkommenste, ist aus sich gänzlich unfähig, die Beleidigung zu sühnen, die die Sünde dem unendlichen Schöpfer gegenüber darstellt, kurz, die Seele Jesu überschaute die allumfassende Größe der Hinopferung die der Vater von ihr verlangte als Sühnepreis für das Heil der Welt.

Welch feierlicher Augenblick für die Seele des Gottmenschen, welch wichtiger Augenblick aber auch für die gefallene Menschheit!

Was tut nun die Seele Jesu? In glühendster Liebe gibt sie sich schrankenlos hin, um das gottmenschliche Werk zu erfüllen, das allein dem Vater Sühne leisten und die Welt erlösen kann. »Nicht Opfer willst du, Herr, nicht Gaben« (Ps 40, 7), sie genügen dir nicht, sie sind deiner nicht würdig. »Einen Leib hast du mir geschaffen« (Hebr 10, 5), damit ich, o Vater deinen Willen ganz und gar erfülle, mich dir zum Opfer bringen kann. »Siehe, ich komme. Zu Anfang des Buches steht von mir geschrieben, dass ich deinen Willen tue. O mein Gott, dies ist meine Freude, und dein Gesetz ist inmitten meines Herzens« (Hebr 10, 5 ff; Ps 39, 7 ff)!

Mit vollkommener Willenshingabe hat Christus die Unsumme von Leiden auf sich genommen, die mit der Demut der Krippe begannen und am Kreuze ihren Abschluss fanden. Gleich bei seinem Eintritt in diese Welt bringt Christus sich zum Opfer dar, der erste Akt seines Lebens ist eine priesterliche Handlung. Welches Geschöpf vermöchte die Liebe zu ermessen, die dieser erste priesterliche Akt umschloss; wer könnte seine Tiefe ergründen, seine Schönheit erfassen? Schweigende Anbetung allein vermag ihn in etwa zu preisen. Christus hat diesen ersten Willensakt nie widerrufen, nie etwas von dieser ersten Gabe zurückgenommen; im Gegenteil, sein ganzes Leben bleibt auf das Opfer des Kreuzes hingeordnet. Wer in diesem Lichte das Evangelium liest, wird in jedem der Geheimnisse Jesu an das Opfer erinnert werden, das den Herrn allmählich auf die Höhen des Kalvarienberges führt: so tief, so wesentlich ist der Person Christi das Gepräge des Hohepriesters, des Mittlers, des Erlösers aufgedrückt! Wir werden das Merkmal der Person Christi nicht richtig erfassen, wenn wir Christus nicht beständig unter dem Gesichtspunkt seiner Sendung als Erlöser durch Opfer und Selbsthingabe betrachten. Darum kommt auch der Apostel immer wieder auf das eine große Geheimnis zurück, das alles umschließt. »Ich hatte mir vorgenommen, kein anderes Wissen unter euch zu zeigen, als das von Jesus Christus und zwar dem Gekreuzigten« (1 Kor 2, 2).

Christus wird geboren in äußerster Armut und Dürftigkeit, er muss in ein fremdes Land fliehen, um der Verfolgungswut eines Tyrannen zu entgehen; er wächst auf bei harter Arbeit in seines Pflegevaters Werkstatt. Während seines öffentlichen Lehramtes hat er nichts, worauf er sein Haupt legen könne; unablässig wird er von den Pharisäern, seinen Todfeinden, verfolgt; er leidet Hunger, Durst und Müdigkeit, ja noch mehr, er glüht vor Sehnsucht nach der Vollendung durch den Opfertod: »Ich habe eine Taufe zu bestehen, und wie drängt es mich, bis sie vollendet ist« (Lk 12, 50)!

Jesus ist, wenn man so sagen darf, getragen von heiliger Begeisterung für sein Opfer. Das Evangelium berichtet uns, wie der Herr aus Rücksicht auf die Schwäche seiner Jünger sie ganz allmählich einführt in das Geheimnis seines Leidens. So sagt er ihnen eines Tages, dass er nach Jerusalem gehen müsse, um dort von den Ältesten, Hohepriestern und Schriftgelehrten viel zu leiden und getötet zu werden. Petrus aber zog ihn beiseite und machte ihm einen Vorhalt darüber: »Gott bewahre, Herr, das darf dir nimmer widerfahren.« Jesus aber wandte sich um und sprach zu Petrus: »Weg von mir, Satan, du willst mich abwendig machen, du hegst nicht Gottes Gedanken, sondern Menschen Gedanken« (Mt 16, 21 ff; Mk 18, 31 ff)!

Auch inmitten der Herrlichkeit seiner Verklärung auf Tabor spricht der Herr mit Moses und Elias nur von seinem bevorstehenden Leiden. Er dürstet förmlich darnach, seinem Vater die Verherrlichung zu bieten, die das Kreuzesopfer ihm bringen sollte. »Kein Strichlein und kein Häklein wird vom Gesetze vergehen, bis alles erfüllt ist« (Mt 5, 18). Er will alles auf sich nehmen bis auf ein Jota, d. h. bis aus die geringste Einzelheit. Todesangst, Traurigkeit und Schmerz beugen den Heiland nieder, zutiefst empfindet er sie: »Mein Vater, wenn es möglich ist, lass diesen Kelch an mir vorübergehen«, und dennoch will er nur den Willen des Vaters erfüllen; »nicht wie ich will, sondern wie du willst« (Mt 26, 39; Mk 14, 36 Lk 22, 42). Als er endlich auf Golgatha sein Opfer vollendet, kann Christus, ehe er den letzten Atemzug verhaucht, sagen, dass er die Aufgabe, die ihm der Vater gegeben, vollkommen erfüllt habe. »Es ist vollbracht« (Joh 19, 30). Dieser letzte Ruf des göttlichen Opferlammes am Kreuze entspricht dem »Siehe, ich komme« seiner Menschwerdung im Schoß der Jungfrau.

3. Die verschiedenen Opferhandlungen Jesu

Das Opfer seiner selbst, das Christus dargebracht hat, ist ein vollkommenes und ununterbrochenes Ganzopfer, das aber mehrere Akte umfasst. Zunächst den Akt der Anbetung.

In der allerheiligsten Dreifaltigkeit gehört der Sohn ganz und gar seinem Vater, auf den er sozusagen alles bezieht, was er ist. Von dem Augenblick an, wo das Wort Fleisch wurde, ist die ihm vermählte menschliche Natur mit hineingerissen in den Strom, der den Sohn zum Vater hinträgt. Da diese Menschheit aber eine geschaffene, der Gottheit untergeordnete Natur ist, äußert sich ihre Hingabe in der Anbetung. Diese Anbetung ist die denkbar vollkommenste, ist einzig in ihrer Art. Die heiligste Menschheit Jesu versenkte sich, kaum dass sie mit dem Worte vereint war, in die tiefste Anbetung, in demütigste Selbsterniedrigung vor der göttlichen Majestät, dessen unendliche Schönheit sie in der visio beatifica, der seligen Anschauung, betrachtete.

Die Opfertat Christi umfasst ferner den Akt der Danksagung. Es steht fest, dass von allen Gnaden- und Liebesbeweisen, die Gott überhaupt verleihen kann, der größte, alles Überragende jener ist, den die allerheiligste Menschheit Christi empfangen hat. Gott hat sie erwählt und vorausbestimmt, »vor den Genossen« die Menschheit seines Sohnes zu sein, die seinem Worte in unfassbar inniger Verbindung vereint ward. Diese Gnade ist ganz einzig in ihrer Art und übersteigt jeden Begriff, den der menschliche Geist von einer Mitteilung der Gottheit an das Geschöpf sich machen kann. In Kraft dieser persönlichen Einheit war die Seele Jesu gesättigt mit allen Wonnen der Gottheit und strömte gleichsam über in heiliger Danksagung. Wennschon wir selbst manchmal kaum wissen, wie wir unserm himmlischen Vater unsere Dankbarkeit bezeigen sollen, wie unendlich groß muss da erst die Dankesfülle in der Seele Jesu gewesen sein angesichts der unendlichen Gnade, die sie empfing, der unvergleichlichen Vorzüge, die seiner Vereinigung mit dem Worte entströmten, nicht nur für seine eigene Person, sondern auch in seiner Eigenschaft als Haupt des mystischen Leibes!

Auch den Akt der Sühne finden wir in der Opfertat Christi. Das Geschlecht, dem das göttliche Wort seine menschliche Natur entlehnt, ist sündig, ist tief gefallen. Einem Leib der Sünde hat sich das Wort vermählt »in der Gestalt des sündigen Fleisches« (Röm 8, 3). Allerdings war der Herrin seiner Person ganz und gar unsündlich; denn wir haben einen Hohepriester, der in »allem ebenso versucht worden ist wie wir, doch ist er ohne Sünde« (Hebr 4, 15). Christus, der wahre Hohepriester, ist nach den Worten des hl. Paulus »heilig, schuldlos, rein, nicht aus der Zahl der Sünder, sondern über alle Himmel erhoben« (Hebr 7, 26). »Aber der ewige Vater hat auf seine Schultern alle unsere Missetaten gelegt« (Jes 53, 6). Wie sich der Apostel kraftvoll ausdrückt, ist Jesus für uns geradezu zum Träger der Sünde gemacht (2 Kor 5, 21). Deshalb schloss das Opfer seiner selbst, das er im Augenblick der Menschwerdung dem Vater darbrachte, alles in sich, was das Erdenleben ihm bringen sollte: die Armut des Stalles, die Niedrigkeit des verborgenen Lebens, die Mühen und Kämpfe des öffentlichen Lehramtes, die Schrecken der Todesangst und den bittern blutigen Tod am Kreuze. »Er entäußerte sich vielmehr selbst, nahm Knechtsgestalt an ... er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz« (Phil 2, 7 ff). Obwohl er Gott war, wollte Christus seine Gottgleichheit nicht geltend machen, vielmehr wollte er arm und niedrig werden, indem er in der Menschwerdung die Eigenschaften einer geschöpflichen Natur auf sich nahm und den Menschen gleich ward, ja, indem er sich im Gehorsam verdemütigte bis zum Tod am Kreuz.

Der Opfertod auf Golgatha war eine Sühne von unermesslichem Wert, weil Christus Gott war, aber auch weil seine Selbstentäußerung bis zur äußersten Grenze der Erniedrigung gegangen ist. Am Kreuz sterbend, ist er für uns »zum Fluch« geworden, »der Leute Spott und die Verachtung des Volkes« (Ps 22, 7). Und diese unerhörte Schmach, in die er sich versenken sollte, um unsere Sündenschuld zu tilgen, hat er gleich beim Eintritt in diese Welt auf sich genommen mit einem Willensentschluss seiner Seele, der liebend alles umfasste, was ihn an Demütigungen, Schimpf und Qualen erwartete.

Die Opfertat Christi hat endlich auch Bittcharakter. Wohl sagt uns das Evangelium nichts von einem Gebet des Herrn für uns, also einem eigentlich priesterlichen Gebete im Augenblick seiner Menschwerdung; selbst aus der Zeit seines öffentlichen Lebens berichtet es nur im Allgemeinen, dass er z. B. »die Nacht im Gebet verbrachte« (Lk 6, 12). Der Evangelist Johannes aber hat uns aufgezeichnet, wie der Herr beim letzten Abendmahl für die Seinen und für uns zum Vater flehte, ehe er sein Leiden beginnen und sein Opfer vollenden sollte. Dies ist das hohepriesterliche Gebet Jesu. Es gibt wohl in der ganzen Schrift des Neuen Testamentes keinen Abschnitt von gleich erhabener Schönheit! Sicherlich war dieses Gebet nichts anderes als die Zusammenfassung, gleichsam der letzte Widerhall alles vorausgegangenen Flehens, das der Herr während seines irdischen Lebens zum Vater empor gesandt hat in seiner Eigenschaft als Opferpriester.

»Vater, die Stunde ist gekommen; verherrliche deinen Sohn, damit dein Sohn dich verherrliche. Du hast ihm Macht über alles Fleisch gegeben, damit er allen, die du ihm anvertraut hast, das ewige Leben verleihe. Das aber ist das ewige Leben: dich erkennen, den allein wahren Gott und den du gesandt hast, Jesus Christus ... Ich habe deinen Namen den Menschen geoffenbart, die du mir von der Welt gegeben hast ... Nun wissen sie, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir ist ... Für sie bitte ich, ... die du mir gegeben hast; denn sie sind dein. Heiliger Vater, bewahre sie in deinem Namen, … dass sie eins seien, wie wir es sind ... Dies rede ich, solange ich noch in der Welt bin, damit meine Freude vollkommen die ihre sei ... Ich bitte nicht: Nimm sie hinweg aus der Welt, sondern behüte sie vor dem Bösen ... Für sie weihe ich mich, damit sie in Wahrheit geweiht seien, d. h. ich bringe mich für sie zum Opfer dar ... Ich habe die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, ihnen gegeben, damit sie eins seien, wie wir eins sind. Vater, lass jene, die du mir gegeben hast, bei mir sein, dort, wo ich bin, damit sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir verliehen hast; denn du liebtest mich, noch ehe die Welt war« (Joh 17).

Welch ein Gebet und aus welchem Herzen kommend! Aus dem Herzen des Heilandes selbst, im Augenblick, da er sich als Hohepriester der gesamten Menschheit hinopfern will für unsere Schuld! Wie ist es nur möglich, dass wir so oft zweifeln an der Macht unseres Erlösers? Wie kommt es, dass wir so oft schwach und mutlos werden, wo doch Jesus als wahrer Gott und wahrer Mensch am Vorabend seines Leidens ein solches Gebet empor sandte zu seinem Vater in jenem Augenblick, da er sich anschickte ihn zu verherrlichen mit unendlicher Herrlichkeit durch sein Sühnopfer für unsere Sünden? - O, mein Herr und Heiland, sprich auch für uns wiederum diese Bitte: » Vater, bewahre sie in deinem Namen, die du mir gegeben hast damit meine Freude in ihnen sei dass sie deren Fülle genießen dass sie teilen meine Herrlichkeit und dass alle eins seien in uns.« 

4. Fortdauer des Hohepriestertums und die Opferung Christi im Himmel

Das Gebet Jesu hat Erhörung gefunden. Das Opfer, das auf dieses Gebet folgte, hat der Menschheit überreiche Gnaden der Verzeihung, der Rechtfertigung und der Gottvereinigung, des Lebens, der Freude und Herrlichkeit verdient. Der hl. Paulus sagt nicht bloß, dass Christus gleich bei seiner Menschwerdung zum Hohepriester über das Menschengeschlecht eingesetzt worden sei; er fügt hinzu: »In den Tagen seines Erdenlebens hat er Bitten und Flehen unter lauten Rufen und unter Tränen vor den gebracht, der ihn vor dem Tode bewahren konnte und um seiner Ehrfurcht willen auch Erhörung gefunden, und obwohl er der Sohn Gottes war, lernte er durch sein Leiden den Gehorsam kennen. So vollendet wurde er für alle, die ihm gehorchen, der Urheber des ewigen Heiles« (Hebr 2, 7 ff)

Der Apostel lässt auch unsere Heiligung von dem Opfer ausgehen, das der Herr im Augenblick seiner Menschwerdung Gott darbrachte; denn dieses Anfangsopfer schloss wie in einem Keim auch die letzte Entfaltung das Opfer auf Golgatha in sich. Auf Grund dieses Opferwillens sind wir ein für allemal geheiligt eben durch die Hinopferung des Leibes Jesu Christi (Hebr 10,10).

Es steht damit fest, dass jegliche Gnade, welcher Art sie auch sein mag, uns durch das Kreuz des Herrn zuströmt und dass es keine gibt, die nicht mit dem hochheiligsten Blut des Erlösers erkauft ist. Durch sein Priestertum ist Christus unser alleiniger Mittler, der immer Erhörung findet. Deshalb auch ruft der hl. Paulus in Kraft seiner lebendigen Überzeugung aus, »dass Gott in seinem Sohn uns alles geschenkt habe« (Röm 8, 32). Wir sind reich geworden und zwar so überfließend reich, dass es uns zukünftig nach dem Worte des Apostels »an keiner Gnadengabe mangelt« (1 Kor 1, 7).

Diese Offenbarung muss in uns unbedingtes und unerschütterliches Vertrauen erwecken. In unserem Heiland finden wir alles, besitzen wir alles, und wenn wir nur wollen, wird uns in Jesus nichts fehlen. Jesus ist unser Heil, die Quelle all unserer Vollkommenheit, all unserer Heiligung.

Unser Hohepriester ist so groß und sein Priestertum so allumfassend, dass Christus auch heute noch sein Amt als Mittler erfüllt und sein Opfer fortsetzt zu unserer Heiligung. Wie geschieht das?

Zunächst im HimmeI.

Wir stehen hier vor einem unendlich erhabenen Geheimniss. Das ewige Priestertum Christi umschließt verborgene Tiefen, deren Reichtum der hl. Paulus im Hebräerbrief und der hl. Johannes in seiner Geheimen Offenbarung uns ahnungsvoll bewundernd schauen lassen.

Der Apostel der Heiden preist in wunderbaren Worten das ewige Priestertum Jesu. Er schaut Christus, den Herrn, sitzend zur Rechten des Thrones Gottes. »Wir haben einen erhabenen Hohepriester, der die Himmel durchschritten bat, Jesus, den Sohn Gottes« (Hebr 12, 2). »Er ist als Vorläufer für uns eingegangen, er, der Hohepriester auf ewig nach der Ordnung des Melchisedech« (Hebr 4, 14). »Er besitzt ein unvergängliches Priestertum, weil er in Ewigkeit bleibt ... Er lebt ja immerdar, um für uns einzutreten ... über alle Himmel erhaben« (Hebr 7, 24 ff). Wir haben also einen Hohepriester der zur Rechten des Thrones Gottes sitzt, als einziger Diener des wahren Heiligtums, das nicht von Menschenhand gebildet ist; denn nicht in ein irdisches Gegenbild des Himmels ist Christus eingegangen, sondern in den Himmel selbst, »um nunmehr vor dem Angesicht Gottes für uns einzutreten« (Hebr 9, 24). Alle diese gewaltigen Ausdrücke tun uns kund, dass Jesus Christus im Himmel ewiglich unser Hohepriester ist und sein Opfer für die Menschheit fortsetzt. Allerdings bemerkt der hl. Paulus ausdrücklich, dass es nur ein Opfer gibt und zwar das Kreuzesopfer. »Mit dem einen Opfer hat er für immer die zur Vollendung geführt, die sich heiligen lassen« (Hebr 10, 14). Es kann keine anderen Opfer geben; das Kreuzesopfer ist endgültig und einzig.

Wie im Alten Bund der Hohepriester einmal im Jahr, nachdem er im vorderen Gezelt des Tempels das Opfer dargebracht hatte, mit dem Blut der geschlachteten Tiere in das zweite Gezelt, in das Allerheiligste, trat und dort sein hohepriesterliches Amt vor dem Herrn erfüllte, so ist auch Christus nach des Apostels Wort »mit seinem eigenen Blut ein für allemal in das Allerheiligste eingetreten« (Hebr 9, 12). So ist er nur einmal am Ende der Zeiten erschienen, um durch das Opfer seiner selbst die Sünden zu tilgen« (Hebr 9, 26), und so setzt er in der Herrlichkeit des Himmels sein göttliches Mittleramt fort.

Was tut Christus der Herr im Heiligtum des Himmels? Was ist sein Werk dort oben?

Verdienen kann er nicht mehr. Im Augenblick, da er am Kreuz den Geist aufgab, war auch die Zeit des Verdienenkönnens für ihn vorüber. Die Zeit, seine Verdienste den Menschen zuzuwenden, aber besteht fort bis zum Jüngsten Tage.

Sein Werk im Himmel ist es daher, »nunmehr vor dem Angesicht Gottes für uns einzutreten« (Hebr 9, 24), lebend weilt er dort, weil der Tod »keine Macht mehr über ihn hat« (Röm 6, 9) und bietet dem Vater sein Opfer für uns dar, das bereits vollbracht ist, in seiner Person aber fortbesteht. Er zeigt dem Vater seine fünf heiligen Wundmale, die ein feierliches Zeugnis, ein vollgültiges Pfand seines Opfers am Kreuz sind.

Im Namen der Kirche, deren Haupt er ist, vereint er unsere anbetende Huldigung, unsere Bitten, Flehgebete und Danksagungen mit seinem eigenen Opfer. Ohne Unterlass gedenkt der mitieidsvolle Hohepriester unser, ohne Unterlass ist er am Werk, uns seine Verdienste, seine Genugtuung und sein Opfer zu unserer Heiligung uns zuzuwenden.

Somit gibt es auch im Himmel bis ans Ende der Zeiten ein Opfer, das Jesus Christus in überragender, wunderbar erhabener Weise, aber im ewigen Zusammenhang mit seinem Opfer am Kreuz für uns darbringt. Da ist es wohl begreiflich, dass der hl. Paulus, nachdem er die Macht und Herrlichkeit des göttlichen Hohepriesters geschildert hat, die dringende Mahnung beifügt: »Da wir also einen erhabenen Hohepriester haben, der die Himmel durchschritten hat, Jesus, den Sohn Gottes, so lasset uns also am Bekenntnis festhalten« (Hebr 4, 14)! Dieses Bekenntnis ist nichts anderes als der Glaube an Jesus Christus, unseren obersten Mittler, an den unendlichen Wert seines Opfers und seiner Verdienste, der Glaube an den unbegrenzten Bereich seines Einflusses bei Gott. »Lasst uns also«, fährt der Apostel fort, »mit Zuversicht hinzutreten zum Throne der Gnade, um Barmherzigkeit zu erlangen und Gnade zu finden zur rechten Zeit« (Hebr 4, 16).

Welche Gnade könnte uns dieser Hohepriester versagen, der da mitzufühlen vermag mit unserer Schwachheit, mit unsern Gebrechen und Leiden! Hat er ja alle selbst empfunden, um uns ähnlich zu sein, dieser allmächtige Hohepriester, der zu seinem Vater sprechen darf, wie zu seinesgleichen: »Ich will, Vater« (Joh 17, 24), der mit uns vereint sein will, wie das Haupt mit den Gliedern? Welch überströmenden Gnadenschatz an Verzeihung, Vollkommenheit und Heiligkeit darf die Seele von ihrem göttlichen Hohepriester erhoffen, wenn sie in Einfalt trachtet, ihm vereint zu bleiben in Glaube, Vertrauen und Liebe! Jesus ist ja erschienen »als Hohepriester der zukünftigen Güter« (Hebr 9, 11) und vermag über die Maßen »mehr zu tun, als wir erbitten und ersinnen können« (Eph 3, 20).

Deshalb auch richtet die Kirche, die ihren göttlichen Bräutigam wahrhaft kennt, in ihrer Liturgie kein Gebet an den himmlischen Vater und erfleht keine Gnade von seiner erbarmenden Huld, ohne ihre Bitte vorher mit dcm heiligen Kreuz zu bezeichnen und ohne sich auf ihren Heiland und Hohepriester zu berufen. »Durch Jesus Christus, unsern Herrn.« Diese Worte hören wir an jedem Tag, zu jeder Stunde, wie eine feierliche Verkündigung, wie einen dauernden Hinweis auf die Mittlerschaft Christi, zugleich aber auch als deutliches und feierliches Bekenntnis seiner Gottheit; denn die heilige Kirche fügt hinzu: »Der mit dir lebt und regiert in Einigkeit des Hl. Geistes, Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.« 

5. Wie sich auf Erden das Kreuzesopfer erneuert; die Kirche feiert keines der Geheimnisse Christi, ohne dabei das eucharistische Opfer darzubringen

Mit dieser paulinischen Darstellung des Werkes Christi, unseres Hohepriesters, sind die Wunder seines göttlichen Priestertums noch nicht erschöpft. Im Himmel gibt es ein Opfer, ein alle andern Opfer überragendes, unaussprechlich erhabenes, dabei immerwährendes und ganz glorreiches Opfer. Das menschgewordene Wort wollte aber nicht von dieser Erde scheiden, ohne auch ihr ein Opfer zu hinterlassen, das hl. Messopfer. Die hl. Messe ist in geheimnisvoller Weise Gedächtnis und zugleich unblutige Erneuerung des blutigen Opfers auf Golgatha. Das Kreuzesopfer ist, wie schon gesagt, das einzige Opfer, das dem Vater volle Genugtuung geleistet hat. Doch war es der Wille unseres Herrn und Heilandes, dass sich dieses Opfer fortwährend erneuere, um den Menschen die Früchte der Erlösung zuzuwenden. Bei der Betrachtung des allerheiligsten Altarssakramentes wird sich Gelegenheit bieten, diese Wahrheit eingehcnd darzulegen; hier soll einstweilen nur gezeigt werden, auf welche Weise unser ewiger Hohepriester hienieden sein Opfer dauernd fortsetzt.

Christus, der Herr wählt einzelne Menschen aus, um ihnen wirklichen Anteil an seinem Priestertum zu gewähren. Es sind die Priester, denen der Bischof am Tage ihrer Weihe die heilige Salbung erteilt. Während er die Hände über dem Haupt desjenigen ausstreckt, der die Priesterweihe empfangen soll, ruft der Bischof den Hl. Geist in dessen Seele hernieder. In diesem hochfeierlichen Augenblick könnte man auf den zu Weihenden die Worte anwenden, die Gabriel, der himmlische Bote, zur reinsten Jungfrau sprach: »Der Hl. Geist wird auf dich herabkommen und die Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten« (Lk 1, 35).

Der Geist Gottes umhüllt ihn gleichsam und bewirkt in ihm eine so große Ähnlichkeit, eine so innige Vereinigung mit Christus dem Herrn, dass er, wie Christus selbst, Priester wird in Ewigkeit. Die christliche Überlieferung nennt den Priester alter Christus, d. h. einen andern Christus. Und mit Recht! Denn er ist auserwählt um wie Christus und in Christi Namen der Mittler zwischen Himmel und Erde zu sein. Es ist dies eine natürliche Wahrheit und Wirklichkeit: Wenn der Priester das hl. Messopfer darbringt, das die unblutige Erneuerung des Kreuzesopfers ist, so tritt er an die Stelle Christi. Er sagt nicht, dies ist der Leib Christi, dies ist das Blut Christi. Wenn er so spräche, wäre kein Opfer vorhanden. Er ist vielmehr selber Christus und spricht als solcher: »Dieses ist mein Leib, dieses ist mein Blut.« 

Der in der Kraft des Allerhöchsten geweihte Priester wird wie Christus selbst Pontifex, »Brückenschlager« und somit Mittler zwischen Gott und der Menschheit, oder besser, er tritt ein in das eine und einzige Mittleramt Christi, das durch alle Zeiten hindurch im Priesteramt seine Fortsetzung findet. Der Priester bringt im Namen der Gläubigen auf dem Altar das eucharistische Opfer dar. Vom Altare aus spendet er dem Volke die göttliche Opferspeise, das Brot des Lebens und in und mit ihm alle Gaben und Gnaden.

Der Altar ist auf Erden der Mittelpunkt der Religion Jesu Christi, ebenso wie der Hügel von Golgatha der Höhepunkt seines Lebens war. Alle Geheimnisse des Erdenlebens Christi gipfeln, wie schon gesagt, im Kreuzesopfer. Alle Stufen seines verklärten Lebens schöpfen aus ihm ihren Glanz. Darum begeht die Kirche kein Gedächtnis der Geheimnisse Christi, kein Fest des Herrn, ohne das hl. Messopfer darzubringen. Der gcsamte öffentliche Gottesdienst der Kirche umgibt das Opfer des Altars und strebt zu ihm hin, umkreist ihn, ähnlich wie die Planeten um die Sonne kreisen. All die Lesungen, Gebete, Gesänge und Huldigungen, deren Gesamtheit das öffentliche Gebet der Kirche bildet und worin sie die Geheimnisse ihres göttlichen Bräutigams vor den Augen ihrer Kinder entrollt, um sie zu feiern, sind nur die sorgsam gegliederte und kostbar ausgearbeitete Fassung für den unschätzbaren Edelstein des eucharistischen Opfers.

Wir können daher nicht besser und vollkommener an den jeweiligen Festen des Herrn teilnehmen und uns zum Empfang reicher Gnadenfrüchte bereiten als durch gläubig liebende Beiwohnung der hl. Messe und Empfang der hl. Kommunion, in der wir uns mit dem göttlichen Opferlamm vereinen, das auf dem Altare für die Menschheit dem Vater dargebracht wird.

Im Leben der seligen Maria von Oignies36 Die seI. Maria v. Oignies, geboren zu Nivelles in der Diözese Lüttich, ist so benannt nach dem Orte, in dessen Nähe sic als Reklusin lebte und 1213 im Alter von 62 Jahren im Rufe großer Heiligkeit und Wunder starb. Ihr Leben beschrieb Kardinal Jakob v. Vitry (Anm d. Übers.). wird erzählt, dass der Heiland sich ihr an den verschiedenen Festen des Kirchenjahfes im allerheiligsten Altarsakrament stets in jener Gestalt zu zeigen pflegte, die mit dem Geheimnis des Tages im Einklang stand.

Wir dürfen die Heiligen um solche außergewöhnlichcn Gnaden nicht beneiden. In der hl. Kommunion zeigt sich der Heiland nicht bloß unserer Seele, er selbst kehrt ein bei ihr und gibt sich ihr ganz zu eigen. Jesus kommt mit seiner Menschheit ,als Hohepriestcr, der Mitleid bat mit unserer Schwäche. Er kommt in der Kraft seincr Gottheit, die uns zu sich emporzuheben vermag auf den Thron zur Rechten des Vaters. Er kommt zu uns nicht, um sich den Sinnen zu offenbaren, sondern um in uns und mit uns zu seinem Vater zu beten, ihm göttliche Huldigung darzubringen und unsere Bitten zu vereinen, vorzüglich aber um in der Verborgenheit des Herzens durch seinen Hl. Geist die Frucht jedes einzelnen seiner Geheimnisse hervorzubringen.

Im römischen Messbuch wechselt das Danksagungsgebet, das auf die Kommunion der Messe folgt, die sogenannte Postkommunion, je nach den verschiedenen Festen des Kirchenjahres. Damit will die hl. Kirche sagen, dass Christus durch die hl. Kommunion in den Herzen jene Gedanken und Empfindungen wecken will, die ihn selbst beseelten als er das betreffende Geheimnis durchlebte und dass er uns dessen besondere Gnadenfrüchte zuwenden will. Man beachte z. B. die Postkommunion am Rosenkranzfest, durch welches die hl. Kirche die innige Vereinigung feiert, in der die Mutter des menschgewordenen Wortes allen Geheimnissen ihres göttlichen Kindes verbunden ist. Die Kollekte der Messe erinnert daran, dass der eingeborene Sohn Gottes durch sein Leben, sein Leiden und seine Auferstehung den Lohn des ewigen Heiles uns erworben hat. Dann folgt die Bitte: »Verleihe, dass wir, indem wir im Rosenkranz der seligsten Jungfrau Maria diese Geheimnisse erwägen, das nachahmen, was sie enthalten, und das erlangen, was sie verheißen.« Den nämlichen Gedanken drückt die Postkommunion aus: »Wir bitten, o Herr, dass wir durch die Fürsprache deiner heiligen Gebärerin, deren Rosenkranzfeier wir begehen, Beistand finden, damit wir der Kraft der Geheimnisse, die wir erwägen, teilhaftig werden.« 

So verwirklicht sich nach und nach die Gleichförmigkeit unserer Seele mit Christus; denn nach dem Wort des Apostels sollen wir »so gesinnt sein, wie Christus Jesus gesinnt war« (Phil 2, 5). Das Endziel unserer ewigen Vorherbestimmung ist, dass »wir dem Bild des Sohnes gleichförmig werden« (Röm 8, 29). Die Wesensmerkmale der Person Jesu Christi und seines Werkes lassen sich somit kurz zusammenfassen: Das ewige Wort, das für uns Fleisch geworden ist, wird durch seine Geheimnisse und sein Opfer unser Hohepriester und unser Mittler. Er ist ein Mittler, der unsere Nöte kennt; denn er ist Mensch wie wir, ein allmächtiger Mittler, weil er Gott ist mit dem Vater und dem Hl. Geiste, ein Mittler, dessen Mittlerschaft immerwährend fortdauert im Himmel durch seine ewige Opferung, auf Erden durch das Opfer der hl. Messe.

Christus vollbringt sein Werk für uns: er erlöst uns durch sein Opfer nur deshalb, um uns auf ewig seiner Herrlichkeit beizugesellen.

O, mein Herr und Gott! Wer vermag die unergründlichen Pläne deiner Weisheit zu durchforschen? Wer die herrliche Gabe, die du uns schenkst, gebührend zu preisen und dir würdigen Dank zu erstatten?

TEIL II: DIE GEHEIMNISSE CHRISTI

VI. GÖTTLICHE VORBEREITUNGEN DES ERLÖSUNGSWERKES

Weshalb Gott die Menschwerdung seines Sohnes jahrhundertelang vorbereitet hat

Alle Gnaden, die Gott uns verleiht, entspringen dem ewigen Ratschluss, demgemäß wir vor Grundlegung der Welt auserwählt wurden, »heilig und unbefleckt zu sein vor ihm«. In diesem liebevollen göttlichen Ratschluss liegt die Vorherbestimmung unserer Annahme an Kindesstatt begründet, samt allen Gnadenerweisen, die damit zusammenhängen.

Nach den Worten des hl. Paulus ist uns diese Annahme an Kindesstatt durch die Gnade Jesu Christi zuteil geworden, denn »als die Fülle der Zeiten kam, sandte Gott seinen Sohn, von einer Frau geboren ... damit wir die Annahme an Sohnesstatt erhielten« (Gal 4, 4ff). Dieser ewige Ratschluss Gottes, seinen Eingeborenen in die Welt zu senden, um die sündige Menschheit zu erlösen und ihr das Anrecht auf das Erbe der Kinder Gottes und die Seligkeit des Himmels wiederzuschenken, ist das Meisterwerk ewiger Weisheit und Liebe. Gottes Wege sind nicht unsere Wege und seine Gedanken sind so hoch erhaben über die unsrigen, wie der Himmel über die Erde. Nirgends aber kommt die unendliche Erhabenheit und Majestät der Wege Gottes so strahlend zum Ausdruck, wie im Werke der Menschwerdung und unserer Erlösung. Dieses Werk ist so erhaben, so innig mit dem geheimnisvollen Leben der allerheiligsten Dreifaltigkeit selbst verbunden, dass es »von Ewigkeit her in den Tiefen der ewigen Weisheit verborgen blieb« (Eph 3, 9). Mehrere Jahrhunderte hindurch hat Gott auf die Offenbarung dieses Geheimnisses vorbereitet. Warum wohl lag es in seinem Plan, die Ankunft des Menschensohnes auf Erden so lange zu verzögern? Wozu die vielen Jahrhunderte der Erwartung? - Wir eng begrenzten Geschöpfe vermögen nicht einzudringen in den tiefsten Grund der Ratschlüsse Gottes. Er ist das höchste, in seinen Entschließungen unendliche freie und uneingeschränkte Wesen, das »keines Ratgebers« bedarf (Röm 11, 34), und darum dürfen wir in aller Demut nach den Ursachen forschen, die Gott für angemessen hielt, seinem geheimnisvollen Wirken zugrunde zu legen. Weil die Menschen auf Anreiz der Schlange »ihr werdet sein wie Götter« (Gen 3, 5) - durch Hochmut gefallen waren, mussten sie durch eine langdauernde Erfahrung ihrer Hilflosigkeit und ihres allseitigen Elends einsehen lernen, dass sie eines Erlösers bedurften und sich in Sehnsucht nach ihm verzehren (Vgl. S. Thom. s. th. IIl. q. 1. a. 5).

Wirklich findet auch die gesamte Religion des Alten Bundes ihren ergreifenden Ausdruck in dem einen sehnsuchtsvollen Ruf der Altväter und aller Frommen der Vorzeit: »Tauet hernieder, ihr Himmel, und die Wolken mögen den Gerechten regnen; es öffne sich die Erde und sprosse den Heiland hervor, und Gerechtigkeit erstehe zumal« (Jes 45, 8)! Der Gedanke an den Erlöser beherrscht das ganze Alte Testament. Alle Kultusgebräuche, Riten und Opfer weisen hin auf ihn. All das, was ihnen (den Juden) widerfuhr, war vorbildlich« (1 Kor 10, 11). All ihr Sehnen und Verlangen, all ihr Hoffen und Erwarten gilt dem Erlöser. Nach dem schönen Worte eines Schriftstellers aus den ersten Jahrhunderten trug der Alte Bund den Messias in seinem Schoße (»Lex Christo gravida erat« [App. ad op. S. Aug. Sermo 196]). Die Religion des Volkes Israel war nichts anderes als die Erwartung des verheißenen Erlösers.

Auch verlangte es die Größe des Geheimnisses der Menschwerdung und die erhabene Majestät des Erlösers, dass die Offenbarung dem Menschengeschlechte nur nach und nach zuteil wurde. Sogleich nach dem Sündenfall wäre der Mensch weder fähig noch würdig gewesen, die volle Offenbarung des Gottmenschen zu empfangen. Durch ein Heilsverfahren voll Weisheit und Barmherzigkeit hat Gott daher dieses wunderbare Geheimnis im Laufe der Jahrhunderte durch den Mund der Propheten nur nach und nach enthüllt. Zuerst musste die Welt genügend vorbereitet sein, dann erst konnte das göttliche Wort, das so oft verheißene, so sehnsüchtig erwartete, in Person auf Erden erscheinen, um die Menschen zu unterweisen. »Zu wiederholten Malen und auf mannigfache Weise hat Gott einst in den Propheten zu den Vätern gesprochen; am Ende dieser Tage hat er in seinem Sohn zu uns gesprochen« (Hebr 1, 1).

Im folgenden wollen wir einige Züge des Vorbereitungswerkes betrachten, mit dem Gott die Menschwerdung seines Sohnes einleitete. Wir werden daraus erkennen, mit welch himmlischer Weisheit das Menschengeschlecht, allmählich fortschreitend, befähigt wurde, sein Heil zu empfangen. Diese Betrachtung möge uns zu innigem Dank anregen gegen den »Vater der Erbarmungen« (2 Kor 1, 3), der uns »die Fülle der Zeiten« erleben ließ - denn diese besteht noch immer fort, - in welcher er, von unendlicher Liebe gedrängt, den Menschen die unschätzbare Gabe, seinen eingeborenen Sohn, geschenkt hat.

1. Wie die ewige Weisheit die Gerechten des Alten Bundes auf die Ankunft des Gottmenschen vorbereitet hat, indem sie durch den Mund der Propheten immer von neuem auf die Urverheißung des Welterlösers hingewiesen und sie näher bestimmen ließ

Aus der Heiligen Schrift wissen wir, dass Gott unmittelbar nach dem Sündenfall im Paradiese das Geheimnis der Menschwerdung geoffenbart hat, gleichsam an der Wiege des gefallenen Menschengeschlechtes. Adam und Eva, das Angesicht im Staub, beweinen in Scham und Verzweiflung vor dem Schöpfer ihre Schuld und wagen nicht mehr den Blick zum Himmel zu erheben. Da spricht Gott zu ihnen, noch ehe er sie durch unerbittliches Gebot aus dem Paradiese der Wonne vertreibt, zum ersten Mal ein Wort der Vergebung und Hoffnung. Er flucht ihnen nicht. Sie sollen nicht auf ewig von ihm verstoßen sein wie die Engel, die sich gegen ihn empörten. Nein, er verheißt ihnen einen Erlöser, der sie der Herrschaft des Teufels, dem sie verfallen sind, entreißen wird. Wie ihr Elend durch eine Sünde einer Frau seinen Anfang nahm, so soll durch den Sohn einer Frau ihre Rettung bewirkt werden. »Feindschaft will ich setzen zwischen dir und der Frau, zwischen deinem Samen und ihrem Samen. Sie wird dir den Kopf zertreten« (Gen 3, 15). Diese Stelle wird das Protevangelium genannt, die erste frohe Botschaft des Heiles. Es ist die Urverheißung des Erlösers, das Morgenrot der göttlichen Barmherzigkeit über der sündigen Welt, der erste Lichtstrahl jener Gnadensonne, die einst die Welt beleben soll, die erste Offenbarung des Geheimnisses, das von Ewigkeit in Gott verborgen war.

Seit dieser Verheißung bildet der »Same der Frau«, der Sohn der Jungfrau, der die Menschheit erlösen soll, den Mittelpunkt aller Gottesverehrung unter den Menschen überhaupt und später der gesamten Gottesverehrung im auserwählten Volke. Je mehr aber die Jahre vergehen und je mehr Jahrhunderte voranschreiten, desto deutlicher umschreibt Gott seine Verheißung, desto feierlicher wiederholt er sie. Er verspricht den Erzvätern Abraham, Isaak und Jakob, dass aus ihrem Samen der ersehnte Sprössling hervorgehen wird. »Und es werden gesegnet sein in deinem Samen alle Völker der Erde» (Gen 22,18; vgl. Ga13, 16). Den sterbenden Jakob lässt er in prophetischer Fernsicht schauen, dass aus dem Stamme Juda jener hervorgehen wird, der gesandt werden soll und der da ist die Erwartung der Völker (Gen 49, 10).

Die Völker aber vergaßen allmählich der Uroffenbarung und versanken unvermerkt immer tiefer in die Nacht des Irrtums. Da erwählte Gott sich ein Volk zum Hüter seiner Verheißungen. Diesem Volke rief er im Laufe langer Jahrhunderte stets aufs Neue sein Versprechen ins Gedächtnis, ließ immer klarer, immer reicher den Quell geheimnisvoller Kunde fließen: das war das Zeitalter der Propheten. Wenn man deren Weissagungen liest, findet man, dass die Züge, womit Gott die Person des kommenden Messias zeichnet und die Merkmale seiner Sendung ausdrückt, nicht selten in so grellem Widerspruch zueinander stehen, dass es beinahe unmöglich scheint, sie auf ein und dieselbe Person zu beziehen. Bald legen die Propheten dem Erlöser Vorrechte bei, die nur Gott zukommen. Dann hingegen sagen sie diesem gleichen Messias Demütigungen, Widerspruch, Schwachheiten und Schmerzen voraus, wie sie der nichtswürdigste Verbrecher kaum verdienen würde.

Immer wieder begegnen wir diesem merkwürdigen Gegensatz. Man denke an David, den König nach dem Herzen Gottes. Der Herr hat geschworen, sein Geschlecht zu schirmen auf ewig. Ja, der Messias soll dem königlichen Haus Davids entstammen. Gott lässt ihn den Erlöser schauen als »seinen Sohn und als seinen Herrn«, Sohn dem Fleische nach, das er dereinst annehmen soll aus einer makellosen Jungfrau dieses Geschlechts, Herr aber der Gottheit nach. David schaut ihn, im Glanz der Heiligen ewiglich gezeugt, noch vor dem Morgenstern (Ps 110, 3 ff) »als Hohepriester nach der Ordnung des Melchisedech«, dazu gesalbt, um über uns zu herrschen durch seine »Wahrheit, Milde und Gerechtigkeit« (Ps 110, 5). Mit einem Worte, er schaut ihn als den Sohn Gottes selbst, von dem geschrieben steht: »Der Herr spricht zu mir: Mein Sohn bist du; heute habe ich dich gezeugt. Fordere von mir, und ich will dir die Völker geben als dein Erbe und als dein Besitztum die Enden der Erde« (Ps 2, 7 ff)!

Der hl. Paulus macht die Hebräer darauf aufmerksam, dass Vorrechte solcher Art nur Gott zukommen (Hebr 1, 13). David schaut den Messias aber auch »mit durchbohrten Händen und Füßen«, er sieht, wie »seine Kleider verteilt und über sein Gewand das Los geworfen wird« (Ps 22, 17 ff), wie man ihm »zur Speise Galle und in seinem Durst Essig zum Trank reicht« (Ps 69, 22). Dann wieder ist die Rede von göttlichen Eigenschaften. »Der Herr wird seinen Heiligen nicht schauen lassen die Verwesung des Grabes, sondern wird erfüllen ihn mit Freuden vor seinem Angesicht zu seiner Rechten für und für« (Ps 16,10).

Nicht minder ausfallend als in den Psalmen tritt dieser Gegensatz zutage bei Jesaja, dem großen Seher, dessen Prophezeiungen so deutlich und so reichhaltig sind, dass man ihn den »fünften Evangelisten« genannt hat. Oft scheint er geradezu vergangene Tatsachen zu erzählen, so anschaulich schildert er künftige Ereignisse. Der bis in die Himmel entrückte Prophet bezeichnet die Herkunft des Messias als »unaussprechlich.« (Jes 53, 8), er gibt ihm Namen, die noch niemals ein Sterblicher getragen hat. »Er wird genannt werden: Wunderbarer, starker Gott, Vater der Zukunft, Friedensfürst« (Jes 9, 6). Als Sohn der Jungfrau wird man seinen Namen Emanuel nennen, d.i. Gott mit uns« (Jes 7, 14). Jesaja beschreibt ihn ferner, wie er »aufgeht als Sonnenglanz und leuchtet wie eine Fackel« (Jes 62, 1). Er schaut, wie durch ihn die Augen der Blinden geöffnet und die Ohren der Tauben aufgetan werden, wie sich der Stummen Zunge löst und der Lahme wie ein Hirsch einherspringt (Jes 35, 5 ff). Er sieht ihn »den Völkern zum Haupt gegeben, zum Führer und Lehrer der Nationen (Jes 55, 4) und sieht wie vor seinem Angesicht die Götzen vertilgt werden« (Jes 2, 14 ff). Er hört den Schwur des Herrn, dass sich »vor diesem Erlöser jedes Knie beugen und dass jede Zunge seine Macht bekennen soll« (Jes 45, 24).

Und dennoch wird dieser nämliche Erlöser, dessen wunderbare Herrlichkeit der Prophet so begeistert besingt, von der Last unsagbarer Leiden und Verdemütigungen so niedergebeugt, ja förmlich vernichtet werden, dass er gleichgeachtet dem mindesten der Menschen, für einen Aussätzigen gehalten, einen von Gott Geschlagenen und Gebeugten. »Wie ein Schaf zur Schlachtbank geführt und gerechnet wird unter die Übeltäter, weil der Herr ihn zertreten und vernichten will in Schwachheit« (Jes 53, 7 ff).

Ähnliche Gegensätze finden sich bei fast allen Propheten, wodurch die erhabene Größe und tiefe Schmach, die Macht und Ohnmacht, das Leiden und die Herrlichkeit des Messias geschildert werden. Es erhellt daraus, mit welch herablassender Weisheit Gott die Menschen nach und nach auf die Offenbarung des unaussprechlich hohen Geheimnisses des Gottmenschen vorzubereiten suchte, der da zugleich der höchste Herr ist, dem alle Anbetung gebührt und das Opferlamm für die Sünden der Welt.

Die Heilsordnung der göttlichen Erbarmung gründet durchaus auf dem Glauben. Der Glaube ist »die Grundlage und Wurzel aller Rechtfertigung.« Ohne den Glauben könnte selbst die persönliche Gegenwart Christi in der Seele ihre volle Wirkung nicht ausüben. Der Glaube aber wird uns mitgeteilt durch das innere Wirken des Hl. Geistes in unserer Seele; das die Darlegungen der Propheten und Prediger begleitet. »Der Glaube kommt aus der Predigt« (Röm 10, 7).

Indem Gott immer wieder seine ursprünglichen Verheißungen erneuerte und die Züge des kommenden Erlösers nach und nach durch den Mund der Propheten vorausverkünden ließ, wollte Gott in den Gerechten des Alten Bundes jene Gesinnungen wecken, die erforderlich waren, damit die Ankunft des Messias ihnen zum Heile sei.

Je mehr die Gerechten der Vorzeit im Glauben verankert und vom Vertrauen auf die Versprechungen des Herrn, die ihnen durch die Propheten kund wurden, beseelt waren, umso größer war ihre Sehnsucht, die Erfüllung zu schauen, umso besser waren sie vorbereitet, den Überfluss der Gnaden zu empfangen, den der Erlöser über die Welt ausgießen sollte. Daher haben Maria, die reinste Jungfrau, Zacharias und Elisabeth, Simeon und Anna und die anderen gläubigen Seelen, die zur Zeit der Ankunft Christi lebten, ihren Erlöser alsogleich erkannt und die Fülle seines Segens empfangen.

Solcherart hat Gott die Menschen für die Ankunft seines Sohnes auf Erden vorbereitet. Der hl. Petrus durfte in aller Wahrheit zu den Juden sagen, sie seien »Söhne der Propheten« (Apg 3, 25), und der hl. Paulus konnte den Hebräern schreiben, dass »Gott zu wiederholten Malen und auf mannigfache Art einst in den Propheten zu den Vätern gesprochen, am Ende der Tage aber durch seinen Sohn« (Hebr 1, 1).

Die gläubigen Juden lebten daher beständig in der Erwartung des Messias. Ihr Glaube zeigte ihnen in der Person dieses Erlösers einen Abgesandten Jehovas, einen König, einen Gott, der ihrem Elend ein Ziel setzen und sie von der Last ihrer Schuld befreien sollte. Ein einziger Wunsch nur beseelte sie: »Herr sende den, der da kommen soll! « Sie kennen nur ein heißes Verlangen, mit eigenen Augen das Antlitz desscn zu schauen, der Israel erlösen wird. Der verheißene Messias war der Mittelpunkt aller Hoffnung und Sehnsucht, ihm galt alles Streben, aller Kult und Gottesdienst des Alten Bundes.

Somit war der Alte Bund nichts anderes als ein einziger langdauernder Advent, wo alles Seufzen und Flehen der Gerechten zusammenklingt in den glühenden Sehnsuchtsruf des Propheten Jesaja: »Herr, sende das Lamm, den Beherrscher der Erde« (Jes 18, 1)! »Tauet hernieder ihr Himmel, und die Wolken mögen den Gerechten regnen; es öffne sich die Erde und Sprosse hervor den Erlöser« (Jes 16, 8)«!

2. Johannes der Täufer, der Vorläufer des menschgewordenen Wortes, fasst in seiner Person die Sendung aller Propheten zusammen und ist der größte unter ihnen

Wir haben die wunderbaren Wege betrachtet, die Gottes Weisheit einschlug, um die Menschheit auf die geheimnisvolle Ankunft des Gottmenschen vorzubereiten. Doch haben wir diesen Gegenstand noch lange nicht erschöpft.

Während die ewige Weisheit durch eine Reihe von außerordentlichen Tatsachen im auserwählten Volke die Erinnerung an die ursprünglichen Verheißungen treu bewahrt und sie durch die Propheten unablässig bestätigt und weiter entwickelt, benützt sie sogar zu wiederholten Malen die Verbannung und Gefangenschaft des ob seiner Treulosigkeit gezüchtigten Judenvolkes, um die Kunde dieser göttlichen Verheißungen unter den heidnischen Völkern zu verbreiten und dadurch auch deren Schicksal zu lenken.

Die Geschichte erzählt uns, wie Gott, der »die Herzen der Könige lenkt wie Wasserbäche« (vgl. Spr 21, 1) und dessen Allmacht seiner Weisheit gleichkommt, während der langen Reihe dieser vorbereitenden Jahrhunderte die gewaltigsten Reiche der Welt eines nach dem andern aufbaute und wieder zertrümmerte. Die Herrschaft der Assyrer, die sich bis über das stolze Pharaonenreich hinaus erstreckte, muss jener der Babylonier weichen. Dann erweckt der Herr, wie der Prophet Jesaja vorausgesagt, »seinen gesalbten Cyrus« (Jes 45, 1), den König der Perser und legt in dessen Hand den Herrscherstab des Nabuchodonosor. Auf Cyrus folgt Alexander und wird zum Gebieter vieler Völker, bis endlich die Römer zur Herrschaft über die damals bekannte Welt gelangen, deren in Einheit und Friede gefestigtes Reich den geheimnisvollen Absichten der göttlichen Weisheit dienen muss zur Verbreitung des Evangeliums Christi.

Nunmehr ist die »Fülle der Zeiten« angebrochen, Sünde und Irrtum überfluten die Welt. Die Menschheit beginnt sich des Elendes, worin ihr Stolz sie gestürzt, bewusst zu werden. Alle Völker strecken in Sehnsucht ihre Hände aus nach dem oft verheißenen und so lange erwarteten Erlöser, und »nun endlich wird der von allen Geschlechtern Ersehnte kommen« (Offb 2, 8).

Da nun diese Fülle der Zeiten gekommen ist, krönt der Herr all seine bisherigen Vorbereitungen durch Sendung des letzten der Propheten, Johannes des Täufers, der da größer ist als Abraham, größer als Moses, größer als alle heiligen Männer des Alten Bundes, wie Jesus Christus selbst bezeugt: »Unter denen, die von einer Frau geboren sind, ist kein Größerer aufgetreten als Johannes der Täufer« (Mt 11, 11; vgl Lk 7, 28).

Warum hat Gott ihm diese Größe verliehen? Weil er ihn zum vorzüglichsten Herold der Erlösung, zum Vorläufer seines vielgeliebten Sohnes machen wollte. »Du wirst Prophet des Allerhöchsten heißen« (Lk 1, 76). Um die Herrlichkeit seines Sohnes, den er so oft verhieß und den er nun in die Welt einführen will, zu erhöhen, lässt Gott die Würde seines Vorläufers in besonderem Glanze erstrahlen, weil er »Zeugnis geben soll vom Lichte« und von der Wahrheit, die nun bald auf Erden erscheinen wird (Joh 1, 8).

Groß muss Johannes sein, weil seine Sendung groß ist, weil er auserwählt war, um unmittelbar jenem voranzuschreiten, der da kommen soll. Gott misst die Größe seiner Heiligen Gott erwählte ihn aus einem durch Heiligkeit hervorragenden Geschlecht. Ein Engel verkündet seine Geburt, bestimmt des Kindes Namen und sagt die Größe und Bedeutung seiner Sendung voraus. Gott heiligt ihn im Mutterschoße. Wunder umstrahlen seine Wiege, so dass die Zeugen dieser Herrlichkeit sich staunend fragen: »Was wird aus diesem Kinde werden« (Lk 1, 66)? Später erscheint die Heiligkeit des Johannes den Juden so groß, dass sie zu ihm kommen und fragen, ob er der Messias sei, den sie erwarten. Er aber, dem Gott mit allen Gnadenerweisungen seiner Huld zuvorgekommen ist, bekennt in tiefer Demut, dass er nur dazu gesandt ist, die Stimme eines Rufenden in der Wüste zu sein, die da mahnt: »Bereitet den Weg des Herrn; denn er wird kommen« (Joh 1, 23).

Die anderen Propheten haben den Messias nur von ferne geschaut, Johannes aber darf mit dem Finger auf ihn weisen, darf ihn so klar und deutlich bezeichnen, dass alle, die geraden Herzens sind, ihn verstehen müssen. »Sehet das Lamm Gottes« (Joh 1, 29), sehet jenen, den die Menschheit so lange ersehnte, damit er ihre Sündenschuld tilge. »Mitten unter euch steht jener, den ihr nicht kennt. Er ist größer als ich; denn er war vor mir.« So groß ist er, dass ich nicht würdig bin, seine Schuhriemen aufzulösen, so groß, dass ich den Geist herniedersteigen sah wie eine Taube aus dem Himmel und auf ihm weilen, und ich habe gesehen und bezeuge es: »Dieser ist der Sohn Gottes« (Joh 1, 26 ff; 32 ff). »Wer von oben kommt, steht über allen, er bezeugt, was er gesehen und gehört hat ... der Gottgesandte redet Gottes Worte. Gott verleiht ja seinen Geist ohne Maß. Der Vater liebt den Sohn und hat alles in seine Hand gegeben. Wer an den Sohn glaubt, hat das ewige Leben. Wer aber auf den Sohn nicht hören will, wird das ewige Leben nicht sehen, sondern dem Zorn Gottes verfallen« (Joh 3, 31. 39).

Das sind die letzten Worte des Vorläufers. Er hat die Herzen zur Aufnahme des Messias vorbereitet; sein Werk ist nun vollendet. Die Zeit ist da, wo das fleischgewordene Wort, das allein die Sprache Gottes reden kann, weil es immerdar im Schoß des Vaters ist, sein öffentliches Leben als Erlöser und Retter beginnen wird und somit der Vorläufer in den Hintergrund treten muss. Nur durch Vergießung seines Blutes wird er noch Zeugnis für die Wahrheit ablegen.

Christus, dem er den Weg bereitet hat, ist nun erschienen. Er ist das Licht, von dem Johannes Zeugnis gegeben hat. Alle, die an dieses Licht glauben, haben das ewige Leben. Zu ihm allein soll ab jetzt gesagt werden: »Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens« (Joh 6, 69).

3. Obwohl wir in der »Fülle der Zeiten« leben, lässt der Hl. Geist uns doch jedes Jahr durch die Kirche an diese Vorbereitungen des göttlichen Erlösungswerkes erinnern: Dreifacher Grund dieser Heilsordnung

»Wir alle haben das Glück, an jenes Licht zu glauben, das jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt« (Joh 1, 9). Wir leben in der glücklichen »Fülle der Zeiten«, begnadigter als die Patriarchen, denen es versagt war, das Reich des Messias zu schauen. Wenn wir auch nicht zur Schar derer zählen, die Christus mit eigenen Augen sehen, seinen Worten lauschen und ihn betrachten durften, wie er einherging, Gutes tuend, so haben wir doch das hohe Glück, den Völkern beigezählt zu sein, die nach den Worten des königlichen Sängers, das Erbteil Christi bilden. Dennoch aber will der Hl. Geist, der erste Urheber unserer Heiligung, dass die Kirche, die er lenkt und leitet, alljährlich vier Wochen dazu bestimmt, um den Gläubigen die lange Dauer der göttlichen Vorbereitungen ins Gedächtnis zu rufen, dass sie alles daraus anlegt, um »in unsern Herzen ähnliche Gesinnungen zu erwecken, wie sie die gläubigen Juden vor der Ankunft des Messias beseelten.

Man könnte nun vielleicht einwenden, dass dieser Art der Vorbereitung auf den kommenden Erlöser, all das Seufzen und Sehnen für die Gerechten des Alten Bundes angemessen war, dass aber nun, da der Erlöser gekommen, dieses Seufzen und Sehnen mit der Wahrheit im Widerspruch zu stehen scheine. Dem ist jedoch keineswegs so und zwar aus mehrfachen Gründen. Zunächst weil es Gottes Wille ist, dass er gelobt und geehrt werde in allen seinen Werken. Sind sie ja alle »mit Weisheit gemacht« (Ps 104, 24), wunderbar in ihrer Vorbereitung wie in ihrer Vollendung. Dies trifft ganz besonders bei jenen Werken Gottes zu, deren unmittelbares Ziel die Verherrlichung des Gottessohnes ist. Denn »es ist der Wille des Vaters, dass der Sohn verherrlicht werde« (vgl. Joh 12, 28). Gott verlangt, dass wir seine Werke bewundern und ihm Dank sagen dafür, dass er das Reich seines Sohnes auf Erden mit so viel Macht und Weisheit vorbereitet hat. Wir gehen also ein auf die Gedanken Gottes, wenn wir der Prophezeiungen und der Verheißungen des Alten Bundes eingedenk bleiben.

Gott will auch, dass wir in diesen Vorbereitungen Gottes Stärkung unseres Glaubens finden. Nur deshalb hat Gott so mannigfache und deutliche Vorbilder aufgestellt, nur deshalb so viele und klare Prophezeiungen erlassen, damit wir jenen als seinen Sohn erkennen möchten, in dessen Person sich alle Bilder und Voraussagen erfüllt haben. Im Evangelium fordert der Herr selbst seine Jünger zu dieser Betrachtung auf. »Forscht in den Schriften«, spricht er, - unter den Schriften verstand man damals alle Bücher des Alten Testamentes - »durchforschet sie und ihr werden finden, dass sie voll sind meines Namens« - und »alles muss in Erfüllung gehen, was im Gesetze des Moses bei den Propheten und in den Psalmen von mir geschrieben steht« (Joh 5, 39). Nach seiner Auferstehung gesellte sich Jesus zu den Jüngern, die nach Emmaus gingen, um sie im Glauben zu stärken und ihre Traurigkeit zu verscheuchen. Er begann mit »Moses und allen Propheten und erklärte ihnen, was in allen Schriften von ihm geschrieben steht« (Lk 24, 27). Wenn wir also im Advent die Prophezeiungen lesen, die uns die Kirche Tag für Tag zur Betrachtung bietet, so dürfen wir freudigen Glaubens voll mit den ersten Jüngern Jesu ausrufen: »Wir haben den gefunden, von dem Moses im Gesetz und die Propheten geschrieben haben« (Jes 1, 45). Dem Herrn selbst aber dürfen wir zujubeln: »Du, o Herr, bist wahrhaft der, der da kommen soll. Wir glauben an dich, wir beten dich an; denn »um die Menschen zu erlösen, hast du nicht gescheut der Jungfrau Schoß.« 

Dieses Glaubensbekenntnis ist Gott ungemein wohlgefällig und wir sollten nicht müde werden, es häufig zu wiederholen. Dann wird der Herr zu uns wie einst zu seinen Jüngern sprechen: »Der Vater liebt euch, weil ihr mich geliebt und weil ihr geglaubt habt, dass ich vom Vater ausgegangen bin« (Joh 16, 27).

Endlich gibt es einen dritten, noch tieferen und inniglicheren Beweggrund. Christus ist nicht bloß für seine Zeitgenossen, für die Bewohner des Judenlandes erschienen, sondern für jeden einzelnen aus uns, für die Menschen aller Zungen, aller Zeiten. Darum singt die Kirche im Credo: » Wegen uns und um unseres Heiles willen, ist er herabgestiegen vom Himmel.« Die »Fülle der Zeiten« ist noch nicht zu Ende. Sie wird währen so lange, bis der letzte Auserwählte gerettet sein wird.

Nur der Kirche allein aber hat Christus die Aufgabe zugeteilt, ihn in den Herzen der Gläubigen auszugestalten. »Meine Kinder«, spricht der hl. Apostel Paulus, der Apostel der Heiden, »von neuem leide ich Geburtsschmerzen um euch, bis Christus in euch Gestalt gewinnt« (Gal 4, 19). Die Kirche, die in allem vom Hl. Geiste, dem Geiste Jesu, geleitet ist, erfüllt diese Aufgabe, indem sie ihre Kinder alljährlich zur Betrachtung der Geheimnisse ihres Bräutigams anleitet. Wie schon oben gesagt, ist jedes Geheimnis Christi noch jetzt lebendig. Die Feier jedes einzelnen derselben ist nicht bloß Erinnerung an ein geschichtliches Ereignis, sondern eine Gnadenvermittlung besonderer Art, die eine nur ihr eigentümliche Kraft enthält, wodurch wir an Christi Leben in all seinen verschiedenen Stufen teilnehmen.

So feiert z. B. die Kirche zu Weihnachten die Geburt des Herrn, ihres göttlichen Bräutigams; der »aus seiner Kammer hervortritt« (Ps 19, 6). Durch den vierwöchentlichen Advent will sie uns auf seine Ankunft in unserer Seele vorbereiten. Diese Ankunft ist eine ganz innerliche und geheimnisvolle. Sie geschieht im Glauben, ist aber ungemein fruchtbringend für unsere Seelen.

Christus ist zwar schon in uns durch die Heiligmachende Gnade, die uns zu Kindern Gottes macht. Aber die Kirche wünscht, dass diese Gnade sich erneuere, dass wir ein neues Leben beginnen, freier von Sünde, losgelöster von Unvollkommenheiten, von der Anhänglichkeit ans eigene Ich und an die Geschöpfe, »auf dass uns deines Eingeborenen neue Geburt im Fleisch befreie, die wir durch die alte Knechtschaft unter dem Joch der Sünde gefangen sind« (Kollekte an Weihnachten). Ganz besonders möchte die hl. Kirche ihre Kinder verstehen lehren, dass Christus, der von uns die menschliche Natur entlehnte, uns Anteil an seiner Gottheit schenken will, die wir neuerdings in vollkommenerer, schrankenloserer Weise besitzen sollen als bisher. Es handelt sich gleichsam um eine göttliche Wiedergeburt in uns, wie sie die Sekret der Mitternachtsmesse erfleht: »O möchten wir durch den Beistand deiner Gnade und vermittels dieser heiligen Handlung nach dem Ebenbilde dessen erfunden werden, durch den unsere Natur mit dir vereint ist!« 

Das ist die Gnade, die das fleischgewordene Wort durch seine Geburt zu Bethlehem uns verdient hat. Wenn es nun aber wahr ist, dass Christus für uns geboren ward und dass er für uns gelebt und gelitten hat und für uns gestorben ist - »für alle ist Christus gestorben« (2 Kor 5, 15) - so ist es ebenso wahr, dass Christus seine Verdienste und Gnaden jeder einzelnen Seele nur nach dem Maße ihrer eigenen Vorbereitung zuwendet und mitteilt.

Wir werden am überfließenden Reichtum der Weihnachtsgnade nur in dem Maße teilnehmen, als wir unsere Seele darauf eingestimmt haben. Das weiß die hl. Kirche sehr wohl und deshalb versäumt sie nichts, um in den Herzen ihrer Kinder jene Gesinnungen zu wecken, welche die gnadenreiche Ankunft Christi voraussetzt. Die hl. Kirche begnügt sich nicht, uns durch den Vorläufer entgegen zurufen: »Bereitet den Weg des Herrn«; denn »er ist nahe«, sondern gleich einer Braut, die jedem Wunsch ihres Bräutigams zuvorkommt, gleich einer sorgenden Mutter, die über alle Bedürfnisse ihrer Kinder wacht, empfiehlt und gibt sie uns die Mittel, um diese Vorbereitung zu fördern und zu vollenden. Sie versetzt uns gleichsam in den Alten Bund zurück, damit wir uns und zwar in ganz übernatürlicher Weise die Verfassung jener Gerechten aneignen, die in heiliger Sehnsucht nach dem Messias seufzten.

Wenn wir uns der Leitung der Kirche überlassen, werden wir die der Vorbereitung günstigsten und vollkommensten Gesinnungen in uns erwecken und die Feier der Geburt des Herrn wird in unserer Seele reiche Frucht des Lebens, der Gnade und des Lichtes hervorbringen.

4. Welche Gesinnungen uns beseelen müssen, damit wir der Früchte jeder neuen Ankunft Christi in vollem Maße teilhaft werden: Reinheit des Herzens, Demut, Vertrauen und fromme Sehnsucht. Wir sollen uns mit den Gesinnungen der allerseligsten Jungfrau und Gottesmutter vereinigen

Welcher Art sind nun diese Gesinnungen? Man kann sie auf vier Wesenszüge zurückführen. Zunächst die Herzensreinheit. Wer war am besten vorbereitet auf die Ankunft des göttlichen Wortes? Ohne Zweifel Maria, die makellose Jungfrau. Da das ewige Wort herniederstieg auf unsere Erde, fand es das Herz dieser Jungfrau vollkommen vorbereitet und fähig, die Gnadenschätze aufzunehmen, womit es sie überschütten wollte. Welches war aber die Seelenverfassung, die Herzensgesinnung Mariens, der Jungfrau? Sicherlich war sie ganz vollkommen; in ganz besonderem Glanz aber strahlte ihre jungfräuliche Reinheit. Maria ist die Jungfrau. Die Jungfräulichkeit ist ihr ein so kostbares Gut, dass sie den Engel, der ihr die göttliche Mutterwürde verheißt, auf ihr Gelöbnis verweist. Maria ist nicht bloß Jungfrau, ihre Seele ist ganz ohne Makel. Die Liturgie offenbart uns den Grund dieses einzigartigen Vorrechtes der allerseligsten Jungfrau: »O Gott, der du durch die unbefleckte Empfängnis der Jungfrau Maria deinem Sohn eine würdige Wohnstätte bereitet hast (Kollekte am Feste Mariä Empfängnis). Maria war auserkoren, Mutter Gottes zu werden. Diese überragende Würde erforderte nicht nur, dass sie Jungfrau sei; sie musste auch an Reinheit alle Engel übertreffen und ein Abglanz jener Lichtfülle göttlichen Glanzes sein, in welcher der Vater den Sohn erzeugt (vgl. Ps 110, 3). Gott ist heilig, dreimal heilig! Die Engel, Erzengel und Seraphim besingen seine unendliche Reinheit: »Heilig, heilig, heilig« (Jes 6, 3). Gottes Schoß, in fleckenlosem Glanz, ist die natürliche Wohnung des eingeborenen Gottessohnes; denn immerdar ist das Wort im »Schoß des Vaters«. Als es aber die menschliche Natur annahm, hat Gottes ewiges Wort in unaussprechlicher Herablassung sich gewürdigt, im Schoß der jungfräulichen Mutter zu ruhen. Das Wohngezelt, das ihm die Jungfrau bot, sollte ihm durch den Schimmer einer Reinheit ohnegleichen in etwa den unvergänglichen Glanz des ewigen Lichtes ersetzen, worin er als Gott lebt ohne Ende. »Christi Wohnung in Gott Vater ist die Gottheit, in Maria, der Mutter, aber die Jungfräulichkeit« (»Christi sinus erat in Deo Patre divinitas, in Maria Matre virginitas« [Sermo XII in App. Op. 5. Ambros.]).

Reinheit ist es also vor allem, die den Herrn anzieht. Wir alle aber sind arme Sünder. Wir können Christo Jesu, dem ewigen Wort, diese unbefleckte Reinheit, die er so sehr liebt, nicht entgegenbringen. Was aber wird sie in uns ersetzen? Die Demut! Gottes Schoß umschließt den Sohn seines unendlichen Wohlgefallens; doch umfängt er in barmherziger Liebe auch noch ein anderes Kind, den verlorenen Sohn! Der Heiland selbst sagt es uns: Da der verlorene Sohn nach all seinen Verirrungen ins Vaterhaus zurückkehrt, "verdemütigt er sich bis in den Staub, bekennt, dass er gesündigt hat und nicht mehr würdig ist, sein Sohn zu heißen, und alsogleich schließt ihn der Vater, »von Erbarmen bewegt, an sein Herz« (Lk 15, 18 ff).

Das ewige Wort aber, der Sohn, kennt keinen anderen Willen als den seines Vaters. Wenn er Menschengestalt annimmt und auf Erden erscheint, so geschieht es nur, um zu suchen, was verloren war, um die Sünder zum Vater zurückzuführen. »Ich bin nicht gekommen, die Gerechten zu berufen, sondern die Sünder« (Mt 9, 13). Dieses Wort ist so wahr, dass der Heiland später zum großen Ärgernis der Pharisäer geradezu seine Vorliebe für die Sünder bekundet und sich nicht scheut, mit ihnen zu Tische zu sitzen, ja, dass er Magdalena gestattet, seine Füße mit Küssen zu bedecken und sie mit ihren Tränen zu benetzen.

Wenn uns die Reinheit der Jungfrau Maria mangelt, dürfen wir von Gott wenigstens die Demut einer Magdalena, ihre Liebesreue und aufrichtige Bußgesinnung erflehen.

Jesus, mein göttlicher Heiland, ich bin nicht würdig, dass du eingehest zu mir! Mein Herz kann dir keine fleckenlose Wohnstätte bieten, nur Armut und Sündenelend. Aber siehe, ich bin mir dieses Elendes schmerzlich bewusst und gestehe es ein! O, so komm und befreie mich! Du bist das Erbarmen selbst! Komm und erlöse mich! Du bist die Allmacht. Ein solches Gebet im Geiste der Buße verrichtet, zieht Christus zu uns herab; denn wahre Demut, die sich in die Tiefen ihres Nichts versenkt, ist die wahrste Huldigung, die man der ewigen Güte und Allmacht Jesu darbringen kann. »Wer zu mir kommt, den weise ich nicht zurück« (Joh 6, 37). Die Erkenntnis unserer Armseligkeit darf uns aber nicht entmutigen, im Gegenteil. Je mehr wir unser Elend empfinden, desto zuversichtlicher sollen wir das Herz erweitern in kindlichem Vertrauen; denn nur von Christus kommt alles Heil.

»Ihr Kleinmütigen, seid getrost und fürchtet euch nicht! Siehe unser Gott wird kommen und uns retten« (Kom. des 3. Adventsonntags). Solch felsenfestes Vertrauen beseelte die Frommen des Alten Bundes. Sie wussten, dass der Messias kommen würde und der Messias war für sie alles. Er war der Inbegriff der Erwartung Israels, die Sehnsucht und Hoffnung des Volkes. Sein Antlitz schauen zu dürfen, sollte die Befriedigung alles Ehrgeizes, sein Reich die Erfüllung aller Wünsche sein. In vertrauensvoller Ungeduld scholl es zum Himmel empor: »Komm, Herr, und säume nicht (Alleluja des 4. Adventsonntags). Zeig uns dein Angesicht, und es wird uns geholfen werden« (Ps 79, 4)!

Wie ungleich mehr aber bewahrheitet sich all das bei uns, die wir Jesus Christus besitzen, der Gott und Mensch zugleich ist. O, wenn wir recht erfassten, was die allerheiligste Menschheit Jesu ist! Unser Vertrauen würde unerschütterlich sein. In Jesus wohnen alle Schätze der Weisheit und Wissenschaft; in ihm thront die Gottheit selber. Der Gottmensch, der uns heimsucht, er ist Emanuel, d. h. Gott mit uns. Er ist unser erstgeborener Bruder. Das ewige Wort hat sich mit unserer Natur vermählt, hat alle ihre Schwachheiten auf sich genommen, um zu verkosten, was das Leiden ist. Es kommt zu uns, um uns Anteil zu geben an seinem göttlichen Leben. Alle Gnaden, die wir zu erhoffen vermögen, besitzt Jesus in göttlicher Fülle, um sie uns mitzuteilen.

Herrlich sind die Verheißungen, die Gott durch den Mund der Propheten an sein Volk ergehen ließ, um die Sehnsucht nach dem Messias zu wecken. Viele unter den Juden fassten allerdings diese Verheißungen in grob sinnlicher Weise auf und erwarteten ein irdisches, weltliches Reich. Die den Gerechten, welche den Heiland erwarteten, verheißenen Güter waren bloße Vorbilder jener übernatürlichen Schätze, die wir in Christus finden. Die Mehrzahl der Israeliten lebte von irdischen Symbolen, wir Christen aber leben von der göttlichen Wirklichkeit, von der Gnade Jesu. In der Liturgie des Advents ist fortwährend die Rede von Barmherzigkeit, Erlösung, Heil und Befreiung, von Licht, Überfluss, Freude und Frieden. »Siehe, es wird kommen der Herr und an demselben Tage wird ein großes Licht sein« (Laudes Antiphon des 1. Adventsonntags). »Freue dich, Jerusalem, mit großer Freude; denn dein Heiland wird zu dir kommen« (Laudes Antiphon des 3. Adventsonntags). »Es wird Frieden sein in unserem Lande, wenn er kommen wird« (Resp. der Matutin vom 3. Adventsonntag). Alle Segnungen, die ein Herz nur fassen kann, wird der Erlöser bringen; denn »wie sollte Gott uns mit ihm nicht alles schenken« (Röm 8, 32).

So möge denn jedes Herz in unbedingtem Vertrauen jenem entgegenschlagen, der da kommen soll. Es ist dem ewigen Vater sehr wohlgefällig, wenn wir fest glauben, dass Jesus, sein Sohn, alles vermag, was zu unserer Heiligung dient; denn in diesem Glauben liegt das Bekenntnis, dass Jesus gleicher Gott ist mit dem Vater und dass der Vater »alles in seine Hand gegeben hat« (Joh 3,35). Daher wird diese Zuversicht auch nie getäuscht. Das versichert die heilige Kirche in der Messe des ersten Adventsonntags nicht weniger als dreimal mit heiligem Nachdruck: Alle, die deiner harren, werden nicht zuschanden.

Dieses Vertrauen findet seinen Ausdruck in frommer Sehnsucht, dass der Heiland kommen und mehr und mehr in unserer Seele herrschen möge. »dein Reich komme« Die kirchliche Liturgie fasst diese Sehnsucht in Worte. Es genügt ihr nicht, uns die Weissagungen der Propheten, besonders des Propheten Jesaja, zur Lesung zu geben, sie legt uns auch das Seufzen und Sehnen der Gerechten des Alten Bundes auf die Lippen. Sie will uns in gleicher Weise vorbereiten, wie einst Gott das Volk der Verheißung vorbereitet hat auf die erste Ankunft seines Sohnes. »Sende, Herr, den, der gesandt werden soll« (Gen 69, 8)! »Komm, o Herr, und säume doch nicht, erleichtere die Sündenlast deines Volkes!« (Alleluja des 4. Adventsonntags). »Lass, Herr, uns dein Erbarmen schauen und schenke uns dein Heil !« (Offertorium des 2. Adventsonntags). »Komm, uns zu befreien, Herr, Gott der Heerscharen! Erwecke deine Macht und komm!« (Oration des 4. Adventsonntags). Unablässig lässt die Kirche ihre Kinder diese Anmutungen wiederholen. Wenn wir sie uns zu eigen machen, sie aus gläubigem Herzen empor senden, wird Jesus Christus uns mit seinen Gnaden bereichern.

Allerdings ist Gott vollkommen frei in der Austeilung seiner Gaben. Er ist der höchste Herr und niemand darf von ihm Rechenschaft fordern über seine bevorzugende Liebe. Nach dem allgemeinen Walten seiner Vorsehung jedoch, »merkt er auf das Flehen der Demütigen und hört das Verlangen der Bedrängten« (Ps 10, 17). Christus schenkt sich uns nach dem Maße der Sehnsucht, womit wir ihn aufzunehmen verlangen, und die Sehnsucht erweitert das Herz dessen, der sie erweckt. »Tue deinen Mund auf, und ich will ihn sättigen« (Ps 81, 11).

Wenn also die Feier der Geburt Christi wahrhaft eine Verherrlichung der allerheiligsten Dreifaltigkeit darstellen, wenn sie dem Herzen des menschgewordenen Erlösers Trost bereiten, sowie der Kirche und uns selbst einen reichfließenden Quell der Gnade erschließen soll, so müssen wir trachten, unser Herz zu reinigen, es mit Demut und Vertrauen zu erfüllen, vor allem aber es groß und weit zu machen durch die Glut liebender und frommer Sehnsucht.

Bitten wir auch Maria, die allerseligste Jungfrau, dass sie uns teilnehmen lasse an den Gesinnungen, womit sie selbst die gnadenreiche Geburt Jesu erwartet hat.

Nicht umsonst hat die Kirche die ganze Adventsliturgie mit der Erinnerung an die Gottesmutter durchwoben. Immer wieder lässt sie uns die göttliche Fruchtbarkeit der Jungfrau besingen, »die da zum Staunen der Welt ihren heiligen Schöpfer gebar und vor und nach der Geburt makellose Jungfrau blieb« (Ant. Alma Redemptoris mater).

Mariens Schoß war ein unversehrtes Heiligtum, von dem unablässig der süß duftende Weihrauch lauterster Anbetung und Huldigung zu Gott emporstieg.

Es ist etwas unaussprechlich Erhabenes um das innere Leben Marias in jenen Tagen der Erwartung. Sie verharrte in innigster Lebensgemeinschaft mit dem göttlichen Kinde, das sie in ihrem Schoße trug. Die Seele Jesu war durch die beseligende Anschauung in das Strahlenmeer göttlichen Lichtes getaucht. Dieses Licht strahlte über auf die Mutter, so dass sie den Engeln des Himmels in Wahrheit als die »Frau erscheinen musste, das mit der Sonne bekleidet ist« (Offb 12,1), ganz durchglänzt von Himmelsklarheit, durchleuchtet vom Lichte ihres Sohnes. Wie war Mariens Denken und Fühlen so vollkommen auf der Höhe ihres Glaubens! Alle Hoffnung und Sehnsucht, alle Wünsche und Bitten der Menschheit, die ihrem Gott und Heiland entgegensah, nahm Maria gleichsam in ihr reines Herz auf und verlieh ihnen durch die Reinheit und die Inbrunst ihrer Empfindungen einen bisher unerreichbaren Wert. Welch heilige Glut lag in ihrer Sehnsucht, wie unerschütterlich war ihr Vertrauen, wie glühend ihre Liebe!

Sie, die demütige Jungfrau, ist die Königin der Patriarchen, deren heiliger Ahnenreihe sie entstammt, und das Kind, das sie der Welt schenken soll, ist jener »Sohn des Allerhöchsten«, der alle die herrlichen Verheißungen der Vorzeit in sich trägt.

Maria ist auch die Königin der Propheten; denn aus ihr wird hervorgehen das Wort, das den heiligen Sehern die Prophezeiungen in den Mund gelegt, ihr Kind, das alle Weissagungen erfüllen, »den Unterdrückten Erlösung, ein Gnadenjahr des Herrn bringen wird« (Lk 4, 18 ff).

Bitten wir daher Maria recht demütig, dass sie uns mit den Gesinnungen ihres allerreinsten Herzens beseelen wolle. Sie wird uns erhören, und wir werden die unermessliche Freude erleben, durch eine vermehrte Mitteilung himmlischer Gnade eine neue Geburt Christi in unserm Herzen zu erfahren. Mit der allerseligsten Jungfrau werden wir, wenn auch in anderer Weise, die trostvolle Wahrheit verkosten, die uns der hl. Johannes verkündet: »Das Wort war Gott ... Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen ... Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen - Gnade um Gnade« (Joh 1,14 ff).

VII. O WUNDERBARER AUSTAUSCH ! (Weihnachtszeit)

Das Geheimnis der Menschwerdung beruht auf einem wunderbaren Austausch zwischen der Gottheit und der Menschheit'

Die Ankunft des Gottessohnes auf Erden ist ein so wichtiges Ereignis, dass Gott die Welt jahrhundertelang daraus vorbereitet hat. Die feierlichen Kultgebräuche und Opfer, die Gestalten und Sinnbilder des Alten Bundes, sie alle zielen hin auf Christus. Gott verheißt ihn durch den Mund der Propheten; er kündigt ihn an von Geschlecht zu Geschlecht.

Jetzt aber ist es der Sohn Gottes selbst, der herniedersteigt, um die Menschheit zu befreien. »Zu wiederholten Malen und auf mannigfache Art hat Gott einst in den Propheten zu den Vätern gesprochen. Am Ende der Tage hat er durch seinen Sohn zu uns gesprochen« (Hebr 1,1 ff); denn Christus ist nicht bloß für seine Zeitgenossen im Judenlande geboren, sondern für uns alle. »Wegen uns Menschen und um unseres Heiles willen ist er herabgestiegen vom Himmel (Credo der hl. Messe).« Die Gnade, die er durch seine Geburt im Fleisch verdient hat, will er allen Seelen mitteilen.

Die Kirche, geleitet vom Hl. Geiste, hat die Sehnsucht der Erzväter, das Seufzen aller Gerechten des Alten Bundes, die Wünsche und das Verlangen des auserwählten Volkes sich zu eigen gemacht, um es ihren Kindern auf die Lippen zu legen und ihre Herzen damit zu erfüllen. Sie will uns auf die Ankunft Christi so vorbereiten, als sollte dessen gnadenreiche Geburt sich in Wirklichkeit vor uns erneuern.

Darum entfaltet sie jedes Mal, wenn sie die Herabkunft ihres göttlichen Bräutigams auf diese Erde begeht, alle Pracht der Zeremonien und strahlt in vollem Lichtglanz, wenn sie die Geburt des Friedensfürsten (Jes 9, 6) feiert, der aufgeht als »Sonne der Gerechtigkeit« (Mal 4, 2), inmitten unserer Finsternis. »Es kam das wahre Licht in die Welt, das jeden Menschen erleuchtet« (Joh 1, 9). An diesem Tage gewährt die Kirche ihren Priestern sogar das seltene Vorrecht, drei heilige Messen zu feiern, um den Glanz dieses wunderbaren Festes zu erhöhen.

Die Weihnachtsfeier hat neben aller Pracht auch noch einen ganz eigentümlichen Liebreiz. Sie erinnert an die himmlische Heerschar, die in den Höhen Gott lobsingt und die Herrlichkeit des Kindleins preist, an die einfältigen Hirten, die es in der Krippe anbeten, an die Weisen aus dem Morgenland, die vor ihm niedersinken und ihm reiche Gaben opfern.

Allein wie jedes Fest auf Erden, so nimmt auch diese Feier mit ihrer schönen Oktav ein Ende; sie geht vorüber. Fordert denn die Kirche nur für die Feier eines einzigen, wenn auch noch so hochfestlichen Tages eine so lange Vorbereitung? Wohl kaum! Sie weiß aber, dass die wohlvorbereitete Betrachtung des Weihnachtsgeheimnisses auserlesene Gnaden für unsere Seelen in sich schließt. Wie schon gesagt, stellt jedes einzelne Geheimnis Christi nicht bloß eine geschichtliche Tatsache dar, die sich in dieser Zeit verwirklicht hat, es enthält auch eine ihm eigene Gnade, aus der die Seele Nahrung und Lebenskraft schöpfen soll.

Welches ist nun die dem Geheimnis der Geburt Christi besonders eignende Gnade? Was ist das für eine Gnade, auf welche die Kirche ihre Kinder so sorgfältig vorbereitet, und welches ist die Frucht, die wir aus der Betrachtung des göttlichen Kindes ziehen sollen?

Die Kirche selbst weist darauf hin in der Mitternachtsmesse der heiligen Weihnacht. Nach der Opferung von Brot und Wein, die in wenigen Augenblicken in den Leib und das Blut des Herrn verwandelt werden sollen, fasst sie ihre Wünsche in folgendes Stillgebet zusammen: »Genehm sei dir, o Herr, die Opfergabe der heutigen Festfeier, aus dass wir mit dem Beistand deiner Gnade durch diesen hochheiligen Tausch demjenigen gleichförmig erfunden werden, durch den unsere Natur mit dir vereint ist!«Accepta tibi sit, Domine, quaesumus, hodiernae festivitatis oblatio: ut tua gratia largiente, per haec sacrosancta commercia in illius inveniamur forma, in quo tecum est nostra substantia. Das Wort forma ist hier im Sinne von Natur, Gestalt, Beschaffenheit gebraucht, wie beim hl. Paulus. »Welcher, da er in Gestalt Gottes war ... sich selbst entäußerte, Knechtsgestalt annahm und im Äußeren befunden ward wie ein Mensch« (Phil 2, 6 ff).

Wir erbitten somit Anteil an der Gottheit, mit der unsere menschliche Natur verbunden ist. Es vollzieht sich gleichsam ein Tausch: Gott wird Mensch und nimmt unsere menschliche Natur an; uns aber gewährt er dafür die Teilnahme an seiner Gottheit. Der in diesen Worten kurzgefasste Gedanke ist etwas weitläufiger ausgedrückt im Stillgebet der zweiten Weihnachtsmesse: »Mögen sich unsere Gaben, o Herr, den Geheimnissen deiner Geburt, die wir heute feiern, angemessen erweisen: damit gleichwie das Kind als Mensch geboren ward und zugleich als Gott aufgestrahlt ist, so diese irdische Substanz uns mitteile, was göttlich ist!«53 Munera nostra, quaesumus Domine, nativitatis hodiernae mysteriis apter proveniant, ut sicut homo genitus idem refulsit et Deus, sic nobis haec terrena substantia conferat quod divinum est.

Die besondere Gnade, die an die Feier des Weihnachtsgeheimnisses geknüpft ist, besteht somit darin, dass wir teilnehmen an der Gottheit, der sich unsere Menschheit in der Person Christi vereint hat und dass wir durch eben diese Menschheit jenes göttliche Geschenk empfangen. Es handelt sich also um einen Tausch zwischen Gott und Mensch: Das Kind, das heute geboren wird, ist wahrer Gott. Die menschliche Natur, die er von uns entlehnt, soll das Werkzeug sein, wodurch er uns seine Gottheit mitteilt. »Wie das Kind als Mensch geboren ward und zugleich als Gott aufgestrahlt ist, so möge uns diese irdische Gabe mitteilen, was göttlich ist.« Unsere Opfergaben werden nur dann den Geheimnissen der Geburt angemessen erscheinen, wenn wir durch die Betrachtung des göttlichen Wunders von Bethlehem und den Empfang der hl. Kommunion an dem ewigen Leben teilnehmen, das uns Christus durch seine Menschheit mitteilen will.

»O Wunderbarer Tausch«, so singt die Kirche am Oktavtag des hochheiligen Weihnachtsfestes, am Feste der Beschneidung des Herrn, »der Schöpfer des Menschengeschlechtes hat einen menschlichen Leib angenommen und ließ sich herab, von einer Jungfrau geboren zu werden. Er ist hervorgegangen als Mensch ohne irdischen Vater und hat uns seine Gottheit mitgeteilt.« 

Hier wollen wir mit der Kirche ein wenig verweilen, um in ehrfurchtsvollem Staunen den hehren Austausch zu betrachten, der sich zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpfe, zwischen Himmel und Erde vollzieht und der das innere Wesen des Weihnachtsgeheimnisses ausmacht. Wir wollen sodann die Tatsache und den Gegenstand dieses Geheimnisses betrachten - die Form, in der es sich verwirklicht, - die Früchte, die uns aus demselben erwachsen, und die Pflichten, die es uns auferlegt.

1. Erster Vorgang bei diesem Tausch: Das ewige Wort entlehnt von unserem Geschlecht eine menschliche Natur, um sie persönlich mit sich zu vereinigen

Zu Bethlehem im Stall liegt ein Kindlein in der Krippe. Was ist dieses Kindlein in den Augen der nicht Eingeweihten, der Bewohner des Städtchens, die zufällig ihre Schritte zur Geburtsgrotte lenken?

Es ist ein neugeborenes Kind wie andere Kinder. Eine Frau aus Nazareth hat ihm das Leben geschenkt. Es ist ein Sohn Adams wie alle Menschen; denn seine Eltern ließen sich eintragen in die Verzeichnisse der Volkszählung, und man kann seinen Stammbaum verfolgen von Abraham bis David, von David, bis auf Joseph, den Gemahl seiner Mutter. Es ist also ein Menschenkind, das einst zum Mann werden wird, jetzt aber als ein schwaches Kind an der Brust seiner Mutter ruht.

So erschien dieses kleine neugeborene Wesen den Sinnen jener, die es im Stall, auf Stroh gebettet, erblickten. Viele seiner Landsleute haben niemals etwas anderes in ihm gesucht und gesehen als einen Menschen. Darum staunten später die Einwohner seiner Vaterstadt über ihn und fragten: Woher kommt diesem solche Weisheit und Wunderkraft? »Ist er nicht des Zimmermanns Sohn« (Mt 13,55; vgl. Mk 6,3; Lk 4,22)?

Das Auge des Glaubens aber sieht, dass mehr als menschliches Leben dieses Kindlein beseelt; sein Leben ist göttliches Leben. Was lehrt und offenbart uns der Glaube über dieses Leben?

Er lehrt, kurz gesagt, dass dieses Kind der Sohn Gottes ist. Es ist das Wort des Vaters, die zweite Person der allerheiligsten Dreifaltigkeit, der Sohn, der in unaussprechlicher Mittteilung vom Vater göttliches Leben empfängt. »Denn wie der Vater das Leben in sich selbst hat, so hat er auch dem Sohn verliehen, das Leben in sich selbst zu haben« (Joh 5, 26). Die göttliche Natur mit ihrer unendlichen Vollkommenheit ist sein. »Im Glanze des Heiligtums« (Ps 96, 6), in ewiger Zeugung geht er hervor aus des Vaters Schoß. Dieser ewigen Geburt Christi aus dem Schoße des Vaters gilt vor allem die Anbetung in der Mitternachtsmesse. Das zweite hl. Messopfer in der Morgendämmerung feiert die zeitIiche Geburt Christi in Bethlehem aus der allerseligsten Jungfrau Maria, das dritte hl. Messopfer endlich lobpreist vor allem die Geburt Christi in den Herzen der Gläubigen.

Ganz umwoben von geheimnisvoller Majestät, beginnt die hl. Mitternachtsmesse mit den hochfeierlichen Worten: »Der Herr sprach zu mir: Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt!« Das ist der Ruf, der emporsteigt aus der mit dem Worte persönlich verbundenen Seele Christi, der Ruf, der zum ersten Mal der Welt Kunde bringt von dem, was die Himmel von Ewigkeit her vernehmen: »Der Herr sprach zu mir: Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt.« Unter diesem »heute« ist an erster Stelle zu verstehen der strahlende Tag der Ewigkeit, der kein Morgenrot hat und keinen Niedergang kennt.

Nun aber betrachtet der Vater seinen Sohn auch im Gewande der Menschheit. Das Wort ist Fleisch geworden. Doch bleibt es deshalb nicht minder wahrer Gott. Es ist zum Menschensohn geworden und bleibt doch Gottessohn. Der erste Blick, der auf Christus ruht, die erste Liebe, die ihn umgibt, ist der Blick und die Liebe des ewigen Vaters. »Der Vater liebt mich« (Joh 15, 9)! Christus ist des Vaters Eingeborener. Das ist seine wesentliche Herrlichkeit. Er ist dem Vater gleich, »einer Wesenheit mit ihm, Gott von Licht, Licht vom Licht. Alles ist durch ihn gemacht und ohne ihn ist nichts gemacht, was gemacht worden ist. Durch den Sohn ist die Schöpfung geworden. Er trägt sie durch das Wort seiner Kraft. Im Anfang hast du, Herr, die Erde gegründet, und die Himmel sind deiner Hände Werk. Sie werden vergehen, du aber bleibst. Sie werden veralten wie ein Gewand ... Du aber bleibst derselbe und deine Jahre nehmen kein Ende« (Hebr 1, 10 ff), (Epistel der dritten Weihnachtsmesse). Und dieses »Wort ist Fleisch geworden«.

»Lasset uns anbeten das Wort, das für uns in Menschengestalt erschienen ist (Invitatorium der Weihnachtsmette).« Ein Gott hüllt sich in unser Fleisch: Er wird durch geheimnisvolle Wirksamkeit des Hl. Geistes im jungfräulichen Schoße Mariens empfangen, aus dem allerreinsten Blut der Makellosen gebildet. Das Leben, das er von Maria empfängt, macht ihn uns Menschen gleich. »Der Schöpfer des Menschengeschlechtes hat sich gewürdigt, von einer Jungfrau geboren zu werden und ist hervorgegangen als Mensch ohne irdischen Vater.« Creator generis humani de Virgine nasci dignatus est et procedens homo sine semine ... [Antiphon am Feste der Beschneidung].

Der Glaube lehrt uns, dass dieses Kind das menschgewordene Wort Gottes ist, der Schöpfer des Menschengeschlechtes, der selbst als Mensch geboren ist.

»Der allen Vöglein Nahrung schenkt, wird durch ein wenig Milch getränkt.« Parvoque lacte partus est / Per quem nec ales esurit (Hymnus zur Laudes an Weihnachten).

O Christ, gehe hin zur Krippe und betrachte das Kindlein, das dort schläft und in nichts die erhabene Größe verrät, die in ihm wohnt. Es scheint ein Kind zu sein wie alle Kinder; als Gott aber, als ewiges Wort, richtet er im selben Augenblick die Seelen derer, die vor seinem Richterstuhl erscheinen. Er liegt in der Krippe und herrscht zugleich im Himmel:

»Den Hirten wird gezeigt der Hirt und Schöpfer der gesamten Welt« (Palamque fit pastoribus / Pastor creator omnium [ebda]).

Dieses Kind, das da beginnt zu wachsen, - »das Kind wuchs heran ... und nahm zu an Alter« (Lk 2, 40.52), dieses Kind ist der allmächtige Schöpfer, der seiner Gottheit nach keiner Veränderung unterworfen ist, sondern allezeit derselbe bleibt und dessen Jahre nicht aufhören. Er, der in der Zeit geboren ward, ist derselbe, der da ist, ehe die Zeit ihren Anfang nahm, der sich durch Engelsmund den Hirten von Bethlehem kund macht, ist jener Hohe und Gewaltige, der aus Nichts die Welten schuf und vor dem »alle Völker sind, als wären sie nichts« (Jes 40, 17).

Der Glaube schaut somit in diesem Kinde zwei Leben, die auf wunderbar erhabene Weise unzertrennlich verbunden sind; denn die menschliche Natur ist dem Worte in so inniger Zugehörigkeit vereint, dass nur eine einzige Person vorhanden ist, jene des Wortes, die durch ihr eigenes göttliches Dasein die menschliche Natur trägt. Dieser »vollkommene Mensch« (Athanasisches Glaubensbekenntnis: Perfectus homo) ist vollkommen in allen Teilen. Es fehlt nichts, was zur Wesenheit des Menschen gehört. Dieses Kind hat eine menschliche Seele wie wir; sein Leib ist dem unseren gleich. Es hat alle Fähigkeiten: Verstand, Wille, Phantasie, Empfindungen wie wir; Es ist ganz und gar eines aus uns, wie die dreiunddreißig Jahre seines Erdenlebens es unzweifelhaft bewiesen haben. »In allem sollte Christus seinen Brüdern ähnlich sein, ausgenommen die Sünde« (Hebr 2, 17; 4, 15). Seine menschliche Natur, die in sich vollkommen ist, bewahrt ihre eigene Tätigkeit, ihre angeborene Würde.« Es kann keine Vermischung oder Vermengung geben zwischen den beiden Leben, die Christus in seiner Person vereint, dem göttlichen, das er durch die ewige Geburt aus dem Schoß des Vaters besitzt, und dem irdischen, das er in der Zeit durch seine Menschwerdung im Schoß der Jungfrau begonnen hat. Das Wort wird Fleisch und bleibt, was es ist. Was es nicht war, empfängt es von unserm Geschlecht; aber die göttliche Natur vernichtet keineswegs die menschliche, und die menschliche Natur ihrerseits vermag in nichts die göttliche zu beeinträchtigen. Die Vereinigung der beiden Naturen ist eine so innige, dass sie nur in einer Person bestehen, in der göttlichen nämlich, so dass die menschliche Natur dem Worte zugehört, dass sie die persönliche Menschheit des Wortes ist. »Ein wunderbares Geheimnis wird heute offenbar. Die Natur wird erneuert. Gott ist Mensch geworden. Das, was er war, blieb er, und das, was er nicht war, nahm er an ohne Vermischung oder Trennung zu erleiden.«»Mirabile mysterium declaratur hodie: innovantur naturae, Deus homo factus est; id quod fuit permansit, et quod non erat assumpsit, non commixtionem passus neque divisionem« [Ant. der Laudes in der Oktav von Weihnachten].

2. Zweiter Vorgang des Tausches: durch seine Menschwerdung verleiht das Wort uns die Teilnahme an seiner göttlichen Natur

Das ist also, wenn man so sagen darf, der eine Vorgang des Austausches: Gott entlehnt unsere Natur, um sie in persönlicher Verbindung mit sich zu vereinen. Welches ist nun der zweite Vorgang? Was wird Gott uns als Gegengabe schenken? Nicht als ob Gott uns etwas schuldig wäre. »Meiner Güter bedarfst du nicht« (Ps 15, 2), heißt es im Psalm. Gott aber, der alles in Weisheit tut, konnte unsere Natur nicht annehmen ohne einen Grund, der seiner Größe vollkommen würdig war. Was das menschgewordene Wort der Menschheit als Gegengabe spendet, ist unsagbar hoch und wunderbar: Es ist die wahrhafte, die innigste Teilnahme an seiner Gottheit. »Seine Gottheit hat er uns geschenkt« (Largitus est nobis suam deitatem [Ant. am Feste der Beschneidung). Für die menschliche Natur gibt uns das ewige Wort als Austausch Anteil und Mitbesitz an seiner Gottheit; es macht uns seiner göttlichen Natur teilhaftig, so dass sich ein Austausch vollzieht, wie er wunderbarer nicht gedacht werden kann.

Diese Teilnahme an der göttlichen Natur war zwar schon dem ersten Menschen bei seiner Erschaffung verliehen worden: die Gnade, samt ihrem herrlichen übernatürlichen Gefolge, machte Adam gottähnlich. Aber der Sündenfall des ersten Menschen, des Stammvaters unseres Geschlechtes, hat uns jedes Anrechtes auf diese wunderbare Teilnahme beraubt. Um dieses Anrecht wiederherzustellen, ist das Wort im Fleisch erschienen. Um den Weg zum Himmel wieder zu eröffnen und uns die Anteilnahme an seinem ewigen Leben zurückzugewinnen, ist Gott Mensch geworden. Weil das Kind in der Krippe Gottes eingeborener Sohn ist, besitzt es das göttliche Leben wie sein Vater und mit seinem Vater; in diesem Kinde »wohnt die ganze Fülle der Gottheit wesenhaft« (KoI 2, 9). Es besitzt diese Schätze aber nicht für sich allein. Mit unendlicher Liebe verlangt es danach, den Menschen das göttliche Leben mitzuteilen, dass es selber ist. »Ich bin das Leben« (Joh 14, 6). »Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben« (Joh 10,10). »Uns ist ein Kind geboren, uns ist ein Sohn geschenkt« (Introitus der dritten Weihnachtsmesse). Dadurch, dass es uns an seiner Sohnschaft teilnehmen lässt, macht es auch uns zu Kindern Gottes. »Als die Fülle der Zeit gekommen war, sandte Gott seinen Sohn, von einer Frau geboren ... Er sollte die, die unter dem Gesetze standen, loskaufen, damit wir die Annahme an Sohnesstatt erhielten« (Gal 4, 4 ff). Was Christus ist durch seine Natur, das sollte der Mensch durch die Gnade werden, nämlich Kind Gottes. Das menschgewordene Wort »der Gottessohn soll für uns der Urheber einer göttlichen Wiedergeburt werden« (Postkom der dritten Weihnachtsmesse), damit er, obwohl er des Vaters Eingeborener ist, »der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern« (Röm 8, 29).

So also vollzieht sich der wunderbare Austausch, den Gott mit uns eingeht. Er nimmt unsere Natur an und schenkt uns dafür seine göttliche Natur. Er empfängt ein menschliches Leben und gibt uns Anteil an seinem göttlichen Leben. »Gott ist Mensch geworden, damit der Mensch Gott werde (Aus einer dem hl. Augustin zugeschriebenen Predigt Nr. 128 im Anhang zu seinen Werken).« So wird seine menschliche Geburt das Mittel unserer Wiedergeburt zum göttlichen Leben.

Auch in uns sind hinfort zwei Leben. Das eine haben wir durch die natürliche Geburt empfangen. Doch ist dieses Leben wegen der Erbsünde in den Augen Gottes nicht bloß ohne Verdienst, sondern vor der Taufe auch verderbt bis in die Wurzel. Wir werden geboren als Feinde Gottes, als »Kinder des Zornes« (Eph 2, 3), die strenger Gerechtigkeit verfallen sind. Das andere Leben in uns ist übernatürlich, unendlich erhaben über die Rechte und Forderungen unserer Natur. - Gott teilt uns dieses Leben mit durch die Gnade, die uns das menschgewordene Wort verdient hat.

Gott zeugt uns zu diesem Leben durch das» Wort der Wahrheit« (Jak 1,18), durch »das Bad der Wiedergeburt, die Erneuerung im Hl. Geiste« (Phil 3, 5). Ein neues Leben wird dem natürlichen, das es überragt und krönt, hinzugefügt, so dass der Christ in Christus ein »neues Geschöpf wird« (2 Kor 5, 17; Gal 6, 15). Die Gnade macht uns zu Gotteskindern, zu Brüdern Jesu Christi, die einst würdig erfunden werden sollen, seine eigene Seligkeit und ewige Herrlichkeit zu teilen.

