Vita consecrata (Wortlaut)
Vita consecrata |
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unseres Heiligen Vaters
Johannes Paul II.
an den Episkopat und den Klerus an die Orden und Kongregationen, an die Gesellschaften des Apostolischen Lebens, an die Säkularinstitute und an alle Gläubigen
über das geweihte Leben und seine Sendung in Kirche und Welt
Die IX. Ordentliche Generalversammlung der Weltbischofssynode fand am 2. bis 29. Oktober 1994 statt
25. März 1996
(Offizieller lateinischer Text: AAS 88 [1996] 377-486)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist |
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung
- 1.1 Dank für das geweihte Leben
- 1.2 Das geweihte Leben - ein Geschenk an die Kirche
- 1.3 Zusammenstellung der Ergebnisse der Synode
- 1.4 Das Wirken des Geistes in den verschiedenen Formen des geweihten Lebens
- 1.5 Monastisches Leben in Ost und West
- 1.6 Die Weihe der Jungfrauen, die Eremiten und die Witwen
- 1.7 Institute, die sich ganz der Kontemplation widmen
- 1.8 Das apostolische Ordensleben
- 1.9 Die Säkularinstitute
- 1.10 Die Gesellschaften des apostolischen Lebens
- 1.11 Neue Ausdrucksformen geweihten Lebens
- 1.12 Zielsetzungen des Apostolischen Schreibens
- 2 Kapitel I: Confessio Trinitatis - An den christologisch-trinitarischen Quellen des geweihten Lebens
- 2.1 Das Bild des verklärten Christus
- 2.2 "Und er wurde vor ihren Augen verwandelt ..."
- 2.3 "Das ist mein geliebter Sohn: auf ihn sollt ihr hören!"
- 2.4 I. Zum Lob der Dreifaltigkeit
- 2.5 II. Zwischen Ostern und Vollendung
- 2.6 III. In der Kirche und für die Kirche
- 2.6.1 "Es ist gut, dass wir hier sind": das geweihte Leben im Geheimnis der Kirche
- 2.6.2 Die neue und besondere Weihe
- 2.6.3 Die Beziehungen zwischen den verschiedenen Lebensformen des Christen
- 2.6.4 Der besondere Wert des geweihten Lebens
- 2.6.5 Das Evangelium der Seligpreisungen bezeugen
- 2.6.6 Lebendiges Bild der Kirche als Braut
- 2.7 IV. Vom Geist der Heiligkeit geführt
- 3 Kapitel II: Signum Fraternitatis - Das geweihte Leben als Zeichen der Gemeinschaft in der Kirche
- 3.1 I. Bleibende Werte
- 3.1.1 Als Abbild der Dreifaltigkeit
- 3.1.2 Geschwisterliches Leben in Liebe
- 3.1.3 Die Aufgabe der Autorität
- 3.1.4 Die Rolle der alten Leute
- 3.1.5 Als Abbild der apostolischen Gemeinschaft
- 3.1.6 Sentire cum Ecclesia
- 3.1.7 Die Brüderlichkeit in der Universalkirche
- 3.1.8 Das geweihte Leben und die Teilkirche
- 3.1.9 Eine fruchtbare und geordnete kirchliche Gemeinschaft
- 3.1.10 Ein beständiger, von der Liebe beseelter Dialog
- 3.1.11 Die Geschwisterlichkeit in einer gespaltenen und ungerechten Welt
- 3.1.12 Gemeinschaft unter den verschiedenen Instituten
- 3.1.13 Koordinierungsorgane
- 3.1.14 Gemeinschaft und Zusammenarbeit mit den Laien
- 3.1.15 Für eine erneuerte geistliche und apostolische Tatkraft
- 3.1.16 Freiwillige und assoziierte Laien
- 3.1.17 Die Würde und die Rolle der Frau des geweihten Lebens
- 3.1.18 Neue Perspektiven für Präsenz und Tätigkeit
- 3.2 II. Beständigkeit im Wirken des Geistes: Treue in der Neuerung
- 3.3 III. Der Blick in die Zukunft
- 3.3.1 Schwierigkeiten und Perspektiven
- 3.3.2 Neuaufschwung der Berufungspastoral
- 3.3.3 Die Aufgabe der Anfangsausbildung
- 3.3.4 Das Werk der Ausbilder und Ausbilderinnen
- 3.3.5 Eine gemeinschaftliche und apostolische Ausbildung
- 3.3.6 Die Notwendigkeit einer vollständigen und zeitgemäßen ratio
- 3.3.7 Die ständige Weiterbildung
- 3.3.8 In einem Dynamismus der Treue
- 3.3.9 Dimensionen der ständigen Weiterbildung
- 3.1 I. Bleibende Werte
- 4 Kapitel III: Servitium Caritatis - Das geweihte Leben, Sichtbarwerden der Liebe Gottes in der Welt
- 4.1 Geweiht für die Sendung
- 4.2 Im Dienste Gottes und des Menschen
- 4.3 Kirchliche Zusammenarbeit und apostolische Spiritualität
- 4.4 I. Die Liebe bis zum Ende
- 4.4.1 Mit dem Herzen Christi lieben
- 4.4.2 Der besondere Beitrag des geweihten Lebens zur Evangelisierung
- 4.4.3 Die erste Evangelisierung: den Völkern Christus verkündigen
- 4.4.4 Anwesend in jedem Winkel der Erde
- 4.4.5 Christusverkündigung und Inkulturation
- 4.4.6 Die Inkulturation des geweihten Lebens
- 4.4.7 Die Neuevangelisierung
- 4.4.8 Die Vorzugsoption für die Armen und die Förderung der Gerechtigkeit
- 4.4.9 Die Sorge für die Kranken
- 4.5 II. Ein prophetisches Zeugnis angesichts großer Herausforderungen
- 4.5.1 Das Prophetentum des geweihten Lebens
- 4.5.2 Seine Bedeutung für die Welt von heute
- 4.5.3 Eine Treue bis zum Martyrium
- 4.5.4 Die großen Herausforderungen des geweihten Lebens
- 4.5.5 Die Herausforderung der geweihten Keuschheit
- 4.5.6 Die Herausforderung der Armut
- 4.5.7 Die evangelische Armut im Dienst an den Armen
- 4.5.8 Die Herausforderung der Freiheit im Gehorsam
- 4.5.9 Miteinander den Willen des Vaters erfüllen
- 4.5.10 Eine entschiedene Verpflichtung zum geistlichen Leben
- 4.5.11 Im Hören auf das Wort Gottes
- 4.5.12 In Gemeinschaft mit Christus
- 5 Anmerkungen
Einleitung
1. Das Geweihte Leben, tiefverwurzelt im Beispiel und in der Lehre Christi, des Herrn, ist ein Geschenk Gottes des Vaters durch den Geist an seine Kirche. Mit dem Bekenntnis zu den evangelischen Räten erlangen die Wesenszüge Jesu - Jungfräulichkeit, Armut und Gehorsam - eine typische und beständige "Sichtbarkeit" mitten in der Welt, und der Blick der Gläubigen wird auf jenes Geheimnis des Gottesreiches gelenkt, das bereits in der Geschichte wirksam ist, seine Vollendung aber im Himmel erwartet.
Jahrhunderte hindurch hat es nie an Männern und Frauen gefehlt, die dem Ruf des Vaters und der Einladung des Geistes folgten und diesen Weg der besonderen Nachfolge Christi wählten, um sich ihm mit "ungeteiltem" Herzen (vgl. 1 Kor 7,34) hinzugeben. Auch sie haben wie die Apostel alles verlassen, um bei ihm zu bleiben und sich wie er in den Dienst vor Gott und an den Schwestern und Brüdern zu stellen. Auf diese Weise haben sie dazu beigetragen, das Geheimnis und die Sendung der Kirche offenbar zu machen durch die vielfältigen Gnadengaben geistlichen und apostolischen Lebens, die der Heilige Geist ihnen zuteilte, und folglich haben sie auch an der Erneuerung der Gesellschaft mitgewirkt.
Dank für das geweihte Leben
2. Die Rolle des geweihten Lebens in der Kirche ist so bedeutsam, dass ich die Einberufung einer Synode beschlossen habe, um seine Bedeutung und seine Perspektiven im Hinblick auf das bevorstehende neue Jahrtausend zu vertiefen. Ich wollte, dass bei der Synodenversammlung neben den Synodenvätern auch zahlreiche Personen des geweihten Lebens anwesend wären, damit bei den gemeinsamen Überlegungen ihr Beitrag nicht fehlte. Wir wissen alle um den Reichtum, den das Geschenk des geweihten Lebens mit der Vielfalt seiner Charismen und Einrichtungen für die kirchliche Gemeinschaft darstellt. Gemeinsam danken wir Gott für die Orden und für die Ordensinstitute, die sich der Betrachtung und den Werken des Apostolats widmen, für die Gesellschaften des apostolischen Lebens, für die Säkularinstitute und für andere Gruppen geweihter Personen sowie für alle, die sich im Innersten ihres Herzens mit besonderer Weihe Gott hingeben.
Bei der Synode war die weltweite Verbreitung des geweihten Lebens, das in den Kirchen überall auf der Erde präsent ist, mit Händen zu greifen. Es spornt die Entwicklung der Evangelisierung in den verschiedenen Regionen der Welt an und begleitet sie, wo nicht nur die von auswärts stammenden Institute dankbar aufgenommen werden, sondern auch neue entstehen mit einer großen Vielfalt an Ausdrucksformen.
Wenn auch die Institute des geweihten Lebens in manchen Gegenden der Erde eine schwierige Zeit durchzumachen scheinen, gedeihen sie in anderen Regionen mit erstaunlicher Kraft und beweisen damit, dass die Entscheidung für die Ganzhingabe an Gott in Christus in keinster Weise mit der Kultur und der Geschichte eines Volkes unvereinbar ist. Auch blüht das geweihte Leben nicht nur innerhalb der katholischen Kirche; tatsächlich findet es sich besonders lebendig im Mönchtum der orthodoxen Kirchen und gehört als Wesenszug zu deren Erscheinungsbild; und auch in den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften ist es im Begriff zu entstehen oder wiederzuentstehen, gleichsam als Zeichen einer gemeinsamen Gnade der Jünger Christi. Aus dieser Feststellung ergibt sich ein Impuls für die Ökumene, die das Verlangen nach einer immer volleren Gemeinschaft unter den Christen nährt, "damit die Welt glaubt" (Joh 17,21).
Das geweihte Leben - ein Geschenk an die Kirche
3. Die weltweite Präsenz des geweihten Lebens und der evangelische Charakter seines Zeugnisses zeigen mit aller Deutlichkeit - falls notwendig - dass es keine isolierte Randerscheinung ist, sondern die ganze Kirche betrifft. Die Bischöfe auf der Synode haben dies wiederholt bestätigt: "de re nostra agitur", "es geht um etwas, das uns betrifft".<ref>Vgl. Propositio 2.</ref>
Tatsächlich steht das geweihte Leben als entscheidendes Element für die Sendung der Kirche in deren Herz und Mitte, da es "das innerste Wesen der christlichen Berufung offenbart und darstellt"<ref>II. Vat. Konzil, Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad gentes, 18.</ref> und das Streben der ganzen Kirche als Braut nach der Vereinigung mit dem einen Bräutigam zum Ausdruck bringt.<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 44; Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelica testificatio (29. Juni 1971), 7: AAS 63 (1971), 501-502; Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi (8. Dez. 1975), 69: AAS 68 (1976), 59.</ref> Auf der Synode wurde mehrmals bestätigt, dass das geweihte Leben nicht nur in der Vergangenheit eine Rolle der Hilfe und der Unterstützung für die Kirche gespielt habe, sondern dass es auch für die Gegenwart und die Zukunft des Gottesvolkes ein kostbares und unerlässliches Geschenk ist, weil es zutiefst zu dessen Leben, Heiligkeit und Sendung gehört.<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmat. Konst. über die Kirche Lumen gentium, 44.</ref>
Die gegenwärtigen Schwierigkeiten, auf die nicht wenige Institute in einigen Gegenden der Welt stoßen, dürfen nicht zu Zweifeln daran verleiten, dass das Bekenntnis zu den evangelischen Räten wesentlicher Bestandteil des Lebens der Kirche ist, dem es einen wertvollen Impuls zu einer immer konsequenteren Verwirklichung des Evangeliums verleiht.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Ansprache bei der Generalaudienz (28. September 1994), 5: L'Osservatore Romano, 29. Sept. 1994, S. 4.</ref> Es wird in der Geschichte eine weitere Vielfalt an Formen geben können, aber das Wesen einer Entscheidung, die in der Radikalität der Selbsthingabe aus Liebe zum Herrn Jesus und in ihm zu jedem Angehörigen der Menschheitsfamilie ihren Ausdruck findet, wird sich nicht ändern. Auf diese Gewissheit, die im Laufe der Jahrhunderte zahllose Menschen zu mutigem Entschluss angeregt hat, zählt das christliche Volk auch weiterhin, wohl wissend, dass es aus dem Beitrag dieser hochherzigen Seelen eine wirksame Hilfe auf seinem Weg zur himmlischen Heimat erfahren kann.
Zusammenstellung der Ergebnisse der Synode
4. Dem Wunsch der Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode folgend, die zusammengetreten war, um über das Thema "Das geweihte Leben und seine Sendung in Kirche und Welt" zu beraten, will ich in diesem Apostolischen Schreiben die Ergebnisse des synodalen Programms vorlegen<ref>Vgl. Propositio 1.</ref> und allen Gläubigen - Bischöfen, Priestern, Diakonen, Ordensleuten und Laien - sowie allen, die zuhören wollen, die Wunder aufzeigen, die der Herr auch heute durch das geweihte Leben vollbringen will.
Nach den Synoden, die den Laien und den Priestern gewidmet waren, vervollständigt diese Synode die Behandlung der besonderen Eigenheiten, die die vom Herrn Jesus für seine Kirche vorgesehenen Lebensstände kennzeichnen. Auch wenn auf dem II. Vatikanischen Konzil die große Wirklichkeit der kirchlichen Gemeinschaft hervorgehoben wurde, in der sämtliche Gaben zusammenströmen für den Aufbau des Leibes Christi und für die Sendung der Kirche in der Welt, so machte sich doch in den letzten Jahren die Notwendigkeit bemerkbar, die Identität der verschiedenen Stände des Lebens, ihre Berufung und ihren besonderen Auftrag in der Kirche deutlicher herauszustellen.
Die Gemeinschaft in der Kirche bedeutet ja nicht Einförmigkeit, sondern Geschenk des Geistes, der auch die Vielfalt der Charismen und der Lebensformen durchdringt. Diese werden für die Kirche und ihre Sendung um so nützlicher sein, je konsequenter ihre Identität eingehalten wird. Denn jede Gabe des Geistes wird gewährt, damit sie im Wachsen der Brüderlichkeit und der Sendung Frucht bringe für den Herrn.<ref>Vgl. Hl. Franz von Sales, Introduction à la vie dévote, p. I, c. 3, Œuvres, t. III, Annecy 1893, S. 19-20.</ref>
Das Wirken des Geistes in den verschiedenen Formen des geweihten Lebens
5. Wie sollte man nicht voll Dankbarkeit gegenüber dem Geist an die Fülle der historischen Formen des geweihten Lebens erinnern, die von ihm geweckt wurden und noch immer im kirchlichen Gefüge vorhanden sind? Sie erscheinen uns wie ein Baum mit vielen Zweigen,<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 43.</ref> dessen Wurzeln tief in das Evangelium hineinreichen und der in jeder Epoche der Kirche üppige Früchte hervorbringt. Was für ein außerordentlicher Reichtum! Ich selbst habe zum Abschluss der Synode den Wunsch verspürt, dieses in der Geschichte der Kirche konstante Element hervorzuheben: die Schar von Ordensgründern und -gründerinnen, von heiligen Männern und Frauen, die sich in der Radikalität des Evangeliums und im Dienst an den Brüdern und Schwestern, besonders an den Armen und Verlassenen, für Christus entschieden haben.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Predigt bei der feierlichen Konzelebration zum Abschluss der IX. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode (29. Oktober 1994), 3: AAS 87 (1995), 580.</ref> Gerade in diesem Dienst wird mit besonderer Klarheit sichtbar, dass das geweihte Leben die Einheitlichkeit des Liebesgebotes in der untrennbaren Verbundenheit von Gottes- und Nächstenliebe offenbar macht.
Die Synode hat dieses unablässige Wirken des Heiligen Geistes erwähnt, das im Laufe der Jahrhunderte die Reichtümer der Anwendung der evangelischen Räte durch die vielfältigen Charismen zur Entfaltung bringt und auch auf diese Weise in Kirche und Welt, in Zeit und Raum beständig das Geheimnis Christi gegenwärtig macht.
Monastisches Leben in Ost und West
6. Die Synodenväter der katholischen Ostkirchen und die Vertreter der anderen Kirchen des Orients haben in ihren Ausführungen die evangelischen Werte des monastischen Lebens<ref>Vgl. Bischofssynode, IX. Ordentliche Generalversammlung, Botschaft der Synode (27. Okt. 1994), VII: L'Osservatore Romano, 29. Okt. 1994, S. 7.</ref> unterstrichen, das bereits in den Anfangszeiten des Christentums in Erscheinung trat und in ihren Ländern, besonders in orthodoxen Kirchen, noch heute von blühender Lebendigkeit ist. Seit den ersten Jahrhunderten der Kirche hat es Männer und Frauen gegeben, die sich berufen fühlten, den Dienst des fleischgewordenen Wortes nachzuahmen, und sich in seine Nachfolge begeben haben, indem sie die Anforderungen, die sich aus der der Taufe entspringenden Teilhabe am Ostergeheimnis seines Todes und seiner Auferstehung ergeben, im Ordensberuf in besonderer und radikaler Weise lebten. Während sie auf diese Weise zu Trägern des Kreuzes (staurophóroi) wurden, haben sie sich verpflichtet, Zeugen des Geistes (pneumatophóroi) zu werden, wahrhaft geistliche Männer und Frauen, die in der Lage sind, durch Lobpreis und ständige Fürbitte, durch die asketischen Ratschläge und durch die Werke der Liebe die Geschichte im Verborgenen zu befruchten.
In der Absicht, die Welt und das Leben in Erwartung der endgültigen Schau des Angesichtes Gottes zu verwandeln, bevorzugt das orientalische Mönchtum die Bekehrung, den Selbstverzicht und die Zerknirschung des Herzens, die Suche der Hesychie, d.h. des inneren Friedens, und das unablässige Gebet, das Fasten und die Nachtwachen, das geistige Ringen und das Schweigen, die österliche Freude über die Gegenwart des Herrn und über die Erwartung seines endgültigen Kommens, die Hingabe seiner selbst und seiner Habe, wie sie in der heiligen Gemeinschaft des Klosters oder in der Einsamkeit der Eremitage gelebt wird.<ref>Vgl. Propositio 5, B.</ref>
Auch das Abendland hat seit den ersten Jahrhunderten der Kirche das monastische Leben praktiziert und eine große Vielfalt an Ausdrucksformen sowohl im klösterlichen Bereich als auch im eremitischen Mönchtum gekannt. In seiner heutigen Gestalt, die vor allem vom hl. Benedikt inspiriert wurde, ist das abendländische Mönchtum Erbe vieler Männer und Frauen, die sich vom weltlichen Leben abgewandt haben, Gott suchten und sich ihm weihten, "indem sie der Liebe zu Christus nichts vorzogen".<ref>Vgl. Regula, 4, 21 und 72, 11.</ref> Auch die Mönche von heute bemühen sich um einen harmonischen Einklang zwischen innerem Leben und Arbeit in der Verpflichtung nach dem Evangelium zur Änderung der Gewohnheiten, zum Gehorsam, zur Beständigkeit und in der eifrigen Hingabe an die Betrachtung des Wortes (lectio divina), an die Feier der Liturgie und das Gebet. Die Klöster waren und sind noch immer im Herzen der Kirche und der Welt ein ausdrucksvolles Zeichen von Gemeinschaft, ein einladender Aufenthaltsort für diejenigen, die Gott und die Welt des Geistes suchen; sie sind Glaubensschulen und wahre Werkstätten für Studium, Dialog und Kultur zum Aufbau des kirchlichen Lebens und auch, in Erwartung der himmlischen Stadt, zum Aufbau der irdischen.
Die Weihe der Jungfrauen, die Eremiten und die Witwen
7. Grund zu Freude und Hoffnung ist es zu sehen, dass die bereits seit der apostolischen Zeit in den christlichen Gemeinden bezeugte alte Weihe der Jungfrauen heute wiederaufblüht.<ref>Vgl. Propositio 12.</ref> Durch ihre Weihe durch den Diözesanbischof erwerben sie eine besondere Bindung an die Kirche, deren Dienst sie sich widmen, auch wenn sie weiter in der Welt bleiben. Allein oder in Gemeinschaft stellen sie ein besonderes eschatologisches Bild von der himmlischen Braut und dem zukünftigen Leben dar, wenn die Kirche endlich die Liebe zu ihrem Bräutigam Christus in Fülle leben wird.
Die als Eremiten lebenden Männer und Frauen, die alten Orden oder neuen Instituten angehören oder auch unmittelbar vom Bischof abhängig sind, bezeugen mit ihrer inneren und äußeren Trennung von der Welt den vorläufigen Charakter der Gegenwart und beweisen durch Fasten und Buße, dass der Mensch nicht von Brot allein lebt, sondern vom Wort Gottes (vgl. Mt 4,4). Ein solches Leben "in der Wüste" ist eine Aufforderung an den Nächsten und zugleich an die kirchliche Gemeinschaft, niemals die höchste Berufung aus den Augen zu verlieren, nämlich immer beim Herrn zu sein.
Heute wird auch wieder die schon zur Zeit der Apostel bekannte (vgl. 1 Tim 5,5.9-10; 1 Kor 7,8) Weihe der Witwen<ref>Vgl. Kodex der Kanones der Orientalischen Kirchen, can. 570.</ref> vollzogen sowie jene der Witwer. Durch das Gelöbnis ewiger Keuschheit als Zeichen des Reiches Gottes heiligen diese Personen ihren Stand, um sich dem Gebet und dem Dienst an der Kirche zu widmen.
Institute, die sich ganz der Kontemplation widmen
8. Die Institute, die ganz auf die Kontemplation ausgerichtet sind und aus Frauen oder Männern bestehen, sind für die Kirche ein Grund zur Freude und eine Quelle himmlischer Gnaden. Mit ihrem Leben und ihrer Sendung ahmen die Personen dieser Institute Christus nach, der auf den Berg stieg, um zu beten, geben Zeugnis von Gottes Herrschaft über die Geschichte und nehmen die künftige Herrlichkeit vorweg.
In der Einsamkeit und im Stillschweigen, durch das Hören des Wortes Gottes, durch die Feier des Gottesdienstes, durch die persönliche Askese und das Gebet, durch die Abtötung und die geschwisterliche Liebesgemeinschaft orientieren sie ihr ganzes Leben und ihre Tätigkeit an der Kontemplation Gottes. Auf diese Weise geben sie der kirchlichen Gemeinschaft ein einzigartiges Zeugnis der Liebe der Kirche zu ihrem Herrn und tragen mit einer geheimnisvollen apostolischen Fruchtbarkeit zum Wachstum des Volkes Gottes bei.<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens Perfectae caritatis, 7; Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad gentes, 40.</ref> Daher ist der Wunsch berechtigt, dass die verschiedenen Formen kontemplativen Lebens als Ausdruck tiefer Verwurzelung im Evangelium eine zunehmende Verbreitung in den jungen Kirchen finden, vor allem in jenen Regionen der Welt, wo andere Religionen stärker verbreitet sind. Dies wird es ermöglichen, Zeugnis zu geben von der Kraft der Traditionen christlicher Askese und Mystik, und wird den interreligiösen Dialog fördern.<ref>Vgl. Propositio 6.</ref>
Das apostolische Ordensleben
9. Im Abendland sind im Laufe der Jahrhunderte vielfältige andere Ausdrucksformen des Ordenslebens zur Blüte gelangt, in denen unzählige Menschen nach der Absage an die Welt durch das öffentliche Bekenntnis zu den evangelischen Räten, entsprechend einem besonderen Charisma und in einer festen Form gemeinschaftlichen Lebens<ref>Vgl. Propositio 4.</ref> sich Gott für einen vielgestaltigen apostolischen Dienst am Volk Gottes geweiht haben. So etwa die verschiedenen Ordensfamilien der Regularkanoniker, die Bettelorden, die Regularkleriker und im allgemeinen die männlichen und weiblichen Ordenskongregationen, die sich der apostolischen Arbeit, der Missionstätigkeit und den vielfältigen Werken widmen, die die christliche Liebe hervorgebracht hat.
Es ist ein Zeugnis von wunderbarer Mannigfaltigkeit, in dem sich die Vielfalt der von Gott den Ordensgründern und -gründerinnen gespendeten Gaben widerspiegelt, die in ihrem Offensein für das Wirken des Heiligen Geistes die Zeichen der Zeit zu deuten und den nach und nach auftretenden Erfordernissen auf glänzende Weise zu entsprechen verstanden. Ihrem Beispiel folgend haben viele andere mit Wort und Tat versucht, das Evangelium in ihrem eigenen Leben zu verwirklichen, um die lebendige Gegenwart Jesu, des Geweihten im wahrsten Sinne des Wortes und des Apostels des Vaters, in ihrer Zeit wieder geltend zu machen. Christus, den Herrn, müssen sich die Personen des geweihten Lebens immer und zu allen Zeiten zum Vorbild nehmen, indem sie im Gebet eine tiefe Gesinnungsgemeinschaft mit ihm pflegen (vgl. Phil 2,5-11), damit ihr ganzes Leben von dem apostolischen Geist durchdrungen werde und die gesamte apostolische Tätigkeit von Kontemplation erfüllt sei.<ref>Vgl. Propositio 7.</ref>
Die Säkularinstitute
10. Der Heilige Geist, wunderbarer Schöpfer der Vielfalt der Charismen, hat in unserer Zeit neue Ausdrucksweisen geweihten Lebens geschenkt, gleichsam als wollte er, einem Plan der Vorsehung entsprechend, den neuen Bedürfnissen Genüge tun, denen die Kirche heute bei der Erfüllung ihrer Sendung in der Welt begegnet.
Ich denke vor allem an die Säkularinstitute, deren Mitglieder die Weihe an Gott in der Welt durch das Bekenntnis zu den evangelischen Räten im Rahmen der zeitlichen Strukturen leben wollen, um auf diese Weise innerhalb des kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Lebens Sauerteig der Weisheit und Zeugen der Gnade zu sein. Durch die ihnen eigene Synthese von Säkularem und Weihe wollen sie in die Gesellschaft die neuen Kräfte des Reiches Christi einbringen und die Welt durch die Kraft der Seligpreisungen von innen her zu verwandeln suchen. Während die völlige Zugehörigkeit zu Gott sie ganz für seinen Dienst aufgehen lässt, bestärkt so ihre Tätigkeit in der normalen weltlichen Umgebung unter dem Wirken des Geistes die Beseelung der säkularen Gegebenheiten aus dem Evangelium. Die Säkularinstitute tragen so dazu bei, der Kirche je nach der spezifischen Gabe eines jeden Instituts eine ausgeprägte Präsenz in der Gesellschaft zu gewährleisten.<ref>Vgl. Propositio 11.</ref>
Eine wertvolle Funktion üben auch die klerikalen Säkularinstitute aus, in denen sich Priester, die dem Presbyterium einer Diözese angehören, auch wenn einigen von ihnen die Inkardination im eigenen Institut zuerkannt wird, durch die einem besonderen Charisma entsprechende praktische Befolgung der evangelischen Räte Christus weihen. Sie finden in den geistlichen Reichtümern des Instituts, dem sie angehören, eine große Hilfe, um die dem Priestertum eigene Spiritualität zu leben und so Ansporn zu apostolischer Gemeinschaft und Großherzigkeit unter den Mitbrüdern zu sein.
Die Gesellschaften des apostolischen Lebens
11. Besondere Erwähnung verdienen sodann die männlichen und weiblichen Gesellschaften des apostolischen Lebens oder des gemeinsamen Lebens, die mit einem ihnen eigenen Stil ein besonderes apostolisches oder missionarisches Ziel verfolgen. In vielen von ihnen werden mit von der Kirche offiziell anerkannten heiligen Weiheverpflichtungen die evangelischen Räte ausdrücklich angenommen. Doch auch in diesem Fall unterscheidet die Eigenart ihrer Weihe sie von den Ordensinstituten und Säkularinstituten. Es gilt, die Besonderheit dieser Lebensform zu erhalten und zu fördern, die im Laufe der letzten Jahrhunderte besonders auf dem Gebiet der Nächstenliebe und bei der missionarischen Verbreitung des Evangeliums so viele Früchte der Heiligkeit und des Apostolats hervorgebracht hat.<ref>Vgl. Propositio 14.</ref>
Neue Ausdrucksformen geweihten Lebens
12. Die ewige Jugend der Kirche erweist sich auch heute: in den letzten Jahrzehnten, nach dem II. Vatikanischen Konzil, sind neue oder erneuerte Formen geweihten Lebens in Erscheinung getreten. In vielen Fällen handelt es sich um Institute, die den bereits bestehenden zwar ähnlich, aber aus neuen spirituellen und apostolischen Impulsen heraus entstanden sind. Ihre Lebensfähigkeit muss von der Autorität der Kirche geprüft werden, der die Durchführung der zweckmäßigen Untersuchungen obliegt, sowohl um die Echtheit der inspirierenden Zielsetzung zu prüfen wie auch die übermäßige Vermehrung nahezu gleicher Institutionen zu vermeiden, die die Gefahr einer schädlichen Aufsplitterung in zu kleine Gruppen nach sich ziehen könnte. In anderen Fällen handelt es sich um echte Erfahrungen, die nach einer eigenen Identität in der Kirche suchen und die offizielle Anerkennung durch den Apostolischen Stuhl erwarten, bei dem allein der letzte Entscheid liegt.<ref>Vgl. Kodex des kanonischen Rechtes, can. 605; Kodex der Kanones der Orientalischen Kirchen, can. 571; Propositio 13.</ref>
Diese neuen Formen geweihten Lebens, die zu den früheren hinzukommen, bezeugen die stete Anziehungskraft, die die Ganzhingabe an den Herrn, das Ideal der apostolischen Gemeinschaft, die Gründungscharismen auch auf die heutige Generation ausüben, und sind ebenso Zeichen für die Komplementarität der Gaben des Heiligen Geistes.
Der Geist widerspricht sich jedoch nicht in der Neuheit! Beweis dafür ist die Tatsache, dass die neuen Formen geweihten Lebens die früheren nicht verdrängt haben. Bei derart vielgestaltiger Mannigfaltigkeit konnte dank derselben Berufung, die grundlegende Einheit gewahrt bleiben, nämlich auf der Suche nach der vollkommenen Liebe dem keuschen, armen und gehorsamen Jesus zu folgen. Wie diese Berufung in allen bereits bestehenden Formen anzutreffen ist, so gilt sie auch in den neu hinzugetretenen.
Zielsetzungen des Apostolischen Schreibens
13. Während ich die Früchte der Arbeiten der Synode sammle, will ich mich mit diesem Apostolischen Schreiben an die ganze Kirche wenden, um nicht nur den Personen des geweihten Lebens, sondern auch den Hirten und den Gläubigen die Früchte einer anregenden Auseinandersetzung darzubieten, über deren Fortgang der Heilige Geist es nicht fehlen ließ, mit seinen Gaben der Wahrheit und der Liebe zu wachen.
In diesen Jahren der Erneuerung hat das geweihte Leben, wie übrigens auch andere Lebensformen in der Kirche, eine schwierige und mühsame Zeit durchgemacht. Es war eine Zeit reich an Hoffnungen sowie an Erneuerungsversuchen und -vorschlägen, die das Bekenntnis zu den evangelischen Räten auf den heutigen Stand bringen sollten. Doch es war auch eine Zeit, die nicht frei von Spannungen und Schwierigkeiten war und in der selbst edle Erfahrungen nicht immer von positiven Ergebnissen gekrönt waren.
Die Schwierigkeiten dürfen jedoch nicht zur Entmutigung verleiten. Es ist vielmehr notwendig, sich mit neuem Eifer zu engagieren, denn die Kirche braucht die geistliche und apostolische Mitwirkung eines erneuerten und gestärkten geweihten Lebens. Mit dem vorliegenden nachsynodalen Schreiben will ich mich an die Ordensgemeinschaften und an die einzelnen Personen des geweihten Lebens im selben Geist wenden, der den Brief beseelte, der einst vom Apostelkonzil in Jerusalem an die Christen von Antiochien gesandt worden war; ich hege dabei die Hoffnung, dass sich heute dieselbe Erfahrung wiederholen möge, wie sie uns von damals überliefert ist: "Die Brüder lasen den Brief und freuten sich über die Ermunterung" (Apg 15,31). Aber nicht nur das: ich hege auch die Hoffnung, dadurch die Freude des ganzen Gottesvolkes zu vermehren, das durch besseres Kennenlernen des geweihten Lebens dem Allmächtigen bewusster für dieses große Geschenk zu danken vermag.
In einer Haltung herzlicher Offenheit gegenüber den Synodenvätern habe ich mir die wertvollen Beiträge zunutze gemacht, die während der intensiven Arbeiten bei den Versammlungen zutage traten, bei denen ich ständig anwesend sein wollte. Während dieser Zeit war ich auch darauf bedacht, dem ganzen Volk Gottes einige systematische Katechesen über das geweihte Leben in der Kirche zu halten. Darin habe ich die in den Texten des II. Vatikanischen Konzils enthaltenen Lehraussagen erneut vorgestellt. Das Konzil war leuchtender Bezugspunkt für die folgenden Lehrentwicklungen und für die von der Synode während der Wochen intensiver Arbeit angestellten Überlegungen.<ref>Vgl. Propositiones 3; 4; 6; 7; 8; 10; 13; 28; 29; 30; 35; 48.</ref>
Während ich darauf vertraue, dass die Söhne und Töchter der Kirche, insbesondere die geweihten Personen dieses Schreiben mit hochherziger Zustimmung annehmen, wünsche ich, dass man auch weiterhin darüber nachdenken möge, um zu einer Vertiefung des großen Geschehens des geweihten Lebens in seiner dreifachen Dimension der Weihe, der Gemeinschaft und der Sendung zu gelangen, und dass die geweihten Personen in völliger Übereinstimmung mit der Kirche und ihrem Lehramt auf diese Weise weiter angespornt werden, den drängenden Herausforderungen geistlich und apostolisch zu begegnen.
Kapitel I: Confessio Trinitatis - An den christologisch-trinitarischen Quellen des geweihten Lebens
Das Bild des verklärten Christus
14. Das Fundament des geweihten Lebens im Evangelium ist in der besonderen Beziehung zu suchen, die Jesus während seines irdischen Daseins mit einigen seiner Jünger herstellte, indem er sie nicht nur einlud, das Reich Gottes im eigenen Leben anzunehmen, sondern ihr Leben in den Dienst dieses Anliegens zu stellen, alles zu verlassen und aus der Nähe seine Lebensform nachzuahmen.
Eine solche "Christus gemäße" Existenz, die so vielen Getauften im Verlauf der Geschichte angeboten wurde, ist nur auf Grund einer besonderen Berufung und kraft eines eigenen Geschenkes des Geistes möglich. In ihr ist die Taufweihe in der Tat zu einer radikalen Antwort in der Nachfolge Christi durch die Annahme der evangelischen Räte geführt, deren erster und wesentlicher die heilige Bindung der Keuschheit um des Himmelreiches willen ist.<ref>Vgl. Propositio, 3, A und B.</ref> Diese "besondere Nachfolge Christi", an deren Ursprung immer die Initiative des Vaters steht, hat also ein wesentlich christologisches und pneumatologisches Merkmal, indem sie so auf besonders lebendige Weise den Trinitätscharakter des christlichen Lebens ausdrückt, dessen eschatologische Verwirklichung sie irgendwie vorwegnimmt, nach der die ganze Kirche trachtet.<ref>Vgl. Propositio, 3, C.</ref>
Im Evangelium gibt es viele Worte und Taten Christi, die den Sinn dieser besonderen Berufung erhellen. Um jedoch in einer Zusammenschau die Wesensmerkmale zu sammeln, stellt es sich als besonders hilfreich dar, den Blick auf das leuchtende Antlitz Christi im Geheimnis der Verklärung zu richten. Auf dieses "Bild" bezieht sich eine ganz alte geistliche Tradition, wenn sie das kontemplative Leben mit dem Gebet Jesu "auf dem Berg" verbindet.<ref>Vgl. Kassian: "Secessit tamen solus in monte orare, per hoc scilicet nos instruens suae secessionis exemplo ... ut similiter secedamus" (Conlat. 10, 6: PL 49, 827); Hl. Hieronymus: "Et Christum quaeras in solitudine et ores solus in monte cum Iesu" (Ep. ad Paulinum 58, 4, 2: PL 22, 582); Wilhelm von Saint Thierry: "(Vita solitaria) ab ipso Domino familiarissime celebrata, ab eius discipulis ipso praesente concupita: cuius transfigurationis gloriam cum vidissent qui cum eo in monte sancto erant, continuo Petrus ... optimum sibi iudicavit in hoc semper esse" (Ad fratres de Monte Dei I, 1: PL 184, 310).</ref> Auf diese Tradition lassen sich außerdem in gewisser Weise selbst die "aktiven" Dimensionen des geweihten Lebens zurückführen, da die Verklärung nicht nur Enthüllung der Herrlichkeit Christi ist, sondern auch Vorbereitung zur Übernahme des Kreuzes. Sie beinhaltet ein "Aufsteigen zum Berg" und ein "Herabsteigen vom Berg": die Jünger, die sich der Vertrautheit des Meisters erfreut haben, für einen Augenblick vom Glanz des trinitarischen Lebens und der Gemeinschaft der Heiligen umhüllt, gleichsam verzückt im Horizont der Ewigkeit, sind sogleich zur Wirklichkeit des Alltags zurückgeführt, wo sie nur "Jesus allein" in der Niedrigkeit der menschlichen Natur sehen und eingeladen sind talwärts zu gehen, um mit ihm die Mühe des Planes Gottes zu leben und mit Mut den Kreuzweg einzuschlagen.
