Vita consecrata (Wortlaut)
Vita consecrata |
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unseres Heiligen Vaters
Johannes Paul II.
an den Episkopat und den Klerus an die Orden und Kongregationen, an die Gesellschaften des Apostolischen Lebens, an die Säkularinstitute und an alle Gläubigen
über das geweihte Leben und seine Sendung in Kirche und Welt
Die IX. Ordentliche Generalversammlung der Weltbischofssynode fand am 2. bis 29. Oktober 1994 statt
25. März 1996
(Offizieller lateinischer Text: AAS 88 [1996] 377-486)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist |
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung
- 1.1 Dank für das geweihte Leben
- 1.2 Das geweihte Leben - ein Geschenk an die Kirche
- 1.3 Zusammenstellung der Ergebnisse der Synode
- 1.4 Das Wirken des Geistes in den verschiedenen Formen des geweihten Lebens
- 1.5 Monastisches Leben in Ost und West
- 1.6 Die Weihe der Jungfrauen, die Eremiten und die Witwen
- 1.7 Institute, die sich ganz der Kontemplation widmen
- 1.8 Das apostolische Ordensleben
- 1.9 Die Säkularinstitute
- 1.10 Die Gesellschaften des apostolischen Lebens
- 1.11 Neue Ausdrucksformen geweihten Lebens
- 1.12 Zielsetzungen des Apostolischen Schreibens
- 2 Kapitel I: Confessio Trinitatis - An den christologisch-trinitarischen Quellen des geweihten Lebens
- 2.1 Das Bild des verklärten Christus
- 2.2 "Und er wurde vor ihren Augen verwandelt ..."
- 2.3 "Das ist mein geliebter Sohn: auf ihn sollt ihr hören!"
- 2.4 I. Zum Lob der Dreifaltigkeit
- 2.5 II. Zwischen Ostern und Vollendung
- 2.6 III. In der Kirche und für die Kirche
- 2.6.1 "Es ist gut, dass wir hier sind": das geweihte Leben im Geheimnis der Kirche
- 2.6.2 Die neue und besondere Weihe
- 2.6.3 Die Beziehungen zwischen den verschiedenen Lebensformen des Christen
- 2.6.4 Der besondere Wert des geweihten Lebens
- 2.6.5 Das Evangelium der Seligpreisungen bezeugen
- 2.6.6 Lebendiges Bild der Kirche als Braut
- 2.7 IV. Vom Geist der Heiligkeit geführt
- 3 Kapitel II: Signum Fraternitatis - Das geweihte Leben als Zeichen der Gemeinschaft in der Kirche
- 4 Anmerkungen
Einleitung
1. Das Geweihte Leben, tiefverwurzelt im Beispiel und in der Lehre Christi, des Herrn, ist ein Geschenk Gottes des Vaters durch den Geist an seine Kirche. Mit dem Bekenntnis zu den evangelischen Räten erlangen die Wesenszüge Jesu - Jungfräulichkeit, Armut und Gehorsam - eine typische und beständige "Sichtbarkeit" mitten in der Welt, und der Blick der Gläubigen wird auf jenes Geheimnis des Gottesreiches gelenkt, das bereits in der Geschichte wirksam ist, seine Vollendung aber im Himmel erwartet.
Jahrhunderte hindurch hat es nie an Männern und Frauen gefehlt, die dem Ruf des Vaters und der Einladung des Geistes folgten und diesen Weg der besonderen Nachfolge Christi wählten, um sich ihm mit "ungeteiltem" Herzen (vgl. 1 Kor 7,34) hinzugeben. Auch sie haben wie die Apostel alles verlassen, um bei ihm zu bleiben und sich wie er in den Dienst vor Gott und an den Schwestern und Brüdern zu stellen. Auf diese Weise haben sie dazu beigetragen, das Geheimnis und die Sendung der Kirche offenbar zu machen durch die vielfältigen Gnadengaben geistlichen und apostolischen Lebens, die der Heilige Geist ihnen zuteilte, und folglich haben sie auch an der Erneuerung der Gesellschaft mitgewirkt.
Dank für das geweihte Leben
2. Die Rolle des geweihten Lebens in der Kirche ist so bedeutsam, dass ich die Einberufung einer Synode beschlossen habe, um seine Bedeutung und seine Perspektiven im Hinblick auf das bevorstehende neue Jahrtausend zu vertiefen. Ich wollte, dass bei der Synodenversammlung neben den Synodenvätern auch zahlreiche Personen des geweihten Lebens anwesend wären, damit bei den gemeinsamen Überlegungen ihr Beitrag nicht fehlte. Wir wissen alle um den Reichtum, den das Geschenk des geweihten Lebens mit der Vielfalt seiner Charismen und Einrichtungen für die kirchliche Gemeinschaft darstellt. Gemeinsam danken wir Gott für die Orden und für die Ordensinstitute, die sich der Betrachtung und den Werken des Apostolats widmen, für die Gesellschaften des apostolischen Lebens, für die Säkularinstitute und für andere Gruppen geweihter Personen sowie für alle, die sich im Innersten ihres Herzens mit besonderer Weihe Gott hingeben.
Bei der Synode war die weltweite Verbreitung des geweihten Lebens, das in den Kirchen überall auf der Erde präsent ist, mit Händen zu greifen. Es spornt die Entwicklung der Evangelisierung in den verschiedenen Regionen der Welt an und begleitet sie, wo nicht nur die von auswärts stammenden Institute dankbar aufgenommen werden, sondern auch neue entstehen mit einer großen Vielfalt an Ausdrucksformen.
Wenn auch die Institute des geweihten Lebens in manchen Gegenden der Erde eine schwierige Zeit durchzumachen scheinen, gedeihen sie in anderen Regionen mit erstaunlicher Kraft und beweisen damit, dass die Entscheidung für die Ganzhingabe an Gott in Christus in keinster Weise mit der Kultur und der Geschichte eines Volkes unvereinbar ist. Auch blüht das geweihte Leben nicht nur innerhalb der katholischen Kirche; tatsächlich findet es sich besonders lebendig im Mönchtum der orthodoxen Kirchen und gehört als Wesenszug zu deren Erscheinungsbild; und auch in den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften ist es im Begriff zu entstehen oder wiederzuentstehen, gleichsam als Zeichen einer gemeinsamen Gnade der Jünger Christi. Aus dieser Feststellung ergibt sich ein Impuls für die Ökumene, die das Verlangen nach einer immer volleren Gemeinschaft unter den Christen nährt, "damit die Welt glaubt" (Joh 17,21).
Das geweihte Leben - ein Geschenk an die Kirche
3. Die weltweite Präsenz des geweihten Lebens und der evangelische Charakter seines Zeugnisses zeigen mit aller Deutlichkeit - falls notwendig - dass es keine isolierte Randerscheinung ist, sondern die ganze Kirche betrifft. Die Bischöfe auf der Synode haben dies wiederholt bestätigt: "de re nostra agitur", "es geht um etwas, das uns betrifft".<ref>Vgl. Propositio 2.</ref>
Tatsächlich steht das geweihte Leben als entscheidendes Element für die Sendung der Kirche in deren Herz und Mitte, da es "das innerste Wesen der christlichen Berufung offenbart und darstellt"<ref>II. Vat. Konzil, Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad gentes, 18.</ref> und das Streben der ganzen Kirche als Braut nach der Vereinigung mit dem einen Bräutigam zum Ausdruck bringt.<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 44; Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelica testificatio (29. Juni 1971), 7: AAS 63 (1971), 501-502; Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi (8. Dez. 1975), 69: AAS 68 (1976), 59.</ref> Auf der Synode wurde mehrmals bestätigt, dass das geweihte Leben nicht nur in der Vergangenheit eine Rolle der Hilfe und der Unterstützung für die Kirche gespielt habe, sondern dass es auch für die Gegenwart und die Zukunft des Gottesvolkes ein kostbares und unerlässliches Geschenk ist, weil es zutiefst zu dessen Leben, Heiligkeit und Sendung gehört.<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmat. Konst. über die Kirche Lumen gentium, 44.</ref>
Die gegenwärtigen Schwierigkeiten, auf die nicht wenige Institute in einigen Gegenden der Welt stoßen, dürfen nicht zu Zweifeln daran verleiten, dass das Bekenntnis zu den evangelischen Räten wesentlicher Bestandteil des Lebens der Kirche ist, dem es einen wertvollen Impuls zu einer immer konsequenteren Verwirklichung des Evangeliums verleiht.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Ansprache bei der Generalaudienz (28. September 1994), 5: L'Osservatore Romano, 29. Sept. 1994, S. 4.</ref> Es wird in der Geschichte eine weitere Vielfalt an Formen geben können, aber das Wesen einer Entscheidung, die in der Radikalität der Selbsthingabe aus Liebe zum Herrn Jesus und in ihm zu jedem Angehörigen der Menschheitsfamilie ihren Ausdruck findet, wird sich nicht ändern. Auf diese Gewissheit, die im Laufe der Jahrhunderte zahllose Menschen zu mutigem Entschluss angeregt hat, zählt das christliche Volk auch weiterhin, wohl wissend, dass es aus dem Beitrag dieser hochherzigen Seelen eine wirksame Hilfe auf seinem Weg zur himmlischen Heimat erfahren kann.
Zusammenstellung der Ergebnisse der Synode
4. Dem Wunsch der Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode folgend, die zusammengetreten war, um über das Thema "Das geweihte Leben und seine Sendung in Kirche und Welt" zu beraten, will ich in diesem Apostolischen Schreiben die Ergebnisse des synodalen Programms vorlegen<ref>Vgl. Propositio 1.</ref> und allen Gläubigen - Bischöfen, Priestern, Diakonen, Ordensleuten und Laien - sowie allen, die zuhören wollen, die Wunder aufzeigen, die der Herr auch heute durch das geweihte Leben vollbringen will.
Nach den Synoden, die den Laien und den Priestern gewidmet waren, vervollständigt diese Synode die Behandlung der besonderen Eigenheiten, die die vom Herrn Jesus für seine Kirche vorgesehenen Lebensstände kennzeichnen. Auch wenn auf dem II. Vatikanischen Konzil die große Wirklichkeit der kirchlichen Gemeinschaft hervorgehoben wurde, in der sämtliche Gaben zusammenströmen für den Aufbau des Leibes Christi und für die Sendung der Kirche in der Welt, so machte sich doch in den letzten Jahren die Notwendigkeit bemerkbar, die Identität der verschiedenen Stände des Lebens, ihre Berufung und ihren besonderen Auftrag in der Kirche deutlicher herauszustellen.
Die Gemeinschaft in der Kirche bedeutet ja nicht Einförmigkeit, sondern Geschenk des Geistes, der auch die Vielfalt der Charismen und der Lebensformen durchdringt. Diese werden für die Kirche und ihre Sendung um so nützlicher sein, je konsequenter ihre Identität eingehalten wird. Denn jede Gabe des Geistes wird gewährt, damit sie im Wachsen der Brüderlichkeit und der Sendung Frucht bringe für den Herrn.<ref>Vgl. Hl. Franz von Sales, Introduction à la vie dévote, p. I, c. 3, Œuvres, t. III, Annecy 1893, S. 19-20.</ref>
Das Wirken des Geistes in den verschiedenen Formen des geweihten Lebens
5. Wie sollte man nicht voll Dankbarkeit gegenüber dem Geist an die Fülle der historischen Formen des geweihten Lebens erinnern, die von ihm geweckt wurden und noch immer im kirchlichen Gefüge vorhanden sind? Sie erscheinen uns wie ein Baum mit vielen Zweigen,<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 43.</ref> dessen Wurzeln tief in das Evangelium hineinreichen und der in jeder Epoche der Kirche üppige Früchte hervorbringt. Was für ein außerordentlicher Reichtum! Ich selbst habe zum Abschluss der Synode den Wunsch verspürt, dieses in der Geschichte der Kirche konstante Element hervorzuheben: die Schar von Ordensgründern und -gründerinnen, von heiligen Männern und Frauen, die sich in der Radikalität des Evangeliums und im Dienst an den Brüdern und Schwestern, besonders an den Armen und Verlassenen, für Christus entschieden haben.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Predigt bei der feierlichen Konzelebration zum Abschluss der IX. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode (29. Oktober 1994), 3: AAS 87 (1995), 580.</ref> Gerade in diesem Dienst wird mit besonderer Klarheit sichtbar, dass das geweihte Leben die Einheitlichkeit des Liebesgebotes in der untrennbaren Verbundenheit von Gottes- und Nächstenliebe offenbar macht.
Die Synode hat dieses unablässige Wirken des Heiligen Geistes erwähnt, das im Laufe der Jahrhunderte die Reichtümer der Anwendung der evangelischen Räte durch die vielfältigen Charismen zur Entfaltung bringt und auch auf diese Weise in Kirche und Welt, in Zeit und Raum beständig das Geheimnis Christi gegenwärtig macht.
Monastisches Leben in Ost und West
6. Die Synodenväter der katholischen Ostkirchen und die Vertreter der anderen Kirchen des Orients haben in ihren Ausführungen die evangelischen Werte des monastischen Lebens<ref>Vgl. Bischofssynode, IX. Ordentliche Generalversammlung, Botschaft der Synode (27. Okt. 1994), VII: L'Osservatore Romano, 29. Okt. 1994, S. 7.</ref> unterstrichen, das bereits in den Anfangszeiten des Christentums in Erscheinung trat und in ihren Ländern, besonders in orthodoxen Kirchen, noch heute von blühender Lebendigkeit ist. Seit den ersten Jahrhunderten der Kirche hat es Männer und Frauen gegeben, die sich berufen fühlten, den Dienst des fleischgewordenen Wortes nachzuahmen, und sich in seine Nachfolge begeben haben, indem sie die Anforderungen, die sich aus der der Taufe entspringenden Teilhabe am Ostergeheimnis seines Todes und seiner Auferstehung ergeben, im Ordensberuf in besonderer und radikaler Weise lebten. Während sie auf diese Weise zu Trägern des Kreuzes (staurophóroi) wurden, haben sie sich verpflichtet, Zeugen des Geistes (pneumatophóroi) zu werden, wahrhaft geistliche Männer und Frauen, die in der Lage sind, durch Lobpreis und ständige Fürbitte, durch die asketischen Ratschläge und durch die Werke der Liebe die Geschichte im Verborgenen zu befruchten.
In der Absicht, die Welt und das Leben in Erwartung der endgültigen Schau des Angesichtes Gottes zu verwandeln, bevorzugt das orientalische Mönchtum die Bekehrung, den Selbstverzicht und die Zerknirschung des Herzens, die Suche der Hesychie, d.h. des inneren Friedens, und das unablässige Gebet, das Fasten und die Nachtwachen, das geistige Ringen und das Schweigen, die österliche Freude über die Gegenwart des Herrn und über die Erwartung seines endgültigen Kommens, die Hingabe seiner selbst und seiner Habe, wie sie in der heiligen Gemeinschaft des Klosters oder in der Einsamkeit der Eremitage gelebt wird.<ref>Vgl. Propositio 5, B.</ref>
Auch das Abendland hat seit den ersten Jahrhunderten der Kirche das monastische Leben praktiziert und eine große Vielfalt an Ausdrucksformen sowohl im klösterlichen Bereich als auch im eremitischen Mönchtum gekannt. In seiner heutigen Gestalt, die vor allem vom hl. Benedikt inspiriert wurde, ist das abendländische Mönchtum Erbe vieler Männer und Frauen, die sich vom weltlichen Leben abgewandt haben, Gott suchten und sich ihm weihten, "indem sie der Liebe zu Christus nichts vorzogen".<ref>Vgl. Regula, 4, 21 und 72, 11.</ref> Auch die Mönche von heute bemühen sich um einen harmonischen Einklang zwischen innerem Leben und Arbeit in der Verpflichtung nach dem Evangelium zur Änderung der Gewohnheiten, zum Gehorsam, zur Beständigkeit und in der eifrigen Hingabe an die Betrachtung des Wortes (lectio divina), an die Feier der Liturgie und das Gebet. Die Klöster waren und sind noch immer im Herzen der Kirche und der Welt ein ausdrucksvolles Zeichen von Gemeinschaft, ein einladender Aufenthaltsort für diejenigen, die Gott und die Welt des Geistes suchen; sie sind Glaubensschulen und wahre Werkstätten für Studium, Dialog und Kultur zum Aufbau des kirchlichen Lebens und auch, in Erwartung der himmlischen Stadt, zum Aufbau der irdischen.
Die Weihe der Jungfrauen, die Eremiten und die Witwen
7. Grund zu Freude und Hoffnung ist es zu sehen, dass die bereits seit der apostolischen Zeit in den christlichen Gemeinden bezeugte alte Weihe der Jungfrauen heute wiederaufblüht.<ref>Vgl. Propositio 12.</ref> Durch ihre Weihe durch den Diözesanbischof erwerben sie eine besondere Bindung an die Kirche, deren Dienst sie sich widmen, auch wenn sie weiter in der Welt bleiben. Allein oder in Gemeinschaft stellen sie ein besonderes eschatologisches Bild von der himmlischen Braut und dem zukünftigen Leben dar, wenn die Kirche endlich die Liebe zu ihrem Bräutigam Christus in Fülle leben wird.