Wie in Christus, so soll auch in uns das göttliche Leben das vorherrschende sein und wenn es auch, wie beim Kindlein in der Krippe sich in keiner Weise offenbart, sondern unter der unscheinbaren Hülle des Alltags verborgen bleibt. Das göttliche Leben der Gnade muss alle unsere natürliche Tätigkeit lenken und führen, damit sie gleichsam in der Wurzel vergöttlicht und dem Herrn wohlgefällig gemacht werde. Möchte doch die Betrachtung des Weihnachtsgeheimnisses und die Teilnahme an demselben durch die hl. Kommunion alles aus uns hinausschaffen und uns dazu führen, ein für alle Mal abzubrechen mit allem, was das Leben Gottes in uns zerstört und beeinträchtigt, mit der Sünde, von der Christus uns befreite, dessen einzigartige Geburt den alten Zustand der Menschheit entfernt hat« (Postkom der zweiten Weihnachtsmesse), mit aller Untreue und Unvollkommenheit, aller Anhänglichkeit an die Geschöpfe und aller übertriebenen Sorge um das Vergängliche«, so dass wir »den weltlichen Lüsten entsagen« (Tit 2,12) und mit ihnen allen kleinlichen Sorgen der törichten Eigenliebe!

Ja, möchte das Weihnachtsgeheimnis uns zum Ausgangspunkte einer so völligen Hingabe an Gott werden, wie wir sie in der heiligen Taufe, bei unserer Wiedergeburt zum göttlichen Leben, gelobt haben, einer Hingabe, durch welche wir uns dem Willen und Wohlgefallen Gottes so unbedingt überlassen, wie das ewige Wort beim Eintritt in diese Welt sich dem Vater anheimgab, da es sprach: »Siehe, ich komme, um deinen Willen zu erfüllen, o Gott« (Hebr 10, 7), einer Hingabe endlich, die uns allesamt darstellt als »ein in guten Werken eifriges Volk, das Gott sich zu eigen gemacht« (Tit 2, 14), (Epistel der Mitternachtsmesse)! Dann würde das göttliche Leben, das Christus in seiner Geburt der Welt gebracht hat, kein Hindernis mehr finden, sich zur Ehre des himmlischen Vaters frei entfalten. Dann würden unsere Handlungen ein Abglanz sein jenes Lichtes, womit das fleischgewordene Wort durch den Glauben im Geiste leuchtet.Gib uns, allmächtiger Gott, die wir von dem neuen Lichte deines fleischgewordenen Wortes übergossen werden, dass in unseren Handlungen widerstrahle, was durch den Glauben im Geiste leuchtet [Gebet der zweiten Weihnachtsmesse]. Und da alle unsere Werke nicht mehr aus der verderbten Natur, sondern aus der Gnade geboren wären, würde unsere Feier der Geburt des Herrn dem hochheiligen Weihnachtsgeheimnisse und dem unaussprechlich hehren Geschenk, das es uns bringt, in etwa entsprechen: »Mögen unsere Gaben, o Herr, der Geheimnisse der heutigen Geburt würdig sich darstellen« ... (Stillgebet der zweiten Weihnachtsmesse).

3. Noch wunderbarer erscheint dieser Austausch durch die Art und Weise, wie er sich vollzieht. In der Menschwerdung wird Gott sichtbar, damit wir ihn hören und nachahmen können

Was diesen Austausch aber wirklich »wunderbar« macht, ist die Art und Weise, wie er sich vollzieht. Wie kann er in der Tat zustande kommen? Wie teilt uns das ewige Wort, in Kindesgestalt verborgen, sein göttliches Leben mit? Durch seine Menschheit! Die Menschheit, die das Wort Gottes uns entlehnt, wird ihm zum Werkzeug, um uns seine Gottheit mitzuteilen, und zwar aus zweierlei Ursache, worin Gottes Weisheit wundersam erstrahlt. Die menschliche Natur macht Gott sichtbar, sie macht ihn leidensfähig.

Mit besonderem Wohlgefallen preist die Kirche mit den Worten des hl. Paulus das Sichtbarwerden Gottes unter den Menschen. »Erschienen ist die Gnade Gottes, unseres Heilandes, die allen Menschen Heil bringt« (Tit 2, 11). »Es erschien die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, unseres Heilandes« (Tit 3, 4). »Ein Licht wird heute über uns leuchten; denn geboren ist uns der Herr (Introitus der dritten Weihnachtsmesse).« »Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.« 

Die Menschwerdung verwirklicht dieses unerhörte Wunder, dass Gott sichtbar unter Menschen wandelte. Der hl. Evangelist Johannes spricht in begeisterten Worten von diesem Geheimnis. »Was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unsern Augen, was wir geschaut und mit unsern Händen betastet haben, berichten wir von dem Worte des Lebens. Das Leben ist ja erschienen, und wir haben es gesehen und bezeugen und verkündigen euch das Leben, das ewige, das beim Vater war und uns sich geoffenbart hat. Was wir also gesehen und gehört haben, verkündigen wir euch, damit auch ihr mit uns Gemeinschaft habt« (1 Joh 1, 1 ff).

Wie trostreich und wonnig ist es in der Tat, zu betrachten, in welcher Gestalt sich Gott den Menschen offenbart. Er zeigt sich nicht im blendenden Glanze seiner Allmacht, nicht in der unfassbaren Hoheit seiner Herrschergröße, sondern verschleiert unter der zarten Hülle schwacher Kindheit, sichtbar, greifbar unseren Sinnen. Gottes furchtbare Größe hätte die Menschen mit Schrecken erfüllt. Die Israeliten überkam Angst und Grauen, als die Donner rollten und die Blitze zuckten, während Gott auf Sinai zu Moses redete. Uns aber lockt der Liebreiz eines Gottes, der zum Kind ward. Es ist, als wollte er, in der Krippe liegend, die Menschen fragen: Wie könnt ihr euch fürchten vor eurem Gott, ihr Kleingläubigen? »Wer mich sieht, der sieht den Vater« (Joh 14, 9). Folgt nicht den Träumen eurer Einbildung, die euch einen Gott vorspiegelt mit philosophischen Schlüssen. Verlangt nicht, dass euch irdische Wissenschaft meine Vollkommenheit erschließe: Der wahre, der allmächtige Gott ist jener, den ich euch zeige und offenbare. Er kommt zu euch arm und demütig in Kindesgestalt und wird einst sein Leben für euch hingeben. »Ich bin der Abglanz der Herrlichkeit des Vaters und das Abbild seines Wesens« (Hebr 1, 3), sein eingeborener Sohn und Gott wie er. In mir lernt ihr seine Vollkommenheit kennen, seine Weisheit, seine Menschenfreundlichkeit, sein Erbarmen gegen die Sünder; denn Gott, der sprach: »Aus Finsternis soll Licht aufleuchten, leuchtete in unserm Herzen auf, um die Erkenntnis von der göttlichen Herrlichkeit Jesu Christi leuchten zu lassen« (2 Kor 4, 6). Kommet zu mir; denn obwohl ich Gott bin, wollte ich zum Menschen werden wie einer aus euch, und ich stoße keinen zurück, der vertrauensvoll sich mir naht.

Weshalb aber hat Gott sich herabgelassen, sichtbar unter den Menschen zu erscheinen? Zunächst um uns zu unterweisen; denn Gott selbst ist es, der »in seinem Sohn zu uns gesprochen hat« (Hebr 1, 2). Wenn wir der Stimme des Vielgeliebten folgen, erkennen wir, was Gott von uns will. Der himmlische Vater hat es selbst gesagt: »Das ist mein geliebter Sohn, auf ihn sollt ihr hören« (Mt 17, 5). Und Jesus hat seine Freude daran, immer wieder zu betonen, dass seine Lehre die Lehre dessen sei, »der ihn gesandt hat« (Joh 7, 16). Sodann hat sich das Wort auch deshalb unseren Augen sichtbar dargestellt, um unser Vorbild zu sein, dem wir folgen sollen.

Wir müssen nur auf das Kind schauen, wie es heranwächst, wie es unter den Menschen lebt gleich einem von ihnen, und wir werden lernen, wie auch wir vor Gott wandeln sollen als wahre Kinder Gottes. »Ich tue allezeit, was ihm wohlgefällt«, sagt der Heiland. Das ist unser Vorbild.

Durch seine Lehre ist Christus die Wahrheit, durch sein Beispiel weist er den Weg, und wer, in seinem Licht wandelnd, ihm nachfolgt, der hat das Leben. »Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.« So werden wir, »da wir Gott in seiner Menschwerdung sichtbar erkennen, durch ihn zur Liebe des Unsichtbaren hingerissen werden.« Das erfleht die Kirche in der Präfation von Weihnachten.

4. Die Menschwerdung macht Gott fähig zu leiden, unsere Schulden zu sühnen und uns zu heilen durch seine Erniedrigung

Die allerheiligste Menschheit macht Gott sichtbar; vor allem aber und das ist ein unbegreifliches Wunder der göttlichen Weisheit - sie macht Gott leidensfähig. Die Sünde, die das göttliche Leben in uns zerstört hatte, verlangte Sühne, Genugtuung, ohne welche es für alle Menschen unmöglich war, das übernatürliche, göttliche Leben wieder zu erlangen. Der Mensch aber als bloßes Geschöpf konnte die entsprechende Sühne für seine schwere Schuld nicht leisten, und Gott hin wieder kann weder leiden noch sühnen. Er kann dem Menschen das Leben der Gnade nur dann mitteilen, wenn alle Schuld getilgt ist. Durch einen unabänderlichen Ratschluss der ewigen Weisheit aber wird die Sünde nur getilgt, wenn eine angemessene Sühne geleistet ist.

Wie wird Gott diese Schwierigkeit lösen? Die Menschwerdung gibt darauf die Antwort. Betrachte das Kind von Bethlehem! Es ist das ewige Wort in Fleischesgestalt. Die Menschheit die das Wort Gottes sich zu eigen nahm, ist leidensfähig. Sie wird ihm das Werkzeug zum Leiden, zum Sühnen sein. Diese Leiden, diese Genugtuungen sind Werke der Menschheit Christi und sind ihr ganz zu eigen, und doch gehören sie wieder, wie die allerheiligste Menschheit selbst, dem Wort, als der handelnden Person an und empfangen von dieser göttlichen Person des Wortes einen unermesslich hohen Wert, der hinreicht, die Welt zu erlösen, die Sünde zu vernichten und die Herzen mit Gnade zu erfüllen wie mit den Wassern eines lebenspendenden gewaltigen Stromes. »Des Stromes Wogendrang erfreut die Gottesstadt« (Ps 46, 5).

O wundersamer Tausch! Suchen wir nicht, wie Gott ihn hätte anders bewerkstelligen können, sondern betrachten wir in Demut, wie er ihn tatsächlich verwirklicht hat! Das Wort nimmt unsere Menschennatur an, damit es leiden, sühnen, verdienen und uns mit seinen Verdiensten bereichern könne. Durch das Fleisch hat sich der Mensch vom Schöpfer abgewendet, darum wollte Gott im Fleisch erscheinen, um den Menschen zu retten:

Der heilige Weltenschöpfer

hat den Leib des Knechtes angetan.
Im Fleisch will er das Fleisch befrei'n,

nicht geh zugrunde, was er schuf!
Beatus auctor saeculi, servile corpus induit, ut carne carnem liberans ne perderet quos condidit [Hymnus der Laudes an Weihnachten].

So wird die Hülle des Fleisches, womit sich das Wort bekleidet, für alles Fleisch zum Werkzeug des Heiles. O wunderbarer Austausch! Die Genugtuung Christi wird allerdings erst im Opfertod auf Golgatha ihre Vollendung finden. Aber der hl. Paulus sagt uns, dass Christus gleich im ersten Augenblick seiner Menschwerdung einwilligte, den Willen des Vaters zu vollbringen und sich als Opfer für die gefallene Menschheit hinzugeben. »Bei seinem Eintritt in die Welt sprach er: Opfer und Gaben verlangst du nicht, einen Leib aber hast du mir geschaffen ... Siehe, ich komme, um deinen Willen zu erfüllen« (Hebr 10, 5.7).

Dies ist das Opfer, durch welches Christus das Werk unserer Heiligung beginnt. »Auf Grund dieses Willens sind wir ein für alle Mal geheiligt« (Hebr 10, 10). Schon in der Krippe beginnt das leidvolle Dasein, das den Heiland auf den Kreuzeshügel führte, damit er nach Überwindung des Bösen uns die Gnade des Vaters wieder gewänne. Die Krippe ist zwar nur die erste Stufe auf diesem Leidenswege, doch sind in ihr schon alle späteren Stufen miteingeschlossen.

Daher bezeichnet die Kirche am hochheiligen Weihnachtstage die zeitliche Geburt des Gottessohnes geradezu als die bewirkende Ursache unseres Heiles, wenn sie in der Kollekte betet: »Verleihe uns, allmächtiger Gott, dass deines Eingeborenen neue Geburt im Fleisch uns Menschen befreie, die die alte Knechtschaft unter dem Joch der Sünde gefangen hält!« Darum auch preist sie in dieser heiligen Festzeit immer wieder die uns durch Christus geschenkte Befreiung und Erlösung, das endlich uns erworbene Heil und ewige Leben. Durch seine Menschheit verbindet Christus als Mittler und Hohepriester uns mit Gott. In Bethlehem aber wird uns diese Menschheit kund. So beginnt Christi Sendung alsogleich im Augenblick seiner wunderbaren Geburt. Was ist es in der Tat, das uns das göttliche Leben geraubt hat? Zunächst der Hochmut? Adam und Eva wollten sein wie Gott. Sie wollten gleich ihm das Gute und Böse erkennen; darum haben sie für sich und ihre Nachkommenschaft die Freundschaft Gottes verloren. Christus, der neue Adam, erlöst uns und führt uns zu Gott zurück durch die Demut seiner Menschwerdung. »Obgleich ihm die Gottesgestalt eigen war ... , entäußerte er sich, nahm Knechtsgestalt an, wurde den Menschen gleich und im Äußeren als ein Mensch befunden« (PhiI 2, 6 ff). 0 wunderbar tiefe Demut unseres Gottes! Der Tag wird kommen, wo die Kirche den Triumph des Siegers über Tod und Hölle bis in die höchsten Himmel erheben wird mit jubelndem Preisgesang. Jetzt aber ist Schwäche und Niedrigkeit der Anteil des Gotteskindes. Wenn wir dieses Kindlein betrachten und sehen, wie es sich in nichts von andern Kindern unterscheidet und wenn wir dann bedenken, dass dieses Kind Gott ist, der unendliche Gott, in dem alle Schätze der Weisheit und Wissenschaft verborgen sind, wie ergreift das unsere Seele bis in die tiefsten Tiefen und wie muss angesichts solcher Erniedrigung unser törichter Stolz seine Niederlage bekennen!

Eine weitere Ursache, die uns des göttlichen Lebens beraubte, war der Ungehorsam. Der Gottessohn in der Krippe gibt das Beispiel wunderbaren Gehorsams. Mit der Einfalt des kleinen Kindes überlässt er sich seinen Eltern. Er lässt sich von ihnen liebkosen, heben und legen nach ihrem Gutdünken. Die ganze Kindheit Jesu, sein Knaben- und Jünglingsalter fasst der Evangelist zusammen in das eine Wort »Er war ihnen untertan« (Lk 2, 51).

Endlich ist es die Begierlichkeit, die uns Gott entfremdet vor allem die Augenlust, alles was durch falschen Schein anlockt, was glänzt, besticht und verführt, die »Nichtigkeit des vergänglichen Tandes«, die wir dem ewigen Gotte vorziehen. Das Wort ist Fleisch geworden und es ward geboren in Armut und Verachtung. »Christus, obschon reich, ist um unseretwillen arm geworden« (2 Kor 8, 9). Er ist »der König der Ewigkeit« (1 Tim 1,17), der durch ein Wort die Schöpfung aus dem Nichts gerufen. Er »öffnet seine Hand und erfüllt alles, was da lebt, mit Segen« (Ps 145, 16). Und doch ist er nicht in einem Palast geboren. In einem Stall musste seine Mutter Zuflucht suchen, weil man ihr in den Herbergen Obdach verweigert hatte. Der Sohn Gottes, die ewige Weisheit wollte es so, er wollte in Armut und Blöße geboren und auf Stroh gebettet werden. Wenn wir das Jesuskindlein in der Krippe gläubig und voll Liebe betrachten, werden wir gar vieles lernen. Wir müssen nur das Ohr des Herzens neigen und den Lehren lauschen, die uns das Kind erteilt. Wenn wir die Umstände seiner Geburt betrachten, werden wir sehen, wie die heiligste Menschheit dem Worte als Werkzeug diente, nicht nur um uns zu unterweisen, sondern auch um uns aufzurichten, zu beleben und uns dem Vater wohlgefällig zu machen, uns loszulösen von allem Vergänglichen und von uns selbst und um uns emporzuziehen zu sich in sein ewiges, göttliches Leben. »Gott bekleidet sich mit unserem sterblichen Fleisch und das verlorene Licht wird uns wiedergeschenkt. Indem sich Gott herablässt, das Leben der Menschen zu leben, wird der Mensch zum Leben Gottes erhoben.« »Dum divinitas defectum nostrae carnis suscepit, humanum genus lumen, quod amiserat, recepit. Unde enim Deus humana patitur, inde homo ad divina sublevatur« [S. Greg. horn. I in Evang.].

5. Durch den Glauben sollen wir an diesem Tausch teilnehmen. »Jenen aber, die ihn aufnahmen und an ihn glaubten, gab er die Macht, Kinder Gottes zu werden«

Von welcher Seite wir auch immer diesen Austausch gläubig betrachten, unter welchem Gesichtspunkte wir alle Einzelheiten daran prüfen und erwägen mögen, immer erscheint er »wunderbar«.

Wunderbar fürwahr ist diese Geburt aus der reinsten Jungfrau. »Auf unaussprechliche Weise wird es aus der Jungfrau geboren« (Ant. der Weihnachtsoktav)., singt die Kirche vom Gotteskinde. »Es hat die Mutter den König geboren, dessen Name ewig ist. Mutterfreuden verband sie mit der Ehre der Jungfräulichkeit. Nie ward vor ihr solch ein Wunder geschaut, noch wird die Zukunft es sehen« (Ant. der Laudes von Weihnachten). »Töchter Jerusalems, was bewundert ihr mich? Ein göttliches Geheimnis ist das, was ihr schaut« (Ant. des Festes der Erwartung der Geburt).

Wunderbar ist die unauflösliche, ohne Vermischung bestehende Verbindung zwischen Gottheit und Menschheit in der einen Person des Wortes. Wunderbar ist dieser Austausch durch die Gegensätze, in denen er sich verwirklicht. Gott schenkt uns Anteil an seiner eigenen Natur, aber die Menschheit, die er von uns entlehnt, um uns sein göttliches Leben mitzuteilen, ist leidensfähig, ist eine Menschheit »vertraut mit Siechtum« (Jes 53, 3), die den Tod erleiden, durch ihren Tod aber uns das Leben wiederschenken wird.

Wunderbar ist dieser Austausch auch in seiner Quelle, die keine andere ist als Gottes unendliche Liebe zu uns. »So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen Sohn, den eingeborenen, dahin gegeben hat« (Joh 3, 16). Wir dürfen also mit vollem Recht uns freuen und frohlocken und mit der Kirche singen: »Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt« Wie aber ist er uns geschenkt? In der Ähnlichkeit des sündigen Fleisches! Deshalb ist die Liebe, die ihn uns so schenkt, in unserm leidensfähigen Fleisch schenkt, damit er die Sünde zu sühnen vermöge, eine Liebe ohne Maß und ohnegleichen.

Wunderbar ist endlich dieser Austausch in seiner Wirkung und in seinen Früchten. Gott schenkt uns seine Freundschaft wieder, gibt uns das Anrecht auf das ewige Erbe zurück und lässt nunmehr seinen Blick mit Liebe und Wohlgefallen auf der Menschheit ruhen. Bei der Feier des Weihnachtsgeheimnisses soll uns daher vor allem dankbare Freude erfüllen. Immer wieder fordert die heilige Kirche uns dazu auf, eingedenk der Worte des Engels an die Hirten: »Siehe, ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll. Heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren, Christus, der Herr« (Lk 2, 10 ff). Diese Freude gilt unserer Befreiung, dem wiedererlangten Erbe, dem wiedergefundenen Frieden. Vor allem aber gilt sie unserem Gott, der sichtbar geworden ist unter den Menschen und dessen »Name heißt Emanuel, d. i. Gott mit uns« (Jes 7,14; vgl. Mt 1, 23).

Diese Freude kann aber nur dann eine dauernde sein, wenn wir der Gnade treu entsprechen, die uns der Erlöser bringt und die uns alle zu seinen Brüdern macht. »Erkenne, o Christ, deine Würde«, ruft der hl. Leo in seiner ersten Weihnachtspredigt aus, die in der Christmette gelesen wird. »Da du der göttlichen Natur teilhaftig geworden bist, hüte dich durch schlechten Wandel zur vorigen Sündhaftigkeit zurückzukehren« (Sermo I de Nativitate). »Wenn du doch die Gabe Gottes erkenntest«, sprach der Herr. Ja, wenn wir doch erkennen würden den Sohn, der uns geschenkt ist, wenn wir vor allem ihn empfangen würden, wie er empfangen werden soll, damit uns niemals das Wort gelte: »Er kam in sein Eigentum und die Seinen nahmen ihn nicht auf!« Wir alle sind in Kraft der Schöpfung Gottes Eigentum, jeder einzelne von uns gehört Gott an und doch gibt es solche, die Christus nicht aufnehmen! Wie viele Juden, wie viele Heiden haben ihn verworfen, weil er in der Niedrigkeit des leidensfähigen Fleisches erschienen ist. Seelen, die in der Finsternis von Stolz und Sinnlichkeit versunken sind, können das göttliche Licht nicht schauen. »Das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erkannt« (Joh 1, 1). Wie aber sollen wir den Heiland aufnehmen? Im Glauben. Denen, die an seinen Namen glauben, die da glauben an seine Person, an sein Wort und seine Werke, ihnen ward es gegeben, dieses Kindlein aufzunehmen als ihren Gott und Herrn und sie hingegen empfangen die Gnade der Gotteskindschaft, »die aus Gott geboren sind«.

Das ist in der Tat die grundlegende Gesinnung, die wir hegen müssen, wenn der wunderbare Austausch uns seine volle Frucht bringen soll. Der Glaube allein offenbart uns, worin dieser Austausch besteht und auf welche Weise er verwirklicht wird. Der Glaube allein führt in die Tiefen dieses Geheimnisses ein und gewährt uns eine Kenntnis davon, wie sie der Größe Gottes würdig ist. Es gibt eben sehr verschiedene Arten und Stufen von Erkenntnis. »Der Ochs kennt seinen Eigentümer und der Esel die Krippe seines Herrn«, ruft Jesaja aus, da er dieses Geheimnis schaut. Die Tiere sehen das Kind in der Krippe, sie sehen aber nur so viel, als eben Tiere sehen können: Form, Größe, Farbe, Bewegung, also eine ganz oberflächliche Erkenntnis, die sich auf die äußeren Umrisse beschränkt und in nichts die Grenze der sinnlichen Wahrnehmung überschreitet.

Die Vorübergehenden, die vielleicht aus Neugier den Stall betraten, sahen das Kind, und es erschien ihnen wie jedes andere Menschenkind. Sie blieben bei dieser natürlichen Erkenntnis stehen. Vielleicht fiel ihnen die wunderbare Schönheit des Kindes auf, oder sie hatten Mitleid mit der Armut seiner Eltern. Jedenfalls aber waren solche Regungen nicht von Dauer und wurden gar bald vergessen. Dann kamen die einfältigen Hirten und »die Herrlichkeit Gottes umstrahlte sie« (Lk 2, 9). Ihr Verständnis war gewiss schon größer. Sie erkannten im lieblichen Knäblein den verheißenen Messias, ihn »der gesandt werden sollte, auf den die Völker harren« (Gen 49,10). Sie beteten das Kind an, und ein wunderbarer Frieden blieb in ihrem Herzen zurück.

Aber auch die Engel betrachten den Neugeborenen, das ewige Wort, und sie erkennen in ihm ihren Gott! Sie sind geblendet von solcher Erkenntnis, in tiefstes Staunen versenkt ob solch abgrundtiefer Erniedrigung; denn nicht mit ihrer Natur wollte Gott sich vereinen, sondern mit der menschlichen Natur. »Nicht den Engeln gilt seine Sorge, sondern den Söhnen Abrahams« (Hebr 2, 16).

Und erst Maria, die Gottesmutter! Wer vermöchte zu sagen, wie sie ihren Neugeborenen betrachtete? Wie klar und demütig, mit welch zart liebendem Wohlgefallen drang ihr Blick in die Tiefen dieses hehren Geheimnisses ein! Menschliche Worte vermögen nicht zu schildern, mit welcher Lichtfülle das göttliche Kind seine Mutter umflutete, noch wie vollkommen die anbetende Huldigung war, die Maria ihrem Sohn, ihrem Gott, darbrachte in allen Stufen und Geheimnissen seines Lebens, deren Wesen und Wurzel die Menschwerdung war.

Endlich ruhte der Blick des himmlischen Vaters auf seinem menschgewordenen Sohn! O unaussprechliches Geheimnis! Dieser Blick umfasste die unendliche Vollkommenheit Gottes, in die nie ein Mensch, noch ein Engel, selbst nicht Mariens reine Seele eindringen kann, umfasste die Fülle des unendlichen Seins, verborgen in dem Kindlein, das in der Krippe liegt. Und hingerissen von Entzücken, ruft der Vater aus: »Du bist mein geliebter Sohn, an dir hab' ich all mein Wohlgefallen« (Mk 1, 2; Lk 3, 22)!

Wenn wir das menschgewordene Wort in Bethlehem betrachten, müssen wir uns über die Schranken der Sinne erheben, um nur mit den Augen des Glaubens zu sehen. Der Glaube gewährt uns schon hienieden Anteil an jener Erkenntnis, mit der die drei göttlichen Personen sich selbst erkennen. Das ist nicht Übertreibung, sondern Wirklichkeit. Durch die Heiligmachende Gnade wird der Mensch der göttlichen Natur teilhaftig. Die Tätigkeit dieser göttlichen Natur aber besteht in der Erkenntnis und der Liebe, welche die göttlichen Personen wechselweise verbindet. An dieser Erkenntnis dürfen wir teilnehmen. Gleichwie die Heiligmachende Gnade in ihrer höchsten Entfaltung den Seligen des Himmels das Recht verleiht, Gott zu schauen, wie er ist, so befähigt die Heiligmachende Gnade uns hienieden schon, die Geheimnisse des Heiles sozusagen mit den Augen Gottes zu betrachten. Dieses Vorrecht des Glaubens drückt die Präfation von Weihnachten aus mit den Worten: »Ein neues Licht deiner herrlichen Klarheit ist den Blicken unseres Geistes aufgestrahlt.« 

Wenn unser Glaube stark und lebendig ist, bleibt er nicht an der Oberfläche des Geheimnisses stehen: er dringt in dessen Tiefen ein, um zu schauen, wie Gott schaut. Die allerheiligste Menschheit Christi bahnt uns den Weg zur Gottheit, die sie zugleich verschleiert und enthüllt, so dass wir die göttlichen Geheimnisse im Lichte Gottes sehen.

Eine von solchem Glauben durchdrungene Seele wirft sich, hingerissen, überwältigt von staunendem Entzücken über diese unfassbare Erniedrigung, vor Gott nieder, um sich ihm zu schenken, ja, sich zu verzehren zur Ehre des unendlichen Gottes, der aus Liebe zu seinen Geschöpfen den unfassbaren Glanz seiner Herrlichkeit so tief verhüllt. Sie betet an, gibt sich hin und findet nicht Rast noch Ruhe, bis auch sie alles hingegeben hat, um auch ihrerseits den Austausch vollkommen zu machen, den der Herr mit ihr eingehen will, bis sie ihr ganzes Tun und Lassen dem »Friedenskönig« zu Füßen gelegt hat, der da so wunderbar kommt, sie zu retten, zu heiligen, ja, sie wahrhaft zu vergöttlichen.

Treten wir hin zum Gotteskind mit starkem, innigem Glauben! Beneiden wir nicht jene, die ihren Gott als Kindlein im Stall zu Bethlehem anbeten durften. In der hl. Kommunion kommt wahrhaft und wirklich derselbe Gott zu uns, wenn auch den Sinnen nach noch verborgener als in der Krippe. Im Tabernakel wie in der Krippe ist derselbe allmächtige Gott, derselbe gütige Erlöser. Wenn wir wollen, setzt dieser wunderbare Austausch sich noch immer fort. Auch in der hl. Kommunion ist es die anbetungswürdige Menschheit, durch welche der Herr uns sein göttliches Leben mitteilt: »Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben« (Joh 6, 55).

So knüpft jeder neue Tag das Band der Einheit fester, das durch die Menschwerdung Gott und Mensch verbindet. Christus kehrt in der hl. Kommunion in die Seele ein und vermehrt in ihr das Leben der Gnade, wenn anders er sie treu und hochherzig findet. Er »macht sie, durch die verehrungswürdige Gemeinschaft mit seinem Opfer, der einen höchsten Gottheit teilhaftig, dass sie die Wahrheit nicht nur erkenne, sondern auch kraftvoll durch würdigen Wandel befolge« (Vgl. Stillgebet am fünften Sonntag nach Ostern). Er schenkt ihr das Pfand seliger Unsterblichkeit, die sie durch die Gnade im Keime besitzt und in welcher Gott selbst sich ihr dereinst unverhüllt mitteilen wird in unendlicher Fülle. »Der heute geborene Heiland der Welt, der für uns der Urheber göttlicher Wiedergeburt ist, sei auch der Spender seliger Unsterblichkeit« (Postkom der dritten Weihnachtsmesse).

Das wird dann die herrliche, glorreiche Vollendung des wunderbaren Austausches sein, der in Bethlehem mit der Armut und Demut der Krippe seinen Anfang nahm.

VIII. ERSCHEINUNG DES HERRN

Gott, das ewige Licht, offenbart sich vor allem durch die Menschwerdung

Wann immer eine Seele in nähere Beziehung zu Gott tritt, sieht sie sich von Geheimnissen umgeben. »Wolken und Finsternis breiten sich um ihn« (Ps 97, 2). Das Geheimnisvolle ist die unausbleibliche Folge des unendlichen Abstandes zwischen Schöpfer und Geschöpf. Das endliche Geschöpf ist in jeder Hinsicht überragt von jenem, der in alle Ewigkeit die Fülle des Seins in sich trägt. Darum gehören die Unbegreiflichkeit und Unerkennbarkeit zu den geheimnisvollsten Merkmalen des göttlichen Wesens. Es ist etwas Wunderbares um die Unsichtbarkeit des göttlichen Lichtes hienieden.

»Gott ist Licht; in ihm ist keine Finsternis«, sagt der hl. Johannes und betont nachdrücklich, dass diese Wahrheit ein grundlegendes Merkmal seines Evangeliums bildet. »Das ist die Botschaft, die wir von ihm vernommen haben und euch verkünden« (1 Joh 1, 5).

Dieses Licht aber, das alles Geschaffene mit seiner Klarheit umflutet, verhüllt Gott vor den Augen unserer Seele, anstatt es uns zu offenbaren. Gleichwie wir nicht unverhüllten Auges den Glanz der Sonne ertragen, so kann auch kein Sterblicher Gott schauen, der da wohnt »in unzugänglichem Licht« (1 Tim 6, 16).

Dennoch aber ist dieses Licht das Leben unserer Seele. In der Hl. Schrift sind die Begriffe von Licht und Leben sehr oft miteinander verbunden. Wenn der Psalmist die Herrlichkeit des Himmels schildern will, die in Gott ihren Ursprung hat, dann sagt er: »Am Strom deiner Wonne tränkst du sie; denn bei dir ist die Quelle des Lebens«, und alsogleich fügt er hinzu: »und in deinem Licht schauen wir das Licht« (Ps 36, 9 f). Ähnlich sagt auch der Herr: »Ich bin das Licht der Welt« und fährt gewiss nicht zufällig, sondern absichtlich fort: »Wer mir nachfolgt, wandelt nicht im Finstern, sondern hat das Licht des Lebens« (Joh 6, 12). Dieses Licht des Lebens aber entströmt dem wahren, wesenhaften Leben, das selbst Licht ist. »In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen« (Joh 1, 4). Unser Leben im Himmel wird darin bestehen, ohne Hülle und Schleier das ewige Licht zu schauen und seines Glanzes uns ewig zu erfreuen.

Schon hienieden gewährt Gott uns Anteil an seinem Licht, indem er unsere Seele mit Vernunft begabt. »Wie ein Panier strahlt über uns die Leuchte deines Angesichtes, o Herr« (Ps 4, 7). Die Vernunft ist wahrhaft ein Licht für den Menschen. Die gesamte natürliche Tätigkeit des Menschen muss, um menschenwürdig zu sein, von diesem Lichte, das ihm den Weg zum Guten zeigt, geleitet sein. Ist ja dieses Licht so stark, dass es dem Menschen sogar das Dasein Gottes und manche seiner Vollkommenheiten offenbaren kann. Der hl. Paulus erklärt in seinem Briefe an die Römer, dass die Heiden unentschuldbar seien, weil sie in der sichtbaren Welt Gott nicht fanden, dessen Hände Werk sie ist. Die Werke Gottes tragen gleichsam seine Fußspur, einen Widerschein seiner Vollkommenheiten in sich und enthüllen uns somit bis zu einem gewissen Grade das ungeschaffene Licht.

Gott hat uns aber eine noch viel tiefere und barmherzigere Offenbarung seiner selbst gegeben. Das ist das Geheimnis der Menschwerdung. Das göttliche Licht, das in seiner unendlichen Helle schwache Augen blendet, hat sich unter Menschengestalt verborgen. »Diese ist sein Schleier«, sagt der hl. Paulus (vgl. Hebr 10, 20). »Der Abglanz des ewigen Lichtes« (Weish 7, 26). »Licht vom Licht.« Das Wort ist Fleisch geworden, damit »dem Auge unseres Geistes ein neues Licht deiner Schönheit erstrahle« (Präfation zu Weihnachten). Christus ist Gott, der sich zu uns herablässt und ein wahrhaft menschliches Dasein führt, so dass der Schleier dieser Menschengestalt das unendlich strahlende Licht seiner Gottheit verhüllt, damit wir nicht geblendet würden von ihrem Glanz.

Wer immer jedoch guten Willens ist, dem leuchtet es aus dieser Menschengestalt, gleichsam wie Sonnenstrahlen, die die Gottheit offenbaren. Die gläubige Seele erkennt das Licht, das unter dem Vorhang dieses Allerheiligsten seinen Glanz verbirgt. In diesem sterblichen Menschen, der da genannt wird Jesus, erkennt der Glaube Gott selbst, und da er Gott findet, labt er sich an der Quelle des Lichtes, des Heiles und des unvergänglichen Lebens. »Da dein Eingeborener in unserer sterblichen Hülle erschien, hat er uns mit dem Licht seiner Unsterblichkeit belebt (Präfation am Feste der Erscheinung). Diese Offenbarung Gottes an die Menschheit ist ein solch unerhörtes Geheimnis, ein Werk so großer Erbarmung und bildet ein so wesentliches Merkmal der Menschwerdung, dass die Kirche in den ersten Jahrhunderten des Christentums kein eigenes Fest zur Feier der Geburt unseres Erlösers in Bethlehem eingesetzt hatte. Sie feierte die »Theophanie« oder die »Erscheinungen Gottes« in der Person des menschgewordenen Wortes: die Offenbarung an die Weisen, die zweite bei der Taufe am Jordan und jene bei der Hochzeit zu Kana, wo Christus sein erstes Wunder wirkte. Als dieses dreifache Fest dann von der orientalischen auch in die römische Kirche aufgenommen ward, hat es seinen griechischen Namen »Ephiphanie«, d. h. Offenbarung, Erscheinung des Herrn beibehalten. Gegenstand des Festes aber ist fast ausschließlich die Offenbarung des Herrn vor den Heiden, deren Vertreter die Weisen waren.

Der evangelische Bericht über die Ankunft der Weisen aus dem Morgenland in Bethlehem ist einer der volkstümlichsten und bekanntesten, den auch die Überlieferung farbenprächtig ausgeschmückt hat.Die meisten Erklärer verlegen die Ankunft der Weisen nach der Darstellung Jesu im Tempel. Wir wollen hier jedoch der kirchlichen Liturgie folgen, die das Fest der Erscheinung des Herrn am 6. Januar und die Darstellung im Tempel am 2. Februar feiert. So wollen wir hier nur einiges sagen über die allgemeine Bedeutung dieses Geheimnisses und im weiteren auf einige Punkte hinweisen, die geeignet sind, uns mannigfache Belehrung für den Fortschritt im geistlichen Leben zu bieten.

1. Die Offenbarung an die Weisen bedeutet die Berufung der Heidenvölker zum Licht des Evangeliums

Die Kirchenväter sehen in der Hinführung der drei Weisen zur Krippe des Jesuskindes die Berufung der Heidenwelt zum Licht des Glaubens. Das ist der Kern des Geheimnisses, auf den die hl. Kirche im Festgebete hinweist, in welchem sie die Bitten ihrer Kinder zusammenfasst: »O Gott, der du am heutigen Tage deinen Eingeborenen den Heiden durch einen Stern verkündet hast.« 

Das Wort Gottes hat sich zuerst dem jüdischen Volke geoffenbart in der Person der Hirten. Die Juden waren das auserwählte Volk. Aus diesem Volk sollte der Messias, der Sohn Davids, hervorgehen. Israel hatte die großen Verheißungen, die sich im messianischen Reich erfüllen sollten. Ihm hatte Gott die Hl. Schrift anvertraut und das Gesetz gegeben, das in all seinen Teilen ein Bild der Gnade war, die Christus uns bringen sollte. Es war daher geziemend, dass das menschgewordene Wort zuerst den Kindern Israels sich offenbare.

Die Hirten in ihrer schlichten Einfachheit haben an der Krippe das auserwählte Volk vertreten. »Ich verkünde euch eine große Freude; denn heute ist euch der Heiland geboren« (Lk 2, 10 ff).

Später, in seinem öffentlichen Leben, wird sich der Herr den Juden auch durch die Weisheit seiner Lehre und den Glanz der Wunder offenbaren. Wir werden sogar sehen, dass der Heiland sich darauf beschränkte, nur den Juden zu predigen. Als die kananäische Frau aus der Gegend von Tyrus und Sidon bei ihm Hilfe sucht, antwortet er den Aposteln, die Fürbitte für sie einlegen »Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt« (Mt 15, 24). Es bedurfte des starken Glaubens dieser armen Heidin und ihrer tiefen Demut, um dem Heiland das erbetene Gnadenwunder gewissermaßen abzuringen. Als der Herr während seiner öffentlichen Tätigkeit die Apostel aussandte, um, wie er selbst, die Botschaft vom Reich Gottes zu verkünden, gebot er ihnen ebenfalls »Geht nicht zu den Heiden; kehret nicht ein in den Städten der Samariter, sondern suchet die verlorenen Schafe des Hauses Israel« (Mt 10, 5 ff). Welches war der Grund dieses eigentümlichen Gebotes? Sollten etwa die Heiden ausgeschlossen sein von der Erlösung und dem durch Christus gebrachten Heil? Gewiss nicht. Aber dem Heilsplan Gottes entsprechend, sollte die Predigt an die Heiden den Aposteln erst übertragen werden, nachdem die Juden durch Kreuzigung des Messias den Sohn Gottes endgültig verworfen haben würden. Als der Herr am Kreuz starb, zerriss der Vorhang des Tempels zum Zeichen, dass der Alte Bund, der mit dem Judenvolk allein geschlossen war, nun aufgehört habe.

Viele der Juden haben ja auch den Herrn nicht aufnehmen wollen. Der Ehrgeiz der einen wie der ganz irdische Sinn der andern hat ihre Seelen verblendet, so dass sie ihn nicht erkennen wollten als den Messias, als Gottessohn. Von ihnen spricht der hl. Johannes, wenn er sagt: »Das Licht leuchtete in der Finsternis, aber die Finsternis hat es nicht erkannt; er kam in sein Eigentum, und die Seinigen nahmen ihn nicht auf« (Joh 1, 5 ff). Zu diesen ungläubigen Juden sprach auch der Heiland: »Das Reich Gottes wird von euch genommen und einem Volk gegeben werden, das rechte Früchte hervorbringt« (Mt 21, 43).

Die Heidenvölker sind berufen, das Erbteil zu sein, das der ewige Vater seinem Eingeborenen verheißen hat. »Begehre von mir, so will ich dir die Völker zu deinem Erbe geben« (Ps 2, 8). Der göttliche Heiland nennt sich selbst »den guten Hirten, der sein Leben für seine Schafe gibt«, und er fügt hinzu: »Ich habe auch noch andere Schafe, die nicht aus diesem Schafstall sind; ich muss auch sie herbeiführen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird ein Hirt und eine Herde werden« (Joh 10, 11 ff).

Darum auch sendet der Herr vor seiner Himmelfahrt seine Apostel nicht mehr allein zu den verlorenen Schafen Israels, sondern zu allen Völkern, um an ihnen sein Heilswerk fortzusetzen. »Gehet hin«, befiehlt er ihnen, »und lehret alle Völker, und siehe, ich hin bei euch bis ans Ende der Welt« (Mt 28, 29 ff.; Mk 16, 19).

Das menschgewordene Wort hat jedoch nicht bis nach der Himmelfahrt gewartet, um das Licht der frohen Botschaft auch auf die Heidenwelt auszugießen. Kaum war es im Fleisch geboren, als es sie in der Person der Weisen an seine Krippe rief. Die ewige Weisheit wollte dadurch zeigen, dass dieses Kind den Frieden gebracht hat für all jene, »die guten Willens sind«, nicht nur jenen, die ihm nahe waren, den gläubigen Juden, versinnbildet durch die armen Hirten, sondern auch jenen, die noch ferne von ihm waren, den Heiden, als deren Erstlinge die Weisen vor ihm erschienen. So hat der Welterlöser »beide Teile vereint«, wie Paulus sagt, weil er als Gottmensch der alleinige und vollkommene Mittler ist und weil wir »durch ihn alle ohne Ausnahme in einem Geist Zutritt haben zum Vater«.

Die Berufung der Weisen und ihre Heiligung bedeutet also die Berufung der Heidenwelt zum wahren Glauben und zum ewigen Heil. Den Hirten sendet Gott einen Engel; denn das auserwählte Volk war an die Erscheinung himmlischer Geister gewöhnt. Den Weisen aber, die in der Wunderwelt der Gestirne forschten, lässt er einen außergewöhnlichen Stern erscheinen. Dieser Stern ist das Sinnbild inneren Lichtes, durch welches Gott die Seele erleuchtet, um sie an sich zu ziehen.

Einmal wenigstens im Leben erscheint jedem Menschen, der zum Gebrauch der Vernunft gelangt ist, ein Stern der Gnade, die ihn zum ewigen Heil beruft. Allen Menschen wird dieses Licht zuteil. Es ist heiliges Dogma unseres Glaubens, dass Gott alle Menschen zum Heil beruft. »Gott will, dass alle Menschen selig werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen« (1 Tim 2, 4).

Am Tage des Gerichtes werden alle ohne Ausnahme, die Guten wie die Bösen, als Zeugen aufstehen für die unendliche Gerechtigkeit Gottes. »Gerecht bist du, o Herr, und gerecht sind deine Gerichte« (Ps 119, 137). Auch jene, die Gott auf ewig von seinem Angesicht verstoßen muss, werden gestehen, dass sie selbst schuld sind an ihrem Untergang.

Das wäre aber nicht der Fall, wenn nicht auch die Verdammten die Möglichkeit gehabt hätten, das göttliche Licht des Glaubens einmal zu erkennen und anzunehmen. Es stünde im Widerspruch nicht nur mit der unendlichen Güte Gottes, sondern auch mit seiner Gerechtigkeit, wollte er eine Seele verdammen, die ohne Schuld im Irrtum war.

Gewiss leuchtet nicht für alle auf gleiche Weise dieser Stern; sein Glanz ist verschieden, aber doch immer so hell, dass alle, die guten Willens sind, ihn sehen und als ein Zeichen göttlicher Berufung erkennen können. Gottes allweiser Vorsehung stehen unendlich mannigfaltige Mittel und Wege zu Gebote, die uns unerforschlich sind und die er frei und ungehindert wählt, gemäß den nie versagenden Eingebungen seiner Liebe und den Anforderungen seiner Gerechtigkeit. Uns aber geziemt es, mit dem hl. Paulus die unergründlichen Wege Gottes anzubeten und demütig zu bekennen, dass sie alle geschaffene Erkenntnis in Dunkel hüllen. »O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und Erkenntnis Gottes! Wie unerforschlich sind seine Ratschlüsse und wie unergründlich seine Wege! Wer aber hat die Gedanken Gottes erkannt und ist sein Ratgeber gewesen?« (Röm 11, 33)

Uns ward das Glück zuteil, dass wir »den Stern sehen« und das Kind in der Krippe als unsern Gott erkennen durften. Wir gehören der Kirche an, deren Erstlinge die Weisen aus dem Morgenland waren.

Die Berufung der ganzen Menschheit zum Glauben und zum Heil in der Person der Weisen wird im Offizium vom Feste der Erscheinung bezeichnet als die Hochzeit der Kirche mit ihrem Bräutigam. Im heiligen Jubel der wunderbar farbenprächtigen Sprache des Propheten Jesaja schildert die Epistel der Festmesse den Glanz des neuen, geistlichen Jerusalems, das im mütterlichen Schoße alle Völker aufnimmt, die als Erbe ihrem göttlichen Bräutigam zugefallen sind. »Stehe auf und werde Licht; denn es kommt deine Leuchte, und die Herrlichkeit des Herrn geht über dir auf. Denn siehe, Finsternis bedecket die Erde und Dunkel die Völker; über dir aber geht der Herr auf, und seine Herrlichkeit erscheint in dir. Es wandeln die Völker in deinem Licht und die Könige im Glanz, der dir aufging. Erhebe ringsum deine Augen und schaue! Sie alle versammeln sich und kommen zu dir. Deine Söhne kommen von ferne, und deine Töchter erheben sich dir zur Seite; dann wirst du schauen und überströmen. Dein Herz wird sich wundern und weit werden; wenn sich die Menge des Meeres dir zugewandt hat und die Macht der Heiden zu dir gekommen ist« (Jes 60, 1 ff).

So lasst uns denn Gott danken ohne Unterlass, weil er uns »Anteil gegeben hat am Erbe seiner Heiligen im Licht und uns der Gewalt der Finsternis entrissen und in das Reich seines geliebten Sohnes, d. h. in die Kirche, versetzt hat« (Kol 1,13)!

Die Berufung zum wahren Glauben ist eine unschätzbare große Gnade, birgt sie ja im Keime die Auserwählung zur ewig heiligmachenden Gottesanschauung in sich. Wir sollten es nie vergessen, dass diese Berufung das Morgenrot aller Erbarmungen Gottes uns gegenüber gewesen ist und dass für uns alles abhängt von der Treue, mit der wir dieser Berufung entsprechen. Der Glaube soll uns zur beseligenden Anschauung Gottes führen.

Aber nicht bloß danken sollen wir für die Gnade der Berufung zum wahren Glauben, wir müssen auch trachten, dieser Gnade immer mehr und mehr würdig zu werden und das kostbare Gut unseres Glaubens gegen alle Gefahren zu schützen, die ihm aus unserm modernen Zeitgeist des Materialismus, der Zweifelsucht und Menschenfurcht erwachsen, indem wir treu und beharrlich aus dem Glauben und nach dem Glauben leben.

Überdies sollen wir aber auch Gott inständig bitten, er möge dieses unschätzbare Gut des Glaubens all jenen Seelen schenken, die »in Finsternis und Todesschatten sitzen«, auf dass auch ihnen der Stern aufgehe, ja, dass der Herr selbst ihre Sonne sei, der Aufgang aus der Höhe, der sie in Barmherzigkeit erleuchte« (vgl. Lk 1, 7 ff).

Ein solches Gebet ist unserm göttlichen Heiland überaus wohlgefällig, erfleht es ja doch, dass er von allen Menschen geehrt und geliebt werde als der Erlöser der Menschheit und der König aller Könige.

Es ist aber auch dem Vater gleicherweise wohlgefällig; denn auch er wünscht ja nichts so sehr als die Verherrlichung seines Sohnes. Darum sollten wir gerade in dieser hochheiligen Festzeit jenes Gebet recht oft wiederholen, das der göttliche Heiland selbst uns gelehrt hat: »Himmlischer Vater«, Vater der Lichter, »dein Reich komme«, jenes Reich, in dem dein Sohn herrscht als König. Immer mehr möge dieser dein Sohn erkannt, geliebt, verehrt und verherrlicht werden, damit er hinwiederum dich den Menschen immer mehr und mehr offenbare und dir allen Preis und alle Ehre gebe in der Einheit des Hl. Geistes. »Vater, verherrliche deinen Sohn, damit dein Sohn dich verherrliche« (Joh 17, 1).

2. Der bereitwillige, hochherzige Glaube der Weisen ist Vorbild unseres Glaubens

Wenn wir uns nun etwas eingehender in den Bericht der heiligen Evangelien vertiefen, werden wir finden, welch reichen Lehrgehalt das Geheimnis der Erscheinung des Herrn in sich birgt.

Die Weisen an der Krippe sind, wie schon gesagt, ein Sinnbild der Berufung der Heiden zum Licht des Evangeliums. Ihr Verhalten zeigt uns, wie unser Glaube beschaffen sein soll.

Da bewundern wir zunächst die hochherzige Treue ihres GIaubens. Ein Stern erscheint ihnen. Wo immer ihre Heimat gelegen war, sei es in Persien, Chaldäa, Arabien oder Indien, sie gehörten der allgemeinen Überlieferung nach dem priesterlichen Stande an und beschäftigten sich mit der Beobachtung und Deutung der Gestirne. Sehr wahrscheinlich hatten sie auch Kenntnis von der dem jüdischen Volk gewordenen Verheißung eines Königs, der zum Erlöser und Herrscher über die ganze Menschheit werden sollte. Der Prophet Daniel, der die Zeit der Ankunft dieses Erlösers genau vorhergesagt hatte, war mit chaldäischen Weisen in Beziehung gestanden. Vielleicht kannten die heiligen drei Könige sogar die Weissagung Balaams vom »Stern, der aufgehen werde über Jakob« (Num 24,17). Und nun erschauten sie plötzlich einen wunderbaren Stern. Während sein außergewöhnlicher Glanz ihre Aufmerksamkeit fesselt, wirkt die Gnade Gottes in ihrer Seele und gibt ihnen ahnungsvolles Erkennen, dass der, dessen Geburt durch diesen wunderbaren Stern angedeutet wird, jener sein könne, auf den die Völker harrten. Und diese Gnade treibt sie an, jenen Unbekannten zu suchen, um ihm ihre Huldigung darzubringen.

Wir müssen die Weisen ob ihrer Bereitwilligkeit, der Gnade zu folgen, bewundern. Sie geben keinem Zweifel Raum. Ohne Zaudern machen sie sich auf, ohne sich beirren zu lassen durch die Gleichgültigkeit oder das Misstrauen ihrer Umgebung, noch auch durch das Verschwinden des Sternes und die mannigfaltigen Schwierigkeiten eines solchen Unternehmens und die Gefahren einer so weiten Reise. Bereitwillig und ohne Zögern gehorchen sie dem Rufe Gottes. »Wir haben seinen Stern im Morgenland gesehen und sind nun gekommen« (Mt 2, 2). Wir sind aufgebrochen, sobald wir ihn erblickt.

Das Beispiel der Weisen zeigt uns, wie wir dem Gnadenruf des Herrn folgen sollen, ob es sich nun um die Berufung zum Glauben oder zu einem Leben höherer Vollkommenheit handelt. Jede gläubige Seele ist zur Heiligkeit berufen. »Seid heilig, weil ich heilig bin« (Lev 11, 44). Der Völkerapostel spricht von einem Liebeswillen Gottes, der von Ewigkeit her diese Berufung in sich schließt. »Er hat uns schon seit Grundlegung der Welt auserwählt, dass wir heilig und unbefleckt vor ihm seien« (Eph 1,4). Und »denen, die er zur Heiligkeit beruft, lässt Gott alles zum Besten gereichen« (Röm 8, 28).

Mit dieser Berufung Gottes geht also für jeden von uns der Stern auf. Ja, nach den Plänen Gottes für jeden von uns, den verschiedenen Charakteren und Lebensumständen, den Anlagen und Verhältnissen jedes einzelnen entsprechend, nimmt dieser Stern verschiedene Gestalt an. Einmal aber geht er auf für jede Seele.

Und was will dieses göttliche Licht? Es will uns wie einst die Weisen zu Jesus führen. Der ewige Vater lässt den Stern erstrahlen über uns, so sagt der Heiland selbst: »Niemand kann zu mir kommen, wenn ihn der Vater, der mich gesandt hat, nicht zieht« (Joh 6, 44).

Wenn wir diesen Ruf Gottes gläubig aufnehmen, wenn wir mutig voranschreiten, das Auge auf diesen Stern geheftet, dann gelangen wir zu Christus, dem Leben unserer Seele. Trotz unserer Sünden und Fehler und nichtachtend unseres Elendes und unserer Armseligkeit, wird Jesus uns aufnehmen mit göttlicher Güte. Hat er ja selbst gesagt: »Alles, was mir der Vater gibt, kommt zu mir, und wer zu mir kommt, den weise ich nicht zurück« (Joh 6, 37).

So führt der Vater Magdalena, die Sünderin, zu den Füssen Jesu. Ungesäumt folgt sie dem göttlichen Licht, das in der Nacht ihrer Seele zu leuchten begann, dringt in den Festsaal ein, bekennt offen vor aller Augen ihren Glauben an Christus, ihre demütige Reue, ihre heiße Liebe. Magdalena ist dem Stern gefolgt, und er hat sie zum Heiland geführt. »Deine Sünden sind dir vergeben ... Dein Glaube hat dir geholfen, gehe hin im Frieden« (Lk 7, 48 ff). Wahrlich, »wer zu mir kommt, den weise ich nicht zurück«.

Das Leben der Heiligen und die Erfahrung lehren, dass es im übernatürlichen Leben entscheidende Stunden geben kann, von denen der ganze Wert unseres inneren Lebens, mitunter sogar unser ewiges Heil abhängen kann.

Man denke an Saulus auf dem Wege nach Damaskus. Er ist ein erbitterter Feind und Verfolger der Christen. »Er brannte voll Wut und Mordgier gegen die Jünger des Herrn.« Da vernimmt er plötzlich die Stimme Jesu. Sie ist für ihn der Stern, der Ruf der Gnade. Saulus hört den Ruf. Er folgt dem Stern. »Herr, was willst du, dass ich tun soll?« Welch hochherzige Bereitwilligkeit zu allem, was der Herr verlangen mag! Das war der Augenblick der Gnade, der ihn zum »Gefäß der Auserwählung« machte. Fortan lebt er nur mehr für Christus (Apg 3, 1 ff).

Schauen wir dahingegen auf das Beispiel des reichen Jünglings. Voll guten Willens, aufrichtig und treuherzig kommt er zum Heiland und fragt, was er tun solle, um das ewige Leben zu erlangen. »Halte die Gebote!« erwidert ihm der Heiland. »Meister, ich habe sie gehalten von meiner Jugend an. Was soll ich ferner tun?« Da sah ihn Jesus an und liebte ihn. Dieser Liebesblick des Herrn war das Aufleuchten des Gnadensternes, der alsogleich in voller Klarheit erstrahlt. »Eines fehlt dir noch. Geh hin, verkaufe alles, was du hast, gib den Erlös den Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel haben. Dann komm und folge mir nach.« Aber der Jüngling folgte diesem Stern nicht. »Er ward traurig über diese Worte und ging betrübt von dannen, denn er besaß viele Güter.« Manche Ausleger schließen aus den nachfolgenden Worten des Herrn: »Wie schwer ist es für den Reichen, in das Reich Gottes einzugehen« (Mk 10, 17 ff.; Mt 19, 16 ff.; Lk 18, 18 ff), dass dieser Jüngling verloren gegangen sei.

Mag es sich also um den Ruf zum Glauben oder um den Ruf zur Vollkommenheit handeln, eines steht fest, wir werden Christus und das ewige Leben, dessen Quelle er ist, nur dann finden, wenn wir den Anregungen der Gnade folgen und mit gewissenhafter Treue nach der Vereinigung mit Gott streben.

Der himmlische Vater zieht uns zu seinem Sohn durch die Einsprechungen der Gnade. Er verlangt aber von uns wie von den Weisen, dass, sobald der Stern im Herzen aufleuchtet, wir alles verlassen: die Sünde und die Gelegenheiten zur Sünde, die schlechten Gewohnheiten, alle Untreue, Unvollkommenheit und Anhänglichkeit an die Geschöpfe Er verlangt, dass wir uns nicht aufhalten lassen durch das Urteil und den Tadel anderer, durch allerlei menschliche Rücksichten, durch die Schwierigkeiten, die uns bei Ausführung unseres Vorhabens im Wege stehen, sondern dass wir ungesäumt alles daransetzen, um Jesus zu suchen, sei es nun, dass wir durch die schwere Sünde ihn verloren haben oder dass, wenn wir durch die Heiligmachende Gnade ihn schon besitzen wir uns noch inniger und tiefer mit ihm vereinigen sollen, »Wir haben seinen Stern gesehen.« Herr, auch ich habe deinen Stern gesehen und ich komme zu dir. Was willst du, dass ich tun soll?

3. Wie sich die Weisen verhielten, als der Stern verschwand

Manchmal entschwindet der Stern unseren Blicken. Vielleicht war der Ruf der Gnade ein außergewöhnlicher, wie jener an die Weisen, oder er schloss sich, wie das zumeist der Fall ist, an den gewöhnlichen täglichen Verlauf der übernatürlichen Heilsordnung an. Immerhin wird dieses Licht manchmal unsichtbar sein, es wird sich verbergen, so dass die Seele sich in geistiger Finsternis befindet. Wie soll sie sich dann verhalten?

Auch hier muss das Beispiel der Weisen maßgebend sein. Der Stern war ihnen im Morgenland erschienen. Hernach war er verschwunden. »Wir haben seinen Stern im Morgenland gesehen.« Er hatte ihnen also wohl die Geburt des Königs der Juden angezeigt, nicht aber den Ort, wo sie ihn finden sollten. Was war da zu tun? Die Weisen haben sich nach Jerusalem gewandt, zu der Hauptstadt des Judenvolkes, dem Mittelpunkt der jüdischen Religion. Wo hätten sie besser und sicherer Auskunft suchen sollen als in der heiligen Stadt?

So auch wir. Wenn unser Stern verblasst, wenn die Einsprechungen der Gnade uns im unklaren lassen über die Richtung, die wir einzuschlagen haben, dann will Gott, dass wir uns an die Kirche wenden, d. h. an jene, die seine Stellvertreter sind. Sie sollen uns den Weg weisen, der zum Ziele führt. So liegt es im Heilsplan der göttlichen Vorsehung. Gott will, dass wir uns in allen Zweifeln und Schwierigkeiten des geistlichen Lebens Licht und Leitung bei jenen holen, die er als seine Stellvertreter eingesetzt hat. »Wer euch hört, der hört mich« (Lk 10, 16). Das musste auch Saulus auf dem Weg nach Damaskus tun. Auf den Ruf Jesu antwortet er alsogleich: »Herr, was willst du, dass ich tun soll?« Wie lautet die Antwort? Sagt Christus selbst ihm, was er von ihm will? Das hätte er umso eher tun können, da er sich als der höchste Herr offenbart, und dennoch tut er es nicht. Er schickt ihn zu seinem Stellvertreter. »Geh in die Stadt, dort wird es dir gesagt werden - ein anderer Mensch wird dir sagen, was du tun musst« (Apg 9, 6).

Wenn wir das Streben und die Zweifel unserer Seele jenen offenbaren, die das Amt und die Gnade haben, uns in unserem Gottsuchen zu leiten und auf den rechten Weg zu ihm hinzuführen, laufen wir nicht Gefahr, uns zu verirren, wie immer es auch um den persönlichen Wert unserer Führer bestellt sein mag. Zu jener Zeit, da die Weisen nach Jerusalem kamen, waren unter den amtlichen Lehrern und Auslegern der hl. Schriften viele unwürdige Elemente. Gleichwohl sollten nach Gottes heiligem Plan die Weisen von jenen unwürdigen Lehrern amtlich erfahren, wo Christus, der König, geboren war. Gott kann es niemals geschehen lassen, dass eine Seele getäuscht wird, die sich mit demütigem Vertrauen an die rechtmäßigen Vertreter seiner höchsten Autorität wendet.

Eine solche Seele wird im Gegenteil Licht und Frieden finden. Gleich den Weisen wird sie »den Stern wieder sehen« strahlender als zuvor, und wie jene wird auch sie freudig ihren Weg fortsetzen. »Als sie den Stern erblickten, empfanden sie eine große Freude« (Mt 2, 20).

4. Ihr tiefer Glaube in Bethlehem; ihre sinnbildlichen Gaben an das göttliche Kind; wie wir die Weisen nachahmen sollen

Wir folgen nun den Weisen nach Bethlehem. Hier wird ihr Glaube in seiner ganzen Größe offenbar.

Der wunderbare Stern führt sie endlich an den Ort, wo sie den finden sollen, den sie gesucht haben. Aber was finden sie dort? Etwa einen königlichen Palast, eine prunkvolle Wiege, ein glänzendes Gefolge von Dienern? Nichts von alledem. Sie finden nur eine schlichte Arbeiterfamilie. Sie, die einen König, einen Gott suchen, finden ein armes Kind auf dem Schoß seiner Mutter. Nicht umflutet von göttlichen Strahlen wie später auf dem Tabor vor den Augen der Apostel, nein, ein unscheinbares, kleines Kind, arm und schwach. Und doch geht von diesem scheinbar so schwachen Wesen eine unsichtbare Gotteskraft aus. »Kraft ging aus von ihm.« Derjenige, der die Weisen durch seinen Stern herbeigerufen hatte, erleuchtete sie jetzt auch mit seinem Gnadenlicht; er erfüllte innerlich ihren Geist mit Licht und ihr Herz mit Liebe, so dass sie in diesem Kind ihren Gott erkannten.

Das Evangelium sagt uns nicht, mit welchen Worten die Weisen das Kindlein grüßten, wohl aber, auf welche Weise sie ihren vollkommenen Glauben bezeugten. »Sie fielen nieder und beteten es an« (Mt 2, 11 ff).

Die Kirche wünscht, dass wir uns mit dieser heiligen Anbetung der Weisen vereinigen. Darum verlangt sie, dass alle Gläubigen das Knie beugen, wenn beim Evangelium die Wort gelesen werden: »Sie fielen nieder und beteten es an«, um dadurch zu bekennen, dass auch wir an die Gottheit des Kindes von Bethlehem glauben.

Ja, beten wir dieses Gotteskind an in tiefstem, ehrfürchtigem Glauben! Gott will, dass, solange wir hier auf Erden wandeln, alles Streben unseres geistlichen Lebens darauf hinziele, uns im Glauben mit ihm zu vereinigen. Der Glaube ist das Licht, das uns in dem Kinde der Jungfrau Gott erkennen, das uns in den Worten des menschgewordenen Erlösers Gottes Stimme hören, aus seinem Tun ein göttliches Vorbild erschauen lässt. Der Glaube ist es auch, der uns drängt, die unendlichen Verdienste eines Gottes uns anzueignen, die er unter der Hülle des gleich uns leidenden und büßenden Menschen erworben hat.

Eine von lebendigem Glauben erleuchtete Seele erkennt jederzeit Gott unter dem Schleier der demütigen und leidenden Menschheit. Überall, wo immer sie dieser heiligsten Menschheit begegnet, sei es nun in der Niedrigkeit von Bethlehem, auf den Straßen Judäas, auf den Höhen des Kalvarienberges oder in den eucharistischen Gestalten, wirft die gläubige Seele sich vor ihr nieder, weil sie die Menschheit eines Gottes erkennt. Sie wirft sich ihr zu Füssen, um sie zu hören und im gläubigen Gehorsam ihr zu folgen, bis es Gott gefällt, ihr seine unendliche Schönheit sichtbar werden zu lassen im beseligenden Licht der ewigen Anschauung (Kirchengebet an Epiphanie).

Die ehrfurchtsvolle Anbetung der Weisen verkündet mehr als Worte ihren tiefen Glauben. Auch ihre Gaben sind voll geheimnisvoller Bedeutung. Die Kirchenväter haben den symbolischen Sinn dieser geopferten Gaben eingehend erklärt. Auch wir wollen zum Schluss dieser Betrachtung versuchen, ein wenig in die mystische Bedeutung dieser Opfergaben einzudringen zur Freude unserer Seelen und zur Vertiefung unserer Andacht.

Das Evangelium sagt uns, dass die Weisen »Geschenke darbrachten, Gold, Weihrauch und Myrrhen« (Mt 2, 11). Augenscheinlich wollten die Weisen durch diese Gaben den Gefühlen ihres Herzens Ausdruck verleihen und dem Kindlein huldigen, welchem sie diese Gaben darbrachten.

Wenn wir erwägen, welcher Art diese Geschenke sind, die sie schon vor ihrer Abreise vorbereitet hatten, erkennen wir, dass das göttliche Gnadenlicht den Weisen in etwa die überragende Würde dessen offenbart hatte, den sie zu sehen und anzubeten verlangten. Durch diese Gaden wird gleicherweise die Art der Pflichten gekennzeichnet, welche die Weisen dem neugeborenen König der Juden gegenüber erfüllen wollten. Die sinnbildliche Bedeutung der Gaben bezieht sich also sowohl auf den Empfänger wie auch auf diejenigen, welche dieselben darbringen.

Gold, das edelste aller Metalle, ist das Sinnbild königlicher Macht, deutet aber zugleich auch auf die Liebe und Treue hin, die ein jeder seinem Fürsten schuldet.

Im Weihrauch erkennt man allgemein das Symbol göttlicher Verehrung, er wird nur Gott allein dargebracht. Mit diesem Geschenk deuten also die Weisen an, dass sie die Gottheit dessen verkünden wollen, der ihnen seine Geburt durch einen Stern kundgetan, und dass sie zugleich ihm die Anbetung darbringen, die nur Gott allein gebührt.

Endlich waren die Weisen auch innerlich angeregt worden, dem Kindlein Myrrhe zu opfern. Was sollte diese Myrrhe bedeuten, die man dazu verwendete, Wunden zu verbinden und Tote zu salben? Diese Gabe sollte besagen, dass Christus als Mensch leiden könne und einmal sterben werde. Die Myrrhe versinnbildet auch jene Buße und Opfergesinnung, die das Kennzeichen aller Jünger des Gekreuzigten sein soll.

So hatte die Gnade den Weisen eingegeben, demjenigen, den sie suchten, Geschenke darzubringen. Das gilt auch für uns. »Auch wir, die den evangelischen Bericht von den Weisen hören und lesen«, sagt der hl. Ambrosius (St. Ambrosii, In Luc. 2, 44), »auch wir sollen aus unsern Schätzen schöpfen und ähnliche Gaben darbringen.« Jedes MaL wenn wir uns dem Heiland nahen, sollen wir, wie die Weisen, ihm Geschenke bringen, oder auserwählte Geschenke, wie sie dessen würdig sind, dem sie dargebracht werden.

Das ist allerdings wohl wahr: Wir haben weder Gold noch Weihrauch noch Myrrhen Aber wir haben Besseres, wir haben weit herrlichere Gaben und zwar die einzigen, die Christus, unser Erlöser und unser König von uns erwartet.

Ist es nicht in Wahrheit Gold, das wir ihm opfern, wenn wir durch ein Leben der Liebe und treuen Beobachtung seiner Gebote ihn als den König unserer Herzen bekennen? Opfern wir ihm nicht Weihrauch, wenn wir an seine Gottheit glauben und durch unsere Anbetung und unsere Gebete ihr huldigen? Bringen wir ihm nicht duftende Myrrhe dar, wenn wir unsere Erniedrigungen und Leiden, unsere Seufzer und Tränen demütig mit den seinen vereinigen?

Und sind wir auch aus uns selbst unvermögend, ihm Gaben zu bringen, so dürfen wir nur den Herrn bitten, dass er uns Schätze verleihe, wie sie ihm gefallen. Er besitzt derer im Überfluss, um uns damit zu bereichern.

Das hat der göttliche Heiland selbst einst am Fest der Erscheinung der hl. Mechtildis geoffenbart, nachdem sie soeben die hl. Kommunion empfangen hatte. »Nimm hin«, so sprach er, »das Gold meiner göttlichen Liebe, nimm den Weihrauch meiner Heiligkeit und Andacht und die Myrrhen meines bittern Leidens. Ich schenke sie dir ganz und gar, so dass du sie mir zurückgeben kannst als dein eigenstes Hab und Gut (Buch der besonderen Gnade, 1. Teil, 8. Kap.).« 

Diese so ungemein tröstliche Wahrheit sollten wir nie außer Acht lassen. Die Gnade der Gotteskindschaft, die uns zu Brüdern Christi und zu lebendigen Gliedern seines Leibes macht, verleiht uns gleichzeitig auch das Recht, uns seine Reichtümer anzueignen, so dass wir sie ihm und seinem Vater gegenüber für uns geltend machen dürfen. Der hl. Paulus sagt: »Ihr kennt ja die Gnade unseres Herrn Jesus Christus. Obschon reich, ist er euretwegen arm geworden, damit ihr durch seine Armut reich werdet« (2 Kor 8, 9). Der Heiland selbst ist der Ersatz für unsere Mängel, er ist unser Reichtum, unsere Danksagung. Er umschließt in sich in ganz überragender Weise das, was die Gaden der Weisen versinnbiIden. Er verwirklicht in seiner Person auf vollkommenste Weise deren Bedeutung.

Darum können wir dem ewigen Vater zum Danke für das unschätzbare Gut des Glaubens nichts Besseres und ihm Wohlgefälligeres darbringen als seinen eingeborenen Sohn selbst. Gott hat uns seinen Sohn gegeben. Nach Jesu eigenen Worten konnte der unendliche Gott seine Liebe nicht deutlicher kundtun. »So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn dahin gegeben hat« (Joh 3,16). Und der hl. Paulus schreibt: »Wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?« (Röm 8, 32).

Für dieses unendliche Geschenk schulden wir Gott aber auch ganz besondere Danksagung. Die einzig Gottes würdige Gegengabe ist Jesus Christus, sein Sohn. Wenn wir ihn aufopfern, geben wir Gott zurück, was er uns gab. »Wir bringen der göttlichen Majestät ein würdiges Opfer dar von ihren eigenen Gaben und Geschenken.« (Stillgebet am Feste der Erscheinung) Es kann keine Gabe gedacht werden, die Gott wohlgefälliger wäre.

Die mit den Geheimnissen Gottes vertraute Kirche weiß das gar wohl. Am Feste der Erscheinung, wo sie ihre geheimnisvolle Vermählung mit dem himmlischen Bräutigäm, Christus, feiert, lässt sie den Priester im Stillgebet der hl. Messe beten: »Schaue gnädig an, o Herr, die Gaben deiner Kirche, in denen nicht mehr Gold, Weihrauch und Myrrhen dargebracht wird, sondern jener, der mit diesen Gaden versinnbildet, geopfert und genossen wird, Jesus Christus, dein Sohn, unser Herr. « 

So wollen wir mit dem Priester das hl. Opfer feiern, mit ihm dem ewigen Vater seinen Sohn darbringen, wenn er bei der hl. Kommunion in unser Herz Einkehr gehalten. Wir sollen aber auch uns selbst ihm darbringen, um in allen Dingen von Liebe beseelt das zu tun, was sein hl. Wille von uns verlangt. Das ist die vollkommenste Gabe, die wir Gott schenken können.

Noch immer währt die Erscheinung des Herrn. Sie dauert durch alle Zeiten. »Auch wir sollen die Freude der Weisen teilen«, sagt der hl. Leo (Sermo 35, In Epiphaniae solemnitatc V), »denn das Geheimnis, das an diesem Tag sich erfüllte, bleibt nicht auf einen Tag beschränkt. Durch Gottes unendliche Güte und das Übermaß seiner Liebe erfreut sich auch unsere Zeit der seligen Wirklichkeit, deren Erstlingswonnen die Weisen verkostet haben.« 

Die Erscheinung des Herrn erneuert sich jedes Mal, wenn Gottes Gnade das Licht des Evangeliums den Heiden aufstrahlen lässt. Jedes Mal, wenn die Wahrheit denen aufleuchtet, die im Dunkel des Irrtums leben, ist es ein Strahl vom Stern der Weisen, der ihnen aufgeht.

Die Erscheinung des Herrn wiederholt sich auch immer wieder in jeder gläubigen Seele, wenn ihre Gottesliebe zunimmt an Eifer und Beständigkeit. Treue Mitwirkung mit den Einsprechungen der Gnade ist nach des Herrn eigenen Worten die Quelle immer neuer Erleuchtung und eifrigeren Fortschrittes. »Wer mich liebt, dem werde ich mich offenbaren« (Joh 14, 21). Glücklich die Seele, die da lebt im Glauben und in der Liehe! Ihr wird sich Christus immer klarer und inniger offenbaren und wird sie tiefer einführen in das Verständnis und Miterleben seiner hl. Geheimnisse.

Die Hl. Schrift vergleicht das Leben des Gerechten mit einem Weg zum Licht von Klarheit zu Klarheit (Spr 4, 18) bis zu dem Tag, an welchem endlich alle Nebel fallen und alles Dunkel schwindet, wenn im Licht der Herrlichkeit der ewige Strahlenglanz Gottes aufleuchtet. In der Geheimen Offenbarung schildert der hl. Johannes die wunderbare Schönheit des neuen Himmlischen Jerusalems, wo alle Völker im Licht wandeln. »Die Stadt bedarf weder der Sonne noch des Mondes, denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie, und ihre Leuchte ist das Lamm« (Offb 21, 23; 22, 5). Christus selbst ist das Licht, das die Seelen aller Auserwählten erleuchten und beseligen wird.

Das wird ein ewiges Fest der Erscheinung des Herrn sein, Epiphanie in Himmelsherrlichkeit! »O Gott, der du am heutigen Tage deinen Eingeborenen durch Führung des Sternes geoffenbart hast, verleihe gnädiglich, dass wir, die wir dich schon aus dem Glauben erkannt haben, bis zur Anschauung deiner erhabenen Schönheit gelangen!« (Messgebet am Feste der Erscheinung des Herrn)

IX. DIE JUNGFRAU MARIA, DIE GEHEIMNISSE DER KINDHEIT UND DES VERBORGENEN LEBENS JESU (FÜR DIE ZEIT NACH DEM FEST DER ERSCHEINUNG)

Das Wort Gottes nimmt eine menschliche Natur an, um sie in Einheit der Person mit sich zu verbinden

Das Geheimnis der Menschwerdung beruht auf einem wunderbaren Austausch zwischen der Gottheit und unserer menschlichen Natur. Als Gegengabe für diese Menschennatur, die das ewige Wort uns entlehnt, empfangen wir Anteil an seinem göttlichen Leben.

Wir dürfen in der Tat nicht übersehen, dass wir es sind, die dem Worte eine menschliche Natur geben. Gott hätte eine eigene, in all ihren Teilen vollständig entwickelte Menschheit, etwa so wie sie Adam am Tag seiner Erschaffung hatte, hervorbringen und diese mit seinem göttlichen Sohn vereinigen können. Christus wäre auch dann wahrer Mensch gewesen, weil ihm nichts gefehlt haben würde von dem, was das Wesen eines Menschen ausmacht. Da er aber nicht durch eine menschliche Geburt die Zugehörigkeit zu uns erhalten hätte, wäre er nicht im eigentlichen Sinne einer unseres Geschlechts gewesen.

Aber das lag nicht im Plan Gottes. Die ewige Weisheit wollte, dass das Wort Gottes von uns eine Menschheit entlehne, um sie mit sich zu vereinigen. So ist Christus in Wahrheit der »Menschensohn«, ein Glied unseres Geschlechts, »von der Frau geboren« (Gal 4, 4), »aus dem Stamme Davids« (Röm 1, 3). Wenn wir zur Weihnacht die Geburt Christi feiern, lässt die Kirche die Ahnenreihe des Herrn durch alle Jahrhunderte vor unserem Geistesauge vorüberziehen Wir verfolgen seine menschliche Abstammung und sehen, wie er dem Stamme Davids entsprossen und von der Jungfrau Maria geboren wird. »Aus ihr ward Jesus geboren, der genannt wird Christus« (Mt 1,16).

Gott hat sich also herabgelassen, gleichsam von uns die menschliche Natur zu erbitten, die er für seinen göttlichen Sohn bestimmte, um uns dafür Anteil an seiner Gottheit zu geben. »O wunderbarer Austausch (Antiphon am Fest der Beschneidung) !« 

Gott ist seinem Wesen nach unendliche Freigebigkeit denn der Güte ist es eigen, sich mitzuteilen: Bonum est diffusivum sui, sagen die Philosophen. Gott aber, die unendliche Güte, verlangt nach solcher Mitteilung in unendlichem Maße. Die Offenbarung lehrt uns, dass es zwischen den drei göttlichen Personen vom Vater zum Sohn und vom Vater und Sohn zum Hl. Geist unaussprechlich hehre, unendliche Mitteilungen gibt, wie sie dem der Gottheit innewohnenden, naturnotwendigen Drängen, sich überströmend zu ergießen, entsprechen.

Doch gibt es in Gott außer diesem natürlichen Austausch der unendlichen Güte noch eine andere Mitteilung, die der freien Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen entspringt.

Die Fülle des Seins und der Güte, die da Gott ist, hat sich aus Liebe nach außen ergossen. Und da hat Gott zunächst in solch einziger Art sich einem Geschöpf hingegeben, dass er es in persönlicher Einheit mit seinem Sohn verband. Solch einzigartiges Gnadengeschenk Gottes machte dieses von der allerheiligsten Dreifaltigkeit auserwählte Geschöpf zum Sohn Gottes. »Mein Sohn bist du; heute habe ich dich gezeugt (Ps 2, 7). Dies ist Christus, das Wort Gottes, welches mit einer Menschennatur ganz wie die unsere, die Sünde ausgenommen, in innigster, unauflöslicher Vereinigung geeint ist.

Diese menschliche Natur sollten wir ihm geben. Es ist gleichsam, als ob der ewige Vater sagte: »Gebt mir für meinen Sohn eure Natur, und ich hingegen will dieser Menschennatur zunächst und durch sie jedem Menschen, der guten Willens ist, Anteil geben an meiner Gottheit.« 

Gott gibt sich ja Christus in solch einziger Weise nur darum hin, damit er durch Christus sich uns schenken könne. Nach dem Plan Gottes soll Christus die Fülle der Gottheit erhalten, damit wir alle aus dieser Fülle schöpfen könnten. »Von seiner Fülle haben wir alle empfangen« (Joh 1, 16).

So also wollte Gott seine Güter der Welt mitteilen. »So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seien eingeborenen Sohn dahin gegeben hat« (Joh 3, 16); damit beginnt der wunderbare Austausch zwischen Gott und der Menschheit.

Welches Geschöpf aber hat Gott im Besonderen ausersehen, um mit seiner Mitwirkung jene menschliche Natur zu bilden, die Gott so innig mit sich vereinigen und zum Werkzeug aller Gnaden für die Menschheit machen wollte?

Wir haben den Namen dieses Geschöpfes, das alle Geschlechter selig preisen werden, schon genannt; Maria ist es, die Jungfrau von Nazareth. Mit ihr schließt das Geschlechtsregister Jesu. Von ihr und in ihr von uns allen hat das Wort Gottes die menschliche Natur erbeten, und Maria hat sie ihm gegeben; darum ist sie mit allen Geheimnissen Christi unzertrennlich verbunden. Wir finden sie überall da, wo Jesus ist; denn Jesus ist der Sohn Mariens ebenso, wie er der Sohn Gottes ist.

Immer und überall der Sohn Mariens, offenbart sich Jesus gleichwohl als solcher vor allem in den Geheimnissen seiner Kindheit und seines verborgenen Lebens. Wenn schon Maria im gesamten Leben des Herrn eine einzigartige Stelle einnimmt, so wird doch ihre tätige Mitwirkung besonders kund in diesen Geheimnissen. In ihnen müssen wir sie vor allem betrachten; denn hier erstrahlt ihre göttliche Mutterschaft in besonderem Glanz, und diese unvergleichliche Würde ist die Quelle aller anderen Vorrechte der allerseligsten Jungfrau.

Wer Maria nicht kennt, wer die Mutter Jesu nicht mit inniger Liebe umfasst, wird die Geheimnisse des Lebens Christi kaum mit Nutzen betrachten. Christus ist Menschensohn wie er Gottessohn ist. Das ist sein Wesen. Wie er Gottessohn ist durch die unaussprechliche ewige Zeugung, so ist er Menschensohn durch seine Geburt in der Zeit aus Maria, der Jungfrau.

Wir wollen also diese Jungfrau betrachten an der Seite ihres Sohnes. Sie wird uns dafür die Gnade erbitten, tiefer in diese Geheimnisse Christi einzudringen, mit denen sie selbst so innig verbunden ist.

1. Wie sich im Geheimnis der Verkündigung der Austausch zwischen Gottheit und Menschheit vollzieht; die göttliche Mutterschaft

Der Austausch, den die Gottheit mit der Menschheit eingehen wollte, konnte nur dann zustande kommen, wenn die Menschheit darin einwilligte. Diese Bedingung hat Gottes ewige Weisheit gestellt.

Versetzen wir uns im Geist nach Nazareth. Die Fülle der Zeiten ist angebrochen. »Gott hatte«, wie der hl. Paulus sagt, »beschlossen, seinen Sohn in die Welt zu senden«, und zwar sollte er »von einer Frau geboren« werden. Der Erzengel Gabriel bringt als Gottesbote der Jungfrau die himmlische Botschaft. Ein erhabenes Zwiegespräch hebt an, von dem die Entscheidung über die Erlösung der Menschheit abhängt. Der Engel grüßt zuerst die Jungfrau im Namen Gottes als die »Gnadenvolle«, »Ave, gratia plena.« Sie ist ja nicht nur unbefleckt, ohne jeden Schatten der Sünde - die Kirche hat erklärt, dass sie allein von allen Geschöpfen nicht in die Erbsünde verstrickt war. Als zukünftige Mutter des Sohnes hat der ewige Vater sie auch mit all seinen Gnadenschätzen überhäuft. Sie ist »voll der Gnade«, freilich nicht in dem Sinne, wie es Christus ist; denn er ist Gott und besitzt die Gnade von Rechts wegen in göttlicher Fülle, während Maria nur Anteil erhält an dieser Fülle, aber in unbeschreiblich überreichem Maße, wie es eben ihrer Würde als Mutter Gottes entsprach. »Siehe«, fährt der Engel fort, »du wirst einen Sohn gebären und du sollst ihm den Namen Jesus geben ... er wird Sohn des Allerhöchsten genannt werden. Er wird als König herrschen, und seines Reiches wird kein Ende sein.« »Wie soll das geschehen«, erwidert Maria, »da ich keinen Mann erkenne?« denn sie will ihre Jungfräulichkeit bewahren. »Der Hl. Geist wird auf dich herabkommen, und die Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das aus dir geboren wird, Sohn Gottes genannt werden.« - »Siehe, ich bin eine Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort« (Lk 1, 28 ff).

In diesem feierlichen Augenblick ist der Austausch geschehen. Maria hat ihr "fiat" gesprochen. Die ganze Menschheit sprach durch ihren Mund: »Ja, o Gott, so geschehe es!« Und das Wort ist Fleisch geworden. Im gleichen Augenblick hat in der Kraft des Hl. Geistes das Wort aus Maria Fleisch angenommen. Der Schoß der Jungfrau ward zur geheimnisvollen Arche des Neuen Bundes, den Gott mit den Menschen geschlossen hat.

Wenn im Credo der hl. Messe die Worte gesungen werden, die an dieses hochheilige Geheimnis erinnern: et incarnatus est de Spiritu Sancto ex Maria Virgine et homo factus est, dann müssen nach kirchlicher Vorschrift all ihre Diener zum Zeichen der Anbetung die Knie beugen. O, beten auch wir es an in tiefster Ehrfurcht, das göttliche Wort, das für uns im Schoß der Jungfrau Mensch geworden ist! Unsere demütige Liebe muss umso größer sein, je mehr er sich erniedrigte, da er nach den Worten des hl. Paulus »Knechtsgestalt angenommen hat« (Phil 2, 7). Beten wir an mit Maria, die von himmlischem Licht erleuchtet in seliger Versunkenheit vor ihrem Schöpfer kniet, der ihr Sohn geworden ist! Beten wir an mit den Engeln, die frohlockend staunen über Gottes unendlichen Hulderweis an der sündigen Menschheit!

Grüßen auch wir Maria, die reinste Jungfrau! Danken wir ihr; denn sie ist es, durch die wir gewürdigt wurden, »den Urheber des Lebens zu empfangen« (Kollekte an Weihnachten). Wir wollen sie aber gleichzeitig auch beglückwünschen und benedeien wie der Hl. Geist selbst durch den Mund der begnadigten Elisabeth die Jungfrau-Mutter seligpries: »Du bist gebenedeit unter den Frauen und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes. Selig bist du, Maria, die du geglaubt hast, dass in Erfüllung gehen werde, was dir vom Herrn gesagt worden ist« (Lk 1, 41 ff). Ja, selig ist Maria; denn der Glaube an das Wort des Allerhöchsten hat die Jungfrau zur Gottesmutter gemacht. Wo ist ein Geschöpf, das von Seiten des unendlichen Gottes so hohes Lob erhielt ?

Maria aber gibt dem Herrn alle Ehre für die Wunder, die sich an ihr erfüllten. Vom ersten Augenblick an, da Gottes Sohn in ihren Schoß herniederstieg, singt die Jungfrau in ihrem Herzen ein beständiges Lob- und Danklied. Bei ihrer Base Elisabeth gibt sie den überströmenden Gefühlen ihres Herzens Ausdruck. Sie stimmt das Magnifikat an, das seitdem fort und fort all ihre Kinder mit ihr singen, um Gott zu danken, dass er sie vor allen Frauen erwählt hat: »Hochpreist meine Seele den Herrn, und mein Geist frohlockt in Gott meinem Heiland. Er hat gnädig auf seine niedrige Magd herabgeblickt; denn Großes hat an mir getan der Mächtige ... « (Lk 1, 46 ff).

Maria weilte gerade in Bethlehem, um sich nach des Kaisers Befehl in die Listen der Volkszählung eintragen zu lassen, als nach den Worten des hl. Lukas »für sie die Zeit kam, da sie gebären sollte. Und sie gebar ihren erstgeborenen Sohn, wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, denn in der Herberge war für sie kein Platz« (Lk 2, 6 ff). Wer ist dieses Kind? Es ist der Sohn Mariens; denn sie hat ihn geboren, es ist ihr »Erstgeborener«.

Maria aber sieht in diesem Kind, das sich nicht von andern Kindern unterscheidet, den wahren Sohn Gottes. Mariens Seele war erfüllt von einem wunderbar tiefen Glauben, der den Glauben aller Gerechten des Alten Bundes in sich begreift, ja ihn weit übertrifft, und in diesem Glauben erkennt sie in ihrem Kind den Sohn Gottes.

Dieser Glaube drängt sie zur Anbetung. Kaum erblickt sie das Kind, da wirft sie sich vor ihm nieder in solch tief innerlicher Huldigung, wie wir sündige Menschen sie nie zu ergründen vermögen.

Zu diesem lebendigen Glauben, dieser tiefen Anbetung gesellten sich die unaussprechlichen Ergüsse einer grenzenlosen Liebe.

Und zwar zunächst die rein menschliche Liebe. Gott ist die Liebe; um uns in etwa einen Begriff dieser Liebe zu geben, hat Gott einen Funken davon in die Herzen der Mütter gesenkt. Das Mutterherz mit seiner unerschöpflichen Zärtlichkeit, mit seinen unermüdlichen Sorgen und seinen immer neuen Liebeserweisen ist ein wahrhaft göttliches Wunderwerk, und doch hat Gott auch hier nur ein Fünkchen seiner ewigen Liebe zu uns verborgen. Gleichwohl hat Gott uns die Mutter als ein, wenn auch nur entferntes Abbild seiner Liebe gegeben. Er stellt sie uns zur Seite von der Wiege an als Führerin und Hüterin, besonders in den ersten Lebensjahren, wo wir solch zärtlicher Liebe in besonderem Maße bedürfen.

Wer aber vermöchte auszudenken, mit welch bevorzugender Liebe die allerheiligste Dreifaltigkeit das Herz der Jungfrau abgebildet hat, die auserwählt war, Mutter des Gottessohnes zu werden! Mit welch unendlichem Wohlgefallen mag Gott dieses Herz gebildet und es mit Liebe durchglüht haben, dieses Herz, das bestimmt war, einen Gottmenschen mütterlich zu lieben!

Im Herzen Mariens verband sich in vollkommenstem Einklang die Anbetung des Geschöpfes seinem Gott gegenüber und die Liebe der Mutter zu ihrem einzigen Sohn.

Nicht minder wunderbar war ihre übernatürliche Liebe. Die Gottesliebe einer Seele bemisst sich nach dem Maße der Gnade. In uns wird die Entfaltung der Gnade und Liebe behindert durch unsere Sünden, unsere freiwilligen Fehler und Untreuen, durch unsere Anhänglichkeit an die Geschöpfe. Jeder freiwillige Fehler macht das Herz klein und selbstsüchtig. Mariens Seele aber war vollkommen rein, kein Stäublein der Sünde, kein Schatten von Armseligkeit hat sie getrübt. Sie ist »voll der Gnade«. Der Hl. Geist fand in ihr kein Hindernis seiner Gnadenentfaltung, wohl aber ein immer gelehriges Herz, das jedem Wink seiner Gnade gehorchte. Darum war auch dies Herz ein unermesslich weites Meer von Liebe.

Musste diese Liebe seiner Mutter das Herz Jesu nicht mit süßester Freude erfüllen! Nächst der unerschöpflichen Freude der beseligenden Anschauung Gottes und des unendlichen Wohlgefallens, mit welchem der Vater ihn betrachtete, bildete die Liebe seiner Mutter die höchste Wonne des Erlöserherzens. Sie gab ihm überreichen Ersatz für die Gleichgültigkeit jener, die ihn nicht aufnehmen wollten. Im Herzen dieser zarten Jungfrau fand er ein immer brennendes Liebesfeuer, dessen Glut sein eigener göttlicher Blick und die Gnade seines Hl. Geistes entfachte.

Zwischen diesen zwei heiligsten Seelen fand ein beständiger Austausch statt, der ihre Liebesgemeinschaft immer noch inniger gestaltete. Es war ein stetes Geben und Empfangen von Jesus zu Maria, von Maria zu Jesus, ein treuestes Entsprechen in solcher Vollkommenheit, dass sich nach der Einheit der göttlichen Personen in der allerheiligsten Dreifaltigkeit und nach der Einheit der beiden Naturen in Christus eine zartere und innigere Einheit nicht denken lässt.

O, gehen wir doch zu Maria mit demütigem und rückhaltlosem Vertrauen! Ihr Sohn ist der Erlöser der Welt; sie aber ist mit seiner erhabenen Sendung zu innig verknüpft, als dass sie nicht seine Liebe zu den Sündern teilen würde. Darum singen wir flehend mit der Kirche: »Hehre Mutter des Erlösers, die du deinen Schöpfer hast geboren und dennoch Jungfrau bliebst, O, komm deinem Volke zu Hilfe, das tief in Schuld versenkt, sich erheben will von seinem Fall! Hab Mitleid mit uns Sündern, die dein Sohn zu erlösen kam im Fleisch von unserm Fleisch! Um unsertwillen, o Maria, um unser Heil zu sein, hat er den himmlischen Palast vertauscht mit deinem lilienreinen Schoß!« 

2. Die Reinigung Mariens und die Darstellung Jesu im Tempel

Maria versteht solche Bitten; denn sie hat sich mit ganzer Seele ihrem Sohn verbunden als Gehilfin beim Werke unserer Erlösung.

Acht Tage nach der Geburt trägt Maria ihr Kind zur Beschneidung, wie es das Gesetz verlangt. Sie gibt ihm den Namen Jesus, wie es der Engel vorhergesagt hatte, jenen Namen, der seine Sendung und sein Erlösungswerk bezeichnet.

Und da Jesus vierzig Tage alt war, hat sich Maria bei der Darstellung im Tempel noch inniger und tiefer dem Erlösungswerk beigesellt; denn hier opfert sie als erste dem ewigen Vater seinen göttlichen Sohn auf. Nächst dem Opfer seiner selbst, das Christus, der höchste Hohepriester, von der Menschwerdung an bis zur Vollendung am Kreuz darbrachte, war diese Opferung durch Maria die denkbar höchste. Sie steht außerhalb aller priesterlichen Handlungen, die Menschen je verrichten können, ja übertrifft sie alle, weil Maria die Mutter Christi ist, die Menschen aber nur seine Diener sind.

Betrachten wir die Gottesmutter bei der Darstellung ihres Sohns im Tempel. Der gesamte feierliche und genaue Zeremoniendienst des Alten Bundes deutet auf Christus hin. Alles darin war von geheimnisvoller Symbolik, weil es erst im Neuen Bund seine vollkommene Erfüllung finden sollte.

Unter den rituellen Vorschriften des jüdischen Gesetzes legte eine Bestimmung jeder Mutter die Pflicht auf, einige Zeit nach der Geburt ihres Kindes im Tempel zu erscheinen, um sich von der gesetzlichen Unreinheit, die sie sich bei der Geburt infolge der Erbsünde zugezogen hatte, zu befreien. Außerdem musste sie, wenn es sich um eine männliche Erstgeburt handelte, dieses Kind in den Tempel bringen, um es dort dem Herrn als dem unbeschränkten Gebieter der ganzen Schöpfung zu weihen (s. Lk 2, 23; vgl. Ex 13, 2); doch konnte es hernach mittels einer größeren oder kleineren Opfergabe - ein Lamm oder ein Paar Turteltauben, je nach den Vermögensverhältnissen wieder zurückgekauft werden.

Gewiss hatte dieses Gesetz weder für Jesus noch für Maria verpflichtende Kraft. Jesus war ja selbst der Gesetzgeber der Juden. Auch war seine Geburt eine ganz wunderbare und jungfräuliche, eine ganz unbefleckt reine Geburt. »Das Heilige, das aus dir geboren wird, wird der Sohn Gottes genannt werden« (Lk 1, 35). Als der eingeborene Sohn Gottes musste er auch nicht eigens Gott geweiht werden; auch bedurfte Maria, die vom Hl. Geist empfangen hatte und Jungfrau geblieben war, nicht der Reinigung wie die andern Frauen ihres Volkes.

Maria aber, auch hierin geleitet von dem nämlichen Hl. Geist, der auch der Geist ihres Sohnes ist, war vollständig eines Willens mit ihrem Sohn, der bei seinem Eintritt in die Welt gesprochen hatte: »Siehe, Vater, du willst in Zukunft nicht Schlacht- und Brandopfer mehr; denn sie vermögen nicht deine Gerechtigkeit zu besänftigen und die sündige Menschheit zu erlösen; einen Leib aber hast du mir gegeben zu opferwilliger Hingabe: hier bin ich, um deinen Willen zu erfüllen« (Hebr 10, 5 ff). Und wie hat Maria gesprochen? Siehe, ich bin eine Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort. Das war auch der Grund, warum sie sich dieser Vorschrift unterwarf und damit ihre völlige Hingabe bezeugte. Mit ihrem jungfräulichen Gemahl bringt sie daher Jesus dar, ihren Erst- und Eingeborenen, der aber zugleich der »Erstgeborene unter vielen Brüdern werden sollte« (Röm 8, 29), die durch die Gnade ihm ähnlich sind.

Bei Betrachtung dieses Geheimnisses können wir nicht umhin auszurufen: »Wahrlich, du bist ein verborgener Gott, du Gott Israels, unser Erlöser« (Jes 45, 15). Am Tag seiner Darstellung zog Christus zum ersten Mal in den Tempel, in seinen Tempel ein. Dieser Tempel, das Staunen der Völker und der Stolz Israels, in dem sich alle Kultgebräuche vollzogen und die Opfer dargebracht wurden, so wie Gott selbst es vorgeschrieben hatte, dieser Tempel gehörte ihm; denn dieses Kind auf den Armen der jungfräulichen Mutter ist der König der Könige und der Herr aller Herren. »Der Herr wird in seinen Tempel kommen« (Mal 3, 1). Doch wie kommt er? Im Glanz seiner Majestät? Als Herr, dem von Rechts wegen alle Opfer dort dargebracht werden? Nein, er kommt in tiefster Verborgenheit.

Hören wir den Bericht des Evangeliums. Um das gewaltige Heiligtum drängt sich eine ungeheure Volksmenge: Kaufleute, Leviten, Priester, Gesetzesgelehrte. Durch diese Menge bahnt eine kleine Gruppe sich ihren Weg, ein paar arme Leute, die nicht ein Lamm bringen, die Gabe der Reichen, sondern das Armenopfer, zwei Turteltauben. Niemand beachtet sie; denn sie haben kein Gefolge von Dienern. Die Großen und Vornehmen unter den Juden würdigen sie kaum eines Blickes. Es muss wahrhaft der Hl. Geist den Greis Simeon und die Prophetin Anna erleuchten, damit sie in dem Kindlein dieser armen jungen Mutter den Messias erkennen, den versprochenen Erlöser der Welt, das Licht der Heiden, das »Heil, das Gott bereitet hat vor dem Angesicht aller Völker« (Lk 2, 30 ff). Dieser Messias kommt in seinen Tempel aber als »verborgener Gott«.

In nichts verrät sich hier die heilige Seele Jesu. Das Licht seiner Gottheit bleibt verhüllt, verschleiert. Innerlich aber erneuerte Christus hier im Tempel jene Hinopferung, die er im Augenblick der Menschwerdung seinem Vater dargebracht hatte. Er gibt sich dem Vater ganz zu eigen, weiht sich ihm von neuem als Opfergabe für das Heil der Welt. »Heilig dem Herrn wird er genannt werden.« Es war gleichsam die Opferung jener hl. Messe, die auf Kalvaria sich vollenden sollte.

Vor den Augen des ewigen Vaters war diese Hingabe das wohlgefälligste Opfer, das ihm je dargebracht war, wenn es sich auch nach außen hin in nichts von dem unterschied, was alle jüdischen Frauen dem Gesetz nach zu tun verpflichtet waren. Hierdurch erhielt Gott unendlich größere Verherrlichung, als er jemals in diesem Tempel von allen Opfern und Gaben des Alten Bundes empfangen hatte. War es ja sein eigener Sohn der ihm beute geopfert ward und der ihm dabei selbst ein unendliches Lob-, Dank-, Bitt- und Sühnopfer darbrachte. Das war ein Gott wahrhaft würdiges Opfer. Der himmlische Vater musste diese allerheiligste Gabe mit unendlicher Freude aufnehmen, während der ganze himmlische Hof voll Entzücken und Staunen auf dieses einzigartige Opfer schaute. Jetzt bedarf es keiner Brand- und Schlachtopfer mehr; das einzig wahre, Gott würdige Opfer ist ihm dargebracht worden.

Dargebracht durch die Hände Mariens, der Jungfrau voll der Gnade. Ihr Glaube war ein vollkommener. Erfüllt vom Licht des Hl. Geistes, erfasste ihre Seele den Wert dieses hl. Opfers, das sie Gott darbrachte. Durch seine hl. Einsprechungen stimmte der Hl. Geist ihre Seele zum Gleichklang mit den Gesinnungen des göttlichen Herzens ihres Kindes.

So wie sie einst bei der Botschaft des Engels von der Menschwerdung ihre Einwilligung gegeben hatte in unser aller Namen, so hat sie auch jetzt im Namen der ganzen Menschheit Jesus geopfert. Sie weiß, dass ihr Sohn »der König der Herrlichkeit, das neue vor dem Morgenstern erzeugte Licht ist, der Herr über Leben und Tod«. Sie trägt auf ihren Händen diesen ewigen König (Vgl. den Hymnus »Adorna« bei der Kerzenweihe am Feste Mariä Lichtmess) und bringt ihn im Tempel Gott dar, um uns allen jene Gnaden des Heiles zu erlangen, die nach den Worten des Engels ihr Sohn der Welt bringen sollte.

Wir dürfen dabei nicht außer Acht lassen, dass der, den sie opfert, auch ihr eigener Sohn ist, den sie in ihrem jungfräulichen Schoß getragen hat. Wo ist ein Priester, wo ein Heiliger, der je das eucharistische Opfer in solch inniger Vereinigung mit dem göttlichen Opferlamm gefeiert hat, wie Maria opferte, da sie ihr Kind im Tempel darstellte. Sie war ja nicht bloß in Glaube und Liebe mit Jesus verbunden, wie auch wir es sein können, wenn auch in unendlich geringerem Maße: Ein ganz eigenartiges Band vereinte Maria mit Jesus. Er war ja die Frucht ihres Leibes! Daher hat Maria seit der Darstellung im Tempel, wo sie ihr Kindlein gleichsam als Erstlingsgabe des künftigen Opfers Gott darbrachte, einen hervorragenden Anteil am Werk unserer Erlösung.

Von diesem Augenblick an wollte Jesus auch seine göttliche Mutter an seiner Eigenschaft als Schlachtopfer teilnehmen lassen.

Simeon, der Greis, kommt vom Hl. Geist erleuchtet in den Tempel. Er erkennt das Kind, nimmt es auf seine Arme und preist frohlockend den Herrn, weil er mit eigenen Augen das Heil der Welt, den versprochenen Messias, gesehen hat. Er nennt ihn das »Licht zur Erleuchtung der Heiden«, und indem er ihn seiner Mutter zurückgibt, wendet er sich nunmehr an diese mit den Worten: »Siehe, dieser ist bestimmt zum Fall und zur Auferstehung vieler in Israel und zum Zeichen, dem man widersprechen wird. Und deine Seele wird ein Schwert durchdringen« (Lk 2, 25 ff) Das war der erste noch dunkle Hinweis auf den Kalvarienberg und sein Opfer.

Das Evangelium sagt uns nicht, welchen Widerhall diese Weissagung Simeons im reinsten Herzen Mariens weckte. »Wir können uns aber kaum denken, dass sie ihrem Gedächtnis je entschwand. Sagt doch der hl. Lukas bei einem anderen Anlass: »Die Mutter bewahrte alle diese Worte in ihrem Herzen« (Lk 2, 51). Gilt das nicht auch für diese, ihr so unerwartete Begebenheit! Ja, sie bewahrte diese für ihr zärtliches Mutterherz so furchtbaren Worte, die sie hier zuerst und wer mag wissen, wie oft seitdem von neuem schmerzlich durchbohrten; aber ganz eins mit dem Willen ihres Sohnes war sie völlig bereit, so früh schon und so umfassend an seinem Opfer teilzunehmen.

Es kommt der Tag, wo auch sie mit Jesus auf Kalvarias Höhen ihr Opfer vollenden wird. »Stehend unter dem Kreuze« (Joh 19, 25), wird sie für uns ihren Sohn, die Frucht ihres Leibes, opfern, wie sie ihn schon 33 Jahre zuvor geopfert hatte im Tempel zu Jerusalem.

O, sagen wir Dank der reinsten Jungfrau, innigen Dank für die erste Opferung ihres göttlichen Sohnes und danken wir gleicherweise dem Heiland selbst, der sich dem Vater dargebracht zu unserer Erlösung!