"Und er wurde vor ihren Augen verwandelt ..."
15. "Sechs Tage danach nahm Jesus Petrus, Jakobus und dessen Bruder Johannes beiseite und führte sie auf einen hohen Berg. Und er wurde vor ihren Augen verwandelt; sein Gesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden blendend weiß wie das Licht. Da erschienen plötzlich vor ihren Augen Mose und Elija und redeten mit Jesus. Und Petrus sagte zu ihm: Herr, es ist gut, dass wir hier sind, Wenn du willst, werde ich hier drei Hütten bauen, eine für dich, eine für Mose und eine für Elija. Noch während er redete, warf eine leuchtende Wolke ihren Schatten auf sie, und aus der Wolke rief eine Stimme: Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe; auf ihn sollt ihr hören. Als die Jünger das hörten, bekamen sie große Angst und warfen sich mit dem Gesicht zu Boden. Da trat Jesus zu ihnen, fasste sie an und sagte: Steht auf, habt keine Angst! Und als sie aufblickten, sahen sie nur noch Jesus. Während sie den Berg hinabstiegen, gebot ihnen Jesus: Erzählt niemand von dem, was ihr gesehen habt, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist" (Mt 17,1-9).
Die Begebenheit der Verklärung bezeichnet einen entscheidenden Augenblick in der Sendung Jesu. Es handelt sich um ein Offenbarungsereignis, das den Glauben im Herzen der Jünger festigt, sie auf das Drama des Kreuzes vorbereitet und die Herrlichkeit der Auferstehung vorwegnimmt. Dieses Geheimnis wird von der Kirche, dem Volk auf dem Pilgerweg zur endzeitlichen Begegnung mit seinem Herrn, ständig neu erlebt. Wie die drei auserwählten Apostel, so betrachtet die Kirche das verklärte Antlitz Christi, um sich im Glauben zu stärken und die Ohnmacht vor seinem entstellten Antlitz am Kreuz nicht zu riskieren. Im einen wie im anderen Fall ist sie die Braut, die vor dem Bräutigam steht, die an seinem Geheimnis teilhat und von seinem Licht eingehüllt ist.
Von diesem Licht werden alle ihre Söhne und Töchter erreicht, die alle in gleicher Weise berufen sind, Christus zu folgen, indem sie den letzten Sinn des eigenen Lebens in ihn setzen, um mit dem Apostel sagen zu können: "Für mich ist Christus das Leben!" (Phil 1,21). Aber eine einzigartige Erfahrung des von dem fleischgewordenen Wort ausgestrahlten Lichtes machen mit Sicherheit jene, die zum geweihten Leben berufen sind. Das Bekenntnis zu den evangelischen Räten bestimmt sie nämlich zum Zeichen und zur Prophetie für die Gemeinschaft der Brüder und Schwestern sowie für die Welt. Daher müssen bei ihnen die begeisterten Worte des Petrus: "Herr, es ist gut, dass wir hier sind!" (Mt 17,4) besonderen Widerhall finden. Diese Worte drücken die christozentrische Spannung des ganzen christlichen Lebens aus. Jedoch bekunden sie mit besonderer Ausdruckskraft den Totalitätsanspruch, den der tiefe Dynamismus der Berufung zum geweihten Leben darstellt: "Es ist gut, bei Dir zu sein, uns Dir zu widmen, unser Leben ausschließlich auf Dich zu konzentrieren!". Wer die Gnade dieser besonderen Liebesgemeinschaft mit Christus empfangen hat, fühlt sich in der Tat von seinem Lichtglanz erfasst: Er ist "der Schönste von allen Menschen" (Ps 45 [44],3), der Unvergleichliche.
"Das ist mein geliebter Sohn: auf ihn sollt ihr hören!"
16. Die drei verzückten Jünger erreicht der Anruf des Vaters, auf Christus zu hören, in ihn ihr ganzes Vertrauen zu setzen und ihn zum Mittelpunkt ihres Lebens zu machen. Im Wort, das von oben kommt, erhält die Einladung eine neue Tiefe, mit der Jesus selbst sie am Anfang seines öffentlichen Wirkens zu seiner Nachfolge berufen hatte, indem er sie aus dem Alltagsleben riß und in sein Vertrauen nahm. Aus dieser besonderen Gnade innerer Verbundenheit erwächst im geweihten Leben die Möglichkeit und der Anspruch der totalen Selbsthingabe im Bekenntnis zu den evangelischen Räten. Diese sind zuerst, mehr als ein Verzicht, eine besondere Annahme des im Inneren der Kirche gelebten Geheimnisses Christi. In der Einheit des christlichen Lebens sind die verschiedenen Berufungen gleichsam Strahlen des einen Lichtes Christi, das "auf dem Antlitz der Kirche widerscheint".<ref>II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 1.</ref> Die Laien spiegeln auf Grund des weltlichen Charakters ihrer Berufung das Geheimnis des fleischgewordenen Wortes wider vor allem als das A und O der Welt, Fundament und Maß des Wertes alles Geschaffenen. Die Inhaber des geweihten Amtes sind ihrerseits lebendige Abbilder Christi, des Hauptes und Hirten, der sein Volk in der Zeit des "bereits und noch nicht", in Erwartung seines Kommens in Herrlichkeit, leitet. Dem geweihten Leben ist die Aufgabe anvertraut, den menschgewordenen Sohn Gottes zu zeigen als das eschatologische Ziel, nach dem alles strebt, den strahlenden Glanz, dem gegenüber jedes andere Licht verblaßt, die unermeßliche Schönheit, die allein das Herz des Menschen vollständig zu erfüllen vermag. Im geweihten Leben geht es also nicht nur darum, Christus aus ganzem Herzen zu folgen, ihn "mehr als Vater und Mutter, mehr als Sohn oder Tochter" (vgl. Mt 10,37) zu lieben, wie es von jedem Jünger gefordert wird, sondern dies mit der sich Christus "anpassenden" Zustimmung oder gesamten Existenz in einer allumfassenden Spannung zu leben und auszudrücken, die im möglichen Zeitrahmen und entsprechend den verschiedenen Charismen die eschatologische Vollkommenheit vorwegnimmt.
Denn die geweihte Person macht durch das Bekenntnis zu den Räten nicht nur Christus zum Sinn ihres Lebens, sondern bemüht sich, soweit als möglich, "jene Lebensform, die der Sohn Gottes annahm, als er in die Welt eintrat",<ref>Ebd., 44.</ref> in sich wiederzugeben. Mit dem Entschluß zur Keuschheit macht sie sich die jungfräuliche Liebe Christi zu eigen und bekennt ihn vor der Welt als eingeborenen Sohn, der eins ist mit dem Vater (vgl. Joh 10,30; 14,11); durch Nachahmung seiner Armut bekennt sie ihn als den Sohn, der alles vom Vater empfängt und in der Liebe ihm alles zurückgibt (vgl. Joh 17,7.10). Mit dem Opfer der eigenen Freiheit bekennt sie ihn durch die Verpflichtung zum Geheimnis ihres kindlichen Gehorsams, als den unendlich Geliebten und Liebenden, als den, der allein Wohlgefallen daran findet, den Willen des Vaters zu tun (vgl. Joh 4,34), mit dem sie vollkommen verbunden ist und von dem sie in allem abhängt.
Mit diesem anpassenden Sicheinfühlen ins Geheimnis Christi verwirklicht das geweihte Leben in besonderer Weise jene confessio Trinitatis, die das gesamte christliche Leben kennzeichnet, indem es voll Bewunderung die erhabene Schönheit Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes anerkennt und voll Freude seine liebevolle Hinwendung zu jedem Menschen bezeugt.
I. Zum Lob der Dreifaltigkeit
A Patre ad Patrem: die Initiative Gottes
17. Den Personen des geweihten Lebens enthüllt die kontemplative Anschauung der Herrlichkeit des Herrn Jesus im Bild der Verklärung vor allem den Vater, Schöpfer und Spender alles Guten, der sein Geschöpf mit einer besonderen Liebe und im Hinblick auf eine spezielle Sendung an sich zieht (vgl. Joh 6,44). "Das ist mein geliebter Sohn: auf ihn sollt ihr hören!" (Mt 17,5). Indem sie diesem Ruf, der von einer innigen Anziehung begleitet ist, folgt, vertraut die berufene Person sich der Liebe Gottes an, der sie in seinen ausschließlichen Dienst beruft, und weiht sich vollständig ihm und seinem Heilsplan (vgl. 1 Kor 7,32-34).
Hier liegt der Sinn der Berufung zum geweihten Leben: eine ganz und gar vom Vater ausgehende Initiative (vgl. Job 15,16), die von denen, die er erwählt hat, die Antwort einer ausschließlichen Ganzhingabe fordert.<ref>Vgl. Kongregation für die Ordensleute und Säkularinstitute, Instruktion Essential elements in the Chruch's teaching on Religious Life as applied to Institutes dedicated to works of the apostolate (31. Mai 1983), 5: Enchiridion Vaticanum, 184.</ref> Die Erfahrung dieser unentgeltlichen Liebe Gottes ist dermaßen tief und stark, dass der Betreffende spürt, mit der bedingungslosen Hingabe seines Lebens antworten zu müssen, indem er alles, Gegenwart und Zukunft, in seine Hände hinein opfert. Auf Grund dessen kann man, im Sinne des hl. Thomas, die Identität der geweihten Personen von der Totalität ihrer Hingabe her begreifen, die mit wahrer Selbstaufopferung vergleichbar ist.<ref>Vgl. Summa Theologiae, II-II, q. 186, a. 1.</ref>
Per Filium: in den Fußstapfen Christi
18. Der Sohn, der Weg, der zum Vater führt (vgl. Joh 14,6), ruft alle, die ihm der Vater gegeben hat (vgl. Joh 17,9), in eine Nachfolge, die für ihr Dasein richtungweisend ist. Von einigen aber - eben den Personen des geweihten Lebens - verlangt er eine totale Verpflichtung, die damit verbunden ist, dass sie alles verlassen (vgl. Mt 19,27), um in innigem Vertrauen mit ihm zu leben<ref>Vgl. Propositio 16.</ref> und ihm überallhin zu folgen (vgl. Offb 14,4).
Im Blick Jesu (vgl. Mk 10,21), "Ebenbild des unsichtbaren Gottes" (Kol 1,15), Abglanz der Herrlichkeit des Vaters (vgl. Hebr 1,3), ist die Tiefe einer ewigen und unermeßlichen Liebe wahrzunehmen, die an die Wurzeln des Seins rührt.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Redemptionis donum (25. März 1984), 3: AAS 76 (1984), 515-517.</ref> Wer sich davon ergreifen lässt, muss alles verlassen und ihm folgen (vgl. Mk 1,16-20; 2,14; 10,21.28). Wie Paulus, sieht er alles übrige "als Verlust an, weil die Erkenntnis Christi Jesu alles übertrifft", und zögert nicht, verglichen mit ihm alles "für Unrat" zu halten, "um Christus zu gewinnen" (Phil 3,8). Seine Sehnsucht geht dahin, sich in ihn hineinzudenken, indem er seine Gefühle und seine Lebensform annimmt. Daß also einer alles verlässt und dem Herrn folgt (vgl. Lk 18,28), stellt ein für alle Berufenen und für alle Zeiten gültiges Programm dar.
Die evangelischen Räte, durch die Christus einige dazu einlädt, seine Erfahrung der Keuschheit, der Armut und des Gehorsams zu teilen, erfordern bei dem, der sie annimmt, das ausdrückliche Verlangen nach vollständiger Gleichförmigkeit mit ihm und lassen dieses Verlangen klar zutage treten. Durch ein Leben "in Gehorsam, ohne Eigentum und in Keuschheit"<ref>Hl. Franz von Assisi, Regula bullata, I, 1.</ref> bekennen die Personen des geweihten Lebens, dass Jesus das Vorbild ist, in dem jede Tugend zur Vollkommenheit gelangt. Seine Lebensform in Keuschheit, Armut und Gehorsam erscheint in der Tat als die radikalste Weise, das Evangelium auf dieser Erde zu leben, eine sozusagen göttliche Lebensform, weil sie von ihm, dem Gottmenschen, als Ausdruck seiner Beziehung als des eingeborenen Sohnes zum Vater und zum Heiligen Geist angenommen wurde. Das ist der Grund, warum in der christlichen Überlieferung immer von der objektiven Vollkommenheit des geweihten Lebens gesprochen wurde.
Darüber hinaus lässt sich nicht bestreiten, dass die Übung der Räte eine besonders tiefe und fruchtbare Weise darstellt, auch an der Sendung Christi teilzunehmen, nach dem Vorbild Mariens von Nazareth, der ersten Jüngerin, die es annahm, sich durch die Ganzhingabe ihrer selbst in den Dienst des göttlichen Heilsplanes zu stellen. Jede Sendung beginnt mit derselben Haltung, wie sie von Maria bei der Verkündigung zum Ausdruck gebracht worden ist: "Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast" (Lk 1,38).
In Spiritu: vom Heiligen Geist geweiht
19. "Eine leuchtende Wolke warf ihren Schatten auf sie" (Mt 17,5). Eine bedeutende geistliche Interpretation der Verklärung sieht in dieser Wolke das Bild des Heiligen Geistes.<ref> "Tota Trinitas apparuit: Pater in voce; Filius in homine, Spiritus in nube clara": Hl. Thomas von Aquin, Summa Theologiae III, 45, 4 ad 2um.</ref> Wie die ganze christliche Existenz, so steht auch die Berufung zum geweihten Leben in enger Beziehung zum Wirken des Heiligen Geistes. Er ist es, der im Laufe der Jahrtausende immer aufs neue Menschen dafür empfänglich macht, das Faszinierende einer derart verpflichtenden Entscheidung wahrzunehmen. Unter seinem Wirken erleben sie gewissermaßen wieder die Erfahrung des Propheten Jeremia: "Du hast mich betört, o Herr, und ich ließ mich betören" (20,7). Der Geist ist es, der das Verlangen nach einer vollkommenen Antwort weckt; er leitet das Wachstum dieses Verlangens, indem er die positive Antwort heranreifen lässt und dann ihre getreue Ausführung unterstützt; er formt und bildet die Seele der Berufenen, indem er sie nach dem keuschen, armen und gehorsamen Christus gestaltet und sie anspornt, sich seine Sendung zu eigen zu machen. Während sie sich auf einem Weg unablässiger Läuterung vom Geist leiten lassen, werden sie immer mehr zu Personen, die mit Christus gleichförmig sind, zur Verlängerung einer besonderen Gegenwart des auferstandenen Herrn in die Geschichte hinein.
Mit treffender Intuition haben die Kirchenväter diesen geistlichen Weg als filocalia bezeichnet, das heißt Liebe zur göttlichen Schönheit, die Ausstrahlung der göttlichen Güte ist. Wer von der Macht des Heiligen Geistes stufenweise zur vollkommenen Gleichgestaltung mit Christus geführt wird, spiegelt in sich einen Strahl des unerreichbaren Lichtes wider und geht auf seinem irdischen Pilgerweg bis zur unerschöpflichen Quelle des Lichtes. So wird das geweihte Leben zu einem besonders tiefen Ausdruck für die Kirche als Braut, die, vom Geist geführt, in sich die Wesenszüge des Bräutigams wiederzugeben, "herrlich, ohne Flecken, Falten oder andere Fehler, heilig und makellos" vor ihm erscheint (Eph 5,27).
Weit davon entfernt, diejenigen, die der Vater berufen hat, der Menschheitsgeschichte vorzuenthalten, stellt sie derselbe Geist sodann, je nach den Bestimmungen ihres Lebensstandes, in den Dienst der Brüder und Schwestern und leitet sie an, in bezug auf die Bedürfnisse von Kirche und Welt durch die den verschiedenen Instituten eigenen Charismen besondere Aufgaben zu erfüllen. Daraus erklärt sich das Entstehen so vielfältiger Formen geweihten Lebens, durch die die Kirche "mit den mannigfachen Gnadengaben ihrer Kinder wie eine Braut für ihren Mann geschmückt dasteht (vgl. Offb 21,2)"<ref> II. Vat. Konzil, Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens Perfectae caritatis, 1.</ref> und durch jedes Mittel bereichert wird, um ihre Sendung in der Welt zu erfüllen.
Die evangelischen Räte, Geschenk der Dreifaltigkeit
20. Die evangelischen Räte sind also vor allem eine Gnadengabe der Heiligsten Dreifaltigkeit. Das geweihte Leben ist Ankündigung dessen, was der Vater durch den Sohn im Geist aus seiner Liebe, seiner Güte und seiner Schönheit vollbringt. Denn "der Ordensstand [...] macht die Erhabenheit des Gottesreiches gegenüber allem Irdischen und seine höchsten Ansprüche in besonderer Weise offenkundig. Er zeigt auch allen Menschen die überragende Größe der Herrscherkraft Christi und die wunderbare, unbegrenzte Macht des Heiligen Geistes in der Kirche auf".<ref> II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 44.</ref>
Vorrangige Aufgabe des geweihten Lebens ist das Sichtbarmachen der Wunder, die Gott in der schwachen Menschlichkeit derer wirkt, die er berufen hat. Mehr als mit Worten bezeugen sie diese Wunder mit der beredten Sprache einer verklärten Existenz, die in der Lage ist, die Welt zu überraschen. Zum Staunen der Menschen antworten sie mit der Ankündigung der Wunder der Gnade, die der Herr in denen wirkt, die er liebt. In dem Maße, in dem sich der geweihte Mensch vom Geist zu den Höhen der Vollkommenheit führen lässt, kann er ausrufen: "Ich sehe die Schönheit deiner Gnade und versenke mich in ihr Licht; ich betrachte voll Staunen diesen unsagbaren Glanz; ich bin außer mir, während ich doch über mich selber nachdenke: was ich war und was ich geworden bin. O Wunder! Ich bin aufmerksam, erfüllt von heiligem Respekt vor mir selbst, von Ehrfurcht, von Angst, als stünde ich vor dir, und weiß nicht, was ich tun soll, denn mich hat die Angst ergriffen; ich weiß nicht, wo ich mich niederlassen, wohin ich mich wenden soll, wohin diese Glieder legen, die deine sind; für welche Taten, für welche Werke sie verwenden, diese überraschenden göttlichen Wunder".<ref> Symeon der neue Theologe, Hymnen, II, vv. 19-27: SCh 156, 178-179.</ref> So wird das geweihte Leben zu einer der konkreten Spuren, die die Dreifaltigkeit in der Geschichte hinterlässt, damit die Menschen das Faszinierende der göttlichen Schönheit und die Sehnsucht nach ihr wahrnehmen können.
Der Abglanz des trinitarischen Lebens in den Räten
21. Der Bezug der evangelischen Räte auf die Heilige und heiligende Dreifaltigkeit offenbart ihren tiefsten Sinn. Sie sind nämlich Ausdruck der Liebe, die der Sohn dem Vater in der Einheit des Heiligen Geistes entgegenbringt. Durch ihr Befolgen erlebt derjenige, der sich Gott geweiht hat, besonders intensiv den trinitarischen und christologischen Charakter, der das ganze christliche Leben kennzeichnet.
Die Keuschheit der unverheirateten Männer und der Jungfrauen als Bekundung der ungeteilten Hingabe an Gott (vgl. 1 Kor 7,32-34) stellt einen Abglanz der grenzenlosen Liebe dar, die die drei göttlichen Personen in der geheimnisvollen Tiefe des trinitarischen Lebens verbindet; der Liebe, die von dem fleischgewordenen Wort bis zur Hingabe seines Lebens bezeugt wird; der Liebe, die vom Heiligen Geist "in unsere Herzen ausgegossen" wurde (Röm 5,5), die zu einer Antwort totaler Liebe zu Gott und zu den Brüdern und Schwestern anspornt.
Die Armut bekennt, dass Gott der einzige wahre Reichtum des Menschen ist. Nach dem Beispiel Christi gelebt, der, obwohl er "reich war, arm wurde" (2 Kor 8,9), wird die Armut Ausdruck jener Ganzhingabe, zu der sich die drei göttlichen Personen gegenseitig machen. Es ist die Hingabe, die in die Schöpfung überströmt und sich voll in der Menschwerdung des Wortes und in seinem erlösenden Tod offenbart.
Der Gehorsam, der in der Nachahmung Christi geübt wird, dessen Speise es war, den Willen des Vaters zu tun (vgl. Joh 4,34), stellt die befreiende Schönheit einer von Verantwortungsgefühl erfüllten und von gegenseitigem Vertrauen beseelten kindlichen und nicht sklavischen Abhängigkeit dar, die Abglanz der liebevollen Gegenseitigkeit der drei göttlichen Personen in der Geschichte ist.
Das geweihte Leben ist daher berufen, die Gabe der evangelischen Räte mit einer immer aufrichtigeren und stärkeren Liebe in trinitarischer Dimension beständig zu vertiefen: Liebe zu Christus, der in seinem Vertrauen ruft; zum Heiligen Geist, der die Seele bereit macht für die Aufnahme seiner Eingebungen; zum Vater, Ursprung und höchstes Ziel des geweihten Lebens.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Ansprache bei der Generalaudienz (9. November 1994), 4: L'Osservatore Romano, 10. Nov. 1994, S. 4.</ref> So wird es zum Bekenntnis und Zeichen der Dreifaltigkeit, deren Geheimnis der Kirche als Vorbild und Quelle jeder christlichen Lebensform hingestellt wird.
Gerade das geschwisterliche Leben, kraft dessen sich die Personen des geweihten Lebens bemühen, in Christus zu leben und "ein Herz und eine Seele" zu sein (Apg 4,32), stellt sich als beredtes Bekenntnis zur Dreifaltigkeit dar. Es bekennt den Vater, der aus allen Menschen eine einzige Familie machen will; es bekennt den menschgewordenen Sohn, der die Erlösten in der Einheit versammelt und ihnen mit seinem Beispiel, mit seinem Gebet, mit seinen Worten und vor allem mit seinem Tod, der Quelle der Versöhnung für die entzweiten und zerstreuten Menschen, den Weg zeigt; es bekennt den Heiligen Geist als Prinzip der Einheit in der Kirche, wo er nicht aufhört, geistliche Familien und brüderliche Gemeinschaften ins Leben zu rufen.
Für das Reich Gottes geweiht wie Christus
22. Das geweihte Leben ahmt auf Anregung des Heiligen Geistes die Lebensform "ausdrücklicher nach und bringt sie in der Kirche ständig zur Darstellung",<ref> II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 44.</ref> die Jesus, der höchste Geweihte und Gesandte des Vaters für sein Reich, annahm und für die Jünger, die ihm folgten, bestimmt hat (vgl. Mt 4,18-22; Mk 1,16-20; Lk 5,10-11; Joh 15,16). Im Lichte der Weihe Jesu kann man in der Initiative des Vaters, der Quelle aller Heiligkeit, die ursprüngliche Quelle des geweihten Lebens entdecken. Denn Jesus selbst ist derjenige, den "Gott gesalbt hat mit dem Heiligen Geist und mit Kraft" (Apg 10,38), "den der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat" (Joh 10,36). Der Sohn, der die Weihe durch den Vater empfängt, weiht sich ihm seinerseits für die Menschen (vgl. Joh 17,19): sein Leben in Keuschheit, Gehorsam und Armut ist Ausdruck seiner kindlichen und vollständigen Zustimmung zum Plan des Vaters (vgl. Joh 10,30; 14,11). Seine vollkommene Hingabe verleiht allen Begebenheiten seines irdischen Daseins eine Bedeutung von heiligender Weihe.
Er ist der Gehorsame schlechthin, der vom Himmel herabgekommen ist, nicht um seinen Willen zu tun, sondern den Willen dessen, der ihn gesandt hat (vgl. Joh 6,38; Hebr 10,5.7). Er legt seine Lebens- und Handlungsweise zurück in die Hände des Vaters (vgl. Lk 2,49). In kindlichem Gehorsam nimmt er den Stand eines Sklaven an: "Er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave [...], und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz" (Phil 2,7-8). In dieser Gehorsamshaltung gegenüber dem Vater nimmt Christus, obwohl er die Würde und Heiligkeit des ehelichen Lebens anerkennt und verteidigt, die jungfräuliche Lebensform an und enthüllt auf diese Weise den hohen Wert und die geheimnisvolle geistliche Fruchtbarkeit der Jungfräulichkeit. Seine volle Zustimmung zum Plan des Vaters offenbart sich auch in der Loslösung von den irdischen Gütern: "Er, der reich war, wurde euretwegen arm, um euch durch seine Armut reich zu machen" (2 Kor 8,9). Die Tiefgründigkeit seiner Armut erweist sich in der vollkommenen Aufopferung alles dessen an Gott, was sein ist.
Das geweihte Leben stellt wahrhaftig lebendige Erinnerung an die Lebens- und Handlungsweise Jesu als fleischgewordenes Wort gegenüber dem Vater und gegenüber den Brüdern und Schwestern dar. Es ist lebendige Überlieferung des Lebens und der Botschaft des Erlösers.
II. Zwischen Ostern und Vollendung
Vom Tabor auf den Kalvarienberg
23. Das strahlende Ereignis der Verklärung bereitet jenes dramatische, doch nicht weniger glorreiche Geschehen auf dem Kalvarienberg vor. Petrus, Jakobus und Johannes sehen den Herrn Jesus zusammen mit Mose und Elija, mit denen er - nach dem Evangelisten Lukas - "von seinem Ende (spricht), das sich in Jerusalem erfüllen sollte" (9,31). Die Augen der Jünger sind also auf Jesus gerichtet, der an das Kreuz denkt (vgl. Lk 9, 43-45). Dort wird seine jungfräuliche Liebe zum Vater und zu allen Menschen ihren höchsten Ausdruck erreichen; seine Armut wird zur völligen Entäußerung gelangen; sein Gehorsam bis zur Hingabe des Lebens.
Die Jünger sind eingeladen, den am Kreuz erhöhten Jesus zu betrachten, an dem Kreuz, von dem her "das Wort, das aus dem Schweigen hervorgegangen war",<ref>Hl. Ignatius von Antiochien, Brief an die Magnesier, 8,2; Patres Apostolici, hrsg. F. X. Funk, II, 237.</ref> in seinem Schweigen und seiner Einsamkeit prophetisch die absolute Transzendenz Gottes über alle geschaffenen Güter bestätigt, in seinem Fleisch unsere Sünde besiegt, jeden Mann und jede Frau an sich zieht und jedem das neue Leben der Auferstehung schenkt (vgl. Joh 12,32; 19,34.37). In der Betrachtung des gekreuzigten Christus finden alle Berufungen Erleuchtung; von ihr nehmen alle Gnadengaben und insbesondere die Gabe des geweihten Lebens mit der grundlegenden Gabe des Geistes ihren Ausgang.
Nach Maria, der Mutter Jesu, empfängt Johannes diese Gnadengabe, der Jünger, den Jesus liebte, der Zeuge, der zusammen mit Maria unter dem Kreuz stand (vgl. Joh 19,26-27). Seine Entscheidung zur Ganzhingabe ist Frucht der göttlichen Liebe, die ihn umhüllt, ihn trägt und sein Herz erfüllt. Johannes gehört neben Maria zu den ersten in der langen Reihe von Männern und Frauen, die von den Anfängen der Kirche bis zu ihrem Ende von der Liebe Gottes erfasst werden und sich gerufen fühlen, dem Lamm, das geopfert wurde und lebt, zu folgen, wohin es geht (vgl. Offb 14,1-5).<ref>Vgl. Propositio 3.</ref>
Österliche Dimension des geweihten Lebens
24. Der Mensch, der sich Gott geweiht hat, macht in den verschiedenen Lebensformen, die vom Heiligen Geist im Laufe der Geschichte eingegeben wurden, die Erfahrung der Wahrheit über den Gott der Liebe um so unmittelbarer und intensiver, je mehr er sich unter das Kreuz Christi stellt. Er, der in seinem Tod den menschlichen Augen so entstellt und unschön erscheint, dass die Anwesenden vor ihm das Gesicht verhüllen (vgl. Jes 53,2-3), offenbart gerade am Kreuz die Schönheit und die Macht der Liebe Gottes in Fülle. Der hl. Augustinus besingt ihn so: "Schön ist Gott, das Wort bei Gott [...] Schön im Himmel, schön auf Erden; schön im Schoß, schön in den Armen der Eltern; schön in den Wundern, schön in den Todesqualen; schön, wenn er zum Leben einlädt, schön, wenn man sich nicht um den Tod kümmert, schön im Verlassen des Lebens und schön, wenn er dieses Leben wieder nimmt; schön am Kreuz, schön im Grab, schön im Himmel. Hört den Gesang mit Klugheit und die Schwachheit des Fleisches möge eure Augen nicht vom Glanz seiner Schönheit ablenken".<ref>Hl. Augustinus, Enarr. in Psal. 44, 3: PL 36, 495-496.</ref> Diesen Glanz der Liebe spiegelt das geweihte Leben wider, weil es mit seiner Treue zum Kreuzesgeheimnis bekennt, an die Liebe des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes zu glauben und aus ihr zu leben. Auf diese Weise trägt es dazu bei, in der Kirche das Bewusstsein lebendig zu erhalten, dass das Kreuz der Überfluß der Liebe Gottes ist, die auf diese Welt überströmt, das großartige Zeichen der Heilsgegenwart Christi. Und dies besonders bei Schwierigkeiten und Heimsuchungen. Das alles wird mit zutiefst bewundernswertem Mut von einer großen Anzahl geweihter Personen fortwährend bezeugt, die oft in schwierigen Situationen, bis hin zu Verfolgung und Martyrium ausharren. Ihre Treue zur einzigen Liebe zeigt und stärkt sich in der Demut eines verborgenen Lebens, in der Annahme von Leiden, um in ihrem Leben, im schweigenden Opfer, in der Hingabe an den heiligen Willen Gottes, in Treue auch angesichts des Schwindens der Kräfte und des eigenen Ansehens "das zu ergänzen, was an den Leiden Christi noch fehlt" (Kol 1,24). Aus der Treue zu Gott erwächst auch die Hingabe an den Nächsten, die die Personen des geweihten Lebens in der ständigen Fürbitte für die Nöte der Brüder und Schwestern, im hochherzigen Dienst an den Armen und Kranken, im Teilen und Mittragen der Schwierigkeiten anderer, in der eifrigen Teilnahme an den Sorgen und Heimsuchungen der Kirche nicht ohne Opfer leben.
Zeugen Christi in der Welt
25. Aus dem Ostergeheimnis entspringt auch der missionarische Charakter, eine das gesamte kirchliche Leben kennzeichnende Dimension. Sie findet eine besondere Verwirklichung im geweihten Leben. Denn auch unabhängig von den Charismen jener Institute, die sich der Mission ad gentes widmen oder apostolische Aktivitäten im eigentlichen Sinne des Wortes ausüben, kann man sagen, dass der missionarische oder Sendungscharakter jeder Form des geweihten Lebens zutiefst innewohnt. In dem Maße, in dem der Geweihte ein Leben lebt, das ausschließlich dem Vater gewidmet (vgl. Lk 2,49; Joh 4,34), von Christus ergriffen (vgl. Joh 15,16; Gal 1,15-16), und vom Geist beseelt ist (vgl. Lk 24,49; Apg 1,8; 2,4), arbeitet er wirksam mit an der Sendung des Herrn Jesus (vgl. Joh 20,21) und trägt in besonders intensiver Weise zur Erneuerung der Welt bei.
Die erste missionarische Aufgabe haben die Personen des geweihten Lebens gegenüber sich selbst und sie erfüllen sie dadurch, dass sie ihr Herz dem Wirken des Geistes Christi öffnen. Ihr Zeugnis hilft der ganzen Kirche, sich daran zu erinnern, dass an erster Stelle der unentgeltliche Dienst an Gott steht, der durch Christi Gnade ermöglicht wird, die dem Gläubigen durch das Geschenk des Geistes mitgeteilt wird. So wird der Welt der Friede verkündet, der vom Vater herkommt, die Hingabe, die vom Sohn bezeugt wird, und die Freude, die Frucht des Heiligen Geistes ist.
Die Personen des geweihten Lebens werden vor allem dann missionarisch sein, wenn sie unablässig das Bewusstsein vertiefen, von Gott berufen und erwählt worden zu sein, dem sie daher ihr ganzes Leben zuwenden und alles, was sie sind und haben, darbringen und sich von den Hindernissen befreien müssen, die die Vollkommenheit der aus der Liebe kommenden Antwort verzögern könnten. Auf diese Weise werden sie zu einem echten Zeichen Christi in der Welt werden können. Auch ihr Lebensstil muss das Ideal, zu dem sie sich bekennen, sichtbar werden lassen und sich als lebendiges Zeichen Gottes und als beredte, wenn auch oft schweigende Verkündigung des Evangeliums darstellen. Immer, aber besonders in der heutigen, oft so säkularisierten Kultur, die aber trotzdem für die Sprache der Zeichen empfänglich ist, muss sich die Kirche bemühen, ihre Anwesenheit im Alltagsleben sichtbar zu machen. Einen bedeutsamen Beitrag in diesem Sinne erwartet sie sich zu Recht von den Personen des geweihten Lebens, die berufen sind, in jeder Situation konkret von ihrer Zugehörigkeit zu Christus Zeugnis abzulegen.
Da das Ordensgewand Zeichen der Weihe, der Armut und der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ordensfamilie ist, empfehle ich zusammen mit den Synodenvätern den Ordensleuten nachdrücklich, ihr den Umständen von Zeit und Ort entsprechend angepasstes Gewand zu tragen.<ref>Vgl. Propositio 25; II. Vat. Konzil, Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens Perfectae caritatis, 17.</ref> Wo entsprechende apostolische Erfordernisse es verlangen, können sie der Tradition und den Normen ihres Instituts gemäß auch gewöhnliche, aber geziemende Kleidung tragen mit einem geeigneten Symbol, das ihre Weihe erkennbar macht. Die Institute, die ursprünglich bzw. durch Verfügung ihrer Konstitutionen kein eigenes Gewand vorsehen, sollen dafür sorgen, dass die Kleidung der Brüder und Schwestern durch Würde und Schlichtheit der Natur ihrer Berufung entspreche.<ref>Vgl. Propositio 25.</ref>
Eschatologische Dimension des geweihten Lebens
26. Da sich heute die apostolischen Sorgen als immer dringender erweisen und das Engagement für die Dinge dieser Welt die Menschen immer mehr in Anspruch zu nehmen droht, ist es besonders geboten, die Aufmerksamkeit auf die eschatologische Natur des geweihten Lebens zu lenken.
"Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz" (Mt 6,21): der einzige Schatz des Gottesreiches ruft das Verlangen, die Erwartung, den Einsatz und das Zeugnis hervor. In der Urkirche wurde die Erwartung der Wiederkunft des Herrn besonders intensiv gelebt. Die Kirche hat jedoch während all der Jahrhunderte nicht aufgehört, diese Hoffnungshaltung zu pflegen: sie hat immer wieder die Gläubigen eingeladen, nach dem Heil Ausschau zu halten, das schon bald offenbar werden wird, "denn die Gestalt dieser Welt vergeht" (1 Kor 7,31; vgl. 1 Petr 1,3-6).<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 42.</ref>
Vor diesem Hintergrund ist die Rolle des endzeitlichen Zeichens gerade des geweihten Lebens besser zu verstehen. Denn unveränderlich ist die Lehre, die sie als Vorwegnahme des zukünftigen Reiches darstellt. Das II. Vatikanische Konzil greift diese Lehre wieder auf, wenn es sagt, "der Ordensstand [...] kündigt die zukünftige Auferstehung und die Herrlichkeit des Himmelreiches an".<ref>Ebd., 44.</ref> Das geschieht vor allem durch die Entscheidung für die Jungfräulichkeit, die von der Überlieferung immer als eine Vorwegnahme der endgültigen Welt verstanden wurde, die schon jetzt am Werk ist und den Menschen in seiner Ganzheit verwandelt.