Die als Eremiten lebenden Männer und Frauen, die alten Orden oder neuen Instituten angehören oder auch unmittelbar vom Bischof abhängig sind, bezeugen mit ihrer inneren und äußeren Trennung von der Welt den vorläufigen Charakter der Gegenwart und beweisen durch Fasten und Buße, dass der Mensch nicht von Brot allein lebt, sondern vom Wort Gottes (vgl. Mt 4,4). Ein solches Leben "in der Wüste" ist eine Aufforderung an den Nächsten und zugleich an die kirchliche Gemeinschaft, niemals die höchste Berufung aus den Augen zu verlieren, nämlich immer beim Herrn zu sein.
Heute wird auch wieder die schon zur Zeit der Apostel bekannte (vgl. 1 Tim 5,5.9-10; 1 Kor 7,8) Weihe der Witwen<ref>Vgl. Kodex der Kanones der Orientalischen Kirchen, can. 570.</ref> vollzogen sowie jene der Witwer. Durch das Gelöbnis ewiger Keuschheit als Zeichen des Reiches Gottes heiligen diese Personen ihren Stand, um sich dem Gebet und dem Dienst an der Kirche zu widmen.
Institute, die sich ganz der Kontemplation widmen
8. Die Institute, die ganz auf die Kontemplation ausgerichtet sind und aus Frauen oder Männern bestehen, sind für die Kirche ein Grund zur Freude und eine Quelle himmlischer Gnaden. Mit ihrem Leben und ihrer Sendung ahmen die Personen dieser Institute Christus nach, der auf den Berg stieg, um zu beten, geben Zeugnis von Gottes Herrschaft über die Geschichte und nehmen die künftige Herrlichkeit vorweg.
In der Einsamkeit und im Stillschweigen, durch das Hören des Wortes Gottes, durch die Feier des Gottesdienstes, durch die persönliche Askese und das Gebet, durch die Abtötung und die geschwisterliche Liebesgemeinschaft orientieren sie ihr ganzes Leben und ihre Tätigkeit an der Kontemplation Gottes. Auf diese Weise geben sie der kirchlichen Gemeinschaft ein einzigartiges Zeugnis der Liebe der Kirche zu ihrem Herrn und tragen mit einer geheimnisvollen apostolischen Fruchtbarkeit zum Wachstum des Volkes Gottes bei.<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens Perfectae caritatis, 7; Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad gentes, 40.</ref> Daher ist der Wunsch berechtigt, dass die verschiedenen Formen kontemplativen Lebens als Ausdruck tiefer Verwurzelung im Evangelium eine zunehmende Verbreitung in den jungen Kirchen finden, vor allem in jenen Regionen der Welt, wo andere Religionen stärker verbreitet sind. Dies wird es ermöglichen, Zeugnis zu geben von der Kraft der Traditionen christlicher Askese und Mystik, und wird den interreligiösen Dialog fördern.<ref>Vgl. Propositio 6.</ref>
Das apostolische Ordensleben
9. Im Abendland sind im Laufe der Jahrhunderte vielfältige andere Ausdrucksformen des Ordenslebens zur Blüte gelangt, in denen unzählige Menschen nach der Absage an die Welt durch das öffentliche Bekenntnis zu den evangelischen Räten, entsprechend einem besonderen Charisma und in einer festen Form gemeinschaftlichen Lebens<ref>Vgl. Propositio 4.</ref> sich Gott für einen vielgestaltigen apostolischen Dienst am Volk Gottes geweiht haben. So etwa die verschiedenen Ordensfamilien der Regularkanoniker, die Bettelorden, die Regularkleriker und im allgemeinen die männlichen und weiblichen Ordenskongregationen, die sich der apostolischen Arbeit, der Missionstätigkeit und den vielfältigen Werken widmen, die die christliche Liebe hervorgebracht hat.
Es ist ein Zeugnis von wunderbarer Mannigfaltigkeit, in dem sich die Vielfalt der von Gott den Ordensgründern und -gründerinnen gespendeten Gaben widerspiegelt, die in ihrem Offensein für das Wirken des Heiligen Geistes die Zeichen der Zeit zu deuten und den nach und nach auftretenden Erfordernissen auf glänzende Weise zu entsprechen verstanden. Ihrem Beispiel folgend haben viele andere mit Wort und Tat versucht, das Evangelium in ihrem eigenen Leben zu verwirklichen, um die lebendige Gegenwart Jesu, des Geweihten im wahrsten Sinne des Wortes und des Apostels des Vaters, in ihrer Zeit wieder geltend zu machen. Christus, den Herrn, müssen sich die Personen des geweihten Lebens immer und zu allen Zeiten zum Vorbild nehmen, indem sie im Gebet eine tiefe Gesinnungsgemeinschaft mit ihm pflegen (vgl. Phil 2,5-11), damit ihr ganzes Leben von dem apostolischen Geist durchdrungen werde und die gesamte apostolische Tätigkeit von Kontemplation erfüllt sei.<ref>Vgl. Propositio 7.</ref>
Die Säkularinstitute
10. Der Heilige Geist, wunderbarer Schöpfer der Vielfalt der Charismen, hat in unserer Zeit neue Ausdrucksweisen geweihten Lebens geschenkt, gleichsam als wollte er, einem Plan der Vorsehung entsprechend, den neuen Bedürfnissen Genüge tun, denen die Kirche heute bei der Erfüllung ihrer Sendung in der Welt begegnet.
Ich denke vor allem an die Säkularinstitute, deren Mitglieder die Weihe an Gott in der Welt durch das Bekenntnis zu den evangelischen Räten im Rahmen der zeitlichen Strukturen leben wollen, um auf diese Weise innerhalb des kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Lebens Sauerteig der Weisheit und Zeugen der Gnade zu sein. Durch die ihnen eigene Synthese von Säkularem und Weihe wollen sie in die Gesellschaft die neuen Kräfte des Reiches Christi einbringen und die Welt durch die Kraft der Seligpreisungen von innen her zu verwandeln suchen. Während die völlige Zugehörigkeit zu Gott sie ganz für seinen Dienst aufgehen lässt, bestärkt so ihre Tätigkeit in der normalen weltlichen Umgebung unter dem Wirken des Geistes die Beseelung der säkularen Gegebenheiten aus dem Evangelium. Die Säkularinstitute tragen so dazu bei, der Kirche je nach der spezifischen Gabe eines jeden Instituts eine ausgeprägte Präsenz in der Gesellschaft zu gewährleisten.<ref>Vgl. Propositio 11.</ref>
Eine wertvolle Funktion üben auch die klerikalen Säkularinstitute aus, in denen sich Priester, die dem Presbyterium einer Diözese angehören, auch wenn einigen von ihnen die Inkardination im eigenen Institut zuerkannt wird, durch die einem besonderen Charisma entsprechende praktische Befolgung der evangelischen Räte Christus weihen. Sie finden in den geistlichen Reichtümern des Instituts, dem sie angehören, eine große Hilfe, um die dem Priestertum eigene Spiritualität zu leben und so Ansporn zu apostolischer Gemeinschaft und Großherzigkeit unter den Mitbrüdern zu sein.
Die Gesellschaften des apostolischen Lebens
11. Besondere Erwähnung verdienen sodann die männlichen und weiblichen Gesellschaften des apostolischen Lebens oder des gemeinsamen Lebens, die mit einem ihnen eigenen Stil ein besonderes apostolisches oder missionarisches Ziel verfolgen. In vielen von ihnen werden mit von der Kirche offiziell anerkannten heiligen Weiheverpflichtungen die evangelischen Räte ausdrücklich angenommen. Doch auch in diesem Fall unterscheidet die Eigenart ihrer Weihe sie von den Ordensinstituten und Säkularinstituten. Es gilt, die Besonderheit dieser Lebensform zu erhalten und zu fördern, die im Laufe der letzten Jahrhunderte besonders auf dem Gebiet der Nächstenliebe und bei der missionarischen Verbreitung des Evangeliums so viele Früchte der Heiligkeit und des Apostolats hervorgebracht hat.<ref>Vgl. Propositio 14.</ref>
Neue Ausdrucksformen geweihten Lebens
12. Die ewige Jugend der Kirche erweist sich auch heute: in den letzten Jahrzehnten, nach dem II. Vatikanischen Konzil, sind neue oder erneuerte Formen geweihten Lebens in Erscheinung getreten. In vielen Fällen handelt es sich um Institute, die den bereits bestehenden zwar ähnlich, aber aus neuen spirituellen und apostolischen Impulsen heraus entstanden sind. Ihre Lebensfähigkeit muss von der Autorität der Kirche geprüft werden, der die Durchführung der zweckmäßigen Untersuchungen obliegt, sowohl um die Echtheit der inspirierenden Zielsetzung zu prüfen wie auch die übermäßige Vermehrung nahezu gleicher Institutionen zu vermeiden, die die Gefahr einer schädlichen Aufsplitterung in zu kleine Gruppen nach sich ziehen könnte. In anderen Fällen handelt es sich um echte Erfahrungen, die nach einer eigenen Identität in der Kirche suchen und die offizielle Anerkennung durch den Apostolischen Stuhl erwarten, bei dem allein der letzte Entscheid liegt.<ref>Vgl. Kodex des kanonischen Rechtes, can. 605; Kodex der Kanones der Orientalischen Kirchen, can. 571; Propositio 13.</ref>
Diese neuen Formen geweihten Lebens, die zu den früheren hinzukommen, bezeugen die stete Anziehungskraft, die die Ganzhingabe an den Herrn, das Ideal der apostolischen Gemeinschaft, die Gründungscharismen auch auf die heutige Generation ausüben, und sind ebenso Zeichen für die Komplementarität der Gaben des Heiligen Geistes.
Der Geist widerspricht sich jedoch nicht in der Neuheit! Beweis dafür ist die Tatsache, dass die neuen Formen geweihten Lebens die früheren nicht verdrängt haben. Bei derart vielgestaltiger Mannigfaltigkeit konnte dank derselben Berufung, die grundlegende Einheit gewahrt bleiben, nämlich auf der Suche nach der vollkommenen Liebe dem keuschen, armen und gehorsamen Jesus zu folgen. Wie diese Berufung in allen bereits bestehenden Formen anzutreffen ist, so gilt sie auch in den neu hinzugetretenen.
Zielsetzungen des Apostolischen Schreibens
13. Während ich die Früchte der Arbeiten der Synode sammle, will ich mich mit diesem Apostolischen Schreiben an die ganze Kirche wenden, um nicht nur den Personen des geweihten Lebens, sondern auch den Hirten und den Gläubigen die Früchte einer anregenden Auseinandersetzung darzubieten, über deren Fortgang der Heilige Geist es nicht fehlen ließ, mit seinen Gaben der Wahrheit und der Liebe zu wachen.
In diesen Jahren der Erneuerung hat das geweihte Leben, wie übrigens auch andere Lebensformen in der Kirche, eine schwierige und mühsame Zeit durchgemacht. Es war eine Zeit reich an Hoffnungen sowie an Erneuerungsversuchen und -vorschlägen, die das Bekenntnis zu den evangelischen Räten auf den heutigen Stand bringen sollten. Doch es war auch eine Zeit, die nicht frei von Spannungen und Schwierigkeiten war und in der selbst edle Erfahrungen nicht immer von positiven Ergebnissen gekrönt waren.
Die Schwierigkeiten dürfen jedoch nicht zur Entmutigung verleiten. Es ist vielmehr notwendig, sich mit neuem Eifer zu engagieren, denn die Kirche braucht die geistliche und apostolische Mitwirkung eines erneuerten und gestärkten geweihten Lebens. Mit dem vorliegenden nachsynodalen Schreiben will ich mich an die Ordensgemeinschaften und an die einzelnen Personen des geweihten Lebens im selben Geist wenden, der den Brief beseelte, der einst vom Apostelkonzil in Jerusalem an die Christen von Antiochien gesandt worden war; ich hege dabei die Hoffnung, dass sich heute dieselbe Erfahrung wiederholen möge, wie sie uns von damals überliefert ist: "Die Brüder lasen den Brief und freuten sich über die Ermunterung" (Apg 15,31). Aber nicht nur das: ich hege auch die Hoffnung, dadurch die Freude des ganzen Gottesvolkes zu vermehren, das durch besseres Kennenlernen des geweihten Lebens dem Allmächtigen bewusster für dieses große Geschenk zu danken vermag.
In einer Haltung herzlicher Offenheit gegenüber den Synodenvätern habe ich mir die wertvollen Beiträge zunutze gemacht, die während der intensiven Arbeiten bei den Versammlungen zutage traten, bei denen ich ständig anwesend sein wollte. Während dieser Zeit war ich auch darauf bedacht, dem ganzen Volk Gottes einige systematische Katechesen über das geweihte Leben in der Kirche zu halten. Darin habe ich die in den Texten des II. Vatikanischen Konzils enthaltenen Lehraussagen erneut vorgestellt. Das Konzil war leuchtender Bezugspunkt für die folgenden Lehrentwicklungen und für die von der Synode während der Wochen intensiver Arbeit angestellten Überlegungen.<ref>Vgl. Propositiones 3; 4; 6; 7; 8; 10; 13; 28; 29; 30; 35; 48.</ref>
Während ich darauf vertraue, dass die Söhne und Töchter der Kirche, insbesondere die geweihten Personen dieses Schreiben mit hochherziger Zustimmung annehmen, wünsche ich, dass man auch weiterhin darüber nachdenken möge, um zu einer Vertiefung des großen Geschehens des geweihten Lebens in seiner dreifachen Dimension der Weihe, der Gemeinschaft und der Sendung zu gelangen, und dass die geweihten Personen in völliger Übereinstimmung mit der Kirche und ihrem Lehramt auf diese Weise weiter angespornt werden, den drängenden Herausforderungen geistlich und apostolisch zu begegnen.
Kapitel I: Confessio Trinitatis - An den christologisch-trinitarischen Quellen des geweihten Lebens
Das Bild des verklärten Christus
14. Das Fundament des geweihten Lebens im Evangelium ist in der besonderen Beziehung zu suchen, die Jesus während seines irdischen Daseins mit einigen seiner Jünger herstellte, indem er sie nicht nur einlud, das Reich Gottes im eigenen Leben anzunehmen, sondern ihr Leben in den Dienst dieses Anliegens zu stellen, alles zu verlassen und aus der Nähe seine Lebensform nachzuahmen.
Eine solche "Christus gemäße" Existenz, die so vielen Getauften im Verlauf der Geschichte angeboten wurde, ist nur auf Grund einer besonderen Berufung und kraft eines eigenen Geschenkes des Geistes möglich. In ihr ist die Taufweihe in der Tat zu einer radikalen Antwort in der Nachfolge Christi durch die Annahme der evangelischen Räte geführt, deren erster und wesentlicher die heilige Bindung der Keuschheit um des Himmelreiches willen ist.<ref>Vgl. Propositio, 3, A und B.</ref> Diese "besondere Nachfolge Christi", an deren Ursprung immer die Initiative des Vaters steht, hat also ein wesentlich christologisches und pneumatologisches Merkmal, indem sie so auf besonders lebendige Weise den Trinitätscharakter des christlichen Lebens ausdrückt, dessen eschatologische Verwirklichung sie irgendwie vorwegnimmt, nach der die ganze Kirche trachtet.<ref>Vgl. Propositio, 3, C.</ref>
Im Evangelium gibt es viele Worte und Taten Christi, die den Sinn dieser besonderen Berufung erhellen. Um jedoch in einer Zusammenschau die Wesensmerkmale zu sammeln, stellt es sich als besonders hilfreich dar, den Blick auf das leuchtende Antlitz Christi im Geheimnis der Verklärung zu richten. Auf dieses "Bild" bezieht sich eine ganz alte geistliche Tradition, wenn sie das kontemplative Leben mit dem Gebet Jesu "auf dem Berg" verbindet.<ref>Vgl. Kassian: "Secessit tamen solus in monte orare, per hoc scilicet nos instruens suae secessionis exemplo ... ut similiter secedamus" (Conlat. 10, 6: PL 49, 827); Hl. Hieronymus: "Et Christum quaeras in solitudine et ores solus in monte cum Iesu" (Ep. ad Paulinum 58, 4, 2: PL 22, 582); Wilhelm von Saint Thierry: "(Vita solitaria) ab ipso Domino familiarissime celebrata, ab eius discipulis ipso praesente concupita: cuius transfigurationis gloriam cum vidissent qui cum eo in monte sancto erant, continuo Petrus ... optimum sibi iudicavit in hoc semper esse" (Ad fratres de Monte Dei I, 1: PL 184, 310).</ref> Auf diese Tradition lassen sich außerdem in gewisser Weise selbst die "aktiven" Dimensionen des geweihten Lebens zurückführen, da die Verklärung nicht nur Enthüllung der Herrlichkeit Christi ist, sondern auch Vorbereitung zur Übernahme des Kreuzes. Sie beinhaltet ein "Aufsteigen zum Berg" und ein "Herabsteigen vom Berg": die Jünger, die sich der Vertrautheit des Meisters erfreut haben, für einen Augenblick vom Glanz des trinitarischen Lebens und der Gemeinschaft der Heiligen umhüllt, gleichsam verzückt im Horizont der Ewigkeit, sind sogleich zur Wirklichkeit des Alltags zurückgeführt, wo sie nur "Jesus allein" in der Niedrigkeit der menschlichen Natur sehen und eingeladen sind talwärts zu gehen, um mit ihm die Mühe des Planes Gottes zu leben und mit Mut den Kreuzweg einzuschlagen.
