Traditionalismus

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Im allgemein religiösen Sinn könnte man als Traditionalismus die starke Traditionsgebundenheit einer bestimmten Gruppe bezeichnen. Dabei unterscheidet sich der Traditionalismus von der gewöhnlichen Traditionsgebundenheit, ohne die keine Religion existieren kann, dadurch, dass er ein starres Traditionsverständnis aufweist und jede Neuerung im Sinne einer "lebendigen Tradition" ablehnt.

Im theologischen Sinne war der Traditionalismus eine vom Lehramt der Kirche verurteilte Bewegung des 19. Jahrhunderts. Diese war eine Gegenbewegung gegen den Rationalismus der Aufklärung und eng verwandt mit dem Irrationalismus der Romantik. Er zeichnete sich dadurch aus, dass er die Philosophie und die natürlichen Grundlagen der Theologie zurücksetzte, um die Offenbarung in ihrer Allmacht umso mehr in den Vordergrund zu stellen. Die Vernunftgemäßheit des Glaubens wurde abgelehnt und dieser zu einer blinden Zustimmung herabgewürdigt. Dadurch vermischt seine Denkweise sowohl Natur und Gnade, die Autorität Gottes und der Gesellschaft, sowie Glaube und Wissen. Durch das "Verschwimmen" von Kultur und Religion bzw. Staat und Kirche konnte schon dieser Traditionalismus die Trennung von Staat und Kirche und damit die Religionsfreiheit (auch im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils) nicht akzeptieren.

Insgesamt wurde ein statischer Begriff von Offenbarung und Tradition kultiviert, der die lebendige historische Entwicklung der kirchlichen Tradition ignoriert. Es wurde nicht klar zwischen der Tradition im engeren Sinne (die zusammen mit der Heiligen Schrift den Fluss der Offenbarung bildet) und den vielen Traditionen unterschieden. Dieser Traditionalismus identifiziert die Religion mit Gewohnheiten, Brauchtum und einem bestimmten Gesellschaftsbild, so dass er den Glauben nominell noch als "übernatürlich" bezeichnet, die Kirche aber eigentlich nur in den Grenzen eines damaligen Naturalismus versteht.

Die Unfähigkeit, angesichts des modernen Geisteshorizonts, den übernatürlichen Charakter der Kirche von ihrer aktuellen Erscheinungsform zu unterscheiden, bereitete der Ablehnung der Religionsfreiheit den Weg, wie sie sich auch bei dem Neo-Traditionalismus der Gegenwart findet. Im 20. Jahrhundert durch mancherlei politische Tendenzen (zugunsten des Integralismus) begünstigt, gewann in der Folge der (sich auf das Zweite Vatikanische Konzil berufenden) kirchlichen Reformen eine strengere Variante des Traditionalismus neue Anhänger. Abgesehen davon, dass dieser einen völlig neuen, absolut falschen Traditionsbegriff konstruierte (so Paul VI. im Schreiben an Marcel Lefebvre vom 11. Oktober 1976), wurde auch dieser durch das Lehramt (schon des Konzils) zurückgewiesen und zusammen mit den durch ihn hervorgerufenen schismatischen Exzessen verurteilt (Motu proprio Ecclesia Dei). Auch dieses Dokument stellte sich eindeutig auf die Seite eines lebendigen Traditionsbegriffes und blieb damit dem Traditionsbegriff, der die römisch-katholische Kirche spätestens seit dem Frühmittelalter prägt, treu. Erst der nachkonzilare, integralistische Traditionalismus wagte es jedoch, dem kirchlichen Lehramt jedwede Befugnis zur Ausübung seiner Autorität in katholischen Belangen abzusprechen, unter Berufung auf seine, eigenwillige Interpretation bestimmter, bevorzugter Dokumente der doktrinären Tätigkeit früherer Päpste (insb. das Missale Pius V., der Syllabus Pius IX. und die Enzyklika Pascendi Pius X.).

Für die demgegenüber genauere Bestimmung dessen, inwiefern das kirchliche Lehramt jeweils zur Traditionskritik und partiellen Neubestimmung der katholischen Position befugt ist, fehlt es jedoch noch an manchen profunden theologischen, historischen und juristischen Vorarbeiten (vgl. Weihnachtsansprache Benedikt XVI. vom 21.12.2005).

Literatur

Paul VI. et la modernité dans l'église (= Collection de l'École francaise de Rome, Bd. 72), Rom 1984.

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