In der hl. Messe opfert Christus sich täglich von neuem. Bringen doch auch wir ihn seinem Vater dar! Vereinigen wir uns mit ihm und gleich ihm in der Gesinnung vollster Hingabe an den Willen des himmlischen Vaters! Erwecken wir in uns Mariens tiefen Glauben, damit wir, »erleuchtet und belehrt, Gott wahrhaft erkennen und mit Treue lieben« (Gebet bei der Kerzenweihe), dann werden »unsere Gaben würdig sein, vor das Auge der göttlichen Majestät gebracht zu werden« (Stillgebet am Feste der Reinigung Marias).

3. Der zwölfjährige Jesusknabe im Tempel

Mit der Weissagung Simeons hat für Maria das Leiden begonnen, um sich fortzusetzen bis zur Vollendung des Opfers.

Bald schon muss sie in ein unbekanntes Land, nach Ägypten fliehen, um ihr Kind vor dem Zorn des Herodes zu schützen. Dort bleibt sie, bis der Engel nach dem Tod dieses Königs dem hl. Joseph befiehlt, in die Heimat zurückzukehren. Die heilige Familie nimmt nun Aufenthalt in Nazareth, und dort wird Jesus sein Leben verbringen bis zum 30. Jahre, so dass seine Zeitgenossen ihn »Jesus von Nazareth« nennen.

Aus dieser Zeit berichtet uns das Evangelium nur ein einziges Ereignis: den Verlust des zwölf jährigen Jesusknaben im Tempel. Die heilige Familie war zur Feier des Osterfestes nach Jerusalem gereist. Jesus hatte das zwölfte Jahr vollendet und stand somit in dem Alter, wo die jungen Israeliten sich dem jüdischen Gesetz unterwerfen mussten, insbesondere dem dreimal jährlichen Tempelbesuch zu Ostern, Pfingsten und am Laubhüttenfest. Der göttliche Heiland, der mit der Beschneidung das Joch des Gesetzes auf sich hatte nehmen wollen, begab sich darum mit seiner Mutter und seinem Nährvater in die heilige Stadt. Wahrscheinlich machte er damals die Wallfahrt zum ersten Male.

Als er den Tempel betrat, ahnte niemand, dass dieser Knabe jener Gott selbst sei, der im Tempel angebetet wurde. Jesus verlor sich unter der Menge und nahm wie alle übrigen Israeliten teil an den heiligen Handlungen und am Psalmengesang. Tiefer, als irgendein geschaffener Geist es je vermag, drang er in den Sinn all ihrer vorbildlichen Gebräuche. Er kostet die ganze Weihe des Geheimnisses der Liturgie, die Gott selbst bis ins Kleinste vorgeschrieben hatte. Jesus wusste, dass sich all diese Bilder und Zeichen in seiner Person erfüllen sollten, und so brachte er im Namen aller Umstehenden, ja im Namen der ganzen Menschheit dem Vater das vollkommenste Lobopfer dar, wie es einzig seiner würdig war.

»Nachdem die Tage des Festes vorüber waren«, berichtet der Evangelist, dem vielleicht die hl. Jungfrau selbst es erzählt haben mag, »begaben sie sich auf den Heimweg.« »Der Jesusknabe aber blieb zurück, ohne dass seine Eltern es merkten« (Lk 2, 43). Am Osterfest strömten die Juden aus dem ganzen Land und von weiter in Jerusalem zusammen, so dass sich ein Gedränge und ein Durcheinander entwickelte, von dem man sich kaum eine Vorstellung machen kann. Besonders auf dem Heimweg konnte es leicht geschehen, dass die einzelnen Gruppen auseinander gerissen wurden und die Familien oft erst am Abend sich wieder zusammenfanden. Zudem war es Sitte, dass die Jünglinge sich bald diesem, bald jenem Teil ihrer Karawane anschlossen. Maria musste daher vermuten, dass der Jesusknabe bei Joseph sei, und so setzte sie unter dem Klang heiliger Hymnen ihren Weg fort, während ihr Herz bei Jesus weilte, den sie bald wieder zu begrüßen hoffte.

Wie schmerzlich aber war ihre Enttäuschung, als sie mit der Gruppe Josephs zusammentraf und Jesus nicht bei ihm fand. »Jesus, wo ist Jesus?« Das war ihr erstes Wort und die gleiche bange Frage beider. Keines aber wusste es.

Wenn Gott eine Seele auf die Höhen der Vollkommenheit und gottinniger Beschauung führen will, so bereitet er sie vor durch Leid und Prüfung aller Art. Nicht umsonst hat der Herr gesagt: »Wenn ein Rebzweig an mir, der ich der wahre Weinstock bin, Frucht bringt, so reinigt ihn mein Vater, damit er mehr Frucht bringe« (Joh 15, 2). Es sind das oft schwere Prüfungen wie die dunkle Nacht innerer Finsternisse mit gänzlicher Verlassenheit, wodurch der Herr in der Seele ungewohnte Tiefen gräbt, um sie vorzubereiten für eine höhere und innigere Gottvereinigung.

Die allerseligste Jungfrau bedurfte dieser Läuterung nicht. War sie nicht der fruchtbarste Rebzweig, der die Welt mit göttlicher Frucht beschenkte. Bei dem Verluste Jesu im Tempel aber hat sie ein solch herbes Leid verkostet, das ihre Liebesfähigkeit und ihr Verdienst zu unerreichter Höhe steigerte. Wir können die Größe dieses Schmerzes nicht erfassen; denn dazu müssten wir ja verstehen können, was Jesus seiner Mutter war.

Jesus hatte seinen Eltern nichts gesagt. Maria aber wusste zu gut, dass er sich im Weg nicht irren konnte. Wenn er sie verlassen hatte, so geschah dies, weil er es so wollte. Wann würde er wiederkommen? Wird sie ihn überhaupt wiedersehen? Maria hatte nicht umsonst so viele Jahre in Nazareth an der Seite ihres göttlichen Sohnes zugebracht, ohne nicht immer tiefer das unaussprechliche Geheimnis zu erfassen, das ihn umgab. Und das eben war für sie nur eine Quelle unsäglicher Besorgnis.

Sie musste ihr Kind nun suchen. Wer ermisst das Leid dieser Tage? Gott ließ es zu, dass Maria während dieser qualvollen Stunden im tiefen Dunkel blieb. Sie wusste nicht, wo Jesus weilte. Sie konnte es nicht fassen, dass er ihr, seiner Mutter, nichts von seiner Absicht mitgeteilt. Unermesslich war der Schmerz ihrer Trennung von dem, den sie zugleich als ihr Kind und als ihren Gott liebte.

Leiderfüllt kehren Maria und Joseph nach Jerusalem zurück. Der Evangelist sagt, dass sie ihn dort überall suchten, zumal bei den Verwandten und Bekannten (Lk 2, 44). Niemand aber hatte Jesus gesehen. Endlich, nach drei Tagen fanden sie ihn im Tempel, mitten unter den Schriftgelehrten sitzend.

Die Gesetzeslehrer Israels kamen in einer der Hallen des Tempels zusammen, um dort die Hl. Schrift zu erklären. Jedermann hatte freien Zutritt, um sich der Gruppe der Jünger und Hörer anzuschließen. Das tat auch Jesus. Nicht um zu lehren war er hinzugetreten. - Die Stunde, da er sich vor allem Volke zeigen sollte als jener, der gekommen war, die Geheimnisse Gottes zu verkünden, war noch nicht da. - Er wollte nur gleich den andern Israeliten »hören und fragen«, wie der Evangelist sagt (Lk 2, 46).

Welches aber war die Absicht des Jesusknaben, da er die Gesetzesgelehrten befragte. Zweifellos wollte er durch seine Fragen und Antworten, durch Hinweis auf die Schriftstellen sie veranlassen, von der Ankunft des Messias zu sprechen. Er wollte ihr Augenmerk auf diese Frage lenken, damit sie mit größerer Aufmerksamkeit auf die Umstände seiner Ankunft achten möchten. Gewiss war dieses der Zweck, den der ewige Vater verfolgte, der Auftrag, den er seinem menschgewordenen Sohn gegeben und zu dessen Ausführung der Jesusknabe für einen Augenblick das stillverborgene Leben in Nazareth unterbrach. »Die Gesetzesgelehrten aber wunderten sich gar sehr über die Weisheit seiner Antworten« (Lk 2, 47).

Maria und Joseph nun voller Freude, Jesus gefunden zu haben, treten zu ihm, und seine Mutter fragt: »Mein Sohn, warum hast du uns das getan?« - Gewiss lag darin keine Anklage. Die demütige Jungfrau war zu erleuchtet, um einen Tadel auszusprechen dem gegenüber, den sie als den Sohn Gottes erkannte. Es war der Schrei des gemarterten Mutterherzens. »Dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht.« Was erwidert der Heiland darauf? »Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich in dem aufgehen muss, was meines Vaters ist« (Lk 2, 48 ff)?

Das sind die ersten Worte aus dem Munde des menschgewordenen Wortes, die uns das Evangelium berichtet. Die ganze Person Jesu, sein Leben und sein Werk sind darin enthalten. Hier offenbart er sich als Gottessohn, zeigt seine übernatürliche Sendung. Das ganze übrige Leben des Heilandes wird nichts anderes sein als die offenbare, wundervolle Erläuterung dieser Worte.

Auch für unsere Seele enthalten diese Worte eine tiefe Lehre. Unser göttlicher Herr und Heiland ist doppelter Abstammung: er ist Sohn Gottes und Menschensohn.

Als »Menschensohn« war er verpflichtet, das Naturgesetz wie auch das jüdische Gesetz zu beobachten, das den Kindern gebietet, ihren Eltern Ehre, Liebe und Gehorsam zu erweisen. Wer auch hat dieses treu er befolgt als der Heiland, der später selbst einmal sagen wird: »Ich bin nicht gekommen, das Gesetz aufzuheben, sondern es zu erfüllen« (Mt 5, 17)! Kein anderes Kind hat seine Eltern je so zart und innig geliebt wie Jesus die seinen.

Als »Sohn Gottes« aber hatte Christus seinem Vater im Himmel gegenüber höhere als seine menschlichen Pflichten, mit denen diese manchmal sogar im Widerspruch zu stehen schienen. Sein Vater hatte eben damals verlangt, dass er in Jerusalem bleiben solle.

Durch die Antwort an seine Mutter wollte der Heiland uns zu verstehen geben, dass, wenn Gott seinen Willen kundgibt, alle irdischen Rücksichten schweigen müssen. In solchen Stunden gilt auch für uns: Ich muss ganz in dem sein, was meines Vaters ist.

Der hl. Lukas sagt uns - wahrscheinlich nach Mitteilung Mariens, der demütigsten Jungfrau selbst -, dass »Maria nicht verstanden hat, was Jesus mit diesen Worten sagen wollte« (Lk 2, 50). Sie wusste, dass ihr göttlicher Sohn nicht anders als vollkommen handeln könne. Warum aber hatte er ihr von seiner Absicht nichts gesagt? Sie war nicht eingedrungen in den geheimnisvollen Zusammenhang dieser Handlungsweise Jesu mit den hl. Absichten seines Vaters. Es war ihr noch verborgen, inwiefern diese Handlungsweise ihres Sohnes sich dem großen Erlösungsplane einfügte.

Aber, wenn auch Maria die ganze Tragweite dieses Geheimnisses damals noch nicht voll erfasste, eines wusste sie zweifellos und gewiss, dass nämlich ihr Sohn der Sohn Gottes sei. Darum unterwarf sie sich schweigend diesem göttlichen Willen, der ein solches Opfer von ihr verlangte. »Sie bewahrte all das in ihrem Herzen.« Ihr allerreinstes Herz war die Schatzkammer, in welcher sie das Geheimnis der Worte ihres Sohnes anbetend bewahrte, bis es ihr gegeben sein sollte, dieselben in ihrer vollen Bedeutung zu verstehen.

4. Das verborgene Leben in Nazareth

Das hl. Evangelium berichtet uns, dass Jesus, nachdem Maria und Joseph ihn im Tempel wiedergefunden hatten, mit ihnen nach Nazareth zurückkehrte, um dort bis zu seinem dreißigsten Jahre zu wohnen. Die Hl. Schrift fasst diese ganze lange Zeit in die kurzen Worte zusammen: »Und er war ihnen untertan« (Lk 2, 51). So wollte also Jesus, die ewige Weisheit, den weitaus größten Teil seiner Lebenszeit von 33 Jahren, nämlich dreißig Jahre in Schweigen und Verborgenheit, in Gehorsam und Armut verbringen.

Darin liegt ein tiefes Geheimnis und eine Lehre verborgen, deren Bedeutung selbst auch von frommen Seelen häufig nicht verstanden wird. »Das ewige Wort, Gott selbst erscheint im Fleisch. Der Unendliche und Ewige würdigt sich, nach Jahrtausenden der Erwartung eines Tages sich mit einer menschlichen Natur zu umkleiden: Er entäußerte sich, nahm Knechtsgestalt an ... und wurde im Äußern als ein Mensch erfunden« (Phil 2,7). Wenn auch seine Mutter eine reine und unbefleckte Jungfrau war, so stellte seine Menschwerdung dennoch eine unfassbare Erniedrigung dar. »Du hast nicht gescheut der Jungfrau Schoß«, singt die hl. Kirche im Te Deum. Warum aber stieg ein Gott so tief herab? Nur um die Welt zu retten, indem er ihr das Gotteslicht entzündete.

Da nun aber dieses Licht erscheint, leuchtet es kaum einigen wenigen auserwählten Seelen - den Hirten, den Weisen, Simeon und Anna, im Übrigen verbirgt es sich. Dreißig Jahre lang stellt es sich freiwillig »unter den Scheffel«, und nur drei Jahre hindurch wird es den Menschen offenbar.

Welch ein Geheimnis! Beschämend für unsere kurzsichtige, menschliche Vernunft! Würden wir da nicht, falls wir nur um die Sendung Jesu gewusst hätten, gleich einigen seiner Verwandten während seiner öffentlichen Tätigkeit versucht sein, ihm zu sagen: »Offenbare dich der Welt; denn niemand wirkt im Verborgenen, wenn er öffentlich bekannt werden will (Joh 7, 4).

Aber Gottes Gedanken sind nicht die unseren, und seine Wege gehen weit über die unseren hinaus. Jener, der da kam, um die Welt zu erlösen, wollte sie retten durch ein der Welt ganz verborgenes Leben.

Dreißig Jahre lang hat der Welterlöser als schlichter Handwerksmann in der Werkstätte von Nazareth gearbeitet und Gehorsam geübt. Die ganze Wirksamkeit dessen, der da kam als Lehrer der Menschheit, um ihr das himmlische Erbe zurückzugeben, bestand darin, still verborgen zu bleiben, in schweigendem Gehorsam zweien seiner Geschöpfe in der Alltagsaufgabe des täglichen Lebens dienstbar zu sein.

O, mein Heiland und Erlöser! Du bist wahrhaft ein verborgener Gott! Wohl hast du während dieser Zeit zunehmen wollen an »Alter und Gnade vor Gott und den Menschen« (Lk 2, 52); aber vom ersten Augenblick deines Eintrittes in diese Welt an umschloss deine Seele die ganze Fülle der Gnade, alle Schätze der Weisheit und Wissenschaft! Du aber wolltest, dass diese Weisheit und Gnade sich nur nach und nach offenbare. Vor den Augen der Menschen bleibst du ein verborgener Gott. Unter dem unscheinbaren Gewand des Arbeiters verbirgt sich deine Gottheit. O, ewige Weisheit, die du, um uns aus dem Abgrund emporzuziehen, in den uns der hochmütige Ungehorsam Adams gestürzt hat, dich in eine arme Werkstätte verbergen und deinen eigenen Geschöpfen gehorsam werden wolltest, ich bete dich an und beneide dich!

In den Augen seiner Zeitgenossen verlief das Leben Jesu in Nazareth wie das eines armen Handwerkers. Das zeigt sich deutlich, als der Herr später in seinem öffentlichen Leben solch himmlische Weisheit offenbarte, dass die Juden hocherstaunt über die Heiligkeit seiner Lehre und die Größe seiner Wunder sich fragen: » Woher kommt diesem solche Weisheit und Wunderkraft ? Ist er nicht der Sohn des Zimmermanns? Heißt seine Mutter nicht Maria? Woher mag er denn das alles haben« (Mt 13, 54 ff)? Christus war für sie ein Stein des Anstoßes; denn sie hatten bisher in ihm nur einen Zimmermann gesehen.

Das Geheimnis dieses verborgenen Lebens enthüllt reiche Lehren, die ein gläubiges Gemüt eifrigst bestrebt sein soll, sich anzueignen.

Wir ersehen daraus zunächst, dass in den Augen Gottes nur das groß und wertvoll ist, was mit der Gnade Christi zu seiner größeren Ehre geschieht. Wir sind Gott wohlgefällig nur insoweit, als wir seinem göttlichen Sohn ähnlich sind.

Weil Christus Gottes Sohn ist, haben auch seine kleinsten Werke einen unendlichen Wert. Jesus Christus ist seinem ewigen Vater ebenso wohlgefällig und für uns ebenso anbetungswürdig, da er mit Säge und Hobel arbeitet, als da er, um die Menschheit zu erlösen, am Kreuzholz stirbt. Uns macht die Heiligmachende Gnade zu Kindern Gottes, vergöttlicht somit in der Wurzel all unser Wirken und macht uns wie Jesus, wenn auch in anderer Weise, Gott wohlgefällig.

Die seltensten Geistesgaben und Talente, die erhabensten Gedanken, ja die hochherzigsten Taten und bewunderungswürdigsten Leistungen sind ohne Verdienst für die Ewigkeit, wenn sie nicht belebt sind von der Heiligmachenden Gnade. Die Welt, die da vergeht mit all ihrem Schein, mag solche Werke preisen und ihren Ruhm bis zum Himmel erheben. Die Ewigkeit aber, die allein besteht, erkennt sie nicht an und zählt sie nicht. Vor ihr sind sie wertlos. »Was nützt es dem Menschen«, sagt Jesus, die ewige Wahrheit, »wenn er die ganze Welt gewinnt« (Mt 16, 26)? Mag er sie nun erobern durch kriegerische Heldentaten oder herrschen durch die Macht des Wortes und den Umfang des Wissens, ohne meine Gnade bedeutet das alles nichts in meinem ewigen Gottesreich.

Ein armer Arbeiter hingegen, der kaum verdient, was er zum kargen Leben nötig hat, eine demütige Dienstmagd, die die Welt nicht achtet, ein armer Bettler, der ein elendes Dasein fristet, sie alle leben verborgen und unbekannt, und niemand kümmert sich um sie. Und doch, wenn sie die Gnade Gottes in sich tragen, sind ihre Seelen den Engeln ein Anblick des Entzückens, und der ewige Vater, Gott, der Unendliche, der allein ewig Bestehende hat seine Freude an ihnen; denn diese Seelen tragen durch die Gnade das Abbild Jesu Christi, des Gottessohnes selbst, in sich.

Die Heiligmachende Gnade ist somit die erste Ursache unserer wahren Größe. Sie allein gibt unserem Leben, mag es nach außen hin noch so alltäglich und gewöhnlich erscheinen, wahren Adel und unvergänglichen Wert.

O, dass wir die Gnade Gottes doch erkennen würden! Aber diese Gabe ist verborgen. Das Reich Gottes wird im Stillen ausgebaut. Es ist vor allem ein inneres, in den Tiefen der Seele verborgenes Reich »Euer Leben ist mit Christus verborgen in Gott« (Kol 3, 3). Zweifellos wohnt der Gnade eine Kraft inne, die sich fast immer auch nach außen hin offenbart durch die Ausstrahlung der guten Werke. Die Quelle ihrer Wirksamkeit aber liegt innerlich verborgen. Tief im Herzen ruht die eigentliche Triebkraft des christlichen Lebens, dort, wo Gott selber thront, wo ihm in gläubiger Andacht, in demütigem Gehorsam und einfältig liebendem Tun wahre Anbetung und stiller Gottesdienst erwiesen wird.

All unser äußeres Wirken hat nur insoweit Bestand und übernatürliche Fruchtbarkeit, als es aus diesem inneren Leben hervorgeht. Je glühender, übernatürlich inniger die Seele in Liebe entbrennt, umso ersprießlicher wird auch nach außen hin all ihre Tätigkeit sein.

Was können wir Wichtigeres tun auf Erden, als Christi Reich in den Seelen fördern? Welches Werk wäre größer als dieses oder überhaupt nur ihm vergleichbar? Das ist ja das ganze Werk Christi und seiner Kirche.

Dieses Werk aber können wir nur durch jene Mittel fördern, die uns Christus, unser göttliches Haupt selbst, in die Hand gegeben hat. Seien wir doch ganz überzeugt, dass wir für die Kirche Gottes, für das Heil der Seelen und die Ehre Gottes mit viel mehr Erfolg wirken werden, wenn wir zuvor uns bemühen, durch ein Leben in Glaube und Liebe innigst mit Gott vereint zu bleiben, als wenn wir in fieberhaft verzehrendem Eifer arbeiten wollten, ohne uns Zeit und Muße zu gönnen, um Gott in Einsamkeit und Sammlung, in Gebet und Selbstverleugnung zu suchen.

Nichts aber fördert diese innige Vereinigung mit Gott so sehr wie das verborgene Leben. Darum auch haben wahrhaft innerliche, von Gott erleuchtete Seelen eine solche Vorliebe für das verborgene Leben Jesu in Nazareth. Sie finden dort, von besonderer Lieblichkeit umwoben, die tiefsten Quellen der Heiligkeit.

5. Das innere Leben Mariens während dieser Jahre der Verborgenheit

Die allerseligste Jungfrau Maria vor allem wird uns Anteil erwirken an den Gnaden, die Christus durch sein verborgenes Leben in Nazareth uns verdient hat. Diese demütige Jungfrau kennt am besten die heilige Fruchtbarkeit dieses still verborgenen Lebens; denn sie ist vor allen andern mit dessen Schätzen überhäuft worden. Diese Jahre mussten ja für die Mutter Jesu eine immer neu sprudelnde Quelle unschätzbarer Gnaden sein. In ehrfürchtigem Staunen nur wagt sich unser Denken an dieses Geheimnis, und was man ahnend zu schauen vermeint, können Worte nicht ausdrücken.

Was müssen doch diese dreißig Jahre, wo jede Miene, jedes Wort und jede Handlung Christi für Maria eine neue Offenbarung war, für die Mutter Jesu gewesen sein! Gewiss gab es da vieles, was auch für die Gottesmutter unbegreiflich blieb. Wie wäre es möglich, dem Unendlichen beständig so nahe zu sein wie es bei Maria der Fall war, ohne zu ahnen und zu empfinden, wie geheimnisvoll solche Nähe ist! Gleichwohl aber war ihre reinste Seele von überreicher Lichtfülle überflutet. Und in jedem Augenblick dieses innigen Zusammenlebens mit ihrem göttlichen Kind, das vor ihren Augen arbeitete und ihrem Wort gehorchte, musste sie immer mehr und mehr entflammt werden von heiligster Liebesglut.

Maria lebte zu Nazareth mit Jesus in einer Gemeinschaft, die jeden Begriff übersteigt. Sie waren in Wahrheit ein Geist, Herz, Seele und Leben der allerseligsten Jungfrau war in vollkommenstem Einklang mit dem Geist, dem Herzen der Seele und dem Leben Jesu. In Ihrem allerreinsten, vollkommenen und liebedurchglühten Leben pulsierte gleichsam, wenn man so sagen darf, das Leben Jesu selbst.

Woraus aber schöpfte Maria diese liebende Einheit mit Jesus? Aus ihrem Glauben! Der Glaube der allerseligsten Jungfrau ist die Tugend, die sie vorzüglich kennzeichnet. Wie wunderbar hingebend ist ihr Glaube an die Botschaft des Engels! Der Himmelsbote verkündet ihr ein unerhörtes Geheimnis, das die Natur in Staunen versetzen und all ihre Gesetze umstoßen wird: Die Menschwerdung Gottes im Schoß einer Jungfrau! Was sagt Maria zu solch unglaublicher Mitteilung? »Siehe, ich bin eine Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Worte« (Lk 1, 38)! Weil sie in demütigstem Glauben dem Worte des Engels die Zustimmung ihres Geistes gab, ward sie gewürdigt, Mutter des menschgewordenen Wortes zu sein. »Zuerst empfing sie im Herzen, bevor sie im Schoß empfing« (S. August., De virgin. c. 3; Sermo 215 n. 4. S. Leo, Sermo 1. de nativitate Domini c. 1; S. Bernhard, Sermo 1. de Vigilia Nativit.).

Mariens Glaube an die Gottheit Jesu hat niemals gewankt. Immer erkannte sie in ihrem Kind den unendlichen Gott.

Aber dieser Glaube hat harte Proben bestehen müssen. Ihr Sohn ist Gott. Der Engel hat ihr verkündet, dass er den Thron Davids besitzen, die Welt erlösen und ohne Ende herrschen werde. Dann aber weissagt Simeon, dass Jesus »ein Zeichen des Widerspruchs sein wird, gesetzt zum Fall wie zur Erlösung«. Maria muss nach Ägypten fliehen, um ihr Kind der Wut des Herodes zu entziehen. Sie sieht ihren Sohn, der Gott ist und der gekommen ist, die Menschen zu erlösen, dreißig Jahre lang in einer armen Werkstätte ein Leben der Arbeit, des Gehorsams und der Verborgenheit führen. Sie wird ihn sehen, gehasst und verfolgt von den Pharisäern, von den Seinen verlassen, seinen Feinden ausgeliefert, am Kreuz hängend, mit Schmach und Spott gesättigt, in einem Meer von Leiden schmachtend; sie wird seine laute Klage über seine Verlassenheit vom Vater hören müssen; aber ihr Glaube bleibt unerschüttert. Ja, gerade da, am Fuß des Kreuzes, strahlt er in vollstem Glanz. Immer schaut Maria in ihrem Sohn ihren Gott, und darum preist die Kirche sie als die im Glauben »getreue Jungfrau« (Lauretanische Litanei).

Dieser Glaube ist auch die Quelle der Liebe Mariens zu ihrem Sohn. Durch diesen Glauben blieb sie ihrem Sohn immer innigst vereint bei seinem bittern Leiden und blutigen Opfertod.

Bitten wir doch die allerseligste Jungfrau, sie möge auch uns diesen festen Glauben der Tat erflehen, der in wahrer Liebe und in der Erfüllung des göttlichen Willens seine Vollendung findet. »Siehe, ich bin eine Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort!« Das ganze Leben Mariens liegt in diesem Wort beschlossen. O, dass es auch in unserm Leben Wahrheit würde! Dieser feurige Glaube war für die Gottesmutter nicht nur ein Quell der Liebe; er bildete auch die Ursache all ihrer Freuden. Der Hl. Geist selbst offenbart uns dies, da er Maria durch den Mund ihrer Base Elisabeth »seligpreist, weil sie geglaubt hat« (Lk 1, 45).

Das gilt auch für uns - Der hl. Lukas erzählt uns, dass einmal nach einer Predigt des Herrn eine Frau aus dem Volk die Stimme erhob und rief: »Selig ist der Leib, der dich getragen, und selig die Brust, die dich genährt hat.« Jesus aber erwidert darauf: »Vielmehr noch sind selig, die das Wort Gottes hören und es befolgen« (Lk 11, 27). Der Heiland widerspricht hier keineswegs dem Zuruf der jüdischen Frau; er hat doch selbst das Herz seiner Mutter mit unaussprechlichen Freuden erfüllt. Er will uns nur zeigen, wo wir ebenso wie Maria die Quelle der Freude suchen sollen. Das Vorrecht der Gottesmutterschaft genießt nur Maria. Ihr allein unter allen Geschöpfen hat Gott von Ewigkeit her die unfassbare Aufgabe zugedacht, Mutter seines Sohnes zu sein. Das ist die Grundlage aller Gnadenvorzüge Mariens.

Der Heiland aber will uns hier zu verstehen geben, dass, gleichwie Maria der Freuden der göttlichen Mutterschaft gewürdigt ward wegen ihres Glaubens und ihrer Liebe, auch wir verdienen können, ihm zwar nicht das leibliche Leben, wohl aber die freudenreiche Geburt in unserer Seele zu geben. Das geschieht, wenn wir das Wort Gottes hören und durch liebende Beobachtung seiner Gebote es befolgen.

Darin liegt für uns wie für Maria die Quelle der reinsten Seelenfreude. Das ist für uns der Weg zum Glück. Wenn wir unser Herz gläubig den Worten Jesu neigen, seinem Willen gehorchen und liebend mit ihm vereinigt bleiben, dann werden wir ihm so teuer, dass wir nach seinen eigenen Worten »ihm Bruder, Schwester und Mutter sind« (Mt 12, 50; Lk 8, 21; Mk 3, 35).

Können wir uns eine innigere und fruchtbarere Liebesvereinigung wünschen?

X. DIE TAUFE UND DIE VERSUCHUNG JESU

Die Weisheit Gottes hat in den Geheimnissen des Lebens Jesu auf Erden die Ereignisse derart angeordnet, dass sich an jede Erniedrigung des Herrn eine besondere Offenbarung seiner Gottheit knüpft, so dass Christus uns sogleich in der Wahrheit seiner göttlichen Natur wie in der Wirklichkeit seines menschlichen Wesens erscheint.

Durch diese heilige Anordnung will Gott unsern Glauben, der die Wurzel und Grundlage alles übernatürlichen Lebens bildet, stützen und zur Übung anregen. Die geheimnisvolle Erniedrigung, die Christus aus Liebe zu uns auf sich genommen hat, macht den Glauben verdienstlich, während hinwiederum die Offenbarung seiner göttlichen Vorrechte ihm Stütze und Halt gibt.

In den Geheimnissen der Geburt und Kindheit Jesu begegnen uns immer wieder die Gegensätze von Licht und Schatten, die unsern Glauben »vernünftig« machen und ihm doch ganz freies Spiel lassen. Im öffentlichen Leben prägen sich diese Gegensätze so stark aus, dass die Juden häufig in heftigen Streit über die Person Christi geraten. Den einen erscheint er nur als der Zimmermannssohn von Nazareth, während die andern in ihm den Gesandten des Höchsten zur Erleuchtung und Rettung der Welt sehen, wie ihn die Propheten verkündet haben.

Diese übernatürliche Anordnung finden wir auch in den Ereignissen, mit welchen Christus nach Abschluss der dreißigjährigen Verborgenheit sein öffentliches Leben beginnt, seiner Taufe im Jordan nämlich und der Versuchung in der Wüste.

Wir wollen den Herrn in diesen beiden so eng miteinander verbundenen Geheimnissen betrachten. Wir werden daraus ersehen, wie wunderbar die Gedanken der ewigen Weisheit sind und bis zu welchem Grad Christus, unser Vorbild, sich herablässt uns voranzugehen auf dem Weg, auf dem wir ihm nachfolgen müssen, um ihm ähnlich zu werden.

1. Der Heiland kommt zu Johannes, um die Bußtaufe zu empfangen. Tiefe Demut des Herrn, die sich hier offenbart

Gottes Vorsehung hat Johannes, den Sohn des Zacharias und der Elisabeth, zum Vorläufer ausersehen, der den Juden die Ankunft des menschgewordenen Wortes verkünden sollte.

Nach einem Leben strenger Buße hatte Johannes aus Anregung des Hl. Geistes im Alter von ungefähr 30 Jahren seine Predigt an den Ufern des Jordan begonnen. Seine ganze Lehre gipfelte in den Worten: »Tut Buße; denn das Himmelreich ist nahe« (Mt 3,2). Mit diesen Worten der Aufmunterung verband er die Taufe im Wasser des Flusses, um seine Zuhörer auf die Notwendigkeit hinzuweisen, ihre Herzen zu reinigen, um sich damit auf die Ankunft des Erlösers vorzubereiten. Diese Bußtaufe ward nur jenen gespendet, die als Sünder reumütig ihre Schuld bekannten.

Eines Tages nun, da Johannes eben wieder »seine Taufe zur Vergebung der Sünden« (Mk 1, 4; Lk 3, 3) spendete, trat auch Jesus hinzu; denn seine Stunde, da er die Verborgenheit verlassen und den Menschen die Geheimnisse Gottes offenbaren sollte, war gekommen. So steht er nun vor Johannes, inmitten der Sünder, um die Bußtaufe zu empfangen.

Wie sollten wir arme, sündige Menschen nicht tief beschämt dastehen, wenn wir gläubig erwägen, dass die zweite Person der allerheiligsten Dreifaltigkeit, vor der die Engel ihr Antlitz verhüllen und unaufhörlich »heilig, heilig, heilig« (Jes 6, 3) rufen, so tief herabsteigt und freiwillig nach der Bußtaufe verlangt!

Der Apostel nennt Christus »heilig, schuldlos, rein, nicht aus der Zahl der Sünder« (Hebr 7, 26). Hier aber erscheint er wie ein Schuldbeladener und begehrt die Taufe zur Nachlassung der Sünden. - Warum solche Erniedrigung?

Während seines ganzen irdischen Daseins musste das menschgewordene Wort eine zweifache Aufgabe erfüllen: Es musste sich in Rücksicht auf den göttlichen Ursprung zeigen als Gottessohn, ebenso aber als Haupt eines sündigen Geschlechts, dessen Natur er angenommen hat, weil er kam, um dasselbe zu erlösen.

Als Gottessohn hat er Anspruch aus den Platz zur Rechten des Vaters, um teilzunehmen an der Herrlichkeit des himmlischen Reiches.

Als Haupt des Menschengeschlechtes jedoch hatte er eine Natur angenommen, die zwar in ihm vollkommen rein und sündelos, dem Geschlecht nach aber schuldbeladen war, und so ward er erfunden »in der Gestalt des sündigen Menschen« (Röm 8, 3). Als Haupt seines mystischen Leibes konnte er nur in den Himmel eintreten, nachdem er zuvor durch alle Demütigungen seines Lebens und durch sein schmerzliches Leiden hindurchgegangen war. »Musste nicht Christus dieses leiden und so in seine Herrlichkeit eingehen« (Lk 24, 26)? Weil Christus die göttliche Natur eignete, »hielt er es«, wie der hl. Paulus sagt (vgl. Phil 2, 6), »nicht für ein Unrecht, dass er sich an Vollkommenheit dem Vater gleich betrachtete.« Unsertwegen jedoch und um unsers Heiles willen stieg er in die Tiefen der Erniedrigung hinab. Deshalb hat sein Vater ihn erhöht und ihm den Namen Jesus gegeben, den Namen, der unsere Erlösung bezeichnet. In ihm aber hat er auch uns erhöht und »uns mitversetzt in das Himmelreich« (Eph 2, 6). Wahrlich, »als unser Vorläufer ist Jesus vorangegangen ins Himmelreich« (Hebr 6, 20).

Gleichwohl wird er dort seinen Einzug erst halten, nachdem er mit seinem Blut der göttlichen Gerechtigkeit an unserer Statt das Lösegeld bezahlt hat »Mit seinem eigenen Blut ging er ein in das Allerheiligste, da er eine ewige Erlösung vollbracht hatte« (Hebr 9, 12).

Christus ist gekommen, uns der Knechtschaft des Teufels zu entreißen, die wir infolge der Sünde auf uns geladen hatten; denn »wer Sünde tut, ist Sklave der Sünde« (Joh 8, 34). Er kam, um uns zu befreien von der ewigen Strafe, die Satan im Dienste der ewigen Gerechtigkeit über uns verhängen sollte. »Der Richter übergibt dich dem Gerichtsdiener« (Mt 5, 25).

Das menschgewordene Wort Gottes, der Menschensohn, verwirklicht diese Erlösung aber nur dadurch, dass er sich freiwillig an unsere Stelle setzte, unsere Schuld auf sich nahm und für uns Sünder als Sünde beladen erschien, weil Gott ihn nach den Worten des hl. Paulus gleichsam zur lebendigen Sünde machte. »Ihn, der die Sünde nicht kannte, hat er für uns zur Sünde gemacht« (2 Kor 5, 21).

Wie unsere Sünde, so hat er auch unsere Strafe auf sich genommen; darum musste er untertauchen in einem Meer von Schmach und Erniedrigung.

So war es bestimmt im ewigen Ratschluss Gottes. Nun verstehen wir aber auch, warum Jesus gleich zu Beginn seines öffentlichen Lebens, da er im Begriff stand, sein Erlösungswerk feierlich einzuleiten, sich einer solchen Übung tiefer Demut, die ihn den Sündern gleich stellte, unterworfen hat.

Daher musste es auch geschehen, dass Johannes, der infolge übernatürlicher Erleuchtung ihn als Gottessohn erkannte, als jenen, von dem er selbst gesagt hatte, dass er vor ihm war und dessen Schuhriemen aufzulösen er, der Täufer, nicht würdig sei (Joh 1, 27; vgl. Mt 3, 11; Mk 1, 7; Lk 3, 16), sich mit aller Gewalt dem Ansinnen widersetzte, ihm die Bußtaufe zu spenden. »Ich müsste von dir getauft werden, und du kommst zu mir.« Aber der Heiland erwidert ihm: »Lass es nur geschehen, es geziemt sich, dass wir alle Gerechtigkeit erfüllen« (Mt 3, 14).

Welches ist diese Gerechtigkeit? - Es sind die Erniedrigungen, die Jesus in seiner anbetungswürdigen Menschheit auf sich nimmt und die als vollkommenste Huldigung der unendlichen Heiligkeit Gottes das vollwertige Lösegeld für alle unsere Schulden gegen Gottes Gerechtigkeit darstellen. Der gerechte, unschuldige Jesus nimmt die Stelle der ganzen sündigen Menschheit ein, er, »der Gerechte für die Ungerechten« (1 Petr 3, 18). Durch sein Opfer ist er »das Lamm Gottes geworden, das die Sünden der Welt hinweg nimmt« (Joh 1, 29). Er ist »die Sühne für die Sünden der ganzen Welt« (1 Joh 2, 2) und hat somit »alle Gerechtigkeit erfüllt«.

So oft wir dieses bedeutsame Wort unseres Heilandes erwägen, sollten wir uns nach seinem Beispiel verdemütigen. Wir sollten uns bekennen als arme, schuldbeladene Sünder und den Verzicht auf die Sünde und alle Anhänglichkeit an dieselbe, welche wir in der Taufe beschworen haben, erneuern. Auf diese Taufe, die höher sei als die seinige, weil sie von Christus selbst eingesetzt werden sollte, wies der Vorläufer hin. »Ich taufe euch nur mit Wasser zur Buße. Der aber, der nach mir kommt, ist mächtiger als ich. Er wird euch mit dem Geist und mit Feuer taufen« (Mt 3, 2; Mk 1, 8; Lk 3, 16). Die von Christus eingesetzte Taufe ist äußerlich eine Wassertaufe wie die des Johannes; aber wenn sie erteilt wird, reinigt die Kraft des Hl. Geistes, die ein geistiges Feuer ist, die Seelen innerlich und wandelt sie um durch »das Bad der Wiedergeburt und durch die Erneuerung im Hl. Geiste« (Tit 3, 8).

Wir sollen recht oft den Verzicht auf die Sünde, den unser Taufgelübde ausdrückt, erneuern. Das durch die hl. Taufe der Seele aufgedrückte Unauslöschliches MerkmalMerkmal bleibt unauslöschlich in ihr haften, und wenn wir unsere bei der hl. Taufe gemachten Versprechungen erneuern, geht von der Taufgnade eine neue Kraft aus, die uns stärkt im Kampf gegen alles, was zur Sünde führt, gegen die Einflüsterungen des Teufels und die Verlockungen der Welt und des Fleisches. Nur um diesen Preis wird es uns gelingen, das Leben der Gnade in uns zu bewahren.

Dadurch werden wir auch dem lieben Heiland unsere innige Dankbarkeit beweisen dafür, dass er unsere Schuld auf sich geladen hat, um uns davon zu befreien. »Er hat mich geliebt«, sagt der hl. Paulus, der von diesem Geheimnis unendlicher Liebe spricht, »und sich für mich dahin gegeben« (Gal 2, 20).

So will auch ich nur für ihn leben, für seine Ehre und nicht für mich, nicht der Befriedigung meiner Wünsche und meiner Eigenliebe, meines Hochmutes und Ehrgeizes, »damit die da leben, nicht mehr für sich leben, sondern für den, der für sie gestorben und auferstanden ist« (2 Kor 5, 15).

2. Verherrlichung Jesu durch den Vater, da er emporsteigt aus dem Wasser. Das Zeugnis des ewigen Vaters zu Beginn der öffentlichen Lehrtätigkeit enthüllt uns eine Seite der Erlöseraufgabe des Herrn

Nach der Taufe stieg Jesus aus dem Wasser. »Und siehe, da öffnete sich ihm der Himmel, und er sah den Geist Gottes gleich einer Taube herabschweben und auf sich zukommen, und eine Stimme rief vom Himmel: Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe« (Mt 3, 20ff.; Mk 1, 10ff.; Lk 3, 21).

Diese geheimnisvolle Begebenheit ist ein herrlicher Beweis jenes göttlichen Gesetzes, dessen wir oben gedachten. Christus musste verherrlicht werden, weil er um unsertwillen solche Erniedrigung auf sich genommen hat.

Jesus lässt sich soweit herab, dass er sich den Sündern gleichstellt. Alsogleich öffnet sich der Himmel, um ihn zu verherrlichen. - Er verlangt, die Taufe der Buße und Versöhnung zu empfangen, und der Hl. Geist bezeugt, dass er auf ihm ruht mit der Fülle seiner Gnade. - Er bekennt sich strafwürdig vor der göttlichen Gerechtigkeit, und der Vater erklärt, dass er sein Wohlgefallen an ihm habe. »Er hat sich selbst erniedrigt, und darum hat ihn Gott erhöht« (Phil 2, 8 ff).

Diese feierliche Verherrlichung Jesu gilt aber nicht nur seiner allerheiligsten Person; sie hat eine weittragende Bedeutung, die wir hier hervorheben müssen.

In eben diesem Augenblick wird die Sendung Jesu, als von Gott ausgehend, feierlich bestätigt! Das Zeugnis des Vaters ist gleichsam die Beglaubigung Christi vor der Welt und hängt somit aufs engste mit einem der Hauptmerkmale des Erlösungswerkes Christi zusammen.

Wir dürfen nicht vergessen, dass die Aufgabe Jesu eine doppelte war: Erlösung sowohl als Heiligung der Seelen. Der Heiland wollte die Seelen erlösen und den Erlösten dann sein Leben mitteilen.

Darin besteht das ganze Erlösungswerk Christi. Beide Aufgaben sind unzertrennlich, wenn auch verschieden.

Wir finden sie im Keim schon in den Begleitumständen der Taufe Christi, die sein öffentliches Leben einleitete.

Wir haben bereits gesehen, wie das menschgewordene Wort beim Empfang der Bußtaufe sich als den versprochenen Erlöser kund gibt. Der Erlöser sollte seine Aufgabe dadurch vollenden, dass er uns in Kraft der Verdienste seines Leidens und Todes das göttliche Leben mitteilt. »Gott hat seinen Sohn in die Welt gesandt, damit wir durch ihn leben« und »damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern das ewige Leben habe« (Joh 4, 9; 3, 15).

Das ewige Leben in uns entspringt einem übernatürlichen Licht. Im Himmel ist es das Licht der beseligenden Anschauung Gottes selbst. »In dir ist die Quelle des Lebens, und in deinem Licht sehen wir das Licht« (Ps 36, 10).

Auch hienieden ist die Quelle unseres übernatürlichen Lebens ein Licht, das Licht des Glaubens. Der Glaube ist eine Teilnahme an der Erkenntnis, die Gott von sich selbst hat. Diese Teilnahme wird uns durch das menschgewordene Wort Gottes übermittelt und wird in uns zu einer Leuchte, die uns führt auf all unseren Wegen und daher unsere ganze übernatürliche Tätigkeit beleben muss. »Mein Gerechter lebt aus dem Glauben« (Hebr 10, 38).

Die Grundlage dieses Glaubens aber ist das Zeugnis, das der ewige Vater seinem Sohn gab. »Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe.« 

Christus ist der Welt feierlich als Abgesandter des Vaters vorgestellt. Alles, was er uns sagen wird, ist der Widerhall jener ewigen Wahrheit, die er unablässig schaut im Schoß des Vaters. »Der Eingeborene, der im Schoß des Vaters ruht, hat Kunde von ihm gebracht« (Joh 1, 18). »Nicht seine Lehre trägt er vor, sondern die des Vaters, der ihn gesandt hat« (vgl. Joh 7, 16). Er wiederholt nur, was er selbst vernommen hat. Darum kann der Heiland am Ende seines Lebens sagen: »Vater, ich habe das Werk vollbracht, das zu vollbringen du mir aufgetragen hast. Ich habe deinen Namen den Menschen geoffenbart« (Joh 17, 4).

Die Worte des Heilandes haben nicht in allen Herzen jenes Licht entzündet, das ihnen zur Quelle des Heiles und Lebens werden sollte. Christus ist »das Licht der Welt«, aber nur wer ihm folgt und nicht im Dunkeln wandelt, gelangt zu jenem ewigen Licht, das die Quelle unseres Lebens im Himmel sein wird. »Wer mir nachfolgt, der wandelt nicht im Finstern, sondern hat das Licht des Lebens« (Joh 8, 12). Gott erkennt als die Seinen nur jene, die den Sohn aufnehmen. Wer jedoch das Wort Christi mit Nutzen hören will, muss vom Vater »gezogen« sein. »Alles, was der Vater mir gibt, kommt zu mir« (Joh 6, 37). Darum hören auch jene nicht auf die Stimme des Sohnes, die der Vater nicht an sich zieht. »Ihr hört sie nicht, weil ihr nicht aus Gott seid« (Joh 8, 47). Welche aber sind es, die der Vater an sich zieht? Nur jene, die an seinen Sohn glauben. »Wer bekennt, dass Jesus der Sohn Gottes ist, der ist aus Gott geboren« (Joh 4, 15).

Darum bildet das öffentliche Zeugnis des Vaters nach der Taufe zugleich den Ausgangspunkt des öffentlichen Lebens Jesu, des menschgewordenen Wortes, des Lichtes der Welt, und zugleich die Grundlage des christlichen Glaubens und all unserer Heiligung.

So enthält das Geheimnis der Taufe Jesu, das als Wahrzeichen am Anfang seines öffentlichen Lebens steht, eine Zusammenfassung der gesamten Erlöseraufgabe des Herrn.

Durch die Demütigung, die der Heiland auf sich nehmen wollte, indem er die Bußtaufe »zur Vergebung der Sünden« empfing, die einen Hinweis aus seine blutige Taufe am Kreuz bildete, hat er alle Gerechtigkeit erfüllt. Schon jetzt leistet er der durch die Sünde beleidigten unendlichen Majestät des Vaters die höchste Huldigung jener Selbstentäußerungen, durch die er unsere Erlösung verwirklichen sollte.

Dafür eröffnet sich ihm der Himmel! Der Vater führt den Sohn rechtskräftig in die Welt ein. Der Strahl himmlischer Offenbarung, der dieses göttliche Zeugnis umgibt, kündet die Aufgabe an, die der Heiland erfüllen sollte zur Erleuchtung der Seelen. Der Hl. Geist ruht auf ihm, um die Fülle der Gaben anzudeuten, welche die heiligste Seele Jesu schmücken, und zugleich die gnadenreiche Salbung zu versinnbilden, die Christus der Welt mitteilen sollte.

Die Taufe im Glauben an Jesus Christus ist für uns zum Sakrament der Gotteskindschaft und der Einführung ins christliche Leben geworden. Sie wird uns erteilt im Namen der allerheiligsten Dreifaltigkeit, jener Dreifaltigkeit eben, die sich uns am Jordan geoffenbart hat.

Geheiligt durch die Berührung mit der allerheiligsten Menschheit Jesu, in Verbindung mit »dem Wort der Wahrheit« (Jak 1,18), wohnt dem Wasser nun die Kraft inne, die Sünden jener zu tilgen, die ihre Schuld verabscheuen, ihren Glauben an die Gottheit Christi bekennen. Sie ist nun nicht mehr lediglich eine» Wassertaufe zur Vergebung der Sünden«, sondern die Taufe im Hl. Geiste, der allein »das Angesicht der Erde erneuern kann« (vgl. Ps 103, 30). Er macht uns, die wir »Kinder des Zornes« waren (Eph 2, 3), zu Kindern Gottes, die fortan wie Jesus, wenn auch nicht im gleichen Maße, Anteil haben am Wohlgefallen des Vaters.

Daher sagt der hl. Paulus, dass wir in der Taufe den alten Menschen« (der von Adam stammt) mit seinen Werken des Todes ausgezogen und den neuen Menschen (wieder geboren durch das Wort Gottes und den Hl. Geist) angezogen haben, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit, der sich »unablässig erneuert nach dem Bild seines Schöpfers« (Kol 3, 9 ff; Eph 4, 24).

Wir sehen also, dass die Taufe, wie sie für Christus die Zusammenfassung seiner ganzen Sendung zu unserer Erlösung und Heiligung enthält, auch für uns im Keime die gesamte Entwicklung des christlichen Lebens nach seinen zwei Seiten hin dem »Absterben der Sünde« und dem »Leben für Gott« (Röm 6, 11) umschließt.

Denn es ist buchstäblich wahr, was der Apostel sagt, dass »alle, die getauft sind, Christus angezogen haben« (Gal 3, 27). Es ist wahr, dass wir eins sind mit Christus in allen seinen Geheimnissen.

Glücklich fürwahr ist das Los des Christen! Wie töricht aber die Verblendung jener, die ihres Taufgelübdes vergessen! Wie schrecklich das Schicksal jener, die es verachten und mit Füßen treten!

»Die Axt ist schon an die Wurzel gelegt«, sagte Johannes zu den Juden; »jeder Baum, der keine Frucht trägt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen werden.« ... »Jener, der nach mir kommen wird, ist mächtiger als ich. Mit der Wurfschaufel in der Hand wird er seine Tenne reinigen: Das Korn in seine Scheune bringen, die Spreu aber in unauslöschlichem Feuer verbrennen« (Mt 3, 10 ff; Lk 3, 9 ff). »Der Vater liebt den Sohn und hat alles in seine Macht gegeben. Wer an den Sohn glaubt (mit lebendigem Glauben), hat das ewige Leben. Wer aber auf den Sohn nicht hören will, wird das Leben nicht sehen, sondern dem Zorn Gottes verfallen« (Joh 3, 35 ff).

3. Gleich nach der Taufe wird der Herr vom Hl. Geiste in die Wüste geführt, um dort vom Teufel versucht zu werden

Gleich nach der Taufe ward Jesus, so berichtet das Evangelium, durch den Geist in die Wüste geführt. Die einzelnen Evangelisten bezeichnen diese Wirkung des Hl. Geistes mit verschiedenen Ausdrücken. Matthäus sagt: »Jesus wurde geführt« (4, 1); Lukas: er wurde »getrieben« (4, 1); Markus: der Hl. Geist habe ihn »hinausgestoßen in die Wüste« (1, 12). Diese Mannigfaltigkeit der Ausdrücke soll ohne Zweifel die gewaltige innere Einwirkung des Hl. Geistes auf die Seele Jesu bezeichnen. Zu welchem Zwecke aber ward Jesus in die Wüste geführt? »Damit er vom Teufel versucht werde«, so sagt das hl. Evangelium.

Ist das nicht auffallend? Soeben noch hat der ewige Vater erklärt, dass Jesus sein vielgeliebter Sohn sei, an dem er sein Wohlgefallen habe. Der Hl. Geist ist über ihn herabgestiegen; und nun sagt uns das Evangelium, dass eben dieser Hl. Geist ihn »sofort« in die Wüste führt, damit er dort vom Teufel versucht werde. Welch ein Geheimnis: Wozu diese ganz außergewöhnliche Begebenheit im Leben Jesu? Warum steht gerade diese am Beginn seines öffentlichen Lebens?

Um die Bedeutung dieses geheimnisvollen Vorganges zu erfassen, wollen wir, ehe wir ihn nach dem Berichte des Evangeliums betrachten, uns zunächst klar zu werden suchen über den Zweck der Versuchung in unserm geistlichen Leben.

Es entspricht der göttlichen Vollkommenheit, dass ein mit Vernunft und freiem Willen begabtes Geschöpf einer Prüfung unterworfen werde, bevor es zum Genuss der ewigen Seligkeit gelangen kann. Ein solches Geschöpf soll vor Gott die Prüfung bestehen, dass es freiwillig der eigenen Befriedigung entsage, um im Gehorsam gegen Gottes Gesetz die Oberhoheit Gottes anzuerkennen. Gottes Heiligkeit und Gerechtigkeit verlangen diese Huldigung.

Diese freie Wahl des Geschöpfes, die den unendlichen Gott verherrlicht, ist die Grundlage alles Verdienstes, dem die ewige Seligkeit als Lohn verheißen ist. Das Konzil von Trient hat erklärt, dass es Gott ist, der uns das ewige Heil verleiht, und zwar in der Weise, dass dieses ewige Gut sowohl ein Geschenk seiner Barmherzigkeit als auch der Lohn für unsere Verdienste ist (6. Sitz., 16. Kap., DH Nr. 1545). Das ewige Leben wird uns als Lohn zuteil, weil wir in freier Wahl der Versuchung widerstanden haben, um Gott anzuhangen. Wir waren der Prüfung unterworfen, sind aber Gott treu geblieben. Das Gold wird im Feuer geläutert. Die Treue inmitten von Versuchungen offenbart die gottliebende Seele.

Das ist das Los des freien Geschöpfes. Die Engel sind als erste der Versuchung unterworfen worden. Welcher Art diese Versuchung war, ist uns unbekannt. Doch wissen wir, dass sie ihrer Natur nach dem Wesen der Engel entsprechen musste.

Die Engel sind reine Geister. Ihre Handlungen sind nicht wie jene der Menschen an ein Zeitmaß gebunden und besitzen eine Kraft, eine Fülle und eine Tiefe, wie sie von den höchsten menschlichen Werken nie erreicht werden kann (Es handelt sich hier um die natürliche Ordnung). Als reine Geister urteilen sie nicht nach Schlussfolgerungen wie wir. Unsere leicht bewegliche, an die Sinne gebundene Einbildungskraft stellt unserem Wahlvermögen die vielfachsten Güter dar, deren Mannigfaltigkeit unsern Verstand und unsern Willen in ihrer Tätigkeit beeinflusst. Wir schweifen von einem Gut zum andern und wählen vielfach, was wir zuvor abgelehnt hatten. Nicht so der Engel. Als reiner Geist kennt er kein Zögern und Schwanken. Alle Entscheidungen seines Verstandes und Willens entspringen klarster Erkenntnis, sind daher eindeutig und unwiderruflich und von einer unvergleichlichen Kraftfülle (94 S. Thom., De ver. q. 24. a. 10, 11).

Kein Menschenleben, und wäre es noch so lang, könnte durch die Gesamtheit umfassendsten Wirkens die Fülle, Kraft und Tiefe eines einzigen Aktes erreichen, durch welchen die Engel sich in freier Wahl bei der ihnen vorgelegten Prüfung entschieden haben.

Daraus erklärt es sich, warum die Treue der guten Engel Gott so wohlgefällig war. Daraus erklärt sich aber auch die Schwere und Bosheit der Sünde, welcher die aufrührerischen Engel sich schuldig machten und die all unsere Begriffe übersteigt. Die klare Erkenntnis, die sie bei ihrer Handlung hatten, hat diese ihre einzige Sünde zu einer so schweren gemacht, dass Gottes Gerechtigkeit sie mit sofortiger Verdammnis bestrafen musste.

Für uns Menschen hingegen zieht sich die Zeit der Prüfung und des Widerstandes gegen die Versuchung durch das ganze Leben hin. Kampf gegen lockende Verführung, Geduld bei mannigfachen, von Gottes Vorsehung gewollten oder wenigstens zugelassenen Widerwärtigkeiten des täglichen Lebens, das ist nach den Worten der Schrift unser Leben auf Erden. »Ein Kriegsdienst ist das Leben des Menschen auf Erden« (Job 7, 1). Das ist aber auch jeden Tag von neuem eine herrliche Gelegenheit zu unverbrüchlicher Treue gegen Gott. Eine Seele, die vom ersten Augenblick vernünftigen Bewusstseins bis zum Lebensende nie eine freiwillige Sünde begehen, die trotz allen sie umgebenden Versuchungen, die sie Gott abwendig machen möchten, immer nur seinen Willen gewählt haben würde, eine solche Seele würde Gott ungemeine Verherrlichung bieten. Hätte sie ja durch jede ihrer Handlungen bezeugt, dass Gott ihr alleiniger Herr und Gebieter sei. »Glückselig, wer sündigen konnte und nicht sündigte, Böses wählen und es nicht getan hat« (Sir 31,10). Herrlich wird ihr Lohn sein! »Wohlan, du guter und getreuer Knecht, gehe ein in die Freude deines Herrn« (Mt 25, 21)!

Der erste Mensch ward der Prüfung unterworfen. Er hat gewankt und gefehlt, hat das Geschöpf und die eigene Befriedigung dem Willen Gottes vorgezogen. Das gesamte Menschengeschlecht hat er mitgerissen in seine Empörung, seinen Fall und seine Strafe.

Darum musste das Verhalten des zweiten Adam, der in sich alle Auserwählten darstellte, ein ganz entgegengesetztes sein. Gott, der Vater, hat in seiner unbegreiflichen Weisheit gewollt, dass sein Sohn, unser Haupt und Vorbild, Jesus Christus, versucht werden und die Versuchung siegreich überwinden sollte, damit auch wir lernen möchten, sie zu besiegen. Das ist einer der Gründe dieses Geheimnisses. Aber es hat einen noch tieferen Grund, der dies Geheimnis aufs innigste mit dem der Taufe verbindet.

Was sagte in der Tat Jesus zum Vorläufer, als dieser sich weigerte, seine Bußtaufe an Christus zu vollziehen? »Lass es nur geschehen; denn es geziemt sich für uns, dass wir alle Gerechtigkeit erfüllen« (Mt 3, 15). Diese Gerechtigkeit bestand für Jesus, wie schon gesagt, darin, alle jene Sühnewerke auf sich zu nehmen, die sein Vater für die Erlösung des Menschengeschlechtes verlangte. »Er musste sein Leben als Lösegeld für alle opfern« (Mt 20, 28; Mk 10, 45). Seit Adams Fall liegt die Menschheit in den Sklavenketten des Teufels, und aus dieser Gewalt des Fürsten der Finsternis musste der Heiland sie erretten. Er ist gekommen, um das Reich Satans zu vernichten (vgl. 1 Joh 3, 8). Darum geschah es, dass alsogleich, nachdem er die Bußtaufe empfangen, durch welche er als das Lamm Gottes verkündet worden, »das hinwegnimmt die Sünden der Welt« (Joh 1 ,29) und seine ganze Herde den Klauen des Teufels entreißt, der Menschensohn den Kampf mit dem »Fürsten dieser Welt« begann (Joh 14, 30). Und so verstehen wir, warum der Hl. Geist ihn in die Wüste führt, wohin einst der mit allen Sünden des Volkes beladene Sündenbock hinausgejagt wurde. »Er soll vom Teufel versucht werden.« 

4. Was das Evangelium hierüber berichtet

Betrachten wir nun unsern göttlichen Meister im Kampfe mit dem Führer der aufrührerischen Geister.

Der Heiland hatte 40 Tage und 40 Nächte in der Wüste zugebracht in völliger Enthaltsamkeit. »Er aß in jenen Tagen nichts und lebte unter den wilden Tieren«, sagt der Evangelist (Lk 4, 2; Mk 1, 13).

Zum tieferen Verständnis der Versuchung des Herrn müssen wir uns an die schon oft erwähnte Wahrheit erinnern, dass Christus uns in allem gleich sein wollte, »in allem seinen Brüdern ähnlich werden musste« (Hebr 2, 17). Bedenken wir nun, wie körperlich schwach ein Mensch werden muss, der 40 Tage lang nichts zu sich genommen hat. Der Heiland hat gewiss keine Wunder gewirkt, um die natürliche Wirkung des Fastens für sich selbst aufzuheben. Daher berichtet auch der Evangelist, dass den Heiland »darnach hungerte« (Mt 4, 2). Sicherlich hat sich also der Herr nach dieser langen Fastenzeit in einem Zustand äußerster Schwäche befunden. Diese Gelegenheit nimmt der Teufel wahr, um ihn zu versuchen.

Die allerheiligste Menschheit des Herrn, die unsere Schwächen und Leiden teilen wollte, kannte jedoch die Sünde nicht. »Er ist ohne Sünde« (Hebr 4, 15). Die Seele Jesu konnte weder dem Irrtum, noch der Unwissenheit, noch irgendeiner sittlichen Schwäche unterworfen sein.

Selbstverständlich konnte sie auch keine Spur ungeordneter Begierlichkeit empfinden, wie wir sie infolge der Erbsünde und der sündhaften Gewohnheiten in uns tragen. Wenn der Herr um unsertwillen Hunger und Entkräftigung erleiden wollte, so bleibt er selbst doch der Heilige der Heiligen. - Daraus folgt, dass die Versuchung nur von außen an ihn herantreten, seine allerheiligste Seele aber nicht berühren konnte. Jesus konnte nur versucht werden »von den Gewalten und Herrschern dieser finstern Welt, von den bösen Geistern unter dem Himmel« (vgl. Eph 6, 12).

Derjenige von diesen Geistern, der als Versucher an Christus herantrat, war wohl mit besonderer Gewalt ausgerüstet. Wie groß aber auch seine Geistesschärfe war, er wusste nicht, wer Christus sei. Kein Geschöpf kann Gott erkennen, außer im Licht der beseligenden Anschauung, und dieser sind die gefallenen Geister beraubt.

Desgleichen konnte er auch nicht das geheimnisvolle Band erkennen, das in Jesus die Gottheit mit der Menschheit verband. Sicher aber vermutete er ein Geheimnis. Konnte er ja den Fluch nicht vergessen, der auf ihm lastete, seitdem Gott Feindschaft gesetzt hatte zwischen ihm und der Frau, das ihm den Kopf zertreten, d. h. seine Herrschaft zerstören sollte.

Auch hatte er Kenntnis von den wunderbaren Begebenheiten, die sich bei der Geburt Christi und seitdem zugetragen. Das beweist die Versuchungsgeschichte sehr deutlich. Sein Wissen aber war nur ein ungewisses Tasten. Durch die Versuchung nun wollte er auf unzweifelhafte Weise feststellen, ob er Christus überwinden könne, in dem er sicher ein außergewöhnliches Wesen erkannte.

Der Verführer »trat also an Jesus heran«, sagt das Evangelium. Da er ihn in einem Zustand völliger Erschöpfung sieht, hofft er ihn zu einer Sünde der Gaumenlust verleiten zu können. Keineswegs jedoch zu einer groben Sünde dieser Art, so dass er ihm auserlesene Speisen dargeboten hätte. Dazu hatte der Teufel eine zu hohe Meinung von jenem, der ihm gegenüberstand, und er wusste, dass er einer solchen Einflüsterung nicht zugänglich sein werde. Er stellte dem Herrn, den er von Hunger gequält sieht, vor, dass er als Sohn Gottes leicht ein Wunder wirken und Brot schaffen könne. Damit wollte Satan Christus verleiten, der Stunde, die sein Vater festgesetzt hatte, vorzugreifen und ein Wunder zu wirken zu einem rein persönlichen Zweck. »Wenn du Gottes Sohn bist, so sprich, dass diese Steine Brot werden«, und dabei zeigte er auf die Steine am Boden. - Welches ist die Antwort des Heilandes? Offenbart er seine göttliche Macht? Nein! Er wirkt das vom Teufel verlangte Wunder nicht, sondern begnügt sich damit, ein Wort aus den Hl. Schriften entgegenzuhalten: »Der Mensch lebt nicht allein vom Brot, sondern von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes kommt« (Mt 4, 3.4; Lk 4, 3 ff). Später einmal zur Zeit seines öffentlichen Lebens, da die Jünger ihm Speise bringen und sagen: »Meister, iss«, gibt Christus eine ähnliche Antwort. »Ich habe eine Speise zu essen, die ihr nicht kennt ... Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat« (Joh 4, 31 ff). Das also ist seine Antwort an den Teufel. Er will die Stunde nicht beschleunigen, die der Vater festgesetzt hat, um seine Macht zu offenbaren. Erst, wenn der Vater spricht, befolgt er dessen Wort.

Durch diese Niederlage belehrt, erkennt der Teufel, dass er, wenn nicht den Sohn Gottes, so doch gewiss ein Wesen von besonders großer Heiligkeit vor sich habe. Daher greift er nun zu gefährlicheren Waffen. Er kennt die menschliche Natur genau und weiß, dass jene, die bereits eine hohe Stufe der Vollkommenheit und der Vereinigung mit Gott erreicht haben, den gewöhnlichen Versuchungen der Sinnlichkeit nicht mehr zugänglich sind, wohl aber den feineren Einflüsterungen des Hochmuts und geistiger Überhebung. Solche dünken sich erhaben über andere und glauben vielleicht sogar, wenn sie sich freiwillig der Gefahr aussetzen, durch besonderen göttlichen Schutz allen Gefahren trotzen zu können. - Auf diese Weise versucht nun auch der Teufel bei Christus sein Ziel zu erreichen. Mit seiner dämonischen Kraft trägt er Jesus auf die Zinnen des Tempels und fordert ihn auf: »Wenn du der Sohn Gottes bist, so stürze dich hinab!« Du hast nichts zu fürchten; »denn es steht geschrieben: Deinetwegen hat er seinen Engeln befohlen. Sie werden dich auf Händen tragen, dass du deinen Fuß an keinen Stein anstoßest« (Mt 4, 5 ff; Lk 4, 9 ff). Wenn Jesus wirklich Gottes Sohn ist, welch herrlicheren Beweis seiner messianischen Sendung konnte er da geben als diesen, dass er plötzlich unversehrt aus der Höhe sich hinabstürzt mitten unter das Volk, das in den Vorhöfen sich staut! Und um seine Einflüsterung noch verlockender zu gestalten, stützt sich der Teufel nun auch seinerseits auf ein Wort der Schrift. - Mit einem andern Schriftwort aber entgegnet ihm der Heiland in erhabener Ruhe: »Es steht auch geschrieben: Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen« (Mt 4, 7; Lk 4, 12). Wiederum sieht sich der Teufel geschlagen. Das menschgewordene Wort Gottes obsiegt über seine Fallstricke.

Doch holt der Teufel noch zu einem letzten Versuch gegen Christus aus: Er führt ihn auf einen hohen Berg, zeigt ihm alle Reiche der Welt und deren Herrlichkeit, lässt all die verführerischen Schönheiten der Schöpfung vor ihm sich auftun. Welche Versuchung zu Glanz und Macht für den Ehrgeiz eines Menschen, der sich für den Erlöser hielt! Diesmal musste es gelten. Nun musste es sich zeigen, wen der Versucher vor sich hatte und warum er seiner List so kraftvoll widerstand. »Dies alles ist mein, und ich will es dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest.« Die Antwort des Herrn ist bekannt. Mit hoheitsvoller Gewalt weist er die gotteslästerliche Zumutung des Teufels zurück. »Hinweg von mir, Satan, es steht geschrieben: >Den Herrn, deinen Gott, sollst du anbeten und ihm allein dienen< (Mt 4, 8 ff; Lk 4, 5 ff). Jetzt ist der Fürst der Finsternis entlarvt. Ihm bleibt nur noch ein schmachvoller Rückzug. Dennoch weicht er, wie der Evangelist sagt, nur vorläufig »für eine Zeitlang« (Lk 4,13). Damit will der hl. Schriftsteller andeuten, dass der Teufel während des öffentlichen Wirkens Jesu seine Angriffe wiederholen wird. Wenn nicht in eigener Person, so wird er doch durch seine Helfershelfer ohne Unterlass den Herrn verfolgen. In der Leidenszeit vor allem wird er durch die Ränke der Pharisäer den Heiland zu vernichten suchen. »Dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis« (Lk 22, 53). Er wird die Feinde des Herrn anstacheln und durch sie die Menge aufhetzen zum Ruf: »Hinweg, hinweg, ans Kreuz mit ihm« (Joh 19,15). Gerade der Opfertod am Kreuz aber war der entscheidende Schlag, der die Herrschaft Satans auf immer zerstörte. So erstrahlt Gottes Weisheit herrlich in all seinen Werken. »Am Kreuzholz hast du das Heil der Menschheit vollendet ... , damit von woher der Tod ausgegangen ist, von da das Leben erstände und damit jener, der am Holz siegte, auch am Holz besiegt würde (Präfation zu Ehren des hl. Kreuzes).« 

»Nachdem der Teufel vom Herrn gewichen war«, so berichtet der Evangelist, »traten Engel vom Himmel herzu und dienten ihm« (Mt 4,11; Mk 1,13). Das war die sinnfällige Offenbarung der Herrlichkeit, womit der himmlische Vater seinen Sohn erhöhte dafür, dass er sich so tief erniedrigte, die Versuchung des höllischen Feindes erdulden zu wollen. Die treugebliebenen Engel erscheinen zu seinem Dienste und bringen ihm das Brot, das er zur festgesetzten Stunde von der Vorsehung seines Vaters erwartet hatte.

Das ist es, was das Evangelium uns über die Versuchung Jesu berichtet. Wenn nun Jesus Christus, das menschgewordene Wort Gottes, sich herabgelassen hat, mit dem bösen Feind in den Kampf zu treten, wie könnten wir uns da wundern, dass wir, die Glieder seines mystischen Leibes, den gleichen Weg gehen müssen? Manche, auch fromme Personen, halten dafür, dass Versuchungen ein Zeichen von Verwerfung seien. Gerade das Gegenteil ist häufig der Fall! Nachdem wir durch die Taufe Jünger Jesu geworden sind, können wir nicht »über dem Meister sein wollen« (Mt 10, 14; Lk 6, 40; Joh 13, 16;15, 20). »Weil du Gott wohlgefällig warst, darum musste die Prüfung dich bewähren« (Job 12,13). Das hat Gott selbst uns gesagt.

Ja, der Teufel darf uns versuchen und manchmal in furchtbarer Weise versuchen zu einer Zeit, wo wir wähnen, vor seinen Nachstellungen am sichersten geborgen zu sein, wie z. B. beim Gebet oder bei der hl. Kommunion. Ja, selbst in diesen hl. Augenblicken kann er Glaubenszweifel und Misstrauen in uns erwecken, kann uns zur Auflehnung gegen die Gebote Gottes reizen, zur Widersetzlichkeit gegen Gottes Willen. Er kann das ganze Heer der bösen Leidenschaften in uns zum Aufruhr bringen. Er kann es nicht nur, er tut es auch!

Wundern wir uns nicht darüber! Christus, unser Vorbild in allem, ist vor uns versucht worden und nicht nur versucht, sondern vom Teufel selbst auf die Zinnen des Tempels getragen worden. Es war dem Höllenfürsten gestattet, Hand an seine heiligste Menschheit zu legen.

Vergessen wir auch nicht, dass Christus nicht nur in seiner Eigenschaft als Sohn Gottes den Teufel besiegt hat, sondern auch als Haupt der Kirche. In ihm und durch ihn haben aber auch wir den Teufel und seine Einflüsterungen besiegt. In ihm und durch ihn werden wir ihn auch in Zukunft besiegen.»Es ziemte ihm, durch seine Versuchungen unsere Versuchungen zu besiegen«, sagt der hl. Gregor: Justum quippe erat ut sic tentationes nostras suis tentationibus vinceret, [Hom. 16 in Evang.]

Das ist die Gnade, die der Erlöser uns durch das Geheimnis seiner Versuchung erworben hat. Hier strömt der Quell unserer Zuversicht in allen Prüfungen und Versuchungen. Es erübrigt hier nur noch zu erwägen, wie unerschütterlich diese Zuversicht sein soll und wie wir im Glauben an Christus immer das Geheimnis des Sieges finden werden.

5. Von den Gnaden, die Christus durch dieses Geheimnis uns verdient hat: Sieg über jede Versuchung wenn wir mit Christus vereint bleiben, die Verheißung der Unüberwindbarkeit, wie sie der 90. Psalm (»Wer da wohnt im Schutz des Allerhöchsten«) schildert

Dadurch, dass der Heiland Versuchungen erleiden wollte, hat er uns die Gnade verdient, dass auch wir Satan besiegen und siegreich aus dem Kampf hervorgehen können, den wir hier auf Erden notwendig bestehen müssen, um der ewigen Seligkeit teilhaftig werden zu können. Jesus Christus hat durch seine Verdienste erwirkt, dass wir je nach dem Grade der Vereinigung mit ihm an seiner Sündenlosigkeit teilnehmen.

Wir berühren hiermit die tiefste Bedeutung dieses Geheimnisses. Die Hl. Schrift bezeugt, dass Christus sündelos und keiner Sünde fähig, ja durchaus unzugänglich war für die geringste Unvollkommenheit. Worauf beruhte diese seine sittliche Unverletzbarkeit?

Der tiefste Grund ist seine Gottessohnschaft. Als zweite Person der allerheiligsten Dreifaltigkeit ist er die unendliche Heiligkeit und kann folglich dem Bösen nicht unterliegen.

Gleichwohl ist die allerheiligste Menschheit Christi eine gleich der unsern geschaffene Menschheit. Durch ihre Vereinigung mit der Gottheit war sie nicht von allen jenen menschlichen Schwachheiten befreit, die mit seiner Eigenschaft als Sohn Gottes vereinbar sind. Daher leidet Jesus unter Hunger und Durst; er wird müde und erschöpft und vom Schlaf übermannt. Furcht und Traurigkeit, ja Ekel und Überdruss beschleichen seine Seele. Dennoch findet sich in ihr nicht ein Schatten von Unvollkommenheit. Wenn also die allerheiligste Menschheit Christi als solche unsündig ist, so kommt das daher, dass sie in außerordentlicher Weise im Guten befestigt ist. Welchen Mittels aber hat sich Gott bedient, um die heiligste Menschheit Jesu frei zu bewahren von aller sittlichen Schwäche, von aller Sünde, sie mit einem Worte unsündlich zu machen?

Er lässt sie wohnen »im Schutz des Allerhöchsten« (Ps 91, 1) oder eigentlich, wie der Wortlaut des Urtextes besagt »im geheimnisvollen Heiligtum Gottes«. Dieses geheimnisvolle Heiligtum ist die beseligende Anschauung Gottes.

Die beseligende Anschauung besteht in der ewig währenden Anschauung Gottes, so wie er ist in sich selbst. Wem diese Begnadigung zuteil geworden ist, der kann sich nicht mehr losschälen von Gott; denn er sieht, dass Gott das höchste Gut ist, mit dem kein anderes, auch das denkbar schönste nicht verglichen werden kann. Damit ist jede Sünde ausgeschlossen. Ist ja diese nichts anderes als die Abwendung vom Gesetze Gottes, «von seinem göttlichen Willen, oder was dasselbe ist, die Abwendung von Gott selbst und Hinwendung zu einem anderen Gute, das man in sich oder in den Geschöpfen zu finden vermeint. In diesem glückseligen Zustand, wo unser Geist die Wahrheit selbst schaut, gibt es keine Unwissenheit, keine Täuschung und keinen Irrtum mehr, und unser dem höchsten Gute, das da der Inbegriff alles Guten ist, zugewandter Wille kennt kein Zaudern und keine Schwäche, keine irgendwie geartete Abwägung mehr. Wenn die Seele dieses Ziel erreicht hat, ist sie, wie die Theologie sich ausdrückt, vollkommen »in der Gnade befestigt«.

Diese Festigung der Gnade ist eine Folge der Vorherbestimmung, begreift aber in sich verschiedene Grade je nach dem Maße und der Vollkommenheit dieser Vorherbestimmung.

Die allerheiligste Menschheit Christi war zur Vereinigung mit dem Wort Gottes vorherbestimmt. Daher besaß die Seele Christi infolge dieser Vereinigung und als deren Vorrecht vom ersten Augenblick ihres Daseins an als naturgemäßes Attribut die Anschauung Gottes. Sie ist im höchstmöglichsten Grade in der Gnade befestigt, also vollkommen und dem Wesen nach unsündlich. Darum konnte unser Herr und Heiland, das Haupt aller Vorherbestimmten an die Juden diese Frage richten: »Wer von euch kann mich einer Sünde überführen« (Joh 8, 46)? Ebenso konnte er beim letzten Abendmahl zu seinen Aposteln sagen: »Ich werde nicht mehr viel mit euch reden; denn es kommt der Fürst dieser Welt (der Teufel). Auf mich hat er kein Anrecht« (Joh 14, 31). Auch als Mensch ist Jesus Christus, wie die Kirche im Gloria singt, »allein heilig«.

Im Himmel werden die Heiligen alle zur »Vollreife des Mannesalters Christi« gelangt sein (Eph 4,13). »Sie haben das Maß der göttlichen Gnade erreicht, wie Christus sie ihnen ausgeteilt hat« (Eph 4,7). Sie erfreuen sich der Anschauung Gottes in der ihnen zugedachten Gnadenfülle. Sie nehmen in vollkommener Weise, jeder nach dem Maße seiner Vorherbestimmung, an der göttlichen Sohnschaft Jesu teil. Darum wohnen sie gleich ihm für immer »im geheimnisvollen Heiligtum Gottes« d. h. im Stande ewiger Sündenlosigkeit.

Hier auf Erden jedoch ist es uns noch nicht gegeben, in diesem »Heiligtum Gottes« zu wohnen. Statt der beseligenden Anschauung Gottes haben wir hier auf Erden den Glauben. - Durch den Glauben aber ist uns Gott immer gegenwärtig» Wir wandeln im Glauben« (2 Kor 5, 7). Der Glaube, in dessen Licht wir wandeln, ist die Quelle unserer Vereinigung mit Christus und Wurzel unserer Vollkommenheit. »Wandle vor mir und sei vollkommen« (Gen 17,2). In eben dem Maße, als wir im Glauben vor Gott leben und mit Christus vereinigt bleiben, sind wir gefeit gegen die Versuchung zur Sünde.

Schon auf Erden gibt es Seelen, die so innig mit Christus vereint leben, deren Glauben so vollkommen ist, dass sie schon hienieden in der Gnade befestigt sind. So war es bei Maria, der allerseligsten Jungfrau. Sie war zu voller Sündelosigkeit, selbst zur Freiheit von der Erbsünde vorherbestimmt. Das war ein eigenartiges Vorrecht. »Ganz schön bist du, Maria, und die Erbsünde ist nicht in dir (Antiph. am Feste der Unbefleckten Empfängnis Mariens).« Johannes, der Täufer, ward geheiligt schon im Mutterleib, und nach der Lehre der Kirchenväter war er auch in der Gnade gefestigt, gleichwie die Apostel, nachdem sie am Pfingstfest den Hl. Geist empfangen hatten.

Allen aber gibt Gott Anteil an dieser Festigkeit, die sich bemisst nach dem Glaubensleben. Wer durch den Glauben beständig in der Gegenwart Gottes lebt, der schöpft ohne Unterlass aus dieser Lebensquelle. »Bei dir ist ja die Quelle des Lebens« (Ps 36, 10). Er nimmt teil an der Vereinigung Christi mit seinem Vater. »Ich in ihnen und du in mir« und somit auch an der Liebe des Vaters zum Sohn. »Damit die Liebe, mit der du mich liebst, in ihnen sei und ich in ihnen« (Joh 17, 23.26).

An einer solchen Seele hat darum auch Gott sein Wohlgefallen. Er nimmt sie in seinen besonderen Schutz, macht sie mehr und mehr gefeit gegen jede Sünde. Mögen auch alle Feinde sie angreifen, »Tausend sinken an ihrer Linken und Zehntausend an ihrer Rechten nieder und können sie nicht erreichen«. Ja, sie wird den Teufel niedertreten. Die ganze Welt mag aufstehen gegen sie, sich gegen sie wappnen, sie wird zu Gott rufen: »Du bist mein Helfer und mein Erretter! Und der Herr wird sie aus allen Gefahren und Schlingen befreien; denn sie hat auf mich gehofft, und darum will ich sie befreien« (Ps 91, 2 ff)

Die Kirche, die so aufrichtig um ihre Kinder besorgt ist, die all die vielfältigen Gefahren kennt, die sie umgeben, weiß auch, welch unerschöpfliche Gnadenquellen für uns in den Geheimnissen mit ihm verborgen sind. Darum erinnert sie uns jedes Jahr zu Beginn der Fastenzeit an die Versuchung Jesu. Sie will, dass wir wie der Erlöser und in Vereinigung mit ihm 40 Tage lang in besonderer Weise dem Geisteder Buße, der Zurückgezogenheit und des Gebetes leben.

Damit wir diese Zeit umso besser benützen und um in uns die entsprechende Gesinnung zu wecken, lässt sie uns daher zu Beginn der 40tägigen Fasten das Evangelium vom Fasten und von der glorreich überwundenen Versuchung des Heilandes betrachten.

Zu gleicher Zeit legt sie uns den 90. Psalm auf die Lippen, der mit den oben angeführten Worten beginnt: »Wer unter dem Schutz des Allerhöchsten wohnt, wer in des Himmelsgottes Schutz weilt, der spricht zum Herrn: Mein Schirm bist du!« Dieser Psalm ist das hohe Lied des Gottvertrauens mitten in Kampf, Prüfung und Versuchung.

Die darin enthaltenen herrlichen Versprechungen gelten zunächst für Christus selbst, dann aber auch für alle Glieder seines mystischen Leibes nach dem jeweiligen Maße ihres Gnaden- und Glaubenslebens. Darum begnügt sich die Kirche auch nicht damit, uns diesen Psalm einmal vollständig in der hl. Messe des ersten Fastensonntags lesen zu lassen; sie entnimmt ihm auch die sich alltäglich wiederholenden Verse für das kirchliche Stundengebet dieser Zeit, um den Gedanken an die sorgliche Obhut unseres Vaters im Himmel beständig in uns wach zu halten. »Seinen Engeln gab er dich in Hut. Sie sollen wachen über dich auf allen deinen Wegen. Er ist's, der dich befreit aus Jägers Schlingen und vor dem Anschlag des Verderbers. Mit seinen Fittichen beschirmt er dich, und unter seinen Flügeln bist du wohl geborgen. Gleich einem Schild umgibt dich seine Treue. Du darfst nicht bangen vor dem Grauen der Nacht« (Ps 91, 3 ff).

Welch inniges Vertrauen muss diese Tag für Tag erneuerte Verheißung in der Seele wecken. Welche Sicherheit gibt sie ihr für die mühsame Wanderung auf dem Wege des Heiles. »Auf, jetzt sind die Tage des Heiles« (2 Kor 6, 2)! Mögen noch so viele Hindernisse und zahllose Feinde auf dem Weg lauern, Gott ist mit uns. Und »wenn er mit uns ist«, sagt der hl. Paulus, »wer ist dann wider uns« (Röm 8, 31)? »Denn«, fügt er bei, »Gott ist getreu. Er wird nicht zulassen, dass wir über unsere Kraft versucht werden. Er steht uns zur Seite mit seinem Schutz. Er schafft uns mit der Versuchung auch den Ausgang, indem er uns hilft, die Versuchung zu überwinden und ihm unverbrüchliche Treue zu bewahren, welche die Quelle unserer Verdienste und unserer einstigen Herrlichkeit ist« (1 Kor 10, 13).

6. Der Glaube ist die vorzüglichste Waffe im Kampf gegen die Versuchung

Die Seele »im geheimnisvollen Zelt Gottes« ist unbesiegbar. Aber wir dürfen nicht außer Acht lassen, dass wir dahin nur gelangen im Glauben an Jesus Christus, unser Haupt und unser Vorbild.

So sagt der Psalmist, dass Gott zum Schutz gegen alle Angriffe des Feindes »uns mit seiner Wahrheit umgeben wird wie mit einem Schild«. - Das gleiche Bild gebraucht auch der hl. Paulus, wenn er die Waffen aufzählt, mit denen der Christ sich rüsten soll zum geistlichen Kampf. »Zu alledem nehmt den Schild des Glaubens, mit dem ihr alle feurigen Geschosse des Bösen auszulöschen vermöget« (Eph 6, 16). Der hl. Petrus drückt sich ähnlich aus: »Euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlingen könne. Widerstehet ihm fest im Glauben« (1 Petr 5, 9).

Der Heiland hat, um den Teufel zurückzuweisen, sich in jeder Versuchung auf das Wort Gottes berufen. Gleiches Verhalten im geistlichen Kampf wird auch uns zum Sieg verhelfen.

Wenn uns daher der Teufel z. B. gegen den Glauben versucht, erinnern wir uns alsogleich an das Zeugnis des himmlischen Vaters: »Dieser ist mein geliebter Sohn«, und an jenes andere Wort: »Nun wer an den Sohn Gottes glaubt, kommt zum Vater« (vgl. 1 Joh 5, 1). - Wenn wir zum Misstrauen versucht werden, sollen wir das Wort des Herrn erwägen: »Gott allein ist gut« (Lk 18, 19; Mt 19, 17; Mk 10, 18) oder auch das Trostwort: »Kommet alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken« (Mt 11, 28) und: »Den, der zu mir kommt, will ich nicht hinauswerfen« (Joh 6, 37). Wenn der Feind uns erschrecken möchte wegen unserer Sünden und Fehler, halten wir ihm das Wort Jesu entgegen: »Ich bin nicht der Gerechten wegen gekommen, sondern für die Sünder« (Mt 9, 13; Mk 11, 17; Lk 5, 32). Wenn er uns Gedanken des Hochmuts oder des Ehrgeizs einflüstert, erwidern wir ihm: »Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden« (Mt 23, 12; Lk 14, 11; 18, 14). Bei den Versuchungen zur Rachsucht: »Selig die Sanftmütigen« (Mt 5, 4), zur dreifachen Begierlichkeit: »Selig, die reinen Herzens sind« (Mt 5, 8).

Immer und gegen alle Versuchungen gilt es sich zu wappnen mit den Worten des Herrn. Sie sind ein Schild, an dem alle Angriffe des Teufels zerschellen. Der Glaube ist die unüberwindliche, siegreiche Waffe. Die hl. Theresia schreibt: »Ich halte es für ganz sicher, dass Gott niemals eine Seele durch den Teufel zu Fall kommen lässt, die voll Misstrauen gegen sich selbst, ganz auf den Glauben sich stützt, so dass sie für jede Wahrheit desselben bereit wäre, tausendmal den Tod zu erleiden (Selbstbiographie 25. Kap.).« 

Der Glaube ist es, der uns in Stunden der Versuchung, im Augenblick der Gefahr an die höchsten Herrscherrechte Gottes erinnert, an sein Anrecht auf den unbedingten Gehorsam seiner Geschöpfe, an seine unendliche Heiligkeit, an die strengen Forderungen seiner Gerechtigkeit, an die unaussprechlichen Leiden, die Jesus Christus für unsere Sünden erduldet hat, an die freie Gnadenwahl Gottes, die Notwendigkeit des Gebets, ferner an die ewige Strafe, die dem Tod in der Sünde folgt, und an die ewige Seligkeit, mit der Gott die kurzen Jahre unseres treuen Dienstes herrlich belohnt. An all diese Wahrheiten gemahnt uns der Glaube. Mag der Teufel uns noch so heftig angreifen, mögen seine Einflüsterungen noch so verlockend und der Kampf noch so langwierig sein, eine glaubensstarke Seele findet in eben diesem Glauben und in ihrer Vereinigung mit Christus, der Frucht dieses Glaubens, die kräftigste Stütze siegreichen Widerstandes, die Grundlage aller Festigkeit im Guten und das Geheimnis immer neuen Sieges.

Glücklich die Seele - der Herr selbst ist es, der sie glücklich preist! - Glücklich die Seele, die sich den Versuchungen nicht leichtsinnig aussetzt, sie aber tapfer besteht, die durch das Feuer der Prüfung geht, indem sie die Augen gläubig auf den Herrn und sein Beispiel richtet! Wahrhaft glücklich eine solche Seele, die hier auf Erden siegreich besteht; droben wird sie den ewigen Siegespreis erhalten! »Glückselig der Mann, der die Prüfung besteht! Hat er sich bewährt, so wird er die Krone des Lebens empfangen, die Gott denen verheißen hat, die ihn lieben« (Jak 1,12).

Der Herr verlässt seine Jünger im Kampf nicht. Ist er ja »der barmherzige Hohepriester, der selbst gelitten hat und versucht worden ist, und darum denen helfen kann, die versucht werden« (Hebr 2, 18; 5, 2). Seine Gnade kommt uns zu Hilfe, und sein Gebet gibt uns Kraft. Für alle geprüften, kämpfenden Seelen erneuert er seine Fürbitte, die er an den Vater richtete, als er im Begriff stand, den letzten siegreichen Kampf gegen den Teufel und seinen Anhang zu bestehen. »Vater, ich bitte nicht, dass du sie hinwegnehmst von der Welt, sondern dass du sie behütest vor dem Bösen« (Joh 17,14). Weil wir an den Sohn glauben, in seinen Schutz flüchten und ihm nicht untreu werden wollen, weil wir nicht auf uns selbst, sondern in innigem Gebet all unser Vertrauen auf ihn setzen, weil der Vater uns sieht und uns liebt in seinem Sohn, uns, die wir sein sind (vgl. Joh 17, 9), darum wird er uns bewahren vom Bösen. Er wird seine guten Engel senden, dass sie unsichtbar uns umschweben und uns schützen.

Das ist die herrliche Verheißung, die er selbst durch den hl. Sänger uns gibt in dem wundervollen 90. Psalm, mit dem wir diese Betrachtung schließen wollen. »Weil er auf mich vertraut, will ich ihn erretten, ihn beschirmen, weil er meinen Namen kennt. Er wird mich anrufen und ich werde ihn erhören. Ich bin bei ihm in der Not, ich werde ihn retten und ihn zu Ehren bringen. Mit langem Leben will ich ihn sättigen und ihn mein Heil schauen lassen« (Ps 90, 14 ff).

XI. EINIGE SEITEN DES ÖFFENTLICHEN LEBENS JESU (Für die Fastenzeit)

Mannigfache Betrachtungsmöglichkeit des öffentlichen Lebens Jesu

Wollte man im Einzelnen niederschreiben, was Jesus getan hat, so würde »die Welt die Bücher nicht fassen können, die da zu schreiben wären« (Joh 21, 25), so schließt das hl. Evangelium des hl. Johannes. Dieser Gedanke drängt sich auch uns auf, da wir im Begriff stehen, das öffentliche Leben Jesu zu betrachten. Wollte man alle Worte des Herrn im Einzelnen auslegen, sein Verhalten genau beschreiben und alle seine Handlungen erklären, so würde ein langes Menschenleben dazu nicht ausreichen. Freilich wäre eine solche Arbeit überaus lieblich und trostreich für unsere Seelen. Da wir uns aber nicht bei jeder einzelnen Begebenheit, die das Evangelium berichtet, aufhalten können, so sollen aus diesem Lebensabschnitt unseres Herrn nur einzelne, besonders charakteristische Züge hervorgehoben werden, die dazu angetan sind, die ewige Weisheit und Erbarmung in den Geheimnissen der Menschwerdung und Erlösung dankbar und gerührt bewundern zu lassen.

Zunächst werden wir sehen, wie Jesus Christus die Göttlichkeit seiner Sendung und seiner Person verkündet und besiegelt, um unseren Glauben zu begründen. Sodann werden wir betrachten, mit welch unerschöpflicher Milde die allerheiligste Menschheit Jesu zu allem Elend, in welcher Form es ihm auch entgegentritt, sich herniederneigt, um der Welt die Wunder und den Reichtum seiner unendlichen Güte zu erschließen. Damit aber das lichte Bild aus dunklem Hintergrund umso deutlicher hervortrete, sei dann auch der gerechten Strenge gedacht, die der Herr dem Stolz der Pharisäer widerfahren lässt.

Diese drei Seiten an dem so unendlich abwechslungsreichen Wirken Jesu in der Öffentlichkeit sollen gleichsam Ruhepunkte sein, wo die betrachtende Seele erquickt wird durch Gnadenströme von Licht und Leben.

1. Zeugnisse Christi für seine Gottheit

Bei der Taufe im Jordan, die den Beginn des öffentlichen Lebens Jesu bezeichnet, hat der Vater Christus feierlich als seinen »geliebten Sohn« verkündet und eingesetzt.

Das Lehramt des Herrn in den nun folgenden drei Jahren seines öffentlichen Wirkens ist nur ein ununterbrochener Beweis dieses erhabenen Zeugnisses. In seiner Predigt und in seinen Werken offenbart sich Christus nicht etwa bloß wie ein an Kindesstatt angenommener Sohn, wie ein auserwähltes Werkzeug des Allerhöchsten, um eine besondere Sendung an seinem Volk zu erfüllen, gleich wie ehedem die Propheten. Nein, Christus tritt auf als der wahre Sohn Gottes, dem kraft seiner Natur alle göttlichen Vorrechte, das wesenhafte Sein innewohnen, als Gottessohn, der von uns Menschen Glauben an die Göttlichkeit seines Werkes und seiner Person fordert.

Wenn wir das Evangelium lesen, finden wir, da Christus spricht und handelt nicht nur wie ein Mensch gleich uns, sondern auch wie Gott, der hocherhaben ist über alle Kreatur.

Er sagt von sich, dass er größer sei »als Jonas, als Salomon und Moses« (Mt 12, 41 ff; Lk 11, 31 ff). Wenn er als Mensch, durch seine Geburt aus Maria, der Sohn Davids ist, so ist er ebenso auch sein »Herr der zur Rechten Gottes sitzt« (Ps 110, 1) und teilnimmt an Gottes ewiger Macht und unendlicher Herrlichkeit. Daher erklärt Jesus, dass er der höchste Gesetzgeber ist, wie Gott selbst. Wie Gott einst dem Moses das Gesetz des Alten Bundes gab, so gibt Jesus das neue Gesetz des Evangeliums. »Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt wurde ... ich aber sage« (Mt 5, 22 ff). Das ist der Ausspruch Jesu, der in der Bergpredigt immer wiederkehrt. Er zeigt sich so völlig als Herr über das Gesetz, dass er es vollkommen frei und unabhängig aufhebt, wo er es für gut findet, weil er selbst das Gesetz gegeben und unbeschränktes Recht darüber hat.

Seine Macht hat keine Grenzen. Jesus lässt die Sünden nach, ein Vorrecht, das Gott allein zukommt, weil Gott durch die Sünde beleidigt wird. »Sei getrost, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben«, spricht er zum Gichtbrüchigen, den man auf seinem Bett zu ihm gebracht hat. Die Pharisäer entrüsten sich, da sie einen Menschen also reden hören, und murren bei sich selber. »Wer kann Sünden vergeben als Gott allein?« Jesus aber liest ihre eigenen Gedanken, und um ihnen zu beweisen, dass er diese göttliche Macht, die sie ihm absprechen, nicht durch Übertragung besitzt, sondern aus eigener und persönlicher Machtfülle, wirkt er sofort ein Wunder und spricht zum Gelähmten: »Damit ihr aber wisst, dass der Menschensohn Macht hat, auf Erden Sünden zu vergeben, so steh auf, nimm dein Bett und geh« (Mt 9, 2 ff; Mk 2, 5 ff; Lk 5, 20 ff).

Dieses Beispiel ist charakteristisch. Jesus Christus wirkt seine Wunder aus eigener Kraft. Nur bei der Auferstehung des Lazarus fleht er zum Vater, er möge durch die Tat, die er nun vollbringen werde, das umstehende Volk im Glauben erleuchten. Jesus aber muss nicht beten wie ehedem die Propheten, bevor er seine Allmacht kundgibt. Durch ein Wort, durch eine Handbewegung, durch einen bloßen Willensakt macht er die Kranken gesund, heilt er Lahme und Blinde, vermehrt er die Brote, besänftigt er die wilden Sturmwogen, treibt er Teufel aus, erweckt er Tote zum Leben.

So groß ist seine Macht, dass er auf den Wolken des Himmels kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten. »Ihm ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden« (vgl. Mt 28, 18). Wie sein Vater, so verheißt auch er das ewige Leben jenen, »die ihm nachfolgen« (Mt 19, 28). Diese Worte und Handlungen zeigen uns Jesus als Gott, der dem Vater wesensgleich ist und deshalb teilnimmt an der höchsten Macht, an den wesensgleichen Vorrechten und an der unendlichen Würde des göttlichen Seins.

Wir haben aber noch ausdrücklichere Zeugnisse für diese Wahrheit. Man denke an die Begebenheit von Cäsarea Philippi, wo Petrus das herrliche Bekenntnis für die Gottheit Christi ablegt. »Selig bist du, Simon, Sohn des Jonas«, antwortet ihm der Herr; denn nicht durch deine natürliche Einsicht bist du zur Erkenntnis meiner Gottheit gekommen, »sondern mein Vater, der im Himmel ist, hat es dir geoffenbart« (Mt 16, 17 ff). Und um die Größe dieses Glaubensaktes hervorzuheben, verheißt der Heiland dem Petrus, dass er ihn zum Grundstein seiner Kirche machen werde.

Mit noch größerem Nachdruck erklärte der Herr zur Zeit seines bitteren Leidens vor seinen Richtern, dass er wahrer Gott sei. Der Hohepriester Kaiaphas, als Vorstand des Hohen Rates, sprach zu Jesus: »Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott, sage uns, ob du Christus, der Sohn Gottes bist.« Jesus antwortete ihm: »Ja, ich bin es; aber ich sage euch, von nun an werdet ihr den Menschensohn zur Rechten des allmächtigen Gottes sitzen und auf den Wolken des Himmels kommen sehen.« Das Thronen in der Herrlichkeit zur Rechten Gottes galt bei den Juden als ausschließlich göttliches Vorrecht. Wer sich dieses Vorrecht anmaßte, war der Gotteslästerung und damit des Todes schuldig. Kaum hatte der Hohepriester die Antwort Jesu vernommen, da zerriss er zum Zeichen der Verwahrung seine Kleider und rief: »Er hat Gott gelästert, wozu brauchen wir noch Zeugen?« und alle Richter antworteten: »Er ist des Todes schuldig« (Mt 26, 63 ff; Mk 16, 61 ff)! Der Herr aber nahm sein Wort nicht zurück, sondern ließ sich zum Tod führen.

Ganz besonders im Evangelium des hl. Johannes finden wir, und zwar aus dem Mund des Herrn selbst, erhabene Zeugnisse für die Gottheit Christi, die zwischen ihm und dem ewigen Vater eine so innige Einheit feststellen, wie sie sich nur durch die göttliche Natur erklären lässt, die Jesus mit dem Vater und dem Hl. Geiste unteilbar besitzt.

Auch sehen wir aus dem Evangelium, dass Jesus niemals sagt »unser Vater«, ausgenommen das eine Mal, wo er seine Jünger beten lehrt. Wenn er von seinen Beziehungen zum Vater spricht, sagt er »der Vater, mein Vater«; wenn er sich an die Jünger wendet dagegen »euer Vater«. Der Heiland hebt immer wieder den wesentlichen Unterschied hervor, der in dieser Hinsicht zwischen ihm und den übrigen Menschen besteht. Er ist der Sohn Gottes von Natur, die Menschen sind es nur durch Annahme an Kindesstatt.

Daher steht Jesus zum Vater in Beziehungen ganz persönlicher und einzigartiger Natur, wie sie nur aus seinem göttlichen Ursprung erfließen können.

»Einmal«, so erzählt das Evangelium, »nahm Jesus das Wort und sprach zu seinen Jüngern: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies vor Weisen und Klugen verborgen, Einfältigen aber geoffenbart hast. Ja, Vater, so gefiel es dir. Alles ist mir von meinem Vater übergeben. Niemand erkennt den Sohn als der Vater, und niemand erkennt den Vater als der Sohn, und wem der Sohn es offenbaren will« (Mt 11, 25 ff). Durch diese Worte spricht das menschgewordene Wort es deutlich aus, dass zwischen ihm und dem Vater unbedingte Gleichheit einer für uns Menschen unbegreiflichen Erkenntnis besteht. Dieser Gottessohn Jesus ist so groß, seine Sohnschaft so unaussprechlich erhaben, dass nur der Vater, weil er Gott ist, ihn vollkommen erkennen kann. Der Vater ist aber von so gewaltiger Majestät, seine Vaterschaft ein so hehres Geheimnis, dass nur der Sohn erfassen kann, was der Vater ist. Dieses Erkennen ist so unendlich erhaben über alle irdische Erkenntnis, dass kein Mensch daran teilnehmen kann, wenn ihm nicht eine besondere Offenbarung zuteil geworden ist.

Die göttliche Einheit, die den Heiland mit seinem Vater verbindet, beschränkt sich jedoch nicht bloß auf die Erkenntnis, sie erstreckt sich auch auf alle Handlungen Gottes nach außen.

Jesus heilt den achtunddreißigjährigen Kranken und befiehlt ihm, sein Bett zu nehmen und zu einherzugehen. Das war an einem Sabbat. Da ärgerten sich die Juden und warfen ihm vor, dass er den Sabbat entweihe. Er aber, um ihnen zu zeigen, dass er ebenso wie sein Vater höchster Gesetzgeber sei, antwortet den Pharisäern: »Mein Vater wirkt bis zur Stunde, und so wirke auch ich«, wie er und mit ihm. Die Juden verstehen nur zu wohl, dass er sich durch diese Worte als Gott bezeichne; denn es heißt weiter: »Deshalb trachteten sie ihm nach dem Leben, weil er nicht bloß den Sabbat entheiligte, sondern auch Gott seinen Vater nannte und so sich Gott gleichstellte. Jesus widerspricht nicht. Er bekräftigt vielmehr die Auslegung der Juden. »Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, der Sohn kann nichts aus sich selbst tun; er kann nur tun, was er den Vater tun sieht. Was dieser tut, das tut gleicherweise auch der Sohn; denn der Vater liebt den Sohn und zeigt ihm alles, was er tut« (Joh 5, 16 ff). Die Aufeinanderfolge und Entwicklung dieser Worte im Evangelium zeigt deutlich, mit welchem Nachdruck Christus sich immer und überall als gleichberechtigt erklärt mit dem Vater, als Gott wie er und mit ihm.

Die Abschiedsrede und das hohepriesterliche Gebet des Herrn beim letzten Abendmahl betonen immer wieder in beredtester Weise, dass Jesus der wahre Sohn Gottes ist, einer Natur und Wesenheit mit dem Vater, dass er alle uneingeschränkten Rechte und die ewige Herrlichkeit mit dem Vater teilt. »Ich und der Vater sind eins« (Joh 10, 30).

2. Wie diese Zeugnisse unsern Glauben an Jesus Christus begründen

Wenn wir nun nachforschen, weshalb Christus so nachdrücklich seine Gottheit bezeugt, werden wir finden, dass er dadurch unsern Glauben begründen will.

Wir kennen diese Wahrheit. Sie ist aber so wichtig, dass man nicht müde werden soll, sie immer wieder zu betrachten. Unser ganzes übernatürliches Leben, all unsere Heiligkeit hat den Glauben zur Grundlage. Der Glaube aber hinwiederum beruht auf den Zeugnissen, die die Gottheit des Erlösers dartun. Paulus mahnt die Hebräer, acht zu haben auf den Herrn, den »Apostel und Hohepriester unseres Glaubens« (Hebr 3, 1). Apostel wird jeder genannt, der gesandt ist, eine Aufgabe zu erfüllen. Der hl. Paulus nennt Christus den Apostel unseres Glaubens. Aus welchem Grund?