"Und er wurde vor ihren Augen verwandelt ..."
15. "Sechs Tage danach nahm Jesus Petrus, Jakobus und dessen Bruder Johannes beiseite und führte sie auf einen hohen Berg. Und er wurde vor ihren Augen verwandelt; sein Gesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden blendend weiß wie das Licht. Da erschienen plötzlich vor ihren Augen Mose und Elija und redeten mit Jesus. Und Petrus sagte zu ihm: Herr, es ist gut, dass wir hier sind, Wenn du willst, werde ich hier drei Hütten bauen, eine für dich, eine für Mose und eine für Elija. Noch während er redete, warf eine leuchtende Wolke ihren Schatten auf sie, und aus der Wolke rief eine Stimme: Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe; auf ihn sollt ihr hören. Als die Jünger das hörten, bekamen sie große Angst und warfen sich mit dem Gesicht zu Boden. Da trat Jesus zu ihnen, fasste sie an und sagte: Steht auf, habt keine Angst! Und als sie aufblickten, sahen sie nur noch Jesus. Während sie den Berg hinabstiegen, gebot ihnen Jesus: Erzählt niemand von dem, was ihr gesehen habt, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist" (Mt 17,1-9).
Die Begebenheit der Verklärung bezeichnet einen entscheidenden Augenblick in der Sendung Jesu. Es handelt sich um ein Offenbarungsereignis, das den Glauben im Herzen der Jünger festigt, sie auf das Drama des Kreuzes vorbereitet und die Herrlichkeit der Auferstehung vorwegnimmt. Dieses Geheimnis wird von der Kirche, dem Volk auf dem Pilgerweg zur endzeitlichen Begegnung mit seinem Herrn, ständig neu erlebt. Wie die drei auserwählten Apostel, so betrachtet die Kirche das verklärte Antlitz Christi, um sich im Glauben zu stärken und die Ohnmacht vor seinem entstellten Antlitz am Kreuz nicht zu riskieren. Im einen wie im anderen Fall ist sie die Braut, die vor dem Bräutigam steht, die an seinem Geheimnis teilhat und von seinem Licht eingehüllt ist.
Von diesem Licht werden alle ihre Söhne und Töchter erreicht, die alle in gleicher Weise berufen sind, Christus zu folgen, indem sie den letzten Sinn des eigenen Lebens in ihn setzen, um mit dem Apostel sagen zu können: "Für mich ist Christus das Leben!" (Phil 1,21). Aber eine einzigartige Erfahrung des von dem fleischgewordenen Wort ausgestrahlten Lichtes machen mit Sicherheit jene, die zum geweihten Leben berufen sind. Das Bekenntnis zu den evangelischen Räten bestimmt sie nämlich zum Zeichen und zur Prophetie für die Gemeinschaft der Brüder und Schwestern sowie für die Welt. Daher müssen bei ihnen die begeisterten Worte des Petrus: "Herr, es ist gut, dass wir hier sind!" (Mt 17,4) besonderen Widerhall finden. Diese Worte drücken die christozentrische Spannung des ganzen christlichen Lebens aus. Jedoch bekunden sie mit besonderer Ausdruckskraft den Totalitätsanspruch, den der tiefe Dynamismus der Berufung zum geweihten Leben darstellt: "Es ist gut, bei Dir zu sein, uns Dir zu widmen, unser Leben ausschließlich auf Dich zu konzentrieren!". Wer die Gnade dieser besonderen Liebesgemeinschaft mit Christus empfangen hat, fühlt sich in der Tat von seinem Lichtglanz erfasst: Er ist "der Schönste von allen Menschen" (Ps 45 [44],3), der Unvergleichliche.
"Das ist mein geliebter Sohn: auf ihn sollt ihr hören!"
16. Die drei verzückten Jünger erreicht der Anruf des Vaters, auf Christus zu hören, in ihn ihr ganzes Vertrauen zu setzen und ihn zum Mittelpunkt ihres Lebens zu machen. Im Wort, das von oben kommt, erhält die Einladung eine neue Tiefe, mit der Jesus selbst sie am Anfang seines öffentlichen Wirkens zu seiner Nachfolge berufen hatte, indem er sie aus dem Alltagsleben riß und in sein Vertrauen nahm. Aus dieser besonderen Gnade innerer Verbundenheit erwächst im geweihten Leben die Möglichkeit und der Anspruch der totalen Selbsthingabe im Bekenntnis zu den evangelischen Räten. Diese sind zuerst, mehr als ein Verzicht, eine besondere Annahme des im Inneren der Kirche gelebten Geheimnisses Christi. In der Einheit des christlichen Lebens sind die verschiedenen Berufungen gleichsam Strahlen des einen Lichtes Christi, das "auf dem Antlitz der Kirche widerscheint".<ref>II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 1.</ref> Die Laien spiegeln auf Grund des weltlichen Charakters ihrer Berufung das Geheimnis des fleischgewordenen Wortes wider vor allem als das A und O der Welt, Fundament und Maß des Wertes alles Geschaffenen. Die Inhaber des geweihten Amtes sind ihrerseits lebendige Abbilder Christi, des Hauptes und Hirten, der sein Volk in der Zeit des "bereits und noch nicht", in Erwartung seines Kommens in Herrlichkeit, leitet. Dem geweihten Leben ist die Aufgabe anvertraut, den menschgewordenen Sohn Gottes zu zeigen als das eschatologische Ziel, nach dem alles strebt, den strahlenden Glanz, dem gegenüber jedes andere Licht verblaßt, die unermeßliche Schönheit, die allein das Herz des Menschen vollständig zu erfüllen vermag. Im geweihten Leben geht es also nicht nur darum, Christus aus ganzem Herzen zu folgen, ihn "mehr als Vater und Mutter, mehr als Sohn oder Tochter" (vgl. Mt 10,37) zu lieben, wie es von jedem Jünger gefordert wird, sondern dies mit der sich Christus "anpassenden" Zustimmung oder gesamten Existenz in einer allumfassenden Spannung zu leben und auszudrücken, die im möglichen Zeitrahmen und entsprechend den verschiedenen Charismen die eschatologische Vollkommenheit vorwegnimmt.
Denn die geweihte Person macht durch das Bekenntnis zu den Räten nicht nur Christus zum Sinn ihres Lebens, sondern bemüht sich, soweit als möglich, "jene Lebensform, die der Sohn Gottes annahm, als er in die Welt eintrat",<ref>Ebd., 44.</ref> in sich wiederzugeben. Mit dem Entschluß zur Keuschheit macht sie sich die jungfräuliche Liebe Christi zu eigen und bekennt ihn vor der Welt als eingeborenen Sohn, der eins ist mit dem Vater (vgl. Joh 10,30; 14,11); durch Nachahmung seiner Armut bekennt sie ihn als den Sohn, der alles vom Vater empfängt und in der Liebe ihm alles zurückgibt (vgl. Joh 17,7.10). Mit dem Opfer der eigenen Freiheit bekennt sie ihn durch die Verpflichtung zum Geheimnis ihres kindlichen Gehorsams, als den unendlich Geliebten und Liebenden, als den, der allein Wohlgefallen daran findet, den Willen des Vaters zu tun (vgl. Joh 4,34), mit dem sie vollkommen verbunden ist und von dem sie in allem abhängt.
Mit diesem anpassenden Sicheinfühlen ins Geheimnis Christi verwirklicht das geweihte Leben in besonderer Weise jene confessio Trinitatis, die das gesamte christliche Leben kennzeichnet, indem es voll Bewunderung die erhabene Schönheit Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes anerkennt und voll Freude seine liebevolle Hinwendung zu jedem Menschen bezeugt.
I. Zum Lob der Dreifaltigkeit
A Patre ad Patrem: die Initiative Gottes
17. Den Personen des geweihten Lebens enthüllt die kontemplative Anschauung der Herrlichkeit des Herrn Jesus im Bild der Verklärung vor allem den Vater, Schöpfer und Spender alles Guten, der sein Geschöpf mit einer besonderen Liebe und im Hinblick auf eine spezielle Sendung an sich zieht (vgl. Joh 6,44). "Das ist mein geliebter Sohn: auf ihn sollt ihr hören!" (Mt 17,5). Indem sie diesem Ruf, der von einer innigen Anziehung begleitet ist, folgt, vertraut die berufene Person sich der Liebe Gottes an, der sie in seinen ausschließlichen Dienst beruft, und weiht sich vollständig ihm und seinem Heilsplan (vgl. 1 Kor 7,32-34).
Hier liegt der Sinn der Berufung zum geweihten Leben: eine ganz und gar vom Vater ausgehende Initiative (vgl. Job 15,16), die von denen, die er erwählt hat, die Antwort einer ausschließlichen Ganzhingabe fordert.<ref>Vgl. Kongregation für die Ordensleute und Säkularinstitute, Instruktion Essential elements in the Chruch's teaching on Religious Life as applied to Institutes dedicated to works of the apostolate (31. Mai 1983), 5: Enchiridion Vaticanum, 184.</ref> Die Erfahrung dieser unentgeltlichen Liebe Gottes ist dermaßen tief und stark, dass der Betreffende spürt, mit der bedingungslosen Hingabe seines Lebens antworten zu müssen, indem er alles, Gegenwart und Zukunft, in seine Hände hinein opfert. Auf Grund dessen kann man, im Sinne des hl. Thomas, die Identität der geweihten Personen von der Totalität ihrer Hingabe her begreifen, die mit wahrer Selbstaufopferung vergleichbar ist.<ref>Vgl. Summa Theologiae, II-II, q. 186, a. 1.</ref>
Per Filium: in den Fußstapfen Christi
18. Der Sohn, der Weg, der zum Vater führt (vgl. Joh 14,6), ruft alle, die ihm der Vater gegeben hat (vgl. Joh 17,9), in eine Nachfolge, die für ihr Dasein richtungweisend ist. Von einigen aber - eben den Personen des geweihten Lebens - verlangt er eine totale Verpflichtung, die damit verbunden ist, dass sie alles verlassen (vgl. Mt 19,27), um in innigem Vertrauen mit ihm zu leben<ref>Vgl. Propositio 16.</ref> und ihm überallhin zu folgen (vgl. Offb 14,4).
Im Blick Jesu (vgl. Mk 10,21), "Ebenbild des unsichtbaren Gottes" (Kol 1,15), Abglanz der Herrlichkeit des Vaters (vgl. Hebr 1,3), ist die Tiefe einer ewigen und unermeßlichen Liebe wahrzunehmen, die an die Wurzeln des Seins rührt.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Redemptionis donum (25. März 1984), 3: AAS 76 (1984), 515-517.</ref> Wer sich davon ergreifen lässt, muss alles verlassen und ihm folgen (vgl. Mk 1,16-20; 2,14; 10,21.28). Wie Paulus, sieht er alles übrige "als Verlust an, weil die Erkenntnis Christi Jesu alles übertrifft", und zögert nicht, verglichen mit ihm alles "für Unrat" zu halten, "um Christus zu gewinnen" (Phil 3,8). Seine Sehnsucht geht dahin, sich in ihn hineinzudenken, indem er seine Gefühle und seine Lebensform annimmt. Daß also einer alles verlässt und dem Herrn folgt (vgl. Lk 18,28), stellt ein für alle Berufenen und für alle Zeiten gültiges Programm dar.
Die evangelischen Räte, durch die Christus einige dazu einlädt, seine Erfahrung der Keuschheit, der Armut und des Gehorsams zu teilen, erfordern bei dem, der sie annimmt, das ausdrückliche Verlangen nach vollständiger Gleichförmigkeit mit ihm und lassen dieses Verlangen klar zutage treten. Durch ein Leben "in Gehorsam, ohne Eigentum und in Keuschheit"<ref>Hl. Franz von Assisi, Regula bullata, I, 1.</ref> bekennen die Personen des geweihten Lebens, dass Jesus das Vorbild ist, in dem jede Tugend zur Vollkommenheit gelangt. Seine Lebensform in Keuschheit, Armut und Gehorsam erscheint in der Tat als die radikalste Weise, das Evangelium auf dieser Erde zu leben, eine sozusagen göttliche Lebensform, weil sie von ihm, dem Gottmenschen, als Ausdruck seiner Beziehung als des eingeborenen Sohnes zum Vater und zum Heiligen Geist angenommen wurde. Das ist der Grund, warum in der christlichen Überlieferung immer von der objektiven Vollkommenheit des geweihten Lebens gesprochen wurde.
Darüber hinaus lässt sich nicht bestreiten, dass die Übung der Räte eine besonders tiefe und fruchtbare Weise darstellt, auch an der Sendung Christi teilzunehmen, nach dem Vorbild Mariens von Nazareth, der ersten Jüngerin, die es annahm, sich durch die Ganzhingabe ihrer selbst in den Dienst des göttlichen Heilsplanes zu stellen. Jede Sendung beginnt mit derselben Haltung, wie sie von Maria bei der Verkündigung zum Ausdruck gebracht worden ist: "Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast" (Lk 1,38).
In Spiritu: vom Heiligen Geist geweiht
19. "Eine leuchtende Wolke warf ihren Schatten auf sie" (Mt 17,5). Eine bedeutende geistliche Interpretation der Verklärung sieht in dieser Wolke das Bild des Heiligen Geistes.<ref> "Tota Trinitas apparuit: Pater in voce; Filius in homine, Spiritus in nube clara": Hl. Thomas von Aquin, Summa Theologiae III, 45, 4 ad 2um.</ref> Wie die ganze christliche Existenz, so steht auch die Berufung zum geweihten Leben in enger Beziehung zum Wirken des Heiligen Geistes. Er ist es, der im Laufe der Jahrtausende immer aufs neue Menschen dafür empfänglich macht, das Faszinierende einer derart verpflichtenden Entscheidung wahrzunehmen. Unter seinem Wirken erleben sie gewissermaßen wieder die Erfahrung des Propheten Jeremia: "Du hast mich betört, o Herr, und ich ließ mich betören" (20,7). Der Geist ist es, der das Verlangen nach einer vollkommenen Antwort weckt; er leitet das Wachstum dieses Verlangens, indem er die positive Antwort heranreifen lässt und dann ihre getreue Ausführung unterstützt; er formt und bildet die Seele der Berufenen, indem er sie nach dem keuschen, armen und gehorsamen Christus gestaltet und sie anspornt, sich seine Sendung zu eigen zu machen. Während sie sich auf einem Weg unablässiger Läuterung vom Geist leiten lassen, werden sie immer mehr zu Personen, die mit Christus gleichförmig sind, zur Verlängerung einer besonderen Gegenwart des auferstandenen Herrn in die Geschichte hinein.
Mit treffender Intuition haben die Kirchenväter diesen geistlichen Weg als filocalia bezeichnet, das heißt Liebe zur göttlichen Schönheit, die Ausstrahlung der göttlichen Güte ist. Wer von der Macht des Heiligen Geistes stufenweise zur vollkommenen Gleichgestaltung mit Christus geführt wird, spiegelt in sich einen Strahl des unerreichbaren Lichtes wider und geht auf seinem irdischen Pilgerweg bis zur unerschöpflichen Quelle des Lichtes. So wird das geweihte Leben zu einem besonders tiefen Ausdruck für die Kirche als Braut, die, vom Geist geführt, in sich die Wesenszüge des Bräutigams wiederzugeben, "herrlich, ohne Flecken, Falten oder andere Fehler, heilig und makellos" vor ihm erscheint (Eph 5,27).
Weit davon entfernt, diejenigen, die der Vater berufen hat, der Menschheitsgeschichte vorzuenthalten, stellt sie derselbe Geist sodann, je nach den Bestimmungen ihres Lebensstandes, in den Dienst der Brüder und Schwestern und leitet sie an, in bezug auf die Bedürfnisse von Kirche und Welt durch die den verschiedenen Instituten eigenen Charismen besondere Aufgaben zu erfüllen. Daraus erklärt sich das Entstehen so vielfältiger Formen geweihten Lebens, durch die die Kirche "mit den mannigfachen Gnadengaben ihrer Kinder wie eine Braut für ihren Mann geschmückt dasteht (vgl. Offb 21,2)"<ref> II. Vat. Konzil, Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens Perfectae caritatis, 1.</ref> und durch jedes Mittel bereichert wird, um ihre Sendung in der Welt zu erfüllen.