Die Menschen, die ihr Leben Christus geweiht haben, müssen in der Sehnsucht leben, ihm zu begegnen, um endlich und für immer bei ihm zu sein. Daher die brennende Erwartung, daher das Verlangen, "einzutauchen in das Feuer der Liebe, das in ihnen brennt und das nichts anderes ist als der Heilige Geist",<ref>Sel. Elisabeth von der Dreifaltigkeit, Le ciel dans la foi. Traité Spirituel, I, 14: Œuvres complètes, Paris 1991, S. 106.</ref> Erwartung und Sehnsucht, gestärkt von den Gaben, die der Herr freigiebig denen gewährt, die nach dem streben, was im Himmel ist (vgl. Kol 3,1). Die Person des geweihten Lebens, die in den Dingen des Herrn feststeht, erinnert sich, dass "wir hier keine Stadt haben, die bestehenbleibt" (Hebr 13,14), denn "unsere Heimat ist im Himmel" (Phil 3,20). Es kommt allein darauf an, nach dem "Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit" zu suchen (Mt 6,33) mit der unaufhörlichen Bitte um das Kommen des Herrn.
Eine tätige Erwartung: Einsatz und Wachsamkeit
27. "Komm, Herr Jesus!" (Offb 22,20). Diese Erwartung ist alles andere als untätig: auch wenn sie sich dem künftigen Reich zuwendet, setzt sie sich in Arbeit und Mission um, damit durch das Erwecken des Geistes der Seligpreisungen, der auch in der menschlichen Gesellschaft wirksame Forderungen nach Gerechtigkeit, Frieden, Solidarität und Vergebung zu stellen vermag, das Reich schon jetzt gegenwärtig werde.
Das wird von der Geschichte des geweihten Lebens, das immer reiche Früchte auch für die Welt hervorgebracht hat, ausführlich bewiesen. Mit ihren Gnadengaben werden die Personen des geweihten Lebens zu einem Zeichen des Geistes für eine neue, vom Glauben und von der christlichen Hoffnung erleuchtete Zukunft hin. Die Endzeitstimmung setzt sich in Sendung um, damit das Reich hier und jetzt in steigendem Maße Wirklichkeit werde. An die Bitte: "Komm, Herr Jesus!" schließt sich die andere inständige Bitte an: "Dein Reich komme!" (Mt 6,10).
Wer wachsam die Erfüllung der Verheißungen Christi erwartet, ist imstande, auch bei seinen im Hinblick auf die Zukunft oft mißtrauischen und pessimistischen Brüdern und Schwestern Hoffnung zu wecken. Seine Hoffnung gründet sich auf die Verheißung Gottes, die im Wort der Offenbarung enthalten ist: die Geschichte der Menschen geht auf den "neuen Himmel und die neue Erde" zu (Offb 21,1), wo der Herr "alle Tränen von ihren Augen abwischen wird: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen" (Offb 21,4).
Das geweihte Leben steht im Dienst dieser endgültigen Ausstrahlung der göttlichen Herrlichkeit, wenn alle Menschen das Heil sehen werden, das von Gott kommt (vgl. Lk 3,6; Jes 40,5). Der christliche Orient stellt diese Dimension heraus, wenn er die Mönche als Engel Gottes auf Erden betrachtet, die die Erneuerung der Welt in Christus verkünden. Im Abendland ist das Mönchtum feierliches Gedenken und Vigil: Gedenken der von Gott vollbrachten Wunder, Vigil der letzten Erfüllung der Hoffnung. Die Botschaft des Mönchtums und des kontemplativen Lebens wiederholt unablässig, dass der Vorrang Gottes für die menschliche Existenz Fülle von Bedeutung und Freude ist, weil der Mensch für Gott geschaffen und unruhig ist, bis er in ihm Frieden findet.<ref>Vgl. Hl. Augustinus, Confessiones I, 1: PL 32, 661.</ref>
Die Jungfrau Maria, Modell der Weihe und Nachfolge
28. Von ihrer unbefleckten Empfängnis an spiegelt Maria am vollkommensten die göttliche Schönheit wider. "Ganz und gar Schöne" ist der Titel, mit dem die Kirche sie anruft. "Die Beziehung zur seligsten Jungfrau Maria, die jeder Gläubige wegen seiner Verbundenheit mit Christus hat, ist im Leben der Ordensleute besonders ausgeprägt... Alle [Institute des geweihten Lebens] sind davon überzeugt, dass die Gegenwart Mariens eine grundlegende Bedeutung hat sowohl für das geistliche Leben jeder geweihten Person als auch für die Beständigkeit, die Einheit und den Fortschritt der ganzen Gemeinschaft".<ref>Johannes Paul II., Ansprache bei der Generalaudienz (29. März 1995), 1: L'Osservatore Romano, 30. März 1995, S. 4.</ref>
Maria ist in der Tat das höchste Vorbild vollkommener Weihe in der vollen Zugehörigkeit und Ganzhingabe an Gott. Vom Herrn erwählt, der in ihr das Geheimnis der Menschwerdung vollzogen hat, erinnert sie die Personen des geweihten Lebens an den Vorrang der Initiative Gottes. Gleichzeitig stellt sich Maria, die dem göttlichen Wort, das in ihr Fleisch geworden ist, ihre Zustimmung gegeben hat, als Modell des Gnadenempfanges seitens der menschlichen Kreatur dar.
Die Jungfrau, die während des verborgenen Lebens in Nazareth zusammen mit Josef Christus nahe und in den entscheidenden Augenblicken seines öffentlichen Lebens neben dem Sohn zugegen war, ist Lehrmeisterin bedingungsloser Nachfolge und beständigen Dienstes. In ihr, dem "Heiligtum des Heiligen Geistes",<ref>II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 53.</ref> erstrahlt so der ganze Glanz der neuen Schöpfung. Das geweihte Leben blickt auf sie als höchstes Modell der Weihe an den Vater, der Einheit mit dem Sohn und der Fügsamkeit gegenüber dem Heiligen Geist in dem Bewusstsein, dass das Befolgen "der jungfräulichen und armen Lebensweise"<ref>Ebd., 46.</ref> Christi bedeutet, sich auch die Lebensweise Mariens zu eigen zu machen.
In der Jungfrau begegnet die geweihte Person außerdem einer Mutter mit ganz besonderem Anrecht. Denn auch wenn die am Kalvarienberg Maria übertragene neue Mutterschaft ein Geschenk an alle Christen ist, hat sie für denjenigen, der sein Leben vollständig Christus geweiht hat, eine besondere Bedeutung. "Siehe, deine Mutter" (Joh, 19,27): Jesu Worte an den Jünger, "den er liebte" (Joh 19,26), gewinnen im Leben der geweihten Person eine besondere Tiefe. Denn sie ist mit Johannes aufgerufen, Maria zu sich zu nehmen (vgl. Joh 19,27), wobei sie diese mit der Radikalität seiner Berufung liebt und nachahmt und, als Erwiderung, eine besondere mütterliche Zärtlichkeit erfährt. Die Jungfrau vermittelt ihr jene Liebe, die sie jeden Tag das Leben für Christus darbringen lässt, indem er mit ihr für die Rettung der Welt wirkt. Darum stellt die kindliche Beziehung zu Maria den bevorzugten Weg für die Treue zu der empfangenen Berufung und eine äußerst wirksame Hilfe dar, um in dieser Berufung voranzukommen und sie in Fülle zu leben.<ref>Vgl. Propositio 55.</ref>
III. In der Kirche und für die Kirche
"Es ist gut, dass wir hier sind": das geweihte Leben im Geheimnis der Kirche
29. Beim Anblick der Verklärung spricht Petrus im Namen der anderen Apostel: "Es ist gut, dass wir hier sind" (Mt 17,4). Die Erfahrung der Herrlichkeit Christi, die ihm sogar den Verstand und das Herz berauscht, isoliert ihn nicht, sondern bindet ihn im Gegenteil noch enger an das "wir" der Jünger.
Diese Dimension des "wir" lässt uns den Stellenwert betrachten, den das geweihte Leben im Geheimnis der Kirche innehat. Die theologische Reflexion über das Wesen des geweihten Lebens hat in diesen Jahren die aus der Lehre des II. Vatikanischen Konzils hervorgegangenen neuen Sichtweisen vertieft. So hat man in ihrem Licht erkannt, dass das Bekenntnis zu den evangelischen Räten unerschütterlich zum Leben und zur Heiligkeit der Kirche gehört.<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 44.</ref> Das bedeutet, dass das von Anfang an vorhandene geweihte Leben in der Kirche als ein für sie unverzichtbares und kennzeichnendes Element nie wird fehlen können, weil es Ausdruck ihres eigentlichen Wesens ist.
Dies geht klar daraus hervor, dass das Bekenntnis zu den evangelischen Räten zutiefst mit dem Geheimnis Christi verbunden ist, da es die Aufgabe hat, so gut wie möglich die Lebensform darzustellen, die er für sich wählte, und sie als absoluten und eschatologischen Wert aufzuzeigen. Jesus selbst hat durch die Berufung einiger Personen, die er aufforderte, alles zu verlassen und ihm zu folgen, diese Lebensform eingeführt, die sich unter der Wirkung des Geistes im Laufe der Jahrhunderte allmählich in den verschiedenen Formen des geweihten Lebens entfalten wird. Die Vorstellung von einer Kirche, die einzig aus geweihten Amtsinhabern und aus Laien zusammengesetzt ist, entspricht deswegen nicht den Absichten ihres göttlichen Gründers, wie sie uns aus den Evangelien und den neutestamentlichen Schriften ersichtlich sind.
Die neue und besondere Weihe
30. In der Tradition der Kirche wird die Ordensprofess als eine einzigartige und fruchtbare Vertiefung der Taufweihe betrachtet, da sich durch sie die bereits mit der Taufe eingeleitete innige Verbindung mit Christus in dem Geschenk einer durch das Bekenntnis zu den evangelischen Räten vollkommener zum Ausdruck gebrachten und verwirklichten Anpassung an ihn entfaltet.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Redemptionis donum (25. März 1984), 7: AAS 76 (1984), 522-524.</ref>
Diese weitere Weihe weist dennoch ihre Eigenart im Vergleich zur ersten auf, insofern sie nicht eine notwendige Folge daraus ist.<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 44; Johannes Paul II. Ansprache bei der Generalaudienz (26. Oktober 1994), 5: L'Osservatore Romano, 27. Oktober 1994, S. 4.</ref> Tatsächlich ist jeder, der in Christus zu neuem Leben erweckt wurde, berufen, mit der aus der Gabe des Geistes stammenden Kraft seinem Lebensstand gemäß die Keuschheit, den Gehorsam gegenüber Gott und der Kirche und eine vernünftige Loslösung von den materiellen Gütern zu leben, weil alle zur Heiligkeit berufen sind, die in der Vollkommenheit der Liebe besteht.<ref>Vgl. ebd., 42.</ref> Aber die Taufe ist an und für sich nicht mit der Berufung zum Zölibat oder zur Jungfräulichkeit, mit dem Verzicht auf Besitz von Gütern und mit dem Gehorsam gegenüber einem Oberen in der eigentlichen Form der evangelischen Räte verbunden. Deshalb setzt das Bekenntnis zu diesen evangelischen Räten ein besonderes, nicht allen gewährtes Geschenk Gottes voraus, wie Jesus selber für den Fall der freiwilligen Ehelosigkeit hervorhebt (vgl. Mt 19,10-12).
Dieser Berufung entspricht allerdings eine spezifische Gabe des Heiligen Geistes, damit derjenige, der sich Gott weiht, seiner Berufung und seiner Sendung zu entsprechen vermag. Wie die Liturgie im Orient und im Abendland bezeugt, ruft deshalb die Kirche beim Ritus der Ablegung des Ordensgelübdes und bei der Jungfrauenweihe auf die erwählten Personen die Gabe des Heiligen Geistes herab und verbindet ihre Selbsthingabe mit dem Opfer Christi.<ref>Vgl. Rituale Romanum, Ritus der Ordensprofess: feierlicher Segen bzw. Weihe der männlichen Professen, Nr. 67, und der weiblichen Professen, Nr. 72; Pontificale Romanum, Ritus der Jungfrauenweihe, Nr. 38: feierliches Weihegebet; Eucologion sive Rituale Graecorum, Officium parvi habitum id est Mandiae, S. 384-385; Pontificale iuxta Ritum Ecclesiae Syrorum Occidentalium id est Antiochiae, Ordo rituum monasticorum, Typis Polyglottis Vaticanis 1942, S. 307-309.</ref>
Das Bekenntnis zu den evangelischen Räten ist auch eine Entfaltung der Gnade des Sakramentes der Firmung, geht aber über die normalen Ansprüche der Chrisam-Weihe hinaus, kraft einer besonderen Gabe des Geistes, die, wie die Geschichte des geweihten Lebens beweist, neue Möglichkeiten und Früchte der Heiligkeit und des Apostolats eröffnet.
Was die Priester betrifft, die das Gelübde der evangelischen Räte ablegen, zeigt die Erfahrung, dass das Weihesakrament in dieser Weihe zu einer besonderen Fruchtbarkeit gelangt, da sie die Anforderung einer engeren Zugehörigkeit zum Herrn stellt und begünstigt. Der Priester, der das Gelübde der evangelischen Räte ablegt, ist auch dank der je eigenen Spiritualität seines Instituts und der apostolischen Dimension des zugehörigen Charismas in besonderer Weise dafür ausgestattet, die Fülle des Geheimnisses Christi in sich neu zu beleben. Im Priester laufen nämlich die Berufung zum Priestertum und zum geweihten Leben in tiefer, dynamischer Einheit zusammen.
Von unermeßlichem Wert ist auch der Beitrag, der von den Ordenspriestern zum Leben der Kirche geleistet wird, die sich gänzlich der Kontemplation widmen. In der Eucharistiefeier vollziehen sie insbesondere eine Handlung der Kirche und für die Kirche, mit der sie ihre Selbsthingabe verbinden in Gemeinschaft mit Christus, der sich für das Heil der ganzen Welt dem Vater hingibt.<ref>Vgl. Hl. Petrus Damiani, Liber qui appellatur "Dominus vobiscum" ad Leonem eremitam: PL 145, 231-252.</ref>
Die Beziehungen zwischen den verschiedenen Lebensformen des Christen
31. Die verschiedenen Lebensformen, in die sich nach dem Plan des Herrn Jesus das kirchliche Leben gliedert, weisen wechselseitige Beziehungen auf, die einer eingehenderen Betrachtung wert sind.
Alle Gläubigen teilen kraft ihrer Wiedergeburt in Christus eine gemeinsame Würde; alle sind zur Heiligkeit berufen; alle wirken am Aufbau des einen Leibes Christi mit, ein jeder entsprechend seiner Berufung und der vom Geist empfangenen Gabe (vgl. Röm 12,3-8).<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 32; Kodex des kanonischen Rechtes, can. 208; Kodex der Kanones der Orientalischen Kirchen, can. 11.</ref> Die gleiche Würde unter allen Gliedern der Kirche ist das Werk des Geistes, sie ist begründet auf der Taufe und der Firmung und wird gestärkt durch die Eucharistie. Aber Werk des Geistes ist auch die Vielgestaltigkeit. Er ist es, der in der Vielfalt von Berufungen, Charismen und Dienstämtern die Kirche in einer organischen Gemeinschaft begründet.<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad gentes, 4; Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 4; 12; 13; Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 32; Dekret über das Laienapostolat Apostolicam actuositatem, 3; Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christifideles laici (30. Dezember 1988), 20-21: AAS 81 (1989), 425-428; Kongregation für die Glaubenslehre, Schreiben an die Bischöfe der katholischen Kirche über einige Aspekte der Kirche als Communio Communionis notio (28. Mai 1992), 15: AAS 85 (1993), 847.</ref>
Die Berufungen zum Leben als Laie, zum geweihten Dienst und zum geweihten Leben können gleichsam als beispielhaft angesehen werden, da alle einzelnen Berufungen sich unter dem einen oder anderen Aspekt auf sie berufen oder auf sie zurückführen lassen, ob man sie nun einzeln oder zusammen empfängt, je nach dem Reichtum der Gabe Gottes. Darüber hinaus dienen sie einander zum Wachstum des Leibes Christi in der Geschichte und zu seiner Sendung in der Welt. Alle in der Kirche haben die Tauf- oder Firmweihe erhalten, aber das geweihte Dienstamt und das geweihte Leben setzen jeweils eine unterschiedliche Berufung und eine besondere Weiheform im Hinblick auf eine bestimmte Sendung voraus.
Angemessene Grundlage für die Sendung der Laien, deren Aufgabe es ist, "in der Verwaltung und gottgemäßen Regelung der zeitlichen Dinge das Reich Gottes zu suchen",<ref>II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 31.</ref> ist die allen Gliedern des Gottesvolkes gemeinsame Taufweihe. Die geweihten Diener empfangen außer dieser grundlegenden Weihe jene der Ordination, um das apostolische Dienstamt in der Zeit fortzuführen. Die Personen des geweihten Lebens, die die evangelischen Räte befolgen, erhalten eine neue und besondere Weihe, die - auch wenn sie keinen sakramentalen Charakter hat - sie verpflichtet, sich in Ehelosigkeit, in der Armut und im Gehorsam die Lebensform zu eigen zu machen, die Jesus persönlich gelebt hat und von ihm den Jüngern empfohlen worden ist. Obwohl diese verschiedenen Stände Bekundungen des einzigartigen Geheimnisses Christi sind, haben die Laien als besonderes, wenn auch nicht ausschließliches Merkmal den Weltcharakter, die geweihten Hirten den Dienstamtscharakter, die Ordensleute die besondere Gleichförmigkeit mit dem keuschen, armen und gehorsamen Christus.
Der besondere Wert des geweihten Lebens
32. In dieser harmonischen Gesamtheit von Gaben ist jede der grundlegenden Lebensformen mit der Aufgabe betraut, in ihrem eigenen Lebensstand die eine oder andere Dimension des einzigartigen Geheimnisses Christi zum Ausdruck zu bringen. Wenn das Laienleben einen besonderen Auftrag hat, der Botschaft des Evangeliums innerhalb der zeitlichen Wirklichkeit Gehör zu verschaffen, so wird im Bereich der kirchlichen Gemeinschaft von den Mitgliedern des geweihten Standes ein unersetzlicher Dienst versehen, in besonderer Weise von den Bischöfen. Diese haben die Aufgabe, das Volk Gottes zu leiten durch die Lehre des Wortes, die Spendung der Sakramente und die Ausübung der heiligen Amtsgewalt im Dienste der kirchlichen Gemeinschaft, die eine organische, hierarchisch geordnete Gemeinschaft ist.<ref>Vgl. ebd., 12; Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christifideles laici (30. Dezember 1988), 20-21: AAS 81 (1989), 425-428.</ref>
Was die Bedeutung der Heiligkeit der Kirche angeht, muss ein objektiver Vorrang dem geweihten Leben zuerkannt werden, das die Lebensweise Christi selbst widerspiegelt. Eben deshalb findet sich darin eine besonders reichhaltige Beschreibung der evangelischen Güter und eine vollkommenere Verwirklichung des Zieles der Kirche, das die Heiligung der Menschheit ist. Das geweihte Leben kündigt die künftige Zeit an und nimmt sie gewissermaßen vorweg, wenn jenes Himmelreich, das schon jetzt im Keim und im Geheimnis gegenwärtig ist, zur Vollendung gelangt ist,<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 5.</ref> und die Kinder der Auferstehung nicht mehr heiraten, sondern sein werden wie die Engel Gottes (vgl. Mt 22,30).
Tatsächlich ist die Vorzüglichkeit der vollkommenen Keuschheit um des Himmelreiches willen,<ref>Vgl. Konzil von Trient, sess. XXIV, can. 10: DS 1810; Pius XII., Enzyklika Sacra virginitas (25. März 1954): AAS 46 (1954), 176.</ref> die zu Recht als das "Tor" zum ganzen geweihten Leben gilt,<ref>Vgl. Propositio 17.</ref> Thema der feststehenden Lehre der Kirche. Sie zollt allerdings große Hochachtung der Berufung zur Ehe, die die Eheleute zu "Zeugen und Mitarbeitern der fruchtbaren Mutter Kirche" macht "zum Zeichen und in Teilnahme jener Liebe, in der Christus seine Braut geliebt und sich für sie hingegeben hat".<ref>II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 41.</ref>
Unter diesem Gesichtspunkt, der dem ganzen geweihten Leben gemeinsam ist, bewegen sich untereinander verschiedene, aber sich ergänzende Wege. Die Personen des geweihten Lebens, die sich gänzlich der Kontemplation widmen, sind in besonderer Weise Abbild Christi, der auf dem Berg betet.<ref>Vgl. ebd., 46.</ref> Die geweihten Personen mit einem aktiven Leben tun ihn kund, "wie er den Scharen das Reich Gottes verkündigt oder wie er die Kranken und Schwachen heilt und die Sünder zum Guten bekehrt oder wie er die Kinder segnet und allen Wohltaten erweist".<ref>Ebd.</ref> Einen besonderen Dienst an der Ankunft des Reiches Gottes versehen die Personen geweihten Lebens in den Säkularinstituten; sie vereinen in einer spezifischen Synthese den Wert der Weihe mit dem Charakter des Säkularen. Indem sie ihre Weihe in der Welt und von der Welt ausgehend leben,<ref>Vgl. Pius XII., Motu Proprio Primo feliciter (12. März 1948), 6: AAS: 40 (1948), 285.</ref> "sind [sie] bestrebt, wie ein Sauerteig alles mit dem Geist des Evangeliums zu durchdringen zur Stärkung und zum Wachstum des Leibes Christi".<ref>Kodex des kanonischen Rechtes, can. 713 § 1; vgl. Kodex der Kanones der Orientalischen Kirchen, can. 563 § 2.</ref> Sie haben zu diesem Zweck Anteil am Verkündigungsdienst der Kirche durch das persönliche Zeugnis eines christlichen Lebens, durch den Einsatz, damit die zeitlichen Dinge nach dem Willen geordnet seien, durch die Mitarbeit im Dienst an der kirchlichen Gemeinschaft, entsprechend dem ihrer Lebensausrichtung eigenen Weltcharakter.<ref>Vgl. ebd., can. 713 § 2. Ein besonderes Wort für die "Klerikermitglieder" ist im gleichen can. 713 § 3 gesagt.</ref>
Das Evangelium der Seligpreisungen bezeugen
33. Besondere Aufgabe des geweihten Lebens ist es, in den Getauften das Bewusstsein für die wesentlichen Werte des Evangeliums lebendig zu erhalten, indem sie "ein deutliches und hervorragendes Zeugnis dafür geben, dass die Welt nicht ohne den Geist der Seligpreisungen verwandelt und Gott dargebracht werden kann".<ref>Ebd., 31.</ref> Auf diese Weise lässt das geweihte Leben fortwährend im Bewusstsein des Gottesvolkes das Bedürfnis aufbrechen, mit der Heiligkeit des Lebens auf die durch den Heiligen Geist in die Herzen ausgegossene Liebe Gottes zu antworten (vgl. Röm 5,5), indem sich in der Haltung die sakramentale Weihe widerspiegelt, die durch Gottes Wirken in der Taufe und in der Firmung oder in der Weihe erfolgt ist. Es ist in der Tat notwendig, von der in den Sakramenten vermittelten Heiligkeit zur Heiligkeit des täglichen Lebens überzugehen. Das geweihte Leben stellt sich mit seiner Existenz in der Kirche in den Dienst der Heiligung des Lebens jedes Gläubigen, des Laien wie des Klerikers.
Andererseits darf man nicht vergessen, dass die Personen des geweihten Lebens auch ihrerseits vom eigenen Zeugnis der anderen Berufungen eine Hilfe erhalten, um die Zugehörigkeit zum Geheimnis Christi und der Kirche in ihren vielfältigen Dimensionen vollständig zu leben. Auf Grund dieser wechselseitigen Bereicherung wird die Sendung des geweihten Lebens bedeutsamer und wirksamer: den anderen Brüdern und Schwestern mit festem Blick auf den zukünftigen Frieden als Ziel die endgültige Seligkeit bei Gott aufzuzeigen.
Lebendiges Bild der Kirche als Braut
34. Einen besonderen Stellenwert im geweihten Leben hat der Sinn des Bräutlichen, der auf das Bedürfnis der Kirche hinweist, in ausschließlicher Ganzhingabe an ihren Bräutigam zu leben, von dem sie alles Gute empfängt. In dieser Dimension des Bräutlichen, die dem ganzen geweihten Leben zu eigen ist, ist es vor allem die Frau, die sich in einzigartiger Weise wiederfindet, so als würde sie den besonderen Charakter ihrer Beziehung zum Herrn entdecken.
Eindrucksvoll ist diesbezüglich die neutestamentliche Stelle, die Maria mit den Aposteln im Abendmahlssaal in betender Erwartung des Heiligen Geistes darstellt (vgl. Apg 1,13-14). Da kann man ein lebendiges Bild der Kirche als Braut sehen, die auf die Zeichen des Bräutigams achtet und bereit ist, sein Geschenk zu empfangen. Bei Petrus und den anderen Aposteln tritt vor allem die Dimension der Fruchtbarkeit hervor, die sich im kirchlichen Dienstamt ausdrückt, das durch die Weitergabe des Wortes, die Feier der Sakramente und die Seelsorge zum Werkzeug des Geistes für die Zeugung neuer Söhne und Töchter wird. In Maria ist die Dimension der bräutlichen Aufnahme besonders lebendig, mit der die Kirche durch ihre ganze jungfräuliche Liebe in sich das göttliche Leben fruchtbar werden lässt. Das geweihte Leben wurde immer vorwiegend von seiten Mariens, der jungfräulichen Braut, gesehen. In dieser jungfräulichen Liebe hat eine besondere Fruchtbarkeit ihren Ursprung, die zum Entstehen und Wachstum des göttlichen Lebens in den Herzen beiträgt.<ref>Hl. Theresia vom Kinde Jesus, Manuscrits autobiographiques B, 2 vo: "Deine Braut sein, o Jesus, ... in meiner Einheit mit dir Mutter der Seelen sein".</ref> Auf den Spuren Mariens, der neuen Eva, bringt die Person des geweihten Lebens ihre geistliche Fruchtbarkeit dadurch zum Ausdruck, dass sie aufnahmebereit wird für das Wort, um mit ihrer bedingungslosen Hingabe und ihrem lebendigen Zeugnis am Aufbau der neuen Menschheit mitzuwirken. So offenbart die Kirche voll ihre Mütterlichkeit sowohl durch die dem Petrus anvertraute Mitteilung des göttlichen Handelns als auch durch die für Maria typische verantwortungsvolle Annahme des göttlichen Geschenkes.
Das christliche Volk findet seinerseits im geweihten Dienstamt die Mittel des Heils, im geweihten Leben den Ansporn zu einer vollkommenen Antwort der Liebe in allen verschiedenen Formen der Diakonie.<ref> Vgl. II. Vat. Konzil, Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens Perfectae caritatis, 8; 10; 12.</ref>
IV. Vom Geist der Heiligkeit geführt
"Verklärte" Existenz: der Ruf zur Heiligkeit
35. "Als die Jünger das hörten, bekamen sie große Angst und warfen sich mit dem Gesicht zu Boden" (Mt 17,6). Im Ereignis der Verklärung betonen die Synoptiker, wenn auch mit verschiedenen Nuancen, den Sinn der Angst, die die Jünger ergreift. Der Glanz des verklärten Antlitzes Christi verhindert nicht, dass sie sich angesichts der göttlichen Majestät, die sie in ihren Bann schlägt, bestürzt vorkommen. Wann immer der Mensch die Herrlichkeit Gottes erfährt, berührt er auch mit den Händen sein Kleinsein, und er bekommt davon ein Gefühl des Schreckens. Diese Angst ist heilbringend. Sie erinnert den Menschen an die göttliche Vollkommenheit und gleichzeitig drängt sie ihn mit einem dringenden Aufruf zur "Heiligkeit".
Alle Söhne und Töchter der Kirche, die vom Vater aufgerufen sind, auf Christus "zu hören", müssen ein tiefes Bedürfnis nach Bekehrung und Heiligkeit verspüren. Wie bei der Synode betont wurde, ruft dieses Bedürfnis aber in erster Linie das geweihte Leben auf den Plan. Denn die Berufung der Personen des geweihten Lebens, vor allen anderen Dingen das Reich Gottes zu suchen, ist vor allem ein Ruf zur völligen Umkehr, in der Selbstaufgabe, um ganz vom Herrn zu leben, damit Gott alles in allen sei. Die Personen des geweihten Lebens sind berufen, das verklärte Angesicht Christi zu betrachten und zu bezeugen; sie sind aber auch zu einem "verklärten" Dasein berufen.
Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, was im Schlussbericht der II. Außerordentlichen Versammlung der Synode formuliert wurde: "In der ganzen Kirchengeschichte sind heilige Männer und Frauen stets in den schwierigsten Situationen Quelle und Ursprung der Erneuerung gewesen. Heute haben wir größten Bedarf an Heiligen, die wir eindringlich von Gott erflehen müssen. Die Institute des geweihten Lebens müssen sich durch das Bekenntnis zu den evangelischen Räten ihrer besonderen Sendung in der Kirche von heute bewusst sein, und wir müssen sie in ihrer Sendung ermutigen".<ref>Bischofssynode, II. Außerordentliche Generalversammlung, Schlussbericht Ecclesia sub verbo Dei mysteria Christi celebrans pro salute mundi (7. Dezember 1985), II, A, 4: Ench. Vat. 9, 1753.</ref> Dieser Beurteilung stimmten die Väter der IX. Synodenversammlung zu, die erklärten: "Das geweihte Leben ist während der ganzen Kirchengeschichte eine lebendige Gegenwart dieses Wirkens des Geistes gewesen. Es war ein bevorzugter Raum der absoluten Liebe zu Gott und zum Nächsten, ein Zeugnis für den göttlichen Plan, aus der ganzen Menschheit in der Zivilisation der Liebe die große Familie der Kinder Gottes zu machen".<ref>Bischofssynode, IX. Ordentliche Generalversammlung, Botschaft der Synode (27. Oktober 1994), IX: L'Osservatore Romano, 29. Oktober 1994, S. 7.</ref>
Die Kirche hat stets im Bekenntnis zu den evangelischen Räten einen bevorzugten Weg zur Heiligkeit gesehen. Die Ausdrücke selbst, mit denen sie diese umschreibt - Schule des Dienstes am Herrn, Schule der Liebe und Heiligkeit, Weg oder Stand der Vollkommenheit -, weisen sowohl auf die Wirksamkeit und den Reichtum der dieser evangelischen Lebensform eigenen Wege wie auf das besondere Engagement derer hin, die sie annehmen.<ref>Vgl. Hl. Thomas von Aquin, Summa Theologiae, II-II, q. 184, a. 5, ad 2; II-II, q. 186, a 2, ad 1.</ref> Es ist kein Zufall, dass im Laufe der Jahrhunderte so viele Personen des geweihten Lebens eindrucksvolle Zeugnisse der Heiligkeit hinterlassen und besonders großherzige und schwierige Werke der Evangelisierung und des Dienstes vollbracht haben.
Treue zum Charisma
36. In der Nachfolge Christi und in der Liebe zu seiner Person gibt es einige Punkte bezüglich des Wachstums der Heiligkeit im geweihten Leben, die heute besonders hervorgehoben zu werden verdienen.
Vor allem wird die Treue zum Gründungscharisma und dem sich daraus ergebenden geistlichen Erbe jedes Instituts verlangt. Gerade in dieser Treue zur Inspiration der Gründer und Gründerinnen, einer Gabe des Heiligen Geistes, lassen sich die wesentlichen Elemente des geweihten Lebens leichter wiederentdecken und intensiver wiederbeleben.
Jedes Charisma hat nämlich an seinem Anfang eine dreifache Orientierung: vor allem ist es auf den Vater ausgerichtet im Verlangen, kindlich seinen Willen zu suchen durch einen dauernden Bekehrungsprozess, in dem der Gehorsam die Quelle wahrer Freiheit ist, die Keuschheit die Erwartung eines von jeder vergänglichen Liebe unbefriedigten Herzens zum Ausdruck bringt, die Armut jenen Hunger und Durst nach Gerechtigkeit nährt, den zu stillen Gott verheißen hat (vgl. Mt 5,6). In dieser Sicht wird das Charisma jedes Instituts die Person des geweihten Lebens anspornen, ganz Gott zu gehören, mit Gott oder von Gott zu reden, wie vom hl. Dominikus gesagt wird,<ref>Vgl. Libellus de principiis Ordinis Praedicatorum. Acta Canonizationis Sancti Dominici: Monumenta Ordinis Praedicatorum historica 16 (1935), 30.</ref> um zu kosten, wie gütig der Herr in allen Situationen ist (vgl. Ps 34 [33],9).
Die Charismen des geweihten Lebens schließen auch eine Orientierung auf den Sohn hin ein: sie leiten dazu an, mit ihm eine innige und frohe Lebensgemeinschaft in der Schule seines großherzigen Dienstes vor Gott und an den Brüdern und Schwestern zu pflegen. "Der nach und nach Christus ähnlich gewordene Blick lernt so, sich abzukehren vom Äußerlichen, vom Sturm der Gefühle, das heißt von allem, was den Menschen daran hindert, sich leicht und bereitwillig vom Geist ergreifen zu lassen",<ref>Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Orientale lumen (2. Mai 1995), 12: AAS 87 (1995), 758.</ref> und erklärt sich so bereit, mit Christus in die Mission zu gehen, indem er mit ihm bei der Ausbreitung seines Reiches arbeitet und leidet. Schließlich wohnt jedem Charisma eine Orientierung nach dem Heiligen Geist inne, denn es veranlasst den Betreffenden, sowohl auf seinem persönlichen geistlichen Weg wie im Leben der Gemeinschaft und bei der apostolischen Tätigkeit sich von ihm leiten und bestärken zu lassen, um in jener Haltung des Dienens zu leben, die jede Entscheidung eines glaubwürdigen Christen inspirieren muss.
Tatsächlich tritt bei jedem Gründungscharisma immer diese dreifache Beziehung zutage, wenn auch mit den je spezifischen Zügen der verschiedenen Lebensmodelle, auf Grund der Tatsache, dass in ihm "eine tiefe, brennende Sehnsucht des Herzens" herrscht, "Christus gleichförmig zu werden, um einen gewissen Aspekt seines Geheimnisses zu bezeugen";<ref>Kongregation für die Ordensleute und Säkularinstitute und Kongregation für die Bischöfe, Leitlinien für die gegenseitigen Beziehungen zwischen Bischöfen und Ordensleuten in der Kirche Mutuae relationes (14. Mai 1978), 51: AAS 70 (1978), 500.</ref> gemeint ist der spezifische Aspekt, gemäß den Regeln, Konstitutionen und Statuten in die echte Tradition des Instituts hineinzuwachsen und sich darin zu entfalten.<ref>Vgl. Propositio 26.</ref>
Schöpferische Treue
37. Die Institute werden daher eingeladen, als Antwort auf die in der heutigen Welt auftretenden Zeichen der Zeit mutig den Unternehmungsgeist, die Erfindungsgabe und die Heiligkeit der Gründer und Gründerinnen wieder hervorzuheben.<ref>Vgl. Propositio 27.</ref> Diese Einladung ist vor allem ein Aufruf zur Beharrlichkeit auf dem Weg der Heiligkeit durch die materiellen und geistlichen Schwierigkeiten hindurch, von denen das Alltagsgeschehen gezeichnet ist. Sie ist aber auch ein Aufruf, die Zuständigkeit wieder in der eigenen Arbeit zu suchen und eine dynamische Treue zur eigenen Sendung zu pflegen, indem die Institute in voller Fügsamkeit gegenüber der göttlichen Eingebung und der kirchlichen Erkenntnis die Formen, falls nötig, an die neuen Situationen und verschiedenen Bedürfnisse anpassen. Es muss freilich die Überzeugung lebendig bleiben, dass auf der Suche nach immer vollkommenerer Gleichförmigkeit mit dem Herrn die Gewähr für jede Erneuerung gegeben ist, die der ursprünglichen Inspiration treu bleiben will.<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens Perfectae caritatis, 2.</ref>
In diesem Geist wird heute für jedes Institut eine erneuerte Bezugnahme auf die Regel zur dringenden Notwendigkeit, da in ihr und in den Konstitutionen ein Weg der Nachfolge enthalten ist, der von einem eigenen, von der Kirche beglaubigten Charisma gekennzeichnet ist. Eine stärkere Beachtung der Regel wird es nicht versäumen, den Personen des geweihten Lebens ein sicheres Kriterium anzubieten auf der Suche nach geeigneten Formen eines Zeugnisses, das auf die Forderungen der Zeit zu antworten imstande ist, ohne sich von der Anfangsinspiration zu entfernen.
Gebet und Askese: der geistliche Kampf
38. Der Ruf zur Heiligkeit wird nur in der Stille der Anbetung vernommen und kann nur vor der unendlichen Transzendenz Gottes gepflegt werden: "Wir müssen uns eingestehen, dass wir alle dieses von angebeteter Gegenwart erfüllte Schweigen nötig haben: die Theologie, um die eigene Seele der Weisheit und des Geistes voll erschließen zu können; das Gebet, damit es niemals vergesse: Gott schauen heißt, mit so strahlendem Gesicht vom Berg hinabzusteigen, dass man es mit einem Schleier verhüllen muss (vgl. Ex 34,33) [...]; das Engagement, damit es darauf verzichte, sich in einen Kampf zu verbeißen, der keine Liebe und Gnade kennt [...]. Alle, Glaubende und Nicht-Glaubende, müssen ein Schweigen erlernen, das dem anderen zu sprechen erlaubt, wann und wo er will, und uns jenes Wort verstehen lässt".<ref>Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Orientale lumen (2. Mai 1995), 16: AAS 87 (1995), 762.</ref> Dies schließt konkret eine große Treue zum liturgischen und persönlichen Gebet ein, zu den für das geistige Gebet und die Betrachtung vorgesehenen Zeiten, zur eucharistischen Anbetung, zu den monatlichen Einkehrtagen und zu den geistlichen Exerzitien.