Das menschgewordene Wort ist nach dem Ausdruck der hl. Kirche »der Engel des großen Rates« (Introitus der 3. Weihnachtsmesse), der Bote des großen Ratschlusses der Erlösung, der im Licht der Gottheit wohnt. Er ward ausgesandt, um der Welt das Geheimnis zu offenbaren, »das von Ewigkeit in Gott verborgen war«, das Geheimnis vom Gottmenschen, der die Welt erlösen soll. Für diese Grundwahrheit legt Christus nach seinem eigenen Wort Zeugnis ab: »Dazu bin ich geboren, und dazu bin ich in die Welt gekommen, um der Wahrheit Zeugnis zu geben« (Joh 18, 37).

Die große Aufgabe des Herrn, vorzüglich während der drei Jahre seines öffentlichen Wirkens, ist somit diese: der Welt seine Gottheit zu offenbaren! »Er hat Kunde davon gebracht« (Joh 1, 18). Seine gesamte Lehre, all seine Werke und Wunder dienen dem einen Zweck, diese Wahrheit dem Geist seiner Zuhörer einzuprägen. Man denke z. B. an das Wunder der Erweckung des Lazarus. Bevor er seinen Freund ins Leben zurückruft, richtet Christus seine Augen zum Himmel und spricht: »Vater, ich danke dir, dass du mich erhörst, aber wegen des umherstehenden Volkes habe ich es gesagt, damit es glaube, dass du mich gesandt hast« (Joh 11, 41 ff).

Freilich gibt der Herr diese Wahrheit nur nach und nach zu verstehen. Um die Juden in ihrem tiefgewurzelten Glauben an den einen Gott nicht zu verwirren, offenbart er nur allmählich diese Wahrheit. In wunderbarer Weise lässt er aber alles auf diese Offenbarung seiner göttlichen Sohnschaft hinzielen. Am Ende seines Lebens jedoch, als die aufrichtig denkenden Gemüter hinlänglich vorbereitet waren, trägt Jesus kein Bedenken mehr, vor den Richtern seine Gottheit zu bekennen, obschon er dadurch sein Leben verwirkte. Er ist der König der Märtyrer, aller jener nämlich, die mit ihrem Blut den Glauben an seine Gottheit bezeugt haben. Er ist der erste, der den Tod erlitt, weil er sich als den Sohn Gottes bekannt hat.

In seinem letzten Gebet gibt Jesus dem Vater Rechenschaft über seine Sendung und fasst alles in die Worte zusammen: »Vater, ich habe das Werk vollbracht, das zu vollbringen du mir aufgetragen hast« (Joh 17, 4 ff).

Dieser Glaube an die Gottheit seines Sohnes ist aber auch, wie Jesus selbst bezeugt, das eine große Werk, das Gott von uns Menschen verlangt. »Das ist das Werk Gottes, dass ihr an den glaubt, den er gesandt hat« (Joh 6, 29).

Dieser Glaube ist es, der vielen Kranken die Genesung bringt. »Wie ihr glaubt, so geschehe euch« (Mt 9, 29; Mk 5, 34; 10, 52; Lk 17, 19). Er erwirkt der reuigen Magdalena die Verzeihung ihrer Sünden. »Dein Glaube hat dir geholfen! Gehe hin im Frieden« (Lk 7,50)! Er macht den Petrus zur unerschütterlichen Grundfeste der Kirche, die Apostel zum Gegenstand der Liebe und des Wohlgefallens vor ihrem himmlischen Vater. »Der Vater liebt euch, weil ihr mich geliebt und an mich geglaubt habt« (Joh 16, 27).

Dieser Glaube ist es auch, der uns zu Kindern Gottes macht, »alle, die an seinen Namen glauben« (Joh 1,12), der in unsern Seelen göttliche Gnadenquellen des Hl. Geistes sprudeln lässt. »Wer an mich glaubt, aus dem werden Ströme lebendigen Wassers fließen« (Joh 7, 38), der die Todesschatten verscheucht, weil Jesus als Licht der Welt gekommen ist. »Damit niemand, der an ihn glaubt, in der Finsternis bleibe« (Joh 12, 46). Der Glaube schenkt uns göttliches Leben. »Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn hingab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben« (Joh 3, 15). Die Feinde Jesu werden verloren gehen, weil ihnen dieser Glaube fehlt; denn es spricht der Herr: »Wäre ich nicht gekommen und hätte nicht zu ihnen geredet, so wären sie ohne Sünde; so aber haben sie keine Entschuldigung für ihre Sünde« (Joh 15, 12), und »wer nicht glaubt, der ist schon gerichtet, weil er an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes nicht geglaubt hat« (Joh 3, 18).

Alles führt sich zurück auf den Glauben an Jesus Christus, den ewigen Gottessohn. Der Glaube ist die sichere Grundlage des geistigen Lebens. Er ist die Wurzel der Rechtfertigung, die wesentliche Bedingung jedes Fortschrittes, das zuversichtlichste Mittel, um zum Gipfel wahrer Heiligkeit zu gelangen.

So werfen wir uns denn nieder zu Füßen unseres göttlichen Meisters und sprechen zu ihm: O Christus Jesus, du menschgewordenes Wort! Du bist vom Himmel herabgestiegen, um uns die Geheimnisse zu verkünden, die du als eingeborener Gottessohn immerdar schaust im Schoß des ewigen Vaters! Ich glaube und bekenne, dass du wahrhaft Gott bist mit dem Vater und dem Hl. Geist. Ich glaube an dich, ich glaube an dein Werk. Ich glaube an deine Person, ich glaube, dass du aus Gott hervorgegangen bist, dass du eins bist mit dem Vater und dass jeder, der dich sieht, auch den Vater schaut. Ich glaube, dass du bist die Auferstehung und das Leben. Ich glaube! Und weil ich glaube, darum bete ich dich an und weihe deinem Dienste mein ganzes Wesen, mein Tun und Lassen, mein ganzes Leben. Jesus Christus, ich glaube an dich, aber vermehre meinen Glauben! Ich glaube, Herr, hilf meinem Unglauben!

3. Die menschlichen Handlungen Jesu bekunden göttliche Vollkommenheiten; die menschliche Güte in Christus, Offenbarung ewiger Liebe

Christus offenbart der Welt das Dogma von seiner ewigen Sohnschaft; durch seine Menschheit aber kündet er die Vollkommenheit seiner göttlichen Natur. Obwohl er der wahre Sohn Gottes ist, nennt er sich doch mit Vorliebe den »Menschensohn «. Er legt sich diese Bezeichnung sogar gerade in solch feierlichen Augenblicken gern bei, wo er mit besonderem Nachdruck die Vorrechte des göttlichen Wesens für sich in Anspruch nimmt. Wo immer wir unserm göttlichen Heiland begegnen, überall stehen wir vor dem unaussprechlich hehren Geheimnis der hypostatischen Vereinigung, dem Geheimnis der Verbindung zweier Naturen, der göttlichen und menschlichen in einer Person, und zwar so, dass diese Naturen weder vermischt noch vermengt waren, noch dass die Person geteilt sei.

Dieses Grundgeheimnis dürfen wir nie aus den Augen verlieren, wenn wir unsern Herrn betrachten. Jedes einzelne seiner Geheimnisse betont entweder die Einheit seiner anbetungswürdigen Person oder die Wahrheit seiner göttlichen Natur oder aber die Wirklichkeit seiner allerheiligsten Menschheit. Eine besonders tiefsinnige und trostreiche Seite des Wunderwerkes der Menschwerdung ist die Offenbarung der Vollkommenheiten Gottes an die Menschen vermittels seiner menschlichen Natur. Die Eigenschaften Gottes und seine ewigen Vollkommenheiten sind uns hienieden unbegreiflich, sie übersteigen unser Fassungsvermögen.

Durch seine Menschwerdung aber enthüllt das menschgewordene Wort auch den einfältigsten Seelen durch die Worte seines Mundes, durch das, was er in seiner menschlichen Natur gewirkt hat, die unfassbaren Vollkommenheiten Gottes. Während er sie unserm Verständnis durch sinnlich wahrnehmbare Handlungen nahebringt, fühlen wir uns zur Gottheit hingezogen, so dass »wir, Gott sichtbar erkennend, zur Liebe des Unsichtbaren hingerissen werden« (Weihnachtspräfation).

Diese Anordnung der ewigen Weisheit und Milde wird uns vor allem offenbar im öffentlichen Leben Jesu. Unter allen göttlichen Vollkommenheiten ist es besonders die Liebe, die das menschgewordene Wort uns kundtut. Das menschliche Herz ist derart angelegt, dass es einer fühlbaren Liebe bedarf, um aus dieser auf jene unendliche Liebe zu schließen, deren Höhen und Tiefen ihm unfassbar bleiben. Es kann für unser armes Menschenherz nichts Anziehenderes geben, als den Heiland zu betrachten, der uns als wahrer Gott und wahrer Mensch die ewige Güte in menschlicher Form vor Augen stellt. Wenn wir sehen, mit welch verschwenderischer Freigebigkeit er Schätze des Mitleids und unversieglichen Reichtum von Barmherzigkeit austeilt, dann können wir uns einen schwachen Begriff machen vom uferlosen Ozean der ewigen Güte, aus welchem die hl. Menschheit Christi für uns schöpft.

Wenn wir nur einige Züge aus dem Leben des Heilandes hervorheben, können wir unschwer die geradezu wunderbare Herablassung, mit welcher der Heiland zu jeder Art des menschlichen Elends, nicht zuletzt zum tiefsten Elend, zur Sünde, sich niederneigte, erkennen. Auch da, wo er sich so tief herablässt zu menschlicher Schwäche und Sündhaftigkeit, ist und bleibt er der eingeborene Sohn Gottes, die ewige Allmacht und unendliche Weisheit, die das All regiert in der Wahrheit und nichts zu tun imstande ist, was nicht vollkommen wäre. Das verleiht seinen gütigen Worten, seinen barmherzigen Werken einen unschätzbaren Wert, der sie himmelweit über alles irdische Tun erhebt. Das erobert unsere Herzen; denn es offenbart uns die unermessliche Liebenswürdigkeit des Herzens unseres Herrn Jesus Christus, unseres Gottes.

Sein erstes Wunder wirkte Jesus zu Kana in Galiläa, als er auf die Bitten seiner Mutter den Hochzeitsleuten das Wasser in Wein verwandelte. Welche Offenbarung himmlischer Liebe, göttlicher Güte! Alle strenge Frömmigkeit möchte sich vielleicht daran stoßen, dass ein Wunder verlangt und gewirkt wird, um die Dürftigkeit armer Hochzeitsleute zu verbergen. Und dennoch hat die hl. Jungfrau Maria nicht gezögert, dieses Wunder zu erbitten, und ihr göttlicher Sohn hat nicht verschmäht, es zu wirken. Jesus fühlt die Verlegenheit und Sorge der Brautleute mit. Er will nicht, dass sie in ihrer Armut bloßgestellt werden; deshalb wirkt er ein großes Wunder. Was hier sein Herz an zarter menschlicher Güte und demütiger Herablassung offenbart, ist nur die Äußerung einer höheren, der göttlichen Güte selbst, worin jene andere ihren Ursprung hat; denn was der Sohn tut, das tut gleicherweise auch der Vater.

Bald darauf sehen wir, wie Jesus in der Synagoge von Nazareth dem Propheten Jesaja das Programm für sein Lebens- und Liebeswerk entnimmt. »Der Geist des Herrn ruht auf mir. Er hat mich gesandt, gebrochene Herzen zu heilen, den Gefangenen Befreiung, den Blinden das Augenlicht, den Unterdrückten Erlösung zu verkünden, ein Gnadenjahr des Herrn auszurufen.« Nach Verlesung der SchriftsteIle fügt Jesus hinzu: »Heute ist diese Schriftstelle, die ihr soeben vernommen, in Erfüllung gegangen« (Lk 4, 18 ff, vgl. Jes 61, 1).

Und wirklich offenbart sich der Herr von dieser Stunde an allen als König »sanftmütig und voll himmlischer Milde« (Mt 21, 5). Man müsste Seite um Seite des Evangeliums durchgehen um zu zeigen, wie tief der Herr von allem menschlichen Elend, von Schwachheit Krankheit und Not bewegt, ja unwiderstehlich zur Hilfe gedrängt wird. Der hl. Lukas sagt bezeichnend: »Er ward von Mitleid gerührt« (Lk 7,13). Blinde und Lahme, Taube und Aussätzige kommen zu ihm, und der Evangelist sagt, dass er »alle gesund machte« (Lk 6, 19). Mit unvergleichlicher Sanftmut nimmt er sich aller an, lässt sich von den Volksscharen drängen und von allen Seiten umringen bis es Abend wird und die Sonne untergeht (Mk 1, 32 ff). Es kommt vor, dass man ihm nicht einmal Zeit zum Mahl gönnt (Mk 3,20). Ein andermal muss er in ein Boot steigen, damit er sich von der dichtgedrängten Menge, die am Ufer lauscht (Mk 4, 31 ff), befreie und leichter gehört werde oder es staut sich das Volk so dicht im Haus, wo er lehrt, dass man das Dach über ihm abdecken muss, um durch diese Öffnung den Gelähmten mitsamt seinem Bett hinabzulassen (Mk 2, 4).

Die Apostel waren manchmal ungeduldig. Der göttliche Meister nimmt daraus Veranlassung, sie wahre Milde zu lehren. Einmal wollten sie die Kinder abwehren. Er aber sprach: »Lasst die Kindlein zu mir kommen und wehrt es ihnen nicht; denn für solche ist das Gottesreich« (Mk 10, 13 ff)! Dann schloss er sie in seine Arme, legte ihnen die Hand auf und segnete sie. Ein andermal sind die Jünger unwillig, weil man dem Herrn in einer Stadt Samarias die Aufnahme verwehrte. Sie drängen ihn, Feuer vom Himmel herabrufen zu dürfen, damit es die ungastliche Stadt verzehre. Jesus aber verweist es ihnen mit den Worten: »Ihr wisst nicht, wessen Geistes Kinder ihr seid. Der Menschensohn ist nicht gekommen, Menschenleben zu vernichten, sondern sie zu retten« (Lk 9, 54). Dieses Wort ist so wahr, dass der Herr sogar Wunder wirkt, um Tote zum Leben zu erwecken. In Naim begegnet er einer armen Witwe, die weinend der Bahre ihres einzigen Sohnes folgt. Jesus sieht die Frau und hört ihr Weinen. Da wird sein Herz von tiefem Mitleid ergriffen. »Weine nicht!« spricht er zu ihr, und alsogleich befiehlt er dem Tod, seinen Raub zurückzugeben. »Jüngling, ich sage dir, stehe auf!« Da richtete sich der Tote auf, und »Jesus gab ihn seiner Mutter« (Lk 7, 11 ff).

All diese Kundgebungen der Milde und Barmherzigkeit, die uns die tiefsten Regungen des menschlichen Herzens enthüllen, rühren das Innerste unseres Gemütes und sprechen in gar verständlicher Sprache von der unendlichen Liebe unseres Gottes. Wenn wir Christus am Grab des Lazarus weinen sehen und hören, wie die Juden, die Zeugen dieses Schauspiels waren, sagen: »Seht, wie lieb er ihn hatte«, da verstehen wir die stumme Sprache der menschlichen Tränen unseres Erlösers und dringen ahnend ein in das Heiligtum der ewigen Liebe. die sich hier kundgibt. »Wer mich sieht, sieht auch den Vater« (Joh 14, 9).

Welche Anklage aber ist dieses liebevolle Wesen des Herrn für die Selbstsucht. Härte und kalte Schroffheit unseres Herzens! Wie verdammt es unser gleichgültiges, ungeduldiges, liebloses Benehmen allen Zorn, Rachsucht und Groll gegen den Nächsten! Nur allzu leicht vergisst man das Wort des Herrn »Wahrlich, ich sage euch, was ihr einem der geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan« (Mt 25, 40).

O Jesus, der du gesagt hast: »Lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und demütig von Herzen«, bilde unsere Herzen nach deinem Herzen! Lehre uns, barmherzig sein wie du, damit auch wir Barmherzigkeit erlangen, damit wir, dir folgend, unserem Vater ähnlich werden!

4. Von der Barmherzigkeit des Herrn gegen die Sünder: der verlorene Sohn, die Samariterin, Magdalena, die Ehebrecherin

Eine der erbarmungswürdigsten Formen menschlichen Elendes aber, die Sünde ist es, die das Herz Jesu vor allem angezogen hat. Wenn ein Zug im öffentlichen Leben des menschgewordenen Gottessohnes vor allen anderen ausfällt, so ist es die wunderbare Vorliebe, mit welcher der göttliche Heiland für die Seelen der Sünder besorgt ist.

Das Evangelium erzählt, dass »viele Zöllner und Sünder kamen und mit Jesus und seinen Jüngern zu Tisch saßen« (Mt 9, 10). Diese Gewohnheit war ihm in solchem Grade eigen, dass man ihn den »Freund der Zöllner und Sünder nannte« (Mt 11, 19; Lk 7, 34). Als sich die Pharisäer darob ärgerten, gab ihnen Jesus freimütig zur Antwort: »Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken. Ich bin nicht gekommen, die Gerechten zu berufen, sondern die Sünder« (Mt 9, 12; Mk 2, 17; Lk 5, 31 ff).

Nach dem ewigen Plan Gottes ist Jesus unser erstgeborner Bruder; denn, »die er vorher erkannt hat, hat Gott auch vorherbestimmt, dem Bild seines Sohnes gleichförmig zu werden, damit er der Erstgeborne sei unter vielen Brüdern« (Röm 8, 29). Er hat unsere Natur angenommen, die zwar im Menschengeschlechte verderbt und sündhaft, in seiner Person aber rein und unbefleckt ist. Er weiß, dass die Mehrzahl der Menschen in Sünden fällt und der Verzeihung bedarf, dass jene Seelen, die in die Sklaverei der Sünde verstrickt, fern von Gott in Finsternis und Todesschatten sitzen, nicht fähig sind, die unmittelbare Offenbarung des Göttlichen zu empfangen, sondern nur durch die herablassende Güte der allerheiligsten Menschheit emporgezogen werden können zum Vater. Darum zielt ein großer Teil der Lehren und Unterweisungen des Herrn viele Züge von Sanftmut und verzeihender Milde und Barmherzigkeit gegen die Sünder darauf hin, diesen verlorenen Schäflein in etwa das unendliche Erbarmen Gottes fühlbar zu machen.

In einer seiner schönsten Parabeln, im Gleichnis vom verlorenen Sohn, entwirft uns Jesus das ganz getreue Bild seines himmlischen Vaters. Doch hat dieses Gleichnis, wie es im Evangelium deutlich zum Ausdruck kommt, unmittelbar den Zweck, die Herablassung Jesu gegen die Sünder zu beleuchten. Wie der hl. Lukas bemerkt, murrten die Schriftgelehrten und Pharisäer darüber, dass die Zöllner und Sünder zum Herrn kamen, um ihn zu hören. »Dieser nimmt sich der Sünder an«, sagten sie, »und isst mit ihnen.« Da »trug ihnen Jesus dieses Gleichnis vor«, gleichsam um seine Handlungsweise zu rechtfertigen (Lk 15, 1 ff). Er schildert zuerst die außerordentliche Güte des Vaters, der alle Undankbarkeit und die tiefe sittliche Entwürdigung des Verirrten vergisst und nur an eines denkt: Sein Sohn war tot; er ist dem Leben zurückgeschenkt. Er war verloren, er ist wiedergefunden worden. Deshalb gilt es, sich zu freuen und ein festliches Mahl zu bereiten (Lk 15, 32 ff).

Der Heiland hätte hier das Gleichnis abbrechen können, wenn es nur seine Absicht gewesen wäre, die barmherzige Liebe des Vaters gegen den verlorenen Sohn zu zeigen! Diese ist ja in der Tat so groß und weitherzig, dass wir uns eine größere nicht denken können. »Sie weckt so lebhafte Rührung und Bewunderung und fesselt so sehr die Aufmerksamkeit, dass man darüber nur zu leicht die Lehre aus den Augen verliert, die Jesus denen geben wollte, die über ihn murrten und wegen seiner Langmut gegen die Sünder ihn lästerten.

Dar umfährt nun der Herr in dem Gleichnis fort, indem er die gehässige Stellung des älteren Sohnes schildert, der sich weigert, in die allgemeine Freude einzustimmen und an dem Festmahl teilzunehmen, das sein Vater dem wiedergefundenen Bruder bereiten ließ. Dadurch wollte Jesus den Pharisäern zu verstehen geben, wie hart ihr herber Stolz und wie verächtlich ihre Entrüstung sei. Vor allem aber wollte er sie lehren, dass er selbst, unser erstgeborner Bruder, weit entfernt, die Berührung mit den sündhaften, aber reuigen unter seinen Brüdern zu meiden, die Zöllner und Sünder vielmehr aufsuchte und sich mit ihnen zum Mahl setzte. Denn »im Himmel wird über einen einzigen Sünder, der sich bekehrt, größere Freude sein als über neunundneunzig Gerechte, die der Bekehrung nicht bedürfen« (Lk 15, 7).

Das Gleichnis vom verlorenen Sohn allein stellt schon eine herrliche Offenbarung der Barmherzigkeit Gottes dar. Doch hat es unserm gütigen Erlöser gefallen, diese Unterweisung auch noch durch Handlungen von wahrhaft göttlicher Güte hervorzuheben, die uns unwiderstehlich hinreißen zu dankbarer Bewunderung. Bekannt ist das Gespräch Jesu mit der Samariterin am Jakobsbrunnen (Joh 4, 5.29). Es war zu Beginn des öffentlichen Lebens Jesu. Der Herr begab sich von Jerusalem nach Galiläa. Er hatte einen weiten Weg zu wandern und war bereits am frühen Morgen aufgebrochen. Gegen Mittag kam er in die Gegend von Sichar, einer Stadt in Samaria. Das Evangelium sagt, dass er »müde war von der Wanderung«, müde, wie auch wir müde gewesen wären nach einem so weiten, staubigen Weg. Und Jesus setzte sich am Brunnen nieder. Alle Handlungen des menschgewordenen Wortes sind überaus schön in ihrer schlichten Einfalt. An der Haltung des Herrn ist nichts Gesuchtes, nichts Erkünsteltes. Obwohl Jesus wahrer Gott ist, ist er doch nicht minder auch, wenn man so sagen darf, ganz menschlich im edelsten Sinne des Wortes. »Vollkommener Gott, vollkommener Mensch!« Wir erkennen ihn so ganz als einen von uns. So setzt er sich an den Rand des Brunnens, dieweil die Jünger in die nahe Stadt gehen, um Lebensmittel zu kaufen. Und was hat Jesus im Sinn? Will er nur ausruhen? Wartet er bloß die Rückkehr der Seinen ab? Nein, er wartet auf ein verlorenes Schäflein, er will eine Seele retten.

Christus ist vom Himmel herabgestiegen, um die Sünder loszukaufen. »Er hat sich als Lösegeld für alle dahin gegeben« (1 Tim 2, 6). Dreißig Jahre lang hat er den brennenden Eifer zurückhalten müssen, der ihn nach dem Heil der Seelen verzehrte. Er arbeitete, litt und betete für sie, doch ging er ihnen nicht entgegen. Jetzt aber war die Stunde gekommen, wo er nach dem Willen des Vaters das Rettungswerk beginnen und durch Predigen der Wahrheit und Offenbarung seiner Sendung die Seelen suchen sollte. So kam der Heiland auch nach Sichar, um eine Seele zu retten, die er von aller Ewigkeit her auserwählt hatte.

Gewiss lebten in jener Stadt weniger verderbte Menschen als jene Sünderin, die Jesus retten wollte. Und doch ist es gerade diese, die er erwartet. Er kennt die Leichtfertigkeit, all die Schande, die ihr Leben befleckte, und doch ist sie es, die Sünderin, der er sich vor allen andern offenbaren will.

Die Frau naht mit seinem Krug, um Wasser aus dem Brunnen zu schöpfen. Und sogleich richtet Jesus das Wort an sie. Beginnt er nun damit, ihr den bisherigen schlechten Wandel vorzuhalten, ihr die Strafen anzudrohen, die ein solches Sündenleben verdienen? Gewiss nicht! So hatten es die Pharisäer gemacht. Jesus geht ganz anders vor. Er knüpft an das an, was ihn zunächst umgibt, und sagt zur Frau: »Gib mir zu trinken!« Da schaut sie ihn verwundert an; denn sie hat an der Sprache den Juden erkannt. Die Juden aber verachteten die Samariter, und diese hinwiederum hassten die Juden und vermieden jeden Verkehr mit ihnen. »Wie kannst du, der du Jude bist, eine Samariterin um einen Trunk bitten?« spricht sie zum Heiland. Er aber, wie um eine heilige Wissbegier in ihr zu wecken, entgegnet: »Wenn du doch die Gabe Gottes erkenntest und den, der zu dir spricht, gib mir zu trinken! Du würdest ihn bitten, und er gäbe dir lebendiges Wasser zu trinken.« Das arme Geschöpf aber, ganz versenkt in das Sinnliche, kann das Geistige nicht erfassen. Das Staunen der Samariterin nimmt zu. Sie fragt sich, wie der Fremde ihr Wasser verschaffen könne ohne Schöpfgefäß und welches Wasser wohl besser sein könne als jenes aus dem tiefen, heiligen Brunnen? »Bist du größer als unser Vater Jakob«, fragt sie, »der uns den Brunnen gegeben und selbst daraus getrunken hat samt seinen Söhnen und seinen Herden?« Da antwortet ihr Jesus mit Nachdruck und spricht: »Wer von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, der wird in Ewigkeit nicht mehr dürsten. Das Wasser, das ich ihm geben werde, wird in ihm vielmehr zu einer Quelle, die ins ewige Leben emporspringt.« Die Frau aber sprach: »Herr, lass mich trinken von diesem Wasser!« Jetzt gibt der Herr der Samariterin zu erkennen, dass ihr ungeordneter Lebenswandel ihm nicht verborgen ist. Die Sünderin, erleuchtet vom Strahl der Gnade, fühlt, dass sie vor einem steht, der aus dem Grund der Herzen liest. »Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist«, spricht sie, und alsogleich steigt ihre Seele empor zum Licht. »Unsere Väter haben auf diesem Berg angebetet, und ihr sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man Gott anbeten muss.« Es war dies ein alter Streit zwischen den Juden und den Samaritern. Jesus Christus sieht, wie sich in der Seele dieser schuldbeladenen Frau ein schwaches Fünklein guten Willens regt. Das genügt, um ihr mit noch größeren Gnaden zuvorzukommen. Wo immer er lautere Absicht und aufrichtiges Streben nach der Wahrheit findet, erleuchtet er die Seele und hat seine Freude daran, das Verlangen nach dem Guten und nach der Gerechtigkeit zu belohnen. Darum wird nun auch der Samariterin eine zweifache Offenbarung zuteil. Jesus sagt ihr, dass die Stunde gekommen sei, in der die wahren Anbeter im Geist und in der Wahrheit anbeten werden; denn »solche Anbeter sucht der Vater«, und dann offenbart er sich ihr als der von Gott gesandte Messias »Ich, der mit dir redet, ich bin es.« Eine Offenbarung, die bisher niemandem, nicht einmal seinen Jüngern zuteil geworden war! Ist es nicht wunderbar, dass diese beiden großen Offenbarungen zuerst einer Sünderin gemacht wurden, die kein anderes Anrecht auf einen so großen Gnadenvorzug hatte als ihre große Erlösungsbedürftigkeit und ein wenig guten Willen?

Die Samariterin ging gerechtfertigt von dannen; sie hatte die Gnade des Glaubens empfangen. Das Evangelium sagt, dass sie »ihren Wasserkrug stehen ließ« und in die Stadt lief, den Messias zu verkünden, der ihr begegnet war. Das erste, was sie tut, ist, allen die »Gabe Gottes« bekannt zu geben, die sich ihr mitgeteilt hatte in herrlicher Freigebigkeit.

Unterdessen waren die Jünger zurückgekehrt mit den Speisevorräten. Sie kamen zum Herrn und sagten: »Meister, iss!« Jesus aber sprach zu ihnen: »Ich habe eine Speise zu essen, die ihr nicht kennt ... eine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat« (Joh 4, 31 ff). Und was ist der Wille des Vaters? »Dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen« (1 Tim 2, 4). Die Erfüllung dieses Willens ist das Lebenswerk des Herrn. Der Vater will, dass Jesus ihm die Seelen zuführe, die er retten könne. Jesus soll ihnen den Weg zeigen, die Wahrheit kundtun und sie zum Leben geleiten. »Alles, was der Vater mir gibt, kommt zu mir, und wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen.« Das ist das Erlösungswerk Christi.

Die Sünderin von Sichar hatte nichts, was sie von anderen unterschied, es sei denn die Tiefe ihres sittlichen Elends. Aber sie wird vom Vater zu Christus gezogen, und Christus nimmt sie auf, er erleuchtet, heiligt und verwandelt sie und macht sie zum Apostel. »Denjenigen, der zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen«; denn es ist der Wille desjenigen, der mich gesandt hat, dass ich nichts von allem, was er mir gegeben hat, verliere, sondern es vielmehr auferwecke zur Gnade hienieden und dereinst zur ewigen Herrlichkeit am Jüngsten Tage.

Die Samariterin ist eine der ersten, die Jesus zum Leben der Gnade auferweckt, ihr reiht sich die Sünderin Magdalena an, in der die Gnade noch herrlicher triumphiert.

»In der Stadt lebte eine sündige Frau.« Mit diesen Worten, die ein Zeugnis ihres schlechten Lebens sind, beginnt das Evangelium seinen Bericht. Magdalena hatte sich von Beruf der Sünde hingegeben, wie der Soldat von Beruf die Waffen führt oder ein Politiker die Staatsangelegenheiten lenkt. Ihre Verirrungen waren bekannt, sieben Teufel hatten ihren Wohnsitz in ihr aufgeschlagen, damit ist angedeutet, wie tief sie gefallen war. Eines Tages nun kam Jesus in das Haus des Pharisäers Simon. Kaum hatte er sich zu Tisch gesetzt, da tritt die Sünderin in den Festsaal mit einem Alabastergefäß voll Salböl. Sie nähert sich dem Herrn, fängt an, seine Füße mit ihren Tränen zu benetzen, mit den Haaren ihres Hauptes zu trocknen, sie zu küssen und mit Öl zu salben.

Als der Pharisäer, der ihn geladen hatte, dieses sah, nahm er Anstoß und dachte: Wenn dieser ein Prophet wäre, so wüsste er, wer und was für eine Frau die ist, die ihn da anrührt, denn sie ist eine Sünderin. Unmöglich kann das ein Prophet sein! Nun redete Jesus den Pharisäer an. (Man beachte das Wort »er antwortete« dem Pharisäer, obwohl dieser mit keinem Worte seine geheimen Gedanken verraten hatte). Er »antwortete ihm«, so heißt es ausdrücklich, mit dem bekannten Gleichnis von den zwei Schuldnern, denen der Gläubiger die ungleiche Schuld erlässt. Welcher von bei den wird ihn mehr lieben? »Ich glaube jener«, antwortet Simon, »dem er mehr geschenkt hat.« Jesus aber sprach zu ihm: »Du hast recht geurteilt.« Dann wandte er sich zu Magdalena. »Siehst du diese Frau?« Ja, du hast recht! Sie ist eine Sünderin, und du hast sie in deinem Herzen verachtet. Sie aber hat viel geliebt. Ihre Tat hat es bewiesen. »Deshalb werden ihr viele Sünden vergeben, weil sie eine so große Liebe hat« (Lk 7, 37 ff).

In Magdalena, der Sünderin, hat die Gnade ihren schönsten Triumph gefeiert. Sie ist eines der glorreichsten Siegeszeichen des kostbaren Blutes Jesu.

Das Mitleid des menschgewordenen Wortes mit den Sündern ist so groß, dass Jesus sogar manchmal die Forderungen seiner Gerechtigkeit und Heiligkeit zu vergessen scheint. Seine Feinde wissen es und suchen ihn auf diesem Gebiete mit ihren Fallstricken zu umgarnen.

Die Schriftgelehrten und Pharisäer bringen eine Frau zu ihm, das im Ehebruch ergriffen worden war. »Das Verbrechen kann also weder geleugnet noch dessen Schwere gemildert werden. Für solche Schuld verhängte das mosaische Gesetz die Strafe der Steinigung. Die Pharisäer nun, denen die Milde des Herrn gegen die Sünder wohl bekannt war, sind im Voraus überzeugt, er werde die Todesstrafe nicht zugeben. Sie wollen also versuchen, ihn mit dem Gesetz des Mose in Widerspruch zu bringen, und fragen ihn: »Was sagst du dazu?« Aber Jesus ist nicht nur die ewige Güte; er ist ebenso auch die ewige Weisheit. Vorerst antwortet er nicht auf die böswillige Frage. Da aber seine Widersacher ihn drängen, spricht er zu ihnen: »Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.« Diese Antwort bringt die Feinde außer Fassung, so dass sie sich, einer nach dem andern, fortschleichen, voran die Ältesten. Jesus aber blieb allein vor der Sünderin, - das große Elend vor der großen Barmherzigkeit. Da neigt sich die Barmherzigkeit herab zum Elend. »Frau, wo sind jene, die dich anklagten? Hat dich niemand verurteilt?« »Keiner, Herr«, antwortet sie. Jesus aber sprach: »So will auch ich dich nicht verurteilen. Geh hin und sündige nicht mehr« (Joh 8, 3 ff)!

Diese Güte des Heilandes wollte manchen Christen übertrieben scheinen, so dass die Erzählung von der Ehebrecherin in einigen Handschriften der ersten christlichen Jahrhunderte nicht aufgenommen wurde. Sie ist aber durchaus echt, und der Hl. Geist hat gewollt, dass sie dem Evangelium eingefügt wurde.

Alle diese Beispiele der Herzensgüte Jesu sind nicht bloß die sichtbaren Ausstrahlungen einer höheren Liebe, sie sind der Abglanz der unendlichen Liebe des himmlischen Vaters zu den armen Sündern. In allen menschlichen Handlungen des Herrn sehen wir ja eine Offenbarung dessen, was Jesus als Gott tut in Einigkeit mit dem Vater und dem Hl. Geiste. Jesus nimmt die Sünder auf und erbarmt sich ihrer. Er ist aber Gott selbst, der in menschlicher Gestalt sich zu ihnen herniederneigt und sie aufnimmt in den Schoß seiner ewigen Barmherzigkeit.

5. Die Milde des Erlösers ist die vorzüglichste Ursache unseres Vertrauens; wie das Vertrauen durch die Buße festen Halt gewinnt

Die uns durch Jesus Christus gewordene Offenbarung der Barmherzigkeit Gottes ist die erste Grundlage unseres Vertrauens.

Jeder von uns kennt aus Erfahrung solche Augenblicke der Gnade, wo der Mensch im Licht Gottes hinabschaut in den Abgrund seiner Sünden und Fehler und die eigene Ohnmacht erkennt, wo er sieht, wie arm und befleckt er ist und mit Petrus ausrufen möchte: »Herr, gehe hinweg von mir; denn ich bin ein sündiger Mensch« (Lk 5, 8). Wie könntest du dich vereinigen mit einer sündenbefleckten Seele? Solltest du nicht edle, reine, von der Sünde unberührte Seelen dir erwählen statt der meinigen, die nicht wert ist, so nahe bei dir zu wohnen?

Gedenken wir aber noch viel mehr dieses Wortes des Herrn: »Ich bin nicht gekommen, die Gerechten zu berufen, sondern die Sünder.« Hat Jesus nicht in der Tat den Zöllner und Sünder Matthäus berufen und zu seinem Apostel gemacht? Wen aber hat er bestellt zum Oberhaupt seiner Kirche, »die er rein und makellos sehen will und für deren Heiligung er sein kostbares Blut dahin gegeben hat« (vgl. Lk 5, 25 ff)? Etwa Johannes den Täufer, der schon im Mutterschoß geheiligt und in der Gnade gefestigt und von solch außergewöhnlicher Vollkommenheit war, dass man ihn für den Erlöser hielt? Oder vielleicht Johannes, den Evangelisten, den jungfräulichen Jünger, den er vor allen lieb hatte und der allein ihm folgte bis unter das Kreuz? Keinen von beiden. Jesus erwählt frei und wohl bedacht einen Mann, der ihm untreu werden sollte. Ist das nicht erstaunlich? Durch seine Allwissenheit kannte der Heiland genau alles, was die Zukunft bringen sollte. Als er dem Petrus verhieß, dass er auf ihn als auf den Felsen seine Kirche bauen werde, da wusste er wohl, dass dieser nämliche Mann, ungeachtet seines feurigen Glaubens, den Meister verleugnen werde. Wie viele Wunder hatte Petrus mit eigenen Augen gesehen, wie viele Gnaden hatte er vom Herrn empfangen! Er war Zeuge der Verklärung auf Tabor gewesen und dennoch hatte er, - und zwar am Tag seiner ersten hl. Kommunion, am Tag seiner Priesterweihe mit einem Schwur beteuert, dass er »den Menschen nicht kenne« (Mt 26, 7 ff). Und gerade ihn hat Jesus allen andern vorgezogen! Aus welchem Grund wohl? Weil seine Kirche aus Sündern zusammengesetzt sein würde.

Die allerseligste Jungfrau ausgenommen, sind alle Menschen Sünder, und alle bedürfen der göttlichen Barmherzigkeit. Deshalb bestellte Jesus zum Oberhirten seines Reiches einen armen Sünder, dessen Schuld im Evangelium verzeichnet steht mit allen Einzelheiten, die nur immer seinen Undank und seine Feigheit beleuchten können.

Und dann Maria Magdalena. Wir lesen im Evangelium, dass fromme Frauen den Herrn auf seinen Wanderungen begleiteten, ihn und seine Apostel zu bedienen. Unter diesen Frauen, die sich in liebender Hingabe verzehrten, hat Christus keine so sehr ausgezeichnet wie die Sünderin Magdalena. Er hat von ihr gesagt: »Überall in der ganzen Welt, wo diese frohe Botschaft verkündet wird, da wird man auch zu ihrem Andenken erzählen, was sie getan hat« (Mk 16, 9). Er hat gewollt, dass der Evangelist ihre Ausschweifungen nicht verschweige, ebenso musste er aber auch getreulich berichten, dass Jesus der reuigen Magdalena erlaubte, unter dem Kreuz zu stehen neben seiner Mutter, der Jungfrau der Jungfrauen, und dass sie es war, die am Ostermorgen als erste der Erscheinung ihres erstandenen Herrn gewürdigt ward. Warum, so fragen wir noch einmal, warum eine so große Herablassung des Herrn zu den Sündern? »Zum Lob der Herrlichkeit seiner Gnade« (Eph 1, 6)! So wunderbar groß ist in der Tat die siegreiche Kraft seiner göttlichen Gnade und Erbarmung, dass sie eine berüchtigte Sünderin aus dem Abgrund des Lasterlebens zur höchsten Glorie der Heiligkeit emporhebt. »Ein Abgrund ruft dem andern zu« (Ps 42, 8). »Die Gnade fand ein verworfenes Geschöpf«, so sagt ein Schriftsteller aus den ersten Jahrhunderten, »und machte es reiner als die Jungfrauen (Diese Stelle findet sich in den dem hl. Joh. Chrys. zugeschriebenen Predigten, [Migne P. G. 52, 803]).« Gott will, dass niemand sich eigener Gerechtigkeit rühmen könne, »wohl aber sollen alle preisen den Reichtum der göttlichen Gnade und Barmherzigkeit« (Eph 2,9); »denn ewig währet Gottes Huld« (Ps 136, 1).

Wir kennen zur Genüge unser Elend, unsere Sünden, unsere Fehler. Eines aber kennen wir nicht, weil wir schwach sind im Glauben, nämlich den unschätzbaren Wert des Blutes Christi und die Kraft seiner Gnade.

Die Quelle unseres Vertrauens ist die unendliche Barmherzigkeit Gottes uns gegenüber. Dieses Vertrauen aber erfährt eine mächtige Steigerung durch die Buße. Die überaus große Herablassung des Herrn gegen die Sünder darf uns nicht Veranlassung sein, in der Sünde zu verbleiben oder nach erlangter Verzeihung neuerdings zu fallen. »Sollen wir in der Sünde verharren«, fragt der hl. Paulus, »damit die Gnade desto reichlicher werde? Nimmermehr« (Röm 6, 1 ff) Wir, die wir durch den Tod Christi von der Sünde losgekauft sind, dürfen nicht mehr zu ihr zurückkehren.

Es ist wohl zu beachten, dass Jesus, als er der Ehebrecherin verzieh, die ernste Mahnung hinzufügte: »Sündige fortan nicht mehr.« Die nämliche Mahnung erhält der Gichtbrüchige, und zwar mit der Begründung: »Siehe, du bist gesund geworden, sündige fortan nicht mehr, damit dir nicht noch Schlimmeres widerfahre« (Joh 5, 14)! Der Heiland hat ja selbst gesagt, dass der unreine Geist, wenn er aus dem Menschen ausgefahren ist und zurückgekehrt in dessen Seele, noch sieben andere Geister mitnimmt, die schlimmer sind als er. Und die letzten Dinge jenes Menschen werden schlimmer sein als die ersten« (Mt 12, 45; Lk 11, 26).

Buße ist die Bedingung, die von jedem gefordert wird, der Gottes Verzeihung erlangen und bewahren will. Petrus hat gesündigt, schwer gesündigt, aber das Evangelium sagt auch, dass er »bitterlich weinte« (Lk 22, 62). Später durfte er die dreimalige Verleugnung sühnen durch ein dreimaliges Bekenntnis seiner Liebe. »Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebe« (Lk 21, 15 ff). Ähnlich Magdalena, die nicht nur das glorreiche Siegeszeichen der Gnade Christi, sondern auch das herrliche Vorbild büßender Liebe ist. Sie opfert dem Herrn ihre schönste Zierde, die reiche Haarfülle. Denn Paulus sagt, dass es »die Zierde der Frau sei, langes Haar zu tragen« (1 Kor 11,15), weil dieses ihr als Schleier gegeben ist. Dieses wallenden Schleiers hat sich Magdalena einstmals bedient, um ihre Opfer anzulocken, sie zu umgarnen und zu verderben. Nun trocknet sie damit die Füße des Meisters und erniedrigt in den Augen aller Anwesenden, die sie kannten, wie eine Sklavin den Schmuck, auf den sie bisher so stolz gewesen war. Die büßende Liebe, die sich opfert, die aber, indem sie sich opfert, die Schätze göttlichen Erbarmens auf sich herabzieht, um sie nie mehr zu verlieren. »Ihr werden viele Sünden vergeben, weil sie so viel geliebt hat!« 

Mag eine Seele auch noch so oft in die Sünde zurückfallen, wir dürfen doch nie an ihr verzweifeln. »Herr«, so fragte Petrus den göttlichen Meister, »wie oft muss ich meinem Bruder verzeihen? Etwa siebenmal? « Jesus aber antwortete: »Siebzigmal siebenmal«, d. h. ungezählte Male (Mt 18, 21 ff). Dieses unerschöpfliche Maß der Versöhnlichkeit ist das Maß Gottes gegen die reuigen Sünder, solange sie in diesem sterblichen Leben weilen.

Um diese Abhandlung über die Güte und Herablassung Jesu zu vervollständigen, sei noch auf einen Zug hingewiesen, der uns das echt menschliche Fühlen des Herrn nahebringt und uns eine der rührendsten Seiten der zarten Liebe Jesu enthüllt, seine Freundschaft für Lazarus und dessen Schwestern in Bethanien.

Im ganzen öffentlichen Leben des menschgewordenen Wortes finden wir kaum ein Moment, das uns so unwiderstehlich zum Herrn hinzieht und ihn uns so nahe bringt wie dieses trauliche Bild seiner innigen Beziehungen zu den Freunden im stillen Bethanien. Wenn der Glaube uns sagt, dass Christus wahrer Gott und Gottes eingeborener Sohn ist, so offenbart uns andrerseits die Herablassung und liebende Freundschaft des Herrn in ihm den wahren Menschensohn.

Die heiligen Schriftsteller haben uns das Bild dieser heiligen Liebe nur mit wenigen Strichen gezeichnet; doch genügt dieses wenige, um uns die unendliche Zartheit dieser Freundschaft ahnen zu lassen. Der hl. Johannes erzählt uns, dass Jesus Martha sowie deren Schwester Maria und Lazarus liebte (Joh 11, 5). Die drei Geschwister waren die Freunde Jesu und seiner Apostel. Den Aposteln gegenüber nennt Jesus Lazarus »unsern Freund« (Joh 11,11). Der evangelische Bericht fügt erklärend hinzu, dass »Maria es war, die den Herrn mit Balsam salbte und seine Füße mit ihren Haaren abgetrocknet hatte« (Joh 11, 2).

Ihr Haus zu Bethanien war das »Heim«, das Christus, das menschgewordene Wort, sich als gastlichen Ort der Ruhe auserwählt hatte und als Schauplatz jener heiligen Freundschaft, deren Beispiel er uns geben wollte. Wie anziehend ist diese Häuslichkeit, in die uns der hl. Lukas im zehnten Kapitel seines Evangeliums Einblick gewährt! Jesus ist dort der hochgeehrte, aber auch wohlvertraute Gastfreund. Das geht aus dem kleinen häuslichen Zwist hervor, worin Martha den Herrn auffordert, auch ihre andächtig lauschende Schwester vom innern Dienst des frommen Gemütes zur Anteilnahme an ihrem werktätigen Schaffen zu veranlassen. »Herr, kümmert es dich nicht«, spricht sie, »dass meine Schwester mir die Bedienung allein überlässt? Sage ihr doch, sie solle mir helfen!« Aber weit entfernt, diese Vertraulichkeit übel zu nehmen, die ihn sozusagen mit in die Vorwürfe verwickelt, die Martha ihrer Schwester macht, entscheidet Christus die Frage liebreich zugunsten Mariens, die hier das Gebet und die innige Vereinigung mit Gott versinnbildet »Martha, Martha, du machst dir Sorge und Unruhe um vieles. Nur eines ist notwendig. Maria hat den besten Teil erwählt; er wird ihr nicht weggenommen werden« (Lk 10, 40 ff).

Wenn wir im Geist des Glaubens dieser anmutigen Szene beiwohnen, fühlen wir es tief im Herzen, dass Jesus in Wahrheit einer aus uns geworden ist. »In allem musste er seinen Brüdern ähnlich werden« (Hebr 2,17). In seiner Person hat sich wahrhaft die herrliche Offenbarung der ewigen Weisheit an die Welt erfüllt: Reine Freude ist es, bei den Menschenkindern zu sein« (Spr 8, 31). Zugleich aber empfinden wir, dass »kein anderes Volk so groß ist, dass es Götter habe, die sich ihm nahen, wie unser Gott« (Dtn 4, 7).

Jesus Christus ist wahrhaftig der »Emanuel«, Gott, der mit uns, unter uns, bei uns Menschen wohnt.

6. Strenge Jesu gegen die stolze Scheinheiligkeit der Pharisäer

Das Leben Jesu ist eine Offenbarung der Vollkommenheiten Gottes, der Freigebigkeit seiner höchsten Güter und seiner unergründlichen Barmherzigkeit. Im menschgewordenen Worte enthüllt uns Gott sozusagen seinen wahren und innersten Charakter. »Gott ... leuchtet in unseren Herzen auf, um die Erkenntnis von der göttlichen Herrlichkeit Jesu Christi leuchten zu lassen« (2 Kor 4,18). »Christus ist das Ebenbild Gottes, des Unsichtbaren« (Kol 1,15). Seine Worte und Taten sind die wahre Kundgebung des unendlichen Seins.

Unsere Betrachtung der Eigenart Christi und unser Begriff von Gott wären aber unvollständig, wenn wir bloß das unerschöpfliche Erbarmen Jesu, die Sünde miteinbegriffen, ins Auge fassen, dabei aber übersehen würden, wie er sich verhalten hat gegen jene ganz eigene Art menschlicher Bosheit, die der göttlichen Hoheit und Güte schnurgerade entgegengesetzt ist, gegen das Pharisäertum.

Es ist bekannt, wer die Pharisäer waren. Im Zeitalter nach der Rückkehr aus BabyIon hatten die Eiferer für das Gesetz unter den Juden alles aufgeboten, um fremde, dem wahren Glauben nachteilige Einflüsse abzuwehren oder unschädlich zu machen. Vor allem aber wachten sie über die Reinheit und Heilighaltung des mosaischen Gesetzes.

Dieser an sich lobenswerte Eifer, der ein ideales Streben verriet, artete leider allmählich in bösartige Unduldsamkeit und leeren Formeldienst aus. Es bildete sich unter den Juden eine politisch religiöse Partei, die man Pharisäer, d. i. Ausgesonderte, nannte, weil sie jede Berührung mit Fremden und mit solchen, die nicht an ihren Überlieferungen festhielten, mieden und verabscheuten. Den Pharisäern gleichzuhalten sind die Schriftgelehrten, weil sie Mitglieder dieser Sekte waren. Sie befassten sich hauptsächlich mit dem Texte des Gesetzes, seiner Erklärung und Beobachtung. Weil sie die Irrtümer der Pharisäer teilten, waren sie auch mit einbezogen in den Fluch, den der Herr auf diese herabrief. Die Pharisäer erklärten in der Tat das Gesetz mit raffinierter Spitzfindigkeit, fügten ihm zahllose mündliche Vorschriften hinzu, die es in vielen Fällen unausführbar oder kindisch und lächerlich machten. Zwei Punkte waren es vor allem, deren Einzelheiten ihnen Stoff zu endlosen Erörterungen gaben und ihre Aufmerksamkeit rege hielten: die Sabbatruhe und die gesetzlichen rituellen Reinigungen. Mehr als einmal sehen wir aus dem Evangelium, wie die Pharisäer den Herrn in Bezug auf diese zwei strittigen Punkte anfeindeten.

Sie waren in ein leeres, engherziges Formelwesen verfallen. Ohne sich um die innere Gesinnung des Herzens zu kümmern, klammerten sie sich an die rein äußerlichen, kleinlichen Beobachtungen des toten Buchstabens. Darin bestand ihre ganze Religion und all ihre Vollkommenheit. Die Folge einer solch ungesunden Übertreibung war eine erschreckende Verschwommenheit aller sittlichen Begriffe. Diese »Reinen« setzten sich unbedenklich über wichtige Gebote des Naturgesetzes hinweg, um sich bei nichtigen, selbsterdachten Spitzfindigkeiten aufzuhalten. So lehrten sie unter dem Vorwand der Sabbatruhe, dass man am Sabbat weder die Kranken pflegen noch Almosen spenden dürfe. Wir hören, wie sie den Jüngern Jesu den Vorwurf der Sabbatschändung machen, weil diese, durch die Saaten wandelnd, Ähren gepflückt, mit den Händen zerrieben und gegessen hatten (Mt 12, 1 ff.; Mk 2, 23 f.; Lk 6, 1 ff).

Der sinnlos übertriebene Formeldienst führte notwendig zu Stolz und Selbstgefälligkeit. Als Urheber so vieler kleinlicher Vorschriften hielten sie sich gleicherweise für die Urheber ihrer eigenen Heiligkeit. Sie waren die »Reinen und Ausgesonderten«, an die nichts Unreines hinreichen konnte. Was hätte man ihnen vorwerfen können? Waren sie nicht auf der ganzen Linie korrekt? Ihre übertriebene Selbstschätzung und ein unbändiger Hochmut veranlassten sie, die höchsten Sitze in den Synagogen und die ersten Plätze bei Gastmählern, die Begrüßungen auf den öffentlichen Plätzen (Lk 20, 46) und den Beifall der Menge zu suchen und zu beanspruchen. Dieser Hochmut machte sich geltend bis ins Heiligtum hinein. Der göttliche Heiland stellt den Zöllner, der schuldbewusst und im Gefühl seines Unwertes vor Gott demütig »von ferne steht« (Lk 18, 9 ff) und nicht wagt, seine Augen zum Himmel zu erheben, dem selbstbewussten Pharisäer gegenüber. Dieser steht da vor Gott, dankt ihm, dass er nicht ist wie die übrigen Menschen, weil er das Gesetz in allen Einzelheiten erfüllt, und fordert dafür, dass Gott all sein Verhalten als vollkommen anerkenne und billige.

Was die meisten Pharisäer besonders verächtlich machte, war die Scheinheiligkeit, die sich ihrem Stolz gesellte. Wegen der vielen Ritualvorschriften, die sie eingeführt hatten und die Christus selbst als »unerträglich« (Mt 23, 4; Lk 11,16) bezeichnete, vermochten viele von ihnen die Heiligkeit, womit sie sich brüsteten, nur dadurch zur Schau zu tragen, dass sie ihre Fehler und Verstöße geschickt verbargen und dem Wortlaut des Gesetzes selbsterfundene Deutungen unterschoben. So konnten sie das Gesetz übertreten und dabei dennoch den Schein der Heiligkeit vor dem Volk wahren, das mit Bewunderung zu ihnen aufblickte. Ihr Ansehen und ihr Einfluss waren sehr bedeutend. Sie galten als die berufenen Ausleger und Hüter des mosaischen Gesetzes. Sie prunkten mit großer Hochschätzung für alle äußeren Übungen und beeindruckten dadurch die Menge, die sie als Heilige betrachtete.

Alles, was ihren Einfluss beim Volk beeinträchtigen konnte, war ihnen daher ein Dorn im Auge. Deshalb stellten sie sich gleich zu Beginn seines öffentlichen Lebens dem Herrn feindlich gegenüber. Christus schloss sich nicht nur ihrer Schule nicht an, sondern die Lehre, die er predigte und die Taten, womit er diese Lehre bekräftigte, waren ihrem Wandel und ihren Ansichten geradezu entgegengesetzt. Die unerhörte Herablassung des Herrn zu den Zöllnern und Sündern, die ihnen als unrein und verächtlich galten, seine Unabhängigkeit dem Sabbatgesetze gegenüber - er nennt sich selbst den Herrn des Sabbats, - die Wunder, wodurch er das Volk gewann, all das musste die Eifersucht und den Zorn der Pharisäer erregen.

Daher verrannten sie sich, obwohl vom Herrn selbst gewarnt, mehr und mehr in ihrer Verblendung, legten ihm Schlingen und verlangten von ihm ein Zeichen vom Himmel als Beweis für seine Sendung. Sie bringen die Ehebrecherin vor ihn, um ihn in Widerspruch mit dem Gesetz des Moses zu verwickeln. Sie fragen ihn hinterlistig, ob es erlaubt sei, dem Kaiser Zins zu geben. Immer und immer wieder ersieht man aus dem Evangelium, wie sie hasserfüllt gegen den Herrn auftreten, wie sie trachten, sein Ansehen bei der Menge zu untergraben, die Jünger abspenstig zu machen und das Volk zu täuschen, damit Christus gehindert werde, seine Sendung zum Heile der Menschen zu erfüllen.

Zu wiederholten Malen hat Jesus seine Jünger vor der Heuchelei der Pharisäer gewarnt. Am Ende seines öffentlichen Wirkens aber hat er als guter Hirte, der gekommen war, seinen Schäflein die Wahrheit und das Leben zu bringen, diese Wölfe im Schafspelz, die durch den trügerischen Schein der Tugend ihre einfältigen Opfer ins Verderben lockten, gründlich entlarvt.

In der feierlichen Bergpredigt setzte Christus seine jüdischen Zuhörer in Erstaunen durch die Offenbarung einer Lehre, die ihren hartnäckigen Selbsttäuschungen und eingewurzelten Vorurteilen durchaus zuwider lief. Vor allem Volk hatte er als Erben seines Reiches die Armen im Geiste, die Sanftmütigen, die Trauernden und jene, die Hunger und Durst leiden nach der Gerechtigkeit seliggepriesen. Er hatte die Barmherzigen, die Herzensreinen, die Friedfertigen als die wahren Kinder seines himmlischen Vaters bezeichnet und jenen das Himmelreich, d. h. die höchste Seligkeit verheißen, die Verfolgung leiden würden um seinetwillen (Mt 5, 3 ff).

Diese Lehre des Heilandes ist gleichsam die große evangelische Verfassungsurkunde, die Magna Charta zugunsten der Armen, der Kleinen, der Demütigen, die im grellen Gegensatz steht zu jener Lehre, die in Wort und Beispiel von den Pharisäern gepredigt wurde.

Darum hat der Herr acht furchtbare» Wehe« gegen die Pharisäer geschleudert, die das unheilkündende Gegenstück der Seligpreisungen sind.

Man muss sie im Evangelium lesen, wo sie eine ganze Seite füllen (Mt 23, 13 ff) Hören wir, mit welch gerechtem Unwillen Christus, der die untrügliche Wahrheit und das Leben ist, dem Volk und den Jüngern einschärft, wohl auf der Hut zu sein vor dem Wort und dem Beispiel der Pharisäer, das vom rechten Pfade ablenkte, der Habsucht und dem bitteren Eifer als Deckmantel diente, die Wahrheit und das Gesetz verfälschte, eine Scheinreligion aufbaute und sich mit heuchlerischer äußerlicher Reinheit begnügte, die im Innern nur Fäulnis, Hass und Verfolgung barg.

»Wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr verschließt das Himmelreich vor den Menschen! Ihr tretet selbst nicht ein und ihr lasst auch die nicht hinein, die hinein möchten!

Wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr verprasst die Güter der Witwen, während ihr zum Schein lange Gebete verrichtet, deshalb werdet ihr ein so strenges Gericht finden!

Wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer! Ihr Heuchler! Ihr gebt den Zehnten von Minze, Anis und Kümmel, lasst aber das wichtigste im Gesetz, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Treue außer Acht. Das eine soll man tun, das andere nicht unterlassen! Ihr blinden Führer! Ihr seid Mücken und verschluckt das Kamel!

Wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer! Ihr Heuchler! Ihr reinigt den Becher und die Schüssel von außen; innen aber sind sie voll Raub und Unmäßigkeit! Ihr Schlangen- und Natterngezücht! Wie wollt ihr der Verurteilung der Hölle entrinnen« (Mt 23, 13 ff)?

Woher dieser Unterschied? Warum ist Christus so mild und barmherzig gegen die Sünder? Warum trifft er die Pharisäer vor aller Augen mit den furchtbaren Blitzstrahlen seines Fluches?

Welcher Gegensatz zwischen dem niederschmetternden Urteil und den furchtbaren Anklagen des Herrn gegen die Pharisäer und seinem Verhalten gegen die größten Sünder. Man denke an die Samariterin, an Magdalena, an die Ehebrecherin, denen der Herr alles verzeiht, ohne ein Wort des Vorwurfes, und einem Verbrecher wie dem guten Schächer verheißt der Herr das Paradies.

Woher dieser Unterschied? Warum ist Christus so mild und barmherzig gegen die Sünder, während er die Pharisäer vor aller Augen mit den furchtbaren Blitzen seines Fluches trifft.

Weil jede Art von Schwäche und Elend, wenn sie nur demütig erkannt und eingestanden wird, das Mitleid seines gütigen Herzens und den barmherzigen Blick seines Vaters auf sich lenkt. »Wie sich erbarmt ein Vater seiner Kinder, erbarmt der Herr sich aller, die ihn fürchten« (Ps 103, 13 ff).

»Er kennt ja unser schwaches Gebilde.« Der Stolz jedoch, vorab der Geistesstolz, der da der Sünde der Engel gleicht, fordert den Zorn des Herrn heraus; denn es steht geschrieben: »Dem Stolzen widersteht Gott« (Jak 4, 6; 1 Petr 5,5).

Was immer im Stolz Abscheuliches und Heuchlerisches liegt, das war im Geist der Pharisäer vereint. Sie waren verhärtet in ihres Herzens Sinne; sie waren reich in ihren eigenen Augen, darum werden sie mit leeren Händen vom Angesicht des Herrn verstoßen. »Die Reichen lässt er leer ausgehen« (Lk 1, 53).

Hier ist zu bemerken, dass das Pharisäertum mancherlei Gestalten annehmen kann. Der Herr hat die Pharisäer verdammt, nicht bloß wegen ihres heuchlerischen Stolzes, der seine Verderbtheit unter dem Mantel der Vollkommenheit verbarg, er hat sie auch übertünchte Gräber genannt, die von außen schön erscheinen, inwendig aber voll sind von Totengebein und Moder.

Er warf ihnen auch vor, dass sie das ewige Gesetz Gottes durch kleinlich menschlichen Formelgeist verdrängt haben. Die Pharisäer entrüsten sich darüber, dass der Herr am Sabbat Kranke heilt. Sie stoßen sich an den Aposteln, weil diese sich nicht vor den Mahlzeiten all den gesetzlichen Reinigungsvorschriften unterziehen, die jene erfunden hatten, als bestünde darin die ganze Reinheit des Menschen. Sie legten die Heiligkeit in die kleinliche Beobachtung der Überlieferungen und Übungen, die ihrem eigenen Kopf entstammten, und verletzten ungescheut die strengsten Vorschriften des Gesetzes. So galt es ihnen für erlaubt, mit einem einzigen Wort ihre Güter dem Tempel zu verschreiben und unantastbar zu machen, so dass ein frommer Pharisäer davon weder Schulden zu bezahlen noch seine dürftigen Eltern pflichtmäßig zu verpflegen brauchte. Das hieß, nach dem Worte des Herrn selbst, soviel als das Gebot Gottes ihrer Auslegung zu lieb außer Kraft setzen (Mt 15, 1 ff). Dieser engherzige Formeldienst, der auf rein menschlicher Erfindung beruhte und die Religion fälschte und herabwürdigte, widerstrebte dem edlen Geist und der Herzenseinfalt des göttlichen Meisters so sehr, dass er ihn schonungslos entlarvte und verdammte. »Ich sage euch, wenn eure Gerechtigkeit die der Schriftgelehrten und Pharisäer nicht weit übertrifft, so werdet ihr in das Himmelreich nicht eingehen« (Mt 5, 20).

Welch herrliche Offenbarung von Gottes Geist und von seiner Art, die Menschen und ihre Gesinnung zu beurteilen! Die strengen Worte Jesu gegen die Pharisäer, seine herben Vorwürfe, werfen ein helles Licht auf den eigentlichen Begriff wahrer Vollkommenheit.

In der Bergpredigt weist Jesus die Wege zu den Höhen echter Heiligkeit. Im Wehe gegen die Pharisäer zeigt er hinab in die finsteren Tiefen unechter Frömmigkeit, wie sie uns im Pharisäertum verkörpert erscheint.

Von allen Fallstricken des Teufels ist keiner so gefährlich und verhängnisvoll als die Versuchung, unter irgendeiner Art pharisäischer Heuchelei wahre Heiligkeit, wie sie das Evangelium verlangt, vorzutäuschen. Diesen Fallstrick kann der Fürst der Finsternis auch solchen Seelen legen, die nach Vollkommenheit streben, indem er ihren inneren Blick trübt und ihnen anstatt der evangelischen Wahrheit eine rein äußere Scheingerechtigkeit vortäuscht. Dieser Weg führt nicht zum Ziel, und die Seele bleibt unfruchtbar vor Gott, denn unerbittlich wahr ist das Urteil des Herrn gegen die Pharisäer: »Jede Pflanzung, die mein himmlischer Vater nicht angelegt hat, wird ausgerottet« (Mt 15,13).

Es kommt in der Tat alles darauf an, dass man auf diesem Gebiet der eigenen Einsicht und dem eigenen Sinne nicht traut, dass man die Heiligkeit nicht auf diese oder jene selbstgewählte Übung der Frömmigkeit, so trefflich sie an sich sein mag, oder auf diese oder jene geistliche Regel, die man gelobt hat, gründe; denn ihre Befolgung könnte durch ein höheres Gesetz, z. B. das der Liebe, aufgehoben werden. Die Heiligkeit beruht vor allem in der Erfüllung des göttlichen Willens, wie er uns im Naturgesetz, in den zehn Geboten, in den Geboten der Kirche und in den Standespflichten entgegentritt.

Jede Art von Frömmigkeit, die sich über diese Stufenreihe heiliger Pflichten hinwegsetzt, muss berechtigtes Misstrauen einflößen. Eine Askese, die nicht geregelt wird durch die Vorschriften des Evangeliums, kommt nicht vom Hl. Geist, dem Urheber des Evangeliums; denn nur jene sind »Kinder Gottes, die sich vom Geist Gottes leiten lassen« (Röm 8, 14).

Dem Evangelium entnehmen wir, wie groß die zartfühlende Liebe Jesu ist. So sehen wir ihn aufs tiefste schmerzlich bewegt, als er die Pharisäer mit furchtbarem Fluch treffen und ihnen den Zorn Gottes ankündigen muss. Der Gedanke an das Strafgericht, das die heilige Stadt erwartet, wenn sie ihren »blinden Führern« gehorcht und den Messias verwirft, entlockt dem göttlichen Herzen die ergreifende Klage: »Jerusalem, Jerusalem, die du tötest die Propheten und steinigst die zu dir Gesandten! Wie oft wollte ich deine Kinder sammeln, wie eine Henne ihre Kücklein unter ihre Flügel nimmt; du aber hast nicht gewollt. Und auf den Tempel weisend, den er vom Vorabend seines Leidens an nicht mehr betreten sollte, sprach er: »Siehe, euer Haus wird seinem Schicksal überlassen werden; denn ich sage euch, von jetzt an werdet ihr mich nicht mehr sehen, bis ihr sprecht: Hochgelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn« (Mt 23, 37 ff).

Solange wir hienieden wandeln, lässt die ewige Güte nicht nach, uns zu suchen und zu mahnen: »Wie oft wollte ich!« Hüten wir uns, zu jenen zu gehören, deren Herz sich verhärtet durch leichtfertige Vergeudung der Gnade und durch die gewohnheitsmäßige lässliche Sünde, so dass es taub und stumpf wird. »Du hast nicht gewollt!« Haben wir Acht, dass wir nicht durch freiwilligen und hartnäckigen Widerstand den Hl. Geist aus der Seele vertreiben. Gott wird uns dann unserer eigenen Blindheit überlassen. »Euer Haus wird seinem Schicksal überlassen werden!« Niemals ist es die Barmherzigkeit, die der Seele fehlt. Wohl aber kann die Seele sich der Barmherzigkeit entziehen und die Gerechtigkeit herausfordern.

Bestreben wir uns also, treu zu sein! Aber nicht nur treu dem Buchstaben nach, sondern treu aus Liebe und Vertrauen auf die Güte unseres Erlösers. Mögen wir noch so schwach und elend und voll Mängel und Fehler sein, es kommt der Tag, wo wir auf immer und ewig jenen preisen werden, der im Gewand unserer Menschlichkeit auf Erden erschienen ist, um unsere Schwachheit zu heilen und uns vom Abgrund der Sünde zu erretten und uns auf ewig zu krönen in Liebe und Barmherzigkeit. »Lobpreise Jahwe, meine Seele, der all deine Sünden dir vergab, der all deine Krankheiten heilte, dein Leben hat er vom Untergang behütet und dich gekrönt mit Gnade und Heil« (Ps 103, 1 ff).

XII. AUF TABORS HÖHEN (Zweiter Fastensonntag)

Das Leben Jesu Christi auf Erden ist auch in seinen Einzelheiten von so großer Tragweite, dass wir dessen Tiefen nicht zu ergründen vermögen. Ein einziger Ausspruch des menschgewordenen Wortes, das immerdar »im Schoß des Vaters lebt« (Joh 1,18), ist eine so erhabene Offenbarung, dass sie hinreichen würde, wie ein unversieglicher Quell heilbringenden Wassers ein gesamtes Geistesleben zu befruchten. Wir sehen das im Leben der Heiligen. Ein einziges seiner Worte hat oft genügt, um eine Seele ganz und gar Gott zuzuwenden. Die Worte Jesu kommen vom Himmel; daher ihre Fruchtbarkeit.

Das nämliche gilt von seinen Handlungen, auch den unscheinbarsten. Sie sind uns Vorbild, Licht und Gnadenquellen.

Im vorigen Kapitel ist versucht worden, an einzelnen Seiten des öffentlichen Wirkens des Herrn einigermaßen darzulegen, wie unaussprechlich göttlich und ergreifend menschlich zugleich Jesus während dieser drei Jahre uns gegenübertritt. Leider mussten viele Begebenheiten aus den Evangelien, welche die heiligen Schriftsteller uns so beredt geschildert haben, mit Stillschweigen übergangen werden.

Ein Bericht des Evangeliums ist aber so einzigartig, ist ein so erhabenes und zugleich für unsere Seelen so fruchtbares Geheimnis, dass ihm ein eigener Abschnitt gewidmet werden soll. Es ist der Bericht über die Verklärung.

Nie kann genug betont werden, dass uns nichts heiliger, nichts teurer sein darf als das Dogma von der Gottheit Jesu Christi, zunächst deshalb, weil dem Herrn nichts anderes so wohlgefällig ist und dann, weil dieses Dogma Grundlage, Mittelpunkt und Krönung unseres ganzen inneren Lebens ist. Nun ist aber die Verklärung eine jener Begebenheiten, die dem menschlichen Auge in wunderbar hellem Glanze die Gottheit offenbaren. Gläubig und voll Liebe wollen wir dieses Geheimnis betrachten. Je lebendiger unser Glaube und je größer die Liebe ist, mit welcher wir dem verklärten Jesus uns nahen, umso mehr wird sich auch in uns die Fähigkeit erweitern, sein Licht aufzunehmen und von seiner Gnade hingerissen zu werden.

O Jesus Christus, du ewiges Wort, du göttlicher Meister, der du die Herrlichkeit des Vaters, der Abglanz seiner Wesenheit bist, du selbst hast gesagt: »Wenn jemand mich lieb hat, dem werde ich mich offenbaren.« Gib, dass wir dich innig und feurig lieben, damit wir würdig seien, von dir ein helleres Licht über deine Gottheit zu empfangen! Denn darin liegt für uns nach deinen eigenen Worten das Geheimnis des Lebens, des ewigen Lebens: zu erkennen, dass unser himmlischer Vater der einzig wahrhafte Gott ist und dass du sein Sohn bist, Jesus Christus, der auf die Erde herabkam, um unser König und der Hohepriester unseres Heils zu sein. Erleuchte das Auge unseres Geistes durch einen Strahl jenes göttlichen Lichtes, das auf Tabor erglänzte, damit unser Glaube an deine Gottheit erstarke, unsere Hoffnung auf deine Verdienste vermehrt werde und unsere Liebe zu deiner anbetungswürdigen Person sich immer mehr entflamme und befestige!

1. Wie das Evangelium die Verklärung Jesu erzählt

Wir wollen uns zunächst den Bericht des Evangeliums vor Augen führen Zweimal im Jahre lässt die Kirche das Evangelium von der Verklärung lesen, am zweiten Fastensonntag, um uns aufzumuntern, alle Bußübungen freudig auf uns zu nehmen im Hinblick auf die ewige Glorie, die uns der göttliche Meister durch seine Verklärung verheißt, und am 6. August, dem Fest der Verklärung. , um dann in seinen inneren Gehalt einzudringen. Dieser Bericht führt uns in das letzte Jahr des öffentlichen Lehramtes des Herrn. Bisher hatte Jesus den Aposteln nur selten und dann nur in flüchtigen Andeutungen von seinem bevorstehenden Leiden gesprochen. »Von da an aber«, sagt der hl. Matthäus, »begann Jesus seinen Jüngern darzulegen, dass er nach Jerusalem gehen müsse und von den Ältesten, Hohepriestern und Schriftgelehrten viel Bitterkeiten und den Tod erleiden, am dritten Tage aber wieder auferstehen werde.« Und weiter fügte er hinzu: »Unter den Anwesenden sind einige, die den Tod nicht kosten, bis sie den Menschensohn in seinem Reich kommen sehen« (Mt 16,21ff).

Etliche Tage nach dieser Voraussagung nahm der göttliche Meister jene von seinen Aposteln mit sich, die er vor allen bevorzugte: Petrus, dem er erst wenige Tage vorher verheißen hatte, dass er auf ihn seine Kirche bauen werde (Mt 16,18), Jakobus, der im Apostelkollegium der erste Märtyrer sein sollte, und Johannes, den Liebesjünger. Diese drei hatte Christus schon erwählt als Zeugen der Auferstehung von Jairus Töchterlein. Jetzt führte er sie auf einen hohen Berg, damit sie dort Zeugen einer noch weit geheimnisvolleren Offenbarung seiner Gottheit würden. Nach alter Überlieferung ist dieser »hohe Berg« der Tabor. Er erhebt sich einige Meilen östlich von Nazareth, einsam auf der Ebene, ist beiläufig sechshundert Meter hoch und von üppigem Grün umkleidet. Sein Gipfel bietet freien Ausblick nach allen Seiten. Auf diese Höhe, »abseits vom Treiben der Welt« (Mt 17,1; Mk 9,1), steigt Jesus mit den Jüngern. Seiner Gepflogenheit nach begibt er sich ins Gebet. Der hl. Lukas hebt diesen Umstand hervor, indem er sagt: »Während er betete, veränderte sich der Ausdruck seines Antlitzes« (Lk 9, 29). Es leuchtete wie die Sonne, und sein Gewand wurde weißer als Schnee. Der Odem Gottes umwogte ihn.

Nachdem Jesus sein Gebet begonnen hatte, waren Petrus und seine Gefährten vom Schlaf übermannt worden. Plötzlich aber erweckte sie das flammende Licht. Sie sehen den Herrn von Herrlichkeit umkleidet und neben ihm Moses und Elias, die mit ihm sprechen. Petrus aber wird beim Anblick seines glanzumflossenen Meisters von stürmischer Freude erfasst und aller ruhigen Überlegung beraubt, ruft er im Übermaß entzückten Jubels aus: »Herr, hier ist gut sein« (Mt 17, 4; Mk 9, 4 ff; Lk 9, 33)! Möge nun aller Zank und Streit der Pharisäer, alles Mühen, Wandern und Reisen, alle Demütigung und hinterlistige Nachstellung ein Ende haben! Hier wollen wir bleiben! »Lass uns drei Hütten bauen. Dir eine, dem Moses eine und dem Elias eine.« Die Apostel wähnten im Himmel zu sein; so herrlich war die Verklärung Jesu, so sehr ersättigte sein Anblick ihr ganzes Herz.

Während Petrus noch redete, überschattete sie eine lichte Wolke, und eine Stimme aus der Wolke sprach: »Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Ihn sollet ihr hören!« Da warfen sich die Apostel alsogleich voll Schrecken und Ehrfurcht auf ihr Angesicht und beteten Gott an. Jesus aber trat hinzu, berührte sie und sprach: »Steht auf und fürchtet euch nicht. Sie erhoben ihre Augen und sahen niemand als Jesus allein« (Mt 17, 5 ff; Mk 9, 6 ff; Lk 9, 34 ff). Sie sahen Jesus, wie sie ihn kurz zuvor gesehen hatten, als er mit ihnen den Berg heraufgegangen war. Sie sahen Jesus, wie sie gewohnt waren, ihn zu sehen, Jesus, den Sohn des Handwerkers von Nazareth, Jesus, der in kurzer Zeit am Kreuz sterben sollte.

2. Was dieses Geheimnis für die Apostel bedeutet, die dessen Zeugen waren: Christus will sie durch die Offenbarung seiner Gottheit wappnen gegen das »Ärgernis« seines Leidens

So lautet der Bericht über die Verklärung. Suchen wir nun den Sinn dieses Geheimnisses zu erforschen; denn im Leben Jesu, des menschgewordenen Wortes, ist alles voll tiefer Bedeutung. Christus ist, wenn man sich so ausdrücken darf, das »große Sakrament des Neuen Bundes«. Was ist ein Sakrament? Im weitesten Sinne des Wortes ist es das sichtbare Zeichen einer unsichtbaren Gnade. Man kann daher sagen, dass Christus das große Sakrament aller Gnaden ist, die Gott der Menschheit erwiesen hat. Er ist nach den Worten des hl. Apostels Johannes unter uns erschienen als der eingeborene Gottessohn »voll Gnade und Wahrheit, und aus seiner Fülle haben wir alle empfangen« (Joh 1, 14 ff). Jesus Christus schenkt uns alle Gnaden, weil er vom ewigen Vater eingesetzt ward zum allgemeinen Hohepriester und obersten Mittler. Er schenkt uns diese Gnaden in allen seinen Geheimnissen.

Wie schon oft gesagt, sollen die Geheimnisse des Herrn für uns zum Gegenstand der Betrachtung, der Bewunderung und Verehrung werden. Sie müssen uns aber auch gleichsam Sakramente sein, die nach dem Maße unseres Glaubens und unserer Liebe in unseren Herzen jene Gnade bewirken, die diese Geheimnisse enthalten. Das gilt von all den verschiedenen Lebensstufen, von all seinen Handlungen. Wie Christus immerdar der Sohn Gottes ist, wie er in allem, was er sagt und tut, zuerst seinen Vater verherrlicht, so trägt er auch uns, seine menschlichen Brüder, allzeit in seinen Gedanken. An jedes seiner Geheimnisse knüpft er eine Gnade, die uns helfen soll, sein göttliches Abbild in uns auszugestalten, damit wir ihm ähnlich werden.

Darum will Christus, dass wir seine Geheimnisse kennenlernen und uns darin versenken voll Ehrfurcht, aber auch mit großem Vertrauen. Vor allem aber will er, dass wir als Glieder seines mystischen Leibes in übernatürlicher Weise von der Gnade leben, die er an jedes seiner Geheimnisse knüpfte, indem er es hienieden vor uns und für uns gelebt hat.

Das sagt uns der große hl. Leo in seiner Predigt über die Verklärung »Die evangelische Lesung, Geliebteste«, so beginnt er, »die durch das leibliche Ohr an das innere Ohr des Herzens angeklopft bat, ladet uns ein zum Verständnis dieses tiefen Geheimnisses. Eine kostbare Gnade ist es fürwahr, den Sinn der Geheimnisse Jesu zu erfassen, denn das ist das ewige Leben« (Joh 17, 3). Unser Herr hat es selbst den Jüngern gesagt, dass er nur jenen, die ihm anhangen, die Gnade des geistigen Verständnisses gebe. »Euch ist es vergönnt, die Geheimnisse des Reiches Gottes zu verstehen; den andern werden sie nur in Gleichnissen vorgetragen« (Lk 8,10; vgl. Mt 13,11; Mk 4,11).

Diese Gnade ist für das innere Leben so wichtig, dass die Kirche, vom Hl. Geist geleitet, sie zum Gegenstand der Bitte macht, die sie in der Postkommunion des Festes empor sendet: Verleihe, allmächtiger Gott, dass wir der hochheiligen Geheimnisse der Verklärung deines Sohnes, die wir im feierlichen Gottesdienst begehen, mit der Einsicht eines gereinigten Herzens teilhaftig werden (Ut sacrosancta Filii tui transfigurationis mysteria quae solemni celebramus officio, purificatae mentis intelligentia consequamur).

Betrachten wir die Bedeutung dieses Geheimnisses, und zwar zunächst für die Apostel, deren drei Zeugen der Verklärung waren.

Weshalb ward Christus vor ihren Augen verklärt? Der hl. Leo gibt darauf klaren Bescheid. Bei dieser Verklärung handelte es sich hauptsächlich darum, aus dem Herzen der Jünger das Ärgernis des Kreuzes zu entfernen, damit nicht die Erniedrigung des freiwilligen Leidens ihren Glauben erschüttere, nachdem ihnen die Erhabenheit der verborgenen Würde des Gottessohnes geoffenbart worden war (S. Leo M., Sermo 51 [vgl. die Lesung zur 2. Nokturn des Festes]). Die Apostel, die in innigem Verkehr mit ihrem göttlichen Meister lebten, im Übrigen von den Vorurteilen ihres Volkes erfüllt waren, das einen Messias in Glanz und Herrschergröße erwartete, konnten nicht verstehen, dass Christus leiden sollte. Man denke nur an Petrus, das Haupt des Apostelkollegiums. Vor kurzem erst hatte er in Gegenwart seiner Mitbrüder und als deren Wortführer die Gottheit Jesu bekannt. »Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes« (Mt 16, 16) ! Die Liebe, die er für den Herrn hegte und die recht irdischen Begriffe von dessen Herrschertum, ließen ihn den Gedanken an den Tod seines Meisters zurückweisen. Als Jesus wenige Tage vor der Verklärung mit seinen Jüngern über sein bevorstehendes Leiden gesprochen hatte, war Petrus ganz außer sich geraten; »Gott bewahre, Herr! Das darf dir nimmer widerfahren!« Der Erlöser hatte sich umgewendet und ihm eine scharfe Rüge erteilt. »Weg von mir, Satan, d. h. Widersacher, der du mich abwendig machen willst. Du hast nicht Gottes Sinn, sondern Menschengedanken« (Mt 16, 22 ff). Der Heiland sah also voraus, dass die Apostel seine Schmach und Erniedrigung nicht würden ertragen können und dass sein Kreuz ihnen zum Stein des Anstoßes werden würde. Dieselben drei Apostel, die er zu Zeugen seiner Verklärung erwählte, sollten in kurzer Zeit auch Zeugen der Schwäche, Todesangst und namenlosen Betrübnis werden, die er im Ölgarten durchlitt. Jesus wollte daher zuvor ihren Glauben stärken, damit sie nicht Ärgernis nähmen an seiner Verdemütigung. Durch das Geheimnis der Verklärung wollte er ihren Glauben stärken.

In seinem sterblichen Leben war Jesus, wie der hl. Paulus sagt, »den Menschen gleich und von außen als ein Mensch erfunden« (Phil 2, 7). Das war so durchaus der Fall, dass viele von denen, die ihn sahen, ihn für einen gewöhnlichen Menschen hielten. Seine nächsten Anverwandten, seine Vettern, die der Evangelist nach dem Ausdruck der damaligen Zeit seine »Brüder« nennt, beschuldigen ihn, da sie seine außergewöhnliche Lehre vernehmen, der Torheit (Mk 3, 21). Solche, die ihn zu Nazareth in der Werkstatt Josephs gekannt hatten, verwunderten sich über seine Weisheit und fragten ungläubig: »Ist dieser nicht des Zimmermanns Sohn« (Mt 13, 55)?

Gewiss wohnte in Jesus göttliche Macht, die sich in Wundern offenbarte. »Eine Kraft ging von ihm aus und machte alle gesund« (Lk 6, 19). Es war gleichsam ein Duft seiner Gottheit, der ihm entströmte und die Scharen anzog. Heißt es doch im Evangelium, dass die Menge des Volkes drei Tage lang bei ihm aushielt, ohne Speise zu nehmen, nur um seinen Worten zu lauschen. Äußerlich aber war die in ihm verborgene Gottheit verhüllt unter der Schwäche des sterblichen Fleisches. Jesus war mit allen Bedingungen des schwachen, dem Leiden unterworfenen Menschenlebens vertraut. Er kannte Hunger, Durst, Müdigkeit und Schlaf, den Kampf und die Furcht. Das war der Christus des Alltags im demütigen Erdenleben, dessen die Apostel täglich Zeugen waren.

Und nun sehen sie ihn plötzlich verklärt auf dem Berg. Allmählich durchbricht der Strahlenkranz der Gottheit mit allmächtiger Gewalt den Schleier seiner Menschheit. Sein Antlitz leuchtet wie die Sonne und »seine Gewänder werden«, wie der hl. Markus sagt, »so glänzend weiß, wie sie kein Walker auf Erden bleichen könnte« (Mk 9,2). Durch dieses Wunder wird den Aposteln klar, dass Jesus wirklich Gott ist. Die Majestät Gottes umleuchtet sie, die ewige Herrlichkeit ihres Meisters ist ihnen mit einem Mal offenbar.

Auch Moses und Elias erschienen und redeten mit Jesus und beteten ihn an. Für die Apostel wie für alle gläubigen Juden waren Moses und die Propheten die erhabensten Gotteszeugen, Moses als Gesetzgeber, Elias als einer der größten Propheten. In diesen zwei Persönlichkeiten erschienen somit den Aposteln das Gesetz und die Propheten zum Zeugnis, dass Christus der in Wort und Bild vorausgesagte Messias sei. Mögen nun auch die Pharisäer sich an Jesus vergreifen und die Jünger ihn verlassen, Petrus und seine beiden Gefährten haben doch durch die Anwesenheit des Moses und Elias den lebendigen Beweis empfangen, dass Jesus das Gesetz achtet und mit den Propheten übereinstimmt. Er ist wahrhaftig der von Gott Gesandte. Er ist es, der da kommen soll. Um endlich diesen Zeugnissen die Krone aufzusetzen und die Gottheit Jesu unwiderleglich zu offenbaren, lässt Gott, der Vater, aus der Wolke seine Stimme hören. Er verkündigt, dass Jesus sein Sohn ist, dass er Gott ist, wie er selbst. Somit wirkt alles zusammen, um den Glauben der Apostel an jenen zu begründen zu dem Petrus anbetend gesprochen: »Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!« 

3. Das Geheimnis der Verklärung birgt für uns eine dreifache Gnade: Es stärkt unsern Glauben, bezeichnet in besonderer Weise unsere Annahme zur Gotteskindschaft und macht uns würdig, dereinst die ewige Seligkeit Christi zu teilen

Die Jünger Jesu haben in diesem Augenblick vielleicht nicht die ganze Größe des Vorgangs, noch die Tiefe des Geheimnisses erfasst, dessen begnadigte Zeugen sie waren. Es genügte, dass sie im Glauben gestärkt wurden, um nicht Ärgernis zu nehmen am Kreuz des Meisters. Deshalb schärfte Christus ihnen auch ein, niemand von dieser Erscheinung zu sprechen (Mt 17, 9; Mk 9, 8).

Später erst, nach der Auferstehung, nachdem sie durch den Hl. Geist am Pfingstfest in ihrer Apostelwürde befestigt worden waren, verkündigten die Apostel durch den Mund Petri die Herrlichkeit, die sie geschaut hatten. Petrus, das Oberhaupt der Kirche, dem das menschgewordene Wort aufgetragen hatte, seine Brüder im Glauben zu stärken, sagt feierlich, dass er selbst »Zeuge der Herrlichkeit gewesen ist, die Jesus von Gott, dem Vater, auf dem heiligen Berg erhielt« (2 Petr 1,16 ff). Petrus, der höchste Hirt, beruft sich auf dieses Gesicht, um seine Gläubigen und durch sie uns alle zu unerschütterlicher Treue im Glauben zu ermahnen, denn auch für uns ist die Verklärung erfolgt. Die auserwählten Zeugen aus dem Jüngerkreis des Herrn waren, nach den Worten des hl. Papstes Leo, die Vertreter der gesamten Kirche. Zu ihr, wie zu den Aposteln spricht der Vater, wenn er die Gottheit seines Sohnes verkündet und uns befiehlt, auf ihn zu hören (Lk 22, 32).

Im Festgebet fasst die hl. Kirche die kostbaren Lehren, die dieses Geheimnis enthält, trefflich zusammen. Für uns wie für die Apostel handelt es sich um eine Stärkung des Glaubens: »O Gott, der du die Geheimnisse des Glaubens bei der glorreichen Verklärung deines Eingeborenen durch das Zeugnis des Vaters gekräftigt hast.« 

Unvergleichlich schön ist dann unsere Annahme an Kindesstatt hervorgehoben: »Der du die vollkommene Annahme deiner Kinder durch die Stimme aus der lichten Wolke vorher gedeutet hast. Und zum Schluss erfleht die Kirche, dass wir zu Miterben des Königs der Glorie und zu Genossen seiner Herrlichkeit gemacht werden.

Die Verklärung stärkt unsern Glauben. Was ist in der Tat der Glaube? Er ist eine geheimnisvolle Teilnahme an der Kenntnis, die Gott von sich selbst hat. Gott erkennt sich als Vater, Sohn und Hl. Geist. Der Vater zeugt, indem er sich kennt, von Ewigkeit her einen Sohn, der ihm ganz gleich ist. »Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.« In diesen Worten ist die erhabenste Offenbarung enthalten, die der Welt gemacht wurde. Sie sind gleichsam der Widerhall vom inneren Leben des ewigen Vaters selbst. Der Vater, insofern er Vater ist, lebt in der Zeugung des Sohnes. Diese Zeugung, die weder Anfang noch Ende hat, macht die Eigentümlichkeit des Vaters aus. Mit Staunen, Bewunderung und Liebe werden wir einst in der Ewigkeit den Ausgang des Sohnes aus dem Schoß des Vaters erkennen. Dieses Hervorgehen ist ein ewiges. »Mein Sohn bist du; heute habe ich dich gezeugt« (Ps 2, 7). Dieses Heute ist das Jetzt der Ewigkeit.

Der Vater offenbart uns sein Leben, indem er Jesus als seinen vielgeliebten Sohn bezeichnet. Wenn wir an diese Offenbarung glauben, nehmen wir teil am Erkennen Gottes selbst. Der Vater erkennt den Sohn im Licht der Ewigkeit. Wir erkennen ihn unter den Schattenhüllen des Glaubens, bis der Tag der Ewigkeit uns aufstrahlt. Der Vater erklärt, dass das Kind von Bethlehem, der Jüngling in der Werkstatt zu Nazareth, der Prediger im Judenland, der auf Kalvaria Gekreuzigte, sein Sohn, sein vielgeliebter Sohn ist. Unser Glaube besteht darin, dieses Zeugnis des Vaters anzunehmen.

Es ist von unschätzbarem Vorteil für das geistliche Leben, sich dieses göttliche Zeugnis vor den Augen der Seele immer gegenwärtig zu halten. Nichts anderes stärkt so mächtig unseren Glauben. Wenn wir das Evangelium oder eine Lebensbeschreibung des Herrn lesen, wenn wir die Geheimnisse Christi feiern oder ihn in dem allerheiligsten Altarssakrament besuchen, wenn wir uns vorbereiten, den Heiland in unser Herz aufzunehmen, oder wenn wir ihm anbetend Dank sagen nach der hl. Kommunion, kurz, immer und überall im Leben soll es unsere Gewohnheit sein, an das Wort zu denken: »Dieses ist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe.« 

Ja, Vater, ich glaube es! Ich will es dir nachsprechen! Der nämliche Jesus, der in mir ist durch den Glauben, durch die hl. Kommunion, es ist dein Sohn! Weil du es gesagt hast, darum glaube ich es, und weil ich es glaube, darum bete ich deinen Sohn an und bringe ihm meine Huldigung dar. Durch ihn und in ihm sei aber auch dir, himmlischer Vater, mit dem Hl. Geiste in Ewigkeit alle Ehre und Herrlichkeit!

Ein solches Gebet ist überaus angenehm vor unserem Vater, der im Himmel ist. Wenn es wahr, rein und oftmals erneuert zu ihm emporsteigt, dann macht es auch uns zum Gegenstand der Liebe des ewigen Vaters, der uns miteinbezieht in das Wohlgefallen, das er an seinem Sohn Jesus hat. Der Herr selbst sagt es uns: »Der Vater liebt euch … weil ihr geglaubt habt, dass ich von Gott ausgegangen bin« (Joh 16, 27). Welches Glück für die Seele, geliebt zu werden vom» Vater, von dem jedes vollkommene Geschenk, das die Herzen erfreut, hernieder steigt« (Jak 1,17). Ein solches Gebet gefällt auch ebenso unserm Herrn und Meister. Er will, dass wir seine Gottheit bekennen, dass wir an diesem Bekenntnis festhalten mit starkem, lebendigem und innigem Glauben, der niemals wankt. »Wohl dem, der an mir keinen Anstoß nimmt« (Mt 11, 6; Lk 7, 23), der trotz der Niedrigkeit meiner Geburt, trotz der schlichten Arbeit meines verborgenen Lebens, trotz der Schmach meines Leidens, der Lästerungen und Verfolgungen, deren Zielscheibe ich war und auch jetzt noch bin, und trotz der Kämpfe, die meine Jünger und meine Kirche auf Erden zu bestehen haben, treu bleibt im Glauben und sich meiner niemals schämt.

Die Apostel waren schwach im Glauben zur Zeit des Leidens ihres Meisters. Daher ergriffen sie die Flucht. Nur Johannes folgte dem Herrn bis unter das Kreuz. Und als ihnen nach der Auferstehung Magdalena und die andern frommen Frauen im Auftrag des Herrn selber verkündeten, dass sie den erstandenen Jesus gesehen haben, da schenkten ihnen die Apostel keinen Glauben und hielten die Botschaft für leeres Frauengerede.

Ebenso die Emmausjünger. Der Herr gesellt sich zu ihnen. Er erschließt ihnen den Sinn der Schrift, um sie zu überzeugen, wie alles erfüllt werden musste, was von ihm geschrieben stand im Gesetz, in den Propheten und Psalmen, bevor er einging in seine Herrlichkeit (Lk 24, 44).

Unser Glaube an die Gottheit Jesu Christi muss unerschütterlich fest stehen, so dass nichts ihn je zu schwächen vermag. Den sichersten Halt wird dieser Glaube immer finden in jenem Zeugnis, das Gott, der Vater, seinem Sohn bei der Verklärung gab.

Das Festgebet der Verklärung sagt uns ferner, dass die vollkommene Annahme an Kindesstatt durch die Stimme aus der Wolke wunderbar angedeutet ward.

Der ewige Vater gibt uns zu erkennen, dass Jesus sein Sohn ist, aber Jesus ist auch »der erstgeborene unter vielen Brüdern« (Röm 8,29). Durch die Menschwerdung ist er einer aus uns geworden und lässt uns durch die Gnade an seiner göttlichen Kindschaft teilnehmen. Er ist wahrer Gottessohn von Natur aus. Wir sind Kinder Gottes durch die Gnade. Durch Annahme unserer Natur ist Jesus unser Bruder geworden. Er erhebt uns zur Ähnlichkeit mit sich, indem er uns die Teilnahme an seiner Gottheit gewährt, so dass wir nin zu einem mystischen Leib mit ihm vereinigt sind. Das ist die Gotteskindschaft, »dass wir Kinder Gottes heißen und sind« (1 Joh 3,1).

Indem der Vater Jesus feierlich als seinen Sohn bekennt, nennt er auch alle jene seine Kinder, die durch die Gnade an seiner Gottheit teilnehmen. Durch Jesus, das menschgewordene Wort, wird uns diese Annahme an Kindesstatt verliehen. »Er hat uns geboren durch das Wort der Wahrheit« (Jak 1, 18). Durch diese Annahme gibt uns der Vater zugleich das Recht, dereinst sein göttliches Leben zu teilen. Das wird dann die vollkommene Annahme zur Gotteskindschaft sein.

Von Seiten Gottes ist die Annahme vollkommen; denn »alle seine Werke tragen das Siegel unendlicher Weisheit« (Ps 104, 24). Mit unermesslichen Schätzen hat er in der Tat die angenommenen Kinder überschüttet, so dass dieses Geschenk keinem anderen vergleichbar ist: Die Heiligmachende Gnade, die eingegossenen Tugenden, die Gaben des Hl. Geistes, die Gnaden des Beistandes, womit er uns Tag für Tag zur Seite steht, kurz, das gesamte Gebiet der übernatürlichen Ordnung. All diese Reichtümer aber werden uns vermittelt durch die Menschwerdung des Gottessohnes und dank seiner unendlichen Verdienste die uns in den hl. Sakramenten zugewendet werden, sowie durch die hl. Kirche selbst, infolge der Vorrechte, die sie als Braut Jesu Christi ihr eigen nennt. Wahrhaftig, die Kindesannahme ist eine vollkommene von Seiten Gottes!

Von unserer Seite jedoch kann sie auf Erden nicht vollkommen sein, wenn sie auch von dem Tage an, da sie uns in der Taufe verliehen ward, in steter Entwicklung begriffen ist: ein Keim gleichsam, der wachsen, ein Entwurf, der sich vervollkommnen, ein Morgenrot, das zur vollen Mittagshöhe gelangen soll. Die Vollkommenheit werden wir erst dann erreichen, wenn sich nach einem Leben beharrlicher Treue unsere Annahme an Kindesstatt in der Glorie des Himmels entfalten wird. »Denn wenn wir Kinder sind, so sind wir auch Erben, Erben Gottes und Miterben Christi« (Röm 8,17). Darum schließt die Kirche das Festgebet mit der Bitte, dass Gott »uns zur vollkommenen Annahme im Himmel gelangen lassen, uns zu Miterben des Königs der Glorie und zu Genossen seiner Herrlichkeit machen möge«.

Die Verklärung des Herrn ist mithin eine Offenbarung unserer eigenen künftigen Größe. Die Herrlichkeit, die Jesus auf Tabor umstrahlte, soll dereinst im Himmel auch unser Anteil sein, denn Jesus schenkt seinen Gliedern das Recht, am Erbe teilzunehmen, das er als Gottes eigener Sohn immerdar besitzt.

Diesen Gedanken spricht der hl. Leo aus: »Durch das Geheimnis der Verklärung«, sagt er, »wurde zugleich die Hoffnung der hl. Kirche begründet; damit der ganze Leib Christi, d. h. die Seelen, die seinen mystischen Leib bilden, erkenne, mit welcher Umwandlung er beschenkt werden solle. Es können daher alle seine Glieder der Teilnahme an jener Herrlichkeit versichert sein, die ihnen in ihrem Haupt ausleuchtete(I. c.). « 

Jetzt sind wir Kinder Gottes durch die Gnade, »aber was wir einst sein werden, ist noch nicht offenbar« (1 Joh 3, 2). Es kommt der Tag, wo ob dem Erdkreis »seine Blitze flammen und die Erde wanken wird und beben« (Introitus des Festes), erschüttert bis in ihre Fundament. Dann werden die Gerechten nach dem Wort Jesu auferstehen zur Herrlichkeit und »im Reich ihres Vaters leuchten wie die Sonne«. Ihre Leiber werden glänzen wie der Leib des Herrn auf Tabor, denn die nämliche Herrlichkeit, die das menschgewordene Wort durchströmte, wird auch unsere Leiber verklären. Der hl. Paulus sagt es deutlich: »Er wird unsern armseligen Leib umwandeln und seinem verherrlichten Leib gleich gestalten« (Phil 2, 21).

Damit ist natürlich nicht gesagt, dass Christus auf dem heiligen Berg im gleichen Glanz erstrahlte, der jetzt seine heiligste Menschheit im Himmel durchleuchtet. Nein, all dieser Glanz war nur ein schwacher Widerschein der himmlischen Herrlichkeit, immerhin aber so blendend schön, dass die Jünger darob in Verzückung gerieten.

Woher aber kam dem Herrn dieser wunderbare Glanz? Von seiner Gottheit. Es war eine Ausstrahlung der Gottheit auf die heiligste Menschheit, ein Aufleuchten des ewigen Lebens; Gluten, die im alltäglichen Leben Jesu verborgen blieben, in dieser gnadenvollen Stunde aber seinen menschlichen Leib geheimnisvoll durchleuchteten, und zwar nicht mit einem geschaffenen, äußerlich entlehnten Licht, sondern mit dem Abglanz jener unermesslichen Majestät, die unser Herr in sich wie in engem Gefäß eingeschlossen hielt. Aus Liebe zu uns verbarg er während seines irdischen Daseins das göttliche Leben unter dem Schleier des sterblichen Fleisches und wollte nicht, dass es nach außen erstrahlte, damit unser schwacher Blick nicht geblendet werde von seinem ungeschaffenen Licht. Bei der Verklärung jedoch ließ Jesus dem zurückgedrängten Strom seiner ewigen Glorie freien Lauf, und so erschien die menschliche Natur, die er angenommen hatte, ganz und gar umflossen vom Widerstrahl der Gottesherrlichkeit.

Daraus erhellt, dass unsere Heiligkeit nichts anderes ist als unsere Ähnlichkeit mit Jesus Christus. Also nicht eine Heiligkeit, deren erste Ursache wir selber wären, sondern vielmehr eine Heiligkeit, die der Ausfluss göttlichen Lebens in uns ist.

Durch die Gnade Christi begann diese Heiligkeit in unseren Herzen »aufzuglänzen« (2 Petr 1,19) am Tag der hl. Taufe, die der Anfang unserer Umgestaltung nach dem Bild Jesu Christi ist. Unsere Heiligkeit hienieden ist in der Tat nur eine innere Verklärung, die sich nach dem Muster Jesu gestaltet. »Gott hat uns vorherbestimmt, dem Bild seines Sohnes gleichförmig zu werden« (Röm 8, 29). Wenn wir dem Wirken des Hl. Geistes kein Hindernis setzen, nimmt diese Ähnlichkeit mit Jesus immer mehr und mehr zu, sie entfaltet und vervollkommnet sich, bis wir dereinst aufsteigen zum ewigen Licht. Dort wird unsere Verklärung offenbar werden vor den Augen der Engel und Auserwählten als höchste Bestätigung der vollkommenen Annahme an Kindesstatt, die die nimmer versiegende Quelle ewiger Glückseligkeit in uns hervorquellen lässt.

4. Man gelangt zum Stand der Glorie, der durch die Verklärung vorbedeutet wird, wenn man Jesus, den vielgeliebten Sohn des Vaters, hört. »Ihn sollt ihr hören.«

Das also ist der Zustand ewiger Verherrlichung, der unser wartet, weil es der Zustand der Verherrlichung Jesu, unseres Hauptes, ist, dessen Glieder wir sind, ein wunderbarer Zustand den die Verklärung auf Tabor uns in etwa enthüllt und unserm Glauben als Gegenstand unserer Hoffnung vorlegt! Wie aber sollen wir dieses herrliche Ziel erreichen? Welchen Weg müssen wir einschlagen, um zu jener Herrlichkeit zu gelangen, von der uns in der Verklärung des göttlichen Erlösers ein Strahl aufgeleuchtet ist. Es gibt nur einen Weg. Der Vater weist ihn uns. Der Vater, der uns annimmt an Kindesstatt, der uns zu himmlischen Erben beruft, auf dass wir seine Glückseligkeit teilen und ohne Ende teilhaben an der Fülle seines Lebens, der Vater selbst weist uns den Weg in dem geheimnisvollen Worte: »Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe!« 

Diese Worte sind bereits erklungen bei der Taufe Jesu; bei der Verklärung aber fügt der Vater ihnen ein neues Wort hinzu, und dieses Wort enthält das ganze Geheimnis unseres Lebens: »Auf ihn sollt ihr hören. « Klingt das nicht, als wolle Gott sagen, dass er ganz und gar in Jesu Hand gelegt habe, uns zu sich zu führen? Das ist in der Tat die Absicht seines göttlichen Heilsplanes.

Jesus, das menschgewordene Wort, der da ist der Sohn Gottes, der immerdar lebt im Schoß des Vaters, lehrt uns die göttlichen Geheimnisse erkennen. »Er hat Kunde von ihm gebracht« (Joh 1,18). »Er ist das Licht, das jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt.« Wo dieses Licht leuchtet, da gibt es keine Finsternis. Jesus hören, heißt den Vater hören, der uns ruft; denn die Lehre Jesu ist »nicht seine Lehre, sondern die Lehre dessen, der ihn gesandt hat« (vgl. Joh 7, 16). Er tut uns nichts anderes kund, als was sein Vater ihm eingibt. »Alles, was ich von meinem Vater gehört habe, das habe ich auch geoffenbart« (Joh 18, 15). Jesus ist fortan der einzige Weg, der zum Vater führt. »Niemand kommt zum Vater als durch mich«. (Joh 14, 6). »Zu wiederholten Malen und auf mannigfache Art hat Gott einst in den Propheten zu den Vätern gesprochen; am Ende dieser Tage hat er in seinem Sohn zu uns gesprochen« (Hebr 1, 1 ff). Damit uns dieses umso klarer werde, sind Moses und Elias nicht mehr sichtbar, da der Vater den Befehl erteilt, auf Jesus zu hören. »Als die Stimme erscholl, befand sich Jesus wieder allein« (Lk 9, 36). Er allein ist von nun an der ewige Mittler. Er allein erfüllt die Prophezeiungen, und er ist selber das Gesetz. Er vertauscht die Bilder und Weissagungen durch hehre Wirklichkeiten. Er ersetzt den Alten Bund der Knechtschaft durch den Neuen Bund der Annahme an Kindesstatt und der Liebe. Um ein Kind des ewigen Vaters zu werden, um zur vollkommenen Annahme an Kindesstatt in der ewigen Herrlichkeit zu gelangen, ist nichts anderes erfordert, als auf Jesus zu hören. »Meine Schafe hören auf meine Stimme« (Joh 10, 27).