Die evangelischen Räte, Geschenk der Dreifaltigkeit
20. Die evangelischen Räte sind also vor allem eine Gnadengabe der Heiligsten Dreifaltigkeit. Das geweihte Leben ist Ankündigung dessen, was der Vater durch den Sohn im Geist aus seiner Liebe, seiner Güte und seiner Schönheit vollbringt. Denn "der Ordensstand [...] macht die Erhabenheit des Gottesreiches gegenüber allem Irdischen und seine höchsten Ansprüche in besonderer Weise offenkundig. Er zeigt auch allen Menschen die überragende Größe der Herrscherkraft Christi und die wunderbare, unbegrenzte Macht des Heiligen Geistes in der Kirche auf".<ref> II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 44.</ref>
Vorrangige Aufgabe des geweihten Lebens ist das Sichtbarmachen der Wunder, die Gott in der schwachen Menschlichkeit derer wirkt, die er berufen hat. Mehr als mit Worten bezeugen sie diese Wunder mit der beredten Sprache einer verklärten Existenz, die in der Lage ist, die Welt zu überraschen. Zum Staunen der Menschen antworten sie mit der Ankündigung der Wunder der Gnade, die der Herr in denen wirkt, die er liebt. In dem Maße, in dem sich der geweihte Mensch vom Geist zu den Höhen der Vollkommenheit führen lässt, kann er ausrufen: "Ich sehe die Schönheit deiner Gnade und versenke mich in ihr Licht; ich betrachte voll Staunen diesen unsagbaren Glanz; ich bin außer mir, während ich doch über mich selber nachdenke: was ich war und was ich geworden bin. O Wunder! Ich bin aufmerksam, erfüllt von heiligem Respekt vor mir selbst, von Ehrfurcht, von Angst, als stünde ich vor dir, und weiß nicht, was ich tun soll, denn mich hat die Angst ergriffen; ich weiß nicht, wo ich mich niederlassen, wohin ich mich wenden soll, wohin diese Glieder legen, die deine sind; für welche Taten, für welche Werke sie verwenden, diese überraschenden göttlichen Wunder".<ref> Symeon der neue Theologe, Hymnen, II, vv. 19-27: SCh 156, 178-179.</ref> So wird das geweihte Leben zu einer der konkreten Spuren, die die Dreifaltigkeit in der Geschichte hinterlässt, damit die Menschen das Faszinierende der göttlichen Schönheit und die Sehnsucht nach ihr wahrnehmen können.
Der Abglanz des trinitarischen Lebens in den Räten
21. Der Bezug der evangelischen Räte auf die Heilige und heiligende Dreifaltigkeit offenbart ihren tiefsten Sinn. Sie sind nämlich Ausdruck der Liebe, die der Sohn dem Vater in der Einheit des Heiligen Geistes entgegenbringt. Durch ihr Befolgen erlebt derjenige, der sich Gott geweiht hat, besonders intensiv den trinitarischen und christologischen Charakter, der das ganze christliche Leben kennzeichnet.
Die Keuschheit der unverheirateten Männer und der Jungfrauen als Bekundung der ungeteilten Hingabe an Gott (vgl. 1 Kor 7,32-34) stellt einen Abglanz der grenzenlosen Liebe dar, die die drei göttlichen Personen in der geheimnisvollen Tiefe des trinitarischen Lebens verbindet; der Liebe, die von dem fleischgewordenen Wort bis zur Hingabe seines Lebens bezeugt wird; der Liebe, die vom Heiligen Geist "in unsere Herzen ausgegossen" wurde (Röm 5,5), die zu einer Antwort totaler Liebe zu Gott und zu den Brüdern und Schwestern anspornt.
Die Armut bekennt, dass Gott der einzige wahre Reichtum des Menschen ist. Nach dem Beispiel Christi gelebt, der, obwohl er "reich war, arm wurde" (2 Kor 8,9), wird die Armut Ausdruck jener Ganzhingabe, zu der sich die drei göttlichen Personen gegenseitig machen. Es ist die Hingabe, die in die Schöpfung überströmt und sich voll in der Menschwerdung des Wortes und in seinem erlösenden Tod offenbart.
Der Gehorsam, der in der Nachahmung Christi geübt wird, dessen Speise es war, den Willen des Vaters zu tun (vgl. Joh 4,34), stellt die befreiende Schönheit einer von Verantwortungsgefühl erfüllten und von gegenseitigem Vertrauen beseelten kindlichen und nicht sklavischen Abhängigkeit dar, die Abglanz der liebevollen Gegenseitigkeit der drei göttlichen Personen in der Geschichte ist.
Das geweihte Leben ist daher berufen, die Gabe der evangelischen Räte mit einer immer aufrichtigeren und stärkeren Liebe in trinitarischer Dimension beständig zu vertiefen: Liebe zu Christus, der in seinem Vertrauen ruft; zum Heiligen Geist, der die Seele bereit macht für die Aufnahme seiner Eingebungen; zum Vater, Ursprung und höchstes Ziel des geweihten Lebens.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Ansprache bei der Generalaudienz (9. November 1994), 4: L'Osservatore Romano, 10. Nov. 1994, S. 4.</ref> So wird es zum Bekenntnis und Zeichen der Dreifaltigkeit, deren Geheimnis der Kirche als Vorbild und Quelle jeder christlichen Lebensform hingestellt wird.
Gerade das geschwisterliche Leben, kraft dessen sich die Personen des geweihten Lebens bemühen, in Christus zu leben und "ein Herz und eine Seele" zu sein (Apg 4,32), stellt sich als beredtes Bekenntnis zur Dreifaltigkeit dar. Es bekennt den Vater, der aus allen Menschen eine einzige Familie machen will; es bekennt den menschgewordenen Sohn, der die Erlösten in der Einheit versammelt und ihnen mit seinem Beispiel, mit seinem Gebet, mit seinen Worten und vor allem mit seinem Tod, der Quelle der Versöhnung für die entzweiten und zerstreuten Menschen, den Weg zeigt; es bekennt den Heiligen Geist als Prinzip der Einheit in der Kirche, wo er nicht aufhört, geistliche Familien und brüderliche Gemeinschaften ins Leben zu rufen.
Für das Reich Gottes geweiht wie Christus
22. Das geweihte Leben ahmt auf Anregung des Heiligen Geistes die Lebensform "ausdrücklicher nach und bringt sie in der Kirche ständig zur Darstellung",<ref> II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 44.</ref> die Jesus, der höchste Geweihte und Gesandte des Vaters für sein Reich, annahm und für die Jünger, die ihm folgten, bestimmt hat (vgl. Mt 4,18-22; Mk 1,16-20; Lk 5,10-11; Joh 15,16). Im Lichte der Weihe Jesu kann man in der Initiative des Vaters, der Quelle aller Heiligkeit, die ursprüngliche Quelle des geweihten Lebens entdecken. Denn Jesus selbst ist derjenige, den "Gott gesalbt hat mit dem Heiligen Geist und mit Kraft" (Apg 10,38), "den der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat" (Joh 10,36). Der Sohn, der die Weihe durch den Vater empfängt, weiht sich ihm seinerseits für die Menschen (vgl. Joh 17,19): sein Leben in Keuschheit, Gehorsam und Armut ist Ausdruck seiner kindlichen und vollständigen Zustimmung zum Plan des Vaters (vgl. Joh 10,30; 14,11). Seine vollkommene Hingabe verleiht allen Begebenheiten seines irdischen Daseins eine Bedeutung von heiligender Weihe.
Er ist der Gehorsame schlechthin, der vom Himmel herabgekommen ist, nicht um seinen Willen zu tun, sondern den Willen dessen, der ihn gesandt hat (vgl. Joh 6,38; Hebr 10,5.7). Er legt seine Lebens- und Handlungsweise zurück in die Hände des Vaters (vgl. Lk 2,49). In kindlichem Gehorsam nimmt er den Stand eines Sklaven an: "Er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave [...], und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz" (Phil 2,7-8). In dieser Gehorsamshaltung gegenüber dem Vater nimmt Christus, obwohl er die Würde und Heiligkeit des ehelichen Lebens anerkennt und verteidigt, die jungfräuliche Lebensform an und enthüllt auf diese Weise den hohen Wert und die geheimnisvolle geistliche Fruchtbarkeit der Jungfräulichkeit. Seine volle Zustimmung zum Plan des Vaters offenbart sich auch in der Loslösung von den irdischen Gütern: "Er, der reich war, wurde euretwegen arm, um euch durch seine Armut reich zu machen" (2 Kor 8,9). Die Tiefgründigkeit seiner Armut erweist sich in der vollkommenen Aufopferung alles dessen an Gott, was sein ist.
Das geweihte Leben stellt wahrhaftig lebendige Erinnerung an die Lebens- und Handlungsweise Jesu als fleischgewordenes Wort gegenüber dem Vater und gegenüber den Brüdern und Schwestern dar. Es ist lebendige Überlieferung des Lebens und der Botschaft des Erlösers.
II. Zwischen Ostern und Vollendung
Vom Tabor auf den Kalvarienberg
23. Das strahlende Ereignis der Verklärung bereitet jenes dramatische, doch nicht weniger glorreiche Geschehen auf dem Kalvarienberg vor. Petrus, Jakobus und Johannes sehen den Herrn Jesus zusammen mit Mose und Elija, mit denen er - nach dem Evangelisten Lukas - "von seinem Ende (spricht), das sich in Jerusalem erfüllen sollte" (9,31). Die Augen der Jünger sind also auf Jesus gerichtet, der an das Kreuz denkt (vgl. Lk 9, 43-45). Dort wird seine jungfräuliche Liebe zum Vater und zu allen Menschen ihren höchsten Ausdruck erreichen; seine Armut wird zur völligen Entäußerung gelangen; sein Gehorsam bis zur Hingabe des Lebens.
Die Jünger sind eingeladen, den am Kreuz erhöhten Jesus zu betrachten, an dem Kreuz, von dem her "das Wort, das aus dem Schweigen hervorgegangen war",<ref>Hl. Ignatius von Antiochien, Brief an die Magnesier, 8,2; Patres Apostolici, hrsg. F. X. Funk, II, 237.</ref> in seinem Schweigen und seiner Einsamkeit prophetisch die absolute Transzendenz Gottes über alle geschaffenen Güter bestätigt, in seinem Fleisch unsere Sünde besiegt, jeden Mann und jede Frau an sich zieht und jedem das neue Leben der Auferstehung schenkt (vgl. Joh 12,32; 19,34.37). In der Betrachtung des gekreuzigten Christus finden alle Berufungen Erleuchtung; von ihr nehmen alle Gnadengaben und insbesondere die Gabe des geweihten Lebens mit der grundlegenden Gabe des Geistes ihren Ausgang.
Nach Maria, der Mutter Jesu, empfängt Johannes diese Gnadengabe, der Jünger, den Jesus liebte, der Zeuge, der zusammen mit Maria unter dem Kreuz stand (vgl. Joh 19,26-27). Seine Entscheidung zur Ganzhingabe ist Frucht der göttlichen Liebe, die ihn umhüllt, ihn trägt und sein Herz erfüllt. Johannes gehört neben Maria zu den ersten in der langen Reihe von Männern und Frauen, die von den Anfängen der Kirche bis zu ihrem Ende von der Liebe Gottes erfasst werden und sich gerufen fühlen, dem Lamm, das geopfert wurde und lebt, zu folgen, wohin es geht (vgl. Offb 14,1-5).<ref>Vgl. Propositio 3.</ref>
Österliche Dimension des geweihten Lebens
24. Der Mensch, der sich Gott geweiht hat, macht in den verschiedenen Lebensformen, die vom Heiligen Geist im Laufe der Geschichte eingegeben wurden, die Erfahrung der Wahrheit über den Gott der Liebe um so unmittelbarer und intensiver, je mehr er sich unter das Kreuz Christi stellt. Er, der in seinem Tod den menschlichen Augen so entstellt und unschön erscheint, dass die Anwesenden vor ihm das Gesicht verhüllen (vgl. Jes 53,2-3), offenbart gerade am Kreuz die Schönheit und die Macht der Liebe Gottes in Fülle. Der hl. Augustinus besingt ihn so: "Schön ist Gott, das Wort bei Gott [...] Schön im Himmel, schön auf Erden; schön im Schoß, schön in den Armen der Eltern; schön in den Wundern, schön in den Todesqualen; schön, wenn er zum Leben einlädt, schön, wenn man sich nicht um den Tod kümmert, schön im Verlassen des Lebens und schön, wenn er dieses Leben wieder nimmt; schön am Kreuz, schön im Grab, schön im Himmel. Hört den Gesang mit Klugheit und die Schwachheit des Fleisches möge eure Augen nicht vom Glanz seiner Schönheit ablenken".<ref>Hl. Augustinus, Enarr. in Psal. 44, 3: PL 36, 495-496.</ref> Diesen Glanz der Liebe spiegelt das geweihte Leben wider, weil es mit seiner Treue zum Kreuzesgeheimnis bekennt, an die Liebe des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes zu glauben und aus ihr zu leben. Auf diese Weise trägt es dazu bei, in der Kirche das Bewusstsein lebendig zu erhalten, dass das Kreuz der Überfluß der Liebe Gottes ist, die auf diese Welt überströmt, das großartige Zeichen der Heilsgegenwart Christi. Und dies besonders bei Schwierigkeiten und Heimsuchungen. Das alles wird mit zutiefst bewundernswertem Mut von einer großen Anzahl geweihter Personen fortwährend bezeugt, die oft in schwierigen Situationen, bis hin zu Verfolgung und Martyrium ausharren. Ihre Treue zur einzigen Liebe zeigt und stärkt sich in der Demut eines verborgenen Lebens, in der Annahme von Leiden, um in ihrem Leben, im schweigenden Opfer, in der Hingabe an den heiligen Willen Gottes, in Treue auch angesichts des Schwindens der Kräfte und des eigenen Ansehens "das zu ergänzen, was an den Leiden Christi noch fehlt" (Kol 1,24). Aus der Treue zu Gott erwächst auch die Hingabe an den Nächsten, die die Personen des geweihten Lebens in der ständigen Fürbitte für die Nöte der Brüder und Schwestern, im hochherzigen Dienst an den Armen und Kranken, im Teilen und Mittragen der Schwierigkeiten anderer, in der eifrigen Teilnahme an den Sorgen und Heimsuchungen der Kirche nicht ohne Opfer leben.
Zeugen Christi in der Welt
25. Aus dem Ostergeheimnis entspringt auch der missionarische Charakter, eine das gesamte kirchliche Leben kennzeichnende Dimension. Sie findet eine besondere Verwirklichung im geweihten Leben. Denn auch unabhängig von den Charismen jener Institute, die sich der Mission ad gentes widmen oder apostolische Aktivitäten im eigentlichen Sinne des Wortes ausüben, kann man sagen, dass der missionarische oder Sendungscharakter jeder Form des geweihten Lebens zutiefst innewohnt. In dem Maße, in dem der Geweihte ein Leben lebt, das ausschließlich dem Vater gewidmet (vgl. Lk 2,49; Joh 4,34), von Christus ergriffen (vgl. Joh 15,16; Gal 1,15-16), und vom Geist beseelt ist (vgl. Lk 24,49; Apg 1,8; 2,4), arbeitet er wirksam mit an der Sendung des Herrn Jesus (vgl. Joh 20,21) und trägt in besonders intensiver Weise zur Erneuerung der Welt bei.
Die erste missionarische Aufgabe haben die Personen des geweihten Lebens gegenüber sich selbst und sie erfüllen sie dadurch, dass sie ihr Herz dem Wirken des Geistes Christi öffnen. Ihr Zeugnis hilft der ganzen Kirche, sich daran zu erinnern, dass an erster Stelle der unentgeltliche Dienst an Gott steht, der durch Christi Gnade ermöglicht wird, die dem Gläubigen durch das Geschenk des Geistes mitgeteilt wird. So wird der Welt der Friede verkündet, der vom Vater herkommt, die Hingabe, die vom Sohn bezeugt wird, und die Freude, die Frucht des Heiligen Geistes ist.