Es gilt auch die für die geistliche Tradition der Kirche und des eigenen Instituts typischen asketischen Mittel wiederzuentdecken. Sie waren und sind noch immer eine wirksame Hilfe für einen echten Weg der Heiligkeit. Da die Askese die Neigungen der von der Sünde verletzten menschlichen Natur zu beherrschen und zu korrigieren hilft, ist sie für die Person des geweihten Lebens wirklich unentbehrlich, um ihrer Berufung treu zu bleiben und Jesus auf dem Kreuzweg zu folgen.
Es ist ebenso notwendig, einige Versuchungen zu erkennen und zu überwinden, die bisweilen durch teuflische Verlockung unter dem Anschein des Guten auftreten. So kann zum Beispiel das berechtigte Bedürfnis, die heutige Gesellschaft kennenzulernen, um auf ihre Herausforderungen zu antworten, dazu verleiten, bei Minderung des geistlichen Eifers oder mit erkennbaren Anzeichen von Mutlosigkeit den Moden des Augenblicks nachzugeben. Die Möglichkeit einer höheren geistlichen Bildung könnte die Personen des geweihten Lebens zu einem gewissen Überlegenheitsgefühl gegenüber den anderen Gläubigen verleiten, während die Dringlichkeit begründeter und gebührender beruflicher Qualifikation zu einem übertriebenen Bemühen um Effizienz werden kann, als hinge der apostolische Dienst vorwiegend von den menschlichen Mitteln und nicht von Gott ab. Das lobenswerte Anliegen, den Männern und Frauen unserer Zeit, Glaubenden und Nicht-Glaubenden, Armen und Reichen, näherzukommen, kann zur Annahme eines säkularisierten Lebensstils oder zu einer Förderung der menschlichen Werte in rein horizontalem Sinne führen. Die Billigung der berechtigten Forderungen der eigenen Nation oder Kultur könnte dazu verleiten, sich Formen des Nationalismus anzuschließen oder gewohnheitsmäßige Elemente anzunehmen, die jedoch der Reinigung und Verbesserung im Lichte des Evangeliums bedürfen.
Der Weg zur Heiligkeit schließt also die Annahme des geistlichen Kampfes ein. Das ist eine anspruchsvolle Tatsache, der man heute nicht immer die notwendige Aufmerksamkeit widmet. In der Überlieferung ist häufig das geistliche Ringen in Jakobs Kampf mit dem Geheimnis Gottes dargestellt worden, den er angreift, um zu seinem Segen zu gelangen und sein Angesicht zu schauen (vgl. Gen 32,23-31). In diesem Geschehen der Anfänge der biblischen Geschichte können die Personen des geweihten Lebens das Symbol des asketischen Eifers lesen, den sie brauchen, um das Herz weitzumachen und für die Annahme des Herrn sowie der Brüder und Schwestern zu öffnen.
Die Förderung der Heiligkeit
39. Ein erneuertes Engagement der Personen des geweihten Lebens zur Heiligkeit ist heute notwendiger denn je, auch um das Streben jedes Christen nach Vollkommenheit zu fördern und zu unterstützen. "Es muss daher in jedem Gläubigen eine echte Sehnsucht nach Heiligkeit geweckt werden, ein starkes Verlangen nach Umkehr und persönlicher Erneuerung in einem Klima immer intensiveren Betens und solidarischer Annahme des Nächsten, besonders des am meisten Bedürftigen".<ref>Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Tertio millennio adveniente (10. November 1994), 42: AAS 87 (1995), 32.</ref>
In dem Maße, in dem sie ihre Freundschaft mit Gott vertiefen, versetzen sich die Personen des geweihten Lebens in die Lage, durch wirksame geistliche Initiativen Brüdern und Schwestern zu helfen, wie Gebetsschulen, Exerzitien und geistliche Einkehrtage, geistliches Hören und geistliche Anleitung. Auf diese Weise wird der Fortschritt im Gebet von Menschen erleichtert, die daraufhin eine bessere Erkenntnis hinsichtlich des Willens Gottes in bezug auf sich selbst erreichen und sich für die vom Glauben geforderten mutigen, ja bisweilen heroischen Optionen entscheiden können. In der Tat "fügen sich die Ordensleute durch ihr tiefstes Wesen in den Dynamismus der Kirche ein, ergriffen vom Absoluten, das Gott ist und zur Heiligkeit aufgerufen. Von dieser Heiligkeit geben sie Zeugnis".<ref>Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi (8. Dezember 1975), 69: AAS 68 (1976), 58.</ref> Die Tatsache, dass wir alle aufgerufen sind, heilig zu werden, muss jene in höherem Maße anspornen, die auf Grund ihrer Lebensentscheidung die Sendung haben, die anderen daran zu erinnern.
"Steht auf, habt keine Angst": ein erneuertes Vertrauen
40. "Da trat Jesus zu ihnen, fasste sie an und sagte: Steht auf, habt keine Angst" (Mt 17,7). Wie die drei Apostel im Ereignis der Verklärung, so wissen die Personen des geweihten Lebens aus Erfahrung, dass ihr Leben nicht immer von jenem spürbaren Eifer erleuchtet ist, der rufen lässt: "Es ist gut, dass wir hier sind" (Mt 17,4). Es ist jedoch immer ein von der Hand Christi "berührtes" Leben, von seiner Stimme erreicht und seiner Gnade unterstützt.
"Steht auf, habt keine Angst". Diese Ermutigung des Meisters ist selbstverständlich an jeden Christen gerichtet. Aber sie gilt noch mehr für den, der berufen ist "alles zu verlassen" und folglich für Christus "alles zu riskieren". Dies gilt in besonderer Weise jedes Mal, wenn man mit dem Meister vom "Berg" herabsteigt, um den Weg einzuschlagen, der vom Tabor auf den Kalvarienberg führt.
Wenn Lukas sagt, dass Mose und Elija mit Christus von seinem Ostergeheimnis sprachen, benützt er bezeichnenderweise den Ausdruck "Ende" (éxodos): "sie sprachen von seinem Ende, das sich in Jerusalem erfüllen sollte" (Lk 9,31). "Ende": Grundbegriff der Offenbarung, auf den sich die ganze Heilsgeschichte beruft und der den tiefen Sinn des Ostergeheimnisses zum Ausdruck bringt. Ein für die Spiritualität des geweihten Lebens besonders wichtiges Thema, das seine Bedeutung gut hervorhebt. Darin ist unvermeidlich enthalten, was zum mysterium Crucis gehört. Aber dieser anspruchsvolle "Weg zum Ende hin", aus der Perspektive des Berges Tabor betrachtet, erscheint wie ein Weg zwischen zwei Lichtern: das vorwegnehmende Licht der Verklärung und jenes endgültige Licht der Auferstehung. Die Berufung zum geweihten Leben - unter dem Blickwinkel des ganzen christlichen Lebens - ist trotz seiner Entsagungen und Prüfungen, im Gegenteil, gerade deswegen, Weg "des Lichtes", über den der Blick des Erlösers wacht: "steht auf, habt keine Angst".
Kapitel II: Signum Fraternitatis - Das geweihte Leben als Zeichen der Gemeinschaft in der Kirche
I. Bleibende Werte
Als Abbild der Dreifaltigkeit
41. Während seines Erdenlebens rief der Herr Jesus jene zu sich, die er erwählt hatte, um sie bei sich zu haben und sie zu unterweisen, nach seinem Beispiel für den Vater und für den von ihm erhaltenen Auftrag zu leben (vgl. Mk 3,13-15). Damit begründete er jene neue Familie, zu der im Laufe der Jahrhunderte alle gehören sollen, die bereit sein werden, "den Willen Gottes zu erfüllen" (vgl. Mk 3,32-35). Nach der Himmelfahrt entstand unter der Wirkung der Gabe des Geistes um die Apostel eine brüderliche Gemeinde, die sich versammelte, um Gott zu loben und Gemeinschaft konkret zu erfahren (vgl. Apg 2,42-47; 4,32-35). Das Leben dieser Gemeinde und noch mehr die Erfahrung der vollen Zugehörigkeit zu Christus, wie sie von den zwölf Aposteln gelebt wurde, sind stets das Modell gewesen, an dem sich die Kirche inspirierte, wenn sie den glühenden Eifer der Anfangszeiten wieder beleben und sich mit erneuerter evangelischer Kraft wieder auf ihren Weg in der Geschichte machen wollte.<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens Perfectae caritatis, 15; Hl. Augustinus, Regula ad servos Dei, 1, 1: PL 32, 1372.</ref>
In der Tat ist die Kirche ihrem Wesen nach Geheimnis der Gemeinschaft, "das von der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes geeinte Volk".<ref>Hl. Cyprian, De Oratione Dominica 23: PL 4, 553; vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 4.</ref> Die Tiefe und die Fülle dieses Geheimnisses will das geschwisterliche Leben dadurch widerspiegeln, dass es sich als von der Dreifaltigkeit bewohnter menschlicher Raum gestaltet, der auf diese Weise die den drei göttlichen Personen eigenen Gaben der Gemeinschaft in die Geschichte einbringt. Vielfältig sind im kirchlichen Leben die Bereiche und Modalitäten, in denen die geschwisterliche Gemeinschaft zum Ausdruck gebracht wird. Das geweihte Leben hat zweifellos das Verdienst, wirksam dazu beigetragen zu haben, in der Kirche das Verlangen nach Geschwisterlichkeit als Bekenntnis zur Dreifaltigkeit lebendig zu erhalten. Es hat durch die ständige Förderung der geschwisterlichen Liebe auch in der Form des Gemeinschaftslebens gezeigt, dass die Teilnahme an der trinitarischen Gemeinschaft die menschlichen Beziehungen dahingehend zu verändern vermag, dass sie eine neue Art von Solidarität hervorbringt. Auf diese Weise zeigt das geweihte Leben den Menschen sowohl die Schönheit der geschwisterlichen Gemeinschaft als auch die Wege, die konkret zu ihr führen. Denn die Personen des geweihten Lebens leben "für" Gott und "von" Gott und können sich eben deshalb zur Macht der versöhnenden Wirkung der Gnade bekennen, die die im Herzen des Menschen und in den sozialen Beziehungen vorhandenen zersetzenden Kräfte niederwirft.
Geschwisterliches Leben in Liebe
42. Das geschwisterliche Leben, verstanden als in Liebe geteiltes Leben, ist ein ausdrucksvolles Zeichen der kirchlichen Gemeinschaft. Es wird mit besonderer Sorgfalt von den Ordensinstituten und den Gesellschaften des apostolischen Lebens gepflegt, wo das Leben in Gemeinschaft besondere Bedeutung erlangt.<ref>Vgl. Propositio 20.</ref> Doch die Dimension der geschwisterlichen Gemeinschaft ist weder den Säkularinstituten noch den individuellen Formen geweihten Lebens fremd. So entziehen sich die Eremiten in ihrer tiefen Einsamkeit keineswegs der kirchlichen Gemeinschaft, sondern dienen ihr mit ihrem besonderen Charisma der Kontemplation; die gottgeweihten Jungfrauen in der Welt verwirklichen ihre Weihe durch eine besondere Verbindung der Gemeinschaft mit der Teil- und der Universalkirche. Ähnliches gilt für Witwen und Witwer, die die Weihe empfangen haben.
Alle diese Personen bemühen sich, in Verwirklichung der Jüngerschaft im Sinn des Evangeliums, das "neue Gebot" des Herrn zu leben, nämlich einander zu lieben, wie er uns geliebt hat (vgl. Joh 13,34). Die Liebe hat Christus zur Selbsthingabe bis hin zum höchsten Opfer am Kreuz geführt. Auch unter seinen Jüngern gibt es keine echte Einheit ohne diese bedingungslose gegenseitige Liebe, die Verfügbarkeit zum Dienst unter Einsatz aller Kräfte erfordert, Bereitschaft, den anderen so, wie er ist, ohne Vorurteil anzunehmen, die Fähigkeit, auch "siebenundsiebzigmal" zu vergeben (Mt 18,22), den Willen, keinen zu verurteilen (vgl. Mt 7,1-2). Für die Personen des geweihten Lebens, die durch diese vom Heiligen Geist in die Herzen ausgegossene Liebe (vgl. Röm 5,5) "ein Herz und eine Seele" geworden sind (Apg 4,32), wird es zum inneren Bedürfnis, alles gemeinsam zu haben: materielle Güter und geistliche Erfahrungen, Begabungen und Eingebungen sowie apostolische Ideale und Dienst der Nächstenliebe: "Im Gemeinschaftsleben geht die in einem vorhandene Kraft des Geistes gleichzeitig auf alle über. Da erfreut man sich nicht nur der eigenen Gabe, sondern vervielfältigt sie, indem man andere daran teilhaben lässt, und genießt die Frucht der Gabe der anderen wie die eigene".<ref>Hl. Basilius, Die größeren Ordensregeln, Fragen 7: PG 31, 931.</ref>
Sodann muss im Gemeinschaftsleben irgendwie erkennbar werden, dass die geschwisterliche Gemeinschaft, noch eher als Weg für eine bestimmte Sendung, göttlicher Ort ist, an dem die mystische Gegenwart des auferstandenen Herrn erfahren werden kann (vgl. Mt 18,20).<ref>Vgl. Hl. Basilius, Die kleineren Ordensregeln, Fragen 225: PG 31, 1231.</ref> Das geschieht dank der gegenseitigen Liebe aller, die die Gemeinschaft bilden, einer Liebe, die vom Wort und von der Eucharistie genährt, im Sakrament der Versöhnung gereinigt und von der Bitte um Einheit gestärkt wird, dem besonderen Geschenk des Geistes für diejenigen, die gehorsam auf das Evangelium hören. Er, der Geist selbst ist es, der die Seele zur Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn Jesus Christus führt (vgl. 1 Joh 1,3), zur Gemeinschaft, in der die Quelle des geschwisterlichen Lebens ist. Vom Geist werden die Gemeinschaften des geweihten Lebens bei der Erfüllung ihrer Sendung zum Dienst an der Kirche und an der ganzen Menschheit entsprechend ihrer ursprünglichen Inspiration geleitet.
In dieser Perspektive sind die "Kapitel" (oder analoge Versammlungen), sei es besondere oder Generalkapitel, von besonderer Bedeutung. Während dieser Kapitel ist jedes Institut berufen, nach den von deren Konstitutionen festgelegten Normen die Oberen oder die Oberinnen zu wählen und im Lichte des Geistes die angemessenen Bestimmungen zu treffen, um das eigene Charisma und das eigene spirituelle Erbe zu bewahren und es in den verschiedenen historischen und kulturellen Situationen auf den aktuellen Stand zu bringen.<ref>Vgl. Kongregation für die Ordensleute und die Säkularinstitute, Instr. Essential elements in the Church's teaching as applied to Institutes dedicated to works of the apostolate (31. Mai 1983), 51: Ench. Vat. 9, 235-237; Kodex des kanonischen Rechtes, can. 631 § 1; Kodex der Kanones der Orientalischen Kirchen, can. 512 § 1.</ref>
Die Aufgabe der Autorität
43. Im geweihten Leben war das Amt der Oberen und Oberinnen, auch der Ortsoberen, stets von großer Bedeutung sowohl für das geistliche Leben als auch für die Sendung. In diesen Jahren des Suchens und der Veränderungen war gelegentlich auch von der Notwendigkeit einer Revision dieses Amtes zu hören. Es gilt aber anzuerkennen, dass derjenige, der die Autorität ausübt, auf seine Aufgabe als erster Verantwortlicher der Gemeinschaft, nämlich auf die Leitung der Brüder und Schwestern auf dem geistlichen und apostolischen Weg, nicht verzichten kann.
Es ist nicht leicht, in einem stark vom Individualismus geprägten Milieu die Aufgabe, die die Autorität zum Vorteil aller ausübt, anzuerkennen und anzunehmen. Es muss jedoch die Wichtigkeit dieser Aufgabe erneut herausgestellt werden, die sich als notwendig erweist, um die geschwisterliche Gemeinschaft zu festigen und nicht den gelobten Gehorsam zu vereiteln. Auch wenn die Autorität vor allem geschwisterlich und geistlicher Art sein soll und infolgedessen derjenige, der mit ihr ausgestattet ist, die Mitbrüder und Mitschwestern durch den Dialog in den Entscheidungsprozess einzubeziehen wissen muss, ist es dennoch angebracht, sich daran zu erinnern, dass die Autorität das letzte Wort hat und es ihr zusteht, dass die gefassten Beschlüsse eingehalten werden.<ref>Vgl. Kongregation für die Institute des gottgeweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens, Instruktion Das brüderliche Leben in Gemeinschaft "Congregavit nos in unum Christi amor" (2. Februar 1994), 47-53: Vatikanstadt 1994, S. 58-64; Kodex des kanonischen Rechtes, can. 618; Propositio 19.</ref>
Die Rolle der alten Leute
44. Die Sorge um die Alten und Kranken gehört ganz wesentlich zum geschwisterlichen Leben, besonders in einer Zeit wie der unseren, in der in manchen Gegenden der Welt die Zahl der Personen des geweihten Lebens zunimmt, die in den Jahren nunmehr fortgeschritten sind. Die zuvorkommende Aufmerksamkeit, die sie verdienen, entspricht nicht nur einer eindeutigen Verpflichtung zu Liebe und Anerkennung, sondern sie ist auch Ausdruck der Erkenntnis, dass ihr Zeugnis für die Kirche und die Institute sehr nützlich ist und ihre Sendung auch dann gültig und verdienstvoll bleibt, wenn sie wegen des Alters oder aus Krankheit ihre eigentliche Tätigkeit aufgeben müssen. Sie haben zweifellos der Gemeinschaft viel an Weisheit und Erfahrung zu geben, wenn diese imstande ist, ihnen voll Aufmerksamkeit und mit der Fähigkeit zum Zuhören nahezustehen.
In der Tat besteht die apostolische Sendung noch vor dem Tun im Zeugnis der eigenen vollkommenen Hingabe an den Heilswillen des Herrn, einer Hingabe, die sich an den Quellen des Gebets und der Buße nährt. Es gibt daher viele Möglichkeiten, wie die alten Mitglieder ihre Berufung leben können: das eifrige Gebet, die geduldige Annahme der eigenen Situation, die Verfügbarkeit für den Dienst als Spiritual, als Beichtvater und Begleiter des Betens.<ref>Vgl. Kongregation für die Institute des gottgeweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens, Instruktion Das brüderliche Leben in Gemeinschaft "Congregavit nos in unum Christi amor" (2. Februar 1994), 68: Vatikanstadt 1994, S. 86-88; Propositio 21.</ref>
Als Abbild der apostolischen Gemeinschaft
45. Das geschwisterliche Leben spielt auf dem geistlichen Weg der Personen des geweihten Lebens eine grundlegende Rolle sowohl für ihre ständige Erneuerung als auch für die vollkommene Erfüllung ihrer Sendung in der Welt: dies lässt sich aus den theologischen Begründungen schließen, die dem geschwisterlichen Leben zugrunde liegen, findet aber auch in der eigenen Erfahrung weitgehende Bestätigung. Ich ermahne daher die Personen des geweihten Lebens, das Gemeinschaftsleben eifrig zu pflegen und damit dem Beispiel der ersten Christen von Jerusalem zu folgen, die voll Eifer die Lehre der Apostel hörten, am gemeinsamen Gebet und an der Feier der Eucharistie teilnahmen und die materiellen Güter und Gnadengaben miteinander teilten (vgl. Apg 2,42-47). Vor allem ermahne ich die Ordensleute und die Mitglieder der Gesellschaften des apostolischen Lebens, vorbehaltlos die gegenseitige Liebe zu leben und dieser durch die Bestimmungen, die der Natur eines jeden Instituts entsprechen, Ausdruck zu verleihen, damit sich jede Gemeinschaft als leuchtendes Zeichen des neuen Jerusalem, der "Wohnung Gottes unter den Menschen" (Offb 21,3), erweise.
Denn die ganze Kirche zählt sehr auf das Zeugnis von Gemeinschaften, die "voll Freude und erfüllt vom Heiligen Geist" sind (Apg 13,52). Sie möchte die Welt auf das Beispiel von Gemeinschaften hinweisen, in denen die gegenseitige Aufmerksamkeit die Einsamkeit überwinden hilft, die Kommunikation alle dazu anspornt, sich mitverantwortlich zu fühlen, und in denen Vergebung die Wunden heilt und in jedem einzelnen den Vorsatz zur Gemeinschaft stärkt. In derartigen Gemeinschaften lenkt die Natur des Charismas die Kräfte, festigt die Treue und richtet die apostolische Arbeit aller auf die eine Sendung aus. Um der heutigen Menschheit ihr wahres Gesicht zu zeigen, braucht die Kirche dringend solche brüderliche Gemeinschaften, die schon allein durch ihr Bestehen einen Beitrag zur Neuevangelisierung leisten, da sie konkret die Früchte des "neuen Gebotes" erbringen.
Sentire cum Ecclesia
46. Eine große Aufgabe ist dem geweihten Leben auch im Lichte der vom II. Vatikanischen Konzil mit fester Entschiedenheit dargestellten Lehre von der Kirche als Gemeinschaft anvertraut. Von den Personen des geweihten Lebens wird verlangt, als "Zeugen und Baumeister jenes ,göttlichen Planes für Gemeinschaft', der die Geschichte der Menschen krönen soll",<ref>Kongregation für die Ordensleute und die Säkularinstitute, Dokument Leben und Sendung der Ordensleute in der Kirche, I. Das Ordensleben und die Förderung des Menschen (12. August 1980), II, 24: Ench. Vat. 7, 455.</ref> wirklich Experten der Gemeinschaft zu sein und deren Spiritualität in die Praxis umzusetzen.<ref>Vgl. Propositio 28.</ref> Der Sinn der kirchlichen Gemeinschaft, die sich zu einer Spiritualität der Gemeinschaft entwickelt, fördert eine Weise des Denkens, Sprechens und Handelns, die die Kirche an Tiefe und Weite wachsen lässt. Denn das Gemeinschaftsleben "wird zu einem Zeichen für die Welt, zur anziehenden Kraft, die zum Glauben an Christus führt [...] Auf diese Weise öffnet sich die communio der Sendung, wird selbst Sendung", ja, "die communio schafft communio und stellt sich wesentlich als missionarische communio dar".<ref>Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christifideles laici (30. Dez. 1988), 31-32: AAS 81 (1989), 451-452.</ref>
Bei den Stiftern und Stifterinnen erscheint der Sinn für die Kirche immer lebendig und zeigt sich in ihrer vollkommenen Teilnahme am kirchlichen Leben in allen seinen Dimensionen und im bereitwilligen Gehorsam den Bischöfen, insbesondere dem Bischof von Rom gegenüber. Vor diesem Horizont der Liebe zur heiligen Kirche, "Säule und Fundament der Wahrheit" (1 Tim 3,15), begreifen wir die Ergebenheit eines Franz von Assisi dem "Herrn Papst" gegenüber,<ref>Regula Bullata, I, 1.</ref> den kindlichen Unternehmungsgeist einer Katharina von Siena dem gegenüber, den sie den "süßen Christus auf Erden nennt",<ref> Briefe, 109, 171, 196.</ref> den apostolischen Gehorsam und das "Sentire cum Ecclesia"<ref>Vgl. die Regeln "für das richtige sentire, das wir in der streitenden Kirche haben müssen", die er am Schluss des Buches Geistliche Exerzitien aufstellt, besonders die Regel 13.</ref> eines Ignatius von Loyola, das freudige Glaubensbekenntnis einer Theresia von Jesus: "Ich bin Tochter der Kirche".<ref>Dichos, Nr. 217.</ref> Man versteht auch die Sehnsucht der Theresia von Lisieux: "Im Herzen der Kirche, meiner Mutter, werde ich die Liebe sein".<ref>Manuscrits autobiographiques, B, 3 vo.</ref> Ähnliche Zeugnisse stellen die volle kirchliche Gemeinschaft dar, die Heilige sowie Stifter und Stifterinnen zu ganz verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen und oft sehr schwierigen Umständen gegeben haben. Auf diese Vorbilder müssen die Personen des geweihten Lebens immer wieder Bezug nehmen, um den heutzutage besonders aktiven zentrifugalen und zersetzenden Antriebskräften entgegenzuwirken.
Ein Wesensmerkmal dieser kirchlichen communio ist das Festhalten mit Herz und Verstand am Lehramt der Bischöfe, das von allen Personen des geweihten Lebens, besonders jenen, die in der theologischen Forschung, in der Lehre, im Publikationswesen, in der Katechese, im Bereich der sozialen Kommunikationsmittel tätig sind, treu gelebt und vor dem Volk Gottes klar und deutlich bezeugt werden muss.<ref>Vgl. Propositio 30, A.</ref> Da die Personen des geweihten Lebens einen besonderen Platz in der Kirche einnehmen, kommt ihrer diesbezüglichen Haltung für das ganze Volk Gottes große Bedeutung zu. Ihr apostolisches Wirken, das sich im Rahmen der prophetischen Sendung aller Getauften im allgemeinen durch Aufgaben besonderer Zusammenarbeit mit der Hierarchie qualifiziert, gewinnt aus ihrem Zeugnis kindlicher Liebe Kraft und Schärfe.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Redemptionis donum (25. März 1984), 15: AAS 76 (1984), 541-542.</ref> Auf diese Weise leisten sie mit dem Reichtum ihrer Charismen einen besonderen Beitrag, damit die Kirche ihr Wesen als Sakrament der innigen Vereinigung mit Gott und der Einheit des gesamten Menschengeschlechts immer vollkommener verwirkliche..<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 1.</ref>
Die Brüderlichkeit in der Universalkirche
47. Die Personen des geweihten Lebens sind auf Grund der Tatsache selbst, dass die vielfältigen Charismen der jeweiligen Institute vom Heiligen Geist geschenkt werden im Hinblick auf das Wohl des ganzen mystischen Leibes, zu dessen Aufbau sie beitragen sollen (vgl. 1 Kor 12,4-11), dazu berufen, Sauerteig missionarischer Gemeinschaft in der Universalkirche zu sein. Bezeichnenderweise ist es die Liebe, die nach den Worten des Apostels "der Weg" ist, "der alles übersteigt" (1 Kor 12,31), die Wirklichkeit, die "die größte unter allen ist" (1 Kor 13,13), die alle Unterschiede harmonisch in Einklang bringt und allen die Kraft verleiht, im apostolischen Einsatz einander Stütze zu sein. Gerade danach strebt das besondere Band der Gemeinschaft, das die verschiedenen Formen des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens zum Nachfolger Petri in seinem Dienst an der Einheit und der missionarischen Universalität haben. Die Geschichte der Spiritualität veranschaulicht dieses Band eingehend dadurch, dass sie deren günstige Aufgabe zeigt, um sowohl die dem geweihten Leben eigene Identität als auch die missionarische Ausbreitung des Evangeliums zu gewährleisten. Die machtvolle Verbreitung der evangelischen Botschaft ebenso wie die feste Verwurzelung der Kirche in so vielen Gegenden der Welt und der christliche Frühling, der heute in den jungen Kirchen festzustellen ist, wären - wie die Synodenväter festgestellt haben - ohne den Beitrag so vieler Institute des geweihten Lebens und der Gesellschaften des apostolischen Lebens undenkbar. Sie haben über Jahrhunderte hin die Gemeinschaft mit den Nachfolgern des hl. Petrus aufrechterhalten, die bei ihnen großzügige Bereitschaft vorfanden, sich der Mission mit einer Verfügbarkeit zu widmen, die, wenn nötig, bis zum Heroismus reichen konnten.
So ragt das Wesensmerkmal der Universalität und der Gemeinschaft hervor, das den Instituten des geweihten Lebens und den Gesellschaften des apostolischen Lebens eigen ist. Aufgrund des in ihrer besonderen Beziehung zum Petrusamt verwurzelten überdiözesanen Charakters stehen sie auch im Dienst der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Teilkirchen,<ref>Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Schreiben an die Bischöfe der katholischen Kirche über einige Aspekte der Kirche als Communio Communionis notio (28. Mai 1992), 16: AAS 85 (1993), 847-848.</ref> unter denen sie den "Austausch der Gaben" wirksam fördern und dadurch zu einer Inkulturation des Evangeliums beitragen können, die die Reichtümer der Kulturen aller Völker reinigen, bewerten und annehmen soll.<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 13.</ref> Auch heute offenbart die Blüte an Berufungen zum geweihten Leben in den jungen Kirchen die Fähigkeit, die es besitzt, um innerhalb der katholischen Einheit die Erfordernisse der verschiedenen Völker und Kulturen zum Ausdruck zu bringen.
Das geweihte Leben und die Teilkirche
48. Eine bedeutsame Rolle kommt den Personen des geweihten Lebens auch innerhalb der Teilkirchen zu. Ausgehend von der Lehre des Konzils über die Kirche als Gemeinschaft und Geheimnis und über die Teilkirchen als Teil des Gottesvolkes, in denen "die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche Christi wahrhaft wirkt und gegenwärtig ist",<ref>II. Vat. Konzil, Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe Christus dominus, 11.</ref> ist dieser Aspekt in verschiedenen Nachfolgedokumenten vertieft und kodifiziert worden. Im Lichte dieser Texte zeigt sich mit aller Klarheit die fundamentale Bedeutung, die der Zusammenarbeit der Personen des geweihten Lebens mit den Bischöfen für die harmonische Entwicklung der Pastoral in der Diözese zukommt. Die Charismen des geweihten Lebens können viel zum Aufbau der Liebe in der Teilkirche beitragen.
Die verschiedenen Formen, in denen die evangelischen Räte gelebt werden, sind in der Tat Ausdruck und Frucht der von den Stiftern und Stifterinnen empfangenen geistlichen Gaben und stellen als solche eine "Erfahrung des Geistes [dar], die den eigenen Schülern überliefert wurde, damit sie von ihnen gelebt, bewahrt, vertieft und ständig weiterentwickelt werden in der Übereinstimmung mit dem Leib Christi, der ständig im Wachsen begriffen ist".<ref>Kongregation für die Ordensleute und Säkularinstitute und Kongregation für die Bischöfe, Leitlinien für die gegenseitigen Beziehungen zwischen Bischöfen und Ordensleuten in der Kirche Mutuae relationes (14. Mai 1978), 11: AAS 70 (1978), 480.</ref> Der eigene Charakter jedes Instituts enthält einen besonderen Stil der Heiligung und des Apostolats, der sich in einer bestimmten, von objektiven Elementen geprägten Tradition zu festigen sucht.<ref>Vgl. ebd.</ref> Darum sorgt die Kirche dafür, dass die Institute dem Geist der Stifter und Stifterinnen und ihren gesunden Überlieferungen gemäß wachsen und sich entfalten.<ref>Vgl. Kodex des kanonischen Rechtes, can. 576.</ref>
Demzufolge wird den einzelnen Instituten eine gebührende Autonomie zuerkannt, kraft derer sie sich eine eigene Ordnung zunutze machen und ihr spirituelles und apostolisches Erbe unversehrt bewahren können. Diese Autonomie zu wahren und zu schützen ist Aufgabe der Ortsordinarien.<ref>Vgl. Kodex des kanonischen Rechtes, can. 586; Kongregation für die Ordensleute und Säkularinstitute und Kongregation für die Bischöfe, Leitlinien für die gegenseitigen Beziehungen zwischen Bischöfen und Ordensleuten in der Kirche Mutuae relationes (14. Mai 1978), 13: AAS 70 (1978), 481-482.</ref> Die Bischöfe werden daher ersucht, die Charismen des geweihten Lebens anzunehmen und zu achten, indem sie ihnen in den Entwürfen der diözesanen Pastoral Raum geben. Besondere Aufmerksamkeit müssen sie den Instituten diözesanen Rechts widmen, die der besonderen Sorge des Ortsbischofs anvertraut sind. Eine Diözese ohne geweihtes Leben würde nicht nur vieler geistlicher Gaben, geeigneter Orte für die Suche nach Gott, spezifischer apostolischer Aktivitäten und pastoraler Methoden verlustig gehen, sondern sie würde darüber hinaus Gefahr laufen, in hohem Maße in jenem missionarischen Geist geschwächt zu werden, der der Mehrheit der Institute eigen ist.<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad gentes, 18.</ref> Daher verlangt es die Pflicht, der Gabe des geweihten Lebens, die der Geist in der Teilirche schenkt, dadurch zu entsprechen, dass man sie hochherzig und voll Dankbarkeit annimmt.
Eine fruchtbare und geordnete kirchliche Gemeinschaft
49. Der Bischof ist Vater und Hirt der ganzen Teilkirche. Seine Zuständigkeit ist es, die einzelnen Charismen anzuerkennen und zu beachten, sie zu fördern und zu koordinieren. Er wird also in seiner pastoralen Liebe das Charisma des geweihten Lebens als Gnade annehmen, die nicht nur ein Institut betrifft, sondern zum Vorteil der ganzen Kirche ausströmt. Er wird so versuchen, den Personen des geweihten Lebens beizustehen und zu helfen, sich in Gemeinschaft mit der Kirche den spirituellen und pastoralen Perspektiven, die den Erfordernissen unserer Zeit entsprechen, in Treue zur Gründungsinspiration zu öffnen. Die Personen des geweihten Lebens werden es ihrerseits nicht versäumen, nach den eigenen Kräften und unter Wahrung des eigenen Charismas der Teilkirche großzügig ihre Mitarbeit anzubieten, wobei sie im Bereich der Evangelisierung, der Katechese, und des Lebens der Pfarrgemeinden in voller Gemeinschaft mit dem Bischof tätig sind.
Es sei daran erinnert, dass sich die Institute bei der Koordination des Dienstes an der Universalkirche mit jenem an der Teilkirche nicht auf die gebührende Autonomie und auch nicht auf die Exemtion berufen können, die viele von ihnen genießen,<ref>Vgl. Kodex des kanonischen Rechtes, can. 586 § 2; 591; Kodex der Kanones der Orientalischen Kirchen, can. 412 § 2.</ref> um Entscheidungen zu rechtfertigen, die zu den von einem heilsamen kirchlichen Leben an eine organische Gemeinschaft gestellten Erfordernissen tatsächlich im Widerspruch stehen. Statt dessen müssen die pastoralen Initiativen der Personen des geweihten Lebens auf der Basis eines freundlichen und offenen Dialogs zwischen Bischöfen und Oberen der verschiedenen Institute entschieden und in die Tat umgesetzt werden. Die besondere Aufmerksamkeit der Bischöfe für die Berufung und Sendung der Institute und die Achtung vor dem Amt der Bischöfe von seiten der Institute, die mit der Annahmebereitschaft der konkreten pastoralen Anweisungen für das diözesane Leben verbunden ist, stellen zwei eng miteinander verknüpfte Formen jener einzigartigen kirchlichen Liebe dar, die alle zum Dienst an der - charismatischen und zugleich hierarchisch gegliederten - organischen Gemeinschaft des ganzen Gottesvolkes verpflichtet.
Ein beständiger, von der Liebe beseelter Dialog
50. Zur Förderung des gegenseitigen Kennenlernens als unerläßlicher Voraussetzung für eine tatkräftige Zusammenarbeit vor allem auf pastoralem Gebiet erweist sich ein ständiger Dialog der Oberen und Oberinnen der Institute des geweihten Lebens und der Gesellschaften des apostolischen Lebens mit den Bischöfen angebrachter als je zuvor. Dank dieser regelmäßigen Kontakte werden Obere und Oberinnen die Bischöfe über die apostolischen Initiativen, die sie in ihren Diözesen in die Wege zu leiten beabsichtigen, informieren können, um mit ihnen zu den für die Durchführung notwendigen Vereinbarungen zu gelangen. In gleicher Weise ist es angebracht, dass von den Konferenzen der höheren Ordensoberen und -oberinnen delegierte Personen zur Teilnahme an den Versammlungen der Bischofskonferenzen und umgekehrt, dass Delegierte der Bischofskonferenzen zu Konferenzen der höheren Ordensoberen und -oberinnen eingeladen werden; die entsprechenden Modalitäten dafür sind noch festzulegen. So gesehen, wird es von großem Nutzen sein, dass dort, wo dies noch nicht geschehen ist, auf nationaler Ebene gemischte Kommissionen aus Bischöfen und höheren Ordensoberen und -oberinnen<ref>Vgl. Propositio 29, 4.</ref> gebildet und tätig werden, um miteinander Probleme von gemeinsamem Interesse zu untersuchen. Zum besseren gegenseitigen Kennenlernen wird auch die Aufnahme der Theologie und der Spiritualität des geweihten Lebens in den theologischen Studienplan der Diözesanpriester beitragen; und dasselbe gilt für das Einbringen einer entsprechenden Behandlung der Theologie der Teilkirche und der Spiritualität des Diözesanklerus bei der Ausbildung der Personen des geweihten Lebens.<ref>Vgl. Propositio 49, B.</ref>
Tröstlich ist schließlich daran zu erinnern, dass es auf der Synode nicht nur zahlreiche Beiträge zur Lehre über die Gemeinschaft gegeben hat, sondern auch große Genugtuung angesichts der in einem Klima des gegenseitigen Vertrauens und der Offenheit erlebten Erfahrung des Dialogs zwischen den anwesenden Bischöfen und Ordensleuten. Dies löste den Wunsch aus, dass "diese geistliche Erfahrung von Gemeinschaft und Zusammenarbeit sich auch nach Abschluss der Synode auf die ganze Kirche erstrecken möge".<ref>Propositio 54.</ref> Ich wünsche mir, dass die Gesinnung und die Spiritualität der Gemeinschaft in allen wachsen möge.