Wann aber spricht Jesus zu uns? Er spricht zu uns im Evangelium; er spricht durch die Stimme der Kirche und ihrer Hirten; er spricht durch die Zeitereignisse und Heimsuchungen und endlich durch die Einsprechungen seines Hl. Geistes.

Die Stimme Jesu wird aber nur im Schweigen vernommen. Man muss sich von Zeit zu Zeit zurückziehen in die Einsamkeit, »abseits«, wie der Heiland vor der Verklärung. Wohl kann man überall den Herrn finden, auch im Lärm der großen Städte. Um ihn gut zu hören aber muss die Seele ruhig und in Frieden sein; denn nur im Gebet und in der Betrachtung versteht man ihn gut, weil sich Gott dann der Seele offenbart, um sie an sich zu ziehen und sie in sich zu verklären. In den Stunden des Gebets zeigt uns der Vater seinen Sohn. »Dieser ist mein vielgeliebter Sohn.« Suchen wir dann ihn anzubeten in tiefer Ehrfurcht, mit lebendigem Glauben und glühender Liebe, und wir werden Worte des Heiles vernehmen! »Herr, zu wem sollten wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens« (Joh 6, 69).

Wir sollen auf ihn hören durch den Glauben, durch gläubige Zustimmung zu allem, was er sagt. »Ja, Herr, ich glaube, weil du es gesagt. Du wohnst immerdar im Schoß des Vaters. Du schaust die göttlichen Geheimnisse im Glanz des ewigen Lichtes; wir aber, wir glauben, was du offenbarst. Der Glaube ist für uns jene Leuchte, von welcher der Apostelfürst als Zeuge deiner Verklärung sagt, dass >sie im Finstern Licht verbreite<« (2 Petr 1,16ff).

Im Schimmer dieser Leuchte wandeln wir durch alles Dunkel und schreiten, ungeachtet der Finsternis, mutig voran. Auf Jesus hören, heißt nicht nur mit körperlichem Ohr sein Wort vernehmen, sondern es aufnehmen mit dem Ohr des Herzens. Unser Glaube muss ein tätiger Glaube sein, der sich in Werken äußert, die eines Jüngers Jesu würdig und dem Geist des Evangeliums angemessen sind. Der hl. Paulus nennt das »Gott gefallen« (1 Thess 4,1). Diesen Ausdruck greift die Kirche auf, wenn sie für uns erfleht, dass wir wahre Kinder des himmlischen Vaters sein, »ihm in wohlgefälligem Wandel würdig dienen mögen« (Postkommunion des 2. Fastensonntags). Das sollen wir tun mit großer Treue, ungeachtet aller Versuchungen, Widerwärtigkeiten und Leiden. Hören wir nicht auf die Stimme des Teufels! Er ist der Fürst der Finsternis, und Finsternis sind seine Worte. Lassen wir uns nicht leiten von den Vorurteilen der Welt, sie ist trügerisch in ihren Grundsätzen! Hüten wir uns vor den Lockungen der Sinne! Unruhe und Elend erwarten uns, wenn wir ihnen folgen.

Nur auf Jesus sollen wir hören und ihm allein nachfolgen. Ihm sollen wir uns hingeben in Glauben, Vertrauen und Liebe, Demut und opferfreudigem Gehorsam. Wenn wir das Herz dem irdischen Streben, dem Gewirr der Leidenschaften und der Sinne verschließen, dann wird das menschgewordene Wort darin mehr und mehr zur Herrschaft gelangen. Von ihm geleitet, werden wir erfahren, dass nur in seinem Dienst die wahrsten und tiefsten Freuden gefunden werden. Wer das Glück hat, zur innigen Vertraulichkeit mit dem göttlichen Meister zugelassen zu werden wie die drei bevorzugten Apostel, der wird manchmal wie Petrus das Bedürfnis empfinden, in die Worte auszubrechen. »Herr, hier ist gut sein!« Freilich führt Gott die Seinen nicht immer auf Tabors Höhen, wo es »gut sein« ist. Er gibt uns nicht immer fühlbare Tröstungen. Wenn er sie gibt, sollen wir sie nicht zurückweisen; denn sie kommen von ihm. Wir dürfen sie demütig annehmen, ohne sie jedoch zu suchen um ihrer selbst willen. Der hl. Leo macht die tiefsinnige Bemerkung, dass der Herr dem Petrus die Antwort auf seine Frage schuldig blieb, auf seine Frage, ob er Hütten bauen und auf dem Gipfel der Seligkeit bleibende Wohnstätte aufschlagen dürfe. Nicht als ob sein Begehren verdammenswert gewesen wäre; es war nur verfrüht Solange wir hienieden pilgern, führt uns Jesus weit öfters auf Kalvaria als auf den Tabor und der Pfad zur Seligkeit geht durch Widerwärtigkeiten, Läuterungen und Versuchungen.

Worüber sprach denn auch der Herr auf dem heiligen Berg mit Moses und Elias? Vielleicht von seinen göttlichen Vorrechten oder von der Herrlichkeit, die seine Jünger fortriss zu seliger Entzückung? Nein! Er sprach von seinem bevorstehenden Leiden, vom Übermaß seiner Schmerzen, das Moses und Elias ebenso sehr in Staunen versetzte, als das Übermaß seiner Liebe. Durch das Kreuz führt Jesus uns zum Leben, und weil er weiß, wie schwach wir in der Stunde der Prüfung sind, deshalb wollte er durch seine Verklärung uns die Herrlichkeit zeigen, die wir berufen sind mit ihm zu teilen, wenn wir treu ausharren bis ans Ende. »Wir sind Erben Gottes und Miterben Christi. Hier müssen wir mit ihm leiden, um mit ihm verherrlicht zu werden« (Röm 8,17). Hienieden ist noch nicht die Zeit der Ruhe. Es ist eine Zeit der Mühsal, der Anstrengung und der Geduld.

Es gilt, Jesus die Treue zu bewahren, allen Hindernissen zum Trotz. Wir haben gehört, dass er der Sohn Gottes und selbst wahrer Gott ist. Seine Worte vergehen nicht. Er ist das ewige, lebendige Wort und denen, die ihm nachfolgen, verheißt er das »Licht des Lebens« (Joh 8,12). Selig, wer auf ihn hört, wer nur ihn allein hört, ihn immer hört und nie an seinem Wort zweifelt! Selig, wer sich nicht erschüttern lässt im Glauben an ihn durch die Lästerungen seiner Feinde, wer standhaft bleibt in der Versuchung und ungebrochen durch die Trübsal! Der hl. Paulus sagt, dass wir nicht wissen, welch reicher Lohn uns erwartet für das geringste, in Vereinigung mit Jesus Christus ertragene Leiden (vgl. 2. Kor 4,17). »Gott ist getreu« (1 Kor 1, 9; 10, 13; 2 Thess 3,3). Er wird unsere Seele sicher durch alle Wechselfälle dieser Zeitlichkeit geleiten und sie zu jener seligen Umgestaltung führen, die sie dem Bild seines Sohnes ähnlich macht.

So werden wir nach und nach innerlich in Jesus umgewandelt, bis der Tag anbricht, da diese unsere Verklärung offenbar werden wird in der Gemeinschaft mit allen Auserwählten, die das Zeichen des Lammes tragen und die vom Lamme verklärt werden, weil sie ihm angehören.

Der Herr selbst hat dies verheißen »Die Welt wird sich freuen«, sprach er, ehe er die Seinen verließ. »Ihr hingegen werdet trauern« (Joh 16, 20), »wie auch ich in Trübsal war, ehe ich einging in meine Herrlichkeit.« »Musste nicht Christus dieses alles leiden, um so in seine Herrlichkeit einzugehen« (Lk 24, 24) ? »Doch seid getrost« (Joh 16, 33), »ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt« (Mt 28, 20). Jetzt nimmt euer Glaube mich täglich auf im Geheimnis meiner Erniedrigung, einst aber werde ich kommen in der vollen Offenbarung meiner Herrlichkeit. Und ihr, meine treuen Jünger, dürft dann eintreten in meine Freude und teilnehmen an meiner Herrlichkeit; denn ihr seid eins mit mir. Habe ich das nicht von meinem Vater erbeten, ehe ich ihm den Kaufpreis für euch mit meinem Leben bezahlte? »Vater, lass jene, die du mir gegeben hast, bei mir sein, dort, wo ich bin, damit sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir verliehen hast, noch ehe die Welt ward« (Joh 17, 24)!

Ihr, die ich meine Freunde heiße, ihr, denen ich die Geheimnisse meines göttlichen Lebens anvertraute, wie mein Vater es mir befohlen hat, ihr, die geglaubt und mich nicht verlassen habt, ihr dürft nun eintreten in meine Freude und leben von meinem Leben! Das ist das wahre Leben und die vollkommene Freude; denn es ist mein eigenes Leben und meine persönliche Freude, die ich euch gebe, das Leben und die Freude des eingeborenen Gottessohnes, »auf dass meine Freude in euch sei und eure Freude vollkommen werde« (Joh 15,11).

XIII. »CHRISTUS HAT DIE KIRCHE GELIEBT UND SICH FÜR SIE DAHIN GEGEBEN, UM SIE ZU HEILlGEN« (Passionszeit)

Im Bericht von der Verklärung hebt der hl. Lukas hervor, dass sich Moses und Elias mit Jesus über dessen Leiden und Tod unterhielten (Lk 9, 31). In dem Augenblick also, wo er vor seinen Lieblingsjüngern zu kurzem Schauen den Schleier lüftet, der den Augen der Menge das Lichtkleid seiner Gottheit verhüllt, in eben diesem Augenblick spricht Jesus vom Leiden und vom Tod. Das könnte befremden und ist dennoch gar wohl erklärlich.

Das Leiden ist der Höhepunkt jenes Werkes, das der Herr auf Erden erfüllen wollte. Es bezeichnet die Stunde, wo er das Opfer vollendet, das dem himmlischen Vater unendliche Verherrlichung bereiten, die Welt erlösen, der Menschheit die Quellen des ewigen Lebens wieder erschließen sollte. Den Heiland, der sich ganz und gar dem Willen seines Vaters anheim gegeben hatte, verlangte es sehnsüchtig vom ersten Augenblick seiner Menschwerdung an nach dieser »seiner Stunde« (Joh 13,1). »Ich habe eine Taufe zu bestehen und wie drängt es mich, bis sie vollendet ist« (Lk 12, 50). Das war die Bluttaufe seines Leidens. Jesus sehnt die Zeit herbei, da er in die Tiefen des Leidens hinabsteigen und den Tod erleiden kann, um uns das Leben zu schenken.

Er will jedoch dieser Stunde nicht zuvorkommen. Jesus ist bedingungslos dem Willen seines Vaters unterworfen. Der hl. Johannes sagt uns in seinem Evangelium zu wiederholten Malen, dass die Juden Christus zu ergreifen suchten, um ihn zu töten. Der Herr aber entzog sich ihnen jedes Mal, sogar auf wunderbare Weise. »Denn seine Stunde war noch nicht gekommen« (Joh 7, 30; 8, 20). Da sie aber schlägt, gibt sich Jesus hin mit dem vollen, heißen Drang seiner Liebe, obwohl er im Voraus alle körperlichen und seelischen Leiden kennt, die seiner harren. »Mit großer Sehnsucht habe ich verlangt, dieses Ostermahl mit euch zu essen, bevor ich leide« (Lk 22,15). Nun ist sie endlich da, die so lang erwartete, heiß ersehnte Stunde.

Wir wollen Jesus betrachten in dieser seiner Stunde. Das Geheimnis des Leidens ist ein unaussprechlich erhabenes. Hier ist alles groß, auch die kleinsten Einzelheiten, wie übrigens jeder Zug im Leben des Gottmenschen. Hier! vor allem stehen wir an der Schwelle eines Heiligtums, das wir nur mit lebendigstem Glauben und tiefster Ehrfurcht betreten dürfen.

Ein Wort im Brief des hl. Paulus an die Epheser fasst die wesentlichsten Punkte zusammen, die wir in diesem Geheimnis betrachten sollen. »Christus hat die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben« (Eph 5, 25 ff), ... »nur sich diese Kirche herrlich zu gestalten, so dass sie nicht Makel oder Runzel oder etwas dergleichen habe, dass sie vielmehr heilig sei und makellos.« 

Mit diesen Worten ist das ganze Geheimnis des Leidens angedeutet. Jesus hat sich hingegeben in eigener Person. »Er hat sich selbst hingegeben.« Was aber hat ihn gedrängt, sich hinzuopfern? Die Liebe war es! Sie ist der tiefste Grund dieses Geheimnisses. »Christus hat die Kirche geliebt.« Die Frucht dieser schrankenlosen Hingabe seiner selbst aus Liebe ist die Heiligung der Kirche. »Dass sie nicht Makel oder Runzel oder etwas dergleichen habe, dass sie vielmehr heilig sei und makellos.« 

Jede einzelne dieser vom Völkerapostel geoffenbarten Wahrheiten enthält für uns Schätze wahrer Erleuchtung und Früchte des Lebens. Wir wollen sie kurz betrachten und weiterhin darzulegen suchen, wie wir am Leiden Jesu teilnehmen sollen, um die darin verborgenen Schätze zu heben und seine Frucht zu ernten.

1. Die Liebe hat den Herrn gedrängt, die Schmerzen seines Leidens auf sich zu nehmen

»Christus hat die Kirche geliebt«, sagte der hl. Paulus. Das Wort »Kirche« bezeichnet hier das Reich all jener, die, wie gleichfalls der Apostel sagt, »den mystischen Leib Christi« bilden (1 Kor 12, 27; Eph 1, 23; 4, 12; 5, 23). Christus hat diese Kirche geliebt, und weil er sie liebte, hat er sich für sie dahin gegeben. Liebe also ist es, die das Leiden veranlasst hat.

Ohne Zweifel hat Jesus zunächst und vor allem aus Liebe zum Vater den Kreuzestod auf sich genommen. Er sagt dies ausdrücklich. »Die Welt soll erkennen, dass ich den Vater liebe und dass ich so tue, wie der Vater mir aufgetragen hat« (Joh 14,31). Der Wille des Vaters aber ist, dass ich mich hingebe in den Tod.

Betrachten wir Christus in seiner Todesangst. Widerwille, Traurigkeit, Furcht und Angst brechen wie ein entfesselter Strom über seine Seele herein und überfluten sie dergestalt, dass sein heiligstes Blut aus den Poren hervorbricht. O abgrundtiefer Schmerz des Herrn in seiner Todesangst! Wie aber spricht Jesus zum Vater? »Mein Vater, wenn es möglich ist, lass diesen Kelch an mir vorübergehen.« Wird Christus etwa den Willen des Vaters nicht mehr bedingungslos annehmen? Fern sei es, also zu denken! Sein Flehen vielmehr ist der Ausschrei des Empfindens seiner menschlichen Natur, die zermalmt ist von Widerwillen und Leiden. In dieser Stunde vor allem ist er »der Mann, der mit Siechtum vertraut ist« (Jes 53, 42). Der Heiland fühlt, wie die schreckliche Wucht der Todesangst auf seinen Schultern lastet, und weil er will, dass auch wir es wüssten, deshalb hat er dieses Gebet zum Vater empor gesandt.

Doch fügt er alsogleich hinzu: »Nicht wie ich will, sondern wie du willst.« Dieses Wort ist der Sieg der Liebe. Weil er seinen Vater liebt, stellt er den Willen seines Vaters über alles und unterwirft sich in unbedingter Hingabe zu jeglichem Leiden. Der Vater hätte, wenn er es so gewollt, die Leiden seines Sohnes mildern, die Umstände seines Todes anders gestalten können. Das hat er nicht gewollt. Seine Gerechtigkeit forderte vielmehr, dass sich Christus allen Leiden ohne Ausnahme hingäbe, um die Menschheit zu erlösen. Dieser Wille des Vaters vermochte nicht das Maß der Liebe unseres Heilandes zu verringern. Jesus sagt nicht: »Mein Vater hätte es doch anders einrichten können«; nein, er unterwirft sich ganz und in allem und will nur eines, das, was sein Vater will. »Nicht mein Wille, sondern der deine geschehe«« (Lk 22, 42).

Er geht den ihm vorgezeichneten Weg bis zur Vollendung seines Opfers. Sogleich nach der furchtbaren Todesangst, im Augenblick, da er von den Schergen ergriffen wird und da Petrus zur Verteidigung seines Meisters einen von denen, die gekommen waren, um den Herrn festzunehmen, mit seinem Schwert verwundet, sagt der Heiland in göttlicher Ruhe die Worte: »Stecke dein Schwert in die Scheide. Soll ich den Kelch nicht trinken, den der Vater mir gereicht hat« (Joh 18,11)?

So ist es also vor allem die Liebe zum Vater, die den Herrn drängt, das bittere Leiden auf sich zu nehmen. Es ist aber auch die Liebe zu uns.

Beim letzten Abendmahl, als die Stunde nahte, da er seine Hingabe vollenden sollte, spricht er zu den versammelten Jüngern: »Eine größere Liebe hat niemand, als dass er sein Leben hingibt für seine Freunde« (Joh 15,13). Jesus steht im Begriff, uns den Beweis dieser alles überragenden Liebe zu geben. »Für uns alle ist Christus gestorben« (2 Kor 5, 15), sagt der hl. Paulus, »als wir noch seine Feinde waren« (Röm 5,10). Er hätte uns einen größeren Liebesbeweis nicht geben können.

Immer wieder betont der Apostel, dass »Christus uns geliebt und deshalb sich hingegeben hat« um unsertwillen. »Aus Liebe zu mir hat er sich geopfert« (Gal 2, 20; Eph 5, 2), sich hingegeben bis in den Tod.

Der Wert dieser Liebe wird ins Unermessliche gesteigert durch die unbeschränkte Freiheit, womit Jesus Christus sich zum Opfer bringt »Er ward geopfert, weil er selbst wollte« (Jes 53, 7). In diesen Worten liegt ausgedrückt, wie sehr Jesus sein Leiden aus eigenstem Antrieb auf sich genommen hat. Als der Heiland vom guten Hirten sprach, der sein Leben für seine Schafe hingibt, sagte er: »Deshalb liebt mich der Vater, weil ich mein Leben hingebe, um es wieder zu gewinnen am Tag meiner Auferstehung. Niemand entreißt es mir. Ich gebe es freiwillig hin. Ich habe die Macht, es hinzugeben und die Macht, es wieder zu gewinnen« (Joh 10, 17 ff).

Wie haben sich diese Worte nun tatsächlich erfüllt? Als seine Feinde ihn gefangen nehmen wollten, tritt Jesus vor und fragt: »Wen suchet ihr?« - »Jesus von Nazareth.« - »Ich bin es« (Joh 18, 4 ff; Mt 26, 53). Dieses Wort wirft die Schergen zu Boden. Hätte Jesus seinen Vater darum gebeten, so wären Legionen himmlischer Geister zu seinem Schutz herbeigeeilt. Er aber sprach: »Tag für Tag saß ich bei euch im Tempel und lehrte, und ihr habt mich nicht festgenommen« (Mt 26, 53; Mk 14, 49; Lk 22, 53). Er hätte auch diesmal bewirken können, dass seine Feinde ihm nichts anzuhaben vermöchten. Er will das aber nicht; denn »seine Stunde ist gekommen«. Da er vor Pilatus steht, weist er darauf hin, dass der römische Landpfleger die Gewalt über Tod und Leben nur »von seinem Vater habe« (Joh 19,11). »Du hättest keine Macht über mich«, spricht er, »wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre.« Der Herr hätte, wenn er gewollt, sich aus den Händen des Pilatus befreien können; doch er überantwortet sich einem ungerechten Richter, weil es so der Wille des Vaters ist.

Es ist eine durchaus uneingeschränkte Freiheit, womit Jesus sein Leben hingibt, und das ist eine der erhabensten Vollkommenheiten seines Opfers und jener Umstand, der am meisten geeignet ist, unser menschliches Herz mit inniger Rührung zu erfüllen. »So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn dahin gegeben hat« (Joh 3,16). Und so sehr hat Christus seine Brüder geliebt, dass er freiwillig den Opfertod erwählte, um sie alle zu erlösen.

2. Christus hat sich selbst rückhaltslos dem Leiden und Tod hingegeben

Im Opfer Christi ist alles vollkommen, die Liebe, von der es eingegeben, wie auch die Freiheit mit der es vollbracht wird, vollkommen zumal mit Rücksicht auf die geopferte Gabe: Christus selbst ist es, der sich darbringt.

Christus bringt sich ganz und gar zum Opfer. Seelisch und körperlich ist er zerschlagen und zermalmt von Schmerzen. Es gibt kein Leiden, das Christus nicht ertrug. Wer aufmerksam den evangelischen Bericht liest, wird bemerken, dass im bitteren Leiden Jesu alle Glieder seines heiligsten Leibes von Schmerzen gepeinigt, alle Fibern seines Herzens gemartert wurden durch den Undank der Menge, die Feigheit seiner Jünger, die Schmerzen seiner heiligsten Mutter; er sieht, dass seine heiligste Seele allen Schimpf, alle Misshandlungen und Demütigungen ertragen musste, die nur immer einen Menschen vernichten können. An Christus ist buchstäblich in Erfüllung gegangen, was Jesaja, der Prophet, geweissagt hat: »Viele haben sich über ihn entsetzt, so sehr ist sein Anblick entstellt unter den Menschen ... Nicht ist an ihm Schönheit und nicht Zierde ... , so dass wir sein begehrten. Wir hielten ihn für einen Aussätzigen, Geschlagenen und Darniedergedrückten« (Jes 52, 14; 53, 2 ff).

Weiter oben war die Rede von der Todesangst im Ölgarten. Christus, dem jede Übertreibung fremd ist, vertraut seinen Aposteln an, dass seine Seele von solcher Betrübnis überflutet sei, wie sie allein schon hinreichen würde, ihn zu töten. »Meine Seele ist zum Tod betrübt« (Mt 26, 38; Mk 16, 34). O Tiefe des Leidens! Gott, die ewige Allmacht, die ewige Seligkeit, empfindet Angst und Furcht, Traurigkeit und Abscheu! (Mk 14, 33; Mt 26, 37.) Der menschgewordene Gott schaute alle Qualen, die in den langen Stunden seines Leidens über ihn hereinbrechen sollten. Dieses Bild erweckte in seiner zart empfindsamen Natur jenen heftigen, natürlichen Widerwillen, den jeder andere Mensch in dieser Lage auch hätte empfinden müssen. Gleichzeitig sah die mit der Gottheit vereinte Seele in unverhüllter Genauigkeit die Sündenschuld der ganzen Welt und die Unsummen von Beleidigungen, die dem allheiligen Gott und seiner unendlichen Liebe jemals zugefügt worden waren und noch zugefügt werden sollten.

Alle diese ungeheuren Frevel hat er auf sich genommen. Er war mit der Sünde umhüllt wie mit einem Kleid. Er fühlte den gerechten göttlichen Zorn auf sich lasten, »Ich aber bin ein Wurm, kein Mensch, den Leuten zum Gespött, dem Volk zur Verachtung« (Ps 22, 7). Er sah voraus, dass für viele sein Blut nutzlos fließen werde. Und diese Voraussicht machte das Maß der Bitterkeiten, in das seine heiligste Seele eingetaucht war, voll zum Überfließen. Er aber nimmt alles auf sich, alles ohne Ausnahme, dann erhebt er sich; verlässt den Garten und geht seinen Feinden entgegen.

Und nun beginnt für unsern Herrn und Heiland eine unfassbare Kette von Schmach und Leiden.

Durch einen Kuss wird er von einem seiner Jünger verraten, von rohen Soldaten wie ein Übeltäter gebunden und vor den Hohepriester geführt. Falsches Zeugnis wird wider ihn ausgesagt. »Jesus aber schwieg und antwortete nicht« (Mk 14, 61).

Er öffnet den Mund nur, um zu bekennen, dass er der Sohn Gottes ist. »Ja, ich bin es« (Mt 26, 64; Mk 14, 62). Das war das feierlichste Bekenntnis der Gottheit Christi, das jemals gemacht worden ist. Jesus, der König der Märtyrer, stirbt, weil er sich als wahren Gott bekannt hat, und für dieselbe Wahrheit haben auch alle Märtyrer ihr Leben gelassen.

Petrus, das Haupt der Apostel, war von fern gefolgt. Er, der einst dem Meister versprochen hatte, ihn nie zu verlassen! Armer Petrus! Dreimal hat er den Herrn verleugnet. Das war wohl für den göttlichen Heiland eines der schmerzlichsten Erlebnisse in allen Peinen dieser Nacht.

Kriegsknechte bewachen ihn und misshandeln ihn voll Spott und Rohheit. Sie können seinen sanften Blick nicht ertragen; daher verhüllen sie ihm höhnend die Augen, geben ihm Backenstreiche und wagen es, mit ihrem Speichel das anbetungswürdige Antlitz zu besudeln, das zu betrachten der Engel Entzücken ist.

Das Evangelium berichtet hierauf, wie Jesus am frühesten Morgen zum Hohepriester und sodann von einem Richterstuhl zum andern geführt ward. Herodes lässt ihn mit dem Spottgewand bekleiden, ihn, die ewige Weisheit! Pilatus gibt ihn der Geißelung preis. Erbarmungslos schlagen die Schergen auf den zarten Leib bis dieser nur mehr einer einzigen großen Wunde gleicht. Doch diese grausige Geißelung genügt den Unmenschen noch nicht. Sie flechten eine Krone von Dornen, drücken sie auf sein Haupt und sättigen ihn mit Hohn und Verspottung.

Der feige Landpfleger vermeint, dem Hass der Juden genug getan zu haben. Er stellt der Menge ihr Opfer vor und hofft, der herzzerreißende Anblick werde sie zu Mitleid und Erbarmen rühren. »Seht, welch ein Mensch« (Joh 19, 5) ! Ja, blickt auf ihn, ihr alle! Sehet euren göttlichen Meister, versenkt in den tiefsten Abgrund aller Schmach und aller Leiden! Auch der ewige Vater weist hin auf Jesus. Sehet meinen Sohn, den Abglanz meiner Herrlichkeit! »Um der Schuld meines Volkes habe ich ihn geschlagen« (Jes 53, 8).

Jesus hört das Wutgeschrei der Menge, die ihm einen Mörder vorzieht. Zum Dank für alle Wunder seiner Liebe klingt ihm der Ruf entgegen: »Ans Kreuz mit ihm, ans Kreuz mit ihm.« Das Todesurteil ist schließlich gefällt. Jesus nimmt das schwere Kreuz auf seine Schultern und geht hinaus zur Richtstatt, Kalvaria genannt. Namenloses Leid aber wartet noch seiner. Er sieht die Mutter, die er zärtlich liebt und deren abgrundtiefes Leid nur er ermessen kann. Er wird seiner Kleider beraubt, an Händen und Füßen durchbohrt; ihn dürstet in brennender Qual. Mit Hohn und Spott wird er gesättigt von seinen hasserfüllten Feinden »Du reißest ja den Tempel Gottes nieder, rette dich selbst! Wenn wir das sehen, werden wir glauben. Anderen hat er geholfen, sich selbst kann er nicht helfen« (Mt 27, 40 ff: Mk 15, 29 ff; Lk 23, 35). Schwerer als alles aber trifft ihn das Verlassensein von seinem himmlischen Vater, dessen heiligsten Willen er immer erfüllt hat. »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen« (Mt 27, 46; Mk 15, 34) ! Fürwahr, er hat den Kelch des Leidens bis auf die Hefe geleert! Bis zum letzten Jota, bis zur letzten Einzelheit ist alles erfüllt, was von ihm vorhergesagt war, und er darf nun rufen: »Es ist vollbracht!« Es erübrigt ihm nur mehr, dem Vater seine Seele zu empfehlen. »Dann neigte er sein Haupt und gab seinen Geist auf« (Joh 19, 30). Wenn in der Karwoche die Leidensgeschichte des Herrn gelesen wird, hält der Priester bei dieser Stelle inne und verharrt in schweigender Anbetung.

O, werfen auch wir uns mit ihm auf die Knie! Beten wir unsern gekreuzigten Herrn an, der für uns seinen letzten Seufzer ausgehaucht hat! Er ist in Wahrheit Gottes Sohn, »wahrer Gott vom wahren Gott« (Credo). Nehmen wir aber auch teil an der feierlichen Kreuzverehrung am Karfreitag, die von der heiligen Kirche deswegen angeordnet ist, um die zahllosen Beleidigungen zu sühnen, womit das göttliche Opferlamm von seinen Feinden auf Golgatha überhäuft ward. Während dieser tiefergreifenden Zeremonie werden dem schuldlosen Heiland von der Kirche rührend wehmütige Klagen auf die Lippen gelegt, die sich zwar dem Wortlaut nach auf das gottesmörderische Judenvolk beziehen, die aber auch wir im geistigen Sinne auf die eigene Seele anwenden können, und sie werden nicht verfehlen, uns mit Reue und Zerknirschung zu erfüllen. »Mein Volk, was tat ich dir? - Betrübt' ich dich? - Antworte mir! - Als schönsten Weinberg pflanzt' ich dich; - doch ach, wie hart wardst du für mich! - Ja du, als ich so durstig war, reichst mir zum Trank Essig dar. - Du drückst in wilder Mordeslust den Speer in deines Heilands Brust. - Die Geißel meiner Strafe traf - Ägyptens Erstgeburt im Schlaf. - Zerschlagen, überströmt mit Blut, - gibst du mich hin der Heiden Wut. - Stürzt' Pharao ins rote Meer - zog schützend, leuchtend vor dir her, und du, mit undankbarem Sinn, - gibst mich den Hohepriestern hin. - Ich öffnete und legte bloß - auf deinem Zug des Meeres Schoß. - Und du, du öffnest meine Seit' - mit einer Wunde, groß und weit. - Als Wolkensäul' schwebt' ich vor dir, - zum Richtplatz schleppst du mich dafür. - Mit Manna hab' ich dich genährt, - du hast zu geißeln mich begehrt. - Das Königszepter gab ich dir, - du gabst die Dornenkrone mir. - In Kraft erhöht' dich meine Wahl, - du schlägst mich an den Kreuzespfahl! « 

O, dass unser Herz sich rühren ließe von den Klagen eines Gottes, der für die Menschen leidet! Vereinen wir uns mit jenem glühenden Gehorsam, der unsern Herrn zum Kreuzesopfer geführt hat! »Er ward gehorsam bis zum Tod, ja, bis zum Tod am Kreuze« (Phil 2,8). O göttlicher Erlöser, der du aus Liebe zu uns so viel gelitten hast, wir versprechen dir aus aufrichtigem Herzen, dich nicht mehr beleidigen zu wollen. Lass uns, o minniglicher Meister, durch deine Gnade allem absterben, was Sünde heißt, und allem, was uns an die Sünde oder an die Geschöpfe kettet, damit wir nur mehr für dich leben.

Denn die Liebe, sagt Paulus, die Christus durch seinen Opfertod uns erzeigt hat, drängt uns, damit, »die da leben, nicht mehr sich leben, sondern dem, der für sie gestorben ist« (2 Kor 5, 15).

3. Wie Christus durch seine Hinopferung die Kirche heiligt

Das Opfer Christi, das mit der Menschwerdung begonnen hat, ist nun vollbracht. Aus der durchbohrten Seite Jesu strömen die Quellen lebendigen Wassers, um die Kirche rein zu waschen und sie zu »heiligen« (Eph 5, 27). »Das ist die vollkommene Frucht des vollkommenen Opfers« (Hebr 10, 14). »Mit dem einen Opfer hat Jesus Christus für immer die zur Vollendung geführt, die sich heiligen lassen« (Hebr 10,14).

Wie aber hat Jesus durch sein Opfer die Kirche geheiligt? Unsere Heiligung besteht wesentlich in der Teilnahme an der göttlichen Natur durch die Heiligmachende Gnade. Diese Gnade macht uns zu Kindern und Freunden Gottes, sie macht uns gerecht in Gottes Augen und schenkt uns das Erbrecht auf die ewige Herrlichkeit.

Durch die Sünde waren wir der Gnade verlustig gegangen, Feinde Gottes, und als solche ausgeschlossen von der himmlischen Herrlichkeit. Christus hat durch seinen Opfertod die Sünde getilgt und uns das Leben der Gnade wiedergeschenkt. »Christus hat, indem er sich an das Kreuz nageln ließ«, nach den Worten des hl. Paulus »den Schuldschein, der mit seinen Bestimmungen uns entgegenstand, ausgelöscht und vernichtet« (Kol 2,14). »So hat er uns auf immer mit seinem Vater versöhnt« (Röm 5,10). Wir dürfen nicht außer Acht lassen, dass Christus Vertreter der gesamten Menschheit ist. Er hat sich mit einem sündigen Geschlecht verbunden, obwohl er persönlich von der Sünde niemals berührt ward. »Sonder Sünde ist Jesus« (Hebr 4,15). »Aber Gott hat auf ihn unser aller Missetat gelegt« (Jes 53,6). Weil er die ganze Menschheit vertrat, deshalb hat auch Jesus für die ganze Menschheit genug getan. Er hat aus Liebe zu uns die Sünden auf sich genommen und uns dafür aus Gnade all seine Verdienste und Genugtuungen geschenkt.

Aber Christus hat noch mehr getan. Er hat für seine Kirche alle Gnaden verdient, deren sie bedarf, um zu jener Vereinigung zu gelangen, zu der er sie führen will, »ohne Fleck, ohne Runzel ... heilig und makellos«. Der Wert der Verdienste Christi ist in der Tat unendlich. Nicht so, als ob seine Leiden und Schmerzen unendlich gewesen wären, wie umfassend und bitter sie auch waren, sondern einzig deshalb, weil jener, der für uns verdient hat, Gott ist. Obwohl er seiner menschlichen Natur nach gelitten hat, so gehören doch alle Schmerzen und die durch dieselben erworbenen Verdienste einem Gott an; darum ist ihr Wert ein unendlicher.

Jesus Christus hat also für uns alle Gnaden und alle Erleuchtungen verdient. Sein Tod hat uns die Pforten des Lebens eröffnet, »hat uns der Gewalt der Finsternis entrissen« (Kol 1,12 ff) »und in das Licht versetzt«. Er ist somit die Ursache unseres Heiles und unserer Heiligkeit geworden, oder wie sich der Apostel ausdrückt: »So vollendet, wurde er für alle, die ihm gehorchen, der Urheber des ewigen Lebens« (Hebr 5, 9).

Die Sakramente, diese Gnadenkanäle, wodurch uns das göttliche Leben mitgeteilt wird, empfangen ihre Wirksamkeit nur durch das Kreuzesopfer Christi. Wenn wir heute im Stand der Gnade sind, so verdanken wir das der hl. Taufe. Die Lebensfrüchte der hl. Taufe aber hat uns der Herr durch seinen Tod verdient. Desgleichen werden wir durch das Sakrament der Buße rein gewaschen im Blut des Erlösers. Die Kraft der Sakramente entströmt dem Kreuz. Nur aus der engen Verbundenheit mit Christi heiligem Leiden schöpfen sie ihre Wirksamkeit.

Christus hat seiner Kirche, deren göttliches Haupt er ist, die Fülle der Gnaden verdient, damit sie vor ihm erscheine »heilig und makellos«. Der Glaubenseifer der Apostel, der Starkmut der Glaubenszeugen, die Standhaftigkeit der Bekenner, die Reinheit der Jungfrauen, all das sind Früchte des Leidens Christi. Alle Hulderweise und Gnadengaben Gottes an die Seelen der Menschen bis hinauf zu den hocherhabenen und einzigartigen Vorrechten der Gottesmutter, sie alle sind erkauft um den Preis dieses kostbaren Blutes. Und weil dieser Preis unendlich ist, so gibt es keine Gnade, die wir nicht erhoffen dürften, wenn wir uns auf die Verdienste unseres göttlichen Mittlers und Hohepriesters berufen.

So ist uns in Jesus alles geschenkt. Nichts mangelt uns, dessen wir zu unserer Heiligung bedürfen. »Denn bei ihm ist überreiche Erlösung (Ps 130, 7). Das Opfer, das er für alle darbrachte, hat ihm das Recht gegeben, uns alles mitzuteilen, was er für uns verdient hat.

O, verständen wir es doch, dass wir in Jesus alles haben, dass seine unendlichen Verdienste unser sind! Dass wir doch ein unbedingtes Vertrauen in diese Verdienste setzten! Während seines irdischen Lebens hat Jesus zu den Juden gesprochen: »Ich aber will alles an mich ziehen, wenn ich von der Erde erhöht bin« (Joh 12, 32). Er spricht auch heute noch so zu jedem aus uns. Seit ich am Kreuz erhöhet ward, ist die Gewalt meiner Liebe so groß, dass ich alle, die an mich glauben, emporziehen kann zu mir.

»Diejenigen, die einst in der Wüste die eherne Schlange anblickten, die Moses zum Zeichen aufgerichtet hatte, wurden geheilt von den tödlichen Bissen, die sie ihrer Sünden wegen erhalten hatten. So verdienen auch alle, die in Glauben und Liebe emporschauen zu mir, bei mir zu sein und erhöht zu werden bis in die Seligkeit des Himmels. Ich, der ich Gott bin, ward aus Liebe zu euch bereit erfunden, mich an das Kreuz heften zu lassen, gleich einem, der von Gott verflucht ist. Zum Lohn für solch abgrundtiefe Erniedrigung ward mir Gewalt gegeben, euch an mich zu ziehen und rein zu waschen von aller Schuld, euch mit meiner Gnade zu schmücken und zu erhöhen dahin, wo ich selbst throne. Ich bin vom Himmel herabgestiegen und kehrte in den Himmel zurück, nachdem mein Opfer vollendet war. Ich habe die Gewalt, euch mit mir einzuführen in mein Reich, wohin ich vorausgeeilt bin als Vorläufer. Es steht in meiner Macht, euch innig und fest mit mir zu vereinen, und niemand vermag meiner Hand jene zu entreißen, die mir mein Vater gegeben hat und die ich mit meinem kostbaren Blut erkauft habe.« »Ich schenke ihnen das ewige Leben, sie werden in Ewigkeit nicht verloren gehen und niemand wird sie meiner Hand entreißen« (Joh 10, 28).

»Ich aber will alle an mich ziehen, wenn ich von der Erde erhöhet bin.« Seien wir doch dieser untrüglichen Verheißung unseres göttlichen Hohepriesters eingedenk, so oft unser Blick einem Kreuzbild begegnet! Das Kreuz ist und bleibt die Quelle unbedingten Vertrauens. Wenn Christus für uns gestorben ist, »solange wir seine Feinde waren« (Röm 5,10), wie könnte er uns irgendeine Gnade der Verzeihung und Heiligung versagen, jetzt, da wir die Sünde hassen und in Liebe danach streben, uns selbst und den Geschöpfen abzusterben und ihm allein zu gefallen?

O Vater, ziehe mich zum Sohn ! Christus Jesus, wahrer Gottessohn, ziehe mich ganz und gar an dich!

4.Wir müssen am Leiden des Herrn teilnehmen

Wir können diese Teilnahme auf mannigfache Weise verwirklichen, nämlich durch gläubige Betrachtung Christi in seinem Leiden, durch andächtige Beiwohnung der hl. Messe, die das Opfer auf Golgotha erneuert, und durch Vereinigung unserer Leiden mit den seinen. Von der uns durch Christus verdienten Kraft, das Kreuz mit ihm zu tragen

Der Tod Jesu ist die Quelle unseres Vertrauens. Damit aber dieser Tod seine vollste Wirksamkeit an uns ausüben könne, müssen wir selbst am Leiden Christi teilnehmen. Am Kreuz vertritt Christus uns alle. Doch, wenn er auch für uns alle gelitten hat, so macht er uns der Früchte seines Todes nur dann teilhaftig, wenn wir uns seinem Opfer anschließen.

Wie aber nehmen wir Anteil am Leiden des Herrn? Das geschieht auf mancherlei Weise. Zunächst, indem wir Jesus in den verschiedenen Abschnitten seines Marterweges gläubig und liebend betrachten.

Jedes Jahr durchlebt die Kirche in der Karwoche mit ihrem göttlichen Bräutigam Tag für Tag, ja Stunde für Stunde bis ins kleinste das blutige Geheimnis seines Leidens. Sie führt ihren Kindern das gewaltige Schauspiel vor die Seele, wie ein Gott zur Erlösung der Menschheit leidet. In früheren Zeiten verrichtete man in dieser heiligen und stillen Woche keine knechtlichen Arbeiten. Alle Zivil- und Kriminalprozesse waren verboten. Handel und Gewerbe ruhten. Der Gedanke an den Gottmenschen und seinen Sühnetod beherrschte alle Geister, bewegte jedes Herz. Heutzutage aber verbringen gar viele der im Blut des Herrn Erlösten diese großen Tage in stumpfer Gleichgültigkeit. Dafür sollen die wenigen Getreuen umso treuer sein und im innigen Anschluss an die Kirche die einzelnen Leidensgeheimnisse liebend betrachten. Unermesslich reich sind die Gnaden, die solcher Betrachtung entströmen.

Das Leiden nimmt im Leben unseres Herrn einen überaus wichtigen Platz ein. Es ist unzertrennlich mit seinem Erlösungswerk verbunden. Jesus selbst legt ihm einen so hohen Wert bei, dass er dessen Gedächtnis nicht bloß einmal im Jahr, sondern Tag für Tag im Geist seiner Gläubigen erneuert wissen wollte. Deshalb hat er selbst ein Opfer eingesetzt, in welchem für alle Zeiten das Andenken und die Früchte seines blutigen Todes auf Kalvaria erneuert werden. Es ist das hl. Messopfer. »Tut das zu meinem Andenken« (Lk 23, 9; 1 Kor 11,24)! Die andächtige Beiwohnung der hl. Messe oder die Darbringung des eucharistischen Opfers mit Christus ist eine weitere Art und Weise, innig und wirksam am Leiden des Herrn teilzunehmen.

Auf dem Altar wird ja das nämliche Opfer dargebracht wie an dem Kreuzeshügel. Es ist der nämliche Opferpriester Jesus Christus, der sich seinem Vater durch die Hände seines Stellvertreters darbringt. Es ist dieselbe Opfergabe; nur die Art und Weise das Opfer darzubringen ist verschieden.

Wir möchten manchmal denken: »O wäre ich unter dem Kreuz gestanden mit Maria, der Mutter Jesu, mit dem Liebesjünger und Magdalena! « Der Glaube indes stellt uns Jesus dar, wie er sich auf dem Altar dem Vater aufopfert. Auf dem Altar erneuert er in geheimnisvoller, unblutiger Weise sein Opfer auf Golgatha, um uns teilnehmen zu lassen an dessen Verdiensten und an dessen Genugtuungswert. Unser leibliches Auge schaut ihn nicht. Der Glaube aber sagt uns, dass Christus da ist zu demselben Zweck wie einst am Kreuz auf Golgatha. Ist unser Glaube lebendig, dann fallen wir dem Herrn zu Füßen, der sich barmherzig für uns hingibt. Der Glaube macht uns eins mit ihm, eins auch im Hass gegen die Sünde, so dass wir freudig mit ihm rufen: »Siehe, o mein Gott, ich komme deinen Willen zu erfüllen« (Hebr 10, 7; vgl. Ps 39, 8 ff).

Ganz besonders aber werden wir eingehen in die Gesinnungen unseres Herrn, wenn wir, nachdem wir uns mit ihm geopfert haben, ihn aufnehmen in der hl. Kommunion. Da schenkt sich Christus unserer Seele, um in ihr die Sünde zu überwinden und überreiche Sühne zu leisten. Am Kreuz ließ er uns mit sich der Sünde absterben. »Mit Christus bin ich gekreuzigt«, sagt der hl. Paulus (Gal 2, 19). In jener feierlichsten aller Stunden hat uns Christus nicht von sich getrennt. Er hat uns Kraft geschenkt, das Reich des Bösen, die Ursache seines Todes, im Herzen zu zerstören. Er hat uns eingegliedert der heiligen und untadeligen Versammlung seiner Auserwählten »ohne Fleck und ohne Runzel«.

Endlich aber gehen wir ein in das Geheimnis des Leidens, wenn wir aus Liebe zu Christus mutig alle Widerwärtigkeiten und Trübsale auf uns nehmen, die Gottes Vorsehung uns zuschickt.

Auf seinem Martergang nach Golgatha, trägt Jesus selber sein Kreuz. Da bricht er unter der drückenden Last zusammen. Er, dem die Schrift den Namen »Gottes Kraft« (1 Kor 1, 24) beilegt, fällt elend und todesmatt zur Erde nieder, unfähig, sein schweres Kreuz zu tragen. Das war die Huldigung, die seine Menschheit der Allmacht Gottes darbrachte. Wenn Jesus es gewollt hätte, so hätte er trotz seiner Schwäche das Kreuz hinaustragen können nach Kalvaria. Gott aber wollte zu unserem Heil, dass die allerheiligste Menschheit Jesu Christi sich ihrer Schwäche schmerzlich bewusst ward, um uns die Kraft zu erwerben, in Leid und Schmerzen stark zu sein.

Jedem aus uns gibt Gott ein Kreuz zu tragen und jeder glaubt, das seine sei das schwerste. Doch wir sollen es auf uns nehmen, ohne zu murren und zu wähnen, Gott hätte dieses oder jenes in unserem Leben anders gestalten können. Der Herr spricht: »Wer mein Jünger sein will, verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir« (Mt 16, 24; Mk 8, 34; Lk 9, 23).

In der hochherzigen Annahme des Kreuzes und zwar unseres Kreuzes gelangen wir zur Vereinigung mit Christus; denn wenn wir das eigene Kreuz umfassen, helfen wir in Wahrheit so viel an uns liegt, dem Herrn das seine tragen. Das Evangelium (Mt 27, 32; Mk 15, 21) berichtet, dass die Juden, die den Herrn zur Richtstätte führten, fürchteten, ihr Opfer möchte auf dem Weg nach Kalvaria erliegen. Als ihnen daher ein Mann aus Cyrene mit Namen Simeon begegnete, nötigten sie diesen, dass er dem Herrn das Kreuz tragen helfe. Jesus hätte, wie schon gesagt aus seiner Gottheit überreiche Kraft schöpfen können, um keiner fremden Hilfe zu bedürfen, aber er wollte sich helfen lassen, um uns zu zeigen, dass jeder aus uns ihm helfen solle das Kreuz zu tragen. Es ist, als ob er zu uns spräche: Sei bereit und nimm jenen Teil meiner Last auf dich, den ich dir am Leidenstag meines Kreuzwegs in göttlicher Voraussicht zugedacht habe! Wer möchte sich weigern, irgendeinen Schmerz, einen Widerspruch, eine Widerwärtigkeit aus der Hand Jesu Christi freiwillig anzunehmen oder ein paar Tropfen aus dem Kelch zu trinken, den er selbst uns reicht und aus dem er als erster getrunken hat? O, sagen wir ihm: »Mein göttlicher Meister, aus ganzem Herzen bin ich bereit, mir diesen Teil deines Kreuzes als den meinen lieb und recht sein zu lassen; denn er kommt von dir!« Ja, umfangen wir unser Kreuz, wie Jesus es umfangen hat, und tragen wir es liebend mit dem Herrn und für ihn. Es können Zeiten kommen, wo es zur drückenden Last wird und wir zu erliegen vermeinen. Selbst Paulus, der große Apostel gesteht uns, dass ihm, vom Übermaß der Drangsal und Plage beschwert, sogar das Leben zur Last ward. Aber mit dem Apostel wollen auch wir auf jenen schauen, der »uns geliebt und sich für uns dahin gegeben hat«. Wenn der Körper gepeinigt, die Seele zermalmt, der Geist friedlos und im Dunkeln ist, wenn Gottes geheimnisvoll läuterndes Walten den tiefsten Grund unseres Wesens durchwühlt, dann ist die Stunde da, sich an Christus anzuschließen, inniger denn je. Die Kraft und Salbung seines Kreuzes wird überströmen in unser Herz, und aus ihr werden wir die Kraft, den Frieden und jene innere Freudigkeit schöpfen, die selbst im Leiden zu lächeln vermag. »Ich bin übervoll von Freude bei aller Bedrängnis (2 Kor 7, 4).

Solcher Art sind die Gnaden, die uns der Heiland verdient hat, da er den Kalvarienberg hinaufstieg. Als Jesus Christus, der Gottmensch, mit Simeons Hilfe sein schweres Kreuz trug, hat er all jener gedacht, die im Lauf der Jahrhunderte ihm helfen sollten, sein Kreuz zu tragen, indem sie ihr eigenes Kreuz willig auf sich nehmen. Für sie alle hat er damals unerschöpfliche Gnadenschätze an Kraft, Ergebung und Leidensfreudigkeit erworben, so dass sie nach seinem Beispiel zu sagen vermögen: »Nicht mein, sondern dein Wille geschehe« (Lk 22, 42).

Hier müssen wir eine wichtige Wahrheit erwägen. Christus, das menschgewordene Wort, hat als Haupt der Kirche, den Großteil der Leiden selbst getragen; aber er wollte auch seine Kirche, die sein mystischer Leib ist, einen Teil der Sühne leiden lassen. Der hl. Paulus sagt uns darüber ein wunderbar tiefsinniges und zugleich überraschendes Wort. »Was an den Bedrängnissen Christi mangelt, das ergänze ich in meinem Fleisch für seinen Leib, welcher ist die Kirche« (Kol 1, 24). Kann denn an den Leiden Christi etwas mangeln? Nein, denn sie waren überschwänglich groß. Unermesslich und unendlich ist ihr Verdienst. Dem Leiden, womit Christus uns erlöst hat, mangelte also nichts! Warum spricht dann aber der hl. Paulus von einer Ergänzung? Der hl. Augustinus gibt eine schöne Erklärung. »Der mystische Christus«, sagt er, »wird gebildet durch die mit ihrem Haupt Christus vereinte Kirche. Das Haupt hat alles gelitten, was es leiden musste. Es erübrigt nur, dass auch die Glieder, wenn sie ihres Hauptes würdig sein wollen, ihren Anteil an Leiden auf sich nehmen. Ihr aber seid der Leib Christi und seine Glieder (Enarrat. in Ps 86,5).« 

Als Glieder Christi müssen wir uns also dem Leiden unseres göttlichen Hauptes anschließen. Christus hat uns eine Anteilnahme an seinem Leiden vorbehalten. Mit dem Kreuz gibt er auch die nötige Kraft, alles Leid zu tragen. »Denn«, so sagt der hl. Paulus, »dadurch, dass Christus selbst gelitten hat, ist er ein treu er und barmherziger Hohepriester geworden« (vgl. Hebr 2,17 ff; 4,15; 5, 2).

5. Das bittere Leiden schließt den Kreis der Geheimnisse Jesu nicht ab

Durch sein Leiden verdient sich Christus, einzugehen in die ewige Herrlichkeit. Das gleiche Gesetz wie für Christus gilt für uns: Wenn wir im Kreuz an den Schmerzen des Heilandes teilnehmen, werden wir auch Anteil haben an seiner Herrlichkeit. »Ich vermache euch das Reich«

Mehr noch! Jesus, der uns die Gnade erworben hat, mit ihm das Kreuz zu tragen, wird uns auch, nachdem wir mit ihm gelitten haben, verleihen, Genossen seiner Herrlichkeit zu sein. Für uns wie für ihn wird diese Herrlichkeit dem Leiden entsprechend bemessen sein. Die Herrlichkeit Jesu ist unendlich, weil er, der lebendige Gott, in seinem Leiden zur denkbar möglichen Tiefe von Schmerz und Selbstentäußerung hinabgestiegen ist. »Weil er sich so tief erniedrigt hat, darum hat ihn Gott so hoch erhoben« (Phil 2, 9).

In der Tat ist mit dem Leiden, so wichtig es auch im Leben Jesu und so unerlässlich es zu unserm Heil und unserer Heiligung ist, die Reihe der Geheimnisse nicht abgeschlossen.

In den evangelischen Berichten bemerken wir, dass der Herr, wenn er den Aposteln sein Leiden voraussagt, immer hinzufügt, »er werde am dritten Tag wieder auferstehen« (Mt 16, 21; 17, 22; 20, 19). Ebenso eng verkettet ist im Gedanken des hl. Paulus das Geheimnis des Leidens mit jenem der Auferstehung, sei es, dass der Apostel von Christus selbst oder von dessen mystischem Leibe spricht (Röm 4, 24; 5, 1 ff). Die Auferstehung aber bezeichnet für Jesus das Morgenrot seines glorreichen Lebens.

Wenn daher die Kirche das Gedächtnis des Leidens ihres göttlichen Bräutigams feierlich begeht, so vermischt sie mit ihren Klageliedern herrliche Siegesgesänge. Die schwarze oder violette Farbe der Gewänder, die Entblößung der Altäre, die Lamentationen, die dem Propheten Jeremias entlehnt werden, das Schweigen der Glocken, all das bekundet, welch tiefer Schmerz jedes Mal das Herz der Braut erfüllt, wenn die Erinnerung an das gewaltige Drama auf Golgatha wiederkehrt. Und dennoch lässt die Kirche gerade am heiligen Karfreitag den herrlichsten Preisgesang erschallen »Das Kreuzesbanner wallt hervor. - Hell leuchtend strahlt das Kreuz empor. - Baum, schön geschmückt und lichtumstrahlt, - Vom Königspurpur reich umwallt. - Heil dir, das in den Armen hält - Den Siegespreis der sünd'gen Welt - Du schenkst uns durch dein Kreuz den Sieg. - Die du am Kreuz von Schuld befreit, regiere sie in Ewigkeit. - Künd', o Zunge, des erhabenen Kampfes lobreichen Sieg. Und den auf der Kreuzestrophäe hochgefeierten Triumph! Wie der hohe Welterlöser, hingeopfert, überwand. Es herrschet Gott vom Holz herab.« Das Kreuz ist das Symbol der Erniedrigung der tiefsten Schmach des Herrn. Von dem Tag an jedoch, da Christus an seinen Armen erhöht ward, nimmt das Kreuz den höchsten Ehrenplatz in unseren Kirchen ein. Als Werkzeug unseres Heiles ward das Kreuz für Christus zum Kaufpreis ewiger Herrlichkeit. »Musste nicht Christus dies leiden und so in seine Herrlichkeit eingehen« (Lk 24, 26)? Das Nämliche gilt auch für uns. Auch in unserm Leben spricht das Leiden nicht das letzte Wort. Wenn wir mit dem Herrn gelitten haben, dürfen wir auch Genossen einer Herrlichkeit sein.

Am Abend vor seinem Leiden sprach Jesus zu seinen Jüngern: »Ihr habt in meinen Prüfungen bei mir ausgehalten«, und sogleich fügt er hinzu: »So vermache ich euch denn das Reich, wie mein Vater es mir vermacht hat« (Lk 22, 28). Diese göttliche Verheißung gilt auch uns. Wenn wir bei Jesus ausgehalten haben in Gefahren und Prüfungen, wenn wir oft in glaubensstarker Liebe sein bitteres Leiden betrachten, dann wird Christus auch zu uns kommen in unserer Todesstunde und uns mit sich einführen in das Reich seines Vaters.

Und dieser Tag wird kommen, früher als wir denken. Wir werden regungslos auf unserm Lager ausgestreckt liegen, schmerzvoll umringt von denen, die uns lieben und doch außerstande sind, uns zu helfen. Alle Bande, die uns mit der Außenwelt verknüpften, sind zerschnitten. Einsam und verlassen steht die Seele der Ewigkeit, steht sie ihrem Richter gegenüber. In jener Stunde, in jenem letzten und entscheidenden Kampfe erst, werden wir so ganz verstehen, was es heißt, ausgehalten zu haben mit Christus in seinen Leiden. Da wird er zu uns sprechen: Du hast mich nicht verlassen in meiner Todesangst. Du bist mit mir den Marterweg nach Golgatha gegangen, wo ich am Kreuz für dich starb. Jetzt komme ich zu dir, ich bin dir nahe, um dir zu helfen, dich zu stärken und dich heimzuholen. »Ich bin es, fürchte dich nicht« (Lk 24, 36; Joh 6, 20). Mit voller Zuversicht darf die scheidende Seele dann mit dem Psalmisten sprechen: »Auch wenn ich wandeln muss in Todesschatten, ich fürchte mich nicht, weil du, mein Heiland, bei mir bist« (Ps 23, 4).

XIV. AUF DEN SPUREN JESU VOM GERICHTSHOF BIS AUF KALVARIA

Die Leidensgeschichte führt uns in das »Allerheiligste« des Lebens Jesu und seiner Geheimnisse. Sie ist die Krone seines öffentlichen Lebens, der Abschluss seiner Aufgabe auf Erden, das große Geschehen, in dem alle andern Werke des Herrn gipfeln und aus dem sie alle ihren Wert schöpfen.

Die hl. Kirche führt uns alljährlich in der Karwoche die verschiedensten Phasen dieses Leidens vor Augen und tagtäglich feiert sie in der hl. Messe die Erinnerung und Erneuerung des Opfertodes Christi, um uns dessen Früchte zuzuwenden. Im engen Zusammenhang mit diesem Mittelpunkt unserer hl. Liturgie steht eine dem christlichen Volk liebgewordene Übung der Frömmigkeit, die zwar nicht zum vorgeschriebenen öffentlichen Gottesdienst der Kirche gehört, dennoch aber eine Quelle reicher Gnaden ist. Es ist die Verehrung des bitteren Leidens unter der bekannten Bezeichnung »Der Kreuzweg«.

Bevor der Heiland auf dem Kalvarienberg sein hoch priesterliches Opfer darbrachte, trug er, von Leiden und Schmach gesättigt, sein Kreuz vom Richthaus des Pilatus bis nach Golgatha.

Gewiss ist die allerseligste Jungfrau Maria und sind auch die ersten Christen gar manches Mal in der Folgezeit diesem Leidensweg des Herrn in stiller Betrachtung wieder nachgegangen, um mit ihren Tränen jene Stellen zu benetzen, die des Herrn blutige Spuren getragen haben.

Wir wissen auch aus der Geschichte, mit welcher Begeisterung die vielen Wallfahrer und Kreuzritter des Mittelalters die lange und beschwerliche Reise ins Hl. Land auf sich genommen haben, um dort dem Leidensweg des Herrn zu folgen. Die fromme Verehrung der hl. Stätten wurde ihnen zur fruchtbarsten Quelle reichster Gnaden. In die Heimat zurückgekehrt, wollten sie auch dort die Erinnerung an jene heiligen, in Jerusalem gewonnenen Eindrücke lebendig erhalten. So kam es, dass man besonders um die Wende des 14. Jahrhunderts allmählich anfing, die Heiligtümer und Stationen der hl. Stadt da und dort, ja an vielen Orten des Abendlandes nachzubilden. Die Frömmigkeit der Gläubigen verschaffte sich auf diese Weise den Trost einer geistig beliebig zu wiederholenden Wallfahrt. Später hat die Kirche, besonders in neuerer Zeit, die fromme Übung mit den gleichen Ablässen begnadigt, welche die Gläubigen gewinnen können, wenn sie in Jerusalem selbst dem Stationsweg folgen.

1. Die Betrachtung des leidenden Heilandes ist von außerordentlicher Bedeutung für den Fortschritt der Seele

Kein Zug im Leiden Christi, der Gottessohn und Gegenstand des höchsten Wohlgefallens seines Vaters ist, darf von uns übergangen werden. Gerade in seiner Leidenszeit offenbart Jesus seine ganze Größe; immer lebend und wirkend für uns, führt er auch uns zu der Vollkommenheit, die wir in seiner Hinopferung bewundern.

Diese Art der Betrachtung des Leidens Christi ist überaus segensreich. Abgesehen von den Sakramenten und den liturgischen Mysterien, gibt es vielleicht keine andere, unsern Seelen gleich nützliche Übung als die andächtige Verrichtung des Kreuzweggebetes. Wir wollen kurz betrachten, warum diese Andacht von ganz besonders tiefgehender übernatürlicher Wirksamkeit ist. Zunächst darum, weil das Leiden Christi im Mittelpunkt des Lebenswerkes Christi ist. Jede Einzelheit desselben war bis ins Kleinste vorhergesagt. Keine andere Begebenheit des Lebens Jesu war von dem Psalmisten und den Propheten so sorgfältig und genau vorher verkündet worden. Und wenn man den Leidensbericht der Evangelisten liest, fällt es immer wieder auf, wie genau der Heiland alles erfüllen wollte, was von ihm vorhergesagt war. Er lässt den Verräter am Abendmahl teilnehmen, »damit die Schrift erfüllt würde« (Mt 26, 56). Und am Kreuz, »da er«, wie der hl. Johannes sagt, »wusste, dass alles vollbracht werden sollte«, gedenkt der Erlöser jener Worte, die der Psalmist von ihm geweissagt hatte: »Sie tränkten mich in meinem Durst mit Essig« (Ps 69, 22), und um auch dieses noch wörtlich zu erfüllen, ruft der Heiland aus: »Mich dürstet« (Joh 19, 28). All diese Einzelheiten sind nicht klein und unbedeutend, so dass wir sie unbeachtet lassen dürften, sie alle bezeichnen ja Handlungen eines Gottmenschen.

An all diesen Handlungen Jesu hat der Vater sein Wohlgefallen. Er schaut voll Liebe auf den Sohn, nicht bloß, wenn er aus Tabor im Glanz seiner Herrlichkeit erstrahlt, sondern auch da, wo Pilatus der Menge den blutüberströmten Erlöser mit der schmachvollen Dornenkrone zeigt, gedemütigt und zerschlagen, gleichsam der Auswurf der Menschheit. Das unendliche Wohlgefallen des Vaters ruht auf dem Sohn ebenso in der Niedrigkeit des Leidens wie im Glanz der Verklärung. Immer gilt sein Wort: »Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe« (Mt 17,15). Das ist leicht begreiflich. In der Leidenszeit nämlich ehrt und verherrlicht Jesus seinen Vater in unendlichem Maße nicht bloß deshalb, weil er der Sohn Gottes ist, sondern auch weil er sich allen Anordnungen der göttlichen Strafgerechtigkeit seines Vaters auf das vollkommenste hingibt. Wenn er im Lauf seines öffentlichen Lebens jederzeit sagen konnte, »dass er immer das tue, was dem Vater wohlgefällt« (Joh 8, 29), so ist das vor allem wahr in jenen Stunden, da er zur Sühne für die beleidigte göttliche Majestät und zur Erlösung der Menschheit sein Leben hingab und den Kreuzestod auf sich nahm, »damit«, wie er sagt, »die Welt erkenne, dass ich den Vater liebe« (Joh 14, 31). Der Vater liebt ihn über alles, weil er sein Leben für die Seinen hingibt und weil er durch sein Leiden und seine Genugtuungen für uns und alle die Gnade Gottes und mit ihr seine Liebe uns wiedererworben hat: »Deshalb liebt mich der Vater, weil ich mein Leben hingebe« (Joh 10,17).

Die Betrachtung des bitteren Leidens offenbart uns aber auch die Tugenden des Heilandes. Seine Seele besaß jederzeit alle Tugenden. Das Leiden aber bot ihm Gelegenheit, sie in besonderer Weise zu offenbaren: Seine unendliche Liebe zum Vater wie zu uns Menschen, seinen Brüdern, sein Hass gegen die Sünde, sein Vergeben und Vergessen, seine Geduld, seine Milde wie seine Seelenstärke, sein Gehorsam gegen die gesetzliche Obrigkeit, sein Mitleid, kurzum alle Tugenden erstrahlen im hellsten Glanz zur Zeit seines bitteren Leidens.

Wenn wir den Herrn in seinem Leiden betrachten, so sehen wir ihn vor uns als Vorbild unseres Lebens, als wunderbares und doch auch greifbar nahes Beispiel von Zerknirschung, Selbstverleugnung, Geduld, Ergebung, Hingabe, Nächstenliebe, Güte, all jener Tugenden eben, die wir nachahmen müssen, wenn wir ihm ähnlich werden wollen. »Wer mein Jünger werden will, verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach« (Mt 16, 24; Mk 8, 3 ff; Lk 9, 23; 14, 27).

Dazu kommt noch ein drittes Moment, das wir nur zu leicht vergessen und das doch so wichtig ist: Der Heiland gibt uns, wenn wir sein Leiden betrachten, je nach dem Maße unseres Glaubens die Gnade, eben jene Tugenden zu üben, die er selbst in seinen Leidenstagen offenbart hat. Wie sollen wir das verstehen?

Während Christus auf Erden wandelte, »ging von ihm eine Kraft aus die alle jene heilte« (Lk 6, 19), die dem Körper nach krank waren, die zugleich aber auch die Seelen erleuchtete und belebte.

Ähnliches geschieht auch uns, wenn wir uns gläubig mit dem Herrn verbinden. Sicher hat der Herr jenen, die ihm voll Liebe auf dem Wege nach Golgatha nachfolgten und seiner hochheiligen Hinopferung beiwohnten, ganz besondere Gnaden geschenkt. Er ist aber heute noch ebenso mächtig und gewillt, das zu tun. Wenn wir darum im Geist des Glaubens, mit den Gesinnungen herzlichen Mitleidens und aufrichtiger Nachfolge ihn vom Richterstuhl des Pilatus bis nach Golgatha begleiten und unter seinem Kreuz ausharren, so gibt er uns dieselben Gnaden, überhäuft uns mit den gleichen Vorrechten. Christus ist ja, wohl gemerkt, kein totes, kraftloses Vorbild. Er ist lebendig, er ist das Leben selbst, und bringt in jenen, die sich ihm mit den notwendigen Voraussetzungen nahen, auf übernatürliche Weise die Züge jener Vollkommenheit zum Ausdruck, die sie an seiner heiligsten Person betrachten und bewundern.

Auf jeder Station seines Leidensweges steht der Heiland vor uns in seiner dreifachen Eigenschaft als Mittler, der uns durch seine Verdienste erlöst, als vollkommenstes Vorbild der erhabensten Tugenden und als Wirkursache, die durch göttliche Allmacht all jene Tugenden in unserer Seele hervorbringen kann, deren Beispiel er uns gegeben hat.

Wohl finden sich diese Eigenschaften in allen Geheimnissen des Lebens Jesu, sie offenbaren sich aber in besonderer Fülle zur Zeit seines Leidens, die das höchste Geheimnis im Leben des Herrn darstellt.

Wenn wir täglich einige Augenblicke in unserer Arbeit aussetzen, unsere Beschäftigung unterbrechen und in unserm Herzen das Geräusch der Welt zum Schweigen bringen, um unsern Herrn und Heiland gläubig und demütig auf dem Kreuzweg zu begleiten, um voll Liebe und Verlangen all seine Tugenden nachzuahmen, dann werden wir ganz gewiss besondere Gnaden von Gott empfangen, die uns allmählich umbilden zur Ähnlichkeit mit Jesus, dem Gekreuzigten. Darin aber besteht nach den Worten des hl. Paulus all unsere Heiligkeit.

Um diese kostbaren Früchte zu pflücken und um zugleich die zahlreichen Ablässe zu gewinnen, die mit dieser Übung verknüpft sind, genügt es, uns bei jeder Station kurz aufzuhalten und das Leiden des Herrn zu erwägen. Es ist hierfür kein bestimmtes Gebet vorgeschrieben, ja nicht einmal die Betrachtung des betreffenden Stationsgeheimnisses. Das alles bleibt dem freien Ermessen des einzelnen und dem Wirken des Hl. Geistes überlassen.

2. Kreuzwegsbetrachtungen

Wir wollen nun miteinander den Kreuzweg gehen! Die bei jeder Station zur Erwägung vorgelegten Gedanken wollen nichts weiter sein als ein Hilfsmittel zur Betrachtung. Jeder kann daraus wählen, was ihm gefällt, jeder aber auch sich an andere Erwägungen und Anmutungen halten, je nach seinen Fähigkeiten und den Bedürfnissen seiner Seele.

Gleich zu Anfang wollen wir uns an das Wort des hl. Paulus erinnern: »Seid so gesinnt, wie Christus es war ... er erniedrigte sich und ward gehorsam bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuz« (Phil 2 ,8). Je mehr wir in die Gesinnungen eindringen, die das heiligste Herz unseres Erlösers auf dem Kreuzweg beseelten, seine Liebe zum Vater und zu uns Menschen, seinen Hass gegen die Sünde, seine Demut und seinen Gehorsam, umso mehr werden unsere Seelen von Gnade und Licht durchströmt werden, weil der ewige Vater in uns dann ein möglichst getreues Nachbild seines ewigen Sohnes erkennen wird.

»O, du mein Heiland, der du aus Liebe zu mir diesen Leidensweg des Kreuzes gegangen bist, ich will ihn nun mit dir, deinem Beispiel folgend, gehen! Erfülle mein Herz mit jenen Gesinnungen, die deine Seele in jener heiligen Stunde erfüllten. Opfere du für mich dem himmlischen Vater das kostbare Blut auf, das du damals für mein Heil und meine Heiligung vergossen hast.« 

1. JESUS WIRD ZUM TOD VERURTEILT

»Jesus aber stand vor dem Landpfleger« (Mt 27,11). Er steht hier aufrecht, weil er als zweiter Adam das Haupt der ganzen Menschheit ist, die er durch seinen Opfertod erlösen soll. Der erste Adam hatte durch seine Sünden den Tod verdient. »Der Sold der Sünde ist der Tod« (Röm 6, 23). Der unschuldige Jesus aber trägt die Sündenlast der ganzen Welt, um durch sein blutiges Opfer sie zu sühnen. Der Hohepriester, die Pharisäer, sein eigenes Volk umtoben ihn »gleich wütenden Stieren« (Ps 22, 13). Durch ihr Geschrei hindurch tönt die Stimme unserer Sünden und fordert den Tod des Gerechten. »Hinweg, hinweg mit ihm, kreuzige ihn« (Joh 19,15). Der römische Richter, dieser feige Landpfleger »überantwortet ihnen das Opferlamm, damit es ans Kreuz geheftet werde« (Joh 19,16).

Und Jesus? Wenn er auch dort steht als unser Haupt, wenn er auch, nach den Worten des hl. Paulus, das »herrliche Bekenntnis« (1 Tim 6, 3) abgelegt hat von der Wahrheit seiner Lehre und von der Göttlichkeit seiner Person und seiner Sendung, so beugt er sich doch innerlich vor dem Richterstuhl des Pilatus, in welchem er die rechtmäßige Obrigkeit anerkennt. »Du hättest keine Gewalt über mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre« (Joh 19, 11). In dieser irdischen, wenn auch unwürdigen, so doch rechtsgültigen Gewalt anerkennt Jesus die Oberhoheit seines himmlischen Vaters. Dieser liefert er sich aus, gibt er sich freiwillig anheim. »Er überantwortet sich dem ihn ungerecht Richtenden« (1 Petr 2, 23). Er demütigt sich im Gehorsam bis zum Tod, um uns das Leben wieder zu geben. »Er ist geopfert worden, weil er selbst wollte« (Jes 53, 7). Wie nämlich durch den Ungehorsam des ersten Menschen alle zu Sündern geworden sind, so werden durch den Gehorsam des einen, Christus, alle zu Gerechten gemacht« (Röm 5,19).

Vereinen wir uns mit dem Herrn in seinem Gehorsam, nehmen wir ohne Ausnahme alles an, was der himmlische Vater durch wen immer uns auferlegt, ob durch einen Herodes oder einen Pilatus, wenn es nur eine rechtmäßige Obrigkeit ist. Nehmen wir auch jetzt schon den Tod an mit all den Umständen, wie die göttliche Vorsehung uns solche zugedacht hat. Nehmen wir ihn an zur Sühne für unsere Sünden und als Huldigung an Gottes Gerechtigkeit und Heiligkeit, die wir durch unsere Schuld beleidigt haben. Im Verein mit dem Tod Jesu wird dann auch unser Tod »kostbar sein in den Augen des Herrn« (Ps 116, 14).

»O mein göttlicher Meister! Ich vereinige mich mit dem vollkommenen und unbedingten Gehorsam deines heiligsten Herzens gegen den Willen des Vaters! Erwecke durch die Kraft deiner Gnade in mir diesen Geist der Unterwürfigkeit, der mich rückhaltlos und ohne Murren allen Anordnungen deines höchsten Wohlgefallens anheim gibt, allem, was du über mich bestimmt hast für die Stunde meines Todes! Amen.« 

2. JESUS NIMMT DAS KREUZ AUF SICH

Pilatus überantwortet ihnen Jesus, damit er gekreuzigt werde. Sie aber nahmen ihn und führten ihn hinaus. »Er trug selbst sein Kreuz« (Joh 19,17). Jesus hatte sich im Gehorsam dem Willen des Vaters anheim gegeben. Der Vater zeigte ihm nun, was der Gehorsam ihm auferlegt: Das Kreuz! Der Heiland nimmt es an aus der Hand des Vaters mit allem, was es in sich birgt an Schmerz und Schmach. In diesem Augenblick nimmt der Heiland das Übermaß von Leiden auf sich, das die schwere Kreuzeslast für seine wunden Schultern bedeutete, all die unsäglichen Qualen, die seine heiligsten Glieder bei der Kreuzigung erdulden sollten. Er nimmt an die bitteren Spottreden, die hasserfüllten Lästerungen, womit ihn seine scheinbar siegreichen Feinde sättigen nun, da er vor ihren Augen am Holz der Schmach hängt. Er nimmt an die dreistündige Todesangst und die Verlassenheit von seinem Vater ... Wer könnte je ergründen, in welchen Abgrund von Leid und Schmach unser göttlicher Heiland herabgestiegen ist, als er das Kreuz auf seine Schultern nahm!

In diesem Augenblick aber nahm Christus, der uns alle vertritt und als Sühnopfer für uns alle sterben wollte, das Kreuz auf sich auch für alle seine Glieder, für einen jeden aus uns. »Wahrlich, unsere Krankheiten hat er getragen und hat auf sich genommen unsere Schmerzen« (Jes 53, 4). Mit seinem Leiden hat er alle Leiden seines mystischen Leibes vereint und hat all unserm Leiden durch diese Vereinigung mit seinem Leiden Kraft und Wert verliehen.

So nehmen denn auch wir unser Kreuz auf uns in Vereinigung mit Jesus und wie er, auf dass wir würdige Schüler eines solchen Meisters seien. Nehmen wir es hin, ohne zu murren oder zu klagen. Hat das bitter schwere Kreuz des Heilandes auch nur einen Augenblick seiner Liebe und seinem Vertrauen zum Vater Eintrag getan? Ganz im Gegenteil. »Soll ich den Kelch nicht trinken, den mir der Vater gereicht hat« (Joh 18,11)? So sei es auch bei uns. »Wer mein Jünger werden will, der nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.« Seien wir nicht unter der Zahl derer, die der hl. Paulus »Feinde des Kreuzes Christi« nennt (Phil 3,18). Nehmen wir vielmehr das Kreuz, das Gott uns auferlegt! In der hochherzigen Annahme dieses Kreuzes werden wir den Frieden finden. Nichts tröstet und sänftigt so sehr im Leid als die liebende, völlige Hingabe an Gott.

»O mein Jesus, ich nehme alles Leid und Ungemach, alle Widerwärtigkeiten so an, wie der himmlische Vater sie mir zugedacht hat! Gib mir durch die Salbung deiner Gnade die Kraft, jedes Kreuz mit der gleichen Hingabe zu tragen, mit welcher du das deinige auf dich genommen hast! >Mir aber sei es ferne mich zu rühmen als nur des Kreuzes unseres Herrn Jesus Christus<« (Gal 6,14).

3. JESUS FÄLLT ZUM ERSTEN MAL UNTER DEM KREUZ

»Ein Mann der Schmerzen wird er sein und vertraut mit Siechtum« (Jes 53,3). Dieses Wort des Propheten ging buchstäblich in Erfüllung. Jesus, von seelischen und körperlichen Leiden erschöpft, sinkt unter der schweren Kreuzeslast zu Boden: die Allmacht erliegt der Schwäche. Diese Schwäche aber gibt ehrendes Zeugnis seiner Allmacht. Durch sie tilgt er ja unsere Sünden, sühnt unsern Hochmut und unsere Auflehnung und richtet die daniederliegende Welt auf, die sich nicht erheben konnte (Vgl. das Kirchengebet am 2. Ostersonntag). »O Gott, der du durch die Demut deines Sohnes die verlorene Welt wieder aufgerichtet hast!« Mehr noch! Durch diese Verdemütigung erwirkt er uns die Gnade, dass auch wir uns verdemütigen wegen unserer Sünden, dass wir unsere Schuld bekennen und uns vom Fall erheben. Er hat uns die Gnade verdient, stark zu sein trotz unserer Schwäche.

Mit Christus vor dem Vater niedergeworfen, wollen wir all unsern Hochmut verabscheuen, alle Überhebungen unseres Ehrgeizes und unsere Eitelkeit bereuen und unsere ganze Schwäche bekennen. Gott widersteht den Hoffärtigen; das demütige Geständnis unserer Armseligkeit zieht seine Barmherzigkeit auf uns herab. »Wie sich der Vater seiner Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr aller, die ihn fürchten; er kennt ja unser schwaches Gebilde« (Ps 102, 13 ff). Rufen wir zu ihm um Erbarmen, wenn wir angesichts so mancher Versuchungen und Leiden den Mut verlieren möchten, wenn die Erfüllung des göttlichen Willens uns gar zu schwer erscheint! »Erbarme dich meiner, o Gott; denn ich bin hilflos und arm« (Ps 6, 3). Wenn wir demütig unsere Schwäche eingestehen, wird die Gnade Gottes in uns siegen, sie, die allein uns retten kann. »In der Schwachheit kommt die Kraft zur Vollendung« (2 Kor 12, 9).

»O mein göttlicher Heiland, zusammengesunken unter dem Kreuz, ich bete dich an! Du, die Kraft Gottes zeigst dich in tiefster Schwäche, um unsern Stolz zu beschämen und uns Demut zu lehren. O du, unser >Hohepriester, voller Heiligkeit, der du versucht worden bist, um uns in allem gleich zu werden und Mitgefühl zu haben mit unsern Schwächen< (Hebr 7,15), überlass mich nicht mir selbst, ich bitte dich; denn ich bin schwach. Deine Gnade sei mit mir, auf dass ich nicht im Leid erliege, sondern dass >in mir wohne die Kraft Christi«< (2 Kor 12,9).

4. JESUS BEGEGNET SEINER MUTTER

Der Tag ist gekommen, an welchem sich für Maria die Prophezeiung Simeons erfüllen soll. »Ein Schwert wird deine Seele durchdringen« (Lk 2, 35). So wie sie sich einst bei der Darstellung im Tempel ganz mit Jesus vereint hatte, so will sie auch jetzt, und zwar inniger denn je, in seine Absichten eingehen und seine Leiden teilen in dieser Stunde, da er der Vollendung seines Opfers entgegengeht. Sie geht hinaus nach Golgatha; denn sie weiß, dass ihr Sohn dort gekreuzigt werden soll. Auf dem Wege begegnet sie ihm. Welch furchtbarer Schmerz, ihn so misshandelt und entstellt zu sehen. Ihr Blick sucht den seinen und Jesus schaut sie an. Der Abgrund des Leidens Jesu ruft den Abgrund des Mitleidens im Herzen seiner Mutter. Was hätte sie nicht für ihn getan!

Für Jesus war diese Begegnung eine Quelle neuer Schmerzen, zugleich aber auch eine Ursache heiliger Freude. Mit Schmerz erfüllte ihn die namenlose Betrübnis, womit bei seinem Anblick das Herz der Mutter überflutet ward. Freude jedoch brachte ihm das Bewusstsein, dass sein bitteres Leiden der Kaufpreis all jener Vorrechte sei, womit die allerreinste Jungfrau überschüttet ward.

Darum verweilte er nicht länger. Jesu Herz war das Zartfühlendste, das je auf Erden geschlagen hat. Am Grab des Lazarus hat er Tränen vergossen. Er weinte über das Unglück Jerusalems. Niemals hat ein Sohn seine Mutter so geliebt wie er, und da er sie so vom tiefsten Schmerz gebeugt sah auf dem Weg nach Kalvaria, mussten alle Fibern seines liebenden Herzens in Weh erbeben. Er aber achtet dessen nicht; er geht weiter auf dem Weg zur Richtstätte; denn so ist es der Wille seines Vaters. Maria geht ein auf diese Gesinnungen Jesu; sie weiß, dass dies alles sich so erfüllen muss um unseres Heiles willen. So nimmt sie ihren Anteil am Leiden ihres Sohnes, indem sie ihm folgt bis unter das Kreuz und dort Miterlöserin wird.

Auch uns darf keine menschliche Rücksicht aufhalten auf dem Weg zu Gott. Keine natürliche Liebe darf unserer Liebe zu Christus hinderlich sein. Wir müssen über sie hinwegschreiten und dürfen uns von ihm nicht trennen lassen.

Bitten wir Maria, dass sie uns zum Genossen ihrer Betrachtung der Leiden Christi mache und uns teilnehmen lasse an ihrem Mitleiden, damit wir lernen, die Sünde zu hassen, die solche Sühne heischen sollte. Gott hat dann und wann als äußerliche, sichtbare Frucht der Leidensbetrachtung einigen Heiligen, z. B. dem hl. Franz von Assisi, die Wunden des Herrn im Körper sichtbar eingeprägt. Wir sollen solche äußerlich sichtbare Zeichen nicht wünschen. Wohl aber sollen wir bitten, dass das Leidensbild des Herrn unserm Herzen eingeprägt sei. Diese kostbare Gnade möge Maria uns erflehen. »Heilige Mutter, drück die Wunden, die dein Sohn für uns empfunden, tief in unsere Seele ein.

»Mutter, >siehe deinen Sohn!< Um deiner Liebe willen zu ihm lass den Gedanken an sein Leiden nie aus unserer Seele schwinden! In seinem Namen bitten wir dich darum. Würdest du unsere Bitte abschlagen, so hieße das deinen Sohn abweisen; denn wir sind ja seine Glieder. O Jesus, siehe deine Mutter und um ihretwillen gib uns wahres Mitleid mit deinem Leiden, damit wir dir immer ähnlicher werden!« 

5. SIMON VON CYRENE HILFT JESUS DAS KREUZ TRAGEN

»Während sie hinauszogen trafen sie einen Mann aus Cyrene namens Simon; den zwangen sie, Jesus das Kreuz zu tragen« (Mt 27, 32; Mk 15, 21). Jesus ist erschöpft. Er, der Allmächtige, will, dass seine mit allen Sünden der Welt beladene Menschheit, das ganze Gewicht der göttlichen Gerechtigkeit und der sühnenden Genugtuung an sich empfinde. Aber er will auch, dass wir ihm sein Kreuz tragen helfen. Simon ist Stellvertreter für uns alle, und von uns allen verlangt der Heiland, dass wir sein Leiden teilen, sonst können wir nicht seine Jünger sein. »Wer mein Jünger werden will, verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.« Nach Gottes ewigem Ratschluss soll ein Teil der Schmerzen auch von uns, den Gliedern des mystischen Leibes Christi, getragen, ein Teil der Sühne von uns geleistet werden. »Ich leiste so für den Leib Christi, die Kirche, an meinem Fleisch, was von dem Leiden Christi noch aussteht« (Kol 1, 24). Das will auch Jesus, und um diesen göttlichen Ratschluss darzutun, bedient er sich der Hilfe Simons.

Zugleich hat der Heiland uns aber auch die Gnade der Stärke verdient, damit wir in den Prüfungen hochherzig auszuhalten vermöchten. Von seinem Kreuz träufelt der Balsam, der uns das unsere erträglich macht; denn in unserem Kreuz ist es ja das seinige, das wir tragen. Er vereinigt unsere Leiden mit den seinigen, gibt ihnen durch diese Vereinigung unschätzbaren Wert und macht sie zu einer Quelle reichster Verdienste. Zur hl. Mechtildis sagte der Heiland einmal: »Wie meine Gottheit die Schmerzen meiner Menschheit an sich gezogen und sich vereint hat, so will ich auch deine Leiden in meine Gottheit übertragen, sie mit meinem hl. Leiden vereinigen und dich teilnehmen lassen an der Herrlichkeit, die der Vater meiner hl. Menschheit geschenkt hat für alle ihre Schmerzen (Das Buch von der besonderen Gnade, 2. Teil 36. Kap.).« 

Das gleiche schreibt auch der hl. Paulus im Hebräerbrief, um uns aufzumuntern, aus Liebe zu Christus alles geduldig zu leiden. »Mit Ausdauer wollen wir laufen im Wettkampf, der uns obliegt, und auf Jesus hinblicken, den Begründer und Vollender des Glaubens. Für die Freude, die sich ihm darbot, erduldete er den Kreuztod und achtete nicht der Schmach. Nun sitzt er zur Rechten des Thrones Gottes. Ja, betrachtet ihn, der von den Sündern solchen Widerspruch erduldete, dann werdet ihr nicht ermatten und nicht den Mut sinken lassen (Hebr 12, 1 ff).

»O Jesus, von deiner Hand nehme ich all die Splitterchen an, die du von deinem hl. Kreuz lostrennst für mich! Ich nehme an alle Widerwärtigkeiten, alle Widersprüche, Mühen und Schmerzen, wie es dir gefällt, solche über mich kommen zu lassen, und wie du sie mir auferlegst. Ich nehme sie an als meinen Anteil am Sühnewerk. O, vereinige das wenige, das ich tue, mit deinem unaussprechlichen Leiden; denn aus ihnen allein kommt meinem Leiden, was es an Verdienst gewinnt.« 

6. VERONIKA REICHT JESUS DAS SCHWEISSTUCH DAR

Die Überlieferung erzählt, dass eine mitleidige Frau sich dem Heiland genähert und ihm ein Tuch gereicht habe, damit er sein anbetungswürdiges Antlitz damit abtrocknen könne.

Jesaja hatte einst vom leidenden Heiland vorausgesagt, dass er entstellt sein werde bis zur Unkenntlichkeit. »Nicht Schönheit noch Schmuck ist mehr an ihm, weshalb wir sein nicht achteten« (Jes 53, 2). Nach dem Bericht des Evangeliums gaben ihm die rohen Soldaten Backenstreiche und spien ihm ins Angesicht, das durch die Dornenkrone von Blut überströmt ward. Der Heiland hat all dieses dulden wollen, um unsere Schuld zu sühnen. Er hat sein heiligstes Antlitz aller Schmach und allen Schmerzen preisgegeben, auf dass »durch seine Wunden wir geheilt würden« (Jes 53, 3). Indem er als unser erstgeborener Bruder an unserer Statt leiden wollte, hat er uns die Gnade der Gotteskindschaft wieder erworben. Wir müssen ihm ähnlich werden, »gleichförmig werden dem Bild seines Sohnes« (Röm 8, 29). So verlangt es der Heilsplan unserer Vorherbestimmung. Christus bleibt trotz seiner Verunstaltung um unserer Sünden willen dennoch auch in seinem Leiden der vielgeliebte Sohn des Vaters, der Gegenstand seines höchsten Wohlgefallens. Wir sind ihm hierin ähnlich, wenn wir die Heiligmachende Gnade, die Ursache unserer Gottähnlichkeit, in uns bewahren. Ferner sind wir ihm ähnlich auch dadurch, dass wir die Tugenden nachahmen, die er in seinem Leiden geübt hat, seine Liebe zum Vater und zu den Seelen, seine Geduld, Starkmut, Sanftmut und Milde.

»O Vater im Himmel, um all der Marter willen, die dein Sohn Jesus für uns erduldet hat, verherrliche und erhöhe ihn! Gib ihm den Glanz jener Herrlichkeit, die er verdient hat, als er um unseres Heiles willen sein heiligstes Antlitz wollte verunstalten lassen!« 

7. JESUS FÄLLT ZUM ZWEITEN MAL UNTER DEM KREUZ

Betrachten wir den göttlichen Heiland, wie er abermals unter dem Kreuz zu Boden sinkt. »Der Herr hat alle unsere Missetaten auf ihn gelegt« (Jes 53, 6). Unsere Sünden sind es, die ihn niederdrücken. Er schaut sie in ihrer Gesamtheit und jede einzeln. Er nimmt sie alle auf sich, als wären es die seinen, so dass er nach den Worten des hl. Paulus für uns geradezu »zur Sünde geworden ist« (2 Kor 5, 21). Als das ewige Wort Gottes ist Jesus allmächtig. Er will aber die ganze Schwäche der vom Elend der Sünde zermalmten Menschheit an sich fühlen; denn diese freiwillig erduldete Schwäche verherrlicht Gottes Gerechtigkeit und wird uns zur unerschöpflichen Quelle von Gnade und Kraft.

Vergessen wir doch nicht, wie schwach wir sind! Lassen wir uns nicht vom Hochmut verblenden. Wie groß auch die Fortschritte sein mögen, die wir gemacht zu haben vermeinen, wir bleiben doch immer schwach, wenn es gilt, dem Herrn das Kreuz nachzutragen. »Ohne mich könnt ihr nichts tun« (Joh 15, 5). Nur die Gotteskraft, die ihm entströmt, ist unsere Stärke »Alles vermag ich in dem, der mich stärkt« (Phil 4,13). Diese Kraft aber wird uns nur dann gegeben, wenn wir sie durch häufiges und inständiges Gebet erflehen.

»O Jesus! Aus Liebe zu mir bist du schwach geworden. Die schwere Last meiner Sünden hat dich zu Boden gedrückt! Gib mir die Kraft, die in dir wohnt, auf dass durch alle meine Werke du verherrlicht werdest!« 

8. JESUS REDET ZU DEN WEINENDEN FRAUEN VON JERUSALEM

»Eine große Menge Volkes folgte ihm, darunter auch Frauen, die über ihn weinten und ihn beklagten. Jesus wandte sich zu ihnen und sprach: >Ihr Töchter von Jerusalem, weint nicht über mich, weint über euch und eure Kinder; denn siehe, es werden Tage kommen, da man sagen wird: Selig die Unfruchtbaren ... dann wird man den Bergen zurufen: Fallet über uns! ... Denn wenn man das am grünen Holz tut, was wird dann am dürren geschehen«< (Lk 23, 27 ff)?

Jesus kennt die Forderungen der Gerechtigkeit und Heiligkeit seines Vaters. Er erinnert die Töchter Jerusalems daran, dass diese Heiligkeit und Gerechtigkeit anbetungswürdige Vollkommenheiten Gottes sind. Er selbst ist unser »Hohepriester, heilig, schuldlos, rein, nicht aus der Zahl der Sünder« (Hebr 7, 26). Er nimmt nur die Stelle der sündigen Menschheit ein und muss dennoch als unser Stellvertreter solch strenge Gerechtigkeit Gottes über sich ergehen lassen. Wenn der gerechte Gott nun schon von ihm, dem Schuldlosen, eine solche Sühne verlangt, wie schwer muss seine Hand dann jene treffen, die bis ans Ende verstockt in der Unbußfertigkeit verharren und sich weigern, mit dem Heiland ihren Anteil an Sühne zu tragen. »Schrecklich ist es, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen« (Hebr 10, 31). An jenem Tag wird aller Stolz zunichte, und die Beschämung und Strafe der Bösen wird so schrecklich sein, dass die auf immer von Gott Verworfenen zähneknirschend vor Wut und Verzweiflung rufen werden: »Ihr Hügel, bedecket uns«, als ob sie sich dadurch den Flammenpfeilen jener Gerechtigkeit entziehen könnten, die sie auf immer von sich weist und deren ganze Wucht sie nun voll erkennen.

Wir aber wollen jetzt, da es noch Zeit ist, die Barmherzigkeit des Heilandes anflehen für jenen Tag des Schreckens, da er wiederkommen wird nicht als das mit unseren Sünden beladene Schlachtopfer, sondern als der höchste Richter, »dem der Vater alle Gewalt gegeben hat« (Mt 28,18).

Mein Jesus, Barmherzigkeit! Du bist der wahre Weinstock! Gib, dass ich dir vereint bleibe durch die Gnade und lass mich Früchte bringen, die deiner würdig sind! O lass mich nie durch meine Sünden zum dürren Rebzweig werden, der abgeschnitten und ins ewige Feuer geworfen wird« (Joh 15, 6).

9. JESUS FÄLLT ZUM DRITTEN MAL UNTER DEM KREUZ

Jesaja sagt mit Bezug aus den leidenden Heiland: »Dem Herrn gefiel es, ihn durch Leiden zu zermalmen« (Joh 53, 10). Jesus ist gleichsam zerschmettert von der Wucht der göttlichen Gerechtigkeit. Niemals, auch im Himmel nicht, werden wir ermessen können, was es für Jesus bedeutete, der Gerechtigkeit überliefert worden zu sein. Solche Wucht hat nie ein Geschöpf, auch kein Verdammter, zu ertragen gehabt. Nur die allerheiligste Menschheit Jesu Christi, die zu dieser Gerechtigkeit in unmittelbarer Beziehung stand, hat ihre ganze Schwere und unerbittliche Strenge getragen. Deswegen ist das Opferlamm erdrückt und wie vernichtet von den Schlägen dieser Gerechtigkeit, denen es sich hingibt aus Liebe zu uns.

»O mein Jesus, gib mir einen heiligen Abscheu gegen die Sünde, die schuld war an deiner unaussprechlichen Sühne! Gib mir die Gnade, alle meine Leiden mit deiner Qual zu vereinen, damit ich dadurch meine Schuld abbüßen und sie schon hier auf Erden tilgen könne!« 

10. JESUS WIRD SEINER KLEIDER BERAUBT

»Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und über mein Gewand das Los geworfen«, sagt der Psalmist (Ps 22, 19). Jesus wird seiner Kleider beraubt und steht nun da in der Blöße äußerster Armut, so dass er nicht einmal mehr über seine Kleider verfügen kann; denn wenn er am Kreuzespfahl erhöht ist, werden die Soldaten seine Kleider unter sich teilen und um seinen Rock das Los werfen. Christus, der »kraft des ewigen Geistes sich selbst dargebracht hat« (Hebr 9, 14), überlässt sich ganz und gar seinen Henkern als Opferlamm für unsere Schuld.

Nichts gereicht so sehr zur Ehre Gottes und ist dem Heile unserer Seelen so förderlich als die unbedingte, rückhaltlose Hingabe unserer selbst, vereint mit jener Selbsthingabe des Heilandes in dem Augenblick, da er sich seinen Henkern zur Entblößung und Kreuzigung überließ, »um uns durch seine Armut den Reichtum aller Gnaden zu verdienen« (2 Kor 8, 9). Solche Gesinnung ist ein wirkliches Opfer. Diese Hingabe an den Willen Gottes ist die Grundlage des ganzen geistlichen Lebens. Damit sie aber vollwertig sei, müssen wir sie mit dem Opfer Jesu vereinen; »denn auf Grund dieses Opfers sind wir geheiligt« (Hebr 10, 10). « 

»O mein Jesus! Siehe gnädig herab auf dieses Opfer meiner selbst und schließe es ein in jenes Opfer, das du deinem himmlischen Vater dargebracht hast, als du am Ziel deines Marterweges auf Kalvaria angelangt warst. Entkleide mich aller Eigenliebe und aller Anhänglichkeit an die Geschöpfe!« 

11. JESUS WIRD ANS KREUZ GESCHLAGEN

»Sie kreuzigten ihn und mit ihm zwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte« (Joh 19,18). Jesus übergibt sich seinen Henkern »wie ein Lamm, das seinen Mund nicht öffnet«. O unaussprechliche Qual der Annagelung an Händen und Füßen! Wer aber könnte die Seelenqual schildern, die der Herr bei diesen Martern empfand? Sicher hat er auch hier das gleiche Wort wiederholt, das er bei seinem Eintritt in die Welt gesprochen: »Vater, Opfer und Gaben verlangst du nicht.« Sie können ja deinem hl. Wesen nicht genügen, »einen Leib aber hast du mir geschaffen, siehe, ich komme« (Hebr 10, 5 ff; Ps 39, 8)! Jesus schaut immerdar das Angesicht seines Vaters, und in unbegrenzter Liebe gibt er seinen Leib allen Peinen hin, um die der göttlichen Majestät zugefügte Beleidigung zu sühnen. Zwischen zwei Übeltätern wird er gekreuzigt »Er ist gehorsam geworden bis zum Tod, und zwar bis zum Tod am Kreuz« (Phil 2, 8), damit erfüllt werde, was geschrieben steht: »Verflucht sei, wer am Holz hängt« (Dtn 21, 23; GaI 3, 13). Jesus will unter die Übeltäter gerechnet werden (Jes 53, 12; Mk 15, 28; Lk 22, 37), um die unumschränkten Rechte der göttlichen Heiligkeit anzuerkennen.

Er gibt sich aber auch hin für uns. Als Gott hat der Heiland in diesem Augenblick uns alle gesehen, und um uns zu erlösen, hat er sich geopfert für uns; denn ihm, dem Hohepriester und Mittler hat der Vater uns alle gegeben. »Sie sind ja dein« (Joh 17, 9)! O wunderbare Liebe des Herrn zu uns! »Eine größere Liebe aber hat niemand, als dass er für seine Freunde sein Leben hingibt« (Joh 15,13). Mehr hätte Jesus nicht tun können. »Bis ans Ende liebte er uns« (Joh 13, 1). Seine Liebe ist aber auch die Liebe des Vaters und des Hl. Geistes; denn diese drei sind eins.

»O Herr, Jesus Christus, Sohn des lebendigen Gottes, der du nach dem Willen des Vaters unter Mitwirkung des Hl. Geistes durch deinen Tod der Welt das Leben wiedergegeben hast, erlöse mich durch diesen deinen hl. Leib und dein hlst. Blut von allen meinen Sünden und von sämtlichen Übeln! Mache, dass ich allezeit deinen Geboten anhänge und lass nicht zu, dass ich jemals von dir getrennt werde (Ordinarium der hl. Messe).« 

12. JESUS STIRBT AM KREUZ

»Jesus rief mit lauter Stimme: >Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist< und mit diesen Worten verschied er« (Lk 23, 46). Nach drei Stunden qualvollsten Leidens ist Jesus gestorben. »Mit dem einen Opfer hat er für immer die zur Vollendung geführt, die sich heiligen lassen« (Hebr 10, 14).

Der Heiland hatte versprochen, dass er alles an sich ziehen wolle, wenn er von der Erde erhöht sein werde (Joh 12, 32). Wir sind sein Eigentum auf einen doppelten Rechtsanspruch hin; als Geschöpfe, die er für sich aus dem Nichts gerufen, und als Seelen, die »er mit seinem kostbaren Blut erlöst hat« (Offb 5, 9). Ein einziges Tröpflein vom Blut des Gottmenschen hätte genügt zu unserer Erlösung; denn in ihm ist alles von unendlichem Werte. Einer der Gründe jedoch, warum Jesus seine heiligste Seite durchbohren ließ und sein Herzblut bis auf den letzten Tropfen vergoss, war der, uns die Größe seiner Liebe zu zeigen. Für uns alle, für jeden von uns hat er sein Blut vergossen, und jeder von uns kann in voller Wahrheit die flammenden Worte des hl. Paulus aus sich anwenden: »Er hat mich geliebt und sich für mich hingeopfert« (Gal 2, 20).

Wir wollen den Heiland bitten, dass er kraft seines hl. Kreuztodes uns an sein heiligstes Herz ziehe; dass er uns helfe der Eigenliebe und dem Eigenwillen, dieser Quelle aller Untreuen und Sünden abzusterben und nur mehr ihm zu leben, der für uns gestorben ist. Seinem Tod verdanken wir das Leben. Ist es da nicht billig, dass auch wir nun »nicht mehr für uns leben, sondern für den, der für uns gestorben ist« (2 Kor 5, 15)?

»Vater, verherrliche deinen Sohn, der am Kreuzesholz hängt! Erhöhe ihn, weil er sich selbst erniedrigt hat bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuz. Der Name, den du ihm gegeben, erstrahle in Herrlichkeit, so dass alle Knie vor ihm sich beugen und alle Zungen bekennen, dass Jesus, dein Sohn, ewig lebt bei dir in deiner himmlischen Herrlichkeit! « 

13. DER LEICHNAM JESU WIRD VOM KREUZ ABGENOMMEN UND IN DEN SCHOSS SEINER MUTTER GELEGT

Der tote Leib wird Maria zurückgegeben. Wir können den Schmerz, den die allerseligste Jungfrau in diesem Augenblick empfand, nie ermessen. Keine Mutter hat je ihr Kind geliebt, so wie Maria Jesus liebte. Der Hl. Geist selbst hatte dieses Herz eigens dafür gebildet, um einen Gottmenschen mütterlich zu lieben. Nie hat ein Menschenherz dem menschgewordenen Gottessohn so zärtlich entgegengeschlagen wie das Herz Mariens. Denn Maria war voll der Gnaden, und ihrer Liebe ward nie ein Hindernis entgegengesetzt.

Zudem verdankte sie ja alles ihrem Sohn; ihre unbefleckte Empfängnis, alle ihre Vorzüge, die sie vor jedem anderen geschaffenen Wesen auszeichnen, waren ihr verliehen worden im Hinblick auf den Tod ihres Sohnes. Wie unermesslich war ihr Schmerz, als man ihr den entseelten, blutigen Leichnam in ihre Arme legte!

14. DER LEICHNAM JESU WIRD INS GRAB GELEGT

»Joseph von Arimathäa nahm den Leichnam Jesu vom Kreuz herab, hüllte ihn in Leinwand und legte ihn in ein Felsengrab, in das noch niemand gelegt worden war« (Lk 25, 53).

Der hl. Paulus sagt, »dass Christus in allem seinen Brüdern ähnlich werden musste« (Hebr 2, 17). Bis ins Grab wollte er ein Mensch sein wie wir. »Sie hüllten ihn samt den duftenden Kräutern ein in leinene Tücher«, sagt der hl. Johannes, »wie es Brauch der Juden beim Bestatten ist« (Joh 19, 40). Aber der mit dem Worte Gottes persönlich vereinte Leib Christi durfte die Verwesung nicht schauen. Nur drei Tage bleibt er im Grab; dann geht Jesus aus eigener Kraft aus dem Grabe hervor als Sieger über Tod und Hölle, strahlend in Lebensfülle und Herrlichkeit, und »der Tod hat keine Macht mehr über ihn« (Röm 6, 9).

Nach den Worten des Apostels sind wir »durch die Taufe auf den Tod mit Christus begraben« (Röm 1, 4). Das Bad der Taufe ist gleichsam ein Grab, in dem wir die Sünde zurücklassen und aus dem wir zu einem neuen Leben, dem Leben der Gnade erstehen sollen. Die sakramentale Gnade der Taufe bleibt allezeit wirksam. Wenn wir uns in Glauben und Liebe mit dem Heiland vereinen in seiner Grabesruhe, dann erneuern wir jedes Mal diese in der Taufe erhaltene Gnade, nämlich »der Sünde abzusterben, um mehr und mehr zu leben für Christus« (vgl. Röm 6, 11).

»Lass mich, o mein Jesus, in dein Grab all meine Sünden, Fehler und Untreue versenken und gib mir um deines Todes und Grabes willen, dass ich mehr und mehr allem entsage, was mich von dir trennt, dem Teufel, den Grundsätzen der Welt und meiner Eigenliebe; in Kraft deiner hl. Auferstehung verleihe mir, dass ich gleich dir nur mehr lebe zur Verherrlichung deines Vaters.« 

Werfen wir uns Maria zu Füßen und bitten wir ihr all das Leid ab, das unsere Sünden ihr bereitet haben!