Die Personen des geweihten Lebens werden vor allem dann missionarisch sein, wenn sie unablässig das Bewusstsein vertiefen, von Gott berufen und erwählt worden zu sein, dem sie daher ihr ganzes Leben zuwenden und alles, was sie sind und haben, darbringen und sich von den Hindernissen befreien müssen, die die Vollkommenheit der aus der Liebe kommenden Antwort verzögern könnten. Auf diese Weise werden sie zu einem echten Zeichen Christi in der Welt werden können. Auch ihr Lebensstil muss das Ideal, zu dem sie sich bekennen, sichtbar werden lassen und sich als lebendiges Zeichen Gottes und als beredte, wenn auch oft schweigende Verkündigung des Evangeliums darstellen. Immer, aber besonders in der heutigen, oft so säkularisierten Kultur, die aber trotzdem für die Sprache der Zeichen empfänglich ist, muss sich die Kirche bemühen, ihre Anwesenheit im Alltagsleben sichtbar zu machen. Einen bedeutsamen Beitrag in diesem Sinne erwartet sie sich zu Recht von den Personen des geweihten Lebens, die berufen sind, in jeder Situation konkret von ihrer Zugehörigkeit zu Christus Zeugnis abzulegen.
Da das Ordensgewand Zeichen der Weihe, der Armut und der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ordensfamilie ist, empfehle ich zusammen mit den Synodenvätern den Ordensleuten nachdrücklich, ihr den Umständen von Zeit und Ort entsprechend angepasstes Gewand zu tragen.<ref>Vgl. Propositio 25; II. Vat. Konzil, Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens Perfectae caritatis, 17.</ref> Wo entsprechende apostolische Erfordernisse es verlangen, können sie der Tradition und den Normen ihres Instituts gemäß auch gewöhnliche, aber geziemende Kleidung tragen mit einem geeigneten Symbol, das ihre Weihe erkennbar macht. Die Institute, die ursprünglich bzw. durch Verfügung ihrer Konstitutionen kein eigenes Gewand vorsehen, sollen dafür sorgen, dass die Kleidung der Brüder und Schwestern durch Würde und Schlichtheit der Natur ihrer Berufung entspreche.<ref>Vgl. Propositio 25.</ref>
Eschatologische Dimension des geweihten Lebens
26. Da sich heute die apostolischen Sorgen als immer dringender erweisen und das Engagement für die Dinge dieser Welt die Menschen immer mehr in Anspruch zu nehmen droht, ist es besonders geboten, die Aufmerksamkeit auf die eschatologische Natur des geweihten Lebens zu lenken.
"Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz" (Mt 6,21): der einzige Schatz des Gottesreiches ruft das Verlangen, die Erwartung, den Einsatz und das Zeugnis hervor. In der Urkirche wurde die Erwartung der Wiederkunft des Herrn besonders intensiv gelebt. Die Kirche hat jedoch während all der Jahrhunderte nicht aufgehört, diese Hoffnungshaltung zu pflegen: sie hat immer wieder die Gläubigen eingeladen, nach dem Heil Ausschau zu halten, das schon bald offenbar werden wird, "denn die Gestalt dieser Welt vergeht" (1 Kor 7,31; vgl. 1 Petr 1,3-6).<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 42.</ref>
Vor diesem Hintergrund ist die Rolle des endzeitlichen Zeichens gerade des geweihten Lebens besser zu verstehen. Denn unveränderlich ist die Lehre, die sie als Vorwegnahme des zukünftigen Reiches darstellt. Das II. Vatikanische Konzil greift diese Lehre wieder auf, wenn es sagt, "der Ordensstand [...] kündigt die zukünftige Auferstehung und die Herrlichkeit des Himmelreiches an".<ref>Ebd., 44.</ref> Das geschieht vor allem durch die Entscheidung für die Jungfräulichkeit, die von der Überlieferung immer als eine Vorwegnahme der endgültigen Welt verstanden wurde, die schon jetzt am Werk ist und den Menschen in seiner Ganzheit verwandelt.
Die Menschen, die ihr Leben Christus geweiht haben, müssen in der Sehnsucht leben, ihm zu begegnen, um endlich und für immer bei ihm zu sein. Daher die brennende Erwartung, daher das Verlangen, "einzutauchen in das Feuer der Liebe, das in ihnen brennt und das nichts anderes ist als der Heilige Geist",<ref>Sel. Elisabeth von der Dreifaltigkeit, Le ciel dans la foi. Traité Spirituel, I, 14: Œuvres complètes, Paris 1991, S. 106.</ref> Erwartung und Sehnsucht, gestärkt von den Gaben, die der Herr freigiebig denen gewährt, die nach dem streben, was im Himmel ist (vgl. Kol 3,1). Die Person des geweihten Lebens, die in den Dingen des Herrn feststeht, erinnert sich, dass "wir hier keine Stadt haben, die bestehenbleibt" (Hebr 13,14), denn "unsere Heimat ist im Himmel" (Phil 3,20). Es kommt allein darauf an, nach dem "Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit" zu suchen (Mt 6,33) mit der unaufhörlichen Bitte um das Kommen des Herrn.
Eine tätige Erwartung: Einsatz und Wachsamkeit
27. "Komm, Herr Jesus!" (Offb 22,20). Diese Erwartung ist alles andere als untätig: auch wenn sie sich dem künftigen Reich zuwendet, setzt sie sich in Arbeit und Mission um, damit durch das Erwecken des Geistes der Seligpreisungen, der auch in der menschlichen Gesellschaft wirksame Forderungen nach Gerechtigkeit, Frieden, Solidarität und Vergebung zu stellen vermag, das Reich schon jetzt gegenwärtig werde.
Das wird von der Geschichte des geweihten Lebens, das immer reiche Früchte auch für die Welt hervorgebracht hat, ausführlich bewiesen. Mit ihren Gnadengaben werden die Personen des geweihten Lebens zu einem Zeichen des Geistes für eine neue, vom Glauben und von der christlichen Hoffnung erleuchtete Zukunft hin. Die Endzeitstimmung setzt sich in Sendung um, damit das Reich hier und jetzt in steigendem Maße Wirklichkeit werde. An die Bitte: "Komm, Herr Jesus!" schließt sich die andere inständige Bitte an: "Dein Reich komme!" (Mt 6,10).
Wer wachsam die Erfüllung der Verheißungen Christi erwartet, ist imstande, auch bei seinen im Hinblick auf die Zukunft oft mißtrauischen und pessimistischen Brüdern und Schwestern Hoffnung zu wecken. Seine Hoffnung gründet sich auf die Verheißung Gottes, die im Wort der Offenbarung enthalten ist: die Geschichte der Menschen geht auf den "neuen Himmel und die neue Erde" zu (Offb 21,1), wo der Herr "alle Tränen von ihren Augen abwischen wird: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen" (Offb 21,4).
Das geweihte Leben steht im Dienst dieser endgültigen Ausstrahlung der göttlichen Herrlichkeit, wenn alle Menschen das Heil sehen werden, das von Gott kommt (vgl. Lk 3,6; Jes 40,5). Der christliche Orient stellt diese Dimension heraus, wenn er die Mönche als Engel Gottes auf Erden betrachtet, die die Erneuerung der Welt in Christus verkünden. Im Abendland ist das Mönchtum feierliches Gedenken und Vigil: Gedenken der von Gott vollbrachten Wunder, Vigil der letzten Erfüllung der Hoffnung. Die Botschaft des Mönchtums und des kontemplativen Lebens wiederholt unablässig, dass der Vorrang Gottes für die menschliche Existenz Fülle von Bedeutung und Freude ist, weil der Mensch für Gott geschaffen und unruhig ist, bis er in ihm Frieden findet.<ref>Vgl. Hl. Augustinus, Confessiones I, 1: PL 32, 661.</ref>
Die Jungfrau Maria, Modell der Weihe und Nachfolge
28. Von ihrer unbefleckten Empfängnis an spiegelt Maria am vollkommensten die göttliche Schönheit wider. "Ganz und gar Schöne" ist der Titel, mit dem die Kirche sie anruft. "Die Beziehung zur seligsten Jungfrau Maria, die jeder Gläubige wegen seiner Verbundenheit mit Christus hat, ist im Leben der Ordensleute besonders ausgeprägt... Alle [Institute des geweihten Lebens] sind davon überzeugt, dass die Gegenwart Mariens eine grundlegende Bedeutung hat sowohl für das geistliche Leben jeder geweihten Person als auch für die Beständigkeit, die Einheit und den Fortschritt der ganzen Gemeinschaft".<ref>Johannes Paul II., Ansprache bei der Generalaudienz (29. März 1995), 1: L'Osservatore Romano, 30. März 1995, S. 4.</ref>
Maria ist in der Tat das höchste Vorbild vollkommener Weihe in der vollen Zugehörigkeit und Ganzhingabe an Gott. Vom Herrn erwählt, der in ihr das Geheimnis der Menschwerdung vollzogen hat, erinnert sie die Personen des geweihten Lebens an den Vorrang der Initiative Gottes. Gleichzeitig stellt sich Maria, die dem göttlichen Wort, das in ihr Fleisch geworden ist, ihre Zustimmung gegeben hat, als Modell des Gnadenempfanges seitens der menschlichen Kreatur dar.
Die Jungfrau, die während des verborgenen Lebens in Nazareth zusammen mit Josef Christus nahe und in den entscheidenden Augenblicken seines öffentlichen Lebens neben dem Sohn zugegen war, ist Lehrmeisterin bedingungsloser Nachfolge und beständigen Dienstes. In ihr, dem "Heiligtum des Heiligen Geistes",<ref>II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 53.</ref> erstrahlt so der ganze Glanz der neuen Schöpfung. Das geweihte Leben blickt auf sie als höchstes Modell der Weihe an den Vater, der Einheit mit dem Sohn und der Fügsamkeit gegenüber dem Heiligen Geist in dem Bewusstsein, dass das Befolgen "der jungfräulichen und armen Lebensweise"<ref>Ebd., 46.</ref> Christi bedeutet, sich auch die Lebensweise Mariens zu eigen zu machen.
In der Jungfrau begegnet die geweihte Person außerdem einer Mutter mit ganz besonderem Anrecht. Denn auch wenn die am Kalvarienberg Maria übertragene neue Mutterschaft ein Geschenk an alle Christen ist, hat sie für denjenigen, der sein Leben vollständig Christus geweiht hat, eine besondere Bedeutung. "Siehe, deine Mutter" (Joh, 19,27): Jesu Worte an den Jünger, "den er liebte" (Joh 19,26), gewinnen im Leben der geweihten Person eine besondere Tiefe. Denn sie ist mit Johannes aufgerufen, Maria zu sich zu nehmen (vgl. Joh 19,27), wobei sie diese mit der Radikalität seiner Berufung liebt und nachahmt und, als Erwiderung, eine besondere mütterliche Zärtlichkeit erfährt. Die Jungfrau vermittelt ihr jene Liebe, die sie jeden Tag das Leben für Christus darbringen lässt, indem er mit ihr für die Rettung der Welt wirkt. Darum stellt die kindliche Beziehung zu Maria den bevorzugten Weg für die Treue zu der empfangenen Berufung und eine äußerst wirksame Hilfe dar, um in dieser Berufung voranzukommen und sie in Fülle zu leben.<ref>Vgl. Propositio 55.</ref>
III. In der Kirche und für die Kirche
"Es ist gut, dass wir hier sind": das geweihte Leben im Geheimnis der Kirche
29. Beim Anblick der Verklärung spricht Petrus im Namen der anderen Apostel: "Es ist gut, dass wir hier sind" (Mt 17,4). Die Erfahrung der Herrlichkeit Christi, die ihm sogar den Verstand und das Herz berauscht, isoliert ihn nicht, sondern bindet ihn im Gegenteil noch enger an das "wir" der Jünger.
Diese Dimension des "wir" lässt uns den Stellenwert betrachten, den das geweihte Leben im Geheimnis der Kirche innehat. Die theologische Reflexion über das Wesen des geweihten Lebens hat in diesen Jahren die aus der Lehre des II. Vatikanischen Konzils hervorgegangenen neuen Sichtweisen vertieft. So hat man in ihrem Licht erkannt, dass das Bekenntnis zu den evangelischen Räten unerschütterlich zum Leben und zur Heiligkeit der Kirche gehört.<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 44.</ref> Das bedeutet, dass das von Anfang an vorhandene geweihte Leben in der Kirche als ein für sie unverzichtbares und kennzeichnendes Element nie wird fehlen können, weil es Ausdruck ihres eigentlichen Wesens ist.
Dies geht klar daraus hervor, dass das Bekenntnis zu den evangelischen Räten zutiefst mit dem Geheimnis Christi verbunden ist, da es die Aufgabe hat, so gut wie möglich die Lebensform darzustellen, die er für sich wählte, und sie als absoluten und eschatologischen Wert aufzuzeigen. Jesus selbst hat durch die Berufung einiger Personen, die er aufforderte, alles zu verlassen und ihm zu folgen, diese Lebensform eingeführt, die sich unter der Wirkung des Geistes im Laufe der Jahrhunderte allmählich in den verschiedenen Formen des geweihten Lebens entfalten wird. Die Vorstellung von einer Kirche, die einzig aus geweihten Amtsinhabern und aus Laien zusammengesetzt ist, entspricht deswegen nicht den Absichten ihres göttlichen Gründers, wie sie uns aus den Evangelien und den neutestamentlichen Schriften ersichtlich sind.
Die neue und besondere Weihe
30. In der Tradition der Kirche wird die Ordensprofess als eine einzigartige und fruchtbare Vertiefung der Taufweihe betrachtet, da sich durch sie die bereits mit der Taufe eingeleitete innige Verbindung mit Christus in dem Geschenk einer durch das Bekenntnis zu den evangelischen Räten vollkommener zum Ausdruck gebrachten und verwirklichten Anpassung an ihn entfaltet.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Redemptionis donum (25. März 1984), 7: AAS 76 (1984), 522-524.</ref>
Diese weitere Weihe weist dennoch ihre Eigenart im Vergleich zur ersten auf, insofern sie nicht eine notwendige Folge daraus ist.<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 44; Johannes Paul II. Ansprache bei der Generalaudienz (26. Oktober 1994), 5: L'Osservatore Romano, 27. Oktober 1994, S. 4.</ref> Tatsächlich ist jeder, der in Christus zu neuem Leben erweckt wurde, berufen, mit der aus der Gabe des Geistes stammenden Kraft seinem Lebensstand gemäß die Keuschheit, den Gehorsam gegenüber Gott und der Kirche und eine vernünftige Loslösung von den materiellen Gütern zu leben, weil alle zur Heiligkeit berufen sind, die in der Vollkommenheit der Liebe besteht.<ref>Vgl. ebd., 42.</ref> Aber die Taufe ist an und für sich nicht mit der Berufung zum Zölibat oder zur Jungfräulichkeit, mit dem Verzicht auf Besitz von Gütern und mit dem Gehorsam gegenüber einem Oberen in der eigentlichen Form der evangelischen Räte verbunden. Deshalb setzt das Bekenntnis zu diesen evangelischen Räten ein besonderes, nicht allen gewährtes Geschenk Gottes voraus, wie Jesus selber für den Fall der freiwilligen Ehelosigkeit hervorhebt (vgl. Mt 19,10-12).
Dieser Berufung entspricht allerdings eine spezifische Gabe des Heiligen Geistes, damit derjenige, der sich Gott weiht, seiner Berufung und seiner Sendung zu entsprechen vermag. Wie die Liturgie im Orient und im Abendland bezeugt, ruft deshalb die Kirche beim Ritus der Ablegung des Ordensgelübdes und bei der Jungfrauenweihe auf die erwählten Personen die Gabe des Heiligen Geistes herab und verbindet ihre Selbsthingabe mit dem Opfer Christi.<ref>Vgl. Rituale Romanum, Ritus der Ordensprofess: feierlicher Segen bzw. Weihe der männlichen Professen, Nr. 67, und der weiblichen Professen, Nr. 72; Pontificale Romanum, Ritus der Jungfrauenweihe, Nr. 38: feierliches Weihegebet; Eucologion sive Rituale Graecorum, Officium parvi habitum id est Mandiae, S. 384-385; Pontificale iuxta Ritum Ecclesiae Syrorum Occidentalium id est Antiochiae, Ordo rituum monasticorum, Typis Polyglottis Vaticanis 1942, S. 307-309.</ref>
Das Bekenntnis zu den evangelischen Räten ist auch eine Entfaltung der Gnade des Sakramentes der Firmung, geht aber über die normalen Ansprüche der Chrisam-Weihe hinaus, kraft einer besonderen Gabe des Geistes, die, wie die Geschichte des geweihten Lebens beweist, neue Möglichkeiten und Früchte der Heiligkeit und des Apostolats eröffnet.
Was die Priester betrifft, die das Gelübde der evangelischen Räte ablegen, zeigt die Erfahrung, dass das Weihesakrament in dieser Weihe zu einer besonderen Fruchtbarkeit gelangt, da sie die Anforderung einer engeren Zugehörigkeit zum Herrn stellt und begünstigt. Der Priester, der das Gelübde der evangelischen Räte ablegt, ist auch dank der je eigenen Spiritualität seines Instituts und der apostolischen Dimension des zugehörigen Charismas in besonderer Weise dafür ausgestattet, die Fülle des Geheimnisses Christi in sich neu zu beleben. Im Priester laufen nämlich die Berufung zum Priestertum und zum geweihten Leben in tiefer, dynamischer Einheit zusammen.