Die Geschwisterlichkeit in einer gespaltenen und ungerechten Welt
51. Die Kirche vertraut den Gemeinschaften des geweihten Lebens die besondere Aufgabe an, die Spiritualität der Gemeinschaft vor allem innerhalb der eigenen Gemeinschaft und dann in der kirchlichen Gemeinschaft und über deren Grenzen hinaus dadurch zu stärken, dass sie vor allem dort, wo die heutige Welt von Rassenhaß oder mörderischem Wahn zerrissen ist, den Dialog der Liebe eröffnet bzw. immer wieder aufnimmt. Inmitten der verschiedenen Gesellschaften unserer Erde - Gesellschaften, die häufig von Leidenschaften und entgegengesetzten Interessen beeinträchtigt sind, die sich nach Einheit sehnen, jedoch unsicher bezüglich der einzuschlagenden Wege sind - stehen die Gemeinschaften des geweihten Lebens, in denen sich Menschen unterschiedlichen Alters und verschiedener Sprache und Kultur als Brüder und Schwestern begegnen, als Zeichen für einen Dialog der immer möglich ist, und für eine Gemeinschaft, die die Unterschiede in harmonischen Einklang zu bringen vermag.
Die Gemeinschaften des geweihten Lebens sind gehalten, durch das Zeugnis ihres Lebens den Wert der christlichen Brüderlichkeit und die verändernde Kraft der Frohen Botschaft zu verkünden,<ref>Vgl. Kongregation für die Institute des gottgeweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens, Instruktion Das brüderliche Leben in Gemeinschaft "Congregavit nos in unum Christi amor" (2. Februar 1994), 56: Vatikanstadt 1994, S. 66.</ref> die alle als Kinder Gottes anerkennt und zur aufopfernden Liebe gegenüber allen drängt, besonders gegenüber den Geringsten. Diese Gemeinschaften sind Orte der Hoffnung und der Entdeckung der Seligpreisungen, Orte, an denen die aus dem Gebet, der Quelle der Gemeinschaft schöpfende Liebe zur Logik des Lebens und Quelle der Freude werden soll.
In dieser Zeit, die von der weltweiten Ausdehnung der Probleme und zugleich vom Rückfall in die Idole des Nationalismus gekennzeichnet ist, haben vor allem die internationalen Institute die Aufgabe, den Sinn für die Gemeinschaft unter den Völkern, Rassen und Kulturen lebendig zu erhalten und zu bezeugen. In einem Klima der Brüderlichkeit wird die Offenheit für die weltweite Dimension der Probleme den Reichtum der einzelnen nicht ersticken, noch wird die Bejahung einer Eigenart Gegensatz zu den anderen oder Zwiespalt mit der Einheit hervorrufen. Die internationalen Institute können dies wirksam tun, indem sie sich doch selbst auf kreative Weise der Herausforderung der Inkulturation bei gleichzeitiger Wahrung ihrer Identität stellen müssen.
Gemeinschaft unter den verschiedenen Instituten
52. Die brüderliche geistliche Beziehung und die gegenseitige Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Instituten des geweihten Lebens und den Gesellschaften des apostolischen Lebens werden vom kirchlichen Gemeinschaftssinn getragen und genährt. Personen, die durch die gemeinsame Verpflichtung zur Nachfolge Christi miteinander verbunden und vom selben Heiligen Geist beseelt sind, müssen als Reben des einen Weinstocks die Fülle des Evangeliums der Liebe sichtbar bekunden. Die verschiedenen Stifter und Stifterinnen sind berufen, eingedenk der geistlichen Freundschaft, die sie auf Erden oft miteinander verbunden hat, in Treue zum Wesen ihres Instituts eine vorbildliche Geschwisterlichkeit zum Ausdruck zu bringen, die den anderen Mitgliedern der Kirche in ihrem täglichen Bemühen um die Bezeugung des Evangeliums Ansporn sein möge. Die Worte des hl. Bernhard bezüglich der verschiedenen Orden sind nach wie vor aktuell: "Ich bewundere sie alle. Einem von ihnen gehöre ich durch die Befolgung der Regel an, allen aber in der Liebe. Wir alle brauchen einander: das geistliche Gut, das ich nicht habe und nicht besitze, empfange ich von den anderen [...]. Die Kirche ist hier im irdischen Leben noch unterwegs und, wenn ich so sagen darf, pluralisch: wir haben es mit einer einzigartigen Pluralität und mit einer pluralischen Einheit zu tun. Und alle unsere Verschiedenheiten, die die Fülle der Gaben Gottes offenkundig machen, werden in dem einen Haus des Vaters, das viele Wohnungen umfasst, anzutreffen sein. Jetzt gibt es unterschiedliche Gnadengaben: dann wird es unterschiedliche Seligkeiten geben. Die Einheit besteht hier wie dort in ein und derselben Liebe".<ref>Apologie zu Guillaume von Saint Thierry, IV, 8: PL 182, 903-904.</ref>
Koordinierungsorgane
53. Einen beachtlichen Beitrag zur Gemeinschaft können die Konferenzen der höheren Ordensoberen und -oberinnen sowie der Säkularinstitute leisten. Hauptzweck dieser Organe, die vom II. Vatikanischen Konzil<ref>Vgl. Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens Perfectae caritatis, 23.</ref> und von nachfolgenden Dokumenten<ref>Vgl. Kongregation für die Ordensleute und Säkularinstitute und Kongregation für die Bischöfe, Leitlinien für die gegenseitigen Beziehungen zwischen Bischöfen und Ordensleuten in der Kirche Mutuae relationes (14. Mai 1978), 21, 61: AAS 70 (1978), 486, 503-504; Kodex des kanonischen Rechtes, cann. 708-709.</ref> ermutigt und geregelt wurden, ist die Förderung des geweihten Lebens im Gesamtgefüge der kirchlichen Sendung.
Durch diese Konferenzen bringen die Institute die Gemeinschaft unter ihnen zum Ausdruck und suchen nach den Mitteln, um sie unter Achtung und Erschließung der Besonderheit der verschiedenen Charismen zu stärken, in denen sich das Geheimnis der Kirche und die vielgestaltige Weisheit Gottes widerspiegelt.<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens Perfectae caritatis, 1; Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 46.</ref> Ich ermutige die Institute des geweihten Lebens zur gegenseitigen Zusammenarbeit, insbesondere in jenen Ländern, in denen wegen besonderer Schwierigkeiten die Versuchung stark sein mag, sich auf sich selbst zurückzuziehen, zum Schaden des geweihten Lebens und der Kirche. Es ist jedoch erforderlich, dass sie sich gegenseitig in dem Bemühen helfen, den Plan Gottes in den gegenwärtigen Lasten der Geschichte zu begreifen zu suchen, um mit geeigneten apostolischen Initiativen besser darauf zu antworten.<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 4.</ref> Vor diesem Horizont der Gemeinschaft, der offen ist für die Herausforderungen unserer Zeit, mögen die Oberen und Oberinnen "in Abstimmung mit den Bischöfen" versuchen, "sich das Wirken der besten Mitarbeiter jedes Instituts zunutze zu machen und Dienste anzubieten, die nicht nur etwaige Grenzen überwinden helfen, sondern einen gültigen Stil von Ordensausbildung hervorbringen sollen".<ref>Johannes Paul II., Botschaft an die XIV. Versammlung der Konferenz der Ordensleute Brasiliens (11. Juli 1986), 4: Insegnamenti IX/2 (1986), 237; vgl. Propositio, 31.</ref>
Die Konferenzen der höheren Ordensoberen und -oberinnen und die Konferenzen der Säkularinstitute fordere ich auf, als Bekundung ihrer Gemeinschaft mit dem Heiligen Stuhl auch häufige und regelmäßige Kontakte mit der Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens zu pflegen. Eine aktive und vertrauensvolle Beziehung wird auch zu den Bischofskonferenzen der einzelnen Länder gepflegt werden müssen. Diese Beziehung soll im Geiste des Dokumentes Mutuae relationes zweckmäßigerweise eine feste Form annehmen, um auf diese Weise die ständige und rechtzeitige Koordination der nach und nach anstehenden Initiativen zu ermöglichen. Wenn dies alles beharrlich und im Geist treuer Befolgung der Anweisungen des Lehramtes durchgeführt wird, werden sich die Verbindungs- und Gemeinschaftsorgane als besonders nützlich erweisen, um Lösungen zu finden, die Unverständnis und Spannungen sowohl im theoretischen als auch im praktischen Bereich vermeiden;<ref>Vgl. Kongregation für die Ordensleute und Säkularinstitute und Kongregation für die Bischöfe, Leitlinien für die gegenseitigen Beziehungen zwischen Bischöfen und Ordensleuten in der Kirche Mutuae relationes (14. Mai 1978), 63, 65: AAS 70 (1978), 504-505.</ref> auf diese Weise werden sie nicht nur für das Wachsen der Gemeinschaft zwischen den Instituten des geweihten Lebens und den Bischöfen eine Hilfe sein, sondern auch für die Erfüllung der eigentlichen Sendung der Teilkirchen.
Gemeinschaft und Zusammenarbeit mit den Laien
54. Zu den Früchten der Lehre von der Kirche als Gemeinschaft gehörte in diesen Jahren das Sich-Bewußtwerden der Tatsache, dass ihre verschiedenen Glieder ihre Kräfte durch Zusammenarbeit und Austausch der Gaben vereinen können und sollen, um wirksamer an der kirchlichen Sendung teilzuhaben. Dies trägt zu einem klarer umrissenen und vollständigeren Bild der Kirche selbst bei und macht darüber hinaus durch den einmütigen Beitrag der unterschiedlichen Gaben die Antwort auf die großen Herausforderungen unserer Zeit wirksamer.
Die Beziehungen zu den Laien gestalten sich seitens der monastischen und kontemplativen Institute als vorwiegend geistlich, während sie bei den Instituten, die sich dem Apostolat widmen, die Form pastoraler Zusammenarbeit annehmen. Die Mitglieder der Säkularinstitute, Laien wie Kleriker, treten mit den anderen Gläubigen im gewöhnlichen Alltagsleben in Beziehung. Nicht wenige Institute sind heute, häufig auf Grund neuer Situationen, zu der Überzeugung gelangt, dass sich ihr Charisma mit den Laien teilen lässt. Diese werden daher eingeladen, intensiver an der Spiritualität und an der Sendung des betreffenden Instituts teilzunehmen. Man kann sagen, dass im Gefolge historischer Erfahrungen, wie jener der verschiedenen Säkular- oder Drittorden, ein neues, hoffnungsvolles Kapitel in der Geschichte der Beziehungen zwischen den Personen des geweihten Lebens und den Laien begonnen hat.
Für eine erneuerte geistliche und apostolische Tatkraft
55. Diese neuen Wege von Gemeinschaft und Zusammenarbeit verdienen aus verschiedenen Gründen ermutigt zu werden. Vor allem wird von diesen die Ausstrahlung tätiger Spiritualität über die Grenzen des Instituts hinaus gehen können, das auf diese Weise mit neuen Energien rechnen wird, auch um die Kontinuität mancher seiner typischen Formen des Dienstes für die Kirche sicherzustellen. Eine weitere positive Folge kann sodann die Erleichterung eines intensiveren Zusammenwirkens zwischen Personen des geweihten Lebens und den Laien im Hinblick auf die Mission sein: von den Beispielen der Heiligkeit von Personen des geweihten Lebens angeleitet, werden die Laien in die unmittelbare Erfahrung des Geistes der evangelischen Räte eingeführt und werden so ermutigt, den Geist der Seligpreisungen angesichts der Umgestaltung der Welt im Sinne Gottes zu leben und zu bezeugen.<ref>Vgl. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 31.</ref>
Die Beteiligung der Laien führt nicht selten zu unerwarteten und fruchtbaren Vertiefungen mancher Aspekte des Charismas, indem diese eine spirituellere Deutung dieses Charismas erweckt und den Anstoß gibt, Hinweise für neue apostolische Tatkräfte zu geben. Die Personen des geweihten Lebens sollen sich daher bei jeder Tätigkeit und jedem Dienst, mit dem sie betraut sind, erinnern, dass sie vor allem erfahrene Führer und Begleiter des geistlichen Lebens sein müssen, und sie sollen unter dieser Perspektive "das kostbarste Talent: den Geist"<ref>Hl. Antonius Maria Zaccaria, Scritti. Sermone II, Rom 1975, S. 129.</ref> pflegen. Die Laien ihrerseits sollen den Ordensfamilien den wertvollen Beitrag ihrer Weltlichkeit und ihres besonderen Dienstes anbieten.
Freiwillige und assoziierte Laien
56. Eine bedeutende Ausdrucksform der Teilnahme der Laien an den Reichtümern des geweihten Lebens ist der Beitritt der Gläubigen im Laienstand zu den verschiedenen Instituten in der neuen Form der so genannten assoziierten Mitglieder oder, je nach den in einigen kulturellen Umfeldern vorhandenen Bedürfnissen, der Beitritt von Personen, die sich für einen bestimmten Zeitabschnitt der Aufgaben des Gemeinschaftslebens und der besonderen beschaulichen und apostolischen Hingabe annehmen, natürlich immer vorausgesetzt, dass die Identität des Instituts in seinem internen Leben dadurch keinen Schaden erleidet.<ref>Vgl. Propositio 33, A u. C.</ref>
Es ist durchaus richtig, der Freiwilligkeit, die aus den Reichtümern des geweihten Lebens schöpft, hohe Wertschätzung entgegenzubringen; es muss jedoch für deren Formation gesorgt werden, damit die freiwilligen Laien außer der sachlichen Kompetenz immer tiefgründige übernatürliche Motivationen für ihre Vorhaben sowie einen lebendigen Sinn für Gemeinschaft und Kirche bei ihren Projekten haben.<ref>Vgl. Propositio 33, B.</ref> Ferner ist zu bedenken, dass Initiativen, bei denen auch auf Entscheidungsebene Laien mitwirken, damit diese als Werke eines bestimmten Instituts betrachtet werden, dessen Ziele verfolgen und unter dessen Verantwortung durchgeführt werden müssen. Wenn also Laien die Leitung übernehmen, werden sie den zuständigen Oberen und Oberinnen gegenüber die Verantwortung für diese Durchführung tragen. All dies sollte durch geeignete Vorschriften der einzelnen Institute geprüft und geregelt werden, die von der vorgesetzten Autorität genehmigt sind und in denen die jeweiligen Kompetenzen des Instituts selbst, der Kommunitäten und der assoziierten oder freiwilligen Mitglieder vorgesehen sind.
Die von ihren Oberen und Oberinnen entsandten und abhängigen Personen des geweihten Lebens können sich mit Sonderformen von Zusammenarbeit an Laieninitiativen beteiligen, besonders in Organisationen und Einrichtungen, die sich der Randgruppen annehmen und sich die Linderung menschlichen Leides zum Ziel setzen. Wenn diese Zusammenarbeit von einer klaren und starken christlichen Identität beseelt und getragen wird und das dem geweihten Leben eigene Wesen berücksichtigt, vermag sie in den dunkelsten Situationen des menschlichen Daseins die Leuchtkraft des Evangeliums zum Strahlen zu bringen.
In diesen Jahren sind zahlreiche Personen des geweihten Lebens einer der kirchlichen Bewegungen beigetreten, die sich in unserer Zeit entwickelt haben. Aus solchen Erfahrungen ziehen die Interessierten im allgemeinen Nutzen, besonders auf der Ebene der geistlichen Erneuerung. Doch lässt sich nicht leugnen, dass dies in einigen Fällen Unbehagen und Verwirrung im persönlichen und kommunitären Bereich auslöst, besonders dann, wenn diese Erfahrungen mit den Anforderungen des Gemeinschaftslebens und der Spiritualität des Instituts in Konflikt geraten. Man wird daher Sorge tragen müssen, dass der Beitritt zu den kirchlichen Bewegungen unter Beachtung des Charismas und der Disziplin des eigenen Instituts,<ref>Vgl. Kongregation für die Institute des gottgeweihten Lebens und der Gesellschaften des apostolischen Lebens, Instruktion Das brüderliche Leben in Gemeinschaft "Congregavit nos in unum Christi amor" (2. Februar 1994), 62: Vatikanstadt 1994, S. 75-77; Instruktion Potissimum institutioni (2. Februar 1990), 92-93: AAS 82 (1990), 123-124.</ref> unter Zustimmung der Oberen und Oberinnen und in voller Verfügbarkeit zur Annahme ihrer Entscheidungen erfolgt.
Die Würde und die Rolle der Frau des geweihten Lebens
57. Die Kirche enthüllt vollständig ihren vielgestaltigen geistlichen Reichtum, wenn sie nach Überwindung der Diskriminierungen die von Gott sowohl auf die Männer als auch auf die Frauen ausgegossenen Gaben als wahren Segen empfängt und sie alle in ihrer gleichen Würde anerkennt. Die Frauen des geweihten Lebens sind in ganz besonderer Weise dazu berufen, durch ihre in Fülle und mit Freude gelebte Hingabe ein Zeichen für Gottes Zärtlichkeit gegenüber dem Menschengeschlecht und ein besonderes Zeugnis des Geheimnisses der Kirche zu sein, die Jungfrau, Braut und Mutter ist.<ref>Vgl. Propositio, 9, A.</ref> Die Sendung der Frauen des geweihten Lebens trat natürlich auch bei der Synode zutage, an der sie in großer Zahl teilnahmen und sich zu Wort melden konnten - und ihre Stimme wurde gehört und von allen geschätzt. Auch aus ihren Beiträgen haben sich nützliche Anleitungen für das Leben der Kirche und deren Evangelisierungsauftrag ergeben. Sicher muss man viele Forderungen, die die Stellung der Frau in verschiedenen gesellschaftlichen und kirchlichen Bereichen betreffen, als berechtigt anerkennen. In gleicher Weise gilt es hervorzuheben, dass das neue Bewusstsein der Frau auch den Männern hilft, ihre Denkmuster, ihr Selbstverständnis und die Art und Weise zu überprüfen, wie sie sich in der Geschichte etablieren und diese auslegen, wie sie ihr soziales, politisches, wirtschaftliches, religiöses und kirchliches Leben gestalten.
Die Kirche, die von Christus eine Botschaft der Befreiung empfangen hat, hat den Auftrag, diese prophetisch zu verbreiten, indem sie Denk- und Verhaltensweisen fördert, die dem Willen des Herrn entsprechen. In diesem Zusammenhang kann die Frau des geweihten Lebens, ausgehend von ihrer Erfahrung von Kirche und von der Frau in der Kirche, zur Beseitigung mancher einseitiger Ansichten beitragen, die nicht die volle Anerkennung ihrer Würde, ihres spezifischen Beitrags zum Leben und zum pastoralen und missionarischen Wirken der Kirche zum Ausdruck bringen. Deshalb ist das Bestreben der Frau des geweihten Lebens gerechtfertigt, ihre Identität, ihre Fähigkeit, ihre Sendung, ihre Verantwortung sowohl im Bewusstsein der Kirche als auch im täglichen Leben klarer anerkannt zu sehen.
Auch die Zukunft der Neuevangelisierung, wie übrigens aller anderen Formen missionarischer Tätigkeit, ist ohne einen erneuerten Beitrag der Frauen, insbesondere der Frauen des geweihten Lebens undenkbar.
Neue Perspektiven für Präsenz und Tätigkeit
58. Es bedarf daher dringend einiger konkreter Schritte, davon ausgehend, dass den Frauen Räume zur Mitwirkung in verschiedenen Bereichen und auf allen Ebenen eröffnet werden, auch in den Prozessen der Entscheidungsfindung, vor allem dort, wo es um sie selbst geht.
Notwendig ist auch, dass die Ausbildung der Frauen ebenso wie die der Männer des geweihten Lebens den neuen Erfordernissen angepasst wird und genügend Zeit und brauchbare institutionelle Möglichkeiten für eine systematische Erziehung vorgesehen sind, die alle Gebiete, von der theologisch-pastoralen Ausbildung bis zur beruflichen Praxis, umfassen soll. Die stets wichtige pastorale und katechetische Ausbildung gewinnt im Hinblick auf die Neuevangelisierung besondere Bedeutung, die auch von den Frauen neue Formen der Mitwirkung verlangt.
Man kann davon ausgehen, dass die Vertiefung bei der Ausbildung der Frau des geweihten Lebens zu einem besseren Verständnis ihrer eigenen Gaben verhilft und auch Anregung zur notwendigen Gegenseitigkeit innerhalb der Kirche sein wird. Auch auf dem Gebiet der theologischen, kulturellen und spirituellen Reflexion darf man sich vom Genius der Frau viel erwarten, nicht nur in bezug auf die besondere Eigenart des geweihten Lebens, sondern auch was das Verständnis des Glaubens in allen seinen Ausdrucksformen betrifft. Wieviel hat in diesem Zusammenhang die Geschichte der Spiritualität einer hl. Theresia von Jesus und einer hl. Katharina von Siena, den beiden ersten mit dem Titel Kirchenlehrer ausgezeichneten Frauen, und vielen anderen Mystikerinnen zu verdanken, was die Erforschung des Geheimnisses Gottes und die Analyse seiner Wirkung auf den Gläubigen betrifft! Die Kirche zählt sehr auf die Frauen des geweihten Lebens wegen ihres ureigenen Beitrags in der Förderung der Lehre, der Bräuche, und selbst des Familien- und Gesellschaftslebens, besonders was die Würde der Frau und die Achtung vor dem menschlichen Leben angeht.<ref>Vgl. Propositio 9.</ref> Denn "die Frauen haben einen einzigartigen und vielleicht entscheidenden Denk- und Handlungsspielraum: sie sind es, die einen ,neuen Feminismus' fördern müssen, der, ohne in die Versuchung zu verfallen, ,Männlichkeits'-Vorbildern nachzujagen, durch den Einsatz zur Überwindung jeder Form von Diskriminierung, Gewalt und Ausbeutung den echten weiblichen Geist in allen Ausdrucksformen des bürgerlichen Zusammenlebens zu erkennen und zu bekunden versteht".<ref>Johannes Paul II., Enzyklika Evangelium vitae (25. März 1995), 99: AAS 87 (1995), 514.</ref> Es besteht Grund zu der Hoffnung, dass sich das geweihte Leben der Frau durch eine fundiertere Anerkennung der Sendung der Frau immer stärker der eigenen Rolle und ihrer gesteigerten Hingabe an das Gottesreich bewusst wird. Das wird sich in vielfältige Werke umsetzen lassen, wie in den Einsatz für die Evangelisierung, die Erziehungstätigkeit, die Mitwirkung an der Ausbildung der künftigen Priester und der Personen des geweihten Lebens, die Beseelung der christlichen Gemeinde, die geistliche Begleitung und die Förderung der grundlegenden Güter des Lebens und des Friedens. Den Frauen des geweihten Lebens und ihrer außergewöhnlichen Fähigkeit zur Hingabe spreche ich noch einmal die Bewunderung und Dankbarkeit der ganzen Kirche aus, die ihnen beisteht, damit sie ihre Berufung in Fülle und mit Freude leben und sich zu der erhabenen Aufgabe aufgefordert wissen, mitzuhelfen bei der Ausbildung der Frau von heute.
II. Beständigkeit im Wirken des Geistes: Treue in der Neuerung
Die Schwestern in der Klausur
59. Besondere Aufmerksamkeit verdienen das Klosterleben der Frau und die Schwestern in der Klausur wegen der Hochachtung, die die christliche Gemeinschaft dieser Lebensform entgegenbringt, die ein Zeichen der ausschließlichen Vereinigung der bräutlichen Kirche mit dem über alles geliebten Herrn ist. Das Leben der Schwestern in der Klausur, die sich hauptsächlich dem Gebet, der Askese und dem leidenschaftlichen Vorankommen im geistlichen Leben widmen, ist in der Tat "nichts anderes als ein Streben nach dem himmlischen Jerusalem, eine Vorwegnahme der endzeitlichen Kirche, unverwandt ausgerichtet auf den Besitz und die Anschauung Gottes".<ref>Kongregation für die Ordensleute und die Säkularinstitute, Instruktion über das kontemplative Leben und die Klausur der Nonnen Venite seorsum (15. August 1969), V: AAS 61 (1969), 685.</ref> Im Lichte dieser kirchlichen Berufung und Sendung entspricht die Klausur dem als prioritär erkannten Bedürfnis, beim Herrn zu sein. Durch die Wahl eines begrenzten Raumes als Lebensort nehmen die Schwestern in der Klausur an der tiefen Demut Christi teil durch eine radikale Armut, die sich im Verzicht nicht nur auf Dinge, sondern auch auf den "Raum", auf die Kontakte und auf so viele Güter der Schöpfung ausdrückt. Diese besondere Art, den "Leib" zu schenken, führt sie mit mehr Feingefühl in das eucharistische Geheimnis ein. Sie bringen sich mit Jesus für das Heil der Welt dar. Über den Aspekt des Opfers und der Sühne hinaus erwirbt ihre Hingabe auch den Aspekt der Danksagung an den Vater in der Teilhabe an der Danksagung des geliebten Sohnes.
Die in dieser geistlichen Spannung verwurzelte Klausur ist nicht nur ein asketisches Mittel von sehr hohem Wert, sondern eine Art und Weise, das Ostern Christi zu leben.<ref>Vgl. ebd., I: AAS 61 (1969), 674.</ref> Aus Erfahrung des "Todes" wird die Klausur Überfluß des Lebens, indem sie sich als frohe Ankündigung und prophetische Vorwegnahme der jedem einzelnen und der ganzen Menschheit angebotenen Möglichkeit darstellt, allein für Gott in Christus Jesus zu leben (vgl. Röm 6,11). Die Klausur ruft also jene Kammer des Herzens wach, in der jeder berufen ist, die Einheit mit dem Herrn zu leben. Als Geschenk empfangen und als freie Antwort der Liebe gewählt ist die Klausur der Ort der geistlichen Gemeinschaft mit Gott und mit den Brüdern und Schwestern, wo die Raum- und Kontaktbeschränkung zum Vorteil der Verinnerlichung der evangelischen Räte gereicht (vgl. Joh 13,34; Mt 5,3.8).
Die Klausurgemeinschaften, die die Stadt auf dem Berg und das Licht auf dem Leuchter (vgl. Mt 5,14-15) darstellen, versinnbildlichen bei aller Einfachheit ihres Lebens sichtbar das Ziel, auf das die ganze Gemeinschaft der Kirche zugeht, die "voll Eifer der Tätigkeit hingegeben und doch frei für die Beschauung"<ref>II. Vat. Konzil, Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum concilium, 2.</ref> auf den Straßen der Zeit vorwärtsgeht, den Blick fest auf die künftige Erneuerung von allem in Christus gerichtet, wenn die Kirche mit ihrem Bräutigam vereint in Herrlichkeit erscheint (vgl. Kol 3,1-4)"<ref>II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 6.</ref> und Christus "jede Macht, Gewalt und Kraft vernichtet hat und seine Herrschaft Gott, dem Vater, übergibt [...], damit Gott herrscht über alles und in allem" (1 Kor 15,24.28).
Diesen geliebten Schwestern gilt deshalb meine Dankbarkeit und die Ermunterung, dem Klausurleben gemäß ihrem Charisma treu zu bleiben. Dank ihres Beispiels verzeichnet diese Lebensform ständig zahlreiche Berufungen, die von der Radikalität eines "bräutlichen" Daseins angezogen sind, das sich Gott in der Kontemplation vollkommen hingibt. Als Ausdruck reiner Liebe, die mehr wert ist als jedes Werk, entfaltet das kontemplative Leben eine außerordentliche apostolische und missionarische Wirksamkeit.<ref>Vgl. Hl. Johannes vom Kreuz, Cántico espiritual, estr. 29, 1.</ref>
Die Synodenväter haben dem Wert des Klausurlebens gegenüber hohe Anerkennung zum Ausdruck gebracht und gleichzeitig die hie und da vorgetragenen Anfragen bezüglich dessen konkreter Ordnung geprüft. Die Hinweise der Synode zum Thema und besonders der Wunsch nach einem stärkeren Verantwortungsbewusstsein der höheren Oberinnen auf dem Gebiet der Teilaufhebung der Klausur aus einem gerechten und schwerwiegenden Grund<ref>Vgl. Kodex des kanonischen Rechtes, can. 667 § 4; Propostitio 22,4.</ref> werden zum Gegenstand einer organischen Überlegung auf der Linie des Weges der vom II. Vatikanischen Konzil ausgehenden und bereits verwirklichten Erneuerung.<ref>Vgl. Paul VI., Motu proprio Ecclesiae sanctae (8. Juni 1966), II, 30-31: AAS 58 (1966), 780; II. Vat. Konzil, Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens Perfectae caritatis, 7 und 16; Kongregation für die Ordensleute und die Säkularinstitute, Instruktion über das kontemplative Leben und die Klausur der Nonnen Venite seorsum (15. August 1969), VI: AAS 61 (1969), 686.</ref> Auf diese Weise wird die Klausur in den verschiedenen Formen und Stufen - von der päpstlichen und der konstitutionsmäßigen bis hin zur monastischen Klausur - der Verschiedenheit der kontemplativen Institute und der Traditionen der Klöster besser entsprechen.
Wie die Synode weiter betont hat, sollen darüber hinaus die Vereinigungen und Föderationen zwischen Klöstern gefördert werden, wie sie schon von Pius XII. und vom II. Vatikanischen Konzil empfohlen wurden,<ref>Vgl. Pius XII., Apostolische Konstitution Sponsa christi (21. November 1950): AAS 43 (1951), 18-19; II. Vat. Konzil, Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens Perfectae caritatis, 22.</ref> besonders dort, wo keine anderen wirksamen Formen der Koordinierung und der Hilfe bestehen, um die Werte des kontemplativen Lebens zu schützen und zu fördern. Unter Berücksichtigung der rechtmäßigen Autonomie der Klöster können derartige Organismen in der Tat eine wirksame Hilfe bieten zu angemessener Lösung gemeinsamer Probleme, wie der vorteilhaften Erneuerung der Aus- und Weiterbildung, der gegenseitigen wirtschaftlichen Unterstützung und auch der Reorganisation der Klöster selbst.
Die Ordensbrüder
60. Gemäß der überlieferten Lehre der Kirche ist das geweihte Leben seiner Natur nach weder laikal noch klerikal,<ref>Vgl. Kodex des kanonischen Rechtes, can. 588 § 1.</ref> und darum stellt die "Weihe von Laien", von Männern wie Frauen, einen in sich vollkommenen Stand der Gelübde der evangelischen Räte dar.<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens Perfectae caritatis, 10.</ref> Sie hat daher sowohl für die betreffende Person als auch für die Kirche einen eigenen Wert, unabhängig vom Weiheamt.
Entsprechend der Lehre des II. Vatikanischen Konzils<ref>Vgl. ebd., 8; 10.</ref> hat die Synode hohe Wertschätzung für diese Form des geweihten Lebens ausgesprochen, in der die Ordensbrüder innerhalb und außerhalb der Kommunität verschiedene und wertvolle Dienste vollbringen und so an dem Sendungsauftrag teilnehmen, das Evangelium zu verkünden und es im täglichen Leben durch die Liebe zu bezeugen. Denn einige dieser Dienste können als kirchliche Dienstämter betrachtet werden, die die rechtmäßige Autorität ihnen überträgt. Dies erfordert eine angemessene und vollständige Ausbildung: menschlich, geistlich, theologisch, pastoral und beruflich.
Nach geltendem Sprachgebrauch heißen die Institute, die durch Entscheidung des Stifters oder kraft einer rechtmäßigen Überlieferung eine Eigenart und Zielsetzung haben, die nicht die Ausübung der heiligen Weihe einschließen, "laikale Institute".<ref>Kodex des kanonischen Rechtes, can. 588 § 3; vgl. II. Vat. Konzil, Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens Perfectae caritatis, 10.</ref> Doch wurde auf der Synode klar herausgestellt, dass diese Bezeichnung die besondere Eigenart der Berufung der Mitglieder solcher Ordensinstitute nicht angemessen zum Ausdruck bringt. Denn auch wenn sie viele Dienste ausführen, die ebenso den gläubigen Laien gemeinsam sind, tun sie es mit ihrer Identität geweihter Personen und bringen so den Geist der Ganzhingabe an Christus und an die Kirche gemäß ihrem spezifischen Charisma zum Ausdruck.
Um jede Zweideutigkeit und Verwechslung mit dem Weltcharakter der gläubigen Laien zu vermeiden,<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 31.</ref> haben deshalb die Synodenväter die Bezeichnung Ordensinstitute der Brüder vorgeschlagen.<ref>Vgl. Propositio 8.</ref> Der Vorschlag ist bedeutungsvoll, vor allem wenn man bedenkt, dass die Bezeichnung "Bruder" auch auf eine reiche Spiritualität hinweist. "Diese Ordensmänner sind berufen, Brüder Christi zu sein, mit ihm, ,dem Erstgeborenen von vielen Brüdern' (Röm 8,29), eng verbunden; Brüder untereinander zu sein in der gegenseitigen Liebe und in der Zusammenarbeit im selben Dienst zum Wohl der Kirche; Brüder eines jeden Menschen zu sein durch das Zeugnis der Liebe Christi zu allen, besonders den Niedrigsten und Bedürftigsten; Brüder zu sein für eine größere Brüderlichkeit in der Kirche".<ref>Johannes Paul II., Ansprache bei der Generalaudienz (22. Februar 1995), 6: L'Osservatore Romano, 23. Febr. 1995, S. 4.</ref> Während die "Ordensbrüder" in besonderer Weise diesen Aspekt des christlichen und zugleich geweihten Lebens leben, erinnern sie die Ordenspriester wirksam an die fundamentale Dimension der Brüderlichkeit in Christus, die untereinander und mit jedem Menschen gelebt werden muss, und verkündigen allen das Wort des Herrn: "Ihr alle seid Brüder" (Mt 23,8).
In diesen "Ordensinstituten der Brüder" hindert nichts daran, dass einige Mitglieder für den priesterlichen Dienst in der eigenen Ordenskommunität die heiligen Weihen empfangen,<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens Perfectae caritatis, 10.</ref> wenn das Generalkapitel dies festgelegt hat. Doch das II. Vatikanische Konzil bietet dazu keine ausdrückliche Ermutigung, eben weil es wünscht, dass die Institute der Brüder ihrer Berufung und Sendung treu bleiben. Das gilt auch für den Zugang zum Amt des Superiors, wenn man bedenkt, dass dies in besonderer Weise die Natur des Instituts widerspiegelt. Anders ist die Berufung der Brüder in jenen Instituten, die als "klerikal" bezeichnet werden, weil sie aufgrund des Planes des Stifters oder kraft einer rechtmäßigen Überlieferung die Ausübung der heiligen Weihe vorsehen, unter der Leitung von Klerikern stehen und von der Autorität der Kirche als solche anerkannt sind.<ref>Vgl. Kodex des kanonischen Rechtes, can. 588 § 2.</ref> In diesen Instituten ist das Weiheamt eben grundlegend für das Charisma und bestimmt dessen Eigenart, Zielsetzung und Geist. Die Anwesenheit von Brüdern stellt eine differenzierte Beteiligung am Auftrag des Instituts durch Dienste dar, die im Zusammenwirken mit jenen, die das Priesteramt ausüben, sowohl innerhalb der Kommunitäten als auch in den apostolischen Werken geleistet werden.
Gemischte Institute
61. Einige Ordensinstitute, die aufgrund des ursprünglichen Planes des Stifters die Gestalt von Brüdergemeinschaften hatten, in denen alle Mitglieder - Priester und Nichtpriester - untereinander als gleich angesehen wurden, haben im Laufe der Zeit einen verschiedenen Charakter angenommen. Diese so genannten "gemischten" Institute sollen auf der Grundlage der Vertiefung des eigenen Gründungscharismas erwägen, ob eine Rückkehr zur ursprünglichen Inspiration angebracht und möglich ist.
Die Synodenväter haben den Wunsch geäußert, dass in diesen Instituten allen Personen des geweihten Lebens gleiche Rechte und Pflichten zuerkannt werden, ausgenommen jene, die sich aus der heiligen Weihe ergeben.<ref>Vgl. Propositio 10; II. Vat. Konzil, Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens Perfectae caritatis, 15.</ref> Zur Prüfung und Lösung der mit dieser Frage verbundenen Probleme ist eine eigene Kommission eingerichtet worden, deren Beschlüsse man abwarten sollte, um dann entsprechend der autoritätsgemäßen Entscheidung die angebrachten Wahlen zu treffen.