»Gib,o Mutter! Brunn der Liebe, / dass ich mich mit dir betrübe! / Lass mich fühlen deine Pein! / Meine Seel' mit Lieb' entflamme / zu dem wahren Gotteslamme, dass ich ihm gefall' allein (Aus der Sequenz: Stabat Mater) !« 

XV. »AUFERSTANDEN MIT CHRISTUS« (Die österliche Zeit)

Die Kirche nennt die Auferstehung Jesu »heilig«. Zwei wesentliche Bestandteile machen die Heiligkeit aus.

Das Geheimnis Christi in der Zeit des bitteren Leidens kann man zusammenfassen in den Worten des hl. Paulus: »Er erniedrigte sich und ward gehorsam bis zum Tod« (PhiI 2, 8). Im Vorausgehenden ist gezeigt worden, bis zu welchem Grade Christus sich erniedrigt hat. Er ist hinabgestiegen bis in den tiefsten Abgrund der Selbstentäußerung, er hat den »Tod eines Verworfenen« gewählt, wie geschrieben steht: »Verflucht sei, wer am Holz hängt« «(Dtn 21, 23; GaI 3, 13).

Aber diese Tiefen der Schmach und Schmerzen, in welche unser göttlicher Heiland hinabgestiegen ist, waren zugleich ein Abgrund von Liebe, und diese Liebe hat uns die Barmherzigkeit des Vaters und alle Gnaden des Heiles und der Heiligung verdient.

Wie das Wort» Verdemütigung« das Geheimnis des Leidens in sich begreift, so gibt es auch ein Wort des hl. Paulus, in welchem er das Geheimnis der Auferstehung Christi zusammenfasst. »Er lebt für Gott« (Röm 6, 10). Er lebt. In ihm ist in Zukunft nur mehr Leben, vollkommenes, glorreiches Leben, frei von aller Schwäche und Sterblichkeit. »Christus stirbt nicht mehr. Der Tod hat keine Macht mehr über ihn« (Röm 6, 9). Er lebt einzig und allein für Gott, und sein Leben ist mehr denn je dem Vater und dessen Verherrlichung geweiht.

In der Allerheiligenlitanei legt die Kirche einzelnen Geheimnissen des Herrn bestimmte Bezeichnungen bei. Sie nennt seine Auferstehung »heilig«: »Durch deine heiIige Auferstehung. Was will sie damit andeuten. Sind etwa nicht alle Geheimnisse Christi heilig? Gewiss sind sie es! Ist ja Christus selbst der Heilige der Heiligen. »Du allein bist heilig«, heißt es im Gloria der Messe. Alle seine Geheimnisse sind heilig. Heilig ist seine Geburt: »Das Heilige, das aus dir geboren wird, wird Sohn Gottes heißen« (Lk 1, 35). Heilig ist sein ganzes Leben: »Weil ich allezeit tue, was dem Vater wohlgefällt« (Joh 8, 29). »Wer aus euch kann mich einer Sünde überführen« (Joh 8, 46)? Heilig ist sein Leiden. Wohl stirbt er für die Sünden der Menschheit, er selbst aber ist das unbefleckte Opfer, das makellose Lamm, der Hohepriester, der sich selber darbringt, »heilig, schuldlos rein, nicht aus der Zahl der Sünder« (Hebr 8,26).

Weshalb nennt also die Kirche unter allen Geheimnissen des Herrn gerade die Auferstehung heilig?

Darum, weil Christus gerade in diesem Geheimnisse in vorzüglicher Weise die Bedingungen der Heiligkeit verwirklicht, weil dieses Geheimnis die wesentlichen Bestandteile menschlicher Heiligkeit, deren Vorbild und Ursache Christus ist, in besonders helles Licht stellt, weil Christus, der während seines ganzen Lebens der Weg und das Licht war und der Welt das Beispiel aller Tugenden gab, die mit seiner Gottheit vereinbar sind, vornehmlich in seiner Auferstehung zum Vorbild der Heiligkeit geworden ist.

Welches sind nun die wesentlichen Bestandteile der Heiligkeit? Die Heiligkeit lässt sich auf zwei Wesenszüge zurückführen: Abkehr von der Sünde und Losschälung von den Geschöpfen, sowie volle dauernde Hingabe an Gott .

Diese beiden Wesenszüge kommen, wie im Folgenden gezeigt werden soll, in der Auferstehung des Herrn in solch überragender Weise zum Ausdruck, wie sie sich vor seiner siegreichen Erhebung aus dem Grab noch nicht geoffenbart hatten. Christus, das menschgewordene Wort, war während seines ganzen Lebens der »Heilige« in des Wortes vollster Bedeutung. Doch erst in seiner Auferstehung offenbart er sich als solcher mit überwältigendem Glanze. Deshalb singt die Kirche: »Durch deine heilige Auferstehung.« Betrachten wir nun das Ostergeheimnis, Jesus Christus, den Sieger, der glorreich aus dem Grab ersteht! Da werden wir erkennen, dass die Auferstehung das Geheimnis des Sieges ist, den das Leben über den Tod erringt, das Himmlische über das Irdische, die Gotteskraft über die menschliche Schwäche. Wir werden verstehen, dass sich in diesem Geheimnis in hervorragender Weise das Ideal der Heiligkeit verwirklicht.

1. Der auferstandene Christus ist von jeder menschlichen Gebrechlichkeit befreit

Was war Christus vor seiner Auferstehung?

Er war Gott und Mensch. »Das ewige Wort hatte sich einer Natur vermählt, die einem sündigen Geschlecht angehörte. Allerdings konnte diese einer göttlichen Person vereinte menschliche Natur keiner Sünde unterworfen sein, wohl aber jenen körperlichen Schwächen, die sich mit der Gottheit vereinbaren lassen, die aber bei uns Menschen oft Folgen der Sünde sind. »Wahrlich, unsere Krankheiten hat er getragen und unsere Schmerzen auf sich genommen« (Jes 53, 4).

Betrachten wir den Herrn während seines sterblichen Lebens. In der Krippe liegt er als schwaches Kind, das der Milch seiner Mutter bedarf, um sein Leben zu fristen. Später begegnet er uns, wie er sich »müde von der Reise« (Joh 4, 6) niedersetzt am Rande des Brunnens. Wirkliche Müdigkeit ist es, die er in seinen Gliedern empfindet. Wirklicher, nicht bloß scheinbarer Schlaf schließt ihm die Augenlider. Die Apostel müssen ihn wecken, da ihr Schifflein von den stürmischen Wogen hin und her geworfen wird (Mt 8, 24 ff; Mk 4, 38; Lk 8, 23 ff). Er hat Hunger gelitten: »Es hungert ihn« (Mt 4, 2). Durst hat ihn gequält (Joh 19, 28). Er hat Schmerzen empfunden. Auch innere Leiden blieben ihm nicht fremd. Im Garten von Gethsemane brechen Furcht, Widerwillen, Todesangst und Traurigkeit über ihn herein. »Er fing an zu trauern und zu bangen.« »Meine Seele ist zum Tod betrübt« (Mt 26, 37 ff; Mk 14, 33 ff) Und endlich hat er auch den Tod erduldet. »Er gab seinen Geist auf« (Joh 19, 50).

So hat er unsere Schwächen, Armseligkeiten und Schmerzen getragen. Nur die Sünde und alles, was Ursache oder sittliche Folge der Sünde ist, blieb ihm fremd. »Er ist in allem seinen Brüdern gleich geworden, außer der Sünde« (Hebr 2, 17; 4, 15 ff). Nach der Auferstehung jedoch sind diese Schwächen verschwunden Es gibt für den Auferstandenen weder Schlaf noch Ermüdung, noch irgendein Gebrechen. Er ist losgeschält, auf immer befreit von jeder Schwachheit. Hat also sein Leib aufgehört ein wirklicher Leib zu sein? Nein, er hat einen wirklichen Leib, denselben, den er angenommen hat aus Maria, der Jungfrau und der den Kreuzestod erduldet hat. Christus selbst lässt es sich angelegen sein, dies zu beweisen. Am Abend des Ostertages erscheint er den Aposteln. Voller Angst und Schrecken glauben sie einen Geist zu sehen. Er aber spricht zu ihnen: »Weshalb seid ihr erschrocken und warum steigen Zweifel in euren Herzen auf? Seht meine Hände und meine Füße! Ich bin es. Tastet mich an und sehet! Ein Geist hat nicht Fleisch und Bein, wie ihr es an mir seht« (Lk 24, 37 ff). Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und Füße. Thomas war abwesend, als Jesus kam. Da sagten ihm die andern Jünger: »Wir haben den Herrn gesehen.« Er aber erwiderte ihnen: »Wenn ich nicht in seinen Händen das Mal der Nägel sehe und meine Finger in die Stelle der Nägel und meine Hand in seine Seite lege, glaube ich nicht.« Acht Tage daraus waren die Jünger beisammen und Thomas war bei ihnen. Da kam Jesus bei verschlossenen Türen, trat in ihre Mitte und sprach: »Friede sei mit euch!« Dann sagte er zu Thomas: »Lege deine Finger hierher und sieh meine Hände. Reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite und sei nicht ungläubig, sondern gläubig« (Joh 20, 24 ff)!

So ließ also der Heiland selber die Wirklichkeit seines Auferstehungsleibes von den Aposteln bestätigen. Dieser Leib jedoch ist ab damals irdischen Schwächen nicht mehr unterworfen. Er ist beweglich, befreit von der Schwerfälligkeit des Stoffes. Er durchdringt jedes Hindernis. Jesus geht aus dem Grab hervor, dessen Eingang mit einem mächtigen Steine verschlossen ist. Er tritt mitten unter seine Jünger »bei verschlossenen Türen« (Joh 20, 21). Wenn er mit den Seinen Nahrung nimmt, so geschieht es nicht, weil er hungert, sondern weil er in barmherzig herablassender Liebe die Wirklichkeit seiner Auferstehung bezeugen will.

Sein Auferstehungsleib ist unsterblich. »Was seinen Tod betrifft, so ist er ein für allemal tot« (Röm 6,10). Christus, aus dem Grab auferstanden, stirbt nicht mehr. Der Tod wird keine Gewalt mehr über ihn haben. Der Leib des auferstandenen Jesus ist somit auf immer dem Gesetze des Todes und der Zeitlichkeit entrückt. Er ist von allen Bindungen, von allen Schwächen befreit, die er in der Menschwerdung an sich genommen hat. Er ist leidensunfähig und vergeistigt. Er lebt in glorreich erhabener Unabhängigkeit.

Hierin stellt sich in Christus der erste Wesenszug der Heiligkeit dar: die Trennung von allem, was Tod, was irdisch und geschöpflich ist, sowie das Freisein von aller Schwäche und Unvollkommenheit. Als Sieger geht er aus dem Grab hervor. Unumschränkt ist seine Freiheit, allseitig vollendetes Leben pulsiert in jeder Faser seines Wesens. Was sterblich war an ihm, ist verschlungen vom Leben.

2. Strahlende Fülle des »Lebens für Gott« in Christus, dem Sieger

Der auferstandene Christus berührt noch die Erde; er erscheint seinen Jüngern. In erbarmender Liebe lässt er sich herab zur Schwäche ihres Glaubens und verkehrt mit ihnen. Er teilt mit ihnen das Mahl. Sein Leben ist aber vor allem himmlisch; er »lebt für Gott«.

Über dieses himmlische Leben Jesu nach seiner Auferstehung wissen wir fast nichts. Wer aber möchte bezweifeln, dass dieses Leben ein ganz wunderbares war?

Dadurch, dass er sich hingab für das Heil der Menschheit, hat Jesus dem Vater bewiesen, wie sehr er ihn liebte. Nun ist alles bezahlt und gesühnt. Die versöhnte Gerechtigkeit verlangt von ihm keine Genugtuung mehr; denn die Freundschaft zwischen Gott und den Menschen ist wieder hergestellt, das Werk der Erlösung vollbracht. Die innige Hingabe Jesu an seinen Vater dauert fort; lebendiger, vollkommener denn je. Das Evangelium schweigt über die huldigende Anbetung, Liebe und Danksagung, die Christus damals seinem Vater erwies, der hl. Paulus aber fasst alles in das eine Wort zusammen: »Er lebt für Gott.« 

Das ist der zweite Wesenszug der Heiligkeit: Gott anhangen, ihm angehören, ihm geweiht sein! Erst im Himmel werden wir erfahren, mit welch umfassender Fülle und Ganzheit Jesus in diesen erhabenen Tagen für seinen Vater lebte. Sicher ist, dass die Vollkommenheit dieser Gotthingabe den Engeln zum Entzücken gereichte. Ledig aller Bedürfnisse, befreit von den Bedingungen der Zeitlichkeit, kann sich die allerheiligste Menschheit Jesu der Verherrlichung des Vaters mit einer Vollkommenheit hingeben wie nie zuvor. Das Leben des auferstandenen Christus gereicht dem Vater zu einer Quelle unendlicher Verherrlichung. In ihm ist alles Licht, Kraft und Schönheit ein unaufhörlicher Lobgesang zu Gottes Ehre.

Wenn der Mensch in seinem Wesen alle Reiche der Natur umschließt und somit den beseelten Lobgesang der gesamten Schöpfung zum Ausdruck bringt, was bedeutet dann das Loblied, das Christus der glorreiche Überwinder des Todes, der ewige Hohepriester, in seiner verklärten Menschheit dem dreifaltigen Gott singt? Dieser Preisgesang, der vollendete Ausdruck des göttlichen Lebens, das hinfort mit aller Fülle seiner Macht und Herrlichkeit die menschliche Natur Jesu erfüllt und durchdringt, ist unaussprechlich.

3. Im Sakrament der Taufe wird die Ostergnade in unserer Seele grundgelegt

Lehre des hl. Paulus. Wie der Christ während seines ganzen Lebens die Vergeistigung des verherrlichten Christus nachahmen soll durch Abkehr von der Sünde und Lossagung von den Geschöpfen.

Solcherart ist das Leben des auferstandenen Christus. Es ist Vorbild unseres Lebens; denn Christus hat uns die Gnade verdient, nach seinem Beispiel für Gott zu leben, und er will uns Anteil geben an seinem Zustand der Verklärung. Er hat uns diese Gnade aber nicht durch seine Auferstehung verdient. Als er am Kreuz den Geist aufgab, war er am Ende seines sterblichen Lebens angelangt und konnte nachher nicht mehr verdienen. Alles, was er für uns erworben hat, ward erworben durch das Opfer, das er mit der Menschwerdung begonnen und mit dem Kreuzestod vollendet hat.

Seine Verdienste bleiben auch nach der glorreichen Auferstehung aus dem Grab. »Er lebt immerdar, um für uns einzutreten« (Hebr 7, 25) und zeigt dem Vater im Himmel die glorreichen Male der für uns erhaltenen Wunden.

Von der Taufe an nehmen wir teil an der Auferstehungsgnade. Der hl. Paulus sagt mit Nachdruck: »So sind wir also durch die Taufe auf den Tod mit ihm begraben und sollen in einem neuen Leben wandeln, sowie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferstanden« (Röm 6, 4).

Das hl. Bad der Wiedergeburt ist nach dem Apostel ein Bild des Grabes. Wenn der Täufling diesem Bad entsteigt, so ist seine Seele rein von jeder Schuld und Makel, befreit vom geistigen Tod und bekleidet mit der heiligmachenden Gnade, der Ursache göttlichen Lebens in uns. Denn auch Christus hat, als er das Grab verließ, alle Schwachheiten abgelegt, um fortan das Leben vollkommener Verklärung zu führen. Daher wurde in der ersten christlichen Zeit die Taufe nur in der Osternacht und am Samstag vor Pfingsten, dem Abschluss der österlichen Zeit, gespendet. Wir werden die liturgischen Texte der Osterwoche nur sehr mangelhaft verstehen, wenn wir nicht immer wieder deren Beziehung auf die feierliche Spendung der Taufe im Auge behalten. Wir sind also mit Christus und durch Christus auferstanden, und er verlangt sehnlich darnach, uns sein glorreiches Leben mitzuteilen. Wie aber können wir diesem göttlichen Verlangen entsprechen und dem Auferstandenen ähnlich werden? Indem wir im Geist unserer Taufe leben und allem entsagen, was in uns sündhaft oder durch die Sünde verderbt ist! Der alte Mensch in uns muss mehr und mehr absterben, unser ganzes Leben von der Gnade beherrscht und geleitet sein. All unsere Heiligkeit besteht darin, die Sünde und alle Gelegenheit zur Sünde zu fliehen, uns loszulösen von der Welt und den Geschöpfen, um einzig in Gott und für Gott zu leben mit aller uns erreichbaren Vollkommenheit und Beständigkeit. Dieses Werk, das in der Taufe grundgelegt ward, umfasst das ganze Menschenleben. Christus allerdings ist nur einmal, »ein für alle Mal« gestorben und hat uns dadurch verdient, der Sünde abzusterben. Dieses Sterben aber müssen wir täglich von neuem betätigen; denn wir tragen in uns die Wurzeln der Sünde und der alte Feind wird nie müde, ihnen immer neue Triebe zu entlocken. Es gilt, diese Wurzeln in uns zu zerstören, uns vor jeder Untreue zu hüten, kein Geschöpf nur um seiner selbst willen zu lieben, aus all unsern Werken nicht bloß jeden sündhaften, sondern auch jeden rein natürlichen Beweggrund zu entfernen und von allem, was irdisch ist, uns loszumachen und das Herz ganz frei zu bewahren in seliger Freiheit der Kinder Gottes. Das ist der erste Wesenszug unserer Heiligkeit, den Christus uns verwirklicht zeigt in der wunderbar königlichen Freiheit seiner auferstandenen Menschheit.

Es ist dies eine der bezeichnendsten Eigenschaften der Ostergnade. Der hl. Paulus betont dies mit großem Nachdruck, wenn er sagt: »Schafft den alten Sauerteig fort! Ihr sollt ein neuer Teig sein. Ihr seid ja ungesäuert denn Christus, unser Osterlamm, ist geschlachtet worden. So lasst uns denn feiern nicht mit dem alten Sauerteige, mit dem Sauerteige der Bosheit und Schlechtigkeit, sondern mit dem ungesäuerten Brote der Lauterkeit und Wahrhaftigkeit« (1 Kor 5, 7.8)!

Die hl. Kirche trägt uns diese eindringliche Mahnung des Apostels vor in der Epistel des Ostersonntags. Wohl mögen diese Worte den Christen unserer Tage dunkel erscheinen und doch hat die hl. Kirche diese vor allen andern erwählt um die Gesinnung zu bezeichnen, in welcher wir das Ostergeheimnis feiern sollen.

Gerade diese Worte drücken ebenso klar und bestimmt wie tiefbedeutsam aus, welche Frucht die Seelen aus diesem Geheimnisse ziehen sollen.

Am Tage vor dem Osterfest, das für die Juden das jährliche Gedächtnis an den Vorübergang des Würgengels bedeutete (vgl. Ex 12, 26 ff), hatte nach einer Vorschrift des Gesetzes die Beseitigung alles gesäuerten Brotes in den Häusern zu beginnen, die noch vor der Osternacht beendet sein musste. Gegen Abend dieses Festes sodann wurde das Osterlamm geschlachtet und sein Fleisch am Feuer geröstet, um in der Nacht mit ungesäuertem Brotkuchen verzehrt zu werden.

All dies aber waren nur »Bilder und Gleichnisse« des Wahren, des christlichen Osterfestes (1 Kor 10, 6.11) »Fegt aus den alten Sauerteig, leget ab den alten Menschen (Eph 4, 22; Kol 3, 9), der geboren war in Sünde und Begierlichkeit und dem ihr in der Taufe entsagt habt. Im Augenblick eurer Wiedergeburt durch das Wasser habt ihr teilgenommen am Tod Christi, der in den Gerechtfertigten die Sünde überwunden und getötet hat (vgl. Röm 6, 2). Ihr seid durch die Gnade ein neuer Teig, d. h. »ein neues Geschöpf« (2 Kor 5, 17) geworden und sollt es bleiben, »ein neuer Mensch« (Eph 4, 24), der wie Christus glorreich aus dem Grab erstanden ist. Wie also die Juden sich vor dem Paschamahl von allem Gesäuerten enthalten mussten, um das Ostermahl genießen zu dürfen, so muss der Christ der Sünde entsagen, wenn er am Geheimnis der Auferstehung teilnehmen und sich mit Christus vereinigen will, dem Lamme, das für die Menschheit geopfert ward und auferstanden ist. Er muss sich hüten vor der bösen Begierlichkeit, die gleichsam ein Sauerteig der Bosheit und Schlechtigkeit ist. »Die Sünde soll nicht mehr in eurem sterblichen Leib herrschen« (Röm 6, 12). Bewahret in euch die Gnade und lebt durch sie in aller Wahrheit und Unverfälschtheit des göttlichen Gesetzes!

Das ist die Lehre, die uns der Völkerapostel am hohen Ostersonntag erteilt. Sie bezeichnet den ersten Wesenszug der Heiligkeit und fordert, dass wir der Sünde und aller natürlichen Denkungsart entsagen, die gleich altem Sauerteige unsere Handlungen verderben könnte, dass wir vielmehr frei von der Sünde und von aller ungeordneten Anhänglichkeit an die Geschöpfe in jener Geistesfreiheit leben, die im auferstandenen Christus zum Ausdruck kommt.

Diese Gnade erfleht die Kirche von Jesus Christus selbst, so oft sie in den österlichen Hymnen die Strophe singt: »Allschöpfer, Herr, wir bitten dich - dein Volk beschirme gnädiglich - in dieser heiligen Osterzeit - vor Todesfährnis allezeit.« Wir bitten, Christus möge sein Volk bewahren, das »er erworben hat durch sein Blut« (Apg 20, 28), damit es ihm ein »reines, in guten Werken eifriges Volk werde« (ebd. 2,15). Er möge es bewahren vor jedem Ansturm des Seelentodes, d. h. vor der Sünde und allem, was zur Sünde führt, vor allem, was das Leben der Gnade schwächt oder zerstört. Dann nur werden wir jener Gemeinschaft einverleibt, die Christus sich selber darstellen will als Braut, die nicht »Fleck oder Runzel, oder etwas dergleichen hat, sondern vielmehr heilig ist und makellos« (Eph 5, 27).

4. Über die völlige Zugehörigkeit und Hingabe an Gott, wie diese sich in der Seele vollzieht

Die zweite Wesenseigenschaft der Heiligkeit, welche die Voraussetzung der ersten ist und ihr erst Wert verleiht, ist die Zugehörigkeit zu Gott, die Weihe an Gott, was der Apostel »für Gott leben« nennt.

Dieses »Leben für Gott« begreift unendlich viele Abstufungen in sich. Es setzt zunächst die vollständige Abkehr von der schweren Sünde voraus: denn die schwere Sünde ist mit dem Leben für Gott ganz und gar unvereinbar. Sodann aber auch Enthaltung von der lässlichen Sünde, Trennung von der Gelegenheit zur Sünde, von allen rein natürlichen Beweggründen des Handeins, mit einem Wort Losschälung von allem, was geschaffen ist. Je vollkommener diese Trennung, dieses Losschälen ist, umso freier wird die Seele und umso reicher kann das göttliche Leben sich in ihr entfalten; denn in dem Maß, als sie dem Menschlichen abstirbt, öffnet sich die Seele dem Göttlichen, sie verkostet voll Wonne die himmlischen Dinge und lebt vom Leben Gottes selbst.

In dieser glückseligen Verfassung ist die Seele nicht nur frei von jeder Sünde, sie handelt auch nur mehr unter dem Einfluss der Gnade, nur aus übernatürlichem Beweggrund. Wenn ihr gesamtes Tun und Lassen aus diesem Beweggrund hervorgeht, wenn sie durch den Antrieb einer zur Gewohnheit gewordenen beständigen Liebe alles auf Gott, auf die Verherrlichung Christi und seines Vaters bezieht, dann hat eine solche Seele die Fülle des Lebens, die Heiligkeit erreicht. Sie »lebt für Gott«.

In der österlichen Zeit spricht die Kirche so oft vom Leben, und zwar nicht bloß deshalb, weil Christus durch seine Auferstehung den Tod besiegt, sondern vor allem deshalb, weil er den Seelen die Quelle des ewigen Lebens wieder« eröffnet hat. Christus selbst ist dieses Leben. »Ich bin das Leben«. (Joh 14, 6) Darum lässt uns die Kirche in dieser gnadenvollen Zeit so oft das Gleichnis vom Weinstock hören. »Ich bin der Weinstock«, spricht der Herr. »Ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt viele Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun« (Joh 15, 4.5) Wir müssen in Christus bleiben und Christus in uns, dann nur bringen wir reiche Frucht (vgl. Joh 15, 5).

Fruchtbar aber sind wir nur durch Christi Gnade und durch den Glauben an ihn, durch die Tugenden, deren Vorbild er ist und die wir nachahmen. Wenn wir der Sünde und uns selbst abgestorben sind wie das» Weizenkorn, das in der Erde stirbt« (Joh 12, 25), ehe es aufsprosst zu reichtragenden Ähren, wenn wir nur mehr handeln auf Antrieb des Hl. Geistes und in Übereinstimmung mit den Vorschriften und Grundsätzen des Evangeliums, dann erblüht das göttliche Leben Christi in unserer Seele. Christus »lebt in uns«. Dann dürfen wir mit dem Apostel sprechen: »Nicht mehr ich lebe. Christus lebt in mir« (Gal 2, 20).

Für Gott leben in und durch Jesus Christus, das ist das Ideal der Vollkommenheit. Dahin aber gelangt man nicht in einem Tage. Die Heiligkeit, die in der Taufe ihren Anfang nimmt, entwickelt sich nur allmählich von Stufe zu Stufe. Aber bemühen wir uns wenigstens mit jedem neuen Ostern, ja mit jedem neuen Tag der Gnadenzeit, die sich vom Auferstehungsfest bis zum Schluss der Pfingstwoche erstreckt, der Sünde und den Geschöpfen mehr und mehr abzusterben, damit das Leben Christi sich immer kraftvoller und überfließender in uns entwickeln könne!

Christus soll herrschen in unserem Herzen! Alles in uns muss ihm unterworfen sein. Was tut Christus seit dem Tage seines Sieges über Tod und Sünde? Er »lebt und regiert« glorreich als Gott im Schoß des Vaters. Christus lebt nur dort, wo er herrscht. Er lebt auch in der Seele nur in dem Maße, als er in ihr herrscht. Er ist König, wie er Hohepriester ist. Auf die Frage des Pilatus, ob er König sei, hat der Heiland geantwortet: »Ja, ich bin König« (Joh 18, 37), »doch mein Reich ist nicht von dieser Welt« (Lk 17, 21). Das Reich Gottes ist in uns. Christus muss immer vollkommener in uns zur Herrschaft gelangen. Wir erflehen es Tag für Tag im Vaterunser »Dein Reich komme!« O, dass er endlich aufleuchten möchte, der selige Tag, wo du, o Vater, durch deinen Sohn Jesus Christus wahrhaft in unseren Seelen herrschest!

Warum aber ist dieses Ziel noch so fern? Weil so vielerlei in uns, der Eigenwille, die Selbstsucht, der natürliche Tätigkeitsdrang, Christus, dem Herrn, noch nicht unterworfen ist, und weil der Wunsch des Vaters, dass alles Christo zu Füßen gelegt werde, noch nicht erfüllt ist (vgl. Ps 8, 8).

Alles dem Herrn zu Füßen legen, das ist ein Teil der Verherrlichung, womit nunmehr der Vater seinen eigenen Sohn erheben will. »Darum hat ihn Gott auch erhoben und ihm den Namen gegeben ... Im Namen Jesu sollen sich alle Knie beugen« (Phil 2, 9 ff). Der Vater will Christus, den Herrn, verherrlichen, weil Christus sein Sohn ist, und weil er sich selbst verdemütigt hat. Deshalb will er, dass sich im Namen Jesu jedes Knie beuge im Himmel, auf Erden und unter der Erde. Die ganze Schöpfung soll ihm unterworfen sein, ebenso aber auch alles, was in uns ist: Wille, Verstand Einbildungskraft, kurz all unsere Fähigkeiten und Seelenkräfte. Am Tage der Taufe ist der Herr als König in unsere Seele eingezogen. Die Sünde aber macht ihm die Herrschaft streitig. Erst wenn alle Sünde, Untreue und Anhänglichkeit an die Geschöpfe im Herzen zerstört sind, wenn wir aus dem Glauben an Jesus, an sein Wort und seine Verdienste leben und uns bemühen, in allen Stücken, unserm Meister zu gefallen, dann herrscht Christus in uns, so wie er herrscht im Schoß seines Vaters. Er lebt in uns und kann zum Vater sprechen: Siehe an, o Vater, diese Seele! In ihr lebe und herrsche ich, auf dass dein Name verherrlicht werde!

Das also sind die wesentlichen Merkmale der Ostergnade: Losschälung von allem rein Menschlichen, Irdischen und Geschaffenen und volle Hingabe an Gott durch Christus. Die Auferstehung des menschgewordenen Wortes wird für uns zum Geheimnis des Lebens und der Heiligkeit. Weil Christus unser Haupt ist, hat »uns Gott mitauferweckt in ihm« (Eph 2, 6). Deshalb sollen wir danach streben, auch in uns die Züge auszugestalten, die das Leben des Erstandenen kennzeichnen. Der hl. Paulus ermahnt uns eindringlich dazu. »Wenn ihr nun auferstanden seid mit Christus«, sagt er, d. h. wenn ihr verlangt, dass der Herr euch teilnehmen lasse am Geheimnis seiner Auferstehung, wenn ihr in die Gesinnungen seines heiligsten Herzens eingehen, mit ihm Ostern halten und einst an seiner Glorie teilnehmen wollt, dann »sucht, was droben ist«, liebt das Himmlische, was ewig bleibt und macht euch frei von irdischen Ehren, Vergnügen und Reichtümern, die keinen Bestand haben. »Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was irdisch ist« (Kol 3,1); denn ihr seid der Sünde gestorben und euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott. Und wie der glorreich erstandene Christus nicht mehr stirbt, sondern ohne Ende lebt für seinen Vater, so »betrachtet auch euch als solche, die der Sünde abgestorben sind, die aber für Gott leben in Christus Jesus, unserem Herrn« (Röm 6,11).

5. Durch die Betrachtung des Festgeheimnisses und die hl. Kommunion, wird die zweifache Ostergnade in der Seele befestigt

Wie können wir die Ostergnade in uns festigen? Zunächst indem wir das Ostergeheimnis mit tiefem Glauben betrachten. Da der Herr den Jüngern erscheint und dem ungläubigen Thomas befiehlt, seine Finger in die Wundmale zu legen, fügt er die sanfte Mahnung bei: »Sei nicht ungläubig, sondern gläubig!« Und als der Apostel ihn als seinen Herrn und Gott angebetet hatte, setzte Jesus hinzu: »Du hast geglaubt, weil du gesehen« und dich durch Berührung meiner Wunden überzeugt hast. »Selig, die nicht sehen und doch glauben« (Joh 20, 27 ff).

Der Glaube ist es, der uns in lebendige Berührung mit Christus bringt. Wenn wir das Ostergeheimnis gläubig betrachten, bewirkt es in uns die nämliche Gnade, die einst der erstandene Heiland in den Jüngern wirkte, so oft er ihnen erschien. Christus lebt in unserer Seele, er wirkt in ihr ohne Unterlass, je nach dem Maße unseres Glaubens und gemäß der besonderen Gnade, die jedem Geheimnis seines gottmenschlichen Lebens innewohnt. Die hl. Magdalena von Pazzi, war einst an einem Osterfeste, als sie im Refektorium beim Mahl saß, von einem so überirdisch freudigen Ausdruck verklärt, dass die sie bedienende Novizin nicht umhin konnte, nach der Ursache dieser Fröhlichkeit zu fragen. Da antwortete die Heilige: »Die Schönheit meines Jesus ist es, die mich so glücklich macht. Ich sehe ihn gegenwärtig in den Herzen aller Schwestern.« Und auf die Frage der Novizin, unter welcher Gestalt sie den Herrn sähe, sprach die Heilige: »Ich sehe ihn in allen Seelen auferstanden und glorreich, wie die Kirche ihn uns am heutigen Tag zeigt.« 

Der würdige Empfang der hl. Kommunion ist es vor allem, wodurch wir uns hienieden die Frucht des Ostergeheimnisses zu eigen machen. Was ist es denn auch, was wir in der heiligen Eucharistie empfangen? Wir empfangen Christus, seinen Leib und sein Blut. Und zwar müssen wir wohl beachten, dass es der verklärte Leib des Herrn ist, mit dem wir uns vereinigen, wenn auch die hl. Kommunion den Opfertod am Kreuz und dessen unblutige Erneuerung auf dem Altar zur Voraussetzung hat. Wir empfangen also Christus den Herrn, so wie er jetzt lebt, d. h. verklärt in seiner himmlischen Vollendung und im Vollbesitz seiner Auferstehungsherrlichkeit.

Er, den wir in dieser Form wahrhaft und wirklich empfangen und der da ist die Quelle aller Heiligkeit, er wird uns ganz gewiss teilnehmen lassen an seiner heiligen Auferstehung; denn hier wie immer müssen wir alle »von seiner Fülle empfangen.« 

Noch immer spricht Christus, der allzeit Lebende zu einem jeden aus uns, was er einst zu den Aposteln gesprochen hat, da er im Begriff stand, zur Zeit des Osterfestes das Sakrament seiner Liebe einzusetzen: »Mit großer Sehnsucht habe ich danach verlangt, dieses Ostermahl mit euch zu essen, bevor ich leide« (Lk 22, 2). Christus Jesus verlangt danach, das Geheimnis seiner Auferstehung in uns zu verwirklichen. Er lebt hocherhaben über alles Erdhafte, in vollkommener Hingabe an seinen Vater. Er will auch uns zu unserer Beseligung mitreißen in diesen göttlichen Lebensstrom. Wenn wir, nachdem wir in der hl. Kommunion den Herrn in unser Herz aufgenommen haben, ihm volle Freiheit einräumen, über uns zu verfügen nach seinem Wohlgefallen, dann wird er durch die Einsprechungen des Hl. Geistes in unserer Seele die Gesinnungen des wahren Gotteskindes erwecken, das alles vom himmlischen Vater empfängt und alles auf ihn zurückführt, und darin besteht die Heiligkeit. Somit wird unser gesamtes Denken und Streben, unser ganzes Tun und Lassen einzig auf die Ehre des Vaters abzielen, der im Himmel ist.

»O, du mein erstandener Heiland, du kehrest ein in meine Seele! Nachdem du durch dein Leiden die Sünde gesühnt und durch deinen Sieg den Tod überwunden hast, lebst du einzig und allein nur mehr glorreich für deinen Vater. Kehre ein in mein Herz und mache zuschanden das Werk des Teufels, indem du die Sünde und alle meine Untreue vernichtest und mich befreist von allem, was dir widerstrebt, auf dass nur du allein in mir herrschest! Komm und lass mich teilhaben am Reichtum jenes vollendeten Lebens, das überreich deiner heiligen Menschheit entströmt! Dann will ich mit dir ein Lob- und Danklied singen deinem Vater, der dich als unser Haupt an diesem Tag gekrönt hat mit Ehre und Herrlichkeit.« 

So betet die heilige Kirche am Mittwoch der Osterwoche in der Postkommunion, wenn sie die Gnaden zusammenfasst, die sie von Gott für Ihre Kinder in dieser heiligen Zeit erfleht: »Von allem alten Wesen gereinigt, möge uns, o Herr, der Empfang deines hocherhabenen Sakramentes umwandeln zu neuen Geschöpfen.« 

Die Kirche wünscht, dass diese Gnade in uns verbleibe, auch wenn die Kommunion vorüber und die Osterzeit beendet ist. »Verleihe, allmächtiger Gott, dass der Empfang des österlichen Sakramentes unvergänglich in unsern Seelen andauere (Postkommunion am Osterdienstag).« Es ist dies eine bleibende Gnade, die nach dem Wort des hl. Paulus die Kraft verleiht, dass »unser innerer Mensch Tag für Tag neu werde« (2 Kor 4,16) und das Leben Christi in uns gefördert und wir so in das Gleichbild unseres göttlichen Meisters mehr und mehr umgewandelt werden.

6. Die Auferstehung der Toten ist der Abschluss des hochherrlichen Ostergeheimnisses. Die Vereinigung mit dem auferstandenen Heiland weckt Freude in unserer Seele. Das österliche Alleluja

Wir haben die Reichtümer der österlichen Gnade durchaus nicht erschöpfend dargelegt durch den Hinweis auf das zweifache Geheimnis der Heiligkeit, das die Auferstehung Jesu in unserer Seele bewirken soll. Gott ist so freigebig in allem, was er für seinen Sohn, unsern Herrn Jesus Christus, tut, dass nach seinem ewigen Heilsplan nicht bloß unsere Seele, sondern auch unser Leib am Geheimnis der Auferstehung dieses Sohnes teilnehmen soll. Auch wir werden auferstehen von den Toten. Das ist ein Dogma unseres Glaubens. Wir werden dem Leib nach auferstehen wie Christus und mit Christus. Es könnte auch gar nicht anders sein. Christus ist unser Haupt. Wir bilden auf geheimnisvolle Weise seinen mystischen Leib. Wenn nun Christus auferstanden ist - und er ist seiner menschlichen Natur nach auferstanden -, so müssen auch wir, seine Glieder, an seiner Verherrlichung teilnehmen; denn wir sind seine Glieder nicht nur der Seele, sondern auch dem Leib nach, also nach unserm ganzen Wesen. Das innigste Band verknüpft uns mit ihm. Wenn sonach Jesus glorreich auferstanden ist, so werden auch die Christgläubigen, die ihm mystisch eingegliedert sind, seine Auferstehung teilen.

Der hl. Paulus sagt hierüber: »Christus ist auferstanden von den Toten als ErstIing der Entschlafenen.« Er bildet den Anfang und das Unterpfand einer nachfolgenden gleichen Ernte. Denn wie einmal durch einen Menschen - Adam - der Tod in die Welt kam, so auch durch einen Menschen die Auferstehung von den Toten. »Wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle das Leben erhalten« (1 Kor 15, 22). Und mit noch größerem Nachdruck sagt er an einer anderen Stelle, dass Gott uns »mitauferweckt hat in Christus Jesus« (Eph 2, 6); denn als lebendige Glieder nehmen wir durch den Glauben und die Gnade teil an allen Lebensstufen des Herrn. Wir sind eins mit Christus. Weil nun die Heiligmachende Gnade die Grundursache unserer Verklärung ist, so sind alle, die durch die Gnade das Heil erhoffen dürfen, auch in Christus, der Hoffnung und Ursache nach, schon mitauferstanden. Das ist unser Glaube, das unsere Hoffnung.

Jetzt aber ist »unser Leben noch verborgen mit Christus in Gott«. Solange wir noch auf Erden leben, bringt die Gnade noch nicht jene glorreich verklärenden Wirkungen hervor, wie sie sich in des Himmels Herrlichkeit in uns vollenden wird. Auch Christus hat vor seiner Auferstehung den Glanz seiner Gottheit verborgen, und nur auf Tabor war es den drei Jüngern vergönnt, einen Strahl seiner Glorie zu schauen. Unser inneres Leben ist hienieden nur Gott bekannt, den Menschen bleibt es verborgen. Wenn wir auch kraft unseres freien Willens bemüht sind, in uns die Eigenschaften des verklärten Christus nachzubilden, so bleibt das immerhin ein mühevolles Werk, das sich in einem von der Sünde verderbten und dem Wandel der Zeiten unterworfenen Fleisch vollzieht. Nur durch fortwährend erneuerten Kampf und große Treue gelangt der Christ zur heiligen Freiheit der Kinder Gottes. Auch wir müssen »leiden, um in die Herrlichkeit einzugehen«, wie Christus selbst den Emmausjüngern gesagt hat. »Musste nicht Christus all dieses leiden und so in seine Herrlichkeit eingehen« (Lk 24, 26).

»Wir sind«, sagt Paulus, »Kinder und Erben Gottes, Miterben Christi. Aber wir müssen mit ihm leiden, um mit ihm verherrlicht zu werden« (Röm 8,17). Diese himmlischen Gedanken mögen uns in den Tagen der irdischen Pilgerschaft Halt und Stütze sein. Es kommt die Zeit, da Gott selbst »jegliche Träne abwischen wird« von den Augen derjenigen, die Miterben seines Sohnes geworden sind. Er wird ihnen einen Platz anweisen beim ewigen Hochzeitsmahl, das er bereitet hat, um im Siege seines Sohnes auch den Sieg all seiner Brüder zu feiern, deren Erstgeborener Jesus Christus ist.

Wenn wir nur jedes Jahr in der Fastenzeit und Karwoche getreulich an Christi Leiden teilzunehmen suchen, dann werden wir auch alljährlich aus der Betrachtung des Ostergeheimnisses im göttlich verklärten Leben des Auferstandenen neuen Nutzen, neue Gnadenfülle schöpfen. Die Betrachtung des glorreichen Überwinders von Tod und Hölle wird uns bestärken in der Losschälung von allem, was nicht Gott ist, wird in unserer Seele durch den Glauben und die Liebe das göttliche Leben kräftigen und mehren. Sie belebt aber auch unsere Hoffnung; denn wenn am Jüngsten Tage Christus, unser Leben, unser göttliches Haupt, erscheinen wird, dann werden auch wir, die wir an seinem Leben Anteil haben, mit ihm erscheinen in Herrlichkeit. Diese Hoffnung erfüllt uns mit Freude, und so ist das Ostergeheimnis, weil es ein Geheimnis des Lebens ist, zugleich auch in hervorragender Weise ein Geheimnis der Freude.

Die heilige Kirche gibt dieser Osterfreude dadurch Ausdruck, dass sie in der österlichen Zeit das Alleluja, diesen Ruf des Jubels und der Freude, den sie der Liturgie des Himmels abgelauscht hat, nicht oft genug wiederholen kann. Während der Fastenzeit hatte sie das Alleluja verbannt zum Zeichen der Trauer und des Mitleidens mit ihrem himmlischen Bräutigam. Jetzt aber, nachdem Christus erstanden ist, freut sie sich mit ihm und nimmt darum mit neuer Begeisterung den Freudenruf der seligen Chöre wieder auf, um der heißen Inbrunst ihres Herzens Ausdruck zu verleihen. Vergessen wir es nie, wir sind eins mit Christus. Sein Sieg ist unser Sieg und seine Verherrlichung der Grund unserer Freude. Darum sollen wir mit unserer Mutter, der Kirche, recht oft und innig das Alleluja singen, um dem Erstandenen unsere Freude darüber zu bezeigen, dass er des Todes finstere Macht besiegte, wie auch um dem Vater für die Herrlichkeit zu danken, die er Jesus, seinem Sohn, geschenkt hat. Das Alleluja, das die Kirche in den fünfzig Tagen der österlichen Zeit in unablässigem Jubel wiederholt, ist gleichsam der vielfältige Widerhall jenes Gebetes, womit die Osterwoche schließt: »Verleihe, wir bitten dich, o Herr, dass wir uns allezeit ob dieser österlichen Geheimnisse glücklich preisen, damit uns das fortgesetzte Wirken unserer Erlösung werde zur Ursache ewiger Freude (Sekret am Ostersamstag).

XVI. »VATER, VERHERRLICHE DEINEN SOHN« (Christi Himmelfahrt)

Nach seiner Auferstehung verweilte Christus nur vierzig Tage bei seinen Jüngern. Der hl. Leo sagt uns, dass diese Tage nicht in Untätigkeit dahingegangen seien (»li dies non otosio transiere decursu« [Sermo 1. de Ascensione Domini c. 2]). In vielen Erscheinungen und geheimnisvollen Unterweisungen hat der Herr seine Jünger über das Reich Gottes belehrt. Er erfüllte das Herz der Seinen mit Freude. Er bestärkte sie im Glauben an seinen Sieg, an seine Person, an seine Sendung und erteilte ihnen seine »letzten Belehrungen« (Apg 1, 3) zur Gründung und Einrichtung der Kirche. Nun aber ist die Aufgabe seines irdischen Aufenthaltes erfüllt. Die Stunde ist gekommen, da er heimkehren soll zum Vater. Der göttliche Held hat seine Laufbahn vollendet und das »Werk vollbracht, das ihm der Vater zu vollbringen aufgetragen hat« (Joh 17, 4). Er steht im Begriff, die Wonnen seines herrlichen Triumphes in ihrem Vollmaß zu verkosten. Die Auffahrt in den Himmel ist der glorreiche Abschluss des sichtbaren Erdenwandels Jesu.

Unter allen Festen des Herrn ist in gewissem Sinne die Himmelfahrt das größte, weil sie die höchste Verherrlichung Jesu zum Ausdruck bringt. Die hl. Kirche nennt die Himmelfahrt »wunderbar« (Allerheiligenlitanei) und »glorreich« (Sekret der Festmesse von Christi Himmelfahrt). Im Festoffizium des Tages besingt sie ausschließlich die Pracht und Herrlichkeit dieses hehren Geheimnisses. Unser göttlicher Erlöser hatte vor seinem Leiden den Vater gebeten, ihn einzusetzen in die Glorie zu seiner Rechten, die ihm als Gott von Ewigkeit her eigen war. »Vater«, sprach er, »verherrliche mich nun bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war« (Joh 17, 5). Der Auferstehungssieg war das Morgenrot dieser persönlichen Verherrlichung Jesu gewesen »Die Himmelfahrt», sagt der hl. Augustinus(Haec est clarificatio Domini Jesu Christi, quae ab eius resurrectione sumpsit exordium, (S. Aug. Tract. in loan. 104, 3]) »ist die Verherrlichung unseres Herrn Jesus Christus, die mit seiner Auferstehung ihren Anfang genommen hatte.« Diese wunderbare Auffahrt bezeichnet die strahlende Mittagshöhe seiner Glorie. »Er wurde in den Himmel aufgenommen und sitzt zur Rechten Gottes« (Mk 16,19). Das ist der Triumph der Menschheit Christi, die Gott erhöht hat über alle Himmel.

Wir wollen nun kurz die Gründe erwägen, worauf sich die Verherrlichung Jesu stützt und die besondere Gnade, die sie uns vermittelt. Die Kirche fasst beides in der Kollekte der hl. Messe zusammen: »Verleihe uns, allmächtiger Gott, die wir gläubig bekennen, dass am heutigen Tage dein eingeborener Sohn, unser Erlöser, zum Himmel aufgefahren ist, dass wir selbst auch mit Herz und Sinn im Himmel wohnen.« 

Dieses Gebet drückt zunächst unseren Glauben an dieses Festgeheimnis aus. Die Kirche weist sodann auf die Ursachen der Erhöhung unseres göttlichen Bräutigams hin, indem sie an seine Eigenschaft als den eingeborenen Sohn Gottes und Erlöser der Menschheit erinnert, und endlich bezeichnet sie die Gnade, die den Seelen aus diesem Geheimnis zuströmt.

1. Die Auffahrt Jesu zur Rechten des Vaters ist ein herrlicher Triumph

Das Geheimnis der Himmelfahrt Jesu Christi wird uns in einer Form dargestellt, die unserer Natur entspricht. Wir betrachten die hl. Menschheit, die sich von der Erde erhebt und sichtbar zum Himmel emporschwebt.

Jesus versammelt seine Jünger ein letztes Mal und führt sie hinaus nach Bethanien auf die Spitze des Ölberges. Er beauftragt sie nochmals, allen Völkern in seinem Namen zu predigen und verheißt ihnen, dass er immerdar bei ihnen bleiben werde mit seiner Gnade und mit der Wirksamkeit des Hl. Geistes (Er bleibt auch unter uns durch seine wirkliche Gegenwart im Sakrament der Eucharistie). Nachdem er sie so dann gesegnet hat, erhebt er sich durch seine göttliche Allmacht und durch die Kraft seiner verklärten Seele über die Wolken und entschwindet ihren Blicken.

Diese körperliche Himmelfahrt ist eine wirkliche und wunderbare Tatsache, zugleich aber auch das Sinnbild einer Himmelfahrt, deren Ziel die Apostel nicht gewahrten und die noch ungleich wunderbarer ist, wenn schon sie unserem Geist unbegreiflich bleibt. Der Heiland ist aufgefahren über alle Himmel, über alle Engelchöre, bis er thront »zur Rechten Gottes« (Eph 4,10).

Der Ausdruck »zur Rechten Gottes« darf nicht wörtlich verstanden werden. Er ist bildlich zu nehmen; denn Gott ist reiner Geist und hat nichts Körperliches an sich. Die Heilige Schrift und die Kirche bedienen sich dieser Ausdrucksweise nur, um die höchsten Ehren und die Majestät des Triumphes anzudeuten, die Christus, den Herrn, im Heiligtum der Gottheit erwarteten.

Ebenso versteht man unter dem Ausdruck Jesus »sitzt« nichts anderes, als dass der Herr in den ewigen Besitz der Ruhe eingegangen ist, die er sich durch seinen glorreichen Kampf errungen hat. Diese Ruhe schließt jedoch keineswegs die unablässige Ausübung der Allmacht aus, die ihm der Vater mitteilt, um die Menschheit zu regieren, zu heiligen und zu richten.

Der hl. Paulus feiert im Brief an die Epheser diese göttliche Verherrlichung Jesu durch den Vater in Worten von kraftvoller Schönheit, wenn er sagt: »Groß ist die Macht des Vaters, die er an uns Gläubigen gezeigt hat. Es ist dieselbe gewaltige Macht, die er an Christus erwiesen hat, da er ihn von den Toten auferweckte und in den himmlischen Höhen zu seiner Rechten sitzen hieß, erhaben über alle Herrschaften und Mächte, Fürstentümer und Gewalten, wie über jegliches Wesen, das es in dieser und der zukünftigen Welt gibt. Alles hat er ihm zu Füßen gelegt und ihn zu dem alles überragenden Haupt der Kirche gemacht« (Eph 1, 19 ff).

Hinfort ist und bleibt Christus für alle Menschen die einzige Quelle von Gnade und Heil, von Leben und Segen. Hinfort ist sein Name so gewaltig, so strahlend und glorreich, dass »im Namen Jesu sich alle Knie beugen sollen im Himmel, auf Erden und in der Unterwelt. Und alle Zungen sollen zur Verherrlichung Gottes, des Vaters, bekennen, dass »Jesus Christus ist der Herr« (Phil 2, 10). Seit jener Stunde legt die unermesslich große Schar der Seligen im himmlischen Jerusalem ihre Kronen nieder zu den Füßen des Lammes, das als alleinige Leuchte der Gottesstadt erstrahlt und vor dem alle niederfallen auf ihr Angesicht. Und ein Chor, gewaltig wie die Stimme vieler Wasser und das Rollen mächtiger Donner, verkündet, dass »das Lamm würdig ist, zu empfangen Macht und Gottheit und Weisheit und Stärke und Ehre und Herrlichkeit und Bewunderung, weil alles Heil und alle Seligkeit in ihm den Anfang und das Ende hat« (Offb 5, 12, und a. a. O.). Seit jener Stunde lässt die Kirche im Gloria der hl. Messe auf dem weiten Erdenrund Tag für Tag Lob und Bitte zu jenem aufsteigen, der sie alleinig stützen kann in ihren Kämpfen, weil er der alleinige Urquell aller Kraft und Stärke ist. »Der du sitzest zur Rechten des Vaters, erbarme dich unser; denn du allein bist der Heilige, du allein bist der Herr, du allein der Höchste, Jesus Christus in der Herrlichkeit des Vaters.« 

Seit jener Stunde auch erfüllt Furcht und Schrecken die Gewalten der Finsternis, weil Christus, der Sieger, ihnen auf immer die Beute entriss, »da er führte die Gefangenen mit sich fort« (Eph 4, 8). Beim Namen Jesu müssen sie den Nacken beugen und fliehen vor dem siegreichen Zeichen des Kreuzes. Das ist die strahlende Herrlichkeit des Triumphes, in welchen die Menschheit Jesu auf immer eingegangen ist am Tag ihrer wunderbaren Himmelfahrt.

2. Hauptgrund für diese wunderbare Erhöhung: Christus ist der Sohn Gottes, der sich aufs tiefste erniedrigt hat durch die Schmach seines Leidens

Welches aber sind die Ursachen der Erhöhung und unermesslichen Seligkeit, die Christus, dem Herrn, in seiner Menschheit zuteil geworden? Man kann sie in diese beiden Hauptpunkte zusammenfassen: Christus ist der wahre Sohn Gottes, und er ist, um uns zu erlösen, herabgestiegen in die tiefste Schmach.

Jesus ist Gott und Mensch zugleich. Als Gott erfüllt er mit seiner Allgegenwart Himmel und Erde. Er konnte also nur seiner Menschheit nach auffahren zur Rechten des Vaters. Aber die Menschheit Jesu ist verbunden mit der Person des Wortes, sie ist die Menschheit eines Gottes. In dieser Eigenschaft besitzt sie das Recht, göttliche Herrlichkeit im Glanz des ewigen Lichtes zu beanspruchen.

Als Jesus im sterblichen Fleisch wandelte, war diese Herrlichkeit - ausgenommen bei der Verklärung - umschleiert und verborgen. Das göttliche Wort hatte sich einer schwachen, leidensfähigen Menschheit vermählt, die gleich der unsern dem Leiden und dem Tod unterworfen ist.

Am Morgen seines Auferstehungstages hat der Herr Besitz ergriffen von dieser strahlenden Herrlichkeit. Von nun an ist seine Menschheit glorreich und leidensunfähig, doch weilt sie noch auf Erden an einem Ort, wo Vergänglichkeit und Tod herrschen. Um die letzte Entfaltung, den Höhepunkt seiner Verherrlichung zu erreichen, bedurfte der erstandene Heiland eines Ortes, der seines verklärten Leibes würdig war, und das konnten nur die Höhen des Himmels sein, von wo aus er hinfort immerdar den vollen Glanz seiner Herrlichkeit und Macht erstrahlen lassen konnte. Gottmensch, Gottessohn, vollkommenes Abbild des Vaters, hat Jesus das Recht zu sitzen zur Rechten des Vaters und mit ihm die göttliche Herrlichkeit, die unendliche Glückseligkeit und Allmacht des höchsten Wesens zu teilen. Wenn man die Menschheit Jesu als Natur betrachtet, so ist mit dem Ausdruck »sitzen zur Rechten Gottes« eben, weil diese Natur geschaffen ist, offenbar nicht die Gleichheit mit Gott in Bezug auf die wesenhafte Glorie gemeint, sondern eine überaus erhabene und ausgezeichnete Teilnahme an der ewigen Seligkeit und Allmacht Gottes.

Die zweite Ursache der hochherrlichen Erhöhung Jesu ist diese: Sie soll die Belohnung sein für die unsäglich schmachvolle Erniedrigung, die der Herr in seinem bitteren Leiden aus Liebe zum Vater und aus Erbarmen mit uns auf sich genommen hat.

Wie schon oft gesagt, hatte sich Christus beim Eintritt in diese Welt rückhaltlos seinem Vater anheim gegeben. »Siehe, ich komme, deinen Willen zu erfüllen« (Hebr 10, 9; Ps 39, 8). Er hat eingewilligt, sich in vollem Ausmaß allen vorherverkündigten Verdemütigungen zu unterziehen und den bitteren Kelch unsäglicher Schmach und Schmerzen bis auf die Hefe zu trinken. Er hat sich preisgegeben bis zum schimpflichen Tod am Kreuz. Und welches war der Grund solcher Erniedrigung? »Damit die Welt erkenne, dass ich den Vater liebe« (Joh 14, 31), seine Vollkommenheit, seine Rechte und seinen Willen. Und »deshalb«, man beachte dieses Wort des hl. Paulus, weil es den eigentlichen Grund bezeichnet, »deshalb hat auch Gott ihn erhöht« (Phil 2, 9) über jede Kreatur im Himmel, auf Erden und im Reich der Unterwelt.

Ein irdischer König belohnt im Siegesjubel nach gewonnener Schlacht die tapferen Feldherrn, die seine Rechte verfochten, den Sieg errungen und des Reiches Grenzen durch kühne Eroberungen erweitert haben.

Dasselbe geschieht im Himmel am Tag der Auffahrt, nur in ungleich herrlicherem Glanze. Mit unvergleichlicher Treue hat Jesus das Werk vollbracht, das der Vater von ihm verlangt hatte. »Weil ich allezeit tue, was ihm wohlgefällig ist« (Joh 8, 29). »Das Werk habe ich vollendet« (Joh 17, 4). »Er hat sich hingegeben den Schlägen der Gerechtigkeit als schuldloses, heiliges Opfer und ist hinabgestiegen in die tiefsten Tiefen aller Marter und Schmach. Jetzt, wo alles gesühnt und bezahlt ist, jetzt, wo die Macht der Hölle zertreten, die Vollkommenheit des Vaters anerkannt ist und seine Rechte zurückerobert sind, wo die Pforten des Himmels der geretteten Menschheit wieder offen stehen, da war es, soweit menschliche Worte ein solch hehres Geheimnis auszudrücken vermögen, für den himmlischen Vater eine Freude, seinen Sohn zu krönen nach dem Siege, den er über den Fürsten dieser Welt errungen hatte. O, unnennbar selige, göttliche Freude, die heiligste Menschheit Jesu zu rufen zu ewiger Erhöhung im Genuss von Glanz und Glück und höchster Herrschermacht!

Hatte doch Jesus selbst, ehe er einging in sein Leiden, diese Verherrlichung von seinem Vater erbeten, um des Vaters eigene Herrlichkeit zu erhöhen. »Vater, die Stunde ist gekommen. Verherrliche deinen Sohn, damit dein Sohn dich verherrliche« (Joh 17, 1)! Ja, Vater, die Stunde ist gekommen, deiner Gerechtigkeit ist Genüge geleistet durch die entsprechende Sühne. Lass ihr auch Genugtuung widerfahren durch die Ehren, die deinem Sohn gebühren für die Liebe, die er dir in seinem Leiden bewiesen hat! O Vater, verherrliche deinen Sohn! Befestige sein Reich in allen Herzen, die ihn lieben! Beuge jene unter seine milde Herrschaft, die sich von ihm abgewandt haben! Ziehe alle hin zu ihm, die ihn nicht kennen und in Finsternis und Todesschatten sitzen! Vater, verherrliche deinen Sohn, damit dein Sohn auch dich verherrliche und uns dein göttliches Wesen, deine Vollkommenheit und deinen Willen zeige!

Doch des Vaters Antwort ist bereits erklungen. »Ich habe ihn verherrlicht und will ihn ferner verherrlichen« (Joh 12, 28). Und zu Christus selbst spricht Gott die feierlichen Worte des Psalmisten: »Mein Sohn bist du ... fordere von mir, und ich will dir die Völker geben als dein Erbe und als dein Besitztum die Enden der Erde« (Ps 2, 7 ff). »Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde als Schemel dir zu Füßen lege« (Ps 110, 1).

Die Werke Gottes sind umstrahlt von unaussprechlich hehren und geheimnisvollen Harmonien, deren einzigartige Schönheit die gläubige Seele entzückt.

Wo hat der Herr sein Leiden begonnen? Im Garten von Gethsemane am Fuß des Ölberges. Dort hatte seine heilige Seele, die im Licht der Gottheit die Menge der Schmerzen, den Vollinhalt des bevorstehenden Opfers voraussah, gerungen in Traurigkeit, Überdruss, Furcht und Todesangst. Kein Mensch wird je ergründen, welch furchtbare Seelennot der Gottessohn im Garten gelitten hat. Jesus hat damals im Voraus und gleichsam zusammengefasst alle Martern der Passion verkostet. »Mein Vater, wenn es möglich ist, lass diesen Kelch an mir vorübergehen« (Mt 26, 39).

Wo aber ist unser göttlicher Meister eingegangen in die Wonne seiner Himmelfahrt? Jesus, der in seiner ewigen Weisheit eins ist mit dem Vater und dem Hl. Geist, hat zum Abschied von der Erde die Höhe des nämlichen Berges gewählt, der einst Schauplatz seiner abgrundtiefen Erniedrigung war. Dort, wo die göttliche Gerechtigkeit gleich einem rächenden Strome weggeflutet ist über Christus, den Dulder, eben dort krönt sie ihn, den Überwinder, mit Ruhm und Ehre. Dort, wo in Nacht und Finsternis das Vorspiel erfolgt war zu dem gewaltigen Ringen, dort erhob sich in strahlender Schönheit das Morgenrot ewigen Sieges.

Daher preist unsere Mutter, die hl. Kirche, nicht umsonst die Himmelfahrt ihres göttlichen Hauptes als »wunderbar«.

3. Der Herr verleiht uns durch dieses Geheimnis die Gnade, als Glieder seines mystischen Leibes mit ihm einzugehen in den Himmel

Das Geheimnis der Himmelfahrt bedeutet somit die höchste Verherrlichung Christi, der, über alles Geschaffene erhöht, zur Rechten Gottes thront.

Jesus ist »ausgegangen vom Vater« und nachdem er seine Sendung auf Erden erfüllt hat, »geht er wieder zum Vater« (Joh 16, 28). Wie ein Riese ist er ausgezogen, »frohlockend seine Bahn zu laufen« (Ps 19, 6 ff). In des Himmels Höhe kehrt er nun zurück, um dort ewig die unendliche Verherrlichung der göttlichen Seligkeit und Pracht zu genießen.

Dieser Triumph kommt, insoweit er im eigentlichen Sinn des Wortes göttlich ist, als ausschließliches Vorrecht nur Christus zu, dem Gottmenschen, dem menschgewordenen Wort. Nur als Sohn Gottes, als Erlöser der Welt, hat Jesus ein Anrecht aus diese unendliche Herrlichkeit. Darum sagt der hl. Paulus: »Zu welchem der Engel hat Gott je gesprochen: Setze dich zu meiner Rechten« (Hebr 1, 13) ?

Einen ähnlichen Gedanken hat der Heiland selbst in seinem Gespräch mit Nikodemus ausgedrückt: »Und doch ist keiner in den Himmel hinaufgestiegen als nur der Menschensohn, der vom Himmel herabgestiegen ist, der im Himmel ist« (Joh 3,13). Jesus ist der Sohn des Menschen durch seine Menschwerdung. Da er aber das Gewand der Sterblichkeit anzog, hörte er nicht auf, Sohn Gottes zu bleiben, der immerdar im Himmel ist. Nachdem er herabgestiegen aus dem Schoß des Vaters, um sich mit unserer Natur zu bekleiden, kehrt nun Jesus dorthin, wie in seine natürliche Heimat zurück. Nur ihm, dem Gottessohn, gebührt das volle Recht, zum Vater heimzukehren und teil zu haben an den höchsten Ehren der Gottheit. Ihm allein sind sie vorbehalten, denn »niemand steigt auf, der nicht hinabgestiegen ist«.

Und wir? Sollen nicht auch wir in den Himmel kommen? Oder sollen wir ausgeschlossen sein von den Wohnungen des Lichtes und der Seligkeit? Sollen wir nicht teilnehmen dürfen an der Himmelfahrt Jesu?

Gewiss! Auch uns winkt ein Himmelfahrtstag. Aber nur in Christus und durch Christus gehen wir in den Himmel ein.

Das geschieht durch die hl. Taufe, die uns zu Gotteskindern macht. Das hat der Heiland in seinem Gespräch mit Nikodemus offenbart. »Wer nicht aus dem Wasser und dem Hl. Geist wieder geboren wird, kann in das Reich Gottes nicht eingehen« (Joh 3,5). Er will damit sagen, dass es zum Eintritt ins neue Leben des Himmels auch einer Neuschaffung, einer Wiedergeburt aus Gott, bedürfe. Es gibt eine ewige Geburt aus dem Schoße des Vaters, und diese Geburt ist nur Jesus eigen. Er allein fährt mit vollem Recht in den Himmel auf, weil er der wahre Gottessohn ist, gezeugt aus dem Schoß des Vaters, im Glanz des Heiligtums. Es gibt jedoch noch andere Gotteskinder, jene, »die aus Gott geboren sind« durch die Taufe (Joh 1,13).

Auch diese sind Kinder Gottes und daher nach dem Wort des hl. Paulus »Erben Gottes und Miterben Christi« (Röm 8,17); die als solche berufen sind, Christi eigenes Erbe zu teilen. Die Taufe macht uns zu Kindern Gottes und gleichzeitig zu Gliedern des geheimnisvollen Leibes, dessen Haupt Christus ist. Der hl. Paulus lässt darüber keinen Zweifel. »Ihr seid der Leib Christi und Glied an Glied« (1 Kor 12,27), d. h. jeder ist Glied nach seiner Art. Noch eindringlicher bemerkt er: »Niemand noch hat sein eigenes Fleisch gehasst«, sondern man hegt und pflegt es. So macht es auch Christus mit seiner Kirche, weil wir die Glieder seines Leibes sind, »Fleisch von seinem Fleisch, Bein von seinem Bein« (Eph 5, 29 f).

Nun aber nehmen die Glieder teil an der Ehre des Hauptes. Die Freude eines Menschen strömt über auf den ganzen Leib. So haben auch wir alle Anteil an den Reichtümern Christi. Seine Freude, seine Glorie, seine Seligkeit wird einst auch die unsere sein.

O Wunder der Barmherzigkeit Gottes! »Gott aber, der an Erbarmen reich ist, hat in seiner großen Liebe zu uns, obwohl wir durch unsere Vergehen tot waren, uns mit Christus lebendig gemacht. Aus Gnade seid ihr gerettet worden«, sagt der Apostel. »Gott hat uns in Christus auferweckt und mitversetzt ins Himmelreich, um so in den zukünftigen Zeiten den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade zu zeigen, zufolge seiner Güte gegen uns in Christus Jesus« (Eph 2, 4 ff).

»Weil der Sohn nur das tut, was er den Vater tun sieht« (Joh 5,19), so zieht Jesus Christus die gesamte Menschheit nach sich in die himmlische Glorie und Seligkeit. Dies ist das Wunderwerk des Gottmenschen, dass er durch sein Leiden der gefallenen Welt die Paradiespforten wieder erschlossen und die gerettete Menschheit als sein Gefolge in den Glanz des ewigen Heiligtums eingeführt hat. Er hat die mit sich vereinigte Wesenheit »unserer gebrechlichen Natur zur Rechten der Herrlichkeit Gottes des Vaters versetzt« (Communicantes von Christi Himmelfahrt). »Er ist erhoben worden in den Himmel, damit er uns die Teilnahme an seiner Gottheit gewähre« (Präfation des Festes).

Als Christus in den Himmel heimkehrte, zog ein strahlendes Gefolge heiliger Seelen als glorreiche Siegesbeute mit ihm durch die ewigen Tore ein. Die Gerechten, die den Herrn im Triumph begleiteten, waren die Erstlinge einer unabsehbar reichen Ernte. Unablässig halten heilige Seelen Himmelfahrt, bis am Jüngsten Tage das Reich Jesu Christi sein Vollmaß erreicht hat.

»Die Himmelfahrt Christi«, sagt der hl. Leo, »ist unsere eigene Erhebung, weil die Hoffnung der Glieder dorthin berufen ist, wohin die Herrlichkeit des Hauptes vorangegangen ist. Am heutigen Tage wird nicht bloß unser Anrecht auf den Besitz des Paradieses bestätigt, sondern wir sind selber schon eingetreten in die Höhen des Himmels mit Christus Jesus.« Christi ascensio nostra provectio est, et quo processit gloria capitis eo spes vocatur et corporis; hodie non solum paradisi possessores firmati sumus, sed etiam coelorum in christo superna penetravimus. [S. Leo, Serm. l de Ascen. Dom. c. 4.] »Die Arglist des alten Feindes hatte uns aus der Glückseligkeit des ursprünglichen Wohnsitzes vertrieben. Da hat uns Gottes Sohn sich selber einverleibt und uns zu des Vaters Rechten versetzt (Quos inimicus primi habitaculi felicitate dejecit, eos sibi concorporatos Dei Filius ad dexteram Patris collocarit. [Ibid.]).« 

Nun verstehen wir das ewige Danklied der seligen Scharen zum Lob des Lammes, das hinwegnahm die Schulden der Welt!

Nun erfassen wir die Jubelrufe der Anbetung, die sie jenem darbringen, der ihnen endlose Seligkeit erwarb um den Preis unsagbarer Leiden!

Die Stunde dieser Verherrlichung hat für uns noch nicht geschlagen. In der Erwartung jedoch, dass auch wir den Chören der seligen Geister vereint sein werden, sollen wir dem Gedanken und dem Verlangen nach im Himmel wohnen, wo Christus unser Haupt, lebt und regiert.

Hienieden sind wir Fremdlinge und Gäste, die ihrer wahren Heimat zustreben. Als Bürger der hl. Stadt und Hausgenossen Gottes aber ziemt es uns, dass nach dem Wort des Apostels »unser Wandel im Himmel sei durch Glaube und Hoffnung« (Phil 3, 20).

Diese Gnade erfleht die Kirche ihren Kindern im Tagesgebet. Wir bitten dich, o Herr, verleihe uns, dass wir, die wir an die Himmelfahrt deines Sohnes glauben, selber auch mit unserem Geist im Himmel wohnen mögen!« Und in der Postkommunion wünscht die Kirche: »Das möge an uns seine unsichtbaren Wirkungen hervorbringen, was wir unter sichtbaren Geheimnissen zum Genuss empfangen haben.« In der Kommunion kehrt Jesus in unsere Seele ein. Indem er sich mit ihr vereint, lässt er sie durch die Hoffnung teilnehmen an der ewigen Glorie, die er selbst in Wirklichkeit besitzt. Es wird uns ja in ihr sogar das Unterpfand der künftigen Glorie gegeben (Antiph. des Fronleichnamsfestes).

O ziehe uns dir nach, du herrlicher allmächtiger Sieger! Lass uns mit dir aufsteigen in den Himmel und droben wohnend in Glaube, Hoffnung und Liebe. Reiße uns los von allem, was vergänglich ist, und lehre uns die wahren Güter suchen, die unvergänglich sind. »Wir möchten dir mit unserm Herzen dorthin folgen, wohin du aufgefahren bist in deiner heiligen Menschheit (S. Gregorius Homilia 29 in Evang. c. 11).« 

4. Die Verherrlichung Jesu weckt in uns wahre Freude

Die fromme Betrachtung der Himmelfahrt Jesu weckt in der gläubigen Seele mancherlei Gefühle. Wenn auch der verklärte Christus keine Verdienste mehr erwerben kann, so hat das Geheimnis seiner Himmelfahrt doch die Wirkung, all jene Gnaden hervorzubringen, die sie bedeutet oder versinnbildet. Die Himmelfahrt bestärkt uns im Glauben an die Gottheit Jesu. Sie vermehrt unsere Hoffnung durch den Blick auf die Herrlichkeit unseres Hauptes, sie regt uns an zur Beobachtung der Gebote, durch welche wir uns die Verdienste erwerben, die ihrerseits wieder die Grundlage unserer zukünftigen Herrlichkeit sind. Auf diese Weise wächst unser Eifer und unsere Liebe. Die Himmelfahrt weckt ferner Staunen über den wunderbaren Triumph des Herrn, sowie Dankbarkeit für die Teilnahme an derselben, die uns Christus gewährt. Sie erhebt unsere Herzen zu den himmlischen Wirklichkeiten und löst uns los vom Vergänglichen, so dass wir »suchen, was droben ist, wo Christus zur Rechten Gottes sitzt. Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was irdisch ist« (KoI 3, 1 ff). Sie macht uns geduldig in den Trübsalen dieser Zeitlichkeit; denn »wenn wir mit Christus leiden, werden wir auch mit ihm verherrlicht werden« (Röm 8,17).

Doch sind es vor allem zwei Gesinnungen, die der andächtigen Betrachtung dieses Geheimnisses in überreichem Maße entströmen und das Ackerland der Seele wunderbar befruchten: Freude und Vertrauen.

Weshalb freuen wir uns am Himmelfahrtsfest ? Der Heiland selber hat vor seinem Abschied zu den Aposteln gesprochen: »Wenn ihr mich liebtet, würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater gehe.« Auch zu uns spricht Jesus diese Worte. Wenn wir ihn lieben, so müssen wir uns freuen über seine Verherrlichung, uns freuen, dass sein Lauf vollendet und er aufgestiegen ist zur Rechten des Vaters, um dort erhöht zu werden in den höchsten Himmel, wo er als Lohn für sein Leiden und seine Todespein ewige Ruhe und unermessliche Glorie genießt. Im Schoß der Gottheit umfängt und durchdringt ihn auf ewig eine Seligkeit, die unser Geist nicht zu ahnen vermag, und ihm ist die höchste Gewalt gegeben über die gesamte Schöpfung.

Wer sollte sich daher nicht freuen, dass dem Heiland im weitesten Umfang Gerechtigkeit widerfährt von seinem himmlischen Vater?

Deshalb lädt die Kirche in ihrer Liturgie uns ein, mit heiliger Freude die Erhöhung ihres Bräutigams, unseres geliebten Erlösers, zu feiern. Sie ruft alle Völker der Erde auf zu mächtigem Preisgesang und immer neu erschallendem Jubel. »Ihr Völker all, klatscht in die Hände und jauchzt: Gott im Schall des Frohlockens ... Gott steigt empor, umrauscht von Siegesklängen, der Herr im Schall der Posaunen. Singt unserm Gott, lobsingt unserem König, singt weise! Gott ist König Über alle Heiden, auf seinem heiligen Thron sitzt der Herr« (Ps 95, 1 ff). »Hochpreiset den König aller Könige, im Jubellied lobt unseren Gott (Vierte Laudesantiph. des Festes Christi Himmelfahrt).« 

Dann wendet sich die Kirche an die Chöre der seligen Geister. »Erhebt eure Zinnen, ihr Tore, reckt euch, ihr uralten Pforten! Denn einziehen will der König aller Herrlichkeit. Er ist der Herr, der Mächtige und Starke; er ist der Herr, der Held im Krieg.« Die Engelscharen aber fragen: »Wer ist dieser König der Herrlichkeit?« »Er ist der Herr der Heerscharen, er allein ist der König der Herrlichkeit« (Ps 23, 7 ff). Und endlich ruft die Kirche dem Heiland selber zu in Klängen himmlischer Poesie, die sie der Harfe Davids abgelauscht hat. »Erhebe dich, o Herr, in deiner Kraft, dann wollen wir singen und spielen dir zum Preis deiner Taten« (Ps 21, 14). »Denn deine Herrlichkeit, sie ist erhöht im Himmel« (Ps 8, 2), hin über Himmelsweiten ausgebreitet. »Die Wolken machst du dir zu deinem Wagen, auf Sturmesfittichen fährst du dahin, in Glanz und Pracht bist du gekleidet, in Licht gehüllt gleichwie in ein Gewand« (Ps 104, 1 ff). O freuen wir uns aus Herzensgrund! Wir alle, die wir Jesus lieben, müssen von tiefer und inniger Freude erfüllt sein, da wir ihn in seiner Auffahrt betrachten und uns gedrängt fühlen, dem Vater für die Herrlichkeit zu danken, die er seinem Sohn verliehen hat, und Jesus, unsern Heiland, zu preisen und zu beglückwünschen. Ja, freuen wir uns aus ganzer Seele; denn der Sieg und die Verherrlichung Jesu sollen einst auch unser Anteil sein.

»Ich fahre hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott« (Joh 20,17). Jesus geht uns nur voraus, er trennt sich nicht von den Seinen, und die Seinen werden nicht von ihm getrennt. Wenn er einzieht in das Reich seiner Herrlichkeit, so geschieht es nur, um uns in den zahlreichen Wohnungen seines Vaterhauses eine Stätte zu bereiten. Er verheißt uns, dass er wiederkommen und uns zu sich nehmen wird, damit auch wir seien, wo er ist (Joh 14, 3). In gewissem Sinne, nämlich von Rechts wegen, weilen wir also schon jetzt bei Jesus in der Herrlichkeit, bis er dereinst uns heimholt in den wirklichen Besitz des ewig seligen Lebens. Nicht umsonst hat er den Vater gebeten: »Lass jene, die du mir gegeben hast, bei mir dort sein, wo ich bin« (Joh 17, 24)! Wie wunderbar ist die Kraft dieses Gebetes! Wie kraftvoll die Lieblichkeit dieser Verheißung!

Lassen wir unser ganzes Herz überströmen von solch geistiger Freude! Nichts anderes vermöchte die Seele derart innerlich zu ergreifen, dass sie in Hochherzigkeit voraneile auf den Pfaden des Herrn. »Die Wege deiner Satzungen will ich laufen; denn du hast weit gemacht mein Herz« (Ps 119, 32). Bitten wir den Herrn mit den wunderbar innigen Anmutungen des kirchlichen Festhymnus: »Sei unser Glück auf Erden schon, sei einst im Himmel unser Lohn. In dir sei unsre Herrlichkeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit.« 

5. Warum dieses Fest der Himmelfahrt Christi uns mit unerschütterlichem Vertrauen erfüllen soll: Christus geht in das Allerheiligste ein als ewiger Hohepriester und verbleibt dort als einziger Mittler

Dieser tiefen Herzensfreude muss sich das unerschütterliche Vertrauen gesellen, das sich stützt auf den allmächtigen Einfluss Christi bei seinem himmlischen Vater, den er genießt nicht bloß als unüberwindlicher König, der in seine Siegesfreude eingegangen ist, sondern vor allem als Hohepriester, der vermittelnd für uns bittet, nachdem er dem Vater ein Opfer von unendlichem Wert dargebracht hat. Dieses sein hochheiliges Mittleramt hat aber Jesus in ganz vorzüglicher Weise angetreten am Tag seiner glorreichen Himmelfahrt.

Es ist dies eine ganz innerliche, tiefbedeutsame Seite des Festgeheimnisses, in deren Betrachtung zu verweilen der Seele von hohem Nutzen ist. Der hl. Paulus selbst weist darauf hin, wenn er an die Hebräer von einem Worte spricht, »das schwer verständlich zu machen ist« (Hebr 5,11).

Wenn nun im Anschluss an den Apostel versucht wird, dieses »kaum wiederzugebende« Wort dennoch einigermaßen zu erklären, so möge der Hl. Geist dazu seine Gnade geben und uns gewähren, ahnend zu begreifen, wie wunderbar die Werke Gottes sind.

Der hl. Paulus erinnert zunächst an die heiligen Riten und Gebräuche, die mit dem feierlichen Opfer des Alten Testamentes verbunden waren. Er tut dies offenbar deshalb, weil er sich an Juden wendet und in einer Sprache reden will, die von seinen Zuhörern verstanden wird; doch ist noch ein tieferer Grund, den der Apostel selbst andeutet, nämlich die enge und geheimnisvolle Beziehung, die Gott selbst hergestellt hat zwischen den alttestamentlichen Opfergebräuchen und dem Opfer Christi. Welcher Art sind diese Beziehungen?

Gott umspannt in ewigem Vorauswissen alle Jahrhunderte der geschaffenen Zeit. Er ist die ewige Weisheit und ordnet alle Dinge nach Zahl und Maß in vollkommener Harmonie. Er hat gewollt, dass sowohl die wichtigsten Ereignisse in der Geschichte des auserwählten Volkes als auch die Opfer, wodurch er die Gottesverehrung der Juden regelte, unvollkommene Vorbilder und dunkle Symbole seien, die mit der Ankunft des Erlösers von hehren Wirklichkeiten verdrängt werden sollten. »All das, was ihnen widerfuhr, war vorbildlich« (1 Kor 10, 2), war »Schatten von dem, was kommen sollte« (Kol 2,17).

Deshalb legt der Apostel den Nachdruck vorerst auf das Opfer der Juden. Er tut es nicht etwa bloß, um einen hinfälligen Vergleich anzustellen, der seinen Zuhörern das Verständnis der Darlegung erleichtern soll, sondern ausdrücklich darum, weil der Alte Bund gleichsam in Schattenrissen die Herrlichkeit des Neuen Bundes, den Christus gestiftet hat, voraus verkündete. So spricht der Apostel von der Anlage und der Einrichtung des Tempels von Jerusalem, die Gott selbst bis ins kleinste angeordnet hatte. Zuerst wurde das Zelt erbaut, das das Heilige heißt. In ihm standen der Leuchter, der Tisch und die Schaubrote. Hinter dem zweiten Vorhang war der Teil des Zeltes, den man das Allerheiligste nannte. Darin stand der goldene Rauchopferaltar und die mit Gold bekleidete Bundeslade (Hebr 9, 2 ff). Das Allerheiligste war der erhabenste Ort auf Erden, der Mittelpunkt, auf den die gesamte Gottesverehrung in Israel hinzielte und wohin die Blicke, Hände und Herzen aller im Judenvolk gerichtet waren. Gottes Majestät hatte ja dort ihren Wohnsitz aufgeschlagen. Jahwe hatte verheißen, dass »sein Auge und sein Herz dort selbst wohnen würden allezeit«. Dort nahm er die Huldigungen Israels entgegen, dort segnete er die Opfer, erhörte er das Flehen und trat gleichsam in lebendige Berührung mit seinem Volk.

Diese Berührung aber vollzog sich nur durch Vermittlung des Hohepriesters. Ihm allein war der Zutritt gestattet. So furchtbar war die Erhabenheit des Zeltes, wo Gott thronte, dass jedem anderen Sterblichen der Eintritt bei Todesstrafe verwehrt war. Der Hohepriester selbst durfte nur eintreten, angetan mit seinen hohepriesterlichen Gewändern und indem er auf der Brust das Ephod trug mit den zwölf Edelsteinen, auf denen die zwölf Stämme Israels eingeschrieben waren. Nur in dieser sinnbildlichen Form hatte das Volk Zutritt in das Allerheiligste des Tempels. Aber auch der Hohepriester durfte nur einmal im Jahr den Vorhang durchschreiten, der das Allerheiligste verbarg, und zwar musste er zuvor zwei Opfertiere geschlachtet haben, eines für seine eigenen Sünden, das andere für die Sünden des Volkes. Mit dem Blut dieser Sühneopfertiere, das er hineintrug, besprengte er dann die Sühnstätte, wo die Majestät Gottes sich niedergelassen hatte, während die Leviten und das Volk die Vorhöfe füllten. Durch dieses feierliche Opfer brachte der Hohepriester der jüdischen Religion einmal im Jahr im Allerheiligsten des Tempels Gott die Anbetung des gesamten Volkes und das Blut der Sühneopfertiere dar. Dieses Opfer war die höchste und erhabenste Handlung seines hochpriesterlichen Amtes.

All dieses aber war nach den bereits angeführten Worten des hl. Paulus »nur Sinnbild für die gegenwärtige Zeit« (Hebr 9, 9), und zwar ein höchst unvollkommenes Sinnbild. Das Opfer als solches war so unwirksam, dass es jedes Jahr erneuert werden musste. Der Hohepriester war so beschränkt in seiner Macht, dass es ihm nicht freistand, den Eingang zum Heiligtum auch dem Volk zu öffnen, das er vertrat. Überdies durfte er selber nur einmal im Jahr eintreten und dann gleichsam beschützt durch das Blut der Opfer, die er für seine eigene Schuld hatte darbringen müssen.

Wo aber ist die Wirklichkeit? Welches ist das einzige, das vollkommene Opfer, das auf immer an die Stelle dieser ungezählten und dennoch unwirksamen Opfergaben treten sollte?

Wir finden es in Christus, und zwar in unvergleichlicher Fülle und Vollendung. »Christus«, sagte der Apostel, »ist der wahre Hohepriester, und zwar ein Hohepriester, der da heilig ist, schuldlos rein, nicht aus Zahl der Sünder« (Hebr 7, 26), sondern »über alle Himmel erhaben« (Hebr 9,11). »Er trat durch ein höheres und vollkommeneres Zelt, das nicht von Menschenhand gemacht, in das Allerheiligste der Gottheit hinter den Vorhang« (Hebr 6,19). Und wie der Hohepriester des Alten Bundes so trug auch er Opferblut in seinen Händen. Doch nicht »das Blut von Böcken und Stieren, sondern sein eigenes Blut« (Hebr 9,12) von unermesslichem, ewig nie sich minderndem Wert. Er hat es draußen, d. h. auf Erden vergossen nicht bloß für das Volk Israel, sondern für die Erlösung der ganzen Menschheit. Er trat ein in das Allerheiligste durch den lebendigen Vorhang seiner heiligsten Menschheit. So hat er einen neuen Weg eingeweiht und ist uns vorausgegangen durch sein Fleisch (s. Hebr 10,20). Endlich tritt er nicht mehr bloß einmal im Jahr ein wie der aaronitische Hohepriester, sondern »ein für alle Mal« (Hebr 9,12). Und dieses einzige Opfer ist vollkommen und von unendlichem Wert, so dass es alle Zwecke der Erlösung verwirklicht hat. »Mit dem einen Opfer hat er für immer die zur Vollendung geführt, die sich heiligen lassen« (Hebr 10,14).

Das wunderbarste jedoch an diesem Werk Gottes, das, was die Wirklichkeit weit hinaushebt über jedes Vorbild, ist die Tatsache, dass Christus nicht allein ist, wenn er durch den Vorhang tritt. Unser Hohepriester trägt die ganze Menschheit mit sich nicht nur sinnbildlich, sondern in voller Wahrheit. Denn wir sind seine Glieder oder wie der Apostel sich ausdrückt, seine »Fülle« (Eph 1, 23).

Vor Christus konnte niemand in den Himmel eingehen. Diese Tatsache ward versinnbildet in dem mit furchtbarem Ernst eingeschärften Verbote, den Schleier des Allerheiligsten zu durchschreiten. Nach dem Ausspruch des Apostels hatte der Hl. Geist selber angedeutet, dass der Zugang zum Allerheiligsten nicht offen stehe (Hebr 9, 8). Durch seinen Tod aber hat Jesus Christus die Menschheit mit dem Vater versöhnt. Mit seinen durchbohrten heiligen Händen hat er gleichsam unsere Verbannungsurkunde zerrissen (vgl. KoI 2,14). Als er den Geist aufgab, zerriss der Vorhang des Tempels in zwei Stücke von oben bis unten. Dieses Wunder sollte nicht nur anzeigen, dass der Alte Bund mit dem Judenvolk aufgehört habe, dass alle Vorbilder der hohen und heilkräftigen Wirklichkeit gewichen seien, sondern vor allem dieses, dass Christus durch seinen Opfertod uns die Pforten des Himmels erschlossen und den Eintritt in unser heiliges Erbe wieder zurückgegeben hat.

Am Tag seiner Himmelfahrt, hat Christus als Hohepriester der gesamten Menschheit uns dem Anrecht und der Hoffnung nach mit sich in die himmlische Herrlichkeit versetzt. Wir dürfen es nie vergessen, dass wir nur durch ihn Einlass finden können; denn kein geschaffenes Wesen kann zur Seligkeit gelangen anders als nur in der Gefolgschaft Jesu. Der Schatz seiner Verdienste hat uns die unendliche Beseligung erkauft. Durch alle Ewigkeit dürfen wir ihm jubelnd zurufen: O Christus Jesus, durch deine Verdienste, durch dein für uns Vergossenes, kostbares Blut stehen wir vor Gottes Angesicht! Dein Opfer, deine Hingabe haben uns jeden Augenblick diese unsere Glorie und Seligkeit erkauft. Dir allein, dem für uns geopferten Gotteslamm, sei alle Ehre, alles Lob und alle Danksagung.

Bis zu dem Tage, da er wiederkommt um uns heimzuführen, bereitet Jesus uns eine Wohnung, wie er selbst es verheißen hat, und, solange wir noch hienieden kämpfen, hilft er uns durch seine Fürbitte.

Denn was tut Christus, unser Hohepriester, im Himmel? Der hl. Paulus gibt uns die Antwort: »Er ist eingegangen, um nunmehr vor dem Angesicht Gottes für uns einzutreten« (Hebr 9, 24). Sein Priestertum ist ewig, ewig daher auch seine Mittlerschaft. Und welch unendliche Macht birgt seine Fürbitte!

Er steht vor seinem ewigen Vater und stellt ihm unablässig sein Opfer vor Augen in den heiligen Wundmalen, die er auch im Himmel noch tragen wollte. Er »lebt ja immerdar um für uns einzutreten« (Hebr 7, 25). Er ist der Hohepriester, der allezeit Erhörung findet und wiederholt für uns das hohepriesterliche Gebet, das er beim letzten Abendmahl für die Seinen empor gesandt hat. »Vater ... für sie bitte ich ... sie aber bleiben in der Welt ... bewahre sie, die du mir gegeben hast ... dies rede ich ... damit meine Freude vollkommen die ihre sei. Vater, lass jene, die du mir gegeben hast, bei mir dort sein, wo ich bin, damit sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir verliehen hast, ... damit die Liebe mit der du mich geliebt hast, in ihnen sei und ich in ihnen« (Joh 17, 9.11 ff).

Sind diese herrlichen Wahrheiten unseres Glaubens nicht dazu angetan, unerschütterliches Vertrauen in der Seele zu wecken? Wir Kleingläubigen, was sollten wir fürchten? Sollten wir nicht weit eher alles erhoffen. Jesus betet für uns, er betet unablässig. »Nun heiligt schon das Blut von Böcken und Stieren und die Asche einer Kuh, womit man die Unreinen besprengt, dass sie äußerlich rein werden, um wie viel mehr wird das Blut Christi, der kraft seines ewigen Geistes sich selbst als makelloses Opfer Gott dargebracht hat, euer Gewissen von toten Werken reinigen, damit ihr dem lebendigen Gott dient« (Hebr 9, 13 ff).

Setzen wir doch unbedingtes Vertrauen in das Opfer, die Verdienste und das Gebet unseres göttlichen Hohepriesters ! Am Tage seiner Himmelfahrt ist Christus eingegangen in den Himmel, feierlich hat er auch sein ewiges Mittleramt angetreten.

Er ist der vielgeliebte Sohn, an dem der Vater sein Wohlgefallen hat. Wie sollte sein Flehen nicht erhört werden, da er doch in seinem Opfer dem Vater so unendliche Liebe gezeigt hat?

»O himmlischer Vater! Siehe auf deinen Sohn! Schaue auf seine Wunden, blicke in das Antlitz deines Gesalbten! Durch ihn und in ihm verleihe uns, einstens dort zu weilen, wo er weilt, damit wir durch ihn und in ihm und mit ihm dir alle Ehre und Herrlichkeit erweisen in Ewigkeit!« 

6. Wir sollen auf Christus uns stützen, damit er uns »bewahre vor dem Bösen« in den Trübsalen und Heimsuchungen dieser Zeitlichkeit

In den Tagen der Himmelfahrtsoktav, zumal beim Empfang der hl. Kommunion, sollen wir Geist und Gemüt ganz und gar diesen Gesinnungen der Freude und des Vertrauens hingeben. Wenn wir den Herrn in unser Herz aufnehmen, werden wir ihm einverleibt. Christus ist in uns, wir in ihm, und so stehen wir vor dem Angesicht des Vaters. Wohl sehen wir das alles nicht; aber der Glaube sagt uns, dass wir mit Jesus vor Gott stehen und durch Jesus dem Vater dargestellt werden. Mit ihm sind wir im Schoß des Vaters, im Heiligtum der Gottheit. Darin besteht für uns Christen die geheimnisvolle Gnade der Himmelfahrt, dass wir durch den Glauben teilnehmen an der unaussprechlich innigen Gemeinschaft, die Jesus im Himmel mit seinem Vater verbindet.

Im Leben der hl. Gertrud wird erzählt, dass sie einst am Fest der glorreichen Himmelfahrt, als der heilige Leib des Herrn zur Kommunion ihr gebracht wurde, Jesus sprechen hörte: »Siehe, ich komme jetzt zu dir, meine Braut, nicht nur um dir Lebewohl zu sagen, sondern auch um dich mit mir zu nehmen und Gott meinem Vater, vorzustellen (Gesandter der göttlichen Liebe, 4. Bd. 36. Kap.).« Gestützt auf ihren Herrn, ist die Seele allvermögend; denn Christus schenkt ihr alle seine Schätze und Güter. »Wer ist jene, die herauskommt aus der Wüste, von Wonne überströmend und auf ihren Geliebten gelehnt« (Hld 8, 5)?

Möchten wir doch jederzeit unserem Gott nahen ohne Furcht und Bangen, wie armselig und schwach wir auch sein mögen! Durch die Gnade unseres Erlösers und mit ihm können wir immerdar wohnen im Schoß unseres Vaters, der im Himmel ist.

Aber stützen wir uns auf Christus nicht nur im Gebet, sondern auch in unserem gesamten Tun und Lassen und wir werden stark sein. Ohne ihn vermögen wir nichts, mit ihm aber alles. »Ohne mich könnt ihr nichts tun« (Joh 15, 5)! »Alles vermag ich in dem, der mich stärkt« (PhiI 4, 13). Christus ist für uns die Quelle fester Zuversicht und innigen Vertrauens, der wirksamste Beweggrund zu Treue und Geduld in allen Trübsalen, Widerwärtigkeiten, Heimsuchungen und Leiden dieser Pilgerschaft bis ans Ende unserer irdischen Verbannung.

Am Schluss seines sterblichen Lebens, in der Stunde des Abschieds erhebt Jesus seine Stimme zu Gott, seinem Vater, in feierlichem Bittgebet. »Vater««, spricht er, »solange ich bei ihnen war, bewahrte ich sie in deinem Namen. Nun komme ich zu dir. Ich bitte nicht, nimm sie hinweg aus der Welt, sondern behüte sie vor dem Bösen« (Joh 17, 12 ff). Welch wahrhaft göttliche Fürsorge und Zärtlichkeit spricht aus diesem Gebet! Der Heiland hat es für uns alle zum Vater empor gesandt. Und die Kirche, die stets den Gesinnungen ihres göttlichen Bräutigams Ausdruck verleiht, hat dieses Abschiedsgebet dem Stillgebet der Messe von Christi Himmelfahrt zugrunde gelegt: »Nimm an, o Herr, die Gaben, die wir zur Feier der hochherrlichen Himmelfahrt deines Sohnes dir darbringen und lass uns, von den Gefahren der Gegenwart befreit, zum ewigen Leben gelangen durch denselben Christus, unsern Herrn.« 

Weshalb legt uns die heilige Kirche gerade dieses Gebet Christi auf die Lippen? Weil es gar viele Hindernisse gibt, die uns auf dem Wege zu Gott aufhalten, aber alle nichts anderes sind als die Sünde, durch die wir uns von Gott abwenden. Der Heiland bittet für uns, dass wir bewahrt bleiben vom Bösen, d. h. von der Sünde; denn nur sie ist in Wahrheit das einzige Übel, weil sie uns von Gott trennt. Wenn nun der Mensch sich selbst überlassen bleibt, so ist er unfähig, diese Hindernisse zu überwinden. Er kann das nur, wenn er die allen Menschen angeborene Schwäche auf Christus stützt. Christus steigt heute glorreich in den Himmel auf als Überwinder von Welt und Hölle. »Seid getrost, ich habe die Welt überwunden« (Joh 16, 33). »Der Fürst der Welt hat auf mich kein Anrecht« (Joh 14, 30). »Er geht als allmächtiger Hohepriester in den Himmel ein durch sein Opfer« (Hebr 9, 26). Durch die hl. Kommunion aber schenkt er uns Anteil an seinem Sieg und an seiner Macht. Darum sollen wir uns einzig auf ihn stützen.

Christus opfert für uns dem Vater seine Verdienste auf. Ist er mit uns, dann gibt es keine Versuchung, die wir nicht überwinden, kein Kreuz, das wir nicht tragen und keine vergängliche Freude, der wir nicht entsagen könnten. Wir warten Tag um Tag, bis wir einst droben mit Christus vereint werden oder besser gesagt, bis Christus selber kommt uns abzuholen; er ist doch nur deswegen vorausgegangen, um uns einen Ort zu bereiten. In dieser Erwartung leben wir hier aus dem Glauben an die unbegrenzte Macht seiner Fürbitte, durch die Hoffnung, einst seine Seligkeit zu teilen und durch die Liebe, die uns freudig antreibt, mit Großmut und Treue freudig und in allem seinem Willen ergeben zu sein und seiner Majestät mit lauterem Herzen zu dienen (Vgl. die Oration des Sonntags in der Himmelfahrtsoktav); auf solche Weise werden wir dann in reichstem Ausmaß teilnehmen am Geheimnis der wunderbaren Himmelfahrt Jesu selber, werden »dem Geiste nach in den himmlischen Gefilden wohnen« (Oration des Festes Christi Himmelfahrt).

XVII. DIE SENDUNG DES HL. GEISTES (Pfingsten)

Inwiefern die sichtbare Herabsendung des HI. Geistes auf die Apostel den Geheimnissen des Herrn zugezählt wird

»Wenn ihr mich liebtet««, sprach Jesus zu den Aposteln »würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater gehe« (Joh 14, 28). Für alle, die den Herrn lieben, ist seine Himmelfahrt in der Tat eine unversiegbare Quelle von Freude! Sie ist ja die endgültige Erhöhung Christi über alle Himmel und die Erfüllung seines Gebetes: »Vater, verherrliche mich bei dir mit jener Herrlichkeit, die ich hatte, ehe die Welt war« (Joh 17, 5). Wir jubeln und frohlocken, wenn wir Jesus, den Gottessohn, das Haupt und den Erlöser unseres Geschlechtes betrachten, sitzend zur Rechten des Vaters, nachdem er durch die Erniedrigungen seiner Menschwerdung und seines bitteren Todes seine Heilssendung hienieden erfüllt hat.

Der göttliche Heiland hat aber zu seinen Jüngern nicht bloß gesagt: »Meine Himmelfahrt muss euch freuen«, er hat auch hinzugefügt: »Sie wird euch von Nutzen sein.« »Es ist gut für euch, dass ich hingehe. Denn gehe ich nicht hin, so wird der Beistand nicht zu euch kommen; gehe ich aber hin, so werde ich ihn euch senden« (Joh 16, 7).

Jeder Ausspruch des menschgewordenen Wortes ist »Geist und Leben« (Joh 16, 24). Der Herr sagt es selbst! Seine Worte sind ernst und tief, manchmal geheimnisvoll, andere sind dunkel und unverständlich, so dass man nur im Gebet ihren Sinn ergründen kann. Solcherart sind die Worte Jesu über seinen Abschied von der Erde.

»Es ist gut für euch, dass ich hingehe.« Wie ist das zu verstehen? Wie kann es gut sein für die Jünger, wenn Jesus sie verlässt und heimkehrt zum Vater? Ist er nicht für sie der Inbegriff aller Güter, die Ursache aller Gnaden? »Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben« (Joh 14, 6), und er selbst hat gesagt »Niemand kommt zum Vater als durch mich« (Joh 14, 6). Wie soll es daher den Jüngern nützlich sein, wenn er sie verlässt?

Hätten sie ihm nicht in aller Wahrheit sagen können: »Sprich doch nicht also, göttlicher Meister! Wir bedürfen deiner so notwendig. Dich wollen wir und niemand anderen!« »Zu wem sollen wir gehen« (Joh 6, 69)? In dir haben wir alles! »Herr, bleib bei uns« (Lk 24, 29)!

Das Wort des göttlichen Meisters aber ist klar und deutlich: »Ich sage euch die Wahrheit, es ist gut für euch, dass ich hingehe.« Ich darf nicht länger bei euch verweilen, sondern ich muss zurückkehren in den Himmel, damit ich euch den Hl. Geist senden kann.

Hier also liegt das Geheimnis und dieses Geheimnis wollen wir nun betrachten, soweit dies überhaupt möglich ist; denn hier ist alles übernatürlich und nur der Glaube vermag uns dabei zu leiten.

Wenn nun in der folgenden Erwägung nur vom Hl. Geiste die Rede ist, so werden wir doch sehen, dass die sichtbare Sendung des Hl. Geistes auf die Jünger, die den Hauptinhalt des Pfingstgeheimnisses bildet, unserm Herrn und Heiland zugehört, und zwar seiner göttlichen Natur nach, ebenso wie sie auch dem Vater zugehört; so kommt es, dass diese Sendung einzubeziehen ist in den Kreis der Geheimnisse des Herrn. Zunächst einmal deshalb, weil Christus um diese Sendung gebetet, ja sie zum Gegenstand einer besonderen Bitte gemacht hat. Beim letzten Abendmahl sprach er zu den Jüngern: »Ich will den Vater bitten, dass er euch einen andern Beistand gebe, der in Ewigkeit bei euch bleibe, den Geist der Wahrheit« (Joh 14, 16 ff).

Darum, weil Jesus den Aposteln verheißen hat, dass er ihnen den Hl. Geist senden werde; »wenn der Beistand kommt, den ich vom Vater senden werde, der Geist der Wahrheit, so wird er über mich Zeugnis ablegen« (Joh 15, 26). »Gehe ich aber hin, so werde ich ihn euch senden« (Joh 16, 7).

Weiterhin hat Jesus diese Sendung auch selbst für uns verdient. Durch sein Gebet und durch sein Opfer hat Jesus vom Vater erwirkt, dass der Geist der Wahrheit und Liebe, der Stärke und des Trostes auf die Apostel ausgegossen werde. Jegliche Gnade ist erworben worden durch das Gebet und den Opfertod des Erlösers. Wie wunderbar trifft das zu in der Herabkunft des Hl. Geistes, der so mächtig und so voll der Güte ist, dass Jesus ihn sich selbst gleich stellt und die Apostel in ihm ihren göttlichen Meister wieder finden!

Endlich aber und vor allem hat die Sendung des Hl. Geistes auf die Apostel den Zweck, die Einsetzung der Kirche zu vollenden. Jesus hat seine Kirche auf Petrus gegründet. Die Sorge für die Ausgestaltung und Vollendung derselben jedoch wollte er dem Hl. Geiste überlassen. Vor seiner Himmelfahrt, als der Heiland mit seinen Jüngern zu Tisch saß, gebot er ihnen, von Jerusalem nicht wegzugehen, sondern die Verheißung des Vaters abzuwarten (Apg 1, 4). Die Herabkunft des Hl. Geistes sollte der Verherrlichung Jesu dienen. Zugleich aber sollte dieser himmlische Tröster die Jünger mit Kraft erfüllen, damit sie die Zeugen Jesu sein könnten in Jerusalem und in ganz Judäa und Samaria, ja bis an die Grenzen der Erde. So hatte der Herr selber es vorhergesagt.

Die Sendung des Hl. Geistes ist also wahrhaft das Werk Jesu Christi. Das ist so wahr, dass der hl. Paulus den Hl. Geist geradezu den »Geist Christi, den Geist Jesu« (Röm 8, 9; Apg 16,17) nennt. Darum ist es unmöglich, die Reihenfolge der Geheimnisse Christi zu durcheilen, ohne das herrliche Wunder zu betrachten, das sich zehn Tage nach der Himmelfahrt des Herrn zugetragen hat.

Der Hl. Geist selber möge uns zu erkennen geben, wer er ist und worin seine Sendung und sein Werk am hoch heiligen Pfingstfest bestehen! Komm, o Geist der Wahrheit, erleuchte unseren Verstand, damit unser Herz entzündet werde vom Feuer jener Liebe, deren unendlicher Glutherd du selber bist!

1. Der HI. Geist im Schoß der hlst. Dreifaltigkeit

Wir werden die Worte des Herrn über den HI. Geist nur dann richtig verstehen, wenn wir uns zunächst klar zu werden suchen über die kirchlich geoffenbarte Lehre vom Leben der dritten göttlichen Person im Schoß der heiligsten Dreifaltigkeit. Wir haben dieses Geheimnis schon betrachtet, doch wird es unsere Glaubensfreudigkeit nur vermehren, wenn wir es neuerdings zu erwägen suchen. Wir wollen daher mit großer Ehrfurcht in das Heiligtum der Gottheit eintreten.