Von unermeßlichem Wert ist auch der Beitrag, der von den Ordenspriestern zum Leben der Kirche geleistet wird, die sich gänzlich der Kontemplation widmen. In der Eucharistiefeier vollziehen sie insbesondere eine Handlung der Kirche und für die Kirche, mit der sie ihre Selbsthingabe verbinden in Gemeinschaft mit Christus, der sich für das Heil der ganzen Welt dem Vater hingibt.<ref>Vgl. Hl. Petrus Damiani, Liber qui appellatur "Dominus vobiscum" ad Leonem eremitam: PL 145, 231-252.</ref>
Die Beziehungen zwischen den verschiedenen Lebensformen des Christen
31. Die verschiedenen Lebensformen, in die sich nach dem Plan des Herrn Jesus das kirchliche Leben gliedert, weisen wechselseitige Beziehungen auf, die einer eingehenderen Betrachtung wert sind.
Alle Gläubigen teilen kraft ihrer Wiedergeburt in Christus eine gemeinsame Würde; alle sind zur Heiligkeit berufen; alle wirken am Aufbau des einen Leibes Christi mit, ein jeder entsprechend seiner Berufung und der vom Geist empfangenen Gabe (vgl. Röm 12,3-8).<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 32; Kodex des kanonischen Rechtes, can. 208; Kodex der Kanones der Orientalischen Kirchen, can. 11.</ref> Die gleiche Würde unter allen Gliedern der Kirche ist das Werk des Geistes, sie ist begründet auf der Taufe und der Firmung und wird gestärkt durch die Eucharistie. Aber Werk des Geistes ist auch die Vielgestaltigkeit. Er ist es, der in der Vielfalt von Berufungen, Charismen und Dienstämtern die Kirche in einer organischen Gemeinschaft begründet.<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad gentes, 4; Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 4; 12; 13; Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 32; Dekret über das Laienapostolat Apostolicam actuositatem, 3; Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christifideles laici (30. Dezember 1988), 20-21: AAS 81 (1989), 425-428; Kongregation für die Glaubenslehre, Schreiben an die Bischöfe der katholischen Kirche über einige Aspekte der Kirche als Communio Communionis notio (28. Mai 1992), 15: AAS 85 (1993), 847.</ref>
Die Berufungen zum Leben als Laie, zum geweihten Dienst und zum geweihten Leben können gleichsam als beispielhaft angesehen werden, da alle einzelnen Berufungen sich unter dem einen oder anderen Aspekt auf sie berufen oder auf sie zurückführen lassen, ob man sie nun einzeln oder zusammen empfängt, je nach dem Reichtum der Gabe Gottes. Darüber hinaus dienen sie einander zum Wachstum des Leibes Christi in der Geschichte und zu seiner Sendung in der Welt. Alle in der Kirche haben die Tauf- oder Firmweihe erhalten, aber das geweihte Dienstamt und das geweihte Leben setzen jeweils eine unterschiedliche Berufung und eine besondere Weiheform im Hinblick auf eine bestimmte Sendung voraus.
Angemessene Grundlage für die Sendung der Laien, deren Aufgabe es ist, "in der Verwaltung und gottgemäßen Regelung der zeitlichen Dinge das Reich Gottes zu suchen",<ref>II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 31.</ref> ist die allen Gliedern des Gottesvolkes gemeinsame Taufweihe. Die geweihten Diener empfangen außer dieser grundlegenden Weihe jene der Ordination, um das apostolische Dienstamt in der Zeit fortzuführen. Die Personen des geweihten Lebens, die die evangelischen Räte befolgen, erhalten eine neue und besondere Weihe, die - auch wenn sie keinen sakramentalen Charakter hat - sie verpflichtet, sich in Ehelosigkeit, in der Armut und im Gehorsam die Lebensform zu eigen zu machen, die Jesus persönlich gelebt hat und von ihm den Jüngern empfohlen worden ist. Obwohl diese verschiedenen Stände Bekundungen des einzigartigen Geheimnisses Christi sind, haben die Laien als besonderes, wenn auch nicht ausschließliches Merkmal den Weltcharakter, die geweihten Hirten den Dienstamtscharakter, die Ordensleute die besondere Gleichförmigkeit mit dem keuschen, armen und gehorsamen Christus.
Der besondere Wert des geweihten Lebens
32. In dieser harmonischen Gesamtheit von Gaben ist jede der grundlegenden Lebensformen mit der Aufgabe betraut, in ihrem eigenen Lebensstand die eine oder andere Dimension des einzigartigen Geheimnisses Christi zum Ausdruck zu bringen. Wenn das Laienleben einen besonderen Auftrag hat, der Botschaft des Evangeliums innerhalb der zeitlichen Wirklichkeit Gehör zu verschaffen, so wird im Bereich der kirchlichen Gemeinschaft von den Mitgliedern des geweihten Standes ein unersetzlicher Dienst versehen, in besonderer Weise von den Bischöfen. Diese haben die Aufgabe, das Volk Gottes zu leiten durch die Lehre des Wortes, die Spendung der Sakramente und die Ausübung der heiligen Amtsgewalt im Dienste der kirchlichen Gemeinschaft, die eine organische, hierarchisch geordnete Gemeinschaft ist.<ref>Vgl. ebd., 12; Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christifideles laici (30. Dezember 1988), 20-21: AAS 81 (1989), 425-428.</ref>
Was die Bedeutung der Heiligkeit der Kirche angeht, muss ein objektiver Vorrang dem geweihten Leben zuerkannt werden, das die Lebensweise Christi selbst widerspiegelt. Eben deshalb findet sich darin eine besonders reichhaltige Beschreibung der evangelischen Güter und eine vollkommenere Verwirklichung des Zieles der Kirche, das die Heiligung der Menschheit ist. Das geweihte Leben kündigt die künftige Zeit an und nimmt sie gewissermaßen vorweg, wenn jenes Himmelreich, das schon jetzt im Keim und im Geheimnis gegenwärtig ist, zur Vollendung gelangt ist,<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 5.</ref> und die Kinder der Auferstehung nicht mehr heiraten, sondern sein werden wie die Engel Gottes (vgl. Mt 22,30).
Tatsächlich ist die Vorzüglichkeit der vollkommenen Keuschheit um des Himmelreiches willen,<ref>Vgl. Konzil von Trient, sess. XXIV, can. 10: DS 1810; Pius XII., Enzyklika Sacra virginitas (25. März 1954): AAS 46 (1954), 176.</ref> die zu Recht als das "Tor" zum ganzen geweihten Leben gilt,<ref>Vgl. Propositio 17.</ref> Thema der feststehenden Lehre der Kirche. Sie zollt allerdings große Hochachtung der Berufung zur Ehe, die die Eheleute zu "Zeugen und Mitarbeitern der fruchtbaren Mutter Kirche" macht "zum Zeichen und in Teilnahme jener Liebe, in der Christus seine Braut geliebt und sich für sie hingegeben hat".<ref>II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 41.</ref>
Unter diesem Gesichtspunkt, der dem ganzen geweihten Leben gemeinsam ist, bewegen sich untereinander verschiedene, aber sich ergänzende Wege. Die Personen des geweihten Lebens, die sich gänzlich der Kontemplation widmen, sind in besonderer Weise Abbild Christi, der auf dem Berg betet.<ref>Vgl. ebd., 46.</ref> Die geweihten Personen mit einem aktiven Leben tun ihn kund, "wie er den Scharen das Reich Gottes verkündigt oder wie er die Kranken und Schwachen heilt und die Sünder zum Guten bekehrt oder wie er die Kinder segnet und allen Wohltaten erweist".<ref>Ebd.</ref> Einen besonderen Dienst an der Ankunft des Reiches Gottes versehen die Personen geweihten Lebens in den Säkularinstituten; sie vereinen in einer spezifischen Synthese den Wert der Weihe mit dem Charakter des Säkularen. Indem sie ihre Weihe in der Welt und von der Welt ausgehend leben,<ref>Vgl. Pius XII., Motu Proprio Primo feliciter (12. März 1948), 6: AAS: 40 (1948), 285.</ref> "sind [sie] bestrebt, wie ein Sauerteig alles mit dem Geist des Evangeliums zu durchdringen zur Stärkung und zum Wachstum des Leibes Christi".<ref>Kodex des kanonischen Rechtes, can. 713 § 1; vgl. Kodex der Kanones der Orientalischen Kirchen, can. 563 § 2.</ref> Sie haben zu diesem Zweck Anteil am Verkündigungsdienst der Kirche durch das persönliche Zeugnis eines christlichen Lebens, durch den Einsatz, damit die zeitlichen Dinge nach dem Willen geordnet seien, durch die Mitarbeit im Dienst an der kirchlichen Gemeinschaft, entsprechend dem ihrer Lebensausrichtung eigenen Weltcharakter.<ref>Vgl. ebd., can. 713 § 2. Ein besonderes Wort für die "Klerikermitglieder" ist im gleichen can. 713 § 3 gesagt.</ref>
Das Evangelium der Seligpreisungen bezeugen
33. Besondere Aufgabe des geweihten Lebens ist es, in den Getauften das Bewusstsein für die wesentlichen Werte des Evangeliums lebendig zu erhalten, indem sie "ein deutliches und hervorragendes Zeugnis dafür geben, dass die Welt nicht ohne den Geist der Seligpreisungen verwandelt und Gott dargebracht werden kann".<ref>Ebd., 31.</ref> Auf diese Weise lässt das geweihte Leben fortwährend im Bewusstsein des Gottesvolkes das Bedürfnis aufbrechen, mit der Heiligkeit des Lebens auf die durch den Heiligen Geist in die Herzen ausgegossene Liebe Gottes zu antworten (vgl. Röm 5,5), indem sich in der Haltung die sakramentale Weihe widerspiegelt, die durch Gottes Wirken in der Taufe und in der Firmung oder in der Weihe erfolgt ist. Es ist in der Tat notwendig, von der in den Sakramenten vermittelten Heiligkeit zur Heiligkeit des täglichen Lebens überzugehen. Das geweihte Leben stellt sich mit seiner Existenz in der Kirche in den Dienst der Heiligung des Lebens jedes Gläubigen, des Laien wie des Klerikers.
Andererseits darf man nicht vergessen, dass die Personen des geweihten Lebens auch ihrerseits vom eigenen Zeugnis der anderen Berufungen eine Hilfe erhalten, um die Zugehörigkeit zum Geheimnis Christi und der Kirche in ihren vielfältigen Dimensionen vollständig zu leben. Auf Grund dieser wechselseitigen Bereicherung wird die Sendung des geweihten Lebens bedeutsamer und wirksamer: den anderen Brüdern und Schwestern mit festem Blick auf den zukünftigen Frieden als Ziel die endgültige Seligkeit bei Gott aufzuzeigen.
Lebendiges Bild der Kirche als Braut
34. Einen besonderen Stellenwert im geweihten Leben hat der Sinn des Bräutlichen, der auf das Bedürfnis der Kirche hinweist, in ausschließlicher Ganzhingabe an ihren Bräutigam zu leben, von dem sie alles Gute empfängt. In dieser Dimension des Bräutlichen, die dem ganzen geweihten Leben zu eigen ist, ist es vor allem die Frau, die sich in einzigartiger Weise wiederfindet, so als würde sie den besonderen Charakter ihrer Beziehung zum Herrn entdecken.
Eindrucksvoll ist diesbezüglich die neutestamentliche Stelle, die Maria mit den Aposteln im Abendmahlssaal in betender Erwartung des Heiligen Geistes darstellt (vgl. Apg 1,13-14). Da kann man ein lebendiges Bild der Kirche als Braut sehen, die auf die Zeichen des Bräutigams achtet und bereit ist, sein Geschenk zu empfangen. Bei Petrus und den anderen Aposteln tritt vor allem die Dimension der Fruchtbarkeit hervor, die sich im kirchlichen Dienstamt ausdrückt, das durch die Weitergabe des Wortes, die Feier der Sakramente und die Seelsorge zum Werkzeug des Geistes für die Zeugung neuer Söhne und Töchter wird. In Maria ist die Dimension der bräutlichen Aufnahme besonders lebendig, mit der die Kirche durch ihre ganze jungfräuliche Liebe in sich das göttliche Leben fruchtbar werden lässt. Das geweihte Leben wurde immer vorwiegend von seiten Mariens, der jungfräulichen Braut, gesehen. In dieser jungfräulichen Liebe hat eine besondere Fruchtbarkeit ihren Ursprung, die zum Entstehen und Wachstum des göttlichen Lebens in den Herzen beiträgt.<ref>Hl. Theresia vom Kinde Jesus, Manuscrits autobiographiques B, 2 vo: "Deine Braut sein, o Jesus, ... in meiner Einheit mit dir Mutter der Seelen sein".</ref> Auf den Spuren Mariens, der neuen Eva, bringt die Person des geweihten Lebens ihre geistliche Fruchtbarkeit dadurch zum Ausdruck, dass sie aufnahmebereit wird für das Wort, um mit ihrer bedingungslosen Hingabe und ihrem lebendigen Zeugnis am Aufbau der neuen Menschheit mitzuwirken. So offenbart die Kirche voll ihre Mütterlichkeit sowohl durch die dem Petrus anvertraute Mitteilung des göttlichen Handelns als auch durch die für Maria typische verantwortungsvolle Annahme des göttlichen Geschenkes.
Das christliche Volk findet seinerseits im geweihten Dienstamt die Mittel des Heils, im geweihten Leben den Ansporn zu einer vollkommenen Antwort der Liebe in allen verschiedenen Formen der Diakonie.<ref> Vgl. II. Vat. Konzil, Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens Perfectae caritatis, 8; 10; 12.</ref>
IV. Vom Geist der Heiligkeit geführt
"Verklärte" Existenz: der Ruf zur Heiligkeit
35. "Als die Jünger das hörten, bekamen sie große Angst und warfen sich mit dem Gesicht zu Boden" (Mt 17,6). Im Ereignis der Verklärung betonen die Synoptiker, wenn auch mit verschiedenen Nuancen, den Sinn der Angst, die die Jünger ergreift. Der Glanz des verklärten Antlitzes Christi verhindert nicht, dass sie sich angesichts der göttlichen Majestät, die sie in ihren Bann schlägt, bestürzt vorkommen. Wann immer der Mensch die Herrlichkeit Gottes erfährt, berührt er auch mit den Händen sein Kleinsein, und er bekommt davon ein Gefühl des Schreckens. Diese Angst ist heilbringend. Sie erinnert den Menschen an die göttliche Vollkommenheit und gleichzeitig drängt sie ihn mit einem dringenden Aufruf zur "Heiligkeit".
Alle Söhne und Töchter der Kirche, die vom Vater aufgerufen sind, auf Christus "zu hören", müssen ein tiefes Bedürfnis nach Bekehrung und Heiligkeit verspüren. Wie bei der Synode betont wurde, ruft dieses Bedürfnis aber in erster Linie das geweihte Leben auf den Plan. Denn die Berufung der Personen des geweihten Lebens, vor allen anderen Dingen das Reich Gottes zu suchen, ist vor allem ein Ruf zur völligen Umkehr, in der Selbstaufgabe, um ganz vom Herrn zu leben, damit Gott alles in allen sei. Die Personen des geweihten Lebens sind berufen, das verklärte Angesicht Christi zu betrachten und zu bezeugen; sie sind aber auch zu einem "verklärten" Dasein berufen.
Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, was im Schlussbericht der II. Außerordentlichen Versammlung der Synode formuliert wurde: "In der ganzen Kirchengeschichte sind heilige Männer und Frauen stets in den schwierigsten Situationen Quelle und Ursprung der Erneuerung gewesen. Heute haben wir größten Bedarf an Heiligen, die wir eindringlich von Gott erflehen müssen. Die Institute des geweihten Lebens müssen sich durch das Bekenntnis zu den evangelischen Räten ihrer besonderen Sendung in der Kirche von heute bewusst sein, und wir müssen sie in ihrer Sendung ermutigen".<ref>Bischofssynode, II. Außerordentliche Generalversammlung, Schlussbericht Ecclesia sub verbo Dei mysteria Christi celebrans pro salute mundi (7. Dezember 1985), II, A, 4: Ench. Vat. 9, 1753.</ref> Dieser Beurteilung stimmten die Väter der IX. Synodenversammlung zu, die erklärten: "Das geweihte Leben ist während der ganzen Kirchengeschichte eine lebendige Gegenwart dieses Wirkens des Geistes gewesen. Es war ein bevorzugter Raum der absoluten Liebe zu Gott und zum Nächsten, ein Zeugnis für den göttlichen Plan, aus der ganzen Menschheit in der Zivilisation der Liebe die große Familie der Kinder Gottes zu machen".<ref>Bischofssynode, IX. Ordentliche Generalversammlung, Botschaft der Synode (27. Oktober 1994), IX: L'Osservatore Romano, 29. Oktober 1994, S. 7.</ref>
Die Kirche hat stets im Bekenntnis zu den evangelischen Räten einen bevorzugten Weg zur Heiligkeit gesehen. Die Ausdrücke selbst, mit denen sie diese umschreibt - Schule des Dienstes am Herrn, Schule der Liebe und Heiligkeit, Weg oder Stand der Vollkommenheit -, weisen sowohl auf die Wirksamkeit und den Reichtum der dieser evangelischen Lebensform eigenen Wege wie auf das besondere Engagement derer hin, die sie annehmen.<ref>Vgl. Hl. Thomas von Aquin, Summa Theologiae, II-II, q. 184, a. 5, ad 2; II-II, q. 186, a 2, ad 1.</ref> Es ist kein Zufall, dass im Laufe der Jahrhunderte so viele Personen des geweihten Lebens eindrucksvolle Zeugnisse der Heiligkeit hinterlassen und besonders großherzige und schwierige Werke der Evangelisierung und des Dienstes vollbracht haben.