Neue Formen evangelischen Lebens
62. Der Heilige Geist, der zu verschiedenen Zeiten zahlreiche Formen des geweihten Lebens geweckt hat, steht der Kirche unaufhörlich bei sowohl dadurch, dass er in den bereits bestehenden Instituten das Engagement zur Erneuerung in Treue zum ursprünglichen Charisma fördert, als auch dadurch, dass er Männern und Frauen unserer Zeit neue Charismen zuteilt, damit sie Institutionen ins Leben rufen, die auf die Herausforderungen von heute eine Antwort geben können. Ein Zeichen für dieses göttliche Eingreifen sind die so genannten Neugründungen, die im Vergleich zu den herkömmlichen Instituten in gewisser Weise originäre Wesenszüge aufweisen.
Die Originalität der neuen Gemeinschaften besteht häufig darin, dass es sich um gemischte Gruppen aus Frauen und Männern, aus Klerikern und Laien, aus Verheirateten und zölibatär Lebenden handelt, die einen besonderen Lebensstil befolgen, der sich bisweilen an der einen oder anderen traditionellen Form inspiriert oder sich an die Bedürfnisse der heutigen Gesellschaft anpaßt. Auch die Verpflichtung zu einem Leben nach dem Evangelium findet in unterschiedlichen Formen Ausdruck, während als allgemeine Ausrichtung sich ein intensives Verlangen nach dem Gemeinschaftsleben, nach der Armut und nach dem Gebet abzeichnet. Die Leitung wird je nach ihren Kompetenzen Klerikern und Laien übertragen, und das apostolische Ziel öffnet sich den Erfordernissen der Neuevangelisierung.
Wenn auch angesichts des Wirkens des Geistes einerseits Grund zur Freude besteht, muss man andererseits die Unterscheidung der Charismen vornehmen. Um von geweihtem Leben sprechen zu können, gilt grundsätzlich, dass sich die spezifischen Wesenszüge der neuen Gemeinschaften und Lebensformen tatsächlich auf die dem geweihten Leben eigenen wesentlichen theologischen und kanonischen Elemente gründen.<ref>Vgl. Kodex des kanonischen Rechtes, can. 573; Kodex der Kanones der Orientalischen Kirchen, can. 410.</ref> Diese Unterscheidung ist sowohl auf Orts- als auch auf Universalebene notwendig, um dem einen Geist gemeinsam Gehorsam zu leisten. In den Diözesen überprüfe der Bischof das Lebenszeugnis und die Rechtgläubigkeit von Stiftern und Stifterinnen solcher Gemeinschaften, ihre Spiritualität, die kirchliche Gesinnung bei der Erfüllung ihrer Sendung, die Ausbildungsmethoden und die Formen der Eingliederung in die Gemeinschaft; er beurteile mit Weisheit eventuelle Schwachheiten, indem er geduldig auf die Überprüfung der Früchte wartet, um die Echtheit des Charismas erkennen zu können (vgl. Mt 7,16).<ref>Vgl. Propositio 13, B.</ref> Insbesondere wird er ersucht, im Lichte klarer Kriterien die Eignung all derer in diesen Gemeinschaften festzustellen, die um Zulassung zu den heiligen Weihen bitten.<ref>Vgl. Propositio 13, C.</ref>
Kraft desselben Unterscheidungsgrundsatzes können in die besondere Kategorie des geweihten Lebens jene an sich lobenswerten Formen des Engagements nicht einbezogen werden, das einige christliche Eheleute in kirchlichen Vereinigungen oder Bewegungen zeigen, wenn sie in der Absicht, ihre Liebe, die schon "geweiht" ist wie im Ehesakrament,<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 48.</ref> zur Vollkommenheit zu bringen, mit einem Gelübde die Pflicht der eigenen Keuschheit im Eheleben bestätigen und, ohne ihre Pflichten gegenüber den Kindern zu vernachlässigen, die Armut und den Gehorsam geloben.<ref>Vgl. Propositio 13, A.</ref> Die notwendige Präzisierung bezüglich der Art einer solchen Erfahrung möchte diesen besonderen, an seinen Gaben und Anregungen unendlich reichen Weg der Heiligung, an der das Wirken des Heiligen Geistes sicher nicht unbeteiligt ist, nicht unterbewerten.
Angesichts des großen Reichtums an Gaben und Erneuerungsimpulsen scheint es zweckmäßig, eine Kommission für Fragen in bezug auf die neuen Formen des geweihten Lebens mit dem Ziel zu errichten, Kriterien für die Echtheit festzulegen, die bei der Unterscheidung und bei den Entscheidungen hilfreich sein sollen.<ref>Vgl. Propositio 13, B.</ref> Diese Kommission wird unter anderen Aufgaben im Lichte der Erfahrung der letzten Jahrzehnte bewerten müssen, welche neuen Weiheformen die kirchliche Autorität mit pastoraler Klugheit und zum allgemeinen Nutzen offiziell anerkennen und den Gläubigen, die nach einem vollkommeneren christlichen Leben verlangen, vorschlagen könne.
Diese neuen Vereinigungen eines Lebens nach dem Evangelium sind keine Alternativen zu den früheren Institutionen, die weiter den hervorragenden Platz einnehmen, den die Überlieferung ihnen eingeräumt hat. Auch die neuen Formen sind eine Gabe des Geistes, damit die Kirche ihrem Herrn mit steter hochherziger Begeisterung folge und aufmerksam auf den Ruf Gottes achte, der sich durch die Zeichen der Zeit offenbart. So zeigt sie sich der Welt in der Mannigfaltigkeit der Formen von Heiligkeit und Diensten, was "Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit"<ref>II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 1.</ref> ist. Die alten Institute, von denen viele zwar härteste Prüfungen durchgemacht, aber sich Jahrhunderte lang tapfer gehalten haben, können eine Bereicherung erfahren, wenn sie mit den in unserer Zeit entstehenden Gründungen den Dialog aufnehmen und Gaben austauschen.
Auf diese Weise wird die Lebenskraft der verschiedenen Einrichtungen des geweihten Lebens, von den ältesten bis zu den jüngsten, ebenso wie die Lebendigkeit der neuen Gemeinschaften die Treue zum Heiligen Geist fördern, der Ursprung der Gemeinschaft und ewiger Erneuerung des Lebens ist.
III. Der Blick in die Zukunft
Schwierigkeiten und Perspektiven
63. Die Veränderungen, die in der Gesellschaft in Gang sind, und der Rückgang an Berufungen lasten schwer auf dem geweihten Leben in einigen Gegenden der Welt. Die apostolischen Werke vieler Institute und selbst ihre Anwesenheit in manchen Ortskirchen stehen auf dem Spiel. Wie schon öfter in der Geschichte, gibt es sogar Institute, deren Existenz Gefahr läuft aufzuhören. Die Universalkirche ist ihnen außerordentlich dankbar für den großartigen Beitrag, den sie durch ihr Zeugnis und ihren Dienst zum Aufbau der Kirche geleistet haben.<ref>Vgl. Propositio 24.</ref> Die heutige besorgniserregende Situation macht ihre Verdienste und die Früchte, die dank ihrer Mühen zur Reife gelangten, keineswegs zunichte.
Für andere Institute wiederum stellt sich mehr das Problem der Reorganisation der Werke. Diese nicht einfache und nicht selten schmerzvolle Aufgabe erfordert Studium und Unterscheidung im Licht bestimmter Kriterien. So gilt es zum Beispiel den Sinn des eigenen Charismas zu wahren, das geschwisterliche Leben zu fördern, die Bedürfnisse sowohl der Gesamt- als auch der Teilkirche zu berücksichtigen, sich um das zu kümmern, was die Welt vernachlässigt, großzügig und mutig, wenn auch mit notgedrungen spärlichen Eingriffen, auf die neuen Formen von Armut, vor allem an den verlassensten Orten, zu antworten.<ref>Vgl. Kongregation für die Institute des gottgeweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens, Instruktion Das brüderliche Leben in Gemeinschaft "Congregavit nos in unum Christi amor" (2. Februar 1994), 67: Vatikanstadt 1994, S. 85-86.</ref> Die verschiedenen Schwierigkeiten, die vom Rückgang an Personal und an Initiativen herrühren, dürfen auf keinen Fall zu einem Vertrauensverlust in die evangelische Kraft des geweihten Lebens führen, die in der Kirche immer vorhanden und wirksam sein wird. Auch wenn die einzelnen Institute kein Vorrecht auf ihren Fortbestand haben, wird das geweihte Leben weiterhin unter den Gläubigen die Antwort der Liebe zu Gott und zu den Brüdern und Schwestern fördern. Darum gilt es, die historische Wechselfolge eines bestimmten Instituts oder einer Form des geweihten Lebens von der kirchlichen Sendung des geweihten Lebens als solchem zu unterscheiden. Ersteres kann sich mit der Veränderung der Situationen ändern, die zweite aber ist zum Nichtvergehen bestimmt.
Das gilt sowohl für das geweihte Leben in der kontemplativen Form als auch für jenes, das sich den Werken des Apostolats widmet. Es ist in seiner Gesamtheit unter dem immer neuen Wirken des Geistes bestimmt, weiterzubestehen als leuchtendes Zeugnis der unauflöslichen Einheit von Gottesliebe und Nächstenliebe, als lebendige Erinnerung an die auch menschliche und soziale Fruchtbarkeit der Gottesliebe. Man muss sich daher den neuen Notsituationen mit der Gelassenheit desjenigen stellen, der weiß, dass von jedem einzelnen nicht so sehr der Erfolg als die Verpflichtung zur Treue verlangt wird. Was unbedingt vermieden werden muss, ist die wirkliche Niederlage des geweihten Lebens, die nicht in der zahlenmäßigen Abnahme, sondern im Schwinden der geistlichen Hinwendung zum Herrn und zur eigenen Berufung und Sendung besteht. Hingegen wird durch treues Ausharren in ihr mit großer Wirksamkeit auch gegenüber der Welt das eigene feste Vertrauen in den Herrn der Geschichte bekannt, in dessen Händen die Zeit und die Geschicke der einzelnen, der Institutionen, der Völker und somit auch die geschichtliche Ausführung seiner Gaben liegen. Die schmerzlichen Krisensituationen sind für die Personen des geweihten Lebens ein Ansporn, mit Festigkeit den Glauben an den Tod und die Auferstehung Christi zu verkünden, um zum sichtbaren Zeichen des Durchgangs vom Tod zum Leben zu werden.
Neuaufschwung der Berufungspastoral
64. Die Sendung des geweihten Lebens und die Lebenskraft der Institute hängen gewiß von der Treueverpflichtung ab, mit der die Personen des geweihten Lebens auf ihre Berufung antworten, sie haben aber nur in dem Maße Zukunft, in dem andere Männer und Frauen den Ruf des Herrn hochherzig annehmen. Das Problem der Berufungen ist eine echte Herausforderung, die direkt die Institute betrifft, aber die ganze Kirche mit einbezieht. Auf dem Gebiet der Berufungspastoral werden große geistige und materielle Energien eingesetzt, doch die Ergebnisse entsprechen nicht immer den Erwartungen und Anstrengungen. So kann es geschehen, dass die Berufungen zum geweihten Leben in den jungen Kirchen und in jenen, die unter Verfolgungen durch totalitäre Regime gelitten haben, blühen, während es in den traditionellerweise an Berufungen - auch für die Mission - reichen Ländern mangelt. Diese schwierige Lage stellt die Personen des geweihten Lebens auf die Probe und sie fragen sich mitunter: haben wir etwa die Fähigkeit verloren, neue Berufungen anzuziehen? Man muss Vertrauen in den Herrn Jesus setzen, der immer noch in seine Nachfolge ruft, und sich dem Heiligen Geist anvertrauen, dem Urheber und Anstifter der Charismen des geweihten Lebens. Während wir uns also über das Wirken des Geistes freuen, der die Braut Christi dadurch verjüngt, dass er das geweihte Leben in vielen Nationen blühen lässt, müssen wir inständig zum Herrn der Ernte beten, damit er Arbeiter in seine Kirche sende, um sie für die dringenden Erfordernisse der Neuevangelisierung bereit zu machen (vgl. Mt 9,37-38). Außer der Förderung des Gebets um Berufungen ist es dringend notwendig, sich durch eine klare Verkündigung und eine entsprechende Katechese darum zu bemühen, bei den zum geweihten Leben Berufenen jene freie, aber bereite und hochherzige Antwort zu fördern, die die Gnade der Berufung wirksam werden lässt.
Die Einladung Jesu: "Kommt und seht!" (Joh 1,39) ist noch heute die goldene Regel der Berufungspastoral. Diese setzt sich zum Ziel, nach dem Beispiel der Stifter und Stifterinnen den Glanz der Person des Herrn Jesus und die Schönheit der Ganzhingabe seiner selbst an die Sache des Evangeliums zu zeigen. Vorrangige Aufgabe aller Personen des geweihten Lebens ist es also, mutig durch Wort und Beispiel das Ideal der Nachfolge Christi vorzustellen und dann die Antwort auf die Impulse des Heiligen Geistes in den Herzen der Berufenen zu unterstützen.
Auf die Begeisterung der ersten Begegnung mit Christus wird natürlich die geduldige Mühe um die Entsprechung im täglichen Leben folgen, das die Berufung zu einer Geschichte der Freundschaft mit dem Herrn macht. Zu diesem Zweck bedient sich die Berufungspastoral geeigneter Hilfsmittel, wie der geistlichen Führung, um jene persönliche Antwort der Liebe zum Herrn zu fördern, die wesentliche Bedingung ist, um Jünger und Apostel seines Reiches zu werden. Auch wenn das Blühen von Berufungen, wie es sich in verschiedenen Teilen der Welt zeigt, Optimismus und Hoffnung rechtfertigt, so darf der Mangel in anderen Regionen weder zur Mutlosigkeit noch zur Versuchung zu leichfertigen und unbedachten Anwerbungen verleiten. Die Aufgabe der Förderung von Berufungen muss so erfüllt werden, dass sie zunehmend als eine gemeinsame Verpflichtung der ganzen Kirche erscheint.<ref>Vgl. Propositio 48, A.</ref> Sie erfordert daher die aktive Zusammenarbeit von Seelsorgern, Ordensleuten, Familien und Erziehern, wie es einem Dienst zusteht, der integraler Bestandteil der Gesamtpastoral jeder Teilkirche ist. Es soll daher in jeder Diözese diesen gemeinsamen Dienst geben, der die Kräfte koordiniert und vermehrt, ohne jedoch die für Berufungen entwickelte Aktivität jedes einzelnen Instituts zu beeinträchtigen, ja vielmehr diese zu fördern.<ref>Vgl. Propositio 48, B.</ref>
Diese von der Vorsehung getragene tätige Zusammenarbeit des ganzen Gottesvolkes wird notwendigerweise die Fülle der göttlichen Gaben anregen. Die christliche Solidarität möge den Notwendigkeiten der Ausbildung von Berufungen in den wirtschaftlich ärmeren Ländern weithin entgegenkommen. Die Förderung von Berufungen in diesen Nationen soll von den verschiedenen Instituten in vollem Einklang mit den Ortskirchen auf der Grundlage einer aktiven und langfristigen Einbeziehung in ihre Pastoral vorgenommen werden.<ref>Vgl. Propositio 48, C.</ref> Die zutreffendste Art, das Wirken des Geistes zu unterstützen, wird es sein, großzügig die besten Kräfte in die Berufungsaktivität zu investieren, besonders durch entsprechende Hingabe an die Jugendpastoral.
Die Aufgabe der Anfangsausbildung
65. Besondere Aufmerksamkeit hat die Synodenversammlung der Ausbildung dessen vorbehalten, der die Absicht hat, sich dem Herrn zu weihen,<ref>Vgl. Propositio 49, A.</ref> indem ihre entscheidende Bedeutung anerkannt wird. Zentrales Ziel des Ausbildungsweges ist die Vorbereitung des einzelnen auf seine Ganzhingabe an Gott in der Nachfolge Christi zum Dienst der Sendung. "Ja" zu sagen auf den Ruf des Herrn und persönlich die Dynamik des Wachsens der Berufung anzunehmen, liegt in der unveräußerlichen Verantwortung eines jeden Berufenen, der den Raum seines Lebens für das Wirken des Heiligen Geistes öffnen muss; es heißt, den Ausbildungsweg mit Edelmut beschreiten und in Treue die Fürsprache annehmen, die der Herr und die Kirche anbieten.<ref>Vgl. Kongregation für die Institute des gottgeweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens, Instruktion Potissimum institutioni (2. Februar 1990), 29: AAS 82 (1990), 493.</ref>
Die Ausbildung wird daher die Person in ihrem tiefsten Inneren erreichen müssen, so dass jede ihrer Verhaltensweisen oder Gebärden sowohl in den wichtigen Augenblicken als auch in den gewöhnlichen Lebensumständen ihre volle und frohe Zugehörigkeit zu Gott enthülle.<ref>Vgl. Propositio 49, B.</ref> Da das Ziel des geweihten Lebens in der Gleichgestaltung mit dem Herrn Jesus und in der Ganzhingabe an ihn<ref>Vgl. Kongregation für die Ordensleute und Säkularinstitute, Instruktion Essential elements in the Church's teaching as applied to Institutes dedicated to works of the apostolate (31. Mai 1983), 45: Ench. Vat., 9, 229.</ref> besteht, muss die Ausbildung vor allem auf dieses abzielen. Es handelt sich um einen Weg der fortschreitenden Assimilierung der Gesinnung Christi an den Vater.
Wenn dies der Zweck des geweihten Lebens ist, wird die Methode, die darauf vorbereitet, das Merkmal der Ganzheit annehmen und ausdrücken müssen. Sie muss Ausbildung der ganzen Person<ref>Vgl. Kodex des kanonischen Rechtes, can. 607 § 1.</ref> sein, in jedem Aspekt ihrer Individualität, im Verhalten wie in den Absichten. Es ist klar, dass gerade wegen des Strebens nach der Umgestaltung der ganzen Person die Aufgabe der Bildung niemals aufhört. Es ist tatsächlich notwendig, dass den Personen des geweihten Lebens bis zum Ende die Chance geboten wird, im Festhalten am Charisma und an der Sendung ihres Instituts zu wachsen.
Die Ausbildung soll, um vollständig zu sein, alle Bereiche des christlichen Lebens und des geweihten Lebens umfassen. Es ist daher eine menschliche, kulturelle, spirituelle und pastorale Vorbereitung vorzusehen, wobei besonders darauf zu achten ist, dass die harmonische Integration der verschiedenen Aspekte begünstigt wird. Für die Anfangsausbildung, die als Entwicklungsprozess verstanden wird, der jede Stufe der persönlichen Reifung - von der psychologischen und geistlichen bis hin zur theologischen und pastoralen - durchläuft, muss ein ausreichender Zeitraum vorgesehen werden. Im Fall der Berufungen zum Priestertum fällt dieser mit einem spezifischen Studienprogramm als Teil eines umfassenderen Ausbildungsganges zusammen und wird mit ihm in Einklang gebracht.
Das Werk der Ausbilder und Ausbilderinnen
66. Gott Vater ist in der ständigen Gabe Christi und des Geistes im wahrsten Sinne des Wortes der Ausbilder dessen, der sich ihm weiht. Aber bei diesem Werk bedient er sich der menschlichen Vermittlung, indem er dem, den er ruft, einige ältere Brüder und Schwestern an die Seite stellt. Die Ausbildung ist also Teilhabe am Handeln des Vaters, der durch den Geist im Herzen der jungen Männer und Frauen die Gesinnung des Sohnes formt. Die Ausbilder und Ausbilderinnen müssen daher erfahrene Personen auf dem Weg der Suche nach Gott sein, um auch andere auf diesem Weg begleiten zu können. Wenn sie auf das Wirken der Gnade achten, werden sie in der Lage sein, auch auf die weniger augenfälligen Hindernisse hinzuweisen, vor allem aber werden sie die Schönheit der Nachfolge des Herrn und den Wert des Charismas aufzeigen, in dem diese sich erfüllt. Im Licht geistlicher Weisheit werden sie das von den menschlichen Mitteln gebotene Wissen verbinden, das eine Hilfe sein kann sowohl in der Entscheidung bezüglich der Berufung als auch in der Ausbildung des neuen Menschen, damit er ganz frei werde. Ein wichtiges Mittel der Ausbildung ist das persönliche Gespräch, das als Gewohnheit von unersetzlicher und erprobter Wirksamkeit mit Regelmäßigkeit und einer gewissen Häufigkeit geführt werden soll.
Angesichts so anspruchsvoller Aufgaben erscheint die Ausbildung geeigneter Ausbilder wirklich wichtig, die in ihrem Dienst eine große Übereinstimmung mit dem Weg der ganzen Kirche gewährleisten sollen. Es wird notwendig sein, entsprechende Strukturen für die Ausbildung der Ausbilder möglichst an Orten zu errichten, wo der Kontakt mit der Kultur möglich ist, innerhalb der sie ihren pastoralen Dienst dann ausüben sollen. Bei diesem Ausbildungswerk sollen die Institute älterer und bewährter Tradition den Instituten jüngerer Gründung durch die Bereitstellung einiger ihrer besten Mitglieder Hilfe leisten.<ref>Vgl. Propositio 50.</ref>
Eine gemeinschaftliche und apostolische Ausbildung
67. Da die Ausbildung auch gemeinschaftlich sein soll, ist die Kommunität für die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens der bevorzugte Ort. In ihr erfolgt die Einweihung in die Mühe und in die Freude des Zusammenlebens. In der Brüderlichkeit lernt ein jeder mit dem zu leben, den Gott neben ihn gestellt hat, indem er seine positiven Wesensmerkmale und zugleich seine Andersartigkeit und seine Grenzen annimmt. Insbesondere lernt er, die für die Erbauung aller empfangenen Gaben mit den anderen zu teilen, denn "jedem wird die Offenbarung des Geistes geschenkt, damit sie anderen nützt" (1 Kor 12, 7).<ref>Vgl. Kongregation für die Institute des gottgeweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens, Instruktion Das brüderliche Leben in Gemeinschaft "Congregavit nos in unum Christi amor" (2. Februar 1994), 32-33: Vatikanstadt 1994, S. 39-42.</ref> Gleichzeitig soll das Gemeinschaftsleben von der ersten Ausbildung an die missionarische Dimension der Weihe an Gott zeigen. Darum wird es während der Anfangsausbildung in den Instituten des geweihten Lebens nützlich sein, konkrete und vom Ausbilder bzw. von der Ausbilderin umsichtig begleitete Erfahrungen zu machen, um im Dialog mit der umgebenden Kultur apostolische Verhaltensweisen, Anpassungsfähigkeit und Unternehmungsgeist zu üben.
Wenn es einerseits wichtig ist, dass die Person des geweihten Lebens sich nach und nach ein im Sinne des Evangeliums kritisches Bewusstsein gegenüber den Werten und Unwerten der eigenen und jener Kultur bildet, der sie in ihrem künftigen Arbeitsbereich begegnen wird, so muss sie sich andererseits in der schwierigen Kunst der Einheit des Lebens, der gegenseitigen Durchdringung der Liebe zu Gott und der Liebe zu den Brüdern und Schwestern üben und dabei erfahren, dass das Gebet die Seele des Apostolates ist, aber auch, dass das Apostolat das Gebet belebt und anregt.
Die Notwendigkeit einer vollständigen und zeitgemäßen ratio
68. Eine ausdrückliche Dauer der Ausbildung, die bis zur ewigen Profess reichen soll, wird auch den weiblichen Instituten ebenso wie den männlichen bzw. den Ordensbrüdern empfohlen. Das gilt im wesentlichen auch für die Klausurgemeinschaften, die sich im Hinblick auf eine authentische Ausbildung zum kontemplativen Leben und auf ihren besonderen Auftrag in der Kirche um die Ausarbeitung eines angemessenen Programms bemühen sollen. Die Synodenväter haben alle Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens inständig gebeten, sobald wie möglich eine ratio institutionis, d.h. einen am Charisma des Instituts inspirierten Ausbildungsplan zu erarbeiten, in dem klar und dynamisch der Weg dargelegt wird, der gegangen werden muss, um sich die Spiritualität des eigenen Instituts vollkommen anzueignen. Die ratio antwortet heute auf eine echte Notwendigkeit: sie zeigt einerseits auf, wie der Geist des Instituts vermittelt werden soll, damit er von den jungen Generationen in der Unterschiedlichkeit der Kulturen und der geographischen Lagen unverfälscht gelebt werde; andererseits erläutert sie den Personen des geweihten Lebens die Wege, um den gleichen Geist in den verschiedenen Lebensphasen im Fortschreiten auf die volle Reife des Glaubens an Christus hin zu leben. Wenn es also zutrifft, dass die Erneuerung des geweihten Lebens hauptsächlich von der Ausbildung abhängt, so ist es ebenfalls richtig, dass diese ihrerseits an die Fähigkeit gebunden ist, eine an geistlicher und pädagogischer Weisheit reiche Methode vorzuschlagen, die den, der sich Gott zu weihen wünscht, nach und nach dahin führt, die selbstlose Gesinnung Christi, des Herrn, anzunehmen. Die Ausbildung ist ein Lebensprozess, durch den sich der Mensch bis in die Tiefen seines Seins zum Wort Gottes bekehrt und zugleich die Kunst erlernt, in der Wirklichkeit der Welt die Zeichen Gottes zu suchen. In einer Zeit wachsender Verdrängung der religiösen Werte aus der Kultur ist dieser Ausbildungsweg in doppeltem Sinn bedeutsam: dank diesem vermag die Person des geweihten Lebens nicht nur Gott weiterhin mit den Augen des Glaubens in einer Welt zu "sehen", die seine Gegenwart ignoriert, sondern es gelingt ihr auch, durch das Zeugnis des eigenen Charismas seine Gegenwart irgendwie "wahrnehmbar" zu machen.
Die ständige Weiterbildung
69. Die ständige Weiterbildung ist sowohl für die Institute des apostolischen Lebens als auch für die des kontemplativen Lebens eine für die Weihe an Gott wesentliche Forderung. Der Ausbildungsprozess beschränkt sich, wie gesagt, nicht auf seine Anfangsphase, weil nun einmal wegen der menschlichen Grenzen die Person des geweihten Lebens niemals annehmen kann, sie habe das Heranwachsen jenes neuen Menschen vollendet, der in sich in jeder Lebenssituation die Gesinnung Christi erfährt. Die Anfangsausbildung muss sich darum mit jener ständigen Weiterbildung verbinden, die im Menschen die Bereitschaft erzeugt, sich an jedem Tag des Lebens bilden zu lassen.<ref>Vgl. Propositio, 51.</ref>
Infolgedessen wird es sehr entscheidend sein, dass jedes Institut als Teil der ratio institutionis die möglichst präzise und systematische Definition eines Planes für die ständige Weiterbildung vorsieht, dessen Hauptzweck es sein soll, jede Person des geweihten Lebens mit einem das ganze Leben umfassenden Programm zu begleiten. Keiner kann umhin, sich seinem menschlichen und religiösen Wachstum zu widmen, so wie sich keiner anmaßen kann, sein Leben in Selbstgenügsamkeit zu führen. Keine Lebensphase kann sich für so sicher und eifrig halten, dass man die Notwendigkeit besonderer Vorsichtsmaßnahmen ausschließen soll, um so das Ausharren in der Treue zu gewährleisten, ebenso wie es kein Alter gibt, das die Reifung der Person als beendet ansehen könnte.
In einem Dynamismus der Treue
70. Es gibt eine Jugendlichkeit des Geistes, die zeitlich weiterbesteht: sie steht in Verbindung mit der Tatsache, dass der einzelne für jeden Lebensabschnitt eine andere zu erfüllende Aufgabe, eine besondere Seinsweise, eine besondere Art zu dienen und zu lieben sucht und findet.<ref>Vgl. Kongregation für die Institute des gottgeweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens, Instruktion Das brüderliche Leben in Gemeinschaft "Congregavit nos in unum Christi amor" (2. Februar 1994), 43-45: Vatikanstadt 1994, S. 52-57.</ref>
Im geweihten Leben stellen die ersten Jahre der vollen Eingliederung in die apostolische Tätigkeit eine an und für sich kritische Phase dar, die gekennzeichnet ist vom Übergang aus einem gelenkten Leben in eine Situation der vollen tätigen Verantwortlichkeit. Es ist wichtig, dass junge Personen des geweihten Lebens von einem Mitbruder oder einer Mitschwester unterstützt und begleitet werden, der oder die ihnen helfen soll, die jugendliche Frische ihrer Liebe und ihrer Begeisterung für Christus voll zu leben.
In der anschließenden Phase kann sich das Risiko der Gewohnheit und die daraus folgende Versuchung zur Enttäuschung über die Dürftigkeit der Ergebnisse einstellen. Da gilt es nun, den Personen des geweihten Lebens des mittleren Lebensalters zu helfen, im Lichte des Evangeliums und der charismatischen Inspiration ihre ursprüngliche Option neu zu überdenken, wobei die Vollständigkeit der Hingabe nicht mit der Vollständigkeit des Ergebnisses verwechselt werden darf. Dadurch wird es möglich, der eigenen Entscheidung neuen Schwung und neue Motivationen zu geben. Es ist die Phase der Suche nach dem Wesentlichen.
Die Phase des reifen Alters kann zusammen mit dem persönlichen Wachstum die Gefahr eines gewissen Individualismus mit sich bringen, der sowohl von der Furcht, nicht mehr in die Zeit zu passen, als auch von Phänomenen wie Erstarrung, Aufhören und Erschlaffung begleitet ist. Hier hat die ständige Weiterbildung den Zweck zu helfen, damit nicht nur eine höhere geistliche und apostolische Lebenshaltung wiedererlangt, sondern auch die besondere Eigenart dieser Lebensphase entdeckt wird. Nach Läuterung einiger Aspekte der Persönlichkeit steigt in dieser Lebensphase tatsächlich die Selbsthingabe mit größerer Lauterkeit und Hochherzigkeit zu Gott empor und kommt ruhiger, diskreter und zugleich transparenter und gnadenreicher auf die Brüder und Schwestern nieder. Das ist das Geschenk und die Erfahrung der geistlichen Vater- und Mutterschaft.
Das fortgeschrittene Alter wirft neue Probleme auf, denen man mit einem umsichtigen Programm der spirituellen Haltung vorbeugend begegnen muss. Das zunehmende Sich-Zurückziehen aus dem aktiven Wirken, in manchen Fällen Krankheit und notgedrungene Untätigkeit, stellen eine Erfahrung dar, die in hohem Maße formend sein kann. Obwohl dieser Rückzug oft schmerzlich ist, bietet er der Person des geweihten Lebens dennoch die Gelegenheit, sich von der österlichen Erfahrung formen zu lassen<ref>Vgl. Kongregation für die Institute des gottgeweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens, Instruktion Potissimum institutioni (2. Februar 1990), 70: AAS 82 (1990), 513-514.</ref> und die Gestalt des gekreuzigten Christus anzunehmen, der in allem den Willen des Vaters erfüllt und sich in seine Händen gibt, bis er ihm den Geist zurückgibt. Diese Gleichgestaltung ist eine neue Weise, die Weihe an Gott zu leben, die nicht an die Effizienz einer Führungsaufgabe oder einer apostolischen Arbeit gebunden ist.
Wenn dann der Augenblick kommt, um sich mit der letzten Stunde der Passion des Herrn zu vereinen, weiß die Person des geweihten Lebens, dass der Vater in ihm jenen geheimnisvollen, vor langer Zeit eingeleiteten Bildungsprozess nunmehr beendet. Der Tod wird nun als der letzte Akt der Liebe und Selbsthingabe erwartet und vorbereitet.
Es muss hinzugefügt werden, dass jedes Alter, unabhängig von den verschiedenen Lebensphasen, kritische Situationen kennenlernen kann durch die Einwirkung äußerer Faktoren - Orts- oder Amtswechsel, Schwierigkeiten bei der Arbeit oder apostolischer Mißerfolg, Unverständnis oder Ausgrenzung usw. - oder persönlicher Faktoren im engeren Sinn - physische oder psychische Erkrankung, geistliche Leere, Trauer, Probleme zwischenmenschlicher Beziehungen, starke Versuchungen, Glaubens- oder Identitätskrisen, Gefühl der Bedeutungslosigkeit, und ähnliches. Wenn die Treue schwieriger wird, muss dem einzelnen mehr Vertrauen und größere Liebe auf persönlicher wie gemeinschaftlicher Ebene als Hilfe entgegengebracht werden. Dabei ist vor allem die liebevolle Nähe des Oberen nötig; großer Trost wird auch von der geeigneten Hilfe eines Bruders oder einer Schwester kommen, dessen oder deren zuvorkommende und aufmerksame Anwesenheit zur Wiederentdeckung des Sinnes des Bundes führen kann, den Gott als erster geschlossen hat und nicht zu widerrufen gedenkt. So wird der Geprüfte schließlich Läuterung und Entäußerung als wesentliche Handlungen der Nachfolge des gekreuzigten Christus annehmen. Die Prüfung selbst wird ihm als Ausbildungsmittel der Vorsehung in den Händen des Vaters erscheinen, nicht nur als psychologischer Kampf, der vom Ich mit Bezug auf sich selbst und auf seine Schwächen geführt wird, sondern als religiöser Kampf, der jeden Tag von der Gegenwart Gottes und von der Macht des Kreuzes gekennzeichnet ist!
Dimensionen der ständigen Weiterbildung
71. Wenn die Person Subjekt der Ausbildung in jeder Lebensphase ist, so ist das Ziel der Ausbildung die Ganzheit des Menschen, der aufgerufen ist, Gott zu suchen und "mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft" (Dtn 6,5) zu lieben und den Nächsten wie sich selbst (vgl. Lev 19,18; Mt 22,37-39). Die Liebe zu Gott und zu den Brüdern und Schwestern ist ein mächtiger Dynamismus, der den Weg des Wachstums und der Treue ständig zu inspirieren vermag.
Das Leben im Geist hat seinen selbstverständlichen Vorrang. In ihm findet die Person des geweihten Lebens wieder ihre Identität und eine tiefe heitere Ruhe, wächst in der Aufmerksamkeit auf die täglichen Herausforderungen des Gotteswortes und lässt sich von der ursprünglichen Inspiration seines Instituts leiten. Unter dem Wirken des Heiligen Geistes werden die Zeiten des Gebetes, der Stille und der Einsamkeit fest verteidigt, und die Gabe der Weisheit wird inständig vom Himmel in der Mühsal des Alltags erfleht (vgl. Weish 9,10). Die menschliche und brüderliche Dimension erfordert die Erkenntnis seiner selbst und die der eigenen Grenzen, um daraus die notwendige Anregung und Unterstützung auf dem Weg zur vollen Befreiung zu gewinnen. Von besonderer Bedeutung sind in der heutigen Situation die innere Freiheit der Person des geweihten Lebens, seine gefühlsmäßige Integration, die Kommunikationsfähigkeit mit allen, besonders in der eigenen Kommunität, die Gelassenheit des Geistes und das Mitgefühl mit dem Leidenden, die Liebe zur Wahrheit sowie der klare Zusammenhang zwischen Wort und Tat.
Die apostolische Dimension öffnet Verstand und Herz der Person des geweihten Lebens und macht sie bereit für ein ständiges aktives Bemühen als Zeichen der Liebe Christi, die sie drängt (vgl. 2 Kor 5,14). In der Praxis bedeutet dies die zeitgemäße Erneuerung der Methoden und Zielsetzungen der apostolischen Tätigkeiten in Treue zum Geist und zur Zielsetzung des Gründers oder der Gründerin sowie zu den in der Folge gereiften Traditionen, unter Beachtung der veränderten historischen und kulturellen, allgemeinen und lokalen Verhältnisse des Umfeldes, in dem man sich betätigt.
Die kulturelle und berufliche Dimension schließt auf der Grundlage einer soliden theologischen Ausbildung, die zur Unterscheidung befähigt, eine ständige zeitgemäße Erneuerung und eine besondere Beachtung der verschiedenen Bereiche ein, auf die jedes einzelne Charisma verweist. Es ist daher notwendig, geistig offen und möglichst anpassungsfähig zu bleiben, damit der Dienst gemäß den Erfordernissen der Zeit geplant und durchgeführt wird, indem man sich der vom kulturellen Fortschritt bereitgestellten Mittel bedient.
In der Dimension des Charismas schließlich finden sich alle anderen Forderungen gesammelt, wie in einer Synthese, die eine dauernde Vertiefung der eigenen besonderen Weihe in ihren verschiedenen Komponenten - nicht nur in der apostolischen, sondern auch in der asketischen und mystischen - verlangt. Das schließt für jedes Mitglied ein eifriges Studium des Geistes des Institutes, dem es angehört, seiner Geschichte und seiner Sendung ein, um dessen persönliche und gemeinschaftliche Assimilation zu verbessern.<ref>Vgl. ebd., 68: a.a.O., 512.</ref>
Kapitel III: Servitium Caritatis - Das geweihte Leben, Sichtbarwerden der Liebe Gottes in der Welt
Geweiht für die Sendung
72. Nach dem Bilde Jesu, des geliebten Sohnes, "den der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat" (Joh 10,36), werden auch diejenigen, die Gott in seine Nachfolge ruft, geheiligt und in die Welt gesandt, um sein Beispiel nachzuahmen und seine Sendung fortzusetzen. Grundsätzlich gilt das für jeden Jünger. Doch in besonderer Weise gilt es für alle, die in der charakteristischen Form des geweihten Lebens dazu berufen sind, Christus "aus nächster Nähe" zu folgen und ihn "zum Ganzen" ihrer Existenz zu machen. In dem Anruf an sie ist daher die Aufgabe enthalten, sich vollständig der Sendung zu widmen: ja, das geweihte Leben wird unter dem Wirken des Heiligen Geistes, dem Ursprung jeder Berufung und jedes Charismas, selbst zur Sendung, wie es das ganze Leben Jesu gewesen ist. Das Bekenntnis zu den evangelischen Räten, das die Person des geweihten Lebens für die Sache des Evangeliums völlig frei macht, offenbart auch unter diesem Gesichtspunkt seine Bedeutung. Man darf also behaupten, dass die Sendung für jedes Institut wesentlich ist, nicht nur für die des tätigen apostolischen Lebens, sondern auch für die des beschaulichen Lebens. Denn noch ehe sich die Sendung durch äußere Werke kennzeichnet, entfaltet sie sich dadurch, dass sie durch das persönliche Zeugnis für die Welt Christus selbst gegenwärtig macht. Das ist die Herausforderung, das ist die erstrangige Aufgabe des geweihten Lebens! Je mehr man Christus gleichförmig wird, umso gegenwärtiger und wirksamer macht man ihn in der Welt zum Heil der Menschen.