Der Glaube lehrt uns, dass in Gott drei Personen sind von einer Natur und Wesenheit, der Vater, der Sohn und der Hl. Geist. Der Vater geht von niemand aus. Er ist der Anfang ohne Anfang, die erste Grundursache des inneren Lebens in Gott, der erste Ursprung aller unaussprechlichen Mitteilungen in der Dreifaltigkeit. Der Vater erkennt sich selbst und erzeugt durch ein unendliches Wort einen einzigen und vollkommenen Sohn, dem er sein ganzes Wesen mitteilt, ausgenommen die persönliche Eigentümlichkeit des Vaterseins. »Denn wie der Vater das Leben in sich selbst hat, so hat er auch dem Sohn verliehen, das Leben in sich selbst zu haben« (Joh 5, 26). Der Sohn ist in allem dem Vater gleich. Er ist der völlig erschöpfende Ausdruck, das vollkommene Gleichbild des Vaters und besitzt mit ihm die gleiche göttliche Natur. Der Vater und der Sohn schenken sich einander gegenseitig in vollkommener Liebe und aus dieser Schenkung der Liebe des Vaters zum Sohn und des Sohnes zum Vater, aus Diesem gemeinschaftlichen Erguss ihrer wechselseitigen Liebe geht auf geheimnisvolle Weise der Hl. Geist hervor. Diese dritte göttliche Person, der Hl. Geist, schließt den Kreis der Tätigkeiten im innergöttlichen Leben. Er ist das Endziel der göttlichen Mitteilungen in der anbetungswürdigen Dreifaltigkeit.

Zwischen diesen voneinander unterschiedenen Personen besteht weder ein Verhältnis der Überordnung noch der Unterordnung. Solches zu glauben wäre ein schwerer Irrtum. Alle drei sind einander gleich in Allmacht, Weisheit und Güte; denn alle drei besitzen in gleicher unteilbarer Einheit die nämliche göttliche Natur mit allen ihren unendlichen Vollkommenheiten. Daher richtet sich die ungeteilte Huldigung unseres Lobpreises gleicherweise an den Vater, den Sohn und den Hl. Geist. »Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Hl. Geist.« 

Wenn nun aber zwischen den göttlichen Personen weder Ungleichheit noch Abhängigkeit besteht, so gibt es doch eine Ordnung der Natur und des Ursprungs, welche die lebendigen Beziehungen in Gott selbst bezeichnet. Der Ausgang des Sohnes setzt als erste Grundursache den Vater voraus, doch ohne irgendeine Ungleichheit der Zeit; und der »Ausgang des Hl. Geistes« setzt den Vater und den Sohn voraus, deren wechselseitige Gabe der Hl. Geist ist.

Die hierfür übliche Ausdrucksweise ist bindend für den Christen. Der Heiland will, dass alle seine Jünger getauft werden »im Namen des Vaters; des Sohnes und des Hl. Geistes« (Mt 28,19). Dieses Gebot des Gottessohns enthält eine göttliche Wahrheit, deren innerstes Verständnis sich der menschlichen Erkenntnis entzieht. Weil es aber die Sprache Jesu ist, müssen wir unverbrüchlich an dieser Reihenfolge der Personen in der allerheiligsten Dreifaltigkeit festhalten. Ebenso wie wir verpflichtet sind, in Lehre und Gebet die unverletzte Einheit der Natur zu bekennen, ebenso müssen wir auch glauben an die Verschiedenheit der Personen, die sich gründet auf ihre Mitteilungen untereinander und auf ihre gegenseitigen Beziehungen. Es herrscht Gleichheit und doch eine bestimmte Ordnung: Gleichheit in der Vollkommenheit und Unterscheidung der kennzeichnenden Merkmale der Personen.

Diese Wahrheiten bilden ein unerforschlich hehres Geheimnis, von dem wir nur stammelnd zu reden vermögen. Dennoch hat der göttliche Heiland uns dieses Geheimnis kundgetan, und zwar in der Abschiedsrede an seine Jünger am Vorabend seines Todes, »damit unsere Freude vollkommen werde« (Joh 15,11). Er sagt geradezu, dass wir deshalb seine Freunde seien, weil er uns eingeführt habe in die Geheimnisse des innergöttlichen Lebens als Vorgeschmack der Seligkeit, die uns droben ewig umfangen soll. Jesus, die ewige Weisheit, hätte uns dieses Geheimnis nicht geoffenbart, wenn er nicht gewusst hätte, dass diese Offenbarung uns zum höchsten Nutzen gereichen werde.

Gott hat uns aber diese Reihenfolge des Ursprungs, die in den geheimnisvollen Mitteilungen der Personen untereinander besteht und worauf die Verschiedenheit dieser Personen beruht, nicht nur durch sein Wort geoffenbart, er hat sie auch durch seine Werke kundgetan.

Jesus sagt im Evangelium: »Das aber ist das ewige Leben, dich zu erkennen, den allein wahren Gott und den du gesandt hast, Jesus Christus« (Joh 17, 3). Der Ausdruck »senden« also, der vom Heiland oft gebraucht wird, bezeichnet den Unterschied der Personen. Der Vater ist es, der sendet. Der Sohn ist es, der gesandt wird. Die Ordnung des Ursprungs, die von Ewigkeit zwischen Vater und Sohn besteht, ist mithin in der Zeit in die äußere Erscheinung getreten. Denn Jesus sagt ebenfalls im Evangelium, wenn er von seinem Vater redet: »Ich und der Vater sind eins« (Joh 10,30). »Das Meinige ist dein und das Deinige ist mein« (Joh 17,10), insofern nämlich Christus göttliche Person ist; denn seine menschliche Natur, in sich betrachtet, ist geschaffen (In diesem Sinne sagt Jesus an einer anderen Stelle: »Der Vater ist größer als ich« [Joh 14, 28]).

Denselben Ausdruck »senden« gebraucht Jesus, wenn er vom Hl. Geist spricht. Er sagt zu den Aposteln, dass ihnen der Vater in seinem Namen den Beistand senden werde, den Hl. Geist (Joh 14, 26). Er sagt ferner: »Gehe ich aber hin, so werde ich ihn euch senden« (Joh 16, 7). So spricht Jesus vom Hl. Geist und will dadurch die Ordnung anzeigen, die in Gott besteht in der »Sendung des Hl. Geistes«.

2. Warum die Herabkunft des HI. Geistes erst nach der Himmelfahrt Christi stattgefunden hat

Hiermit kommen wir auf die tiefe Ursache, warum Jesus seinen Aposteln sagte, dass er ihnen nach seiner Auffahrt zum Vater den Hl. Geist senden werde.

Jesus Christus ist seiner göttlichen Natur nach zusammen mit dem Vater der Ursprung, aus welchem der Hl. Geist hervorgeht. Die Mitteilung des Hl. Geistes an die Kirche und an die Seelen ist eine unschätzbare Gnade, weil der Hl. Geist die göttliche Liebe in Person ist. Diese Gabe aber, diese Sendung ist uns wie überhaupt jede Gnade von Jesus verdient worden. Sie ist eine Frucht seines bitteren Leidens, erkauft um den Preis der Schmerzen, die Christus in seiner allerheiligsten Menschheit erduldet hat. War es daher nicht geziemend und angemessen, dass die Pfingstgnade der Welt erst erteilt wurde, nachdem die hochheilige Menschheit Christi, die sie erworben hatte, in die Herrlichkeit des Himmels erhoben war? Diese höchste Verherrlichung und Erhöhung der heiligsten Menschheit Jesu aber hat ihren Abschluss, ihre Krönung erst empfangen am Tag der Himmelfahrt. An diesem Tage ist sie in den endgültigen Besitz jener Glorie eingegangen, auf welche sie ein doppeltes Anrecht hatte, als die persönlich mit dem Gottessohn vereinte menschliche Natur und als Opferlamm, das sich selbst dem Vater dargebracht hat, um den Seelen alle Gnade zu verdienen. Die Menschheit des fleischgewordenen Wortes sitzt nunmehr zur Rechten des Vaters in der Herrlichkeit des Himmels und nimmt somit teil an der Sendung des Hl. Geistes, die vom Vater und vom Sohn gemeinsam ausgeht.

Damit erklärt sich auch, warum der Heiland zu den Jüngern gern gesprochen hat: »Es ist gut für euch, dass ich hingehe; denn gehe ich nicht hin, so wird der Beistand nicht zu euch kommen; gehe ich aber hin, so werde ich ihn euch senden.« Es ist, als hätte er gesagt: »Ich habe euch diese Gnade verdient durch mein Leiden; damit sie euch aber geschenkt werden könne, muss auf mein Leiden erst die Verherrlichung folgen. Wenn ich von meinem Vater die Herrlichkeit, die mir gebührt, empfangen habe, wenn ich sitze zu seiner Rechten, dann werde ich euch den Geist alles Trostes senden.« 

Die Kirchenväter (S. S. August, Enarr. in Psalm. 109; Sermones 143 u. 264; S. Leo, Sermo II de Ascensione) führen noch einen anderen Grund an, der sich auf die Jünger bezieht. Am Laubhüttenfeste hatte Jesus einst zu den Juden das geheimnisvolle Wort gesprochen: »Wer an mich glaubt aus dem werden, wie die Schrift sagt, Ströme lebendigen Wassers fließen.« Und der Evangelist fügt erläuternd bei: »Damit meinte der Herr den Geist, den jene empfangen sollten, die an ihn glauben; denn der Geist war noch nicht da, weil Jesus noch nicht verherrlicht war« (Joh 7, 38 ff). Der Glaube also war gleichsam die Ursache der Herabkunft des Hl. Geistes. Solange aber Jesus auf Erden wandelte, war der Glaube der Jünger sehr unvollkommen. Er sollte sich erst entfalten, wenn Jesus durch die Himmelfahrt den leiblichen Augen der Seinen entrückt sein werde. »Weil du mich gesehen hast«, sprach der göttliche Meister nach der Auferstehung zu Thomas, »hast du geglaubt. Selig, die nicht sehen und doch glauben« (Joh 20, 29). Nach der Himmelfahrt wird der schon fortgeschrittenere und besser unterrichtete Glaube der Jünger Christus, den Herrn, schon ferner und höher zu suchen wissen, dort, wo er sitzt zur Rechten des Vaters in gleicher Macht und Herrlichkeit.

Weil nach der Himmelfahrt des Herrn der Glaube der Apostel klarer und innerlicher, lebendiger und wirksamer geworden ist, können die Ströme lebendigen Wassers in reichster Fülle sich ergießen.

Wunderbar fürwahr und der ganzen Freigebigkeit göttlichen Reichtums würdig, hat Jesus seine Verheißungen erfüllt. Zehn Tage nach der Himmelfahrt kam, vom Vater und vom Sohn gesendet, der Geist der Wahrheit und Liebe hernieder auf die Apostel die im Abendmahlsaal versammelt waren, um sie mit der Überfülle seiner Gaben und Gnaden zu bereichern.

3. Vom Werk des Tröster-Geistes in den Aposteln: Er erfüllt sie mit Wahrheit, Liebe, Stärke, Trost

Welcher Art war denn nun das Werk des Hl. Geistes an den Seelen der Apostel am ersten Pfingstfeste?

Um uns einen richtigen Begriff davon machen zu können, müssen wir uns zunächst erinnern an die kirchliche Lehre von der Eigenart der Werke Gottes überhaupt. Alles, was Gott in der Zeit nach außen wirkt, sei es nun im Leben der Übernatur, der Gnade, oder in den Geschehnissen der natürlichen Schöpfung, wird gleichzeitig dem Vater, dem Sohn und dem HI. Geist zugeschrieben, ohne Unterschied der Personen. Die drei göttlichen Personen wirken hier gemeinsam in der Einheit ihrer Natur und Wesenheit. Die Unterscheidung der Personen beruht nur in den unaussprechlich erhabenen gegenseitigen Mitteilungen der göttlichen Personen im innergöttlichen Leben.

Die Kirche aber schreibt in ihrem Sprachgebrauch diese oder jene Handlung einer der drei göttlichen Personen im Besonderen zu wegen der Beziehung, die zwischen dieser Handlung und der ausschließlichen Eigentümlichkeit besteht, wodurch sich diese eine Person von den anderen unterscheidet, und zwar tut sie das, damit wir uns die Offenbarungen über die göttlichen Personen leichter einprägen. So ist Gott, der Vater, der Ursprung, der von keinem andern ausgeht, von dem aber der Sohn und der Hl. Geist ihren Ausgang nehmen. Daher wird dem Vater insbesondere die Schöpfung zugeschrieben, als das Werk, das den Anfang, den Ursprung aller Dinge, bezeichnet. Will das nun sagen, dass der Vater allein erschaffen habe? Keineswegs, sondern der Sohn und der Hl. Geist waren gemeinsam und gleichzeitig mit ihm bei der Erschaffung des Alls beteiligt. Zwischen der besonderen Eigentümlichkeit des Vaters, erster Anfang, Ursprung der Mitteilungen des innergöttlichen Lebens zu sein und der Erschaffung des Weltalls besteht eine Beziehung, kraft welcher die Kirche ohne Irrtum in der Lehre das Werk der Schöpfung dem Vater im Besonderen zuschreiben darf.

Der Sohn, das Wort, ist der unendliche Ausdruck der Selbsterkenntnis des Vaters und deshalb vor allem als die Weisheit angesehen. Ihm werden die Werke zugeeignet, worin diese Vollkommenheit am hellsten erstrahlt, wie die Ordnung und Regierung der Welt. Er ist fürwahr »die Weisheit aus des Höchsten Mund, die da umspannt des Weltalls Rund und ewiger Klugheit Wunder schafft, in Milde süß und stark in Kraft« (Antiph. am 17. Dezember).

Das nämliche Gesetz wendet die Kirche auch auf den HI. Geist an. In der hochheiligen Dreifaltigkeit ist er gewissermaßen der Abschluss, die Krönung und Erfüllung des innergöttlichen Lebens. Er schließt den geheimnisvollen Kreis der wunderbaren innergöttlichen Tätigkeiten ab. Damit wir nun dieser ihm persönlich zukommenden Eigentümlichkeit eingedenk seien, schreibt die Kirche dem Hl. Geiste all das zu, was im Leben der Gnade und Heiligung Abschluss, Krönung, Vollendung bedeutet. Er ist der göttliche Künstler, der »Finger an des Vaters Rechten« (Hymnus: Veni Creator Spiritus), der durch die sanften Berührungen seiner Meisterhand das Kunstwerk der höchsten Vollendung entgegenführt. Es ist somit das Werk des Hl. Geistes in der Kirche wie in der einzelnen Seele, das unablässige Streben nach Heiligkeit zum Ziel und Ende, zur höchsten Vollkommenheit zu führen

Betrachten wir nun kurz das göttliche Wirken des Hl. Geistes in den Seelen der Apostel. Er erfüllte sie mit Wahrheit . Aber hatte das nicht schon der Heiland getan? Hatte nicht Christus selbst gesagt: »Ich bin die Wahrheit« (Joh 14, 6) und war er nicht in die Welt gekommen, »um der Wahrheit Zeugnis zugeben (Joh 18, 37) ? Wir wissen aber aus seinem eigenen Mund, dass er seine Sendung erfüllt hat« (Joh 17, 4). Gewiss! Jetzt aber, da er die Jünger verlassen hat, wird der Hl. Geist sie innerlich belehren. Jesus sagt von ihm ausdrücklich, dass er nicht aus sich selbst reden werde, und deutet damit an, dass der HI. Geist, der durch sein Ausgehen vom Vater und vom Sohn das göttliche Leben empfängt, uns die ewige Wahrheit bringen werde, die er durch seinen unaussprechlichen Ausgang vom Vater und vom Sohn empfängt. »Er wird reden, was er hörte», d. h. die gesamte Wahrheit. »Er wird euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe. Er wird von dem Meinigen nehmen und wird euch verkünden, was künftig ist. Er wird euch zeigen, dass ich aller Ehre würdig bin: Er wird mich verherrlichen« (Joh 14, 26).

Wenn man die Apostel vor die Richter schleppt und ihnen verbietet, im Namen Jesu zu predigen, dürfen sie nicht in Sorge sein, wie oder was sie reden sollen; denn nicht sie sind es, die reden, sondern der HI. Geist, der aus ihnen spricht (Mt 10, 19 f). So werden sie »Zeugnis ablegen« für Jesus. »Wenn der Hl. Geist auf euch herabkommt, werdet ihr die Kraft empfangen, meine Zeugen zu sein ... bis an die Grenzen der Erde« (Apg 1, 8). Und weil die Verkündigung des Namens Jesu durch die Zunge, als das Werkzeug der Sprache, über alle Welt verbreitet werden soll, deshalb kommt der Hl. Geist am Pfingstfest in Gestalt von Zungen auf die Apostel herab. Diese Zungen aber sind Feuerzungen, weil der Hl. Geist kommt, um die Herzen der Jünger mit Liebesglut zu erfüllen. Er ist die persönliche, die wesenhafte Liebe des Lebens in Gott. Er ist aber auch gleichsam der Atem, der belebende Hauch der unendlichen Liebe, aus dem alle Wesen das Leben schöpfen. Im Buch Genesis wird erzählt, dass Gott den Menschen bildete aus Lehm der Erde, und dass er in sein Angesicht den Odem des Lebens hauchte (Gen 2, 7). Dieser lebenspendende Hauch war Sinnbild des Hl. Geistes, dem wir das übernatürliche Leben verdanken. Am Pfingstfest brachte der Geist Gottes der ganzen Kirche dieses Gnadenleben in so überströmend reicher Fülle, dass, um diese Fülle zu versinnbilden, »sich vom Himmel her ein Brausen erhob, wie wenn ein Sturmwind dahinführe, der das ganze Haus erfüllte, in dem sie saßen« (Apg 2, 2).

Der Hl. Geist aber, der auf die Apostel herniederstieg, goss in ihre Herzen jene Liebesglut aus, die er selber ist; denn sie mussten ja zuerst von Liebe erfüllt sein, um dann als Prediger des Namens Jesu auch in den Herzen ihrer Zuhörer das Feuer der Liebe zum göttlichen Meister zu entzünden. Ihr vom Hl. Geist eingeflößtes Zeugnis muss so lebensvoll und überzeugend sein, dass es die ganze Welt für Christus erobert.

Die Liebe des Hl. Geistes, glühend wie Feuerflammen, gewaltig gleich dem Sturmwind, ist den Aposteln auch dazu vonnöten, dass sie alle Gefahren überwinden können, die der Herr selber ihnen vorausgesagt hatte, wenn sie seinen Namen verkündigen würden. Daher erfüllte der Hl. Geist sie mit Kraft aus der Höhe. Das sehen wir bei Petrus, dem Apostelfürsten. Am Tage vor dem Leiden seines Meisters beteuerte er hoch und heilig, dass er dem Herrn bis in den Tod getreu bleiben werde. In derselben Nacht aber schwört er, eingeschüchtert durch die Fragen einer Magd, dass »er den Menschen nicht kenne« (Mt 26, 74). Wie völlig anders ist Petrus am Pfingsttag. Er verkündet vor Tausenden von Juden Christus, den Herrn, und wirft ihnen mit allem Freimut vor, dass sie ihn gekreuzigt haben. Er legt Zeugnis ab für die Auferstehung Jesu, er mahnt das Volk eindringlichst zur Buße und zum Empfang der Taufe (Apg 2, 23 ff). Das ist nicht mehr der zagende Petrus, der seinem Herrn von »ferne folgt« (Mk 14, 54). Nein, hier steht der Zeuge, der vor allem Volk frei und unerschrocken bekennt, dass Christus der Sohn Gottes ist.

Und welche Macht liegt in seiner Rede! Der Apostel ist nicht wieder zu erkennen. Die Kraft des Hl. Geistes hat ihn umgewandelt, und seine Liebe zum göttlichen Meister ist ab damals stark und hochherzig. Der Heiland selbst hatte ihm diese Umwandlung vorausgesagt, ehe er in den Himmel aufgefahren war. »Ihr aber bleibt in der Stadt, bis ihr mit der Kraft von oben ausgerüstet seid« (Lk 24, 49).

Wie viel Hoheit und Würde bekundet dieser selbe Petrus und die übrigen Apostel wenige Tage nach diesem Ereignis. Die Juden gerieten in Aufregung wegen der freimütigen Reden der Jünger über die Wunder und Bekehrungen, die sie im Namen Jesu wirkten. Die Hohepriester und Saduzäer, die den Heiland verurteilt hatten, lassen nun auch die Jünger zu sich kommen und verbieten ihnen, den Erlöser zu predigen. Die Apostel aber geben ihnen freimütig zur Antwort: »Ob es vor Gott recht ist, auf euch mehr zu hören als auf Gott, darüber urteilt selbst. Wir aber können unmöglich von dem schweigen, was wir gesehen und gehört haben« (Apg 4,18 ff).

Wer ermutigt jetzt die Jünger zu solcher Rede, dieselben Jünger, die in der Stunde des Leidens ihren Meister feige verließen, die sich nach der Auferstehung hinter verschlossenen Türen verborgen hielten aus »Furcht vor den Juden« (Joh 20, 19) ? Es ist der Geist der Wahrheit, der Geist der Liebe, der Geist der Stärke.

Die Liebe Christi ist in ihrem Herzen stark geworden; darum geben sie sich dem Herrn zuliebe allen Martern preis. Man hat ihnen untersagt, im Namen des Herrn zu lehren; sie aber kehren sich nicht an dieses Verbot. Vor den hohen Rat geführt, erklärt Petrus im Namen aller: »Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen« (Apg 5, 29). Was taten nun die Juden? Sie straften den Freimut der Apostel mit Geißelhieben, verboten ihnen neuerdings, im Namen Jesu zu reden und entließen sie sodann. In der Apostelgeschichte heißt es eigens: »Sie gingen freudig vom hohen Rat weg, weil sie würdig befunden waren, für den Namen Jesu Schmach zu leiden« (Apg 5, 41). Woher kam ihnen diese Freude in Trübsal und Verdemütigung ? Ebenfalls vom Hl. Geist; denn er ist nicht bloß der Geist der Stärke, sondern auch der Geist allen Trostes nach dem Wort des Herrn: »Ich will den Vater bitten, und er wird euch einen andern Tröster geben, den Geist der Wahrheit« (Joh 14,16 ff). Auch Jesus Christus ist unser Tröster. Er selber hat gesagt: »Kommet alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, und ich will euch erquicken« (Mt 11, 28), und der hl. Paulus zeigt ihn uns als »Hohepriester, der Mitleid tragen kann mit unseren Schwächen, weil er selbst mit Schwachheit behaftet ist« (Hebr 4, 15; 5, 2). Jesus, der göttliche Tröster, aber sollte den leiblichen Augen der Jünger entschwinden, und deshalb hat er vorher seinen Vater gebeten, er möge einen andern Tröster senden, der ihm gleich und Gott sei wie er.

Weil er der Geist der Wahrheit ist, deshalb weiß dieser Tröster allen Bedürfnissen unseres Verstandes gerecht zu werden, als Geist der Liebe die Wünsche unseres Herzens zu erfüllen und als Geist der Stärke uns aufrecht zu erhalten in Mühsal, Schmerz und Tränen. Daher ist der Hl. Geist in vollster Wahrheit der Tröster. »O komm zu mir, du Vater aller Armen, / Verteiler du der Himmelsgaben ohne Zahl ! / Du Tröster voller Güte und Erbarmen, / Du süßer Seelengast erquicke uns zumal (Sequenz: Veni Sancte Spiritus. ).« 

4. Die Versammlung der Jünger im Abendmahlssaal stellt die gesamte Kirche dar. Von der wunderbaren und unaufhörlichen Wirksamkeit des HI. Geistes in der Kirche: Das Pfingstfest dauert fort

Für uns ist der Hl. Geist gekommen. Die Versammlung im Abendmahlsaal stellte die ganze Kirche dar, und der Hl. Geist stieg auf sie hernieder, um in Ewigkeit bei ihr zu verbleiben. Jesus hat es so selbst verheißen.

Am Pfingsttag kam der Hl. Geist sichtbar auf die Apostel herab. Von da an aber hat die Kirche sich ausgebreitet über die ganze Welt. Sie ist das Reich Jesu Christi, und der Hl. Geist ist es, der mit dem Vater und dem Sohn dieses Reich regiert. Er vollendet in den Seelen das Werk der Heiligung, das durch die Erlösung begonnen ward. Er ist für die Kirche dasselbe, was die Seele für den Körper ist, der beseelende, belebende Geist, der die Einheit aufrechterhält, während seine Tätigkeit vielerlei ist und die verschiedensten Wirkungen hervorbringt. Er ist es, der ihr Kraft und Schönheit verleiht. Welcher Reichtum von Gnaden und Charismen überflutet die Kirche schon gleich nach dem Pfingstfest ! In der Apostelgeschichte, die über die ersten Anfänge der Kirche berichtet, lesen wir, dass der Hl. Geist sichtbar auf die Getauften herniederstieg und sie mit jenen wunderbaren Gaben erfüllte, von denen der Apostel Paulus mit heiligem Wohlgefallen berichtet: »Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber es ist ein und derselbe Geist. Es gibt verschiedene Ämter, aber es ist ein und derselbe Herr. Es gibt verschiedene Kraftwirkungen, aber es ist ein und derselbe Gott, der alles in allem wirkt. Jedem wird die Offenbarung des Geistes zum Nutzen verliehen. Dem einen wird durch den Geist die Gabe der Weisheit verliehen, einem andern die Gabe der Erkenntnis nach demselben Geist, einem dritten der Glaube durch denselben Geist, einem andern die Gabe wunderbarer Heilungen durch den nämlichen Geist; diesem die Gabe, Wunder zu wirken, jenem die Gabe gotterleuchteter Rede, einem andern die Unterscheidung der Geister, diesem die Sprachengabe, jenem die Auslegung der Sprachen. Das alles wirkt ein und derselbe Geist, der jedem seine Gabe zuteilt, wie er will« (1 Kor 12, 4 ff).

Der verheißene, vom Vater und vom Sohn gesandte Hl. Geist war es, der den ersten Christen diese Fülle und Kraft übernatürlichen Lebens mitteilte. So verschieden sie untereinander sein mochten, jene Liebe, die der Hl. Geist über sie ergoss, bewirkte, dass sie »ein Herz und eine Seele waren« (Apg 4, 32).

Seit jener Zeit bleibt der Hl. Geist dauernd und unvergänglich bei der Kirche und wirkt unablässig in ihr heiligend und lebenspendend. »Er wird in Ewigkeit bei euch bleiben« (Joh 14,17). Er macht sie unfehlbar in der Lehre der Wahrheit. »Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommt, wird er euch in alle Wahrheit einführen« (Joh 16,13) und wird euch behüten vor jedem Irrtum. Er erweckt in der Kirche eine wunderbare, übernatürliche Fruchtbarkeit, bringt in den Jungfrauen, den Märtyrern und Bekennern jene heldenmütigen Tugenden zur Entfaltung und Reife, die das Merkmal wahrer Heiligkeit sind. Kurz, er ist der Geist, der im Herzen der Gläubigen durch seine Einsprechungen bewirkt, dass die Kirche, die sich Christus ein für alle Mal mit seinem kostbaren Blut erworben hat, »rein, unbefleckt, ohne Runzel« und in allem würdig sei, einst am Tage des endgültigen Sieges von Christus, dem Herrn, dem Vater dargestellt zu werden.

Der Hl. Geist übt diese innere Wirksamkeit immer und unaufhörlich aus; denn Pfingsten nimmt kein Ende. Wohl ist es vorüber seiner geschichtlichen, sichtbaren Form nach; es dauert aber fort in seiner Wirksamkeit. Die Pfingstgnade bleibt. Die Wirkung des Hl. Geistes in den Seelen vollzieht sich zwar in unsichtbarer Weise, ist aber darum nicht weniger fruchtbar.

Man denke an das Gebet, das die Kirche am Fest der Himmelfahrt an ihren göttlichen Bräutigam richtet, nachdem sie voll Jubel und Frohlocken seine Herrlichkeit besungen hat: »O König der Herrlichkeit, Herr der Kräfte«, fleht sie, »der du triumphierend heute über alle Himmel emporgestiegen bist, lass uns nicht als Waisen zurück, sondern sende uns den vom Vater Verheißenen, den Geist der Wahrheit (Antiph. der 2. Vesper von Christi Himmelfahrt).« Allmächtiger Hohepriester, jetzt, wo du sitzest zur Rechten des Vaters und voll und ganz deinen Sieg und deine Macht genießest, bitte deinen Vater, wie du verheißen hast, dass er uns einen anderen Tröster sende. Durch die Leiden deiner Menschheit hast du uns diese Gnade verdient. Der Vater wird dich erhören, weil er dich liebt. Du bist sein vielgeliebter Sohn; darum wird er seiner eigenen Verheißung gemäß im Verein mit dir uns den Hl. Geist senden. »Ausgießen will ich den Geist der Gnade und des Gebetes auf alle Einwohner Jerusalems.« O sende ihn »in uns«, damit er dort wohne ewiglich!

Die Kirche betet, als sollte sich Pfingsten für uns erneuern. Sie wiederholt dieses Gebet täglich während der Himmelfahrtsoktav. Am Pfingstsonntag aber preist sie den Hl. Geist »in einer Sprache voll Kraft und Schönheit. Mit einer Inständigkeit ohnegleichen und in tiefergreifenden Tönen ruft sie ihn herab. »Komm, Hl. Geist, erfülle die Herzen deiner Gläubigen und entzünde in ihnen das Feuer deiner Liebe (Alleluja-Versikel der Messe am Pfingstfest).« »Komm, Hl. Geist, und sende vom Himmel hernieder einen Strahl deines Lichtes! O allerseligstes Licht, fülle aus die innersten Herzenstiefen deiner Gläubigen (Sequenz: Veni Sancte Spiritus) !« »Lebendiger Quell, brennendes Feuer du, Liebe du, ganz geistige Salbung, o komme, entzünde dein Licht in unserem Sinne, erfülle mit Liebe jedes Herz und stärke unsere Schwachheit mit deiner ewig jungen Kraft (Hymnus: Veni Creator Spiritus) !« 

Die Kirche, unsere Mutter, legt uns diese Wünsche ins Herz, dieses Flehen auf die Lippen nicht nur, um die Erinnerung an die sichtbare Sendung im Abendmahlsaal wach zu rufen, sondern auch darum, dass sich dieses Geheimnis in den Seelen aus ganz innerliche Weise erneuere.

Mit der Kirche wollen wir diese glühenden Sehnsuchtsseufzer wiederholen und innig zum Vater flehen, dass er uns seinen Geist sende. Durch die Heiligmachende Gnade sind wir Kinder Gottes, und eben diese Kindschaft macht den Vater geneigt, uns mit Gaben zu überhäufen. Weil er uns liebt als seine Kinder, schenkt er uns seinen Sohn in der hl. Kommunion, die das »Brot der Kinder« (Sequenz: Lauda Sion) ist. Weil wir seine Kinder sind, schickte er uns auch seinen Hl. Geist, der da ist die vollkommenste seiner Gaben (Hymnus: Veni Creator Spiritus). Sagt nicht der hl. Paulus: »Weil ihr nun Söhne seid, entsandte Gott den Geist seines Sohnes in euer Herz« (GaI 4, 6). Er ist der Geist des Sohnes, weil er vom Sohn wie vom Vater ausgeht und weil der Sohn gleichzeitig mit dem Vater ihn sendet.

Deshalb singt die Kirche in der Pfingstpräfation: »Wahrlich würdig ist es und gerecht ... dass wir dir immerdar und überall danken, heiliger Herr, allmächtiger Vater, ewiger Gott, durch Christus, unsern Herrn, der emporsteigend über alle Himmel und zu deiner Rechten sitzend, den verheißenen Hl. Geist am heutigen Tage auf die in Gnaden angenommenen Kinder ausgegossen hat.« 

So ist also uns allen, die wir die Annahme an Kindes Statt empfangen haben und durch die Heiligmachende Gnade Brüder Christi geworden sind, der Hl. Geist geschenkt worden. Und weil dieses Geschenk ganz göttlich ist und die kostbarsten Gaben des Lebens und der Heiligkeit enthält, so ist dessen Ausgießung in die Herzen, die am Pfingstfest in so reichem Maße sich kund tat, eine Quelle »überströmender Freude und erfüllt mit Frohlocken die gesamte Welt auf dem Erdkreise« (Präfation von Pfingsten).

5. Was der HI. Geist in den Seelen bewirkt; unsere Pflichten gegen ihn

Man könnte nun fragen, ob wir den Hl. Geist denn nicht schon in der Taufe und in ganz besonderer Weise in der hl. Firmung empfangen haben.

Gewiss; aber wir können ihn immer noch reichlicher empfangen. Wir können stets helleres Licht und größere Kraft von ihm erhalten. Er kann die Quellen des Trostes in unsern Herzen immer reichlicher fließen und die Glut der Liebe immer stärker sich entzünden lassen.

Diese fruchtbare Wirksamkeit des Hl. Geistes in der Seele kann sich aber nicht bloß während der hl. Pfingsttag erneuern, sondern jedes Mal, so oft wir ein hl. Sakrament und somit eine Vermehrung der Gnade empfangen; denn er ist eins mit dem Vater und dem Sohn. »Wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen« (Joh 14, 23).

Der Hl. Geist kommt, um in uns zu wohnen. Er wohnt in uns, um uns zu heiligen, um unsere ganze übernatürliche Tätigkeit zu leiten. Er teilt uns seine hl. Gaben der Weisheit und des Verstandes, des Rates und der Stärke, der Wissenschaft, der Gottseligkeit und der Furcht des Herrn mit, die als ebenso viele übernatürliche Fähigkeiten in uns niedergelegt sind, damit wir handeln können, wie es Kindern Gottes geziemt. »Alle, die sich vom Geist Gottes leiten lassen, sind Kinder Gottes« (Röm 8,14).

Er wohnt in uns als göttlicher Seelengast. Voll Liebe und Güte nimmt er Herberge in unserm Herzen, um uns zu helfen, zu erleuchten und zu stützen. Er verlässt uns nur dann, wenn wir das Unglück haben, durch eine Sünde ihn aus unserer Seele zu vertreiben. Der hl. Paulus nennt das »den Geist auslöschen« (1 Thess 5, 19), indem wir die wesenhafte Liebe Gottes aus unserer Seele verjagen durch ungeordnete Hingabe an das Geschöpf. Wir sollen aber auch dem Rat des Apostels gemäß den Geist Gottes nicht »betrüben« (Eph 4, 30) dadurch, dass wir seinen Einsprechungen widerstehen durch überlegte Fehler, durch ein freiwilliges Nein seinen Anregungen gegenüber; denn sein Wirken in uns ist überaus zart. Wenn die Seele bewusst und gewohnheitsmäßig ihm widersteht, so »betrübt« sie den Hl. Geist. Sie zwingt ihn, allmählich zu schweigen. Das aber bedeutet für sie den Stillstand auf dem Weg der Heiligkeit und ernstliche Gefahr für ihr Seelenheil; fehlt ihr ja dann der Meister, der sie führen, das Licht, das sie erleuchten, die Kraft, die sie stützen, die Freude, die sie hinreißen könnte. O seien wir daher recht treu dem Geist, der mit dem Vater und dem Sohn kommt, um in uns Wohnung zu nehmen. »Wisst ihr nicht«, sagt der hl. Paulus, »dass ihr Tempel Gottes seid und dass der HI. Geist in euch wohnt« (1 Kor 3,16)? Jede Vermehrung der Gnade ist gleichsam eine erneute Aufnahme des göttlichen Gastes, eine neue Besitzergreifung der Seele durch ihn, eine neue Umarmung seiner Liebe.

Wie überaus wohltätig ist seine Wirkung in der treuen Seele! Der Hl. Geist lehrt sie den Vater kennen. »Durch dich kennen wir den Vater (Hymnus: Veni Creator Spiritus).« Indem er sie ihn kennen lehrt, bringt er in ihr durch die Gabe der Frömmigkeit jene Gesinnung demütiger Anbetung und Liebe hervor, die sie dem himmlischen Vater gegenüber beseelen soll. Der hl. Paulus sagt hierüber ausdrücklich: »Der Geist kommt unserer Schwachheit zu Hilfe; denn wir wissen nicht, was wir bitten sollen, wie es sich gebührt. Da tritt der Geist selbst für uns ein mit unaussprechlichen Seufzern« (Röm 8, 26). Welcher Art aber ist sein Gebet in uns? »Ihr habt den Geist der Kindschaft empfangen, der uns rufen lässt: Abba, Vater ... Dieser Geist bestätigt es unserm Geist, dass wir Kinder Gottes sind« (Röm 8,15 f).

Er lehrt uns aber auch den Sohn kennen. »Durch dich kennen wir auch den Sohn (Hymnus: Veni Creator Spiritus).« Er zeigt uns Jesus; denn er ist jener innerliche Lehrmeister, der uns Christus kennen lehrt, der uns einführt in den Sinn seiner Worte und Geheimnisse. Jesus sagt von ihm: »Er wird mich verherrlichen; denn er wird von dem Meinen nehmen und es euch verkündigen« (Joh 16,14). Er gießt uns die göttlichen Wissenschaften ein, lässt uns durch die Liebe in der Gegenwart Jesu wandeln, gibt uns ein, immer das zu tun, was Jesus gefällt, und bewirkt dadurch, dass Christus in uns herrscht. Durch seine unendlich zarte und göttlich wirksame Tätigkeit gestaltet er das Bild Jesu in unserer Seele, und darin besteht das Wesen der Heiligkeit.

Bitten wir also den Hl. Geist, er möge in unser Herz kommen, um dort zu wohnen und den Reichtum seiner Gaben in uns zu mehren! Inniges Gebet ist die Vorbedingung seiner Ankunft in den Seelen. Eine weitere Voraussetzung ist die Demut. Wir müssen uns ihm darstellen, tief durchdrungen vom Bewusstsein unserer inneren Armut. Solche Gesinnung ist vor allem geeignet, um jenen zu empfangen, von dem die Kirche singt: »Ohne deinen Gnadenbeistand ist nichts im Menschen, was ihm nicht schaden müsste (Hymnus: Veni Creator Spiritus).« Mit der heiligen Kirche wollen wir darum flehen: »Komm, o süßer Seelenfreund! / In Ermüdung schenke Ruh, / In der Glut hauch Kühlung zu! / Tröste den, der Tränen weint! / Wasche, was beflecket ist, / Heile, was verwundet ist, / Tränke, was da dürre steht; / Beuge, was verhärtet ist, / Wärme, was erkaltet ist, / Lenke, was da irre geht!« 

Wir wollen den Hl. Geist anrufen, ungeachtet unserer Armseligkeit, ja, gerade wegen unserer Armseligkeit wird er uns erhören.

Da er aber eins ist mit dem Vater und dem Sohn, sollen wir uns zugleich auch an den Vater wenden und an Jesus Christus, seinen Sohn, unsern Herrn: »O himmlischer Vater, wir bitten dich im Namen Jesu, deines Sohnes, sende uns den Geist der Liebe, damit er uns durchdringe mit dem tiefinnersten Bewusstsein unserer Gotteskindschaft. Du aber, o Jesus, unser Hohepriester, der du thronst zur Rechten des Vaters, stehe vermittelnd ein für uns, auf dass überfließend werde die Sendung des Geistes, die du uns verheißen und verdient hast. Lass sie gleich werden dem mächtigen Wogenschwall jenes Stromes, der die Gottesstadt der Seelen erfreut, ja, lass sie sein nach deinem eigenen Worte, o Jesus, gleich einem Strom lebendigen Wassers, der hinüberquillt ins ewige Leben! »Dies aber sprach er von dem Geist, den die an ihn Glaubenden empfangen sollten.« 

XVIII. »ZU MEINEM ANDENKEN« (Fronleichnam)

Die Eucharistie ist ein Geheimnis des Glaubens

Alle Geheimnisse Christi sind ihrem innersten Wesen nach Geheimnisse des Glaubens. Ohne den Glauben könnten wir keines von ihnen annehmen und betrachten.

Verschieden aber sind die Grade des Lichtes, das in jedem einzelnen dieser Geheimnisse unseren Glauben erhellt. - So gewahren wir in Bethlehem nur ein schwaches Kind in der Krippe. Ohne den Glauben würden wir in ihm unmöglich den Gottessohn, den Herrn der ganzen Welt, erkennen können. Der Glaube aber hört die Stimme der Engel, die vom Himmel herab die Ankunft des Erlösers verkünden; er sieht den Stern, der die Könige des Morgenlandes hinführt zu dessen Füßen. Bei der Taufe Christi sehen unsere irdischen Augen nur einen Menschen, der gleich den anderen bußfertigen Juden sich einem Sühneritus unterzieht. Zugleich aber öffnet sich der Himmel und die Stimme des Vaters verkündet, dass dieser Mensch der Sohn seiner ewigen Liebe und Gegenstand seines göttlichen Wohlgefallens ist. So auch auf Tabor: im Geheimnis der Verklärung findet der Glaube eine mächtige Stütze. Die göttliche Herrlichkeit, von welcher die Menschheit Christi immer erfüllt war, strahlte sichtbar aus über sie, so dass die staunenden Jünger, von solchem Glanz geblendet, sich niederwarfen in den Staub. Am Kreuz dagegen, als der Heiland wie ein Übeltäter, ja, wie der Auswurf der Menschheit unter namenlosen Leiden den Geist aufgab, war seine Gottheit verhüllt. Dennoch aber verkündet der Hauptmann, dass er der Sohn Gottes sei und die leblose Natur legt in jener gewaltigen Stunde für ihren Schöpfer Zeugnis ab durch den Aufruhr, der sie bis in die innersten Tiefen erschüttert. - Was sehen wir bei der Auferstehung? Der Heiland steht vor uns, durchstrahlt von Herrlichkeit, zugleich aber beweist er den Aposteln, dass er der nämliche ist wie zuvor, Mensch und zugleich Gott. Er lässt sich anrühren, isst mit ihnen und zeigt ihnen seine Wundmale, um zu beweisen, dass er kein Geist ist, sondern eben derselbe Jesus, mit dem sie drei Jahre lang gelebt haben.

Aus all dem ersehen wir, dass wohl in jedem Geheimnis des Lebens Christi Dunkelheit genug ist, um unsern Glauben verdienstlich zu machen, ebenso aber auch Licht genug, um ihn wirksam zu unterstützen; in allen offenbart sich das unaussprechliche Geheimnis der Vereinigung zwischen Gottheit und Menschheit.

Ein Geheimnis aber gibt es, in welchem sich Gottheit und Menschheit gleicherweise unsern Sinnen verbergen. Es ist das Geheimnis des heiligsten Altarsakramentes.

Was sehen wir auf dem Altar vor der Wandlung? Ein wenig Brot, einige Tropfen Wein! Und nach der Wandlung? Auch da erscheint unsern Sinnen, dem Geschmack, Gesicht und Gefühl immer noch Brot und Wein. Nur der Glaube dringt durch diese Hülle vor bis zur Gottheit, die sich hier ganz und gar verbirgt. Ohne den Glauben vermöchten wir hier nie etwas anderes zu sehen als eben Brot und Wein. Gott erscheint uns hier nicht sichtbar, er offenbart sich nicht wie im Evangelium; denn wir sehen ja auch keine menschliche Gestalt. »Am Kreuz war die Gottheit nur verhüllt, hier birgt sich auch die Menschheit in ein Bild (Hymnus: Veni creator).« 

Wenn Jesus Christus während seines Erdenlebens sich Gottes Sohn nannte, so gab er zugleich auch den Beweis dieser Tatsache. Jedermann konnte sich überzeugen, dass er Mensch war, aber ein Mensch, dessen Lehre nur von Gott kommen konnte. »Der Gottgesandte redete Gottes Worte« (Joh 3, 34).

Er war ein Mensch, der Wunder tat, wie nur Gott sie wirken konnte. »Solange die Welt steht, hat man noch nicht gehört, dass jemand einem Blindgeborenen die Augen geöffnet hat. Wäre dieser nicht von Gott, so hätte er nichts ausrichten können« (Joh 9, 32 ff). Und wie der Blindgeborene, so spricht auch Nikodemus: »Wir wissen, dass du als Lehrer von Gott gekommen bist ... denn niemand kann solche Wunder tun, wenn nicht Gott mit ihm ist« (Joh 3, 2). - Wohl war Glaube erforderlich, aber die Wunder Jesu und die Erhabenheit seiner Lehre kamen dem Glauben der Juden, ob gelehrt oder ungelehrt, mächtig zu Hilfe.

Vor dem heiligsten Altarssakrament aber bleibt nur Raum für den einen Glauben, der sich einzig stützt auf das Wort des Herrn: »Das ist mein Leib, das ist mein Blut.«, Die heilige Eucharistie ist vor allem ein Geheimnis des Glaubens, mysterium fidei (Kanon der hl. Messe). Deshalb müssen wir bei diesem Geheimnis mehr noch als bei allen bisher betrachteten einzig und allein auf Jesus hören; hier ist für die natürliche Vernunft alles so verwirrend und unfassbar, dass ein jeder, der hier nicht auf Christi Wort hört, gleich den Juden, da der Herr ihnen das Wunder der Eucharistie verkündete, ausrufen müsste: »Diese Rede ist hart. Wer kann sie hören« (Joh 6, 61) ? Und sie gingen fort und verließen den Herrn. Wir aber wollen im Gegenteil mit den gläubigen Aposteln uns an Jesus anschließen und mit Petrus sprechen: »Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens. Wir haben geglaubt und wissen, dass du der Heilige Gottes bist« (Joh 6, 69 ff). Wir wollen den Heiland selbst über dieses Geheimnis befragen. Er ist die untrügliche Wahrheit, die ewige Weisheit, die Allmacht selbst. Warum also soll er nicht erfüllt haben, was er verheißen hat?

1. Das Opfer des Altares ist eine beständige Erinnerung an den Herrn

Als der Heiland dieses Geheimnis einsetzte, um die Früchte seines Opfertodes fortdauern zu lassen, sprach er zu den Aposteln: »Dies tut zu meinem Andenken« (Lk 22,19; 1 Kor 11, 24). Also soll die hl. Kommunion nach dem Willen Jesu den Gedanken eines Gedächtnisses in sich tragen. Neben ihrem Hauptzweck, das Opfer des Herrn zu erneuern und uns durch die hl. Kommunion Anteil an demselben zu geben, trägt die hl. Eucharistie also auch das Merkmal der Erinnerung. Wie aber ruft sie in unserm Herzen die Erinnerung an den Herrn wach?

Zunächst als Opfer. Gewiss, es gibt nur ein vollkommenes, ganzes und vollwertiges Opfer, durch welches alles gesühnt, getilgt und verdient wurde und aus dem uns jegliche Gnade zufließt, nämlich das Kreuzesopfer auf Golgotha. »Mit dem einen Opfer hat er für immer die zur Vollendung geführt, die sich heiligen lassen«, sagt der hl. Paulus (Hebr 10,14).

Um aber die Verdienste dieses Opfers den Menschen aller Zeiten zukommen zu lassen, wollte der Herr es auf den Altären beständig erneuern lassen. Der Altar ist ein anderer Kalvarienberg, wo das Kreuzesopfer immer von neuem in Erinnerung gebracht, dargestellt und in unblutiger Weise wiederholt wird. Wo immer ein Priester über Brot und Wein die Wandlungsworte spricht, wird das Gedächtnis an Christi Leiden erneuert. Dort auf dem Altar wird dargebracht und uns geschenkt der Leib; der für uns hingegeben und das Blut, das zu unserem Heil vergossen wurde« (Mt 26, 28; Mk 14, 24; Lk 22, 19). Es ist der gleiche Hohepriester, Jesus Christus, der durch die Hände seiner Priester diese Gaben darbringt. Wie sollten wir also nicht an das Leiden des Herrn erinnert werden, wenn wir dem hl. Messopfer beiwohnen, wo alles dem Kreuzesopfer gleich ist, ausgenommen nur die Art und Weise der Opferung ? Conc. Trid. sess. 22. c. 2. sagt: Beim Opfer, das in der hl. Messe dargebracht wird, ist Christus genauso enthalten und wird unblutigerweise so geopfert, wie er sich am Kreuz einst blutigerweise geopfert hat.

Bei der Feier jeder hl. Messe und jeder hl. Kommunion werden wir erinnert an den Tod des Herrn, den er für die Erlösung der Welt erlitten hat. »So oft ihr dieses Brot esst«, sagt der hl. Paulus, »und den Kelch trinkt, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er wiederkommt« (1 Kor 11, 26). So dauert das Andenken an Christus bis zum Ende der Zeiten lebendig und segenspendend fort unter den Menschen, zu deren Erlösung er sich einst geopfert hat.

Die hl. Eucharistie ist also recht eigentlich das Gedächtnis an sein Leiden und Sterben, das uns Christus hinterlassen hat; sie ist das Vermächtnis seiner Liebe. Überall, wo Brot und Wein geopfert werden, überall, wo eine konsekrierte Hostie aufbewahrt wird, erscheint das Andenken an den Opfertod des Herrn. »Tut dies zu meinem Andenken.« Die hl. Eucharistie erinnert uns vor allem an das Leiden Christi. Am Vorabend seines Todes hat Jesus sie eingesetzt, sie uns gleichsam als Testament seiner Liebe hinterlassen.

Das schließt aber das Andenken an die übrigen Geheimnisse des Herrn nicht aus: Sehen wir, was die Kirche tut. Sie ist die Braut Christi, und niemand kennt besser als sie die Absichten ihres göttlichen Stifters In der Anordnung ihres öffentlichen Gottesdienstes ist sie vom Hl. Geist geleitet. Und was sagt die Kirche? Gleich nach der Wandlung erinnert sie an das Wort des Herrn: »Tut dieses zu meinem Andenken.« Und daran anschließend, wie um zu zeigen, dass sie vollständig auf die Gesinnungen ihres Bräutigams eingeht, fügt sie hinzu: »Darum, o Herr, sind wir, deine Diener und dein heiliges Volk eingedenk des seligmachenden Leidens, der Auferstehung von den Toten und der glorreichen Himmelfahrt Jesu Christi, deines Sohnes, unseres Herrn, und bringen deiner erhabenen Majestät das makellose Opfer dar, das heilige Brot des ewigen Lebens und den Kelch des ewigen Heiles.Ähnlich lautet das Gebet nach der Opferung: »Nimm an, hl. Dreifaltigkeit, diese Opfergabe, welche wir dir darbringen zum Gedächtnis des Leidens, der Auferstehung und Himmelfahrt unseres Herrn Jesu Christi.«

Die Griechen erwähnen neben der »Auffahrt zur Rechten des Vaters« auch noch die zweite, glorreiche Wiederkunft.

So schließt also die hl. Eucharistie, wenn sie auch unmittelbar und in erster Linie an das Leiden des Herrn erinnert, doch auch keineswegs die glorreichen Geheimnisse aus, die so eng mit dem Leiden verbunden und gewissermaßen dessen Krone sind.

Da wir in der hl. Kommunion den Leib und das Blut Christi empfangen, setzt die Eucharistie auch die Menschwerdung des Herrn und alle daran anschließenden Geheimnisse voraus. Christus ist auf dem Altar mit seinem ewigen, göttlichen Leben und auch mit seinem sterblichen Leben, das zwar seiner geschichtlichen Form nach jetzt aufgehört hat, seinem Wesen und seinen Verdiensten nach aber fortdauert, und endlich ist er damit seinem verklärten Leben, das kein Ende kennt. All das ist wahrhaft und wirklich in der hl. Hostie enthalten und wird in der hl. Kommunion uns mitgeteilt. Wenn Christus sich hier mit uns vereinigt, schenkt er sich uns in seiner ganzen Wesenheit all seine Werke und Geheimnisse sowohl wie die Einheit seiner göttlichen Person. Wir müssen fürwahr mit dem Psalmisten, der schon in ferner Vorzeit die Herrlichkeit des eucharistischen Geheimnisses besungen hat ausrufen: »Ein Andenken seiner Wunder stiftete der barmherzige und gnädige Herr ... Speise gab er denen, die ihn fürchten« (Ps 111, 4 ff) (Die Kirche wendet diese Worte im Offizium vom Fronleichnamsfeste auf die hl. Kommunion an).

Die hl. Eucharistie ist der Inbegriff aller Liebeswunder des menschgewordenen Gottessohnes gegen uns.

2. Das Manna als Vorbild des hl. Altarsakramentes

Wenn wir nun die hl. Eucharistie als Sakrament betrachten, so finden wir in ihr solch wunderbar erhabene Eigenschaften, wie nur ein Gott sie ersinnen konnte.

Wie schon oft im Anschluss an den hl. Paulus, dem dieser Gedanke lieb und vertraut ist, erwähnt wurde, waren die geschichtlichen Ereignisse des Alten Bundes bald dunkle und geheimnisvolle, bald lichtere und deutliche Vorbilder jener Wirklichkeiten, die im neuen, von Christus gestifteten Bund in vollem Glanz aufstrahlen sollten. Der Heiland selbst hat auf ein solch hervorragendes Sinnbild der Eucharistie im Alten Bund eigens hingewiesen, auf das Manna. Mit ganz besonderem Nachdruck stellt der Heiland einen Vergleich an zwischen diesem Brot vom Himmel, das die Israeliten in der Wüste nährte, und dem eucharistischen Brot, das er selber der Welt geben wollte. Wir müssen also dieses Symbol des Alten Bundes eingehend betrachten, wenn wir die Gedanken Christi verstehen und seine Gesinnungen uns zu Eigen machen wollen. Der vom Hl. Geist geleitete Schriftsteller spricht vom Manna wie folgt: »Du nährtest, o Gott, dein Volk mit Engelsspeise und sandtest ihm zubereitetes Brot vom Himmel ohne Arbeit, das jede Erquickung in sich enthält und jedes Geschmackes Lieblichkeit; denn dein Wesen macht offenbar, wie gütig du gegen deine Kinder bist, und dem Begehren eines jeden sich fügend, wandelte sie sich in das, was jeder wollte« (Weish 16, 20 ff).

Die Kirche hat diese herrlichen Worte in das Breviergebet am Fronleichnamsfeste aufgenommen (Cant. der III. Nokturn der Matutin Benediktinerbrevier).

Wir wollen nun zeigen, wie erschöpfend, klar und zutreffend das Wesen der eucharistischen Nahrung in diesen Worten ausgedrückt ist, ja, wie wir mit weit größerem Recht von der hl. Eucharistie sagen können, was der hl. Schriftsteller vom Manna geschrieben hat.

Die hl. Eucharistie ist gleich dem Manna eine Speise, eine geistige Speise. Während eines Mahles und in Form einer Speise hat Christus sie eingesetzt. Er gibt sich uns zur Nahrung der Seele. »Mein Fleisch ist wahrhaft eine Speise und mein Blut wahrhaft ein Trank« (Joh 6, 56). Gleich dem Manna kommt auch dieses Brot vom Himmel. Aber das Manna war nur ein unvollkommenes Vorbild. Darum sagte auch der Heiland zu den Juden, die ihn an dies Wunder erinnerten: »Nicht Moses hat euch das Himmelsbrot gegeben, mein Vater gibt euch das wahre Himmelsbrot, das Gottesbrot, das vom Himmel herabkommt und der Welt das Leben spendet«, allen Menschen also nicht bloß einem Volk allein.

Und als die Juden darüber murren, dass er sich als das »Vom Himmel herabgestiegene Brot« bezeichnet, fügt der Herr bei: »Ich bin das Brot des Lebens. Eure Väter haben das Manna gegessen und sind gestorben. Dieses aber ist das Brot, das vom Himmel kommt, damit der, der davon isst, nicht stirbt. Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben. Das Brot aber, das ich geben werde, ist mein Fleisch für das Leben der Welt« (Joh 6, 32 ff).

Mit diesen Worten zeigt uns der Heiland selbst, wie die göttliche Wirklichkeit der hl. Eucharistie an Fülle, Gehalt und Fruchtbarkeit das Manna der Juden übersteigt.

Dieses Himmelsbrot gibt uns das Leben; denn es nährt in uns die Gnade. Es »enthält alle Süßigkeit und allen Wohlgeschmack« in sich.

Nichts gibt so sehr der Freude Ausdruck als ein Festmahl. Die hl. Kommunion aber ist das Festmahl der Seele, somit eine Quelle tiefster Freude. Wie sollte der Heiland, die Wahrheit und das Leben, die Quelle allen Glückes und aller Glückseligkeit unser Herz nicht mit Freude erfüllen? Wie sollte, wenn er uns vom Kelche seines göttlichen Blutes trinken lässt, unserer Seele nicht jene geistige Freude eingegossen werden, die neue Liebe weckt und glühenden Eifer entfacht? Nachdem der Herr im Abendmahlssaal dieses göttliche Sakrament eingesetzt hat, spricht er mit seinen Aposteln von der Freude. Er will, dass diese seine göttliche Freude auch die unsrige werde und unser ganzes Herz erfülle. »Damit meine Freude in euch sei« (Joh 15,11). Es ist eine Wirkung der andächtigen hl. Kommunion, dass sie die Seele mit übernatürlicher Süßigkeit erfüllt und sie dadurch bereit macht zum willigen und treuen Dienste Gottes.

Man darf aber nicht übersehen, dass es sich hier um eine geistige Freude handelt. Die hl. Eucharistie ist so recht eigentlich das »Geheimnis des Glaubens«, und so kann der liebe Gott sehr wohl zulassen, dass diese rein innere Freude keine Spur von gefühlsmäßiger Wirkung in uns auslöst. Es geschieht daher häufig, dass wahrhaft eifrige Seelen selbst unmittelbar nach Empfang des Lebensbrotes von Trockenheit und Dürre geplagt sind. Mögen sie sich darüber in keiner Weise wundern und noch weniger sich beunruhigen! Wenn sie sich nach Möglichkeit auf den Empfang dieses hl. Sakramentes vorbereitet haben, wenn sie sich ob ihres Unvermögens demütigen, so dürfen sie im Übrigen ganz ruhig und im Frieden bleiben. Christus, der immerdar lebt, wirkt in der Stille, aber mit göttlicher Kraft im verborgenen Grund der Seele, um diese allmählich nach seinem Bild umzugestalten. Das ist die herrlichste Wirkung dieser Himmelsspeise. »Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm« (Joh 6, 57).

Und weiter noch! Dieses lebenspendende Brot, dieses süße Freudenmahl, wird uns geschenkt »ohne Mühe« und Arbeit. Das war auch eine der Eigenschaften des Manna! Wie viel wunderbarer ist sie verwirklicht bei der hl. Eucharistie!

Was wird in der Tat von uns verlangt, wenn wir am Gastmahl des Königs teilnehmen und mit Nutzen das Himmelsbrot genießen wollen? Nur eines: Wir müssen angetan sein mit dem »hochzeitlichen Gewand« (Mt 22,11). Wir müssen im Stande der Heiligmachenden Gnade sein und in reiner Absicht hinzutreten.

Mehr wird von unserer Seite nicht verlangt. Für den Heiland allerdings war es nicht »ohne Mühe«, dass er uns dieses Festmahl bereitet hat. Er hat die Erniedrigungen der Menschwerdung, die Armseligkeit und Verborgenheit des arbeitsamen Lebens in Nazareth, die Mühen seiner apostolischen Reisen, die Kämpfe mit den Pharisäern und mit dem Fürsten der Finsternis selbst, ja schließlich noch als Ziel und Krone seines Opferlebens das bittere Leiden und den Tod am Kreuz auf sich nehmen müssen. Nur durch den Preis seiner blutigen Hinopferung, seiner namenlosen Leiden, hat der Herr uns die wahrhaft unerhörte Gnade verdient, dass wir in die innigste Vereinigung mit ihm eintreten dürfen, dass er uns sein allerheiligstes Fleisch, sein göttliches Blut zur Speise und zum Trank reicht.

Darum hat er dieses Sakrament am Vorabend seines Leidens für uns einsetzen wollen, wie um uns den rührendsten Beweis vom Übermaß seiner Liebe zu uns zu geben: »Da er die Seinen liebte, liebte er sie bis ans Ende« (Joh 13,1).

Eben weil dieses Gottesgeschenk um solchen Preis erkauft ist, strahlt es auch alle Wonnen der Liebe Christi aus. »Es trägt deine Süßigkeit zur Schau.« 

Das sind einige der Wunder, die im Manna der Wüste vorgebildet und durch Gottes Weisheit und Güte in der hl. Eucharistie zum Leben und zur Freude unserer Seelen verwirklich t worden sind.

Wie sollten wir sie nicht mit der Kirche »bewundern«. Wie sollten wir nicht dieses hl. Geheimnis mit tiefster Ehrfurcht und innigster Anbetung verehren! »Verleihe uns, o Herr, die Geheimnisse deines Leibes und Blutes zu verehren!« (Kirchengebet zum Fronleichnamsfest).

3. Wir finden in diesem Sakrament die Kraft aller Geheimnisse Jesu Christi

Unter den Eigenschaften, die in der Hl. Schrift dem Manna zugeschrieben werden, ist eine vor allem beachtenswert. Das Manna war »eine Speise, die sich nach dem Begehren eines jeden in das verwandelte, was jeder wollte«.

Im eucharistischen Himmelsbrot können wir ebenso in gewissem Sinne den Wohlgeschmack aller Geheimnisse Christi und die wunderbare Wirkkraft all seiner verschiedenen Lebensstufen finden.

Wir betrachten jetzt aber die hl. Eucharistie nicht als Gedächtnis, sondern als Quelle der Gnaden; das ist eine gar fruchtbare Seite des eucharistischen Geheimnisses, bei dem wir kurz verweilen wollen. Wenn wir unsere Seele von diesem Gedanken tief durchdringen lassen, werden wir in immer höherem Grade innige Liebe und sehnendes Verlangen nach dieser Himmelsspeise in uns erwecken.

Der Heiland gibt sich uns zur Speise, um in uns das göttliche Leben der Gnade zu erhalten. Mehr noch! Durch die innige Gemeinschaft, die Christus in diesem Sakramente zwischen sich und uns herstellt - »der bleibt in mir und ich in ihm« (Joh 6, 57) - durch die Liebe, die aus dieser innigen Gemeinschaft fließt, vollzieht der Heiland jene Umwandlung, die der hl. Paulus in die Worte kleidet: »Ich lebe, doch nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir« (Gal 2, 20). Das ist die besondere Frucht dieses unaussprechlichen Sakramentes.

Diese Umwandlung aber lässt viele Grade zu und umfasst die verschiedensten Stufen. Wir können sie nicht auf einmal erreichen; langsam, Stück um Stück geht sie vor sich, in dem Maße als wir in die Erkenntnis Christi und seiner Lebensumstände eindringen; denn sein Leben ist unser Vorbild und seine Vollkommenheit das Muster der unsern. Die Betrachtung der Geheimnisse Christi ist eines der Mittel zu dieser Umgestaltung. Wenn wir, wie schon gesagt, uns durch lebendigen Glauben mit Christus verbinden, dann bringt er in uns durch die innere wirksame Kraft seiner heiligen, mit dem Wort Gottes vereinigten Menschheit jene geheimnisvolle Ähnlichkeit hervor, die ein Zeichen unserer Auserwählung ist.

Gilt dies nun schon von der einfachen Betrachtung der Geheimnisse Jesu, wie viel tiefgehender und umfassender wird dann erst das Wirken Jesu sein, wenn er durch die hl. Kommunion in unserer Seele wohnt. Das ist die innigste und tiefste Vereinigung mit Christus, die wir hienieden erlangen können, die Vereinigung der Speise mit dem, der sie genießt. Christus gibt sich uns hin, um unsere Speise zu sein, aber im Gegensatz zu dem, was sich mit der körperlichen Speise vollzieht die wir in uns verwandeln, sind wir es, die in Christus umgestaltet werden: Er wird unser Leben.

Das Manna diente zunächst zur Nahrung. Die dem hl. Sakramente der Eucharistie eigentümliche Gnade ist ebenfalls diese, dass sie das übernatürliche Leben der Seele erhält, indem sie uns teilnehmen lässt am Leben Christi.

Aber gleichwie das Manna sich »nach dem Begehr eines jeden in das verwandelte, was jeder wollte, so auch das Leben, das Christus uns in der hl. Kommunion gibt. - Sein ganzes Leben geht in unsere Seele über, um Vorbild und Form unseres Lebens zu sein, um in uns die verschiedenen Gesinnungen des Herzens Jesu hervorzubringen, uns zur Nachahmung all jener Tugenden anzuregen, die der Heiland in den verschiedenen Lebenslagen geübt hat, und um uns alle besonderen Gnaden zuzuwenden, die er in diesen betreffenden Lebensgeheimnissen uns erworben hat.

Allerdings, und das darf man nicht vergessen, ist unter den eucharistischen Gestalten nur die Substanz des glorreichen, verklärten Leibes des Herrn enthalten, so wie er jetzt im Himmel ist, nicht aber ist er es in jener Gestalt, die er einst auf Erden hatte, z. B. in der Krippe zu Bethlehem.

Was aber sieht Gott, der Vater, wenn er im Glanz der himmlischen Herrlichkeit seinen Sohn Jesus betrachtet? Er sieht denjenigen, der 30 Jahre lang für uns auf Erden gelebt hat, er schaut dieses Erdenleben in all seinen Geheimnissen, mit allen Genugtuungen und Verdiensten, die ihnen entspringen. Er schaut die Verherrlichung, die sein Sohn ihm erwies, da er jedes einzelne dieser Geheimnisse durchlebte. Auch in jedem derselben sieht er den vielgeliebten Sohn seines Wohlgefallens, wenn Christus auch jetzt nur im verklärten Zustand zu seiner Rechten thront.

So ist auch jener, den wir in der hl. Kommunion empfangen, derselbe Jesus, der geboren ward aus Maria, der Jungfrau, der zu Nazareth gelebt und den Juden in Palästina gepredigt hat. Er ist der barmherzige Samaritan, derselbe, der die Kranken geheilt, Magdalena von den Teufeln befreit und Lazarus auferweckt hat, derselbe, der einst müde auf dem Schiff einschlief, der die bittere Todesangst erduldete, auf dem Kalvarienberg gekreuzigt ward und dann glorreich von den Toten auferstanden ist. Er ist jener geheimnisvolle Wanderer nach Emmaus, der am Brotbrechen sich zu erkennen gab (Lk 24, 35), derselbe, der zum Himmel fuhr und zur Rechten des Vaters sitzt, der ewige Hohepriester, der immer lebt und ohne Aufhören für uns bittet.

Die hl. Kommunion teilt uns nach ihrem Wesen die verschiedenen Lebensstufen Jesu mit ihren Eigentümlichkeiten, ihrem Geist, ihrer Kraft und ihren Verdiensten mit. In all diesen verschiedenen Lebensstufen und Geheimnissen lebt die gleiche Person fort, die sie einst durchlebt hat und die jetzt ewiglich lebt im Himmel.

Wenn wir also Christus in der hl. Kommunion empfangen, können wir ihn betrachten und mit ihm reden, in welchem Geheimnisse wir nur immer wollen. Wenn er auch jetzt verklärt im Himmel lebt, so ist er doch derselbe, der für uns auf Erden gelebt und uns die Gnaden verdient hat, die ein jedes dieser Geheimnisse enthält. Er gibt uns in der hl. Kommunion all diese Gnaden, um nach und nach unsere Umgestaltung nach seinem Vorbild zu verwirklichen, worin ja gerade die diesem hl. Sakrament eigentümliche Wirkung besteht. Zum besseren Verständnis dieser Wahrheit genügt es, die Stillgebete und Postkommuniongebete an den verschiedenen Festtagen des Herrn durchzulesen. Der Inhalt dieser Gebete, die im eucharistischen Opfer einen besonderen Rang einnehmen (Siehe oben S. 109 ff), richten sich in ihrem Gegenstand nach dem jeweiligen Festgeheimnis. Wir können also z. B. Jesus empfangen als den dem Vater wesensgleichen Gott, der da lebt im Schoß des Vaters. Wir beten dann in unserer Seele das ewige Wort an, Gott gleich dem Vater, wahrer Sohn Gottes, an dem der Vater sein Wohlgefallen hat: »Ja, ich bete dich an in meiner Seele, du ewiges Wort Gottes. Durch diese innige Vereinigung mit dir in dieser hl. Stunde der Kommunion, gib mir, dass ich mit dir lebe im Schoß des Vaters, jetzt noch durch den Glauben, einst aber in Wirklichkeit, auf dass ich lebe vom Leben Gottes selbst, das dein Leben ist.« 

Wir können den Herrn auch anbeten, wie ihn Maria in ihrem Schoß anbetete, als das menschgewordene Wort in ihr verborgen lebte, ehe es in der Welt erschien. Erst im Himmel werden wir erfahren, mit welchen Gefühlen der Ehrfurcht und Liebe Maria im Innersten ihres Herzens den Sohn Gottes anbetete, der aus ihr Fleisch annahm.

Wir können ihn auch anbeten, als ob wir vor 1900 Jahren mit den Hirten und den Weisen anbetend an der Krippe gekniet wären; er wird uns dann die Gnade mitteilen, jene Tugenden der Demut, Armut und Entsagung nachzuahmen, die er in diesen Geheimnissen seines verborgenen Lebens geübt hat.

Wir können auch, wenn wir wollen, den Heiland in uns finden, wie er ringt in bitterer Todesangst und durch seine rückhaltlose Hingabe an den Willen des Vaters uns die Gnade erwirkt, unser tägliches Kreuz in Geduld zu tragen. Er lebt in uns hinwiederum als der Auferstandene, der auch uns frei machen kann von allem Irdischen, damit wir treuer und hochherziger nur »für Gott leben« (Joh 1,18). Er ist in uns als der siegreiche Überwinder, der auffährt zum Himmel und uns in sein Gefolge aufnimmt, damit auch wir schon jetzt droben wohnen in Glaube, Hoffnung und liebendem Verlangen.

Wenn Christus so betrachtet und empfangen wird, dann lebt er sozusagen in uns in all seinen Geheimnissen von neuem, dann tritt Christi Leben mit all seinem Reichtum und seiner Schönheit an Stelle des unseren, und all seine Verdienste und Gnaden sind unser, »dienend eines jeglichem Begehren«.

4. Wir nehmen teil daran durch das hl. Messopfer, die Kommunion und die Besuchungen des in der Eucharistie verborgenen Heilandes. Tiefste Ehrfurcht an der Schwelle dieses Geheimnisses

Wie aus dem bisher Gesagten erhellt, besteht die vollkommenste Anteilnahme am göttlichen Geheimnis der Eucharistie in der sakramentalen Kommunion.

Die hl. Kommunion selbst aber setzt das hl. Messopfer voraus. Wenn wir daher der hl. Messe beiwohnen, gewinnen wir auch Anteil am heiligsten Altarssakramente. Was würden wir nicht darum geben, hätten wir mit Maria, Johannes und Magdalena am Fuß des Kreuzes stehen können? - Nun ist aber die hl. Messe, die wenn auch unblutige Erneuerung und Wiederholung des Kreuzesopfers und hat den Zweck, das Gedächtnis desselben fortzusetzen und uns die Früchte desselben zuzuwenden.

In der hl. Messe sollen wir uns mit Christus vereinigen, aber mit Christus als Opferlamm. Auf dem Altar liegt »das Lamm, gleichsam wie geschlachtet« (Offb 5, 6), und der Heiland will uns Anteil geben an seinem Opfer. Darum legt der Priester nach der hl. Wandlung die gefalteten Hände auf den Altar als Zeichen der innigen Verbindung zwischen Priester, Volk und heiligem Opfer und betet dazu: »Demütig flehen wir zu dir, allmächtiger Gott, du mögst diese Gabe von deinem erhabenen Altar empor tragen lassen vor das Angesicht deiner göttlichen Majestät.« 

Die Kirche bringt hier zwei Altäre in Beziehung, den himmlischen und den irdischen, nicht als ob es im Himmel einen stofflichen Altar gäbe, sondern um anzudeuten, dass es nur ein Opfer gibt. Das Opfer, das sich auf Erden in geheimnisvoller Weise vollzieht, ist ein und dasselbe mit jenem, das der Heiland, unser Hohepriester, dem ewigen Vater darbringt, wenn er ihm die Frucht seines bitteren Leidens für uns aufopfert.

»Hier ist wirklich der Leib und das Blut des Herrn« sagt Bossuet, »aber all unser Beten und Flehen liegt auf ihm, und dies alles vereint bildet eine einzige große Opferung.« (Explication de quelques difficultés sur les priéres de la messe. Ed. Lachat, t. XVII, p. 60).

So werden wir also in diesem feierlichen Augenblick eingeführt in das »Innere des Vorhangs« (Hebr 6,19), in das Allerheiligste der Gottheit, aber nur durch Jesus und mit ihm. Und dort vor der unendlichen Majestät Gottes, in Gegenwart des ganzen himmlischen Hofes werden wir mit Christus dem Vater dargestellt, damit wir vom Vater mit allem Segen des Himmels und aller Gnade erfüllt werden.

Wenn wir wahrhaft lebendigen Glauben hätten, mit welch tiefer Ehrfurcht würden wir dann diesem hochheiligen Opfer beiwohnen! Wie sorgfältig würden wir uns reinigen von jedem Makel, damit wir weniger unwürdig seien, mit unserem Haupt eingeführt zu werden in das Allerheiligste als lebendige, Christo geeinte Opfergabe. »Nur wenn wir uns selbst auch zum Opfer bringen, wird Christus in Wahrheit unser Opfer vor Gott sein«, sagt der hl. Gregor (Dial. 1. N. c. 59).

Das hl. Messopfer schenkt uns in der hl. Kommunion das Sakrament. Man nimmt nur dann am hl. Opfer vollen Anteil, wenn man sich mit der Opfergabe vereint. In dem soeben erklärten Gebete fleht die hl. Kirche, dass »wir mit allen Gnaden und Segnungen des Himmels erfüllt werden mögen, vorausgesetzt jedoch, dass wir am Opfer teilnehmen und im gemeinschaftlichen Genuss von diesem Altar den hl. Leib und das hl. Blut empfangen«. Nur durch den Empfang der hl. Kommunion gehen wir vollkommen ein auf die Absichten Jesu und entsprechen dem sehnenden Verlangen, das sein heiligstes Herz erfüllte, da er am Tag der Einsetzung die Worte sprach »Nehmt hin und esst« (Mt 26, 26). »Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst, werdet ihr das Leben nicht in euch haben« (Joh 6, 54). Die hl. Kommunion ist unsere erste Pflicht diesem Sakramente gegenüber.

Wir müssen uns aber auch zu diesem Festmahl geziemend vorbereiten. Gewiss, die hl. Kommunion wirkt von selbst in jener Seele, welche sie im Stand der Gnade und in der rechten Absicht empfängt. Je inniger aber ihre Liebe, je eifriger ihre Sehnsucht ist, umso reicher auch die Frucht.

Wir haben schon anderswo ausführlicher davon gehandelt, inwiefern diese Vorbereitung vor allem in Glaube, Vertrauen und völliger Hingabe an Christus und an seinen mystischen Leib bestehen soll (Columba Marmion, Christus das Leben der Seele. S. 307ff.). Es erübrigt sich daher, hier eingehend darauf zurückzukommen.

Eine Gesinnung aber soll hier noch hervorgehoben werden, nämlich jene, auf welche die hl. Kirche selbst uns hinweist in ihrem Gebete zum heiligsten Altarssakrament, die Tugend der Ehrfurcht: »Verleihe uns, o Herr, eine so große Ehrfurcht vor dem hocheiligen Geheimnis deines Leibes und Blutes, dass wir die Frucht deiner Erlösung allezeit in uns empfinden.« 

Die Kirche verlangt also, dass wir dem Herrn im heiligsten Sakrament »Ehrfurcht« erzeigen. Sie tut das aus zweifachem Grunde.

Zunächst weil Christus Gott ist.

Die Kirche spricht von »hochheiligen Geheimnissen«. Das Wort »Geheimnis« deutet an, dass unter den eucharistischen Gestalten eine Wirklichkeit verborgen ist. Die Beifügung »hochheilig« besagt, dass diese Wirklichkeit heilig und göttlich ist. Es ist ja hier jener verborgen, der mit dem Vater und dem Hl. Geist der unendliche allmächtige Gott, der Ursprung aller Wesen ist. Wenn der Herr sich uns zeigen würde im Glanz seiner Herrlichkeit, so könnten unsere Augen diesen Glanz nicht ertragen. Darum verbirgt er sich, um sich uns zu schenken, nicht nur in der Schwachheit des sterblichen Fleisches, wie bei der Menschwerdung, sondern auch unter den Gestalten von Brot und Wein. O, sprechen wir zu ihm: »Du, mein guter und süßester Jesus! Aus Liebe zu mir, um mich an dich zu ziehen und meine Speise zu werden, hast du deine Herrlichkeit verhüllt. Ich will dir darum aber nicht weniger ehrfürchtig begegnen. Je mehr du die Majestät deiner Gottheit verbirgst, umso mehr will ich dich anbeten, umso tiefer mich niederwerfen vor dir in Ehrfurcht und Liebe!« 

»In Demut bet' ich dich, verborg'ne Gottheit an, / die du den Schleier hier des Brotes umgetan !« ( Hymnus: Adoro te devote. ).

Der zweite Grund ist dieser, dass Christus sich verdemütigt und für uns dahin gegeben hat.

Die Kirche nennt »dieses wunderbare Sakrament das vorzüglichste Gedächtnis an das Leiden des Herrn.« Nun hat aber Christus gerade in seinem Leiden sich unbeschreiblich erniedrigt und in ein Meer von Schmach getaucht. Und eben weil Christus sich derart erniedrigt und sich selbst entäußert hat, deshalb hat, nach den Worten des hl. Paulus, der Vater ihn erhöht und ihm einen Namen gegeben, der da ist über alle Namen, damit jedes Knie vor ihm sich beuge und jede Zunge bekenne, dass Christus der Sohn Gottes ist und in der Herrlichkeit des Vaters in Ewigkeit.

Auf diesen Gedanken des Apostels sollen wir eingehen. Je tiefer Christus sich verbirgt und erniedrigt, desto mehr sollen wir wie sein himmlischer Vater, in diesem Sakrament, dem Gedächtnis seines Leidens, ihn verherrlichen, desto verschwenderischer ihm huldigen Solches fordert die Gerechtigkeit, solches fordert vor allem die Liebe.

Hat er sich denn nicht für uns »dahin gegeben«? »Wegen uns und um unsers Heiles willen (Credo der hl. Messe).« Für mich hat er gelitten. Für mich ist seine heilige Seele in ein Meer von Traurigkeit, Überdruss und Angst hineingetaucht worden. Für mich hat er so viel Übermut von rohen Soldaten ertragen. Für mich ist er gegeißelt, mit Dornen gekrönt worden, bis er unter unsäglichen Leiden gestorben ist. Er wollte mich an sich ziehen. »Er hat mich geliebt und sich für mich hingegeben« (Gal 2, 20). Jeder Zug in seinem Leidenskelch war vorherbestimmt von der göttlichen Weisheit und von seiner Liebe angenommen zu unserem Heil.

Du verborgener Gott im Tabernakel, ich werfe mich vor dir nieder! Ich möchte dir alle Ehre erweisen in diesem Sakrament, das du uns am Vorabend deines bitteren Leidens geschenkt hast als Beweis deiner überschwänglichen Liebe.

Ein Zeichen der Ehrfurcht ist die Besuchung des Allerheiligsten. Ist es nicht Mangel an Ehrfurcht, wenn wir diesen unseren Gast, der hier auf uns wartet, allein lassen! Hier wohnt jener, der in der Krippe lag, in Nazareth weilte, im Gebirge Judäas sich aufhielt, im Abendmahlsaal und am Kreuz war! Derselbe Jesus ist es, der zur Samariterin einst sagte: »Wenn du doch die Gabe Gottes erkenntest und den, der zu dir spricht.« Du hast so Verlangen nach Licht, nach Friede, Freude und Glück. Wenn du mich kenntest, du würdest mich um lebendiges Wasser bitten ... um das Wasser der göttlichen Gnade, die zur unerschöpflichen Quelle wird, bis sie in das ewige Leben mündet (vgl. Joh 4, 10.14).

Hier im hl. Sakrament ist wahrhaftig jener zugegen, der gesagt hat: »Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben« (Joh 14, 6.) »Wer mir nachfolgt, der wandelt nicht in der Finsternis« (Joh 8, 12). »Niemand kommt zum Vater außer durch mich« (Joh 19, 6). »Ich bin der Weinstock, und ihr seid die Reben. - Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viele Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun« (Joh 15, 9). »Wer zu mir kommt, den weise ich nicht zurück« (Joh 6, 37). »Kommet alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, und ich will euch erquicken ... und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen« (Mt 11, 28 ff).

Hier ist derselbe Heiland, der die Aussätzigen geheilt, den Wogen des Sturms Ruhe geboten und dem guten Schächer einen Platz in seinem Reich verheißen hat. Hier ist unser Heiland und Erlöser, unser Freund und unser erstgeborener Bruder in der ganzen Fülle seiner Allmacht, in der immer neuen Kraft seiner heiligen Geheimnisse, in der unendlichen Überfülle seiner Verdienste und der unaussprechlichen Barmherzigkeit seiner Liebe.

Er wartet auf uns im Tabernakel, nicht nur um unsere Anbetung und Huldigung zu empfangen, sondern um uns seine Gnaden mitzuteilen. Wenn unser Glaube an sein Wort nicht leere Gefühlssache ist, werden wir zu ihm eilen, um unsere Seelen durch den Glauben mit seiner heiligsten Menschheit in Berührung zu bringen. Ganz gewiss wird von ihm wie einst »eine Kraft ausgehen« (Lk 6, 19; 8, 46), und uns mit Licht und Freude erfüllen.

Nur dann können wir hoffen, die Frucht der Erlösung Jesu allezeit in uns zu erfahren, wenn diese hl. Ehrfurcht unsere Seele zutiefst erfüllt. Und so groß muss unsere Ehrfurcht sein, dass uns durch sie das Gottesgeschenk in seiner ganzen Fülle zuteilwerden könne: Lass uns deine Geheimnisse so verehren, dass wir die Früchte deiner Erlösung allezeit in uns erfahren!

5. Dieses hl. Sakrament verbindet uns durch den Glauben mit Christus und durch ihn mit dem Vater und dem Hl. Geist

Warum aber will die hl. Kirche all unser Verhalten dem allerheiligsten Altarssakrament gegenüber auf diesen Gedanken der Ehrfurcht einstellen?

Sie tut das deshalb, weil die Ehrfurcht eine Huldigung des Glaubens ist. Der Ungläubige beugt nie und nimmer das Knie vor der hl. Hostie. Die Ehrfurcht entspringt dem Glauben und nährt sich von ihm. Somit sehen wir auch hier wieder, dass der Glaube Wurzel aller Rechtfertigung und Grundlage allen Fortschrittes im geistlichen Leben, auch die wichtigste Vorbedingung ist, um die Früchte der Erlösung zu erlangen.

Worin besteht denn eigentlich diese Frucht der Erlösung für unsere Seelen? Sie besteht, kurz gesagt, in der Wiedergeburt zum göttlichen Leben der Gnade, in der Teilnahme an der Gotteskindschaft. Diese aber erlangen wir nur durch den Glauben. Der Glaube ist die erste Voraussetzung für jeden, der Kind Gottes werden und diese Frucht des Kreuzesbaumes ihrem vollen Wesen nach pflücken will. »Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, jenen, die an seinen Namen glauben ... die aus Gott geboren sind« (Joh 1,12 ff).

Der Empfang der hl. Eucharistie vereinigt uns zunächst mit der hl. Menschheit Christi, und diese Vereinigung vollzieht sich im Glauben. Wenn wir glauben, dass die Menschheit Christi wahrhaft die Menschheit des Sohnes Gottes, die eigene menschliche Natur des Wortes Gottes ist und dass sie in hypostatischer Vereinigung mit der zweiten göttlichen Person verbunden ist, wenn wir mit aller Kraft und Fülle unseres Glaubens diese hl. Menschheit anbeten, dann treten wir auch durch sie in Beziehung mit dem Wort Gottes, denn sie ist der Weg, der uns zur Gottheit führt.

Wenn der Heiland in der hl. Kommunion zu uns kommt, stellt er an uns die gleiche Frage wie an seine Apostel. »Für wen halten die Leute den Menschensohn? Und wir müssen mit Petrus antworten »Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes« (Mt 16,13) ! Ich sehe hier nur ein wenig Brot und Wein! Aber du, der du das Wort Gottes, die ewige Weisheit und unendliche Wahrheit bist, hast gesagt: Das ist mein Leib, das ist mein Blut! Und weil du es gesagt hast, darum glaube ich an deine Gegenwart unter diesen unscheinbaren Gestalten.

Die Sinne versagen hier; nur der Glaube dringt vor bis zur göttlichen Wirklichkeit, die unter dem eucharistischen Schleier verborgen ist.

»Unser Glaube soll ergänzen, was das Auge nicht erkennt«, singt die Kirche im Hymnus Pange lingua. Auch zu uns spricht der Heiland wie einst zum Hauptmann: »Geh hin! Dir geschehe, wie du geglaubt hast« (Mt 8,13). Weil du glaubst dass ich Gott bin, will ich dich erfüllen mit allen Schätzen meiner Gottheit, um dich überreich zu beglücken und dich umzuwandeln in mich. Ich schenke mich dir mit den unaussprechlichen Beziehungen meines innergöttlichen Lebens.

Denn wir vereinigen uns hier nicht mit Christus allein.

Christus ist eins mit seinem Vater, eins in der Einheit des Hl. Geistes. Die hl. Kommunion vereinigt uns also gleichzeitig mit dem Vater und dem Hl. Geist Christus, das menschgewordene Wort, gehört ganz und gar dem Vater. Wenn wir in der hl. Kommunion ihn empfangen, dann nimmt er uns und vereint uns mit dem Vater, wie er eins ist mit ihm» Vater«, so betet der Heiland, nachdem er das heiligste Altarssakrament eingesetzt hat, »Vater, ich bitte dich nicht allein für meine Apostel, sondern auch für jene, die durch ihr Wort an mich glauben werden, dass sie alle eins seien wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin; so sollen auch sie eins sein in uns. Ich in ihnen und du in mir, auf dass sie vollkommen eins seien« (Joh 17, 20 ff). Das Wort Gottes vereinigt uns auch mit dem Hl. Geist. Der Hl. Geist ist in der heiligsten Dreifaltigkeit die wesenhafte Liebe des Vaters und des Sohnes. Christus gibt ihn uns, wie er ihn den Aposteln gegeben hat, um uns durch ihn zu leiten. Er gibt uns diesen Geist der Kindschaft, der uns Zeugnis gibt, dass wir Kinder Gottes sind und uns durch seine Erleuchtungen und Einsprechungen hilft, dass wir so leben, wie es »vielgeliebten Kindern« geziemt.

Welch hehres Heiligtum ist die Seele im Augenblick der hl. Kommunion. Sie empfängt zunächst Christi Fleisch und Blut und damit zugleich die Gottheit des Wortes, die mit der Menschheit Christi unlöslich verbunden ist. Durch das Wort Gottes aber ist die Seele dem Vater und dem Hl. Geist vereint in der Unteilbarkeit ihrer göttlichen Natur. Es wohnt die heiligste Dreifaltigkeit in uns. Unsere Seele wird ein Himmel, in welchem sich die geheimnisvollsten Wechselbeziehungen des allerheiligsten, innergöttlichen Lebens vollziehen. Wir können dann dem ewigen Vater seinen göttlichen Sohn aufopfern, auf dass er an ihm von neuem sein göttliches Wohlgefallen habe. Dieses ewige Wohlgefallen des Vaters aber können wir unserm Herrn Jesus Christus darbieten, damit sich in seiner Seele jene unaussprechlichen Wonnen erneuern, die sie einst im Augenblick der Menschwerdung empfunden hat. Wir können auch den Hl. Geist bitten, dass er das Band der Liebe sein wolle, das uns mit dem Vater und dem Sohn verbinde ...

Nur der Glaube kann solche Wunder fassen, in solche Abgründe sich versenken: hier ist das Geheimnis des Glaubens: Mysterium fidei!

XIX. DAS HERZ JESU CHRISTI (Herz-Jesu-Fest)

Die Liebe ist der Schlüssel zu allen Geheimnissen Jesu Christi. Wir müssen an die unendliche Fülle dieser Liebe glauben. Am Herz-Jesu-Fest wird sie uns als Gegenstand der Verehrung dargestellt

Was immer wir im Reich der Gnade besitzen, kommt uns zu durch Jesus Christus. »Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen Gnade um Gnade« (Joh 1,16). Er hat die Scheidewand niedergerissen, die uns von Gott trennte; er hat uns die unendliche Fülle aller Gnaden verdient. Als göttliches Haupt des mystischen Leibes hat er die Macht, uns den Geist und die Kraft seiner Geheimnisse mitzuteilen, damit wir umgestaltet werden in ihn.

Wenn wir diese Geheimnisse Jesu betrachten, so finden wir, dass unter allen anderen Vollkommenheiten die Liebe am hellsten erstrahlt.

Die Liebe hat die Menschwerdung ins Werk gesetzt. »Wegen uns ist er hinabgestiegen vom Himmel und Mensch geworden« (Credo der hl. Messe). Die Liebe ist es, die Jesus geboren werden lässt in leidensfähigem, schwachem Fleisch, die ihn zur Demut seines verborgenen Lebens, zum Eifer seines öffentlichen Wirkens treibt. Wenn Jesus sich für uns dem Tod überliefert, so geschieht das, weil er »die Seinen liebte« (Joh 13,1). Er ersteht von den Toten, er fährt in den Himmel auf, um uns eine Wohnung zu bereiten am Ort der Seligkeit. Er sendet den Tröstergeist, um uns nicht als Waisen zurückzulassen, und setzt das heiligste Altarssakrament ein zum Andenken an seine Liebe. All diese Geheimnisse haben ihre Quelle in der Liebe .

Unser Glaube an diese Liebe Jesu Christi muss lebendig und standhaft sein; denn nur so wird er zur mächtigsten Stütze unserer Treue.

Das sehen wir am hl. Paulus; Nie hat ein Mensch so viel für Christus gearbeitet und sich so völlig im Dienste Christi verzehrt wie er. Einmal, da seine Feinde die Echtheit seiner Sendung angreifen, sieht er zu seiner Verteidigung sich veranlasst, ein Bild seines Wirkens, seiner Mühen und Leiden zu entrollen. Wer kennt es nicht, dieses in den Annalen des Apostolates einzig dastehende lebendige Bild, das man immer wieder mit Freude betrachtet? »Ich habe überaus viele Mühseligkeiten ertragen, Kerkerstrafen in reichlichem Maße, Misshandlungen über die Maßen, Todesgefahr gar oft. Fünfmal empfing ich von den Juden vierzig Streiche weniger einen, dreimal wurde ich mit Ruten geschlagen, einmal gesteinigt, dreimal erlitt ich Schiffbruch, einen Tag und eine Nacht trieb ich auf hoher See umher. Auf Reisen war ich oftmals in Gefahren durch Flüsse, durch Räuber, in Gefahren durch Volksgenossen, in Gefahren durch die Heiden, in Gefahren in der Stadt, in Gefahren in der Einöde, in Gefahren aus dem Meer, in Gefahren durch falsche Brüder. Ich ertrug Mühsal und Beschwerde, häufige Nachtwachen, Hunger und Durst, viele Fasten, Kälte und Blöße, die Sorge um die Gemeinde« (2 Kor 11, 23 ff). An einer anderen Stelle wendet Paulus das Wort des Psalmisten auf sich an: »Deinetwegen schweben wir stets in Todesgefahr, Opferschafen gleich werden wir geachtet« (Röm 8, 36 ff). Doch, was fügt er sogleich bei? »Aber in all dem bleiben wir siegreich durch ihn.« Worin liegt das Geheimnis dieses Sieges? Warum erträgt er alles, sogar »über die Kraft hinaus« (2 Kor 1, 8)? Warum bleibt er in all diesen Prüfungen so fest und innig mit Christus vereint, dass weder Trübsal noch Bedrängnis, noch Verfolgung, noch Hunger, noch Blöße, noch Gefahr noch Schwert ihn von der Liebe Christi trennen kann? Er weiß nur eine Antwort: »In all dem bleiben wir siegreich durch ihn, der uns geliebt hat« (Röm 8,37). Was ihn aufrechterhält, ihn stärkt, belebt und antreibt, ist die tiefinnere Überzeugung von der Liebe Christi, der ihn »geliebt und sich für ihn hingeopfert hat« (GaI 2,20).

Und diese feurige Überzeugung weckt in ihm, der »den Namen Gottes gelästert und die Christen verfolgt hat«, den Entschluss, nicht mehr »sich selber zu leben, sondern dem, der aus Liebe für ihn gestorben ist«. »Die Liebe Christi drängt uns«, ruft er aus (2 Kor 5,14). Deshalb will ich mich hingeben für ihn, will mich freudig opfern, mich erschöpfen für die Seelen, die er erkauft hat. »Ich aber will mit Freuden für eure Seelen Opfer bringen, ja, mich selbst aufopfern« (2 Kor 12,15).

Die tiefe Überzeugung, dass Christus ihn liebt, gibt den Schlüssel zum ganzen Lebenswerk des Apostels.

Nichts drängt so sehr zur Liebe, wie das Bewusstsein, geliebt zu werden. Allzeit, wenn wir an Christus denken, sollen wir uns der großen Liebe erinnern, womit er uns so viele Wohltaten erwiesen hat; denn Liebe weckt Gegenliebe.

Wie aber sollen wir die Liebe erkennen, die allen Geheimnissen Jesu zugrunde liegt, sie erklärt und alle ihre Beweggründe in sich zusammenfasst? Woraus sollen wir dieses so heilbringende, so fruchtbare Wissen schöpfen, das Paulus zum Gegenstand seines Gebetes für die Christen macht? Aus der Betrachtung der Geheimnisse Jesu! Wenn wir diese Geheimnisse gläubig durchforschen, so wird der Hl. Geist, der die unendliche Liebe ist, uns deren Tiefe enthüllen und uns den Weg weisen zu jener Liebe, aus der sie entspringen.

Es ist vor allem ein Fest, das uns durch seinen Gegenstand ganz allgemein die Liebe des menschgewordenen Wortes zu den Menschen ins Gedächtnis ruft: das Fest des heiligsten Herzens Jesu. Im Anschluss an die Offenbarungen unseres Herrn an die hl. Margareta Maria beschließt die hl. Kirche sozusagen durch dieses Fest den Kreis der Feierlichkeiten, die sie alljährlich zu Ehren des Erlösers begeht, gleichsam als bliebe ihr, am Ziel der Betrachtungen der Geheimnisse seines Lebens angelangt, nur noch eines übrig, die Liebe selbst zu feiern, die ihnen allen den Ursprung gab.

So wollen auch wir, nachdem die wichtigsten Geheimnisse unseres göttlichen Hauptes vor unserem Geistesauge vorübergezogen sind, nach dem Beispiel der Kirche noch einige Worte folgen lassen über die Verehrung des heiligsten Herzens Jesu, über deren Gegenstand und Übung. Wir werden dabei von neuem die überaus wichtige Wahrheit erfassen, dass im geistlichen Leben alles aus die praktische Kenntnis der Geheimnisse Jesu ankommt.

1. Was im Allgemeinen die Andacht zum heiligsten Herzen Jesu ist. - Wie tief diese Andacht in der christlichen Glaubenslehre wurzelt

Das lateinische Wort für »Andacht« devotio kommt vom Zeitwort devovere und bedeutet Weihe, Selbsthingabe an eine geliebte Person. Andacht gegen Gott ist demnach Weihe, Hingabe unseres ganzen Lebens an Gott. Andacht ist der höchste Ausdruck unserer Liebe. »Den Herrn, deinen Gott, sollst du lieben mit deinem ganzen Herzen, mit deiner ganzen Seele, mit deinem ganzen Gemüte und mit all deinen Kräften« (Mk 12, 30). Dieses »ganz« besagt völlige Hingabe. Gott lieben mit dem ganzen Sein und Wesen, ohne Vorbehalt, ohne jemals nachzulassen, mit froher Bereitschaft für seinen heiligen Willen. So verstanden ist Andacht gleichbedeutend mit Vollkommenheit, denn sie ist die Blüte der Liebe (Vgl. S. Thom. S. th. 1.II. q. 82. a. 1.).

Andacht gegen Jesus Christus ist Hingabe unseres ganzen Wesens, all unserer Tätigkeit an die Person des menschgewordenen Wortes als solchem, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Stufe, auf ein besonderes Geheimnis seines Lebens. Durch diese Andacht wollen wir den Sohn Gottes, der sich uns in seiner heiligsten Menschheit offenbarte, kennen lernen, ihn ehren und ihm dienen. Wir können sodann eine »besondere« Andacht pflegen, indem wir Gott verehren in einer seiner Eigenschaften oder Vollkommenheiten, wie etwa seine Heiligkeit oder seine Barmherzigkeit oder aber, indem wir Christus betrachten in dem einen oder andern seiner Geheimnisse. Immer ist es unser Herr und Heiland Jesus Christus, den wir verehren, all unsere Huldigungen gelten dessen anbetungswürdiger Person; allein wir betrachten diese Person von einer bestimmten Seite, so wie sie sich in einem besonderen Geheimniss uns darstellt. So gilt die Andacht zur heiligen Kindheit der Person Christi selber, betrachtet in den Geheimnissen der Geburt und der Jugendjahre zu Nazareth. Die Andacht zu den fünf Wunden ist eine Andacht zur Person des menschgewordenen Wortes, betrachtet in seinem Leiden, das durch diese fünf Wunden versinnbildet wird, deren glorreiche Male Christus auch nach der Auferstehung beibehalten wollte. Die Andacht kann einen ihr eigentümlichen, unmittelbaren, besonderen Gegenstand haben, immer aber zielt sie letztlich auf die Person seIbst ab (S. Thom., S. th. III. q. 25, a. 1.).

Aus dem Gesagten erhellt, was man unter der Andacht zum heiligsten Herzen Jesu zu verstehen hat. Im weiteren Sinne genommen, ist es die Andacht zur Person Jesu Christi selbst, der uns seine Liebe offenbart und uns sein göttliches Herz als Symbol dieser Liebe zeigt. Wen also verehren wir durch diese Andacht? Jesus Christus in eigener Person! Was aber hat diese Andacht zum unmittelbaren, ihr besonders eigenen Gegenstand? Das wirkliche, das menschliche Herz Jesu, das für uns in der Brust des Gottmenschen schlug; aber wir verehren es nicht getrennt von der menschlichen Natur Jesu, noch von der Person des ewigen Wortes dem diese menschliche Natur in der Menschwerdung verbunden ward. Das ist aber noch nicht alles: Wir verehren dieses Herz als SinnbiId der Liebe Jesu zu uns.

Die Herz Jesu-Andacht ist somit der Kult des menschgewordenen Wortes, insofern es uns seine Liebe kundtut und sein Herz uns zeigt als Sinnbild dieser Liebe.

Wohl ist es überflüssig, eine Rechtfertigung dieser uns allen vertrauten Andacht zu geben; immerhin mögen einige diesbezügliche Worte von Nutzen sein.

Nach der Auffassung mancher Protestanten ist die Kirche ein lebloses Gebilde, das schon gleich vom ersten Anfang an all seine Vollkommenheit gehabt und dabei hätte stehen bleiben müssen. Was im Laufe der Zeiten hinzugekommen ist, sei es in dogmatischer Hinsicht oder in Bezug auf die Frömmigkeit, gilt ihnen als überflüssige Zutat, ja als Verderbnis.

Für uns hingegen ist die Kirche ein lebendiger Organismus, der sich wie alles Leben entwickeln und vollenden muss. Der Schatz der Offenbarungen war freilich mit dem Tod des letzten Apostels abgeschlossen; seitdem wird keine Schrift als inspirierte zugelassen; die Privatoffenbarungen der Heiligen sind ja nicht allgemein verpflichtender Gegenstand des Glaubens.

Viele öffentliche Glaubenswahrheiten sind freilich nur gleichsam wie im Keim in der Offenbarung enthalten. Nach und nach erst hat sich unter dem Einfluss gewisser Ereignisse und unter der Führung des Hl. Geistes die Gelegenheit ergeben, durch ausdrückliche Lehrentscheidungen in deutlichen und bestimmten Formeln solche Wahrheiten festzulegen, die bisher nur Einschlussweise geglaubt und erkannt waren.

Vom ersten Augenblick seiner Menschwerdung an besaß Jesus Christus in seiner heiligen Seele alle Schätze der göttlichen Weisheit und Wissenschaft. Nur allmählich indes haben sie sich nach außen hin kundgetan. In dem Maße als Christus an Alter zunahm, äußerte sich auch diese seine Weisheit und Wissenschaft, und man sah all die Tugenden hervorsprossen und aufblühen, die er im Keim in sich barg.

Etwas Ähnliches geschieht nun mit der Kirche, dem mystischen Leib Christi. So finden wir z. B. in dem bei ihr hinterlegten Glaubensgut die herrliche Offenbarung: »Das Wort war Gott, und das Wort ist Fleisch geworden« (Joh 1,14). Diese Offenbarung enthält Schätze, die nur nach und nach ans Licht gefördert wurden. Sie ist einem Samenkorn vergleichbar, aus dem sich reiche Früchte der Wahrheit entwickeln, um unsere Kenntnis Jesu Christi zu erweitern und zu vermehren. Sobald sich eine Irrlehre erhob, wurde das der Kirche zum Anlass, um, geleitet vom Hl. Geist, etwa zu erklären, dass in Jesus Christus nur eine einzige göttliche Person ist, aber zwei verschiedene vollkommene Naturen, zwei Willen und zwei Quellen der Tätigkeit; oder um festzustellen, dass die Jungfrau Maria die Mutter Gottes ist, oder, dass alle Teile der heiligsten Menschheit Jesu anbetungswürdig sind Wegen ihrer Vereinigung mit der göttlichen Person des Wortes. Das sind durchaus nicht neu entstandene Glaubenslehren; es ist immer die eine und gleiche Hinterlage des Glaubens, die sich entwickelt, klärt und entfaltet.

Genau dasselbe, was von den Dogmen gilt, lässt sich auch auf die Andachten anwenden. Im Lauf der Jahrhunderte haben sich Andachten entwickelt, welche die Kirche, geleitet vom Hl. Geist, zugelassen und sich zu eigen gemacht hat. Es sind dieses jedoch keine eigentlichen Neuerungen, sondern Wirkungen, die sich aus den festgesetzten Glaubenslehren, sowie aus der lebensvollen Entwicklung der Kirche ergeben.

Sobald die lehrende Kirche eine Andacht gutheißt und sie durch ihre oberste Lehrbehörde bestätigt, muss es uns eine Freude sein, dieselbe anzunehmen. Anders handeln hieße nicht »die Gesinnungen der Kirche teilen« (sentire cum ecclesia), hieße nicht auf die Gedanken Christi eingehen, der zu den Aposteln und ihren Nachfolgern gesprochen hat: »Wer euch hört, der hört mich; wer euch verachtet, der verachtet mich« (Lk 10,16). Wie aber könnte zum Vater kommen, wer nicht auf Christus hört?