Treue zum Charisma
36. In der Nachfolge Christi und in der Liebe zu seiner Person gibt es einige Punkte bezüglich des Wachstums der Heiligkeit im geweihten Leben, die heute besonders hervorgehoben zu werden verdienen.
Vor allem wird die Treue zum Gründungscharisma und dem sich daraus ergebenden geistlichen Erbe jedes Instituts verlangt. Gerade in dieser Treue zur Inspiration der Gründer und Gründerinnen, einer Gabe des Heiligen Geistes, lassen sich die wesentlichen Elemente des geweihten Lebens leichter wiederentdecken und intensiver wiederbeleben.
Jedes Charisma hat nämlich an seinem Anfang eine dreifache Orientierung: vor allem ist es auf den Vater ausgerichtet im Verlangen, kindlich seinen Willen zu suchen durch einen dauernden Bekehrungsprozess, in dem der Gehorsam die Quelle wahrer Freiheit ist, die Keuschheit die Erwartung eines von jeder vergänglichen Liebe unbefriedigten Herzens zum Ausdruck bringt, die Armut jenen Hunger und Durst nach Gerechtigkeit nährt, den zu stillen Gott verheißen hat (vgl. Mt 5,6). In dieser Sicht wird das Charisma jedes Instituts die Person des geweihten Lebens anspornen, ganz Gott zu gehören, mit Gott oder von Gott zu reden, wie vom hl. Dominikus gesagt wird,<ref>Vgl. Libellus de principiis Ordinis Praedicatorum. Acta Canonizationis Sancti Dominici: Monumenta Ordinis Praedicatorum historica 16 (1935), 30.</ref> um zu kosten, wie gütig der Herr in allen Situationen ist (vgl. Ps 34 [33],9).
Die Charismen des geweihten Lebens schließen auch eine Orientierung auf den Sohn hin ein: sie leiten dazu an, mit ihm eine innige und frohe Lebensgemeinschaft in der Schule seines großherzigen Dienstes vor Gott und an den Brüdern und Schwestern zu pflegen. "Der nach und nach Christus ähnlich gewordene Blick lernt so, sich abzukehren vom Äußerlichen, vom Sturm der Gefühle, das heißt von allem, was den Menschen daran hindert, sich leicht und bereitwillig vom Geist ergreifen zu lassen",<ref>Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Orientale lumen (2. Mai 1995), 12: AAS 87 (1995), 758.</ref> und erklärt sich so bereit, mit Christus in die Mission zu gehen, indem er mit ihm bei der Ausbreitung seines Reiches arbeitet und leidet. Schließlich wohnt jedem Charisma eine Orientierung nach dem Heiligen Geist inne, denn es veranlasst den Betreffenden, sowohl auf seinem persönlichen geistlichen Weg wie im Leben der Gemeinschaft und bei der apostolischen Tätigkeit sich von ihm leiten und bestärken zu lassen, um in jener Haltung des Dienens zu leben, die jede Entscheidung eines glaubwürdigen Christen inspirieren muss.
Tatsächlich tritt bei jedem Gründungscharisma immer diese dreifache Beziehung zutage, wenn auch mit den je spezifischen Zügen der verschiedenen Lebensmodelle, auf Grund der Tatsache, dass in ihm "eine tiefe, brennende Sehnsucht des Herzens" herrscht, "Christus gleichförmig zu werden, um einen gewissen Aspekt seines Geheimnisses zu bezeugen";<ref>Kongregation für die Ordensleute und Säkularinstitute und Kongregation für die Bischöfe, Leitlinien für die gegenseitigen Beziehungen zwischen Bischöfen und Ordensleuten in der Kirche Mutuae relationes (14. Mai 1978), 51: AAS 70 (1978), 500.</ref> gemeint ist der spezifische Aspekt, gemäß den Regeln, Konstitutionen und Statuten in die echte Tradition des Instituts hineinzuwachsen und sich darin zu entfalten.<ref>Vgl. Propositio 26.</ref>
Schöpferische Treue
37. Die Institute werden daher eingeladen, als Antwort auf die in der heutigen Welt auftretenden Zeichen der Zeit mutig den Unternehmungsgeist, die Erfindungsgabe und die Heiligkeit der Gründer und Gründerinnen wieder hervorzuheben.<ref>Vgl. Propositio 27.</ref> Diese Einladung ist vor allem ein Aufruf zur Beharrlichkeit auf dem Weg der Heiligkeit durch die materiellen und geistlichen Schwierigkeiten hindurch, von denen das Alltagsgeschehen gezeichnet ist. Sie ist aber auch ein Aufruf, die Zuständigkeit wieder in der eigenen Arbeit zu suchen und eine dynamische Treue zur eigenen Sendung zu pflegen, indem die Institute in voller Fügsamkeit gegenüber der göttlichen Eingebung und der kirchlichen Erkenntnis die Formen, falls nötig, an die neuen Situationen und verschiedenen Bedürfnisse anpassen. Es muss freilich die Überzeugung lebendig bleiben, dass auf der Suche nach immer vollkommenerer Gleichförmigkeit mit dem Herrn die Gewähr für jede Erneuerung gegeben ist, die der ursprünglichen Inspiration treu bleiben will.<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens Perfectae caritatis, 2.</ref>
In diesem Geist wird heute für jedes Institut eine erneuerte Bezugnahme auf die Regel zur dringenden Notwendigkeit, da in ihr und in den Konstitutionen ein Weg der Nachfolge enthalten ist, der von einem eigenen, von der Kirche beglaubigten Charisma gekennzeichnet ist. Eine stärkere Beachtung der Regel wird es nicht versäumen, den Personen des geweihten Lebens ein sicheres Kriterium anzubieten auf der Suche nach geeigneten Formen eines Zeugnisses, das auf die Forderungen der Zeit zu antworten imstande ist, ohne sich von der Anfangsinspiration zu entfernen.
Gebet und Askese: der geistliche Kampf
38. Der Ruf zur Heiligkeit wird nur in der Stille der Anbetung vernommen und kann nur vor der unendlichen Transzendenz Gottes gepflegt werden: "Wir müssen uns eingestehen, dass wir alle dieses von angebeteter Gegenwart erfüllte Schweigen nötig haben: die Theologie, um die eigene Seele der Weisheit und des Geistes voll erschließen zu können; das Gebet, damit es niemals vergesse: Gott schauen heißt, mit so strahlendem Gesicht vom Berg hinabzusteigen, dass man es mit einem Schleier verhüllen muss (vgl. Ex 34,33) [...]; das Engagement, damit es darauf verzichte, sich in einen Kampf zu verbeißen, der keine Liebe und Gnade kennt [...]. Alle, Glaubende und Nicht-Glaubende, müssen ein Schweigen erlernen, das dem anderen zu sprechen erlaubt, wann und wo er will, und uns jenes Wort verstehen lässt".<ref>Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Orientale lumen (2. Mai 1995), 16: AAS 87 (1995), 762.</ref> Dies schließt konkret eine große Treue zum liturgischen und persönlichen Gebet ein, zu den für das geistige Gebet und die Betrachtung vorgesehenen Zeiten, zur eucharistischen Anbetung, zu den monatlichen Einkehrtagen und zu den geistlichen Exerzitien.
Es gilt auch die für die geistliche Tradition der Kirche und des eigenen Instituts typischen asketischen Mittel wiederzuentdecken. Sie waren und sind noch immer eine wirksame Hilfe für einen echten Weg der Heiligkeit. Da die Askese die Neigungen der von der Sünde verletzten menschlichen Natur zu beherrschen und zu korrigieren hilft, ist sie für die Person des geweihten Lebens wirklich unentbehrlich, um ihrer Berufung treu zu bleiben und Jesus auf dem Kreuzweg zu folgen.
Es ist ebenso notwendig, einige Versuchungen zu erkennen und zu überwinden, die bisweilen durch teuflische Verlockung unter dem Anschein des Guten auftreten. So kann zum Beispiel das berechtigte Bedürfnis, die heutige Gesellschaft kennenzulernen, um auf ihre Herausforderungen zu antworten, dazu verleiten, bei Minderung des geistlichen Eifers oder mit erkennbaren Anzeichen von Mutlosigkeit den Moden des Augenblicks nachzugeben. Die Möglichkeit einer höheren geistlichen Bildung könnte die Personen des geweihten Lebens zu einem gewissen Überlegenheitsgefühl gegenüber den anderen Gläubigen verleiten, während die Dringlichkeit begründeter und gebührender beruflicher Qualifikation zu einem übertriebenen Bemühen um Effizienz werden kann, als hinge der apostolische Dienst vorwiegend von den menschlichen Mitteln und nicht von Gott ab. Das lobenswerte Anliegen, den Männern und Frauen unserer Zeit, Glaubenden und Nicht-Glaubenden, Armen und Reichen, näherzukommen, kann zur Annahme eines säkularisierten Lebensstils oder zu einer Förderung der menschlichen Werte in rein horizontalem Sinne führen. Die Billigung der berechtigten Forderungen der eigenen Nation oder Kultur könnte dazu verleiten, sich Formen des Nationalismus anzuschließen oder gewohnheitsmäßige Elemente anzunehmen, die jedoch der Reinigung und Verbesserung im Lichte des Evangeliums bedürfen.
Der Weg zur Heiligkeit schließt also die Annahme des geistlichen Kampfes ein. Das ist eine anspruchsvolle Tatsache, der man heute nicht immer die notwendige Aufmerksamkeit widmet. In der Überlieferung ist häufig das geistliche Ringen in Jakobs Kampf mit dem Geheimnis Gottes dargestellt worden, den er angreift, um zu seinem Segen zu gelangen und sein Angesicht zu schauen (vgl. Gen 32,23-31). In diesem Geschehen der Anfänge der biblischen Geschichte können die Personen des geweihten Lebens das Symbol des asketischen Eifers lesen, den sie brauchen, um das Herz weitzumachen und für die Annahme des Herrn sowie der Brüder und Schwestern zu öffnen.
Die Förderung der Heiligkeit
39. Ein erneuertes Engagement der Personen des geweihten Lebens zur Heiligkeit ist heute notwendiger denn je, auch um das Streben jedes Christen nach Vollkommenheit zu fördern und zu unterstützen. "Es muss daher in jedem Gläubigen eine echte Sehnsucht nach Heiligkeit geweckt werden, ein starkes Verlangen nach Umkehr und persönlicher Erneuerung in einem Klima immer intensiveren Betens und solidarischer Annahme des Nächsten, besonders des am meisten Bedürftigen".<ref>Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Tertio millennio adveniente (10. November 1994), 42: AAS 87 (1995), 32.</ref>
In dem Maße, in dem sie ihre Freundschaft mit Gott vertiefen, versetzen sich die Personen des geweihten Lebens in die Lage, durch wirksame geistliche Initiativen Brüdern und Schwestern zu helfen, wie Gebetsschulen, Exerzitien und geistliche Einkehrtage, geistliches Hören und geistliche Anleitung. Auf diese Weise wird der Fortschritt im Gebet von Menschen erleichtert, die daraufhin eine bessere Erkenntnis hinsichtlich des Willens Gottes in bezug auf sich selbst erreichen und sich für die vom Glauben geforderten mutigen, ja bisweilen heroischen Optionen entscheiden können. In der Tat "fügen sich die Ordensleute durch ihr tiefstes Wesen in den Dynamismus der Kirche ein, ergriffen vom Absoluten, das Gott ist und zur Heiligkeit aufgerufen. Von dieser Heiligkeit geben sie Zeugnis".<ref>Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi (8. Dezember 1975), 69: AAS 68 (1976), 58.</ref> Die Tatsache, dass wir alle aufgerufen sind, heilig zu werden, muss jene in höherem Maße anspornen, die auf Grund ihrer Lebensentscheidung die Sendung haben, die anderen daran zu erinnern.
"Steht auf, habt keine Angst": ein erneuertes Vertrauen
40. "Da trat Jesus zu ihnen, fasste sie an und sagte: Steht auf, habt keine Angst" (Mt 17,7). Wie die drei Apostel im Ereignis der Verklärung, so wissen die Personen des geweihten Lebens aus Erfahrung, dass ihr Leben nicht immer von jenem spürbaren Eifer erleuchtet ist, der rufen lässt: "Es ist gut, dass wir hier sind" (Mt 17,4). Es ist jedoch immer ein von der Hand Christi "berührtes" Leben, von seiner Stimme erreicht und seiner Gnade unterstützt.
"Steht auf, habt keine Angst". Diese Ermutigung des Meisters ist selbstverständlich an jeden Christen gerichtet. Aber sie gilt noch mehr für den, der berufen ist "alles zu verlassen" und folglich für Christus "alles zu riskieren". Dies gilt in besonderer Weise jedes Mal, wenn man mit dem Meister vom "Berg" herabsteigt, um den Weg einzuschlagen, der vom Tabor auf den Kalvarienberg führt.
Wenn Lukas sagt, dass Mose und Elija mit Christus von seinem Ostergeheimnis sprachen, benützt er bezeichnenderweise den Ausdruck "Ende" (éxodos): "sie sprachen von seinem Ende, das sich in Jerusalem erfüllen sollte" (Lk 9,31). "Ende": Grundbegriff der Offenbarung, auf den sich die ganze Heilsgeschichte beruft und der den tiefen Sinn des Ostergeheimnisses zum Ausdruck bringt. Ein für die Spiritualität des geweihten Lebens besonders wichtiges Thema, das seine Bedeutung gut hervorhebt. Darin ist unvermeidlich enthalten, was zum mysterium Crucis gehört. Aber dieser anspruchsvolle "Weg zum Ende hin", aus der Perspektive des Berges Tabor betrachtet, erscheint wie ein Weg zwischen zwei Lichtern: das vorwegnehmende Licht der Verklärung und jenes endgültige Licht der Auferstehung. Die Berufung zum geweihten Leben - unter dem Blickwinkel des ganzen christlichen Lebens - ist trotz seiner Entsagungen und Prüfungen, im Gegenteil, gerade deswegen, Weg "des Lichtes", über den der Blick des Erlösers wacht: "steht auf, habt keine Angst".
Kapitel II: Signum Fraternitatis - Das geweihte Leben als Zeichen der Gemeinschaft in der Kirche
I. Bleibende Werte
Als Abbild der Dreifaltigkeit
41. Während seines Erdenlebens rief der Herr Jesus jene zu sich, die er erwählt hatte, um sie bei sich zu haben und sie zu unterweisen, nach seinem Beispiel für den Vater und für den von ihm erhaltenen Auftrag zu leben (vgl. Mk 3,13-15). Damit begründete er jene neue Familie, zu der im Laufe der Jahrhunderte alle gehören sollen, die bereit sein werden, "den Willen Gottes zu erfüllen" (vgl. Mk 3,32-35). Nach der Himmelfahrt entstand unter der Wirkung der Gabe des Geistes um die Apostel eine brüderliche Gemeinde, die sich versammelte, um Gott zu loben und Gemeinschaft konkret zu erfahren (vgl. Apg 2,42-47; 4,32-35). Das Leben dieser Gemeinde und noch mehr die Erfahrung der vollen Zugehörigkeit zu Christus, wie sie von den zwölf Aposteln gelebt wurde, sind stets das Modell gewesen, an dem sich die Kirche inspirierte, wenn sie den glühenden Eifer der Anfangszeiten wieder beleben und sich mit erneuerter evangelischer Kraft wieder auf ihren Weg in der Geschichte machen wollte.<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens Perfectae caritatis, 15; Hl. Augustinus, Regula ad servos Dei, 1, 1: PL 32, 1372.</ref>
In der Tat ist die Kirche ihrem Wesen nach Geheimnis der Gemeinschaft, "das von der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes geeinte Volk".<ref>Hl. Cyprian, De Oratione Dominica 23: PL 4, 553; vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 4.</ref> Die Tiefe und die Fülle dieses Geheimnisses will das geschwisterliche Leben dadurch widerspiegeln, dass es sich als von der Dreifaltigkeit bewohnter menschlicher Raum gestaltet, der auf diese Weise die den drei göttlichen Personen eigenen Gaben der Gemeinschaft in die Geschichte einbringt. Vielfältig sind im kirchlichen Leben die Bereiche und Modalitäten, in denen die geschwisterliche Gemeinschaft zum Ausdruck gebracht wird. Das geweihte Leben hat zweifellos das Verdienst, wirksam dazu beigetragen zu haben, in der Kirche das Verlangen nach Geschwisterlichkeit als Bekenntnis zur Dreifaltigkeit lebendig zu erhalten. Es hat durch die ständige Förderung der geschwisterlichen Liebe auch in der Form des Gemeinschaftslebens gezeigt, dass die Teilnahme an der trinitarischen Gemeinschaft die menschlichen Beziehungen dahingehend zu verändern vermag, dass sie eine neue Art von Solidarität hervorbringt. Auf diese Weise zeigt das geweihte Leben den Menschen sowohl die Schönheit der geschwisterlichen Gemeinschaft als auch die Wege, die konkret zu ihr führen. Denn die Personen des geweihten Lebens leben "für" Gott und "von" Gott und können sich eben deshalb zur Macht der versöhnenden Wirkung der Gnade bekennen, die die im Herzen des Menschen und in den sozialen Beziehungen vorhandenen zersetzenden Kräfte niederwirft.