Man kann also sagen, die Person des geweihten Lebens ist "in Mission" eben kraft ihrer Weihe selbst, die entsprechend dem Plan des eigenen Instituts bezeugt ist. Wenn das Gründungscharisma pastorale Tätigkeiten vorsieht, sind offensichtlich Lebenszeugnis und Werke des Apostolats oder menschlicher Förderung in gleicher Weise notwendig: beide stellen Christus dar, der geheiligt ist zur Ehre des Vaters und zugleich in die Welt gesandt zum Heil der Brüder und Schwestern.<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 46.</ref>
Das Ordensleben nimmt noch mit einem anderen, ganz besonderen Element an der Sendung Christi teil: dem geschwisterlichen Leben in Gemeinschaft für die Sendung. Das Ordensleben wird daher um so apostolischer sein, je inniger seine Hingabe an den Herrn Jesus, je brüderlicher seine gemeinschaftliche Lebensform, je glühender die Einbeziehung in die besondere Sendung des Instituts ist.
Im Dienste Gottes und des Menschen
73. Das geweihte Leben hat die prophetische Aufgabe, sich auf Gottes Plan in bezug auf die Menschen zu besinnen und ihm zu dienen, wie es von der Schrift verkündet wird und wie es aus einem aufmerksamen Lesen der Zeichen des weisen Wirkens Gottes in der Geschichte hervorgeht. Es ist der Plan für eine gerettete und versöhnte Menschheit (vgl. Kol 2,20-22). Um diesen Dienst in angemessener Weise zu erfüllen, müssen die Personen des geweihten Lebens eine tiefe Gotteserfahrung haben und sich die Herausforderungen der Zeit bewusst machen, indem sie deren tiefe theologische Bedeutung durch die mit Hilfe des Heiligen Geistes gewirkte Unterscheidung erfassen. In der Tat verbirgt sich in den geschichtlichen Ereignissen oft der Anruf Gottes, nach seinem Plan durch eine aktive und fruchtbare Einbeziehung in die Belange unserer Zeit zu wirken.<ref>Vgl. Propositio 35, A.</ref>
Die Unterscheidung der Zeichen der Zeit muss, wie das Konzil sagt, im Lichte des Evangeliums vorgenommen werden, damit man "auf die bleibenden Fragen der Menschen nach dem Sinn des gegenwärtigen und des zukünftigen Lebens und nach dem Verhältnis beider zueinander Antwort geben kann".<ref>II. Vat. Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 4.</ref> Es ist daher notwendig, das Herz für die inneren Eingebungen des Geistes zu öffnen, der dazu einlädt, die Zeichen der Vorsehung in ihrer Tiefe zu erfassen. Er ruft das geweihte Leben, auf die neuen Probleme der Welt von heute neue Antworten zu erarbeiten. Das sind göttliche Mahnungen, die nur Menschen, die gewohnt sind, in allem den Willen Gottes zu suchen, getreu aufzunehmen und dann mutig in Entscheidungen umzusetzen vermögen, die sowohl mit dem ursprünglichen Charisma als auch mit den Erfordernissen der konkreten geschichtlichen Situation übereinstimmen. Angesichts der zahlreichen Probleme und Nöte, die das geweihte Leben mitunter zu gefährden oder gar mit sich zu reißen scheinen, müssen die Berufenen die Aufgabe wahrnehmen, die vielen Bedürfnisse der ganzen Welt im Herzen und im Gebet zu tragen und zugleich eifrig auf den zum Gründungscharisma gehörenden Gebieten tätig zu sein. Ihre Hingabe wird offensichtlich von dem übernatürlichen Unterscheidungsvermögen geleitet sein müssen und wird das, was vom Geist kommt, von dem zu unterscheiden wissen, was ihm entgegengesetzt ist (vgl. Gal 5,16-17.22; 1 Joh 4,6). Er bewahrt durch die Treue zur Ordensregel und zu den Konstitutionen die volle Gemeinschaft mit der Kirche.<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 12.</ref>
Auf diese Weise wird sich das geweihte Leben nicht darauf beschränken, die Zeichen der Zeit zu lesen, sondern es wird dazu beitragen, auch neue Pläne der Evangelisierung für die Situationen der heutigen Zeit auszuarbeiten und zu verwirklichen. Das alles geschieht in der Glaubensgewißheit, dass der Geist auch auf die schwierigsten Fragen die geeigneten Antworten zu geben vermag. In diesem Zusammenhang gilt es wiederzuentdecken, was die großen Hauptvertreter der apostolischen Tätigkeit schon immer gelehrt haben: man muss auf Gott vertrauen, als hinge alles von ihm ab, und sich gleichzeitig so großherzig einsetzen, als hinge alles von uns ab.
Kirchliche Zusammenarbeit und apostolische Spiritualität
74. Alles muss in Gemeinschaft und im Dialog mit den anderen Mitgliedern der Kirche getan werden. Die Herausforderungen an die Sendung sind so groß, dass sie ohne die Zusammenarbeit aller Glieder der Kirche sowohl bei der Unterscheidung als auch beim Tun nicht wirksam angegangen werden können. Die einzelnen verfügen kaum über die entscheidende Antwort: diese kann hingegen aus der Gegenüberstellung und dem Dialog entspringen. Insbesondere wird es die durch die verschiedenen Charismen tätige Gemeinschaft nicht unterlassen, außer einer gegenseitigen Bereicherung eine ausgeprägtere Wirksamkeit in der Sendung sicherzustellen. Die Erfahrung dieser Jahre bestätigt weitgehend, dass "der neue Name der Liebe ,Dialog' ist",<ref>Paul VI., Enzyklika Ecclesiam suam (6. August 1964), III: AAS 56 (1964), 639.</ref> besonders jener kirchlichen Liebe; der Dialog hilft, die Probleme in ihren tatsächlichen Dimensionen zu sehen, und ermöglicht, sie mit größerer Hoffnung auf Erfolg anzugehen. Das geweihte Leben stellt sich auf Grund der Tatsache, dass es den Wert des geschwisterlichen Lebens pflegt, als bevorzugte Dialogerfahrung dar. Es kann daher zur Schaffung eines Klimas gegenseitiger Annahme beitragen, in dem die verschiedenen Personen der Kirche, während sie sich aufgewertet fühlen durch das, was sie sind, in überzeugterer Weise der auf die große universale Sendung ausgerichteten kirchlichen Gemeinschaft zustreben.
Die in der einen oder der anderen Form des apostolischen Dienstes tätigen Institute müssen schließlich eine solide Spiritualität der Tätigkeit pflegen, die in allen Dingen Gott und alle Dinge in Gott sieht. "Man muss nämlich wissen, dass, wie das gute geordnete Leben danach strebt, vom tätigen zum kontemplativen Leben überzugehen, die Seele so meistens in nützlicher Weise aus dem kontemplativen in das tätige Leben zurückkehrt, um noch vollkommener das tätige Leben dafür zu bewahren, was das beschauliche Leben im Herzen entzündet hat. Das tätige Leben soll uns also ins beschauliche hinüberführen und bisweilen soll uns die Kontemplation aufgrund dessen, was wir im Inneren sehen, besser zum Handeln anleiten".<ref>Hl. Gregor der Grosse, Hom. in Ezech., II, II, 11: PL 76, 954-955.</ref> Jesus selbst hat uns das vollkommene Beispiel gegeben, wie man die Gemeinschaft mit dem Vater mit einem intensiven tätigen Leben vereinen kann. Ohne das ständige Streben nach dieser Einheit lauert im Hinterhalt ständig die Gefahr der inneren Ermattung, der Orientierungslosigkeit und der Entmutigung. Die enge Verbindung zwischen Beschaulichkeit und Tätigkeit wird es heute wie gestern ermöglichen, sich den schwierigsten Aufträgen zu stellen.
I. Die Liebe bis zum Ende
Mit dem Herzen Christi lieben
75. "Da er die Seinen, die in der Welt waren, liebte, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung. Es fand ein Mahl statt [...], Jesus stand vom Mahl auf [...] und begann, den Jüngern die Füße zu waschen und mit dem Leinentuch abzutrocknen, mit dem er umgürtet war" (Joh 13,1-2.4-5).
Bei der Fußwaschung macht Jesus die Tiefe der Liebe Gottes zum Menschen offenbar: in ihm stellt sich Gott selber in den Dienst der Menschen! Zugleich enthüllt er den Sinn des christlichen Lebens und noch mehr des geweihten Lebens, das ein Leben hingebungsbereiter Liebe, konkreten und selbstlosen Dienstes ist. Da das geweihte Leben sich in die Nachfolge des Menschensohnes stellt, "der nicht gekommen ist, um sich dienen zu lassen, sondern zu dienen" (Mt 20,28), ist es, zumindest in den besten Zeiten seiner langen Geschichte, durch dieses "Waschen der Füße" gekennzeichnet, das heißt durch den Dienst besonders an den Ärmsten und Bedürftigsten. Wenn das geweihte Leben sich einerseits in das erhabene Geheimnis des Wortes vertieft, das bei Gott war (vgl. Joh 1,1), so folgt es andererseits eben demselben Wort, das Fleisch wird (vgl. Joh 1,14), sich erniedrigt, sich demütigt, um den Menschen zu dienen. Die Personen, die Christus auf dem Weg der evangelischen Räte folgen, beabsichtigen auch dort hinzugehen, wo Christus hingegangen ist, und das zu tun, was er getan hat.
Er ruft unablässig neue Jünger, Männer und Frauen zu sich, um ihnen durch die Ausgießung des Geistes (vgl. Röm 5,5) die göttliche Agape, seine Art zu lieben mitzuteilen und sie so anzuspornen, in demütiger Selbsthingabe, fernab von eigennützigen Überlegungen, den anderen zu dienen. An Petrus, der in ekstatischer Begeisterung über den Glanz der Verklärung ausruft: "Herr, es ist gut, dass wir hier sind" (Mt 17,4), ergeht die Einladung, auf die Straßen der Welt zurückzukehren, um weiterhin dem Reich Gottes zu dienen: "Steige hinab, Petrus; du wolltest auf dem Berge ausruhen: steige hinab; verkündige das Wort, greife bei jeder Gelegenheit ein, sei es gelegen oder ungelegen, tadle, ermahne und ermuntere mit aller Großmut und mit jeder Art von Unterweisung. Arbeite, strenge dich sehr an, nimm auch Leiden und Qualen auf dich, damit du mittels des Glanzes und der Schönheit der guten Werke in der Liebe das besitzen mögest, was im Glanz der Kleider des Herrn versinnbildlicht ist".<ref>Hl. Augustinus, Sermo 78, 6: PL 38, 492.</ref> Der auf das Angesicht des Herrn gerichtete Blick schwächt im Apostel den Einsatz für den Menschen nicht; im Gegenteil, er verstärkt ihn noch, weil er den Apostel mit einer neuen Fähigkeit zum Einwirken auf die Geschichte ausstattet, um sie von allem Entstellenden zu befreien.
Die Suche nach der göttlichen Schönheit veranlasst die Personen des geweihten Lebens dazu, sich für das in den Gesichtern von Brüdern und Schwestern entstellte göttliche Abbild zu sorgen, Gesichter, die durch Hunger verzerrt, Gesichter, die von politischen Versprechungen enttäuscht sind, gedemütigte Gesichter, die die Schmähung ihrer Kultur erleben, erschrockene Gesichter angesichts täglicher und wahlloser Gewalt, verängstigte Gesichter von Minderjährigen, Gesichter beleidigter und gedemütigter Frauen, müde Gesichter von Emigranten, die keine würdige Aufnahme finden, Gesichter alter Menschen ohne geringste Voraussetzungen für ein würdiges Leben".<ref>Vgl. IV. Generalversammlung der Lateinamerikanischen Bischöfe, Dokument Neuevangelisierung, menschliche Förderung und christliche Kultur, Schluss, Nr. 178, CELAM 1992.</ref> So beweist das geweihte Leben durch die Beredtheit der Werke, dass die göttliche Liebe Fundament und Ansporn zu selbstloser und tätiger Liebe ist. Davon war der hl. Vinzenz von Paul überzeugt, als er den Schwestern von der Liebe folgendes Lebensprogramm gab: "Der Geist der Gesellschaft besteht in der Hingabe an Gott, um unseren Herrn zu lieben und ihm in der Person der materiell und geistlich Armen in ihren Häusern oder anderswo zu dienen, um die armen jungen Mädchen, die Kinder und ganz allgemein alle zu unterrichten, die Euch die göttliche Vorsehung schickt".<ref>Correspondance, Entretiens, Documents. Conférence "Sur l'esprit de la Compagnie" (9. Februar 1653), Coste IX, Paris 1923, S. 592.</ref>
Unter den verschiedenen möglichen Bereichen der Liebe ist heutzutage jener, der der Welt die Liebe "bis zur Vollendung" auf besondere Weise offenbar macht, mit Gewissheit die begeisterte Verkündigung Jesu Christi an all jene, die ihn noch nicht kennen, an jene, die ihn vergessen haben, und vorzugsweise an die Armen.
Der besondere Beitrag des geweihten Lebens zur Evangelisierung
76. Der besondere Beitrag der Personen des geweihten Lebens zur Evangelisierung besteht vor allem im Zeugnis eines Lebens der vollständigen Hingabe an Gott und an die Brüder und Schwestern in der Nachfolge des Erlösers, der sich aus Menschenliebe zum Knecht gemacht hat. Denn im Heilswerk kommt alles aus der Teilhabe an der göttlichen Agape. Die Personen des geweihten Lebens machen in ihrer Weihe und Ganzhingabe die liebende und heilbringende Gegenwart Christi sichtbar, der vom Vater geheiligt und in die Welt gesandt wurde.<ref>Vgl. Kongregation für die Ordensleute und die Säkularinstitute, Instruktion Essential Elements in the Church's teaching on religious life as applied to Institutes dedicated to works of the apostolate (31. Mai 1983), 23-24: Ench. Vat., 9, 202-204.</ref> Wenn sie sich von ihm ergreifen lassen (vgl. Phil 3,12), sind sie bereit, gewissermaßen zu einer Verlängerung seines Menschseins zu werden.<ref>Vgl. Sel. Elisabeth von der Dreifaltigkeit, O mom Dieu, Trinité que j'adore, Œuvres complètes, Paris 1991, 199-200.</ref> Das geweihte Leben ist beredter Ausdruck dafür, dass einer, je mehr er aus Christus lebt, ihm um so besser in den anderen dienen kann, indem er bis in die vorderste Missionsfront vorstößt und größte Risiken auf sich nimmt.<ref>Vgl. Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi (8. Dezember 1975), 69: AAS 68 (1976), 59.</ref>
Die erste Evangelisierung: den Völkern Christus verkündigen
77. Wer Gott, den Vater aller, liebt, muss auch den Nächsten lieben, in denen er ebenso Brüder und Schwestern erkennt. Gerade deswegen kann er angesichts der Feststellung, dass viele von ihnen die volle Bezeigung der Liebe Gottes in Christus nicht kennen, nicht indifferent bleiben. Im Gehorsam gegenüber dem Gebot Christi entsteht hier der missionarische Elan ad gentes, den jeder bewusste Christ mit der Kirche teilt, die ihrer Natur nach missionarisch ist. Ein Aufschwung, der vor allem von den Mitgliedern der Institute sowohl des kontemplativen als auch des tätigen Lebens wahrgenommen wird.<ref>Vgl. Propositio 37, A.</ref> Denn die Personen des geweihten Lebens haben die Aufgabe, auch unter den Nichtchristen<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 46; Paul VI., Apostol. Schreiben Evangelii nuntiandi (8. Dezember 1975), 69: AAS 68 (1976), 59.</ref> den keuschen, armen, gehorsamen, betenden und missionarischen Christus gegenwärtig zu machen.<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 44, 46.</ref> Wenn sie auf dynamische Weise ihrem Charisma treu bleiben, müssen sie sich auf Grund ihrer innigen Weihe an Gott<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad gentes, 18; 40.</ref> in eine besondere Mitwirkung an der Missionstätigkeit der Kirche miteinbezogen fühlen. Das von Theresia von Lisieux wiederholt geäußerte Verlangen, "dich zu lieben und dich lieben zu lassen", der glühende Wunsch des hl. Franz Xaver, dass "viele, die die Wissenschaften studieren, über die Rechenschaft nachdenken sollten, die Gott, unser Herr, von ihnen und bezüglich des ihnen übergebenen Talents verlangen wird; viele würden davon abrücken und sich jenen Mitteln und jenen geistlichen Exerzitien zuwenden, die den göttlichen Willen im eigenen Herzen erkennen und spüren lassen, und sie würden sich so mehr nach dem göttlichen Willen richten als nach den eigenen Neigungen und sagen: "Herr, hier bin ich, was willst du, dass ich tue? Sende mich, wohin du willst",<ref>Brief an seine in Rom lebenden Gefährten (Cochin, 15. Januar 1544): Monumenta Historica Societatis Iesu 67 (1944), 166-167.</ref> und andere ähnliche Zeugnisse unzähliger Heiliger stellen das unaufhebbare missionarische Bestreben heraus, das das geweihte Leben unterscheidet und kennzeichnet.
Anwesend in jedem Winkel der Erde
78. "Die Liebe Christi drängt uns" (2 Kor 5,14): diese Worte sollten die Mitglieder jedes Instituts mit dem Apostel wiederholen können, weil es Aufgabe des geweihten Lebens ist, in jedem Teil der Welt für die Festigung und Ausbreitung des Reiches Christi zu arbeiten, indem sie die Botschaft des Evangeliums überallhin, auch in die entferntesten Gegenden bringen.<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium 44.</ref> In der Tat zeugt die Missionsgeschichte von dem großartigen Beitrag, der von ihnen zur Evangelisierung der Völker geleistet worden ist: von den ältesten monastischen Familien bis hin zu den jüngsten Gründungen, die ausschließlich in der Mission "ad gentes" engagiert sind, von den Instituten des tätigen Lebens bis hin zu jenen, die sich der Beschaulichkeit widmen,<ref>Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Redemptoris missio (7. Dezember 1990), 69: AAS 83 (1991), 317-318; Katechismus der katholischen Kirche, 927.</ref> haben zahllose Personen ihre Kräfte in dieser "wesentlichen und nie abgeschlossenen Haupttätigkeit der Kirche"<ref>Johannes Paul II., Enzyklika Redemptoris missio (7. Dezember 1990), 31: AAS 83 (1991) 277.</ref> eingesetzt, da diese sich an die wachsende Vielzahl derjenigen wendet, die Christus nicht kennen.
Auch heute verlangt diese Verpflichtung weiterhin dringend die Mitwirkung der Institute des geweihten Lebens und der Gesellschaften des apostolischen Lebens: die Verkündigung des Evangeliums Christi erwartet von ihnen den größtmöglichen Beitrag. Auch die Institute, die in den jungen Kirchen entstehen oder tätig sind, werden aufgefordert, sich der Mission unter den Nichtchristen innerhalb und außerhalb ihrer Heimat zu öffnen. Trotz begreifbarer Schwierigkeiten, die manche von ihnen durchmachen mögen, ist es gut, alle daran zu erinnern, dass, wie "der Glaube stark wird durch Weitergabe",<ref>Ebd., 2: a.a.O., 251.</ref> die Mission das geweihte Leben stärkt, ihm neue Begeisterung und neue Motivationen verleiht und es zur Treue anspornt. Die Missionstätigkeit bietet ihrerseits breiten Raum für die Aufnahme der verschiedenen Formen des geweihten Lebens.
Den Frauen des geweihten Lebens, den Ordensbrüdern und den Mitgliedern der Säkularinstitute bietet die Mission ad gentes besondere und außergewöhnliche Chancen für ein besonders ausgeprägtes apostolisches Wirken. Letztere können dann durch ihre Präsenz in den verschiedenen typischen Bereichen der laikalen Berufung eine wertvolle Evangelisierungsarbeit entfalten im Hinblick auf die Umgebung, die Strukturen und sogar auf die Gesetze, die das Zusammenleben regeln. Außerdem können sie an der Seite von Menschen, die noch nichts von Jesus wissen, von den Werten des Evangeliums Zeugnis geben und damit einen spezifischen Beitrag zur Mission leisten.
Es muss betont werden, dass in den Ländern, wo nichtchristliche Religionen Wurzel gefasst haben, die Anwesenheit des geweihten Lebens sowohl durch erzieherische, karitative und kulturelle Tätigkeiten als auch durch dessen kontemplative Ausprägung enorme Bedeutung gewinnt. Deshalb soll in den neuen Kirchen besonders zur Gründung kontemplativer Gemeinschaften ermutigt werden, da "das beschauliche Leben zur vollen Anwesenheit der Kirche gehört".<ref> II. Vat. Konzil, Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad gentes, 18; vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Redemptoris missio (7. Dezember 1990), 69: AAS 83 (1991), 317-318.</ref> Es ist sodann notwendig, mit geeigneten Mitteln, sei es durch die Entsendung von Missionaren und Missionarinnen, sei es durch die gebührende Hilfe der Institute des geweihten Lebens an die ärmeren Diözesen, eine angemessene Versorgung des geweihten Lebens in seinen verschiedenen Formen zu fördern, um einen neuen Impuls zur Evangelisierung zu geben.<ref>Vgl. Propositio 38.</ref>
Christusverkündigung und Inkulturation
79. Die Verkündigung Christi "hat in der Mission der Kirche jederzeit Vorrang"<ref>Johannes Paul II., Enzyklika Redemptoris missio (7. Dezember 1990), 44: AAS 83 (1991), 290.</ref> und hat die Bekehrung zum Ziel, d.h. die volle und ehrliche Zustimmung zu Christus und seinem Evangelium.<ref>Vgl. ebd., 46: a.a.O., 292.</ref> In das Gesamtbild der missionarischen Tätigkeit treten auch der Prozess der Inkulturation und der interreligiöse Dialog. Die Herausforderung der Inkulturation wird von den Personen des geweihten Lebens als Appell zu einem fruchtbaren Zusammenwirken mit der Gnade bei der Annäherung an die verschiedenen Kulturen aufgegriffen. Voraussetzung dafür sind ernsthafte persönliche Vorbereitung, reifes Unterscheidungsvermögen, treues Festhalten an den unverzichtbaren Kriterien für die Rechtgläubigkeit in der Lehre sowie für die Authentizität und kirchliche Gemeinschaft.<ref>Vgl. ebd., 52-54: a.a.O., 299-302.</ref> Gestützt auf das Charisma der Stifter und Stifterinnen haben viele Personen des geweihten Lebens es verstanden, den verschiedenen Kulturen in der Verhaltensweise Jesu nahezukommen, der "sich entäußerte und wurde wie ein Sklave" (Phil 2,7), und in geduldigem und mutigem Bemühen um Dialog haben sie nützliche Kontakte zu den verschiedensten Völkern hergestellt und dabei allen den Weg zum Heil verkündet. Auch heute sind viele von ihnen in der Lage, in der Geschichte einzelner Personen und ganzer Völker Spuren der Gegenwart Gottes zu suchen und aufzuspüren, der die ganze Menschheit zum Erkennen der Zeichen seines Erlösungswillens führt. Dieses Suchen erweist sich für die Personen des geweihten Lebens selbst als Vorteil: sie können in der Tat durch die in den verschiedenen Zivilisationen entdeckten Werte angespornt werden, den eigenen Eifer zur Betrachtung und zum Gebet zu erhöhen, das gemeinschaftliche Miteinander und die Gastfreundschaft intensiver zu praktizieren sowie mit größerer Aufmerksamkeit die Achtung vor der Person und vor der Natur zu pflegen.
Für eine echte Inkulturation sind Verhaltensweisen vonnöten, die jenen des Herrn ähnlich sind, als er Mensch geworden und mit Liebe und Demut in unsere Mitte gekommen ist. In diesem Sinne macht das geweihte Leben die Menschen besonders dafür geeignet, die umfassende, mühsame Arbeit der Inkulturation anzugehen, weil dies sie an das Abstandnehmen von den Dingen und sogar von so vielen Aspekten der eigenen Kultur gewöhnt. Wenn die Personen des geweihten Lebens sich mit dieser Verhaltensweise dem Studium und dem Verständnis der Kulturen widmen, können sie in ihnen besser die echten Werte erkennen und die Art und Weise, in der sie mit Hilfe ihres Charismas diese Werte aufnehmen und vervollkommnen können.<ref>Vgl. Propositio 40, A.</ref> Man darf freilich nicht vergessen, dass in vielen alten Kulturen der religiöse Ausdruck so tief integriert ist, dass die Religion oft die transzendentale Dimension der Kultur selbst darstellt. In diesem Fall ist eine echte Inkulturation notwendigerweise mit einem ernsthaften, offenen interreligiösen Dialog verbunden, der "nicht in Gegensatz zur Mission ad gentes" steht und "nicht von der Verkündigung des Evangeliums enthebt".<ref>Johannes Paul II., Enzyklika Redemptoris missio (7. Dezember 1990), 55: AAS 83 (1991), 302; vgl. Päpstlicher Rat für den interreligiösen Dialog und Kongregation für die Evangelisierung der Völker, Instruktion Dialog und Verkündigung, Überlegungen und Orientierungen (19. Mai 1991), 45-46: AAS 84 (1992), 429-430.</ref>
Die Inkulturation des geweihten Lebens
80. Das geweihte Leben, das an und für sich Träger der Werte des Evangeliums ist, kann seinerseits dort, wo es authentisch gelebt wird, einen originellen Beitrag zu den Herausforderungen der Inkulturation leisten. Da es in der Tat ein Zeichen für den Vorrang Gottes und seines Reiches ist, wird es zu einer Provokation, die im Dialog das Gewissen der Menschen aufrütteln kann. Wenn das geweihte Leben die ihm eigene prophetische Kraft bewahrt, wird es innerhalb einer Kultur zum Sauerteig des Evangeliums, der zu ihrer Reinigung und Entwicklung beizutragen vermag. Dies beweist die Geschichte zahlreicher heiliger Männer und Frauen, die es in verschiedenen Epochen verstanden, jeweils in ihre Zeit einzutauchen, ohne sich von ihr untertauchen zu lassen, wobei sie aber ihrer Generation neue Wege aufzeigten. Der evangeliumsgemäße Lebensstil ist eine wichtige Quelle für den Vorschlag eines neuen Kulturmodells. Wie viele Stifter und Stifterinnen haben, wenn auch mit allen von ihnen selbst anerkannten Einschränkungen, manche Forderungen ihrer Zeit aufgegriffen und ihre Antwort darauf gegeben, die dann zu einem kulturellen Erneuerungsvorschlag geworden ist.
Die Gemeinschaften der Ordensinstitute und der Gesellschaften des apostolischen Lebens können in der Tat konkrete und bedeutsame kulturelle Vorschläge anbieten, wenn sie von der Art des Evangeliums Zeugnis ablegen: die gegenseitige Annahme in der Verschiedenheit zu leben und die Autorität, die Teilung sowohl der materiellen wie der geistlichen Güter, die Internationalität, die Zusammenarbeit zwischen den Kongregationen sowie das Hinhören auf die Männer und Frauen unserer Zeit zu üben. Die Denk- und Handlungsweise dessen, der Christus mehr aus der Nähe folgt, bringt in der Tat eine echte und eigene Kultur der Beziehung hervor und dient dazu aufzudecken, was unmenschlich ist, und gibt Zeugnis davon, dass Gott allein den Werten Kraft und Erfüllung verleiht. Eine echte Inkulturation wird ihrerseits den Personen des geweihten Lebens helfen, entsprechend dem Charisma ihres Instituts und dem Wesen der Menschen, mit denen sie in Kontakt treten, die Radikalität des Evangeliums zu leben. Aus solch einer fruchtbaren Beziehung gehen Lebensweisen und pastorale Methoden hervor, die sich als echter Reichtum für das ganze Institut werden erweisen können, wenn sich deren Übereinstimmung mit dem vom Stifter vorgesehenen Charisma und mit dem Einheit stiftenden Wirken des Heiligen Geistes ergibt. In diesem Prozess, der aus Unterscheidung und Unerschrockenheit, Dialog und Herausforderung im Geist des Evangeliums besteht, wird vom Heiligen Stuhl, dem die Aufgabe obliegt, die Evangelisierung der Kulturen zu ermutigen, die diesbezüglichen Entwicklungen für authentisch zu erklären und die Ergebnisse im Hinblick auf die Inkulturation zu bestätigen,<ref>Vgl. Propositio 40, B.</ref> eine Gewähr für den richtigen Weg angeboten, "eine schwierige und heikle Aufgabe, denn sie stellt die Treue der Kirche zum Evangelium und zur apostolischen Überlieferung in der ständigen Entwicklung der Kulturen in Frage".<ref>Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Ecclesia in Africa (14. September 1995), 62: L'Osservatore Romano, 16. September 1995, S. 5.</ref>
Die Neuevangelisierung
81. Um den großen Herausforderungen, die die gegenwärtige Geschichte an die Neuevangelisierung stellt, in angemessener Weise zu begegnen, bedarf es vor allem eines geweihten Lebens, das sich ständig vom geoffenbarten Wort und von den Zeichen der Zeit befragen lässt.<ref>Vgl. Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi (8. Dezember 1975), 15: AAS 68 (1976), 13-15.</ref> Das Andenken der großen Verkünder des Evangeliums - Männer und Frauen -, die zuvor selbst evangelisiert worden waren, macht offenkundig, dass es zu einem Begegnen mit der heutigen Welt Personen bedarf, die sich voll Liebe dem Herrn und seinem Evangelium weihen. "Die Personen des geweihten Lebens sind auf Grund ihrer besonderen Berufung dazu aufgerufen, die Einheit zwischen Selbstevangelisierung und Zeugnis, zwischen innerer Erneuerung und apostolischem Eifer, zwischen Sein und Handeln sichtbar werden zu lassen, indem sie herausstellen, dass der Dynamismus stets aus dem ersten Element der Wortpaare herrührt".<ref>Bischofssynode, IX. Ordentliche Generalversammlung, Relatio ante disceptationem, 22: L'Osservatore Romano, 3./4. Oktober 1994, S. 12.</ref>
Wie die herkömmliche Evangelisierung, so wird auch die Neuevangelisierung dann wirksam sein, wenn sie von den Dächern zu verkünden vermag, was sie vorher in der innigen Vertraulichkeit mit dem Herrn gelebt hat. Gebraucht werden dafür zuverlässige, vom Eifer der Heiligen beseelte Persönlichkeiten. Die Neuevangelisierung erfordert von den Männern und Frauen des geweihten Lebens, dass sie sich der theologischen Bedeutung der Herausforderungen unserer Zeit voll bewusst sind. Diese Herausforderungen müssen im Hinblick auf die Erneuerung der Mission durch aufmerksame und gemeinsame Abwägung geprüft werden. Der Mut zur Verkündigung des Herrn Jesus muss von dem Vertrauen in das Wirken der Vorsehung begleitet sein, die in der Welt wirkt und "alles, auch menschliches Mißgeschick, zum größeren Wohl der Kirche bereitstellt".<ref>Johannes XXIII., Ansprache zur Eröffnung des II. Vatikanischen Konzils (11. Oktober 1962): AAS 54 (1962), 789.</ref>
Wichtige Elemente für eine nützliche Einbeziehung der Institute in den Prozess der Neuevangelisierung sind die Treue zum Gründungscharisma, die Gemeinschaft mit all jenen in der Kirche, die in demselben Auftrag engagiert sind, besonders mit den Seelsorgern, und schließlich die Zusammenarbeit mit allen Menschen guten Willens. Dies erfordert eine ernsthafte Beurteilung des Rufes, den der Geist an jedes einzelne Institut ergehen lässt, und zwar sowohl in jenen Gegenden, in denen keine großen Fortschritte unmittelbar vorherzusehen sind, als auch in anderen Regionen, in denen sich ein tröstliches Wiederaufleben ankündigt. Die Personen des geweihten Lebens sollen an jedem Ort und in jeder Situation leidenschaftliche Verkünder des Herrn Jesus sein, bereit, mit der Weisheit des Evangeliums auf die Fragen zu antworten, die heute von der Unruhe des menschlichen Herzens und dessen dringenden Bedürfnissen her gestellt werden.
Die Vorzugsoption für die Armen und die Förderung der Gerechtigkeit
82. Zu Beginn seines öffentlichen Wirkens sagt Jesus in der Synagoge von Nazareth, der Geist habe ihn gesalbt, damit er den Armen eine gute Nachricht bringe, den Gefangenen die Entlassung verkünde, den Blinden das Augenlicht zurückgebe, die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe (vgl. Lk 4,16-19). Die Kirche, die sich die Sendung des Herrn zu eigen macht, verkündet jedem Mann und jeder Frau das Evangelium und trägt damit Sorge für deren vollständiges Heil. Doch mit besonderer Aufmerksamkeit, ja mit einer echten "Vorzugsoption" wendet sie sich allen zu, die sich in einer Situation größerer Schwachheit und daher einer schwerwiegenderen Not befinden. "Arme" in den vielfältigen Dimensionen der Armut sind die Unterdrückten, die Ausgegrenzten, die Alten, die Kranken, die Kleinen und alle, die als "Letzte" in der Gesellschaft angesehen und behandelt werden. Die Option für die Armen wohnt der Dynamik der nach dem Vorbild Christi gelebten Liebe inne. Zu dieser sind daher alle Jünger Christi verpflichtet; diejenigen jedoch, die dem Herrn durch Nachahmung seiner Verhaltensweisen mehr aus der Nähe folgen wollen, müssen sich in ganz besonderer Weise hingezogen fühlen. Die Ehrlichkeit ihrer Antwort auf die Liebe Christi regt sie an, als Arme zu leben und sich der Sache der Armen anzunehmen. Dies bringt für jedes Institut, je nach dem spezifischen Charisma, die Annahme eines bescheidenen und strengen Lebensstils sowohl im persönlichen als auch im Gemeinschaftsleben mit sich. Durch dieses gelebte Zeugnis gestärkt, werden die Personen des geweihten Lebens durch Wege, die mit ihrem Lebensweg übereinstimmen und indem sie gegenüber politischen Ideologien frei bleiben, die Ungerechtigkeiten anzeigen können, die gegen so viele Kinder Gottes begangen werden, und sich für die Förderung der Gerechtigkeit im sozialen Umfeld, in dem sie tätig sind, einsetzen können.<ref>Vgl. Propositio 18.</ref> Auf diese Weise wird die jenen Stiftern und Stifterinnen eigene Hingabe auch in der gegenwärtigen Lage durch das Zeugnis unzähliger Personen des geweihten Lebens eine Erneuerung erfahren, die ihr Leben einsetzten, um dem in den Armen gegenwärtigen Herrn zu dienen. In der Tat "findet man" Christus "auf Erden in der Person seiner Armen [...]. Als Gott reich und als Mensch arm. In der Tat ist der schon reiche Mensch zum Himmel aufgestiegen und sitzt zur Rechten des Vaters, doch hier unten leidet er noch in Armut Hunger und Durst und ist nackt".<ref>Hl. Augustinus, Sermo 123, 3-4: PL 38, 685-686.</ref>
Das Evangelium wird durch die Liebe wirksam, die Ruhm der Kirche und Zeichen ihrer Treue zum Herrn ist. Das beweist die ganze Geschichte des geweihten Lebens, die man als eine lebendige Exegese des Wortes Jesu betrachten kann: "Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan" (Mt 25,40). Viele Institute, besonders in neuerer Zeit, sind entstanden, um eben dem einen oder anderen Bedürfnis der Armen entgegenzukommen. Aber auch dann, wenn diese Zielsetzung nicht bestimmend gewesen ist, waren die durch das Gebet, durch die Annahme und die Gastfreundschaft zum Ausdruck gebrachte Aufmerksamkeit und Sorge für die Bedürftigen stets mit den verschiedenen Formen des geweihten - auch des kontemplativen - Lebens ganz natürlich verbunden. Wie könnte es auch anders sein, da Christus, zu dem man in der Kontemplation gelangt ist, derselbe ist, der in den Armen lebt und leidet? Der hl. Paulinus von Nola, der seinen Besitz an die Armen verteilt hatte, um sich ganz Gott zu weihen, errichtete die Zellen seines Klosters über einem Hospiz, das für die Betreuung der Armen bestimmt war. Er freute sich bei dem Gedanken an diesen einzigartigen "Gabenaustausch": die Armen, denen er geholfen hatte, festigten durch ihr Gebet die "Fundamente" seines Hauses, das ganz dem Lobpreis Gottes gewidmet war.<ref>Vgl. Poema XXI, 386-394: PL 61, 587.</ref> Der hl. Vinzenz von Paul hat seinerseits gern gesagt, wenn er das Gebet unterbrechen musste, um einem Armen in Not beizustehen, dass dies in Wirklichkeit keine Unterbrechung sei, "denn man lässt Gott für Gott zurück".<ref>Correspondance, Entretiens, Documents. Conférence "Sur les Regles" (30. Mai 1647), Coste IX, Paris, S. 319.</ref>
Der Dienst an den Armen ist ein Akt der Evangelisierung und zugleich "Evangelizitäts"-Siegel für das geweihte Leben und Ansporn zu ständiger Bekehrung, denn - wie der hl. Gregor der Große sagt - "wenn die Liebe sich liebevoll herabneigt, um auch für die niedrigsten Bedürfnisse des Nächsten zu sorgen, dann lodert sie bis zu den höchsten Gipfeln empor. Und wenn sie wohlwollend der äußersten Not gehorcht, dann nimmt sie kraftvoll den Höhenflug wieder auf".<ref>Regula Pastoralis 2, 5: PL 77, 33.</ref>
Die Sorge für die Kranken
83. Einer ruhmvollen Tradition folgend üben unzählige Personen des geweihten Lebens, vor allem Frauen, ihr Apostolat, je nach dem Charisma ihres Instituts, in den Bereichen des Gesundheitswesens aus. Viele Personen des geweihten Lebens haben im Laufe der Jahrhunderte ihr Leben im Dienst an den Opfern ansteckender Krankheiten geopfert und haben damit gezeigt, dass die Hingabe bis zum Heroismus zur prophetischen Natur des geweihten Lebens gehört.