Die Andacht zum heiligsten Herzen Jesu, die in ihrer gegenwärtigen Form verhältnismäßig neu ist, hat ihre dogmatischen Wurzeln in der Hinterlage des Glaubens. Sie war im Keim enthalten in den Worten des hl. Johannes: »Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt« (Joh 1,14) und »da er die Seinen liebte, so bewies er ihnen seine Liebe bis zum Ende« (Joh 13,1). Was ist in der Tat die Menschwerdung anders als die Offenbarung Gottes, die sich uns kundtut durch die Menschheit Jesu? »Ein herrliches Licht, das aufgestrahlt ist den Augen unseres Geistes (Weihnachtspräfation).« Sie ist die Offenbarung der göttlichen Liebe an die Welt. »So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn dahin gegeben hat«; und der Sohn wiederum hat die Menschen so sehr geliebt, dass er sich für sie dem Tod überliefert hat. »Eine größere Liebe hat niemand als der, der für seine Freunde sein Leben hingibt« (Joh 15,13). In diesen Worten Jesu liegt im Keim die ganze Andacht zum göttlichen Herzen enthalten. Und um zu beweisen, dass seine Liebe ihren höchsten Grad erreicht hat, ließ Jesus unmittelbar, nachdem er am Kreuz den letzten Seufzer ausgehaucht hatte, sein Herz von der Lanze des Soldaten durchbohren.

Wie im Folgenden gezeigt werden soll, ist die Liebe, die durch das Herz versinnbildet wird, vor allem die geschaffene Liebe Jesu. Weil aber Christus das menschgewordene Wort ist, so offenbaren uns die Reichtümer dieser geschaffenen Liebe zugleich auch die Wunder der göttlichen Liebe des ewigen Wortes.

Daraus ergibt sich schon, wie tief diese Andacht im Offenbarungsgut verankert ist. Weit entfernt davon, eine Neuerung, eine Entartung zu sein, ist sie vielmehr eine ebenso einfache wie großartige Anpassung an die Lehre des hl. Johannes vom Wort, das Fleisch geworden ist und sich aus Liebe zu uns Menschen hingeopfert hat.

2. Ihre verschiedenen Wesensbestandteile

Wenn wir nun kurz die verschiedenen Elemente der Herz- Jesus- Verehrung durchgehen, wird sich zeigen, wie sehr diese gerechtfertigt ist.

Der eigentliche und unmittelbare Gegenstand dieser Verehrung ist das Herz von Fleisch und Blut unseres Herrn Jesu Christi. Dieses Herz ist in Wahrheit der Anbetung würdig. Und warum? Weil es einen Teil der menschlichen Natur ausmacht und weil das Wort Gottes sich mit einer vollkommenen Natur vereint hat. Er ist »vollkommener Mensch« (Credo). Die nämliche Anbetung, die wir der göttlichen Person des Wortes erweisen, gilt gleichzeitig allem, was ihr persönlich geeint ist, allem, was in ihr und durch sie besteht. Dies trifft nun zu bei der gesamten menschlichen Natur Jesu als solcher. Es gilt aber auch von jedem einzelnen der Teile, woraus sie sich zusammensetzt. Das Herz Jesu ist das Herz eines Gottes.

Dieses Herz aber, das wir in der Menschheit verehren und anbeten, die mit der Person des Wortes verbunden ist, dient hier als Sinnbild und zwar als Sinnbild der Liebe. In der gewöhnlichen Ausdrucksweise wird das Herz als Sinnbild der Liebe gewählt. Wenn Gott in der Hl. Schrift spricht: »Mein Sohn schenke mir dein Herz!« (Spr 23, 26), so ist es klar, dass mit dem »Herzen« die Liebe gemeint ist. Man kann von jemand sagen, dass man ihn schätze, ihn hochachte, dass man ihm aber doch nicht das Herz schenken möchte, was so viel besagen will, als dass Freundschaft und vertrauliche Verbindung mit diesem Menschen ausgeschlossen sind.

In der Andacht zum göttlichen Herzen Jesu verehren wir somit die Liebe des menschgewordenen Wortes zu uns Menschen.

Zunächst die geschaffene Liebe. Jesus Christus ist Gott und Mensch zugleich: Vollkommener Gott, vollkommener Mensch. Darin besteht das Geheimnis der Menschwerdung. In seiner Eigenschaft als »Menschensohn« hat Christus ein Herz wie wir, ein Herz aus Fleisch, ein Herz, das für uns schlagt mit der zärtlichsten, wahrsten, edelsten und treuesten Liebe, die nur gedacht werden kann.

Der hl. Paulus sagt im Brief an die Epheser, dass er Gott inständig bitte, sie erkennen zu lassen die Länge und Weite, die Höhe und Tiefe des Geheimnisses Jesu. So sehr ist er überwältigt von den unermesslichen Reichtümern, die es umschließt. Dasselbe hätte er sagen können von der Liebe Jesu zu uns, und er tat es auch, da er ausrief, dass diese Liebe »alle Begriffe übersteigt« (Eph 3,14 ff).

Es ist in der Tat unmöglich, die Schätze von Liebe und Zärtlichkeit, Wohlwollen und Milde, deren glühender Feuerherd das Herz des Gottmenschen bildet, je zu erschöpfen. Schlagen wir nur das Evangelium auf. Jede Seite desselben erstrahlt von der Güte, Barmherzigkeit und Herablassung Jesu gegen die Menschen. Weiter oben haben wir diese echt menschliche, unvergleichlich zarte Liebe in einigen Bildern aus dem öffentlichen Leben Jesu zu schildern versucht. Diese Liebe Christi ist kein trügerischer Schein. Sie ist durchaus wahr; denn sie gründet sich auf die Wirklichkeit der Menschwerdung selbst. Maria, die reinste Jungfrau, Johannes, Magdalena und Lazarus, sie alle kennen diese Liebe, die nicht nur im Willen ruht, sondern auch das Gefühl mitergreift. Wenn Jesus die Worte sprach: »Mich erbarmt des Volkes« (Mt 15, 32; Mk 8, 2), dann fühlte er wirklich alle Fasern seines menschlichen Herzens bewegt von heiligem Mitleid. Als er Maria und Martha weinen sah um ihren Bruder, weinte er mit ihnen. Echte menschliche Tränen entsprangen der Ergriffenheit, die sein Herz erbeben ließ. Deshalb sagten die Juden, die Zeugen dieses Schauspiels waren: »Seht, wie lieb er ihn hatte« (Joh 11, 36).

Jesus Christus aber bleibt immer derselbe. Was er gestern war, das ist er heute. Er behält auch im Himmel das liebreichste, das liebenswürdigste Herz, das es nur geben kann. Der hl. Paulus mahnt denn auch mit nachdrücklichen Worten dazu, volles Vertrauen zu setzen auf Jesus, weil er ein Hohepriester ist, der Mitleid hat mit unseren Schmerzen, Nöten und Schwachheiten; hat er ja selbst all unser Elend getragen, ausgenommen die Sünde. Allerdings kann Jesus jetzt nicht mehr leiden. »Der Tod hat keine Macht mehr über ihn« (Röm 6, 9). Aber Jesus ist und bleibt derjenige, der von Mitleid bewegt ward, der für uns gelitten und aus Liebe uns erlöst hat. »Er hat mich geliebt und sich für mich dahin gegeben.« 

Welches ist nun aber die Quelle dieser geschaffenen menschlichen Liebe Jesu? Woher stammt sie? Sie entspringt der unerschaffenen göttlichen Liebe, der Liebe des ewigen Wortes, dem die menschliche Natur unauflöslich verbunden ist. In Christus ist nur eine göttliche Person, obwohl in ihm zwei vollkommene und verschiedene Naturen sind mit den ihnen eigenen Kräften und Tätigkeiten. Diese geschaffene Liebe Jesu ist also nur eine Offenbarung seiner ungeschaffenen Liebe. Was immer die geschaffene Liebe Jesu vollbringt, das geschieht nur in Vereinigung mit der ungeschaffenen Liebe und durch sie. Das Herz des Erlösers schöpft seine menschliche Güte aus dem unergründlichen Ozean der göttlichen Liebe.

Auf Kalvaria sehen wir einen Menschen, der gleich uns den Tod erleidet, der mehr als ein anderer Mensch von Todesangst gebeugt, von Schmerz und Qual zermartert ward. Da erkennen wir in etwa die Liebe, die dieser Mensch uns beweist. Diese Liebe aber, deren Übermaß unsere Begriffe übersteigt, ist der greifbare Ausdruck der göttlichen Liebe. Das am Kreuz durchbohrte Herz Jesu offenbart uns die menschliche Liebe Jesu. Unter dem Schleier der Menschheit Jesu aber birgt und kündet sich uns die unaussprechliche, unfassbare Liebe des ewigen Wortes an.

Welch tiefgehende Kenntnisse, welch gewaltige Einblicke eröffnet uns die Herz-Jesu-Andacht! Wie sehr ist sie dazu angetan, die gläubige Seele anzuziehen. Sie gibt ihr ja das Mittel an die Hand, das zu verehren, was in Jesus Christus, dem menschgewordenen Wort, das Größte, Erhabenste und Wirksamste ist, die Liebe, womit er die Welt geliebt hat, deren Feuerofen sein hochheiliges, göttliches Herz ist.

3. Die Liebe Jesu wird versinnbildet durch sein Herz

Die Betrachtung der Wohltaten, die wir dieser Liebe verdanken, ist die Quelle unserer Gegenliebe. Zweifaches Merkmal unserer Liebe zu Christus; sie muss innig und wirksam sein.

Die Liebe ist tätig. Es liegt in ihrer Natur sich zu ergießen, sich mitzuteilen Die Liebe Jesu musste daher für die Menschen zu einer unversiegbaren Quelle von Gaben werden. Im Messgebet des Herz-Jesu-Festes lädt uns die Kirche ein, die »vorzüglichsten Wohltaten der Liebe Jesu Christi gegen uns im Geist zu erwägen«. Diese Betrachtung ist in der Tat einer der wesentlichsten Bestandteile der HerzJesus-Andacht. Wie könnte man eine Liebe verehren, deren Erweise man nicht kennt?

Diese Liebe ist, wie schon gesagt, die menschliche Liebe Jesu, durch welche die geschaffene Liebe sich offenbart. Dieser unerschaffenen Liebe aber, die dem Sohn mit dem Vater und dem Hl. Geist gemeinsam ist, verdanken wir alles. Es gibt kein Gnadengeschenk, das nicht in ihr seinen tiefsten Ursprung hätte. Wer hat die Wesen aus dem Nichts gezogen? Die Liebe. So singt die Kirche im Hymnus des Herz-Jesu-Festes: »Die Liebe, deren Allmachtruf / Einst Erde, Meer und Sterne schuf.« 

In vollkommenerem Sinne noch als die Schöpfung ist die Menschwerdung das Werk der Liebe. Sie ist es ja, die das ewige Wort Gottes aus dem Glanz des himmlischen Heiligtums herniedersteigen ließ, um sich einer schwachen, sterblichen Natur zu vermählen. »Die Liebe trieb dich, dass du kamst / Und unser sterblich Fleisch annahmst (Vesperhymnus).« 

Und auch jene Wohltaten, deren wir vor allem eingedenk bleiben sollen, die Erlösung durch das bittere Leiden und die Einsetzung der heiligen Sakramente, verdanken wir gleichfalls ebenso wohl der ungeschaffenen göttlichen Liebe Jesu.

Bei Betrachtung der Geheimnisse Christi haben wir gesehen, wie tief, wie glühend die Liebe ist, die in ihnen zum Ausdruck kommt. Der Heiland selbst hat gesagt, dass es »keine größere Liebestat gebe, als sein Leben hinzuopfern für seine Freunde«. Er hat diese Tat vollbracht. Viele Tugenden erstrahlen in seinem allerheiligsten Leiden. Keine aber erstrahlt heller als die Liebe. Es erforderte aber wahrhaft ein Übermaß von Liebe, um freiwillig all die einzelnen Phasen des Leidens auf sich zu nehmen, in all die Tiefen von Demütigung, Schmach und Schmerz hinabzusteigen. Wie die Liebe unsere Erlösung bewirkt hat, so hat sie gleicherweise auch die Sakramente eingesetzt, durch welche die Früchte des Opfertodes Jesu allen Menschen zugewendet werden, die eines guten Willens sind.

Der hl. Augustinus (S. Aug., Tract. in loan. CXX, 2) hebt ausdrücklich das Wort hervor, dessen sich der Evangelist bedient hat, da er von der Seitenwunde Christi spricht, die dem Leichnam Jesu am Kreuz durch den Lanzenstich beigebracht wurde. Es heißt nämlich nicht: Er »durchbohrte« seine Seite, oder er »verwundete«, sondern er »öffnete« sie. »Hiermit«, sagt der große Kirchenlehrer, »wurde die Türe des Lebens eröffnet.« Aus dem durchbohrten Herzen Jesu sollten sich über die Welt Ströme der Gnade ergießen, um die Kirche zu heiligen.

Solche Betrachtung der Wohltaten, die Jesus uns erwiesen hat, muss zur Quelle unserer Andacht zum göttlichen Herzen werden.

Nur Liebe kann Liebe erwidern. Der Heiland beklagte sich bei der hl. Margareta Maria in schmerzlichster Weise, dass seine Liebe nicht erwidert werde. »Siehe, das Herz, das die Menschen so sehr geliebt hat, und es empfängt von ihnen nichts als Undank.« Wir müssen also Jesus Christus wiederlieben und ihm unsere Herzen schenken als Antwort auf seine Liebe. »Wer schenkt dem Liebenden nicht wieder Liebe? / Wer liebt, erlöst, den Befreier nicht (Laudeshymnus) ?« 

Um vollkommen zu sein, muss diese Liebe einen zweifachen Charakter haben. Es gibt eine Liebe des GefühIs, in den verschiedenen Empfindungen, welche die Seele bewegen im Hinblick aus eine geliebte Person, wie Bewunderung, Wohlgefallen, Freude, Dank.

Diese Liebe des Gefühls veranlasst das Lob der Lippen. Wir freuen uns über die Vollkommenheiten des Herzens Jesu. Wir preisen seine Schönheit, seine Herrlichkeiten, finden Wohlgefallen in den Großtaten seiner Liebeserweise. »Auf jubeln sollen laut die Lippen mein, wenn ich dir spiele« (Ps 70, 23). Solche Liebe ist in gewissem Sinne notwendig. Eine Seele, die Christus betrachtet in seiner Liebe, wird hingerissen zur Bewunderung, zum Wohlgefallen und zum Jubel. Wir sollen ja Gott lieben mit unserem ganzen Wesen. Gott verlangt, dass unsere Liebe zu ihm unserer Natur entspreche. Nun ist aber unsere Natur nicht jener der Engel gleich, sondern sie ist eine menschliche Natur, in welcher das sinnlich empfindende Vermögen seine Berechtigung hat. Jesus Christus hat an dieser Art der Liebe sein Wohlgefallen, weil sie in unserer Natur, die er selbst geschaffen hat, begründet ist. Betrachten wir ihn bei seinem feierlichen Einzug in Jerusalem, wenige Tage vor seinem bitteren Leiden. »Schon näherte er sich dem Abhang des Ölberges, da begann die große Schar seiner Jünger voll Freude Gott mit lauter Stimme zu preisen ob all der Wundertaten, die sie gesehen hatten. Sie riefen: >Gepriesen sei der König, der da kommt im Namen des Herrn! Im Himmel Friede und Ehre in der Höhe.< Einige Pharisäer aber, die sich unter der Volksmenge befanden, sprachen zu ihm: >Meister, wehr doch deinen Jüngern.< Er jedoch entgegnete ihnen: >Ich sage euch, wenn diese schweigen, werden die Steine rufen« (Lk 19, 37 ff).

Das Lob, das aus dem Herzen auf die Lippen steigt, ist dem Herrn wohlgefällig. Unsere Liebe muss sich in Worten Luft machen. Franziskus der Arme von Assisi, war so sehr entzückt und hingerissen von der Liebe, dass er auf Wegen und Straßen das Lob Gottes sang. Die hl. Magdalena von Pazzi lief durch die Gänge ihres Klosters und rief aus: »O Liebe, o Liebe!« Die hl. Theresia fuhr jedes Mal freudig zusammen und erbebte am ganzen Körper, wenn sie die Worte des Credo sang: »Und seines Reiches wird kein Ende sein.« Wer ihre »Ausrufe« liest, dem wird es klar, dass in einer liebentflammten Seele alle Empfindungen der menschlichen Natur zum glühenden Lobgesang werden. Lassen wir uns daher nicht abhalten, das göttliche Herz Jesu immer wieder in mannigfaltiger Weise zu loben! Die Anrufungen der Herz-Jesu-Litanei, alle Akte von Sühne und Weihe sind ebenso viele Ausdrucksweisen dieser Liebe, ohne welche die Seele niemals die Vollkommenheit ihrer Natur erreichen wird.

Aber diese Liebe des Gefühls wäre für sich allein ungenügend. Damit sie vollwertig sei, muss sie sich umsetzen in die Tat. »Die Echtheit der Liebe zeigt sich im Werk (S. Greg. Homil. in Evang. 30,1).« »Wenn ihr mich liebt, so haltet meine Gebote« (Joh 14,15). Das allein ist der wahre Prüfstein der Liebe. Man kann da Seelen finden, die von Gefühlen überströmen, die sogar die Gabe der Tränen haben und sich dennoch nicht den mindesten Zwang antun, wo es gilt, ihre bösen Neigungen zu überwinden, ihre schlechten Gewohnheiten abzulegen und die Gelegenheiten zur Sünde zu meiden, die jeder Versuchung erliegen und murren und klagen, wo immer ihnen Ungemach und Schwierigkeiten begegnen. Ihre Liebe ist voll Selbsttäuschung. Sie ist ein Strohfeuer ohne Dauer, von dem nichts bleibt als ein unscheinbares Häuflein Asche. Wenn wir Christus wirklich lieben, dann freuen wir uns nicht nur über seine Herrlichkeit, wir singen auch das Lob seiner Vollkommenheiten aus vollster Begeisterung unserer Seele, betrüben uns über die Beleidigungen, die seinem Herzen zugefügt werden und bieten ihm Sühne dafür an. Vor allem aber werden wir uns Mühe geben, ihm in immer zu gehorchen und bereitwillig auf alles einzugehen, was seine Vorsehung über uns verfügt. Wir werden freudig all unsere Kraft einsetzen, wo es gilt, sein Reich in den Seelen auszubreiten, seine Ehre zu fördern. Ja, wenn es Not tut, werden wir uns aufreiben in seinem Dienste nach dem schönen Worte des heiligen Paulus: »Ich will mit Freuden für eure Seelen Opfer bringen, ja, mich selbst aufopfern« (2 Kor 12,14). Der Apostel dachte zwar dabei an seine Liebe zum Nächsten. Auf unsere Liebe zu Jesus angewendet, fasst jedoch dieser Ausspruch in wunderbarer Weise die Übung der Andacht zum göttlichen Herzen zusammen.

Schauen wir auf den göttlichen Heiland! Er ist hier, wie für die Übung jeglicher Tugend, unser bestes Vorbild; denn in ihm finden wir diese beiden Arten der Liebe.

Wie groß ist seine Liebe zum Vater! Jesus Christus empfindet in seinem Herzen die innigste gefühlsmäßige Liebe so tief und wahr, wie nur immer ein menschliches Herz sie empfinden kann. Im Evangelium lesen wir, wie sein Herz einst in überströmender Begeisterung ob der unergründlichen Vollkommenheiten des Vaters vor seinen Jüngern in Lobpreis ausbrach. In eben jener Stunde frohlockte er im Hl. Geist und sprach: »Ich preise dich, Vater des Himmels und der Erde, dass du dies vor Weisen und Klugen verborgen, Kleinen aber geoffenbart hast. Ja, Vater, so gefiel es dir« (Lk 10,21)! Und wie sehen wir beim letzten Abendmahl sein heiligstes Herz erfüllt von Liebe zu seinem Vater, so dass er in einem unaussprechlich erhabenen Gebet seinen Empfindungen Ausdruck gibt! Zuletzt aber wollte er der ganzen Welt die Aufrichtigkeit und Glut dieser Liebe zeigen. »Die Welt soll erkennen, dass ich den Vater liebe« (Joh 14, 31), und so ging er in den Ölgarten, um die lange Kette der Demütigungen und Schmerzen seines qualvollen Leidens in bitterer Todesangst zu beginnen.

Auch seine Liebe zu den Menschen trägt dieses doppelte Merkmal. So sehen wir, wie ihm eines Tages, angezogen durch die Schönheit seines göttlichen Wortes und durch den Glanz der Wunder, eine große Menge Volkes nachfolgt. Nach drei Tagen beginnt die Schar zu ermatten; denn es gebricht an Speise. Da spricht Jesus: »Mich erbarmt des Volkes! Schon drei Tage harren sie bei mir aus und haben nichts zu essen. Wenn ich sie hungrig nach Hause gehen lasse, so brechen sie unterwegs zusammen; denn manche von ihnen sind weit hergekommen.« Tiefes Mitgefühl bewegt sein menschliches Herz. Und Jesus setzt dieses Mitleid alsogleich in die Tat um. Unter seinen gebenedeiten Händen mehren sich die Brote, »um die Menge hungernden Volkes, das ihm nachfolgte, zu sättigen« (Mk 8, 2 ff).

Und erst am Grab des Lazarus! Jesus weint. Er vergießt Tränen, wirkliche, menschliche Tränen. Könnten sich die Gefühle seines Herzens rührender, echter erzeigen? Alsogleich stellt er auch seine Allmacht in den Dienst seiner Liebe »Lazarus, komm hervor« (Joh 11, 43).

Das ist die Liebe, die sich in der Selbsthingabe kundgibt. Wie sie dem Herzen entströmt, so bemächtigt sie sich des ganzen Menschen und all seiner Tätigkeit, um alles dem Wohl und der Verherrlichung des geliebten Gegenstandes zu weihen.

Wieweit soll nun die Liebe gehen, die wir unserm Herrn und Heiland bezeigen als Erwiderung seiner unendlichen Liebe zu uns?

Sie muss zunächst jene wesentliche, alles beherrschende Liebe umfassen, die uns Christus, den Herrn, und die Kundgebungen seines Willens als das höchste Gut erkennen lassen, das wir allem anderen vorziehen. In Wirklichkeit besteht diese Liebe in der Heiligmachenden Gnade. - Andacht, so haben wir schon gesagt, ist Hingabe. Wie könnte man aber von Hingabe sprechen bei einer Seele, die sich nicht durch treueste Wachsamkeit bemühen würde, den Schatz der Heiligmachenden Gnade in sich zu bewahren, die in der Versuchung schwanken würde zwischen dem Willen Jesu Christi und den Einflüsterungen seines Feindes von Anbeginn?

Die Liebe allein verleiht unserem Leben Wert, macht es zu einer immerwährenden, dem Herzen Christi wohlgefälligen Huldigung. Ohne diese wesentliche Liebe hat nichts anderes Wert in den Augen Gottes. Daher sagt Paulus so nachdrücklich: »Wenn ich mit Engel- und Menschenzungen rede, aber die Liebe nicht habe, so bin ich nur ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich die Gabe gotterleuchteter Rede habe und alle Geheimnisse weiß und alle Erkenntnis besitze, und wenn ich allen Glauben habe, so dass ich Berge versetzen kann, aber die Liebe nicht habe, so bin ich nichts« (1 Kor 13, 1 ff). Mit anderen Worten: Ich kann Gott nicht gefallen, wenn ich nicht diese wahre, innerliche Liebe in mir trage, durch welche ich ihm, als dem höchsten Gut, anhange. Wo diese Liebe fehlt, kann von wahrer Andacht keine Rede sein. Wir müssen uns daran gewöhnen, alles, selbst die kleinsten Dinge, aus Liebe zu tun, um Jesus Christus zu erfreuen. Eine wahrhaft ausgezeichnete, tätige Andacht zum heiligsten Herzen Jesu ist diese, dass wir arbeiten, unsere Leiden und Mühen annehmen, unsere Standespflichten in Liebe erfüllen, um dem Herrn wohlgefällig zu sein, und dies alles in Vereinigung mit den Gesinnungen, die sein heiligstes Herz beseelten, da er, wie wir, auf Erden lebte. Damit steht unser ganzes Leben in innigster Liebesbeziehung zum heiligsten Herzen Jesu.

So gewinnt unser Leben überdies einen Zuwachs von Fruchtbarkeit. Jede Tugendübung, jeder Akt der Demut, des Gehorsams, der Gottesverehrung, den wir im Stand der Gnade setzen, hat sein eigenes Verdienst, seine ihm eigenartige Vollkommenheit, seinen besonderen Glanz. Wenn nun aber ein solcher Akt aus der Liebe entspringt, so empfängt er dadurch neue Kraft, Wirksamkeit und Schönheit. Ohne dass irgendwie etwas von dem ihm eigenen Wert verloren geht, gewinnt er noch das Verdienst eines Liebesaktes »O Herr«, singt der Psalmist, »an deine Rechte tritt die Königin in goldenem Gewand, bunt in Pracht gehüllt« (Ps 94, 10). Die Königin ist die treue Seele, in der Christus herrscht durch die Gnade. Sie thront zur Rechten des Königs in goldgewirktem Kleide, durch das die Liebe versinnbildet wird. Die buntstrahlenden Farben bedeuten die verschiedenen Tugenden. Jede aus ihnen hat den ihr eigenen Schmelz; aber die Liebe, die deren tiefste Ursache ist, erhöht diesen Glanz.

Möge diese Liebe machtvoll in unseren Herzen herrschen, um alle ihre Regungen auf die Ehre Gottes und seines Sohnes, Jesus Christus, zu beziehen!

4. Der kostbare Vorzug der Herz- Jesu- Verehrung

Sie erzieht uns nach und nach zu jener Gesinnung, die wir im Verkehr mit Gott haben sollen. Unser geistliches Leben hängt zum großen Teil von dem Begriff ab, den wir uns von Gott zu machen pflegen. Verschiedene Gesichtspunkte, unter denen die Seelen Gott betrachten können.

Wie der Hl. Geist nicht alle Seelen dazu beruft, in gleicher Weise durch gleiche Tugenden hervorzuleuchten, so lässt er ihnen auch in Bezug auf die besonderen Andachten eine heilige Freiheit, die wir ehrfurchtsvoll achten müssen. Manche fühlen sich in besonderer Weise angezogen, die Geheimnisse der Kindheit Jesu zu verehren; andere lockt der ganze innerliche Liebreiz des verborgenen Lebens; wieder andere können sich nicht trennen von der Betrachtung des bitteren Leidens.

Die Andacht zum göttlichen Herzen aber gehört zu jenen, die uns vor allen lieb und teuer sein müssen; denn durch sie verehren wir Jesus Christus nicht etwa bloß in einer besonderen Stufe seines Lebens, in einem seiner Geheimnisse, sondern schlechthin in der Allgemeinheit seiner allumfassenden Liebe, jener Liebe, die jedes Geheimnis in seinem tiefsten Wesen erklärt. Diese Andacht hat, obwohl sie eine besondere Andacht ist und sich deutlich als solche kennzeichnet, dennoch etwas ganz Allgemeines in ihrem Wesen. Wenn wir das Herz Jesu verehren, so zielen unsere Huldigungen nicht mehr im Einzelnen auf Jesus, das Kind, den Jüngling, das Opferlamm hin, sondern auf die Person Jesu Christi in der Fülle seiner Liebe.

Zudem zielt die vollkommene Übung dieser Andacht letzten Endes darauf hin, unserem Herrn Liebe für Liebe zu erweisen, unsere gesamte Tätigkeit zu erfassen und mit Liebe zu durchdringen, um dadurch Jesu Christo zu gefallen. Die einzelnen Andachtsübungen sind nur Mittel, um unserm göttlichen Meister Beweise unserer Liebe zu geben. Das ist die überaus große Frucht dieser Andacht; denn die ganze christliche Religion gipfelt in dem einen Punkt: In Liebe dem Dienste Christi sich hinzugeben und durch Christus dem Vater und dem Hl. Geiste, der von beiden ausgeht! Dieser Punkt ist ungemein wichtig, so dass wir ihn zum Schluss dieser Abhandlung noch kurz betrachten wollen.

Es ist eine durch die Erfahrung bestätigte Wahrheit, dass unser geistiges Leben zum großen Teile von dem Begriff abhängt, den wir uns gewöhnlich von Gott machen. Es bestehen zwischen Gott und uns grundlegende Beziehungen, die mit unserer geschöpflichen Natur gegeben sind. Es bestehen sittliche Verbindungen, die aus unserer Stellung ihm gegenüber folgen, und diese Stellung ist fast immer durch die Vorstellungen bedingt, die wir von Gott haben.

Machen wir uns von Gott einen falschen Begriff, so werden alle unsere Anstrengungen zum inneren Fortschritt gar oft eitel und unfruchtbar sein, weil sie außerhalb des rechten Weges gemacht werden. Haben wir eine unvollständige Vorstellung von Gott, so wird unser geistiges Leben viele Lücken und Unvollkommenheiten aufweisen. Ist unser Begriff von Gott jedoch der wahre, soweit das einem Geschöpf, das im Glauben lebt, hienieden überhaupt möglich ist, so wird unsere Seele sich ruhig und sicher im Licht entfalten.

Die Vorstellung also, die wir uns gewöhnlich von Gott machen, ist daher der Schlüssel für unser inneres Leben, nicht bloß, weil sie unser Verhalten Gott gegenüber regelt, sondern auch, weil sie oft das Verhalten Gottes gegen uns bestimmt. Häufig behandelt Gott uns so, wie wir ihn behandeln.

Man könnte nun vielleicht fragen, ob denn die Heiligmachende Gnade uns nicht zu Kindern Gottes mache? Gewiss tut sie das!. Tatsächlich aber gibt es Menschen, die nicht handeln wie angenommene Kinder des ewigen Vaters. Man möchte fast meinen, dass ihr Vorrecht der Gotteskindschaft nur des Namens wegen Wert für sie habe. Sie verstehen nicht, dass diese Gotteskindschaft ein durchaus wesensneuer Stand ist, der sich unablässig bekunden muss durch ihm entsprechende Handlungen, und dass das gesamte geistliche Leben nichts anderes ist als die Entfaltung des Geistes der Gotteskindschaft, den wir durch die Gnade Jesu Christi in der Taufe empfangen haben.

So trifft man Seelen, die gewohnheitsmäßig Gott so betrachten, wie die Israeliten ihn betrachtet haben. Ihnen offenbarte sich Gott unter Blitz und Donner auf dem Sinai (Ex 19,16). »Für das widerspenstige Volk mit dem herben Nacken«. (Dtn 31, 27), das zur Untreue und zum Götzendienst neigte, war Gott nur der Herr, dem man Anbetung schuldete, der Gebieter, dem man dienen, der Richter, den man fürchten musste. Die Israeliten hatten, nach den Worten des hl. Paulus, den »Geist der Knechtschaft empfangen« (Röm 8,15). Gott erschien ihnen nur in der Majestät seiner Herrschergröße und unumschränkten Allmacht und behandelte sie mit strenger Gerechtigkeit. Wir sehen, wie die Erde ihren Mund auftut und lebendig die gotteslästerlichen Frevler verschlingt (Num 16, 32). Wer ohne amtliche Befugnis so vermessen ist, die Bundeslade zu berühren, wird auf der Stelle mit dem Tod bestraft (2 Kön 6, 6 f). Giftige Schlangen töten mit ihrem Biss die Murrenden (Num 21, 5 f). Keiner vermesse sich, den Namen Jahwes auszusprechen. Nur einmal im Jahre darf der Hohepriester, zitternd vor Ehrfurcht, allein das Allerheiligste betreten, und auch da nur geschützt durch das Blut der Sühnopfer (Lev 16, 11 ff). Das war der »Geist der Knechtschaft«. Es gibt nun Seelen, die gewöhnlich in dieser Gesinnung rein knechtischer Furcht leben. Wenn sie nicht Gottes Strafe fürchteten, so würden sie nicht zaudern, Gott zu beleidigen. Gewohnt, Gott als strengen Herrn zu betrachten, streben sie nicht darnach, ihm zu gefallen. Sie gleichen dem Knecht, von dem Jesus Christus im Gleichnis von den anvertrauten Talenten spricht: Ein König zog fort in fernes Land. Vorher aber rief er noch seine Knechte und vertraute ihnen Talente an, auf dass sie damit bis zu seiner Heimkehr wirtschaften möchten. Einer der Knechte aber legte sein Talent nicht nutzbringend an, sondern ließ es brach liegen. »Siehe da, dein Talent!« spricht er zum heimgekehrten Gebieter »Ich habe es im Schweißtuch aufbewahrt, weil du ein strenger Mann bist. Du erhebst, wo du nicht angelegt und erntest, wo du nicht gesät hast.« Und was antwortet der König? Er nimmt den nachlässigen Knecht beim Wort. »Mit deinen eigenen Worten will ich das Urteil über dich sprechen ... Du wusstest, dass ich ein strenger Mann bin ... warum hast du mein Geld nicht auf die Bank gebracht?« Und der König befahl, dass man dem Knecht das Talent abnehme, das er ihm gegeben hatte (Lk 19,12 f). - Solche Seelen verkehren gleichsam nur aus der Ferne mit Gott. Sie behandeln ihn ausschließlich wie einen hohen Herrn, und Gott tut ihnen ein gleiches: Er gibt sich ihnen nicht hin, zwischen ihnen und ihm kann keine persönliche Innigkeit bestehen. Die Entfaltung des inneren Lebens ist bei ihnen ausgeschlossen.

Andere Seelen, deren Zahl vielleicht größer ist, sind gewohnt, Gott als den großen Wohltäter anzusehen. Sie handeln in der Regel nur »um der Vergeltung willen« (Ps 119, 112). Diese Auffassung ist nicht falsch. Jesus Christus vergleicht seinen Vater einem Herrn, der den getreuen Knecht belohnt und zwar mit größter Freigebigkeit. »Gehe ein in die Freude deines Herrn« (Mt 25, 21)! Er selber sagt uns, dass er in »den Himmel auffahre, um uns eine Stätte zu bereiten« (Joh 14, 2).

Wenn aber diese Auffassung so zur Gewohnheit wird, dass sie, wie dies manchmal geschieht, andere Gesinnungen ausschIießt, dann entspricht sie nicht mehr voll und ganz dem Geist des Evangeliums. Gewiss ist die Hoffnung eine christliche Tugend; sie ist für die Seele eine mächtige Stütze in Trübsal, Prüfung und Versuchung. Aber sie ist weder die einzige, noch die vollkommenste der göttlichen Tugenden, welche doch die wesenseigenen Tugenden unseres Standes als Gotteskinder sind. Die vollkommenste Tugend, jene, welcher unter allen die Krone gebührt, nennt uns der hl. Paulus: »Für jetzt aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei. Die größte unter ihnen ist die Liebe« (1 Kor 13,13).

5. Christus allein offenbart uns die richtige Seelenhaltung, die wir Gott gegenüber einnehmen sollen. Die Andacht zum Herzen Jesu hilft uns, diese Haltung erlangen

Lassen wir daher jene Haltung Gott gegenüber uns zur Gewohnheit werden, die aus kindlichem Vertrauen und Liebe besteht und die uns Jesus Christus geoffenbart hat als die Gesinnung des Neuen Bundes. Wir sollen dabei keineswegs die Furcht außer Acht lassen, nicht zwar jene knechtische Furcht der Sklaven, die die Strafe fürchten, wohl aber jene Furcht, die zurückschreckt vor der Beleidigung Gottes, der uns geschaffen hat, und wir sollen auch nicht den Gedanken an die Belohnung vergessen, die für unsere Treue uns erwartet.

Christus, unser Herr, weiß wohl am besten, wie unsere Beziehungen zu Gott beschaffen sein sollen; er kennt die göttlichen Geheimnisse. Wenn wir auf ihn hören, laufen wir nicht Gefahr, uns zu verirren. Er ist die Wahrheit selbst. Welches soll nun, seinem Willen entsprechend, unser Verhalten Gott gegenüber sein? Wie will er, dass wir Gott betrachten und ehren? Wohl lehrt er uns, dass Gott der höchste Herr ist, den wir anbeten müssen; denn es steht geschrieben: Den Herrn, deinen Gott, fürchte und ihm allein diene (Dtn 6,13; Lk 4, 8). Aber der Gott, den wir anbeten sollen, ist unser Vater. »Die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten; denn solche Anbeter sucht der Vater« (Joh 4, 23).

Sind es aber bloß die Gesinnungen der Anbetung, die unser Herz erfüllen sollen? Besteht darin allein die Haltung, die wir dem Vater gegenüber, der unser Herr und Gott ist, einnehmen müssen? Nein. Jesus Christus gesellt der Anbetung die Liebe zu, eine vollkommene Liebe ohne Vorbehalt und ohne Einschränkung. Auf die Frage, welches das größte der Gebote sei, hat Jesus einst geantwortet: »Den Herrn, deinen Gott, sollst du lieben mit deinem ganzen Herzen, mit deiner ganzen Seele, mit deinem ganzen Gemüte, mit allen deinen Kräften« (Mk 12, 30) Du sollst lieben mit der Liebe des Wohlgefallens gegenüber dem Herrn von so großer Majestät gegen Gott von unendlich erhabener Vollkommenheit, mit der Liebe des Wohlwollens, die verlangt die Ehre des geliebten Gegenstandes gefordert und gesteigert zu sehen, mit der Liebe der Freundschaft gegen jenen, der zuvor uns geliebt hat.

Gott will, dass unsere Beziehungen zu ihm zugleich durchdrungen seien von kindlicher Ehrfurcht und inniger Liebe. Ohne die Ehrfurcht läuft die Liebe Gefahr, in ein höchst unziemliches Sichgehenlassen auszuarten, das nicht ohne Gefahr für das geistliche Leben ist. Ohne Liebe aber, die uns auf dem Weg zum Vater beflügelt, lebt die Seele im Irrtum, indem sie das göttliche Gnadengeschenk verkennt.

Um nun in uns diese beiden sich scheinbar widersprechenden Gesinnungen zu schützen, teilt Gott uns den Geist seines Sohnes Jesus mit, der durch die Gaben der Furcht des Herrn und der Frömmigkeit in uns die tiefste Anbetung mit der zartesten Liebe in Einklang bringt, so wie es sich ziemt. »Weil ihr nun Söhne seid, hat Gott den Geist seines Sohnes in euer Herz gesandt« (Gal 4, 6). Das ist der Geist, der nach der Lehre Jesu selbst unser ganzes Leben lenken und regieren soll. Es ist der Geist der Annahme an Kindes Statt des Neuen Bundes, den der hl. Paulus dem Geist der Knechtschaft des Alten Bundes gegenüberstellt.

Worin liegt wohl der Grund dieser Verschiedenheit? Darin, dass seit der Menschwerdung Gott die Menschheit in seinem Sohn Jesus sieht. Um seinetwillen lässt er auf der gesamten Menschheit denselben Blick des Wohlgefallens ruhen, der seinen Sohn, unseren erstgeborenen Bruder, zum Gegenstand hat. Deshalb will er auch, dass wir, wie er, in ihm und durch ihn »leben wie geliebte Kinder« (Eph 5,1).

Da möchte man vor allem fragen, wie können wir Gott lieben, den wir nicht sehen? »Niemand hat Gott je gesehen« (Joh 1,18). Das göttliche Licht bleibt uns, solange wir hienieden leben »unzugänglich« (1 Tim 6,16). Das ist allerdings richtig. Aber Gott hat sich uns geoffenbart in seinem Sohn. »Gott leuchtet in unserm Herzen auf, um die Erkenntnis von der göttlichen Herrlichkeit Jesu Christi leuchten zu lassen« (2 Kor 4, 6). Das menschgewordene Wort ist die sichtbare Offenbarung Gottes und seiner Vollkommenheiten, und die Liebe, die Christus uns beweist, ist nur die Kundgebung der Liebe, die Gott selbst zu uns trägt.

Die Liebe Gottes an sich ist in der Tat unbegreiflich; sie übersteigt alle unsere Begriffe. Es ist dem Geist des Menschen nicht gegeben, das Wesen Gottes zu erfassen. In Gott sind die Vollkommenheiten nicht von der Natur verschieden. Die Liebe Gottes ist Gott selbst. »Gott ist die Liebe« (Joh 4, 8).

Wie aber können wir uns dann einen richtigen Begriff von der Liebe Gottes machen? Indem wir Gott betrachten, der sich uns in greifbarer Gestalt zeigt und zwar in der allerheiligsten Menschheit Jesu Christi. Jesus Christus ist Gott, aber Gott, der sich uns offenbart. Die Betrachtung der heiligsten Menschheit Jesu ist der sicherste Weg, um zur wahren Erkenntnis Gottes zu gelangen. »Wer Christus sieht, sieht auch den Vater« (vgl. Joh 14, 9). Die Liebe, die uns das menschgewordene Wort bezeugt, offenbart uns die Liebe des Vaters zu uns; denn das Wort und der Vater sind eins« (vgl. Joh 10, 30).

Diese einmal festgesetzte Ordnung ist unveränderlich. Das Christentum ist nichts anderes als die Liebe Gottes, die sich durch Christus der Welt offenbart, und unsere ganze Religion muss darin bestehen, diese Liebe in Christus zu betrachten und sie zu erwidern, um dadurch zu Gott zu gelangen.

Das ist der göttliche Heilsplan. Das ist der Gedanke, den Gott über uns denkt. Wenn wir nicht darauf eingehen, gibt es für uns weder Licht noch Wahrheit, weder Sicherheit noch Heil.

Die wesentliche Gesinnung aber, die der göttliche Plan von uns verlangt, ist die der angenommenen Gotteskinder. Wir sind und bleiben Wesen, die aus dem Nichts gezogen sind und die sich vor dem »Vater unermesslicher Majestät« (Hymnus: Te Deum) in den Staub werfen müssen in tiefster, demutsvoller Ehrfurcht. Auf diese grundlegenden Beziehungen, die sich aus unserer geschöpflichen Bedingtheit ergeben, bauen sich ungleich weitere und tiefere Beziehungen auf, nicht um die ersteren zu zerstören, sondern um sie zu krönen. Es sind jene, die aus unserer Annahme als Gotteskinder hervorgehen und die alle darauf hinausgehen, Gott zu dienen aus Liebe.

Diese grundlegende Gesinnung, die der Wirklichkeit unserer Annahme zu Gotteskindern entsprechen muss, wird vorzüglich gefördert durch die Andacht zum heiligsten Herzen Jesu; denn diese Andacht regt uns an, die menschliche Liebe Christi gegen uns zu betrachten, und führt uns mit ein in das Geheimnis der göttlichen Liebe. Sie macht uns geneigt, diese Liebe durch ein Leben anzuerkennen, dessen Triebfeder gleichfalls die Liebe ist, und sie erhält dadurch in uns jene Gesinnungen kindlicher Frömmigkeit, wie sie uns dem himmlischen Vater gegenüber geziemen. Wenn wir den Herrn in der hl. Kommunion empfangen, tragen wir in uns dieses göttliche Herz, den Feuerofen der Liebe. Bitten wir ihn dann doch recht inständig, er selbst möge uns das Verständnis dieser Liebe erschließen; denn dazu ist ein Strahl göttlichen Lichtes weit wirksamer als alle menschliche Vernunft. Flehen wir ihn an, wahre Liebe zu seiner göttlichen Person in uns zu entzünden »Erweist uns Gott einmal die Gnade«, sagt die hl. Theresia (Leben der hl. Theresia v. Jesus, übers. v. Fr. P. de Alcantara. Regensburg 1903, 22. Hauptstück, S. 288), »dass seine Liebe tief unserm Herzen sich eindrückt, so wird uns alles leicht werden, und mit ganz geringer Mühe werden wir in sehr kurzer Zeit vieles ausrichten.« 

Wenn die Liebe zur heiligsten Person Jesu Christi einmal in unserm Herzen lebt, dann wird unsere ganze Tätigkeit von dieser Liebe getragen sein und aus ihr hervorgehen. Wohl mögen wir Schwierigkeiten begegnen, harten Prüfungen unterworfen werden oder heftige Versuchungen erleiden müssen, nichts aber wird uns erschüttern können, wenn wir wahrhaft Jesus Christus lieben.

»Viele Wasser können nicht auslöschen die Liebe« (Hld 8, 7). Denn wen die Liebe Christi drängt, der will nicht mehr »für sich leben, sondern für den, der für ihn gestorben und auferstanden ist« (2 Kor 5,14).

XX. CHRISTUS, DIE KRONE ALLER HElLIGEN (Fest Allerheiligen)

Christus kann von seinem mystischen Leib nicht getrennt werden

»Gott hat alles seinem Sohn zu Füßen gelegt und ihn zum alles überragenden Haupt der Kirche gemacht« (Eph 1, 22 f). Diese Worte des hl. Paulus offenbaren uns das Geheimnis Jesu Christi, betrachtet in seinem mystischen Leibe, welcher die Kirche ist.

Alle vorhergehenden Betrachtungen hatten die Person Jesu Christi selbst zum Gegenstand, nämlich die verschiedenen Lebenslagen Christi, seine Erniedrigung, seine Kämpfe, seine Größe, seinen Sieg und seine Verherrlichung. Wir haben unseren Blick nicht abwenden können von seiner anbetungswürdigen Menschheit, die für uns das Vorbild aller Tugenden und unsere einzige Gnadenquelle ist.

Alle Geheimnisse des Gottmenschen aber zielen hin auf die Gründung und Heiligung seiner Kirche. »Alles ist geschehen für uns und zu unserem Heile (Credo der hl. Messe).« Der Heiland ist gekommen, um eine Gesellschaft zu gründen, die zu ihm kommen möge. »Herrlich ohne Fleck und Runzel, vielmehr heilig und makellos« (Eph 5,27).

Ja, die eingegangene Verbindung zwischen Christus und seiner Kirche ist so innig, dass er den Weinstock bildet und sie die Zweige, dass er der Bräutigam ist und sie die Braut. Diese Lebenseinheit Christi und der Kirche stellt dar, was der hl. Augustin so treffend den »ganzen Christus« nennt (St. Aug., De unitat. eccl. 4).

Christus und die Kirche sind unzertrennliche Begriffe. Man kann sie sich nicht ohne einander denken. Es ist daher wohl am Platze, dass wir diese Betrachtungen über die Person Jesu und seine Geheimnisse mit einigen Erwägungen über die hl. Kirche beschließen, die der hl. Paulus als die »Ergänzung Christi«. bezeichnet und ohne welche das Geheimnis Christi nicht zur Vollendung gelangt.

Diese unaussprechliche Gemeinschaft vollzieht sich hienieden im Glauben, durch die Gnade und durch die Liebe. Sie vollendet sich in der Herrlichkeit des Himmels und der beseligenden Anschauung Gottes. Darum auch feiert die kirchliche Liturgie am Ende des Festkreises, den sie alljährlich durchlebt, dieses Geheimnis mit einem eigenen hochfeierlichen Gedächtnis der Herrlichkeit des Reiches Jesu, dem Feste Allerheiligen. Sie vereint hier in ein und demselben Lobpreis die gesamte Schar der Auserwählten, um ihren Sieg und ihre Freude zu feiern und zugleich um uns anzueifern zur Nachahmung solcher Vorbilder, damit auch wir dereinst Anteil erhalten an ihrer Seligkeit.

Diese große Schar ist ja eins, wie auch Christus nur einer ist. Auf die Erdenzeit folgt einst die Ewigkeit. Hienieden bereiten sich die Seelen für die Vollkommenheit, vollendet aber wird diese erst am Ziel, in der Gesellschaft der Heiligen. Überdies bemisst sich der Grad unserer Seligkeit nach dem Grad der Liebe, den wir erreicht haben, wenn wir die Erde verlassen.

Es sollen hier zunächst die Gründe dargelegt werden, warum wir nach der Seligkeit des Himmels streben müssen, und dann wird die Rede sein von den Mitteln, die wir anwenden müssen, um dieses Ziel zu erreichen.

1. Warum wir nach Heiligkeit streben sollen: Weil Gott es will und weil Jesus diese unsere Vollendung mit so hohem Preis erkauft hat

Der erste Grund, weshalb wir nach Heiligkeit streben müssen, ist der Wille Gottes: »Das ist der Wille Gottes, eure Heiligung« (1 Thess 4, 3). Gott will nicht bloß, dass wir gerettet, sondern dass wir heilig werden, und zwar aus keinem anderen Grund, als weil er selbst heilig ist. »Seid heilig, weil ich heilig bin« (Lev 11, 44; 19, 2). Gott ist die Heiligkeit selbst; wir sind seine Geschöpfe, und er will, dass wir als solche sein Bild widerspiegeln, dass wir als seine Kinder vollkommen seien wie er. »Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist« (Mt 5, 48) ! So hat Jesus selbst uns geboten.

Gott findet seine Verherrlichung in unserer Heiligkeit. Wir dürfen diese Wahrheit nicht außer Acht lassen. Jeder Grad der Heiligkeit, den wir erreichen, jedes Opfer, das wir zu diesem Zweck bringen, jede Tugend, deren Glanz unsere Seele schmückt, wird zur Verherrlichung Gottes gereichen in alle Ewigkeit.

Tag für Tag und mit immer größerer Freude singen wir im Gloria der hl. Messe: »Du allein bist heilig, Jesus Christus!« Und darum bist du die große Verherrlichung Gottes. In alle Ewigkeit wird Christus seinem Vater unendliche Verherrlichung erweisen; er wird vor dem Angesicht seines Vaters stehen und ihm seine hl. Wunden zeigen, die der schönste Ausdruck jener unvergleichlichen Treue und vollkommenen Liebe sind, mit der er einst »alles getan hat, was dem Vater wohlgefällig war« (vgl. Joh 8, 29).

Das gleiche gilt von den Heiligen. »Sie stehen vor dem Thron Gottes« (Offb 7, 9) und lobpreisen ihn ohne Ende. Der brennende Eifer der Apostel, das Blutzeugnis der Märtyrer, die tiefe Wissenschaft der Gottesgelehrten, die strahlende Reinheit der Jungfrauen, all dieses bildet eine Gott unendlich wohlgefällige Verherrlichung.

Aber in dieser Schar, die »niemand zählen kann« (Offb 7, 9), strahlt jeder Heilige in besonderem Glanz, und in alle Ewigkeit wird Gott mit Wohlgefallen auf die Mühen, Kämpfe und Siege jedes einzelnen Heiligen schauen, die gleich siegreichen Trophäen ihm zu Füßen liegen zur Verherrlichung seiner unendlichen Vollkommenheit und Anerkennung seiner höchsten Rechte.

Es ist daher für uns ein berechtigter Ehrgeiz, aus aller Kraft jene Verherrlichung anzustreben, die Gott aus unserer Heiligkeit erwächst. Wir müssen in heiligem Verlangen nach jener seligen Gemeinschaft uns sehnen, an welcher Gott selbst sein heiliges Wohlgefallen hat. Das ist der Beweggrund, warum wir uns nicht mit einer Durchschnittsvollkommenheit begnügen, sondern, soweit es in unserer Kraft steht, danach streben sollen, dem Wunsche des Herrn zu entsprechen: »Seid heilig, weil auch ich heilig bin!« 

Ein weiterer Grund ist dieser, dass, je höher unsere Heiligkeit, umso größer auch unsere Verherrlichung des Blutes Christi ist.

Der hl. Paulus sagt, dass »Christus sich ganz in den Tod, und zwar in den Tod des Kreuzes dahin gegeben hat für seine Kirche, um sie zu heiligen und sie sich herrlich zu gestalten, so dass sie nicht Fleck oder Runzel oder etwas dergleichen habe, sondern dass sie vielmehr heilig und makellos sei« (Eph 5, 27 ff). Das war der Zweck seines Opfers.

Eine Quelle der bittersten Betrübnis für das heiligste Herz Jesu während der Todesangst am Ölberg war die, dass sein Opfer für so viele Seelen, die das Gottesgeschenk verschmähen, umsonst sein würde. »Was nützt mein Blut« (Ps 30, 10) ? Der Heiland wusste, dass ein einziger Tropfen dieses Blutes genügt hätte, um zahllose Welten zu erlösen und unzählige Seelen zu heiligen. Aber aus Gehorsam gegen den Vater hat er mit unendlicher Liebe eingewilligt, zur Erlösung des Menschengeschlechtes sein göttliches Blut, dem die unendliche Kraft der Gottheit innewohnt, bis zum letzten Tropfen zu vergießen. Und dennoch muss man fragen: Welchen Nutzen ziehen die Menschen aus diesem Erlöserblut ?

Das heiligste Herz Jesu kennt nur einen Ehrgeiz: die Verherrlichung des Vaters! Darum verlangte es Christus mit solchem Ungestüm - »wie drängt es mich« (Lk 12, 50) - sein Leben hinzugeben, um seinem Vater Seelen ohne Zahl zu gewinnen, die reiche Früchte des Lebens und der Heiligkeit bringen sollten. »Dadurch wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viele Frucht bringt« (Joh 15, 8).

Aber wie viele erfassen die Liebesglut Jesu? Wie viele sind es, die dem Verlangen seines Herzens entsprechen? Ach, so viele verachten die Gebote Gottes und kehren sich nicht an seine Gesetze! Andere befolgen sie zwar, bringen es aber nicht fertig, sich dem Heiland und dem Wirken seines Hl. Geistes mit jener vollen Hingabe zu überlassen, die zur Heiligkeit führt.

Glücklich jene, die sich rückhaltlos dem göttlichen Willen anheim geben ! Aufs innigste mit Christus, dem wahren Weinstock, vereint, »bringen sie viele Frucht und verherrlichen den himmlischen Vater«. Vor allem aber verkünden sie laut den Wert des Blutes Jesu.

Welches ist in der Tat der Jubelgesang, den die Auserwählten, die uns der hl. Johannes in der Geheimen Offenbarung anbetend vor dem Thron Gottes zeigt, singen? »Du bist geschlachtet worden, und du hast durch dein Blut Menschen aus allen Stämmen und Sprachen, Völkern und Nationen für Gott erworben! Dir sei Lob und Preis« (Offb 5, 9.13) ! Damit bekennen die Heiligen, dass sie der Siegespreis des Gottesblutes seien, Siegeszeichen, die umso ruhmvoller sind, je größer die Heiligkeit ist, in der sie erstrahlen.

Streben wir daher mit allem Eifer danach, unsere Seele immer mehr und mehr zu reinigen im Blut Jesu und jene Früchte des Lebens und der Heiligkeit in uns hervorzubringen, die Jesus Christus durch sein Leiden und Sterben uns verdient hat! Wenn wir heilig werden, so wird unser Herz in alle Ewigkeit auf jubeln ob der Freude, die wir dem Heiland bereiten dadurch, dass wir ihm lobsingen als lebendige Siegeszeichen seines göttlichen Blutes und seiner allmächtigen Gnade.

2. Grundzug unserer Heiligkeit: Sie ist die übernatürliche Verwirklichung des göttlichen Heilsplanes unserer freien Vorherbestimmung in Jesus Christus

Wie aber, so lautet nun die Frage, gelangt man zu jener Heiligkeit, die Gott so wohlgefällig, für Jesus so glorreich und für unsere Seele die unversiegbare Quelle ewiger, ungeahnter Freude sein wird? Sagt doch der hl. Paulus: »In keines Menschen Herz ist es gedrungen, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben« (1 Kor 2, 9) ! Welchen Weg muss man einschlagen, um zu jenem glückseligen Zustand zu gelangen, in welchem die Seele sich aller Wahrheit und der Fülle alles Guten erfreuen wird?

Diese Frage ist von äußerster Wichtigkeit! Ehe wir sie beantworten, wollen wir zunächst das der menschlichen Heiligkeit eigene Merkmal angeben. Wir können ja in der Tat unseren Weg nicht mit Bestimmtheit verfolgen, wenn wir nicht zuvor unser Ziel klar ins Auge gefasst haben. Wir müssen darum zuerst wissen, worin nach dem Willen Gottes unsere Heiligkeit besteht; dann wird uns auch der Weg, den wir einschlagen müssen, nicht mehr dunkel sein.

Welches ist also das Merkmal unserer Heiligkeit? Welche wesentliche Eigenschaft fordert Gott von unserer Vollkommenheit? Sie muss übernatürIich sein. Wir haben diese Wahrheit schon wiederholt und ausführlich dargetan; doch ist sie von so grundlegender Bedeutung, dass es nicht zu viel sein kann, noch einmal darauf zurückzukommen.

Wie schon oft erwähnt, nimmt das Morgenrot der göttlichen Erbarmungen gegen uns seinen Ursprung in der ewigen, freien Liebeswahl, mit der Gott uns auserwählt hat. »Er hat uns vor Grundlegung der Welt ... auserwählt, auf dass wir heilig seien« (Eph 1, 8).

Diese Auserwählung wollen wir kurz betrachten. Der ewige Vater schaute und schaut in unwandelbarem Wohlgefallen sein ewiges Wort, seinen eingeborenen Sohn. In ihm sieht er sich selbst in all seiner unendlichen Vollkommenheit; denn das Wort Gottes ist die unaussprechliche Wiedergabe des göttlichen Wesens. Unsere Gedanken sind endlich, begrenzt und kleinlich, und wir müssen, um sie auszudrücken, zu einer Menge verschiedener Worte greifen. Anders bei Gott. Er drückt seinen einen unendlichen Gedanken in einem einzigen Worte aus; er begreift sich selbst in seinem Wort.

Um ein Ding voll zu verstehen, sagt der hl. Thomas (S. th. I. q. 14. a. 5 u. 6; q. 15. a. 2), muss man auch die vielgestaltigen Nachahmungen kennen, deren dieses Ding fähig ist. Gott, der sich vollkommen erkennt, sieht auch in seinem Wort all die vielfachen Möglichkeiten, in welchen die Geschöpfe seine unendlichen Vollkommenheiten widerspiegeln können. Gott hat die Dinge nicht zufällig in den Weltenraum hinausgeschleudert. Er hat sie nicht in blinder Macht geschaffen. Mit unendlicher Weisheit hat er alles nach seinem ewigen Plane gestaltet. Indem er sein ewiges Wort betrachtet, sieht er in einem einzigen Blick die unbegrenzte Zahl möglicher Wesen und hat daraus in ewigem Ratschluss Geschöpfe auserwählt, die in sich die unendlichen Vollkommenheiten des göttlichen Wortes, wenn auch in sehr beschränktem Maße, verwirklichen und nach außen hin kundgeben sollten.

In der tatsächlichen Ordnung des göttlichen Heilsplanes hat Gott vorausgesehen, dass der Mensch, den er zum König der irdischen Schöpfung gemacht hatte, sich nicht auf der Höhe seiner Auserwählung halten und von dem Plan abweichen werde, den der Schöpfer ihm vorgezeichnet hatte, um ihn zur Vereinigung mit sich zu führen. Die göttliche Weisheit aber ward dadurch nicht zuschanden. Um den gefallenen Menschen zurückzuführen, blieb ihr ewiger Gedanke bei jenem haften, den der hl. Paulus »den Erstgeborenen von aller Schöpfung« nennt (Kol 1,15) und der da ist das menschgewordene Wort.

Der Vater schaute seinen eingeborenen Sohn als das fleischgewordene Wort. Er schaute in dieser, mit seiner Gottheit persönlich vereinigten Menschheit die vollendete Vereinigung und Zusammenfassung aller geschaffenen Vollkommenheit. Auf Tabor hat er uns ja geoffenbart, dass dieser Gottmensch das Meisterwerk seines Gottesplanes, der Gegenstand »seines höchsten Wohlgefallens sei« (vgl. Mt 17, 5).

Die Menschheit Christi bringt das göttliche Wort in irdischer Gestalt zum Ausdruck. Aus Liebe, in freier Wahl, ward sie dazu auserwählt.

Doch damit nicht genug. Gott wollte seinem Gesalbten ein königliches Gefolge geben. Das ist die Schar der Heiligen, die niemand zählen kann. Die Heiligen sind ja ebenso viele Wiedergaben des göttlichen Wortes, nur in einer weniger vollkommenen Form. Jeder von uns findet sein Ideal in Christus. Jeder von uns sollte für Gott der eigengeartete Ausdruck irgendeiner der unendlich vielgestaltigen Seiten seines Wortes sein. Darum singt die Kirche von jedem Heiligen: »Keiner ward erfunden, der ihm gleich wäre (Offic. Conf. Pont. 2. Ant. ad Laudes; vgl. Sir 44, 20).« Es gibt nicht zwei Heilige, die das Abbild Christi in der ganz gleichen Form und Vollkommenheit zum Ausdruck bringen. Im Himmel werden wir, einmal in ein Meer unendlicher Freude versenkt, das Geheimnis der allerheiligsten Dreifaltigkeit schauen. Wir werden das Wort Gottes, den Sohn, schauen, wie er, als das Urbild aller Vollkommenheit, aus dem Vater hervorgeht. Wir werden sehen, wie die heiligste Menschheit Jesu in allumfassender Weise die Vollkommenheit des Wortes, dem sie persönlich vereinigt ist, wiedergegeben hat. Wir werden aber auch sehen, wie Gott seinem Eingeborenen eine Schar von Brüdern zugesellt hat, in denen die göttlichen Vollkommenheiten widerstrahlen, die hienieden in Jesus Christus offenbar und greifbar geworden sind, so dass Christus in Wahrheit der »Erstgeborene von vielen Brüdern geworden ist.« (Röm 8, 29), die ihm gleichförmig sind.

Vergessen wir nie das Wort des hl. Paulus: »Gott hat uns auserwählt in seinem Sohn« (Eph 1,4). In diesem ewigen, göttlichen Willensentschluss liegt unsere ganze Größe. Wenn wir durch unsere Heiligkeit den Gedanken Gottes über uns verwirklichen, werden wir für ihn gleichsam ein Teil der Verherrlichung, die ihm sein Sohn Jesus ist, »ein Abglanz der Herrlichkeit« (Hebr 1, 3) seines Sohnes. Wir werden sozusagen die strahlenförmige Ausbreitung dieser Herrlichkeit, wenn wir uns, jeder an seinem Platz und in seiner Stellung, bemühen, das göttliche Ideal in uns zu verwirklichen, dessen einziges Urbild das menschgewordene Wort Gottes ist.

Das ist der Plan Gottes, das ist unsere Vorherbestimmung. »Er hat uns vorherbestimmt, dem Bild seines Sohnes gleichförmig zu werden« (Röm 8, 29). Er ist das Vorbild all unserer Heiligkeit.

Nach diesem ewigen Heilsplan, nach dieser Auserwählung voll Liebe, bemisst sich für jeden von uns das Maß aller erbarmungsvollen Gnaden. Um diesen Plan zu verwirklichen, um seine Absichten über uns erfüllt zu sehen, gibt Gott uns diesen geheimnisvollen Anteil an seiner Natur, den wir Gnade nennen. Durch sie werden wir in seinem Sohn, der uns alle Gnaden verdient hat, die wahren Adoptivkinder Gottes.

Wir stehen also Gott gegenüber nicht mehr im Verhältnis bloßer Geschöpfe. Wir müssen uns ihm nicht mehr vereinen nur durch die Huldigung und die Verpflichtungen der Naturreligion, die sich lediglich auf unsere Eigenschaft als geschaffene Wesen gründet. Ohne diese Beziehungen zu vernichten oder diese Verpflichtungen zu beeinträchtigen, treten wir nun zu Gott in das viel innigere Verhältnis der Kinder, die einem liebenden Vater gegenüber besondere Pflichten haben. »Seid Nachahmer Gottes als seine geliebten Kinder« (Eph 5, 1 ff). Es sind dies ganz übernatürliche Beziehungen und Pflichten, die unsere Natur und deren Forderungen und Rechte weit übersteigen und die uns nur die Gnade Christi möglich macht.

Daraus lässt sich das grundlegende Merkmal unserer Heiligkeit erkennen. Wir können nur heilig sein, wenn wir dies dem göttlichen Heilsplan entsprechend sind, d. h. durch die Gnade, die wir Jesu Christo verdanken. Das ist die erste Bedingung. Darum heißt diese Gnade die »Heiligmachende Gnade «. Das ist so wahr, dass ohne diese Gnade kein Heil möglich ist. Im Reich der Auserwählten gibt es nur Seelen, die Jesu ähnlich sind. Die wesentliche Ähnlichkeit mit Jesus aber, die wir an uns tragen müssen, vollzieht sich nur durch die Gnade.

Gott selbst hat also den Grundzug unserer Heiligkeit festgesetzt. Wollten wir ihr einen andern geben, so würden wir nach einem Wort des hl. Paulus »bloß Luftschläge machen« (1 Kor 9, 26). Gott selbst hat uns den Weg vorgezeichnet, den wir gehen müssen. Ihm nicht folgen, hieße sich verirren und endlich zugrunde gehen. »Ich bin der Weg ... niemand kommt zum Vater als durch mich« (Joh 14, 6). Gott selbst hat den Grundstein aller Heiligkeit gelegt. Wer nicht aus diesen baut, der baut auf Sand. »Niemand kann einen anderen Grund legen als den, der gelegt worden ist, nämlich Jesus Christus« (1 Kor 3,11).

Das gilt von unserem ewigen Heil und gilt auch von unserer Heiligkeit. Sie schöpft ihren Ursprung und findet ihre Stütze nur in der Gnade Jesu Christi.

3. Christus ist für uns die Quelle aller Heiligkeit, weil er der Weg, die Wahrheit und das Leben ist

Wir müssen zu Gott gehen auf die Art, wie er es will. Wir werden heilig nur in dem Maße, als wir uns Gottes heiligen Absichten anpassen. Wir haben bereits in großen Zügen diesen Plan gezeichnet. Wir wollen nunmehr im EinzeInen sehen, inwiefern Christus für uns die Quelle aller Heiligkeit ist.

Nehmen wir an, dass eine Seele in besonderer hochherziger Gesinnung, auf Antrieb des Hl. Geistes, sich vor dem himmlischen Vater niederwerfen würde und zu ihm spräche: »O Vater, ich liebe dich; ich verlange nichts so sehr als deine Verherrlichung und möchte die ganze Ewigkeit hindurch dich verherrlichen durch meine Heiligkeit. Was soll ich daher tun? Zeige du mir, was du von mir willst?« Welche Antwort würde einer solchen Seele von Gott werden? Er würde hinweisen auf Jesus Christus, seinen Sohn, und würde zu ihr sagen: Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe; ihn sollst du hören. Und mit dieser Weisung würde er die Seele ihrem Heiland überlassen.

Was aber würde Jesus sagen? »Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben« (Joh 14, 6), Worte voll tiefer Bedeutung, die wir betrachten wollen, auf dass sie unserer Seele tief eingegraben seien.

Du willst zu meinem Vater gelangen, fragt Jesus, du willst dich jenem vereinen, der die Quelle alles Guten und der Ursprung aller Vollkommenheit ist? Du tust wohl daran. Ich selbst habe dieses Verlangen in deinem Herzen wachgerufen. Aber »ohne mich könnt ihr nichts tun«. »Ich bin der Weg.« »Niemand kommt zum Vater außer durch mich.« 

Zwischen dem Schöpfer, der das aus sich selbst bestehende Sein ist, und dem Geschöpf, das nur durch Anteilnahme an diesem Sein besteht, liegt ein unendlicher Abstand. Auch zwischen dem in der himmlischen Rangordnung höchsten Engel und dem ewigen Gott besteht noch ein unendlicher Abgrund, den kein geschaffenes Wesen überbrücken kann.

Gott aber hat eine Brücke über diesen Abgrund geschlagen. Jesus Christus, der Gottmensch, verbindet den Menschen mit Gott. Das Wort ist Fleisch geworden! Dadurch wurde eine menschliche Natur mit der Gottheit vereinigt. Diese beiden Naturen, die göttliche und die menschliche, sind so innig und unauflöslich miteinander verbunden, dass sie nur eine einzige Person bilden, die Person des göttlichen Wortes, in der die menschliche Natur ihr Dasein hat. So ist der trennende Abgrund ausgefüllt.

Christus, als Gott, der eins ist mit dem Vater, ist der Weg, der uns zu Gott führt. Wenn wir also zu Gott gelangen wollen, müssen wir einen unbegrenzten Glauben an die Allmacht des Heilandes haben, der uns mit dem Vater vereinen will. Hat ja doch der Heiland selbst seinen Vater gebeten: »Lass jene, die du mir gegeben hast, bei mir sein, dort, wo ich bin« (Joh 17, 24). Christus aber ist »im Schoß des Vaters«.

Wenn wir einen solch lebendigen Glauben haben und uns rückhaltlos Jesu hingeben, dann zieht er uns in sich und mit sich hinein »in den Schoß des Vaters« (Joh 1,18); denn Jesus ist gleichzeitig Weg und Ziel. Durch seine Menschheit ist er der Weg, auf dem wir wandeln sollen. Seine Gottheit aber ist das Ziel, wohin wir gehen (S. Aug. Sermo 92, c. 3. Sermo 123 c. 3: Via qua imus ... patria quo inus). Daher die Sicherheit dieses Weges. Sie ist eine vollkommene; denn sie begreift das Ziel in sich.

Es ist überaus nützlich, im Gebet Akte des Glaubens zu erwecken an die allmächtige Kraft, mit der uns der Heiland zum Vater führt. »O Jesus, mein Heiland, ich glaube, dass du wahrer Gott und Mensch bist, der wahrhaft göttliche Weg von unendlicher Sicherheit, der mich unfehlbar über den tiefen Abgrund führen wird, der mich von Gott trennt. Ich glaube, dass deine allerheiligste Menschheit vollkommen und so allmächtig ist, dass sie mich trotz all meines Elendes, meiner Schwächen und Fehler dorthin bringen kann, wo du selbst bist, nämlich in den Schoß des Vaters! O, mache mich gelehrig für deine Worte, auf dass ich deinem Beispiel folge und mich nie mehr von dir trenne!« 

Es ist eine unschätzbare Gnade, den Weg zu kennen, der zum Ziel führt; aber man muss auch im Licht auf ihn wandeln. Das Ziel ist übernatürlich und seine Erreichung geht über unsere geschaffenen Kräfte hinaus. Darum muss dies Licht, dessen Glanz unseren Weg erhellt, uns auch von oben kommen. Gott ist von solch herrlicher Freigebigkeit, dass er selbst unser Licht sein will. Im Himmel wird es einst unsere Heiligkeit ausmachen, das unendliche Licht zu schauen und in seinem Glanz die Quelle alles Lebens und aller Freude zu schöpfen. »In deinem Licht werden wir das Licht schauen« (Ps 36, 10).

Hier auf Erden ist dieses Licht uns unzugänglich wegen seines überirdischen Glanzes. Und dennoch bedürfen wir seiner, um das Ziel zu erreichen. Wer wird nun unsere Leuchte sein? Jesus Christus selbst! »Ich bin die Wahrheit.« Er allein kann uns das unendliche Licht offenbaren. Er ist ja »Gott von Gott, Licht vom Licht« (Credo der hl. Messe). Er ist der wahre Gott. »Gott aber ist Licht, in ihm ist keine Finsternis« (Joh 1,5). Dieses Licht stieg herab in unsere Niederung so jedoch, dass es den Strahlenglanz der Gottheit unter dem Schleier der Menschheit verhüllte. So nur können unsere schwachen Augen dieses göttliche Licht schauen, das sich unter der Hülle des schwachen, sterblichen Fleisches verhüllt und zugleich offenbart. »Er leuchtet auf in unserm Herzen ... im Angesicht Christi« (2 Kor 4, 6). Hier ist das wahre Licht, das »jeden Menschen erleuchtet« (Joh 1, 9).

Jesus Christus, das ewige Wort, lehrt uns Gott anschauen und enthüllt ihn uns. Er spricht ja gleichsam zu uns: Ich bin die Wahrheit. Wenn ihr an mich glaubt, so lernt ihr nicht bloß die Wahrheit in allem verstehen, sondern ihr seid in der Wahrheit. »Wer mir folgt, wandelt nicht im Finstern, sondern wird zum Licht des Lebens gelangen« (Mt 5, 3 ff).

Was sollen wir also tun, um im Licht zu wandeln? Wir sollen leben nach der Lehre Jesu, nach den Richtlinien seines Evangeliums und alle Dinge im Licht der Aussprüche des menschgewordenen Wortes beurteilen. So gilt die Seligpreisung und die Himmelsverheißung des Heilandes den Armen im Geist, den Sanftmütigen, den Trauernden, denen, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, den Barmherzigen, den Reinen, den Friedfertigen und jenen, die Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen (Mt 5, 3 ff). Wir müssen nun diese seine Worte für wahr halten, durch einen Akt des Glaubens uns mit ihm vereinigen, ihm die Zustimmung unseres Verstandes als Huldigung zu Füßen legen und uns bemühen, diese opferfreudige Hingabe durch ein demütiges, gütiges, barmherziges, reines, friedfertiges und leidenswilliges Leben an den Tag zu legen.

Wenn wir so aus dem Glauben leben, dann wird der Geist Jesu Christi allmählich in unserer Seele zur Herrschaft gelangen, um sie in allem zu führen und ihre Tätigkeit nach dem Geise des Evangeliums zu lenken. Wir werden immer mehr und mehr unser eigenes natürliches Urteil ablegen und alles im Licht des Glaubens anschauen. »Der Herr wird uns zum Licht sein« (Jes 60, 19). Vom Glauben getragen, schreitet die Seele immer weiter fort auf diesem Weg und, mit der Wahrheit vereinigt, sieht sie alles in ihrem Licht. Die Gedanken, Gesinnungen und Wünsche Jesu Christi werden die ihrigen. Sie wird nichts mehr tun, was nicht in vollem Einklang mit dem Willen Jesu ist. Ist das nicht die Grundlage aller Heiligkeit?

Es genügt aber nicht, den Weg gefunden zu haben und auf ihm zu wandeln, wir bedürfen auch noch der Stärkung, die uns auf unserer Pilgerschaft erquickt. Diese Nahrung des übernatürlichen Lebens ist wiederum Christus, der Weg, die Wahrheit und das Leben.

Gott ist das unendliche Leben. »Bei dir ist die Quelle des Lebens.« Der Strom dieses unaussprechlichen, aus sich selbst bestehenden Lebens hat mit der ganzen Fülle seiner Kraft die Seele Christi durchdrungen. »Wie der Vater das Leben in sich selbst hat, so hat er auch dem Sohn verliehen, das Leben in sich selbst zu haben« (Joh 5, 2).

Was tut nun der Sohn? Er vermittelt auch uns dieses Leben. »Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben« (Joh 10,10). Er verheißt uns: »So wie ich durch das Leben lebe, das mir der Vater mitteilt, so wird auch der, der mich isst, durch mich leben« (Joh 6, 58). Von diesem Leben Gottes leben, das ist die Heiligkeit. Und die beiden Grundpfeiler unserer Heiligkeit sind darin zu suchen, dass wir einerseits alles vermeiden, was dieses Leben gefährden kann, also die Sünde, jede Art von Untreue, die Anhänglichkeit an die Geschöpfe, die natürliche Lebensauffassung und dass wir andererseits es immer mehr in uns zu entfalten suchen durch innige Vereinigung mit Gott in Glaube, Hoffnung und Liebe.

Weil Jesus Christus selbst dieses Leben ist, darum ist er auch unsere Heiligkeit; denn er ist ihre Ursache. »Christus Jesus ... ist unser Heil geworden« (1 Kor 1, 30). Wenn er in der hl. Kommunion sich uns schenkt, so gibt er uns seine Menschheit und Gottheit. Er regt die Liebe an und wandelt uns nach und nach immer mehr in sich um, so dass wir nicht mehr für uns, sondern vielmehr durch ihn und für ihn leben. Er bewirkt eine solche Übereinstimmung unserer Wünsche mit den seinen, einen solchen Einklang unseres Willens und des seinen, dass nicht mehr wir leben, sondern er in uns. »Ich lebe, doch nicht ich, Christus lebt in mir« (Gal 2,20). Diese Worte des Apostels drücken am besten die tiefsten Gedanken der Heiligkeit aus.

4. Gesinnungen, die unser Streben nach Heiligkeit beleben müssen: Tiefste Demut und grenzenloses Vertrauen

Aus dieser Lehre ergeben sich die Gesinnungen, die uns im Streben nach Heiligkeit beseelen sollen: Tiefe Demut wegen unserer Armseligkeit und unbeschränktes Vertrauen auf den Heiland. Unser übernatürliches Leben bewegt sich zwischen zwei Polen, einesteils müssen wir tief durchdrungen sein von dem Bewusstsein unserer gänzlichen Unfähigkeit, ohne Gottes Hilfe die Vollkommenheit zu erlangen, andernteils müssen wir aber auch von unerschütterlicher Hoffnung beseelt sein, dass wir in der Gnade Christi alles finden.

Weil unsere Heiligkeit übernatürlich ist und weil Gott als der unumschränkte Herr über seine Absichten und Gaben dieselbe über alle Forderungen und Rechte unserer geschaffenen Natur erhoben hat, ist diese Heiligkeit, zu der wir berufen sind, ohne die göttliche Gnade unerreichbar. Der Heiland selbst hat es ja gesagt: »Ohne mich könnt ihr nichts tun« (Joh 15, 5). Der hl. Augustin bemerkt dazu, dass der Heiland nicht gesagt habe: »Ohne mich könnt ihr nicht viel, nichts Großes tun, sondern ohne mich könnt ihr nichts tun, das euch nütze fürs ewige Leben« (S. Aug., Tract. in Joan. 81,3). Der hl. Paulus erklärt diese Lehre unseres göttlichen Meisters noch im Einzelnen. »Aus uns selbst«, sagt er, »sind wir unfähig, auch nur einen Gedanken zu fassen, der Wert hätte für den Himmel; hier ist all unser Vermögen von Gott« (2 Kor 3, 5). »Gott ist es, der in euch das Wollen und das Vollbringen bewirkt, wie es ihm gefällt« (Phil 2,13). Wir vermögen also ohne Hilfe der göttlichen Gnade gar nichts zu tun für unsere Heiligkeit.

Sollten wir nun deswegen verzagen? Ganz im Gegenteil! Das tiefinnere Bewusstsein des eigenen Unvermögens darf uns weder entmutigen noch unserer Feigheit zur Entschuldigung dienen. Wenn wir nämlich ohne Christus »nichts können«, so können wir doch durch ihn und mit ihm alles. »Ich vermag alles, zwar nicht aus mir selbst, aber in dem, der mich stärkt«, sagt eben derselbe Apostel Paulus (Phil 4,13).

Welches auch immer die Kämpfe, Prüfungen, Schwierigkeiten und Armseligkeiten sein mögen, die wir zu überwinden haben, wir können durch Christus zur höchsten Heiligkeit gelangen.

Wie erklärt sich das? Weil in ihm »alle Schätze der Weisheit und Wissenschaft verborgen sind« (Kol 2, 3) und »die ganze Fülle der Gottheit wesenhaft in ihm wohnt« (Kol 2, 9), und weil er, als unser Haupt, die Macht hat, uns Anteil daran zu geben. Aus dieser »Fülle des Lebens und der Heiligkeit schöpfen wir« (Joh 1, 16), so dass wir »an keiner Gnade Mangel haben« (1 Kor 1, 7).

Welch herrliche Zuversicht erweckt doch der Glaube an diese Wahrheit! Christus ist unser, und in ihm finden wir alles. »Wie sollte Gott uns mit ihm nicht alles schenken« (Röm 8, 32)? Wenn Gott beim Gericht uns fragen wird: Warum bist du nicht auf die Höhe deines Berufes gelangt? Warum bist du nicht zu der Heiligkeit gelangt, die ich dir bestimmt hatte? Dann können wir nicht erwidern: O Herr, meine Schwäche war zu groß, die Schwierigkeiten und Prüfungen gingen über meine Kräfte! Gott würde uns erwidern: Aus dir selbst, gewiss, konntest du es nicht; aber ich habe dir meinen Sohn gegeben. In ihm hattest du überreich alles, dessen du bedurftest. Seine Gnade ist allmächtig, durch ihn hättest du dich mit der Quelle des Lebens selbst vereinigt.

O trostreiche Wahrheit! Ein gewaltiger Geist, der größte vielleicht, den die Welt je besessen, ein Mann, der seine Jugend in Ausschweifungen verbrachte, der den Becher der Lust geleert und von allen Irrtümern seines Zeitalters betört war, Augustin, hat, von der Gnade besiegt, den Weg der Bekehrung gefunden und ist ein großer Heiliger geworden. Eines Tages, so erzählt er selbst, zu jener Zeit, da die Gnade in seiner Seele mit den bösen Gelüsten im Kampf lag, sah er eine Schar von Kindern, Mädchen und Jungfrauen, die in Unschuld und Reinheit erglänzten, heilige Witwen, in leuchtender Tugend, und glaubte, eine schmeichelnde Stimme zu hören, die ihm einladend zuflüsterte: »Warum sollst du nicht können, was diese Kinder, diese zarten Jungfrauen vermochten? Warum solltest du nicht werden können, was sie geworden sind (S. Aug., Conf. VIII, Kap. 2)?« Und trotz der Sinnenglut, die sein Blut durchpulste, trotz des Sturmes der Leidenschaften und des Widerspruches der bösen Gewohnheiten in der eigenen Brust, hat sich Augustin der Gnade Gottes anheim gegeben, und diese Gnade hat uns in ihm eines ihrer glorreichsten Siegeszeichen für alle Zeit geschaffen, den großen heiligen Kirchenlehrer Augustin.

Wenn wir die Feste der Heiligen begehen, sollten auch wir uns die Worte sagen, die Augustin einst hörte. Warum solltest du nicht vermögen, was diese und jene konnten? Aus welchem Grund sollten wir nicht nach der Heiligkeit streben? Gewiss, jeder von uns wird versucht sein, zu sagen: Mich hindert diese oder jene Schwierigkeit. Ich trage diesen Widerspruch in mir, ich werde niemals heilig werden. Seien wir aber überzeugt, dass alle Heiligen »diese oder jene Schwierigkeit« gehabt, solche Widersprüche in sich empfunden haben und vielleicht weit mehr und größer als wir!

Darum darf niemand sagen: Das Heiligwerden ist nichts für mich. Denn was könnte es unmöglich machen? Gott will unsere Heiligkeit, und sie gereicht ihm zur Verherrlichung. »Das ist der Wille Gottes, eure Heiligung« (1 Thess 4, 3). Gott treibt mit uns kein falsches Spiel. Wenn der Heiland sagt: »Seid vollkommen« (Mt 5, 48), so weiß er, was er von uns verlangen kann, und dass es nichts ist, was unsere Kräfte übersteigt, wenn wir uns nur auf seine Gnade stützen. Wer allerdings aus eigener Kraft dahin gelangen wollte, der würde sich der Sünde Luzifers schuldig machen, der da sagte: »Ich will mich erheben und meinen Thron im Himmel aufschlagen. Ich will dem Allerhöchsten gleich sein« (Jes 14,13 ff). Satan wurde dafür gestürzt und in die Hölle geschleudert.

Und wir? Was werden wir sagen und was werden wir tun? Wir werden den gleichen Ehrgeiz in uns tragen wie dieser stolze Geist; wir werden das gleiche Ziel anstreben, das er verfolgte. Aber während er es erreichen wollte aus eigener Kraft, wollen wir demütig bekennen, dass wir ohne Christus nichts vermögen, dass wir nur mit ihm und durch ihn in den Himmel gelangen können. »O mein Heiland, Jesus Christus, so groß ist mein Vertrauen auf dich, dass ich dich für mächtig genug halte, das Wunder zu vollbringen, ein solch schwaches Geschöpf wie mich nicht bloß bis zu den Engeln zu erheben, nein, es sogar hinaufzutragen vor das Angesicht des lebendigen Gottes. Einzig und allein durch dich können wir diese göttliche Höhe erreichen. Aus allen Kräften meiner Seele sehne ich mich nach jener erhabenen Größe, die der Vater uns bereitet hat. Ich verlange glühend danach, wie du selbst es für uns begehrt hast, teilzunehmen an deiner Herrlichkeit, an den Freuden deiner Herrlichkeit, an den Freuden deiner Gottheit. Ich strebe nach diesem höchsten Glück aber nur durch dich. Ich hoffe die ganze Ewigkeit hindurch dein Lob zu verkünden und mit allen Heiligen zu singen: »Du hast uns, o Herr, in deinem Blut erlöst! Dein kostbares, für uns vergossenes Blut hat uns die Tore des Himmelreiches eröffnet und uns einen Platz bereitet in der unermesslichen Zahl deiner Heiligen. Dir sei Lob, Preis und Ehre in alle Ewigkeit!« Eine Seele, die in solch demütiger und gläubiger Gesinnung verharrt ist, ein Gegenstand des Wohlgefallens ihres Heilandes und gereicht ihm zu großer Verherrlichung; denn ihr ganzes Leben ist ja nichts anderes als ein Widerhall der Worte des göttlichen Meisters: »Ohne mich könnt ihr nichts tun!« Sie verkündet damit, dass Christus die Quelle alles Heils und aller Heiligkeit ist, dem alle Ehre gebührt.

»O Gott«, so wollen wir mit der Kirche im Sinne einer ihrer herrlichen Kollekten (7. Sonntag nach Pfingsten) beten, »ich glaube, dass deine allmächtige Gnade so wirksam ist, dass sie mich armseliges Geschöpf zu hoher Heiligkeit führen kann. Ich glaube ebenso an deine unendliche Barmherzigkeit, die mich nicht verstoßen wird, wenn ich sie auch oft verschmäht habe. Von dir, o mein Gott und Vater, kommt alle Vollkommenheit. Deine Gnade ist es, die uns zu deinen treuen Dienern macht, so dass wir dir in Werken erst gefallen, die deiner Majestät und deines Lobes würdig sind. Gib doch, dass ich mich frei mache von meinem eigenen Ich und allen Geschöpfen, auf dass ich unbehindert den Weg der Heiligkeit gehen möge, den dein Sohn, einem Riesen gleich, uns gebahnt hat, und dass ich mit ihm und durch ihn zu jener Seligkeit gelange, die du uns verheißen hast.« 

In solcher Gesinnung haben die Heiligen gelebt. Auf diese Weise sind sie zu jener Heiligkeit gelangt, die wir heute an ihnen bewundern. Der Unterschied zwischen ihnen und uns liegt nicht etwa darin, dass sie weniger Schwierigkeiten gehabt hätten als wir, sondern darin, dass sie mutiger an Christi Wort und an die Kraft seiner Gnade geglaubt haben und großmütiger ihren Anregungen gefolgt sind. Wir können, wenn wir nur wollen, die gleiche Erfahrung machen. Christus ist derselbe auch heute noch, gleich mächtig und freigebig in Verteilung seiner Gnade. Die Hindernisse zu ihrem ausgiebigem Empfang liegen lediglich aus unserer Seite. Kleingläubige, warum zweifeln wir an Gott, an unserem Gott?

5. Praktische Forderungen: Verehrung und Anrufung der Heiligen, Nachahmung derselben, indem wir dem Heiland innig vereint bleiben, Ausdauer in allen Leiden und Widerwärtigkeiten des Lebens

Welches sind nun die praktischen Schlussfolgerungen, die sich aus diesen herrlichen Wahrheiten unseres hl. Glaubens ergeben? Zunächst sollen wir die Feste der Heiligen mit wahrer Herzensfreude und Andacht begehen. Wer die Heiligen ehrt, bekennt damit, dass sie die Verwirklichung eines göttlichen Gedankens sind, die Meisterwerke der Gnade Jesu Christi. Gott hat an ihnen sein Wohlgefallen, weil sie die schon verherrlichten Glieder seines geliebten Sohnes sind. Sie gehören bereits jenem strahlenden Reich an, das der Sohn zur Verherrlichung des Vaters erworben hat. »Du hast aus ihnen unserem Gott ein Reich bereitet« (Offb 5,16).

So dann sollen wir die Heiligen anrufen. Allerdings ist der Heiland, Jesus Christus, unser einziger Mittler; denn es gibt nur »einen Gott und einen Mittler zwischen Gott und den Menschen«, sagt der hl. Paulus (1 Tim 2, 5). Nur durch ihn haben wir Zutritt zum Vater. Der Heiland aber will, nicht um seine Mittlerschaft zu schmälern, sondern um sie zu erweitern, dass die Fürsten des himmlischen Hofes ihm unsere Bitten darbringen, die er selbst dann seinem Vater vorträgt.

Auch wünschen die Heiligen aufs sehnlichste unser Heil. Im Himmel schauen sie Gott, und ihr Wille ist auf unaussprechliche Weise eins mit dem Willen Gottes; darum wollen sie gleich ihm unsere Heiligung. - Auch bilden sie ja mit uns nur einen mystischen Leib. Sie sind nach den Worten des hl. Paulus »Glieder unserer Glieder« (vgl. 1 Kor 12,12 ff; Eph 4, 25; 5, 30) und umfangen uns mit jener unendlichen Liebe, die ihnen zuströmt aus der Vereinigung mit Christus, dem alleinigen Haupt dieser geheimnisvollen Gemeinschaft, deren auserlesene Blüten sie sind und in welcher Gott auch uns einen Platz bestimmt hat.

Zu diesen Beziehungen des Gebets und der Huldigung, die uns mit den Heiligen verbinden, muss sich das Bestreben gesellen, ihnen ähnlich zu werden. Unser Herz muss erfüllt sein nicht von jenen schwächlichen Willensanwandlungen, die nie zum Ziele führen, sondern von einem festen und ehrlichen Verlangen nach Vollkommenheit und einem entschlossenen Willen, ganz und vollkommen den hl. Absichten der Barmherzigkeit Gottes und unserer Auserwählung nachzukommen. »Ein jeder in dem Maße, in dem Christus seine Gaben austeilt« (Eph 4, 7).

Was aber müssen wir tun, welche Mittel sollen wir anwenden, um ein solch herrliches Werk zu vollbringen, das Christus zum Ruhm und uns zum Heil ist? Wir müssen mit Jesus Christus vereinigt bleiben! Das hat er ja selbst gesagt: Ihr wollt viele Frucht bringen, wollt zu großer Heiligkeit gelangen? Nun, »so bleibt in mir«, gleichwie »die Rebzweige dem Weinstock eng vereint sind« (Joh 15, 5). Bleiben wir in Christus zunächst durch die Heiligmachende Gnade, die uns zu lebendigen Gliedern Christi macht, dann durch jene oft erneute gute Meinung, dass wir in allem und überall, wohin die göttliche Vorsehung uns führt, das Wohlgefallen des himmlischen Vaters suchen! Durch diese Meinung wird all unser Tun und Handeln auf die Verherrlichung Gottes gerichtet im Verein mit den heiligsten Gedanken, Gesinnungen und Wünschen des göttlichen Herzens Jesu, unseres Vorbildes und unseres Hauptes, das gesagt hat: »Ich tue allezeit, was ihm wohlgefällt« (Joh 8, 29). Dieses Wort, in welchem der Heiland sein ganzes Verhältnis zum Vater ausdrückt, bezeichnet den ganzen Sinn und Inhalt aller menschlichen Heiligkeit.

Aber unser Elend, unsere Armseligkeiten? So könnte man einwenden. Sie dürfen uns nicht mutlos machen. Wohl sind sie wirklich vorhanden. Unsere Schwächen und Gebrechlichkeiten sind greifbar, und wir kennen sie nur zu gut. Gott aber kennt sie noch viel besser als wir selbst. Das demütige, überzeugte Eingeständnis unserer Armseligkeit ehrt ihn sogar; denn es besteht in Gott eine Vollkommenheit, in welcher er in alle Ewigkeit verherrlicht sein will, eine Vollkommenheit, die vielleicht der Schlüssel ist zu allen Geschehnissen auf Erden, und das ist die Barmherzigkeit. Barmherzigkeit ist Liebe, die sich dem Elend zuwendet. Gäbe es kein Elend, dann gäbe es auch keine Barmherzigkeit. Die Engel verkünden Gottes Heiligkeit. Wir hingegen werden im Himmel die lebendigen Beweise der göttlichen Barmherzigkeit sein. Wenn Gott unsere Werke belohnt, so krönt er damit das Werk seiner eigenen Barmherzigkeit »Er krönt dich mit Gnade und Erbarmungen« (Ps 103, 4). Sie ist es, die wir dereinst am Ziel unserer Glückseligkeit in alle Ewigkeit preisen werden; »denn seine Barmherzigkeit währt ewig« (Ps 135, 1 ff).

Lassen wir uns auch nicht niederdrücken durch Prüfungen und Widerwärtigkeiten! Je mehr Gott uns erhöhen will, umso größer und schwerer werden unsere Kämpfe sein. Das ist so göttliche Anordnung. Und warum das? Weil dieses der Weg ist, den auch Jesus gehen musste. Je inniger wir mit ihm vereinigt sein wollen, um so mehr müssen wir ihm ähnlich werden in seinem tiefsten und größten Geheimnis. Der hl. Paulus führt bekanntlich das ganze geistliche Leben auf die praktische Erkenntnis Jesu, und zwar» Jesu des Gekreuzigten«, zurück (1 Kor 2, 2). Und der Heiland selbst sagt uns, dass sein Vater, der himmlische Weingärtner, jede Rebe reinigt, die Frucht bringt, »damit sie noch mehr Frucht bringe« (Joh 15, 2). Gottes reinigende Hand ist allgewaltig und dringt in Tiefen, die nur die Heiligen kennen. Er lässt Prüfungen zu, schickt Widerwärtigkeiten und überlässt manche Seelen solch furchtbaren, innerlichen Verlassenheiten und Trostlosigkeiten, einzig zu dem Zweck, um sie loszulösen von den Geschöpfen. Er durchwühlt sie bis in ihre Tiefen, um sie aus sich selbst herauszuführen. Er verfolgt sie, um sie zu besitzen. Er dringt hinein bis in das Mark der Seele. »Er zerschlägt das Gebein«, wie Bossuet sagt, »auf das er allein herrsche.« 

Glücklich die Seele, die sich den Händen des ewigen Werkmeisters überlässt! Durch seinen Geist, der ganz Feuer und Liebe ist, durch diesen »Finger Gottes« (Hymnus: Veni Creator Spiritus) meißelt der göttliche Künstler die Züge Christi in diese Seele hinein, auf dass sie ähnlich sei dem Bild des Sohnes seiner Liebe nach den unergründlichen Plänen seiner Weisheit und Güte.

Gott setzt seine Ehre darein, uns zu beseligen. Alle Leiden, die er zulässt oder schickt sind ebenso viele Pfandscheine auf die ewige Herrlichkeit und die himmlische Seligkeit. Der hl. Paulus erklärt sich außerstande, die Herrlichkeit der Glorie und die Tiefe der Glückseligkeit zu schildern, die einst die geringsten mit Hilfe der Gnade Gottes ertragenen Leiden belohnen sollen.

Darum auch hat der hl. Paulus die Gläubigen immer wieder ermutigt. »Schaut nur«, so sagte er, »an die Wettkämpfer und Wettläufer in der Rennbahn, wie vorsichtig sie sind, was für Entbehrungen sie sich auferlegen, welche Mühe sie sich geben! Und dies alles nur um eines kurzen Ruhmes, um eines vergänglichen, ständig gefährdeten Erfolges wegen, um einen vergänglichen Kranz zu erwerben. Wir aber, wir kämpfen um eine unvergängliche Krone, um eine ewige Herrlichkeit (vgl. Röm 8, 1 ff; 2 Kor 4,17).

Freilich ist die Seele in solch gnadenreichen Stunden tief versenkt in Leid und Traurigkeit, in Dürre und Trockenheit. Aber sie möge doch stille halten unter der Hand des göttlichen Hohepriesters ! Gott gießt den Balsam seiner Gnade auch in die Bitterkeit des Kreuzes. Denken wir nur an den hl. Paulus. Nie wohl hat eine Seele in einer innigeren Vereinigung mit Christus gelebt als dieser große Apostel, den »nichts von Christus zu trennen vermochte« (Röm 8, 35). Und doch ließ Gott es zu, dass der Teufel ihm zusetzte und ihn an Leib und Seele bedrückte. Dreimal ruft der Apostel in seiner Herzensangst zum Herrn um Hilfe. Und er erhält zur Antwort: »Meine Gnade genügt dir; denn in der Schwachheit kommt die Kraft zur Vollendung« (2 Kor 12, 9).

6. Letzter Zweck des ewigen Heilsplans ist die Verehrung der Macht der Gnade Jesu Christi: »Zum Lob der Herrlichkeit seiner Gnade«

Wir kommen hiermit - und man könnte diese Erwägung nicht besser beschließen - zum tiefsten Grund, warum die göttliche Vorsehung es so eingerichtet hat, dass das Werk unserer Heiligung erstehen soll aus Leid und Schwachheit. »Aus Gnade«, sagt der hl. Paulus, »seid ihr kraft des Glaubens gerettet worden. Nicht euer Verdienst ist es; es ist Gottes Geschenk ... , damit niemand sich rühmen könne« (Eph 2, 8 ff). Wem also gebührt alle Ehre? Wer hat den Ruhm, uns zu Heiligen gemacht zu haben? Einzig und allein Jesus Christus.« 

Bei Darlegung des göttlichen Heilsplanes bezeichnet der hl. Apostel den Gläubigen von Ephesus das Endziel aller Dinge mit dem Hinweis, dass Gott alles so eingerichtet habe, damit wir die Herrlichkeit seiner Gnade preisen möchten (Eph 1, 6).

In all diesen Erwägungen haben wir zu zeigen versucht, wie innig der Vater uns mit seinem Sohn vereinigen will. Wir haben uns das göttliche Vorbild in seiner unendlichen Erhabenheit und doch wieder so erreichbar vor Augen gestellt. Wir haben gesehen, dass Christus all seine Geheimnisse nur für uns durchlebt hat, und dass er in ihnen sich aufs innigste mit uns vereinigt, damit wir unter dem Wirken seines Hl. Geistes nach und nach immer mehr sein göttliches Vorbild in uns gestalten und ihm nach dem Maße unserer Vorherbestimmung ähnlich werden.

Lassen wir nicht ab, dieses unser Vorbild immer wieder anzuschauen. Jesus Christus ist Gott, der zu uns gekommen ist und unter uns gelebt hat, um uns den Weg zu zeigen und uns zum Leben zu führen; denn er selbst hat gesagt, dass das ewige Leben darin besteht, dass wir durch Wort und Tat bekennen, dass sein Vater der wahre Gott ist, und dass er selbst Gott ist mit ihm, aber Gott, der in diese Welt gekommen und Fleisch geworden ist, um die Menschheit zu Gott zurückzuführen.

Wenn wir während unseres Lebens Jesus treulich nachfolgen, wenn wir ihn jedes Jahr gläubig und voll Liebe in der Reihenfolge seiner Geheimnisse betrachten, um ihm ähnlich zu werden und mit ihm vereinigt zu bleiben, dann dürfen wir gewiss sein, dass sein Gebet, das er unablässig als Mittler für uns zum Vater sendet, erhört werde.

Durch seinen Geist wird er unserer Seele sein lebendiges Bild einprägen, und der Vater wird uns am Jüngsten Tage als Glieder seines geliebten Sohnes anerkennen und uns Anteil geben an seinem Erbe.

So werden wir in jene hl. Gemeinschaft eintreten, die Christus, unser göttliches Haupt, sich unbefleckt und glorreich dargestellt hat.

Gott hat uns zu Miterben seines Reiches bestimmt, damit wir so die Herrlichkeit seiner Gnade preisen, die er uns in seinem geliebten Sohn erwiesen hat. Alles, was uns hienieden zuteil wird, verdanken wir dem Heiland. Durch seine Geheimnisse hat er uns alle Gnaden der Rechtfertigung, Verzeihung und Heiligung verdient, deren wir bedürfen. Christus ist der Urgrund aller Rechtfertigung. Wie im Weinstock der nährende Rebensaft sich in die Zweige verteilt, auf dass sie Frucht bringen können, so teilt auch Christus unaufhörlich all jenen seine Gnade mit, die ihm verbunden sind. Diese Gnade beseelt die Apostel, erleuchtet die Kirchenlehrer, stärkt die Märtyrer, erhält die Bekenner in Beständigkeit und schmückt die Jungfrauen mit unvergleichlicher Reinheit.

Aber auch im Himmel entströmt alle Herrlichkeit der Heiligen dieser nämlichen Gnade. Alle ihre strahlenden Siege haben die gleiche Quelle. Ihre Feierkleider sind so hellstrahlend, weil sie gewaschen sind im Blut des Lammes, und die Stufe ihrer Heiligkeit bemisst sich nach dem Maße ihrer Ähnlichkeit mit dem göttlichen Vorbild.

Darum ladet die Kirche am herrlichen Feste Allerheiligen, wo sie die ganze Schar der Auserwählten gemeinsam preist, uns ein, jenen anzubeten, der da der Herr aller Heiligen und zugleich ihre Krone ist: Christus ist die Krone aller Heiligen (Invitatorium der Matutin). Im Himmel werden wir verstehen, dass alle Erbarmungen Gottes vom Kalvarienberg ausgegangen sind und dass Christi kostbares Blut der Kaufpreis des unendlichen Glückes ist, das wir dort ewig genießen werden. Vergessen wir dieses nicht: Im himmlischen Jerusalem werden wir berauscht sein von göttlicher Glückseligkeit. Aber all diese Seligkeit ist erkauft worden durch das Blut Jesu Christi. »Des Stromes Wogendrang, der die Stadt Gottes erfreut« (Ps 46, 5), entspringt dem Kreuzesopfer unseres göttlichen Hohepriesters. Es wird für uns eine unendliche Freude bedeuten, dies anzuerkennen und in den begeisterten Lobgesang einzustimmen: »Dir, o Jesus, verdanken wir alles. Dir sei alle Ehre und alles Lob und alle Danksagung!« 

Mit allen Auserwählten werden wir unsere Kronen huldigend ihm zu Füßen legen (vgl. Offb 4,10), um zu bekennen, dass wir sie von ihm empfangen haben.

Das ist der Schlussstein, das Endziel des Geheimnisses Jesu Christi, des menschgewordenen Wortes. Nach dem Willen des Vaters soll Jesus, sein Sohn, verherrlicht werden, weil er sein eingeborener Sohn ist, der Gegenstand seines höchsten Wohlgefallens. Weil dieser Sohn, der ewige Gott, sich so tief erniedrigt hat, um seinen mystischen Leib zu heiligen, »darum hat ihn auch Gott erhöht« (PhiI 2, 9).

Wir müssen uns voll heiligen Glaubens in diese göttlichen Gedanken versenken. Wenn wir die Heiligen feiern, verherrlichen wir die Allmacht der Gnade, die sie auf diese Höhen erhoben hat, und nichts kann Gott wohlgefälliger sein; denn mit dieser Heiligenverehrung gehen wir ganz auf den Plan Gottes, die Verherrlichung seines Sohnes, ein. »Ich habe ihn verherrlicht und will ihn ferner verherrlichen« (Joh 12, 28). Suchen wir aber auch mit Hilfe dieser Gnade den Heilsplan Gottes für jeden von uns zu verwirklichen; denn um es nochmals zu sagen, in der vollkommenen Gleichförmigkeit mit diesem Plan besteht alle Heiligkeit.

Am Tage des unvergleichlichen Endsieges wird er, nach den Worten des hl. Paulus, dieses Reich der Auserwählten als wunderbaren Siegespreis seiner allmächtigen Gnade dem Vater übergeben. Möchten wir uns doch alle dort zusammenfinden zur beseligenden Freude unserer Seele und zur Verherrlichung des Vaters, der im Himmel ist. »Zum Lob und zum Preis seiner Gnade« (1 Kor 15, 24).

»Das Wort im Schoß des Vaters ist uns Wahrheit und Leben; menschgeworden aber ward es unser Weg« (St. Aug., Tract. in Joan. 34, 9).

Literatur

  • Abt D. Columba Marmion OSB, Christus in seinen Geheimnissen, übertragen von M. Benedicta von Spiegel OSB, Mit einem Geleitwort von Professor Dr. M. Rackl, Regens, Patrimonium Verlag Abtei Mariawald Heimbach/Eifel 2017 (4. Auflage, 424 Seiten, ISBN-10 3-86417-094-X, ISBN-13 978-86417-094-2).