Die Kirche blickt mit Bewunderung und Dankbarkeit auf die vielen Personen des geweihten Lebens, die durch ihre Hilfe für die Kranken und Leidenden in bedeutsamer Weise zu ihrer Sendung beitragen. Sie setzen Christi Dienst der Barmherzigkeit fort, der "umherzog, Gutes tat und alle heilte" (Apg 10,38). Indem sie in seine, d.h. in die Fußstapfen des göttlichen Samariters, des Arztes der Seele und des Leibes,<ref>Vgl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Salvifici doloris (11. Februar 1984), 28-30: AAS 76 (1984), 242-248.</ref> treten und dem Beispiel ihrer Stifter bzw. Stifterinnen folgen, sollen die Personen des geweihten Lebens, die vom Charisma ihres Instituts dazu hingeführt werden, in ihrem Zeugnis der Liebe zu den Kranken ausharren, indem sie sich ihnen mit einfühlendem Verständnis und mit tiefer Anteilnahme widmen. Bei ihren Auswahlentscheidungen sollen sie den ärmsten und verlassensten Kranken sowie den Alten, den Behinderten, den Ausgegrenzten, den unheilbar Kranken und den Opfern von Drogenmißbrauch und von neuen Infektionskrankheiten den Vorzug geben. Sie sollen in den Kranken die Aufopferung des eigenen Leidens in Gemeinschaft mit dem zum Heil aller gekreuzigten und verherrlichten Christus fördern,<ref>Vgl. ebd., 18: a.a.O., 221-224; Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christifideles laici (30. Dezember 1988), 52-53: AAS 81 (1989), 496-500.</ref> ja sie sollen in ihnen das Bewusstsein nähren, dass sie mit dem Gebet und mit dem Zeugnis ihres Wortes und Verhaltens durch das besondere Charisma des Kreuzes aktive Personen der Seelsorge sind.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Pastores dabo vobis (25. März 1992), 77: AAS 84 (1992), 794-795.</ref> Außerdem erinnert die Kirche die Personen des geweihten Lebens daran, dass es zu ihrer Sendung gehört, die Bereiche des Gesundheitswesens, in denen sie tätig sind, zu evangelisieren, indem sie versuchen, durch die Vermittlung der Werte des Evangeliums das Leben, das Leiden und das Sterben der Menschen unserer Zeit zu erleuchten. Es ist ihre Aufgabe, sich im Dienst des Evangeliums vom Leben der Humanisierung der Medizin und der Vertiefung der Bioethik zu widmen. Daher sollen sie in voller Übereinstimmung mit der Morallehre der Kirche vor allem die Achtung vor der Person und vor dem menschlichen Leben, von der Empfängnis bis zum natürlichen Ende, fördern<ref>Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Evangelium vitae (25. März 1995), 78-101: AAS 87 (1995), 490-518.</ref> und dazu auch Ausbildungszentren einrichten<ref>Vgl. Propositio 43.</ref> und mit den kirchlichen Einrichtungen der Krankenpastoral brüderlich zusammenarbeiten.
II. Ein prophetisches Zeugnis angesichts großer Herausforderungen
Das Prophetentum des geweihten Lebens
84. Der prophetische Charakter des geweihten Lebens wurde von den Synodenvätern nachdrücklich betont. Dieser stellt sich wie eine besondere Form der Teilhabe an dem prophetischen Amt Christi dar, die dem ganzen Volk Gottes vom Geist mitgeteilt wird. Es ist ein Prophetentum, das auf Grund der radikalen Christusnachfolge und der konsequenten Hingabe an die Sendung, die sie kennzeichnet, dem geweihten Leben als solchem innewohnt. Die Zeichenhaftigkeit, die das II. Vatikanische Konzil dem geweihten Leben zuerkennt,<ref>Vgl. Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 44.</ref> findet Ausdruck in dem prophetischen Zeugnis von der Vorrangstellung, die Gott und die Werte des Evangeliums im christlichen Leben haben. Kraft dieser Vorrangstellung darf nichts über die persönliche Liebe zu Christus und zu den Armen, in denen er lebt, gestellt werden.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Predigt bei der feierlichen Konzelebration zum Abschluss der IX. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode (29. Oktober 1994), 3: AAS 87 (1995), 580.</ref>
Die Tradition der Kirchenväter hat in Elija, dem furchtlosen Propheten und Gottesfreund, ein Vorbild des monastischen Ordenslebens gesehen.<ref>Vgl. Hl. Anthanasius, Leben des Antonius, 7: PG 26, 854.</ref> Er lebte in der Gegenwart des Herrn und betrachtete in der Stille seinen Vorübergang, legte Fürsprache für das Volk ein und verkündete mutig den Willen Gottes, verteidigte seine Rechte und erhob sich, um die Armen gegen die Mächtigen der Welt zu verteidigen (vgl. 1 Kön 18-19). In der Kirchengeschichte hat es neben anderen Christen nicht an Männern und Frauen des gottgeweihten Lebens gefehlt, die kraft einer besonderen Gabe des Geistes ein glaubwürdiges Prophetenamt ausgeübt haben, wenn sie im Namen Gottes zu allen, auch zu den Hirten der Kirche, sprachen. Die wahre Prophetie entsteht aus Gott, aus der Freundschaft mit ihm, aus dem aufmerksamen Hören seines Wortes in den verschiedenen geschichtlichen Gegebenheiten. Der Prophet fühlt in seinem Herzen die Leidenschaft für die Heiligkeit Gottes brennen, und nachdem er im Dialog des Gebets sein Wort vernommen hat, verkündet er es mit seinem Leben, mit seinen Lippen und Handlungen, indem er sich zum Sprecher Gottes gegen das Böse und die Sünde macht. Das prophetische Zeugnis erfordert die ständige, leidenschaftliche Suche nach dem Willen Gottes, die großherzige und unverzichtbare kirchliche Gemeinschaft, die Übung der geistlichen Unterscheidung und die Liebe zur Wahrheit. Es drückt sich auch durch die Klarstellung von all dem aus, was im Gegensatz zum göttlichen Willen steht, und durch die Erkundung neuer Wege, um das Evangelium in der Geschichte im Hinblick auf das Reich Gottes zu verwirklichen.<ref>Vgl. Propositio 39, A.</ref>
Seine Bedeutung für die Welt von heute
85. In unserer heutigen Welt, in der sich die Spuren Gottes oft zu verlieren scheinen, erweist sich ein starkes prophetisches Zeugnis seitens der Personen des geweihten Lebens als dringend notwendig. Es wird vor allem die Bejahung der Vorrangstellung Gottes und der künftigen Güter betreffen, wie diese sich aus der Nachfolge und Nachahmung des keuschen, armen und gehorsamen Christus erkennen lässt, der sich völlig der Verherrlichung des Vaters und der Liebe zu den Brüdern und Schwestern geweiht hat. Das geschwisterliche Leben ist verwirklichte gegenwärtige Prophetie im Kontext einer Gesellschaft, die ohne sich dessen manchmal bewusst zu sein, eine tiefe Sehnsucht nach einer Geschwisterlichkeit ohne Grenzen hat. Die Treue zum eigenen Charisma ermöglicht es den Personen des geweihten Lebens, an jedem Ort mit der Unerschrockenheit des Propheten, der sich nicht scheut, auch sein Leben zu riskieren, ein wahrhaftiges Zeugnis darzubringen.
Eine innere Überzeugungskraft erwächst der Prophetie aus der Übereinstimmung zwischen Verkündigung und Leben. Die Personen des geweihten Lebens werden ihrer Sendung in Kirche und Welt treu sein, wenn sie imstande sein werden, sich selbst ständig im Licht des Gotteswortes zu prüfen.<ref>Vgl. Propositiones 15, A und 39, C.</ref> Auf diese Weise können sie die anderen Gläubigen mit den empfangenen charismatischen Gaben bereichern, indem sie sich ihrerseits durch die von den anderen Gliedern der Kirche kommenden prophetischen Herausforderungen ansprechen lassen. In diesem Austausch der Gaben, der durch die völlige Übereinstimmung mit dem Lehramt und der Ordnung der Kirche sichergestellt ist, wird das Wirken des Hl. Geistes aufleuchten, der sie "in Gemeinschaft und Dienstleistung eint, sie durch die verschiedenen hierarchischen und charismatischen Gaben bereitet und lenkt".<ref>II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 4; vgl. Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis, 2.</ref>
Eine Treue bis zum Martyrium
86. In unserem Jahrhundert wie in anderen Epochen der Geschichte haben Männer und Frauen des geweihten Lebens durch die Hingabe ihres Lebens Zeugnis von Christus, dem Herrn, gegeben. Tausende, die durch die Verfolgung seitens totalitärer Regime oder gewalttätiger Gruppen zum Leben im Untergrund gezwungen und in ihrer Missionstätigkeit, im Einsatz zugunsten der Armen, in der Sorge und Hilfe für die Kranken und die Menschen am Rande der Gesellschaft behindert waren, haben in langem und heroischem Leiden und oft durch Vergießen des Blutes ihre Weihe an Gott gelebt - und leben sie noch immer - und sind so ganz dem gekreuzigten Herrn gleichförmig geworden. Einigen von ihnen hat die Kirche bereits offiziell die Heiligkeit zuerkannt und ehrt sie damit als Märtyrer Christi. Sie erleuchten uns durch ihr Beispiel, sie leisten Fürbitte für unsere Treue, sie erwarten uns in der Herrlichkeit.
Es besteht der lebhafte Wunsch, dass das Andenken so vieler Glaubenszeugen als Anregung zur Verehrung und Nachahmung im Bewusstsein der Kirche erhalten bleibe. Die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens mögen hierzu beitragen, indem sie die Namen und Zeugnisse aller Personen des geweihten Lebens zusammenstellen, die in das Martyrologium des zwanzigsten Jahrhunderts aufgenommen werden können.<ref>Vgl. Propositio 53; Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Tertio millennio adveniente (10. November 1994), 37: AAS 87 (1995), 29-30.</ref>
Die großen Herausforderungen des geweihten Lebens
87. Die prophetische Aufgabe des geweihten Lebens wird von drei hauptsächlichen Herausforderungen gestellt, die an die Kirche selbst gerichtet sind: es sind die schon immer dagewesenen Herausforderungen, die von der modernen Gesellschaft, zumindest in manchen Teilen der Welt, in neuer und vielleicht radikalerer Form gestellt werden. Sie berühren direkt die evangelischen Räte von Armut, Keuschheit, Gehorsam und spornen die Kirche und insbesondere die Personen des geweihten Lebens an, deren tiefe anthropologische Bedeutung zu erhellen und zu bezeugen. Weit davon entfernt, eine Verarmung echter menschlicher Werte zu begründen, erscheint die Wahl dieser Räte in der Tat vielmehr als ihre Verklärung. Die evangelischen Räte dürfen nicht als Leugnung der Werte angesehen werden, die der Sexualität, dem rechtmäßigen Wunsch nach materiellem Besitz und nach autonomer Selbstentscheidung innewohnen. Diese Neigungen sind, sofern sie in der Natur begründet sind, in sich gut. Der durch die Erbsünde geschwächte Mensch ist jedoch der Gefahr ausgesetzt, diese in einer die Norm übertretenden Weise in die Tat umzusetzen. Das Bekenntnis zu Keuschheit, Armut und Gehorsam wird zur Mahnung, die durch die Erbsünde verursachten Verletzungen nicht unterzubewerten, und es relativiert die geschaffenen Güter, auch wenn es ihren Wert bejaht, weil es Gott als absolutes Gut zeigt. So sollen diejenigen, die den evangelischen Räten folgen, während sie nach der Heiligkeit für sich selbst streben, sozusagen eine "geistliche Therapie" für die Menschheit vorschreiben, da sie die Vergötterung der Schöpfung ablehnen und in irgendeiner Weise den lebendigen Gott sichtbar machen. Das geweihte Leben ist insbesondere in schwierigen Zeiten ein Segen für das menschliche und auch für das kirchliche Leben.
Die Herausforderung der geweihten Keuschheit
88. Die erste Herausforderung ist die einer hedonistischen Kultur, die die Sexualität jeder objektiven moralischen Norm entbindet, indem sie diese häufig auf das Niveau von Spiel und Konsum herabsetzt und in Komplizenschaft mit den sozialen Kommunikationsmitteln einer Art Vergötterung des Triebes frönt. Die Folgen davon sind für alle sichtbar: Pflichtverletzungen verschiedenster Art, mit denen unzählige psychische und moralische Leiden für die einzelnen und für die Familien einhergehen. Die Antwort des geweihten Lebens besteht vor allem in der freudigen Übung der vollkommenen Keuschheit als Zeugnis für die Macht der Liebe Gottes in der Schwachheit des menschlichen Zustandes. Die Person des geweihten Lebens beweist: was von den meisten für unmöglich gehalten wurde, wird durch die Gnade des Herrn Jesus möglich und wirklich befreiend. Ja, in Christus ist es möglich, Gott mit ganzem Herzen zu lieben, indem man ihn über jede andere Liebe stellt, und so mit der Freiheit Gottes jeden Menschen zu lieben! Dies ist ein Zeugnis, das heute nötiger denn je ist, gerade weil es von unserer Welt so wenig verstanden wird. Es ist ein Angebot an jeden Menschen - an die Jugendlichen, an die Verlobten, an die Eheleute, an die christlichen Familien -, um zu beweisen, dass die Kraft der Liebe Gottes gerade in den Wechselfällen der menschlichen Liebe Großes zu bewirken vermag. Es ist ein Zeugnis, das auch einem wachsenden Bedürfnis nach innerer Klarheit in den menschlichen Beziehungen entgegenkommt.
Das geweihte Leben muss der Welt von heute Beispiele einer Keuschheit vor Augen führen, die von Männern und Frauen gelebt wird, die Ausgeglichenheit, Selbstbeherrschung, Unternehmungslust, psychische und affektive Reife beweisen.<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens Perfectae caritatis, 12.</ref> Kraft dieses Zeugnisses wird der menschlichen Liebe ein fester Bezugspunkt geboten, den die Person des geweihten Lebens aus der Betrachtung der uns in Christus offenbarten dreifaltigen Liebe erfährt. Da sie sich in dieses Geheimnis vertieft, fühlt sie sich zu einer radikalen und universalen Liebe fähig, die ihr die Kraft zur notwendigen Selbstbeherrschung und Disziplin gibt, um nicht der Knechtschaft der Sinne und der Triebe zu verfallen. Die geweihte Keuschheit erscheint somit als Erfahrung von Freude und Freiheit. Erleuchtet vom Glauben an den auferstandenen Herrn und von der Erwartung des neuen Himmels und der neuen Erde (vgl. Offb 21,1), bietet sie auch für die Erziehung zur gebotenen Keuschheit in anderen Lebensformen wertvolle Anregungen.
Die Herausforderung der Armut
89. Eine andere Herausforderung ist heute die eines habgierigen Materialismus, der gegenüber den Bedürfnissen und Leiden der Schwächsten gleichgültig ist und sich nicht um das Gleichgewicht der natürlichen Hilfsquellen kümmert. Die Antwort des geweihten Lebens besteht im Bekenntnis zur evangelischen Armut, die in verschiedenen Formen gelebt wird und oft von einem aktiven Einsatz bei der Förderung von Solidarität und Nächstenliebe begleitet wird.
Wie viele Institute widmen sich der Erziehung, dem Unterricht und der Berufsausbildung und versetzen dadurch junge und nicht mehr ganz junge Leute in die Lage, ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen! Wie viele Personen des geweihten Lebens opfern sich für die Letzten und Geringsten dieser Erde, ohne ihre Kräfte zu schonen! Wie viele von ihnen sind in der Ausbildung künftiger Erzieher und Verantwortlicher im sozialen Leben in der Weise tätig, dass sie sich verpflichten, unterdrückende Strukturen zu beseitigen und Projekte der Solidarität zum Vorteil der Armen zu fördern! Sie kämpfen, um den Hunger und dessen Ursachen zu beseitigen, beleben das Wirken von freiwilligen Helfern und die humanitären Organisationen, sensibilisieren öffentliche und private Einrichtungen für die Förderung einer gerechten Verteilung der internationalen Hilfeleistungen. In der Tat haben die Nationen diesen unternehmungsfreudigen, im Namen der Nächstenliebe tätigen Männern und Frauen viel zu verdanken, die mit ihrer unermüdlichen Selbstlosigkeit einen spürbaren Beitrag zur Humanisierung der Welt geleistet haben und leisten.
Die evangelische Armut im Dienst an den Armen
90. In Wirklichkeit ist die evangelische Armut, noch ehe sie ein Dienst an den Armen ist, ein Wert an sich, ruft doch die erste Seligpreisung zur Nachahmung des armen Christus auf.<ref>Vgl. Propositio 18, A.</ref> Ihr erster Sinn besteht in der Tat darin, Gott als eigentlichen Reichtum des menschlichen Herzens zu bezeugen. Eben darum kämpft sie vehement gegen die Vergötterung des Mammons, indem sie als prophetischer Appell gegenüber einer Gesellschaft auftritt, die in so vielen Teilen der Welt des Wohlstands Gefahr läuft, den Sinn für das Maß und die eigentliche Bedeutung der Dinge zu verlieren. Deshalb findet ihr Ruf heute mehr als zu anderen Zeiten auch bei denjenigen Beachtung, die im Wissen um die Beschränktheit der Hilfsquellen des Planeten die Achtung und Bewahrung der Schöpfung durch Einschränkung des Konsums, durch Mäßigung und Auferlegung einer gehörigen Zügelung der eigenen Wünsche beschwören.
Von den Personen des geweihten Lebens wird also ein erneuertes und kraftvolles evangelisches Zeugnis der Entsagung und der Mäßigung in einem von den Kriterien der Einfachheit und Gastfreundschaft inspirierten brüderlichen Lebensstil verlangt, auch als Beispiel für alle, die den Bedürfnissen des Nächsten gegenüber gleichgültig sind. Dieses Zeugnis wird natürlich mit der bevorzugten Liebe für die Armen einhergehen und in besonderer Weise dort in Erscheinung treten, wo die Lebensverhältnisse der Allerärmsten geteilt werden. Nicht wenige Gemeinschaften leben und arbeiten unter den Armen und den Ausgegrenzten der Gesellschaft, nehmen sich ihrer Situation an und teilen ihre Leiden, Probleme und Gefahren.
Großartige Seiten der Geschichte evangeliumsgemäßer Solidarität und heroischer Hingabe sind in diesen Jahren tiefgreifender Veränderungen und großer Ungerechtigkeiten, Hoffnungen und Enttäuschungen, bedeutender Errungenschaften und bitterer Niederlagen von den Personen des geweihten Lebens geschrieben worden. Und nicht minder bedeutsame Seiten wurden und werden noch immer von zahllosen anderen Personen des geweihten Lebens geschrieben, die ihr "mit Christus in Gott verborgenes" Leben (Kol 3,3) ganz für das Heil der Welt leben, zum Zeichen der Unentgeltlichkeit, der Hingabe des eigenen Lebens in wenig anerkannte und noch weniger mit Beifall bedachte Anliegen. Durch diese verschiedenen und einander ergänzenden Formen hat das geweihte Leben teil an der vom Herrn angenommenen äußersten Armut und lebt seine besondere Rolle im Heilsgeheimnis seiner Menschwerdung und seines Erlösertodes.<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens Perfectae caritatis, 13.</ref>
Die Herausforderung der Freiheit im Gehorsam
91. Die dritte Herausforderung kommt von jenen Auffassungen von Freiheit, die dieses fundamentale menschliche Vorrecht von seiner grundlegenden Beziehung zur Wahrheit und zur moralischen Norm loslösen.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Veritatis splendor (6. August 1993), 31-35: AAS 85 (1993), 1158-1162.</ref> In Wirklichkeit ist die Kultur der Freiheit ein echter Wert, zuinnerst verbunden mit der Achtung vor der menschlichen Person. Wer aber sieht nicht, zu welchen abnormen Folgen von Ungerechtigkeit und sogar von Gewalt im Leben der einzelnen und der Völker der verfälschte Gebrauch der Freiheit führt?
Eine wirkungsvolle Antwort auf diese Situation ist der Gehorsam, der für das geweihte Leben charakteristisch ist. Er stellt uns auf besonders lebendige Weise wieder den Gehorsam Christi gegenüber dem Vater vor Augen und bezeugt, eben von seinem Geheimnis ausgehend, dass kein Widerspruch zwischen Gehorsam und Freiheit besteht. Tatsächlich enthüllt das Verhalten des Sohnes das Geheimnis der menschlichen Freiheit als Weg des Gehorsams gegenüber dem Willen des Vaters und das Geheimnis des Gehorsams als Weg fortschreitender Eroberung der wahren Freiheit. Und genau diesem Geheimnis will die Person des geweihten Lebens durch dieses bestimmte Gelübde Ausdruck verleihen. Sie will dadurch bezeugen, dass sie sich einer Kindschaftsbeziehung bewusst ist, kraft derer sie den väterlichen Willen als tägliche Speise (vgl. Joh 4,34), als ihren Felsen, ihre Freude, ihren Schild und Schutzwall (vgl. Ps 18 [17],3) anzunehmen sucht. So beweist sie, dass sie in der vollen Wahrheit über sich selbst wächst, während sie mit der Quelle ihres Seins verbunden bleibt und darum die tröstliche Botschaft anbietet: "Alle, die deine Weisung lieben, empfangen Heil in Fülle; es trifft sie kein Unheil" (Ps 119 [118],165).
Miteinander den Willen des Vaters erfüllen
92. Besondere Bedeutung gewinnt dieses Zeugnis der geweihten Personen im Ordensleben auch für die Dimension der Gemeinschaft, die zu seinen Wesensmerkmalen gehört. Das geschwisterliche Leben ist der bevorzugte Ort, um den Willen Gottes zu erkennen und anzunehmen und eines Sinnes und Herzens gemeinsam voranzugehen. Der von der Liebe belebte Gehorsam vereint trotz der Vielfalt der Gaben und der Achtung der individuellen Persönlichkeit der einzelnen die Mitglieder eines Instituts in demselben Zeugnis und in derselben Sendung. In der vom Geist beseelten Brüderlichkeit führt jeder mit dem anderen einen wertvollen Dialog, um den Willen des Vaters zu erkennen, und alle anerkennen in dem, der die Leitung innehat, den Ausdruck der Vaterschaft Gottes und die Ausübung der von Gott im Dienst der Unterscheidung und der Gemeinschaft empfangenen Autorität.<ref>Vgl. Propositio 19, A; II. Vat. Konzil, Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens Perfectae caritatis, 14.</ref>
Das Gemeinschaftsleben ist sodann gegenüber der Kirche und der Gesellschaft in besonderer Weise das Zeichen der Verbundenheit, die aus derselben Berufung und aus dem gemeinsamen Willen, ihr zu gehorchen, jenseits aller Unterschiede von Rasse und Herkunft, Sprache und Kultur, erwächst. Gegen den Geist von Zwietracht und Spaltung leuchten Autorität und Gehorsam als ein Zeichen jener einzigartigen Vaterschaft, die von Gott stammt, der aus dem Geist geborenen Brüderlichkeit, der inneren Freiheit dessen, der auf Gott vertraut trotz der menschlichen Grenzen all derer, die ihn repräsentieren. Durch diesen Gehorsam, den manche als Lebensregel annehmen, wird die Seligkeit erfahren und zum Nutzen aller verkündet, die Jesus denen verheißen hat, "die das Wort Gottes hören und es befolgen" (Lk 11,28). Wer gehorcht, hat darüber hinaus die Gewähr, tatsächlich in Mission, in der Nachfolge des Herrn zu sein und nicht auf seinen eigenen Wünschen oder Erwartungen zu beharren. So kann er sich vom Geist des Herrn geführt und auch inmitten großer Schwierigkeiten von seiner sicheren Hand gehalten wissen (vgl. Apg 20,22f.).
Eine entschiedene Verpflichtung zum geistlichen Leben
93. Eine der auf der Synode wiederholt geäußerten Sorgen war die um ein gottgeweihtes Leben, das sich an den Quellen einer starken und tiefen Spiritualität nährt. Hier handelt es sich tatsächlich um eine vorrangige Forderung, die dem Wesen des geweihten Lebens eingeschrieben ist, denn wer sich zu den evangelischen Räten bekennt, ist wie jeder Getaufte und sogar aus noch zwingenderen Gründen dazu verpflichtet, mit allen seinen Kräften nach der Vollkommenheit der Liebe zu streben.<ref>Vgl. Propositio 15.</ref> Das ist eine Verpflichtung, an die die unzähligen Beispiele heiliger Ordensstifter und -stifterinnen und vieler Personen des geweihten Lebens deutlich erinnern, die die Treue zu Christus bis hin zum Martyrium bezeugt haben.
Streben nach Heiligkeit: das ist zusammengefasst das Programm jedes geweihten Lebens, auch im Hinblick auf dessen Erneuerung an der Schwelle des dritten Jahrtausends. Der Anfang dieses Programms besteht darin, dass um Christi willen alles verlassen (vgl. Mt 4,18-22; 19,21.27; Lk 5,11) und er allen Dingen vorgezogen wird, um voll an seinem Ostergeheimnis teilhaben zu können.
Das hatte der hl. Paulus richtig verstanden, als er ausrief: "Ich sehe alles als Verlust an, weil die Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, alles übertrifft [...] Christus will ich erkennen und die Macht seiner Auferstehung" (Phil 3,8.10). Es ist der von den Aposteln von Anfang an vorgezeichnete Weg, wie die christliche Tradition im Orient und im Abendland in Erinnerung ruft: "Diejenigen, die derzeit Jesus nachfolgen und um seinetwillen alles verlassen, erinnern an die Apostel, die seine Einladung annahmen und auf alles andere verzichteten. Traditionsgemäß spricht man deshalb gewöhnlich vom Ordensleben als einer apostolica vivendi forma".<ref>Johannes Paul II., Ansprache bei der Generalaudienz (8. Februar 1995), 2: L'Osservatore Romano, 9. Februar 1995, S. 4.</ref> Dieselbe Tradition hat im geweihten Leben auch die Dimension des besonderen Bundes mit Gott, ja des bräutlichen Bundes mit Christus herausgestellt, dessen Meister der hl. Paulus durch sein Beispiel (vgl. 1 Kor 7,7) und durch seine unter der Anleitung des Geistes dargebotene Lehre war (vgl. 1 Kor 7,40).
Wir können sagen, dass das geistliche Leben, das als Leben in Christus, als Leben nach dem Geist verstanden wird, als ein Weg wachsender Treue Gestalt annimmt, auf dem die Person des geweihten Lebens in voller Gemeinschaft der Liebe und des Dienstes der Kirche vom Geist geleitet und von ihm Christus gleichförmig gestaltet wird.
Alle diese in den verschiedenen Formen des geweihten Lebens sich begründenden Elemente bringen eine eigene Spiritualität hervor, das heißt einen konkreten Plan der Beziehung zu Gott und zur Umgebung, der von besonderen geistlichen Akzenten und Entscheidungen zum Handeln gekennzeichnet ist, die bald den einen, bald den anderen Aspekt des einen Geheimnisses Christi herausstellen und verkörpern. Wenn die Kirche eine Form des geweihten Lebens oder ein Institut anerkennt, garantiert sie, dass sich in deren geistlichem und apostolischem Charisma alle objektiven Anforderungen finden, um die persönliche und gemeinschaftliche Vollkommenheit im Sinne des Evangeliums zu erreichen. Das geistliche Leben muss also im Programm der Familien des geweihten Lebens an erster Stelle stehen, so dass jedes Institut und jede Kommunität sich als Schule einer echten evangeliumsgemäßen Spiritualität darstellen. Von dieser Vorzugsoption, die im persönlichen und gemeinschaftlichen Engagement entfaltet wird, hängen die Fruchtbarkeit des Apostolats, die Selbstlosigkeit in der Liebe für die Armen und die Anziehungskraft der Berufung auf die jungen Generationen selber ab. Gerade die spirituelle Qualität des geweihten Lebens vermag die Menschen unserer Zeit, die ja auch Durst nach absoluten Werten haben, aufzurütteln, und sie wird auf diese Weise zu einem faszinierenden Zeugnis.
Im Hören auf das Wort Gottes
94. Das Wort Gottes ist die erste Quelle jeder christlichen Spiritualität. Es nährt eine persönliche Beziehung zum lebendigen Gott und zu seinem heilwirkenden und heiligenden Willen. Deshalb ist seit dem Entstehen der Institute des geweihten Lebens, insbesondere im Mönchtum der lectio divina höchste Achtung entgegengebracht worden. Dank dieser wird das Gotteswort ins Leben übertragen, auf das es das Licht der Weisheit wirft, die die Gabe des Geistes ist. Obwohl die ganze Heilige Schrift "nützlich zur Belehrung" (2 Tim 3,16) und "reiner, unversieglicher Quell des geistlichen Lebens" ist,<ref>II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei verbum, 21; vgl. Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens Perfectae caritatis, 6.</ref> verdienen die Schriften des Neuen Testamentes, vor allem die Evangelien, die "das Herzstück aller Schriften"<ref>Katechismus der katholischen Kirche, 125; vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei verbum, 18.</ref> sind, besondere Verehrung. Es wird deshalb für die Personen des geweihten Lebens von Nutzen sein, die Texte der Evangelien und die anderen neutestamentlichen Schriften zum Thema ihrer beharrlichen Betrachtung zu machen, die die Worte und die Beispiele Christi und der Jungfrau Maria sowie die apostolica vivendi forma darstellen. Die Stifter und Stifterinnen haben sich bei der Annahme der Berufung sowie beim Erkennen des Charismas und der Sendung ihres Institutes ständig darauf bezogen.
Von großem Wert ist die gemeinschaftliche Bibelbetrachtung. Wenn diese den Möglichkeiten und den Umständen des gemeinschaftlichen Lebens entsprechend geschieht, führt sie zum freudigen Teilen der aus dem Wort Gottes geschöpften Reichtümer, durch die Brüder und Schwestern gemeinsam wachsen und einander helfen, im geistlichen Leben Fortschritte zu machen. Diese Praxis muss aber auch den anderen Mitgliedern des Gottesvolkes, den Priestern und Laien, nahegebracht werden, so dass sie jeweils in Übereinstimmung mit ihrem eigenen Charisma Schulen des Gebets, Schulen für Spiritualität und zur Lesung der Heiligen Schrift fördern, in der Gott "die Menschen wie Freunde" anredet (vgl. Ex 33,11; Joh 15,14-15), "und mit ihnen verkehrt (vgl. Bar 3,28), um sie in seine Gemeinschaft einzuladen".<ref>II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei verbum, 2.</ref> Aus der Meditation des Wortes Gottes und besonders der Geheimnisse Christi erwachsen, so lehrt die geistliche Tradition, die Intensität der Kontemplation und der Eifer der apostolischen Tätigkeit. Sowohl im kontemplativen als auch im apostolischen Ordensleben hat es immer Männer und Frauen des Gebets gegeben, die als glaubwürdige Interpreten und Vollzieher des göttlichen Willens große Werke vollbracht haben. Aus dem häufigen Umgang mit dem Wort Gottes haben sie die notwendige Erleuchtung für jene individuelle und gemeinschaftliche Unterscheidung geschöpft, die ihnen geholfen hat, in den Zeichen der Zeit die Wege des Herrn zu suchen. Auf diese Weise haben sie eine Art von übernatürlichem Instinkt erworben, der es ermöglicht hat, sich nicht dem Geist der Welt anzugleichen, sondern den eigenen Verstand zu erneuern, damit sie prüfen und erkennen können, "was der Wille Gottes ist: was ihm gefällt, was gut und vollkommen ist" (Röm 12,2).
In Gemeinschaft mit Christus
95. Wesentliche Mittel für eine wirksame Förderung der Gemeinschaft mit dem Herrn ist zweifellos die heilige Liturgie, insbesondere die Feier der Eucharistie und das Stundengebet. Vor allem die "Eucharistie enthält das Heilsgut der Kirche in seiner ganzen Fülle, Christus selbst, unser Osterlamm und das lebendige Brot. Durch sein Fleisch, das durch den Heiligen Geist lebt und Leben schafft, spendet er den Menschen das Leben".<ref>II. Vat. Konzil, Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis, 5.</ref> Wie für das kirchliche Leben, ist die Eucharistie auch Herzstück für das geweihte Leben. Wie könnte die Person, die berufen ist, durch das Gelübde der evangelischen Räte Christus als den einzigen Sinn ihres Daseins zu wählen, nicht wünschen, mit ihm eine immer tiefere Gemeinschaft herzustellen durch die tägliche Teilnahme am Sakrament, das ihn im Opfer gegenwärtig werden lässt, wenn es das Liebesgeschenk auf Golgota aktuell macht, im Gastmahl, das das pilgernde Volk Gottes nährt und schützt. Die Eucharistie steht aufgrund ihrer Natur im Zentrum des geweihten Lebens, des persönlichen und des kommunitären. Sie ist tägliche Wegzehrung sowie Quelle der Spiritualität für den einzelnen und für das Institut. Jede Person des geweihten Lebens ist berufen, das Ostergeheimnis Christi zu leben, indem sie sich mit ihm in der Hingabe des eigenen Lebens an den Vater durch den Geist vereint. Die eifrige und lange Anbetung Christi, der in der Eucharistie anwesend ist, ermöglicht in gewisser Weise, die Erfahrung des Petrus in der Verklärung neu zu erleben: "Es ist gut, dass wir hier sind". Und in der Feier des Geheimnisses des Leibes und Blutes des Herrn festigt sich und wächst die Einheit und die Liebe derer, die Gott ihr Leben geweiht haben.
Neben der Eucharistie und in enger Beziehung zu ihr wird das Stundengebet entsprechend dem Charakter jedes einzelnen Instituts gemeinschaftlich oder persönlich, in Gemeinschaft mit dem Gebet der Kirche gefeiert. Es ist Ausdruck der den Personen des geweihten Lebens eigenen Berufung zum Lobpreis und zur Fürbitte.
In tiefer Beziehung zur Eucharistie steht die Verpflichtung zu ständiger Umkehr und notwendiger Läuterung, die die Personen des geweihten Lebens im Sakrament der Versöhnung entfalten. Dadurch, dass sie häufig der Barmherzigkeit Gottes begegnen, reinigen und erneuern sie ihr Herz und machen durch das demütige Bekenntnis der Sünden ihre Beziehung zu ihm transparent; die freudige Erfahrung der sakramentalen Vergebung auf dem mit den Brüdern und Schwestern gemeinsam gegangenen Weg macht das Herz fügsam und gibt dem Bemühen um wachsende Treue Auftrieb.
Um auf dem Weg des Evangeliums, besonders während der Ausbildungszeit und in bestimmten Augenblicken des Lebens, Fortschritte zu machen, ist die vertrauensvolle, demütige Inanspruchnahme der geistlichen Führung sehr hilfreich; durch sie wird dem Menschen geholfen, auf die Motivationsanstöße des Geistes hochherzig einzugehen und sich entschlossen nach der Heiligkeit auszurichten. Schließlich ermahne ich alle Personen des geweihten Lebens, ihren jeweiligen Traditionen gemäß, täglich die geistliche Gemeinschaft mit der Jungfrau Maria zu erneuern, indem sie besonders durch das Beten des heiligen Rosenkranzes immer wieder mit ihr über die Geheimnisse des Sohnes nachdenken.
[Fortsetzung folgt]
Anmerkungen
<references />