Geschwisterliches Leben in Liebe
42. Das geschwisterliche Leben, verstanden als in Liebe geteiltes Leben, ist ein ausdrucksvolles Zeichen der kirchlichen Gemeinschaft. Es wird mit besonderer Sorgfalt von den Ordensinstituten und den Gesellschaften des apostolischen Lebens gepflegt, wo das Leben in Gemeinschaft besondere Bedeutung erlangt.<ref>Vgl. Propositio 20.</ref> Doch die Dimension der geschwisterlichen Gemeinschaft ist weder den Säkularinstituten noch den individuellen Formen geweihten Lebens fremd. So entziehen sich die Eremiten in ihrer tiefen Einsamkeit keineswegs der kirchlichen Gemeinschaft, sondern dienen ihr mit ihrem besonderen Charisma der Kontemplation; die gottgeweihten Jungfrauen in der Welt verwirklichen ihre Weihe durch eine besondere Verbindung der Gemeinschaft mit der Teil- und der Universalkirche. Ähnliches gilt für Witwen und Witwer, die die Weihe empfangen haben.
Alle diese Personen bemühen sich, in Verwirklichung der Jüngerschaft im Sinn des Evangeliums, das "neue Gebot" des Herrn zu leben, nämlich einander zu lieben, wie er uns geliebt hat (vgl. Joh 13,34). Die Liebe hat Christus zur Selbsthingabe bis hin zum höchsten Opfer am Kreuz geführt. Auch unter seinen Jüngern gibt es keine echte Einheit ohne diese bedingungslose gegenseitige Liebe, die Verfügbarkeit zum Dienst unter Einsatz aller Kräfte erfordert, Bereitschaft, den anderen so, wie er ist, ohne Vorurteil anzunehmen, die Fähigkeit, auch "siebenundsiebzigmal" zu vergeben (Mt 18,22), den Willen, keinen zu verurteilen (vgl. Mt 7,1-2). Für die Personen des geweihten Lebens, die durch diese vom Heiligen Geist in die Herzen ausgegossene Liebe (vgl. Röm 5,5) "ein Herz und eine Seele" geworden sind (Apg 4,32), wird es zum inneren Bedürfnis, alles gemeinsam zu haben: materielle Güter und geistliche Erfahrungen, Begabungen und Eingebungen sowie apostolische Ideale und Dienst der Nächstenliebe: "Im Gemeinschaftsleben geht die in einem vorhandene Kraft des Geistes gleichzeitig auf alle über. Da erfreut man sich nicht nur der eigenen Gabe, sondern vervielfältigt sie, indem man andere daran teilhaben lässt, und genießt die Frucht der Gabe der anderen wie die eigene".<ref>Hl. Basilius, Die größeren Ordensregeln, Fragen 7: PG 31, 931.</ref>
Sodann muss im Gemeinschaftsleben irgendwie erkennbar werden, dass die geschwisterliche Gemeinschaft, noch eher als Weg für eine bestimmte Sendung, göttlicher Ort ist, an dem die mystische Gegenwart des auferstandenen Herrn erfahren werden kann (vgl. Mt 18,20).<ref>Vgl. Hl. Basilius, Die kleineren Ordensregeln, Fragen 225: PG 31, 1231.</ref> Das geschieht dank der gegenseitigen Liebe aller, die die Gemeinschaft bilden, einer Liebe, die vom Wort und von der Eucharistie genährt, im Sakrament der Versöhnung gereinigt und von der Bitte um Einheit gestärkt wird, dem besonderen Geschenk des Geistes für diejenigen, die gehorsam auf das Evangelium hören. Er, der Geist selbst ist es, der die Seele zur Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn Jesus Christus führt (vgl. 1 Joh 1,3), zur Gemeinschaft, in der die Quelle des geschwisterlichen Lebens ist. Vom Geist werden die Gemeinschaften des geweihten Lebens bei der Erfüllung ihrer Sendung zum Dienst an der Kirche und an der ganzen Menschheit entsprechend ihrer ursprünglichen Inspiration geleitet.
In dieser Perspektive sind die "Kapitel" (oder analoge Versammlungen), sei es besondere oder Generalkapitel, von besonderer Bedeutung. Während dieser Kapitel ist jedes Institut berufen, nach den von deren Konstitutionen festgelegten Normen die Oberen oder die Oberinnen zu wählen und im Lichte des Geistes die angemessenen Bestimmungen zu treffen, um das eigene Charisma und das eigene spirituelle Erbe zu bewahren und es in den verschiedenen historischen und kulturellen Situationen auf den aktuellen Stand zu bringen.<ref>Vgl. Kongregation für die Ordensleute und die Säkularinstitute, Instr. Essential elements in the Church's teaching as applied to Institutes dedicated to works of the apostolate (31. Mai 1983), 51: Ench. Vat. 9, 235-237; Kodex des kanonischen Rechtes, can. 631 § 1; Kodex der Kanones der Orientalischen Kirchen, can. 512 § 1.</ref>
Die Aufgabe der Autorität
43. Im geweihten Leben war das Amt der Oberen und Oberinnen, auch der Ortsoberen, stets von großer Bedeutung sowohl für das geistliche Leben als auch für die Sendung. In diesen Jahren des Suchens und der Veränderungen war gelegentlich auch von der Notwendigkeit einer Revision dieses Amtes zu hören. Es gilt aber anzuerkennen, dass derjenige, der die Autorität ausübt, auf seine Aufgabe als erster Verantwortlicher der Gemeinschaft, nämlich auf die Leitung der Brüder und Schwestern auf dem geistlichen und apostolischen Weg, nicht verzichten kann.
Es ist nicht leicht, in einem stark vom Individualismus geprägten Milieu die Aufgabe, die die Autorität zum Vorteil aller ausübt, anzuerkennen und anzunehmen. Es muss jedoch die Wichtigkeit dieser Aufgabe erneut herausgestellt werden, die sich als notwendig erweist, um die geschwisterliche Gemeinschaft zu festigen und nicht den gelobten Gehorsam zu vereiteln. Auch wenn die Autorität vor allem geschwisterlich und geistlicher Art sein soll und infolgedessen derjenige, der mit ihr ausgestattet ist, die Mitbrüder und Mitschwestern durch den Dialog in den Entscheidungsprozess einzubeziehen wissen muss, ist es dennoch angebracht, sich daran zu erinnern, dass die Autorität das letzte Wort hat und es ihr zusteht, dass die gefassten Beschlüsse eingehalten werden.<ref>Vgl. Kongregation für die Institute des gottgeweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens, Instruktion Das brüderliche Leben in Gemeinschaft "Congregavit nos in unum Christi amor" (2. Februar 1994), 47-53: Vatikanstadt 1994, S. 58-64; Kodex des kanonischen Rechtes, can. 618; Propositio 19.</ref>
Die Rolle der alten Leute
44. Die Sorge um die Alten und Kranken gehört ganz wesentlich zum geschwisterlichen Leben, besonders in einer Zeit wie der unseren, in der in manchen Gegenden der Welt die Zahl der Personen des geweihten Lebens zunimmt, die in den Jahren nunmehr fortgeschritten sind. Die zuvorkommende Aufmerksamkeit, die sie verdienen, entspricht nicht nur einer eindeutigen Verpflichtung zu Liebe und Anerkennung, sondern sie ist auch Ausdruck der Erkenntnis, dass ihr Zeugnis für die Kirche und die Institute sehr nützlich ist und ihre Sendung auch dann gültig und verdienstvoll bleibt, wenn sie wegen des Alters oder aus Krankheit ihre eigentliche Tätigkeit aufgeben müssen. Sie haben zweifellos der Gemeinschaft viel an Weisheit und Erfahrung zu geben, wenn diese imstande ist, ihnen voll Aufmerksamkeit und mit der Fähigkeit zum Zuhören nahezustehen.
In der Tat besteht die apostolische Sendung noch vor dem Tun im Zeugnis der eigenen vollkommenen Hingabe an den Heilswillen des Herrn, einer Hingabe, die sich an den Quellen des Gebets und der Buße nährt. Es gibt daher viele Möglichkeiten, wie die alten Mitglieder ihre Berufung leben können: das eifrige Gebet, die geduldige Annahme der eigenen Situation, die Verfügbarkeit für den Dienst als Spiritual, als Beichtvater und Begleiter des Betens.<ref>Vgl. Kongregation für die Institute des gottgeweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens, Instruktion Das brüderliche Leben in Gemeinschaft "Congregavit nos in unum Christi amor" (2. Februar 1994), 68: Vatikanstadt 1994, S. 86-88; Propositio 21.</ref>
Als Abbild der apostolischen Gemeinschaft
45. Das geschwisterliche Leben spielt auf dem geistlichen Weg der Personen des geweihten Lebens eine grundlegende Rolle sowohl für ihre ständige Erneuerung als auch für die vollkommene Erfüllung ihrer Sendung in der Welt: dies lässt sich aus den theologischen Begründungen schließen, die dem geschwisterlichen Leben zugrunde liegen, findet aber auch in der eigenen Erfahrung weitgehende Bestätigung. Ich ermahne daher die Personen des geweihten Lebens, das Gemeinschaftsleben eifrig zu pflegen und damit dem Beispiel der ersten Christen von Jerusalem zu folgen, die voll Eifer die Lehre der Apostel hörten, am gemeinsamen Gebet und an der Feier der Eucharistie teilnahmen und die materiellen Güter und Gnadengaben miteinander teilten (vgl. Apg 2,42-47). Vor allem ermahne ich die Ordensleute und die Mitglieder der Gesellschaften des apostolischen Lebens, vorbehaltlos die gegenseitige Liebe zu leben und dieser durch die Bestimmungen, die der Natur eines jeden Instituts entsprechen, Ausdruck zu verleihen, damit sich jede Gemeinschaft als leuchtendes Zeichen des neuen Jerusalem, der "Wohnung Gottes unter den Menschen" (Offb 21,3), erweise.
Denn die ganze Kirche zählt sehr auf das Zeugnis von Gemeinschaften, die "voll Freude und erfüllt vom Heiligen Geist" sind (Apg 13,52). Sie möchte die Welt auf das Beispiel von Gemeinschaften hinweisen, in denen die gegenseitige Aufmerksamkeit die Einsamkeit überwinden hilft, die Kommunikation alle dazu anspornt, sich mitverantwortlich zu fühlen, und in denen Vergebung die Wunden heilt und in jedem einzelnen den Vorsatz zur Gemeinschaft stärkt. In derartigen Gemeinschaften lenkt die Natur des Charismas die Kräfte, festigt die Treue und richtet die apostolische Arbeit aller auf die eine Sendung aus. Um der heutigen Menschheit ihr wahres Gesicht zu zeigen, braucht die Kirche dringend solche brüderliche Gemeinschaften, die schon allein durch ihr Bestehen einen Beitrag zur Neuevangelisierung leisten, da sie konkret die Früchte des "neuen Gebotes" erbringen.
Sentire cum Ecclesia
46. Eine große Aufgabe ist dem geweihten Leben auch im Lichte der vom II. Vatikanischen Konzil mit fester Entschiedenheit dargestellten Lehre von der Kirche als Gemeinschaft anvertraut. Von den Personen des geweihten Lebens wird verlangt, als "Zeugen und Baumeister jenes ,göttlichen Planes für Gemeinschaft', der die Geschichte der Menschen krönen soll",<ref>Kongregation für die Ordensleute und die Säkularinstitute, Dokument Leben und Sendung der Ordensleute in der Kirche, I. Das Ordensleben und die Förderung des Menschen (12. August 1980), II, 24: Ench. Vat. 7, 455.</ref> wirklich Experten der Gemeinschaft zu sein und deren Spiritualität in die Praxis umzusetzen.<ref>Vgl. Propositio 28.</ref> Der Sinn der kirchlichen Gemeinschaft, die sich zu einer Spiritualität der Gemeinschaft entwickelt, fördert eine Weise des Denkens, Sprechens und Handelns, die die Kirche an Tiefe und Weite wachsen lässt. Denn das Gemeinschaftsleben "wird zu einem Zeichen für die Welt, zur anziehenden Kraft, die zum Glauben an Christus führt [...] Auf diese Weise öffnet sich die communio der Sendung, wird selbst Sendung", ja, "die communio schafft communio und stellt sich wesentlich als missionarische communio dar".<ref>Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christifideles laici (30. Dez. 1988), 31-32: AAS 81 (1989), 451-452.</ref>
Bei den Stiftern und Stifterinnen erscheint der Sinn für die Kirche immer lebendig und zeigt sich in ihrer vollkommenen Teilnahme am kirchlichen Leben in allen seinen Dimensionen und im bereitwilligen Gehorsam den Bischöfen, insbesondere dem Bischof von Rom gegenüber. Vor diesem Horizont der Liebe zur heiligen Kirche, "Säule und Fundament der Wahrheit" (1 Tim 3,15), begreifen wir die Ergebenheit eines Franz von Assisi dem "Herrn Papst" gegenüber,<ref>Regula Bullata, I, 1.</ref> den kindlichen Unternehmungsgeist einer Katharina von Siena dem gegenüber, den sie den "süßen Christus auf Erden nennt",<ref> Briefe, 109, 171, 196.</ref> den apostolischen Gehorsam und das "Sentire cum Ecclesia"<ref>Vgl. die Regeln "für das richtige sentire, das wir in der streitenden Kirche haben müssen", die er am Schluss des Buches Geistliche Exerzitien aufstellt, besonders die Regel 13.</ref> eines Ignatius von Loyola, das freudige Glaubensbekenntnis einer Theresia von Jesus: "Ich bin Tochter der Kirche".<ref>Dichos, Nr. 217.</ref> Man versteht auch die Sehnsucht der Theresia von Lisieux: "Im Herzen der Kirche, meiner Mutter, werde ich die Liebe sein".<ref>Manuscrits autobiographiques, B, 3 vo.</ref> Ähnliche Zeugnisse stellen die volle kirchliche Gemeinschaft dar, die Heilige sowie Stifter und Stifterinnen zu ganz verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen und oft sehr schwierigen Umständen gegeben haben. Auf diese Vorbilder müssen die Personen des geweihten Lebens immer wieder Bezug nehmen, um den heutzutage besonders aktiven zentrifugalen und zersetzenden Antriebskräften entgegenzuwirken.
Ein Wesensmerkmal dieser kirchlichen communio ist das Festhalten mit Herz und Verstand am Lehramt der Bischöfe, das von allen Personen des geweihten Lebens, besonders jenen, die in der theologischen Forschung, in der Lehre, im Publikationswesen, in der Katechese, im Bereich der sozialen Kommunikationsmittel tätig sind, treu gelebt und vor dem Volk Gottes klar und deutlich bezeugt werden muss.<ref>Vgl. Propositio 30, A.</ref> Da die Personen des geweihten Lebens einen besonderen Platz in der Kirche einnehmen, kommt ihrer diesbezüglichen Haltung für das ganze Volk Gottes große Bedeutung zu. Ihr apostolisches Wirken, das sich im Rahmen der prophetischen Sendung aller Getauften im allgemeinen durch Aufgaben besonderer Zusammenarbeit mit der Hierarchie qualifiziert, gewinnt aus ihrem Zeugnis kindlicher Liebe Kraft und Schärfe.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Redemptionis donum (25. März 1984), 15: AAS 76 (1984), 541-542.</ref> Auf diese Weise leisten sie mit dem Reichtum ihrer Charismen einen besonderen Beitrag, damit die Kirche ihr Wesen als Sakrament der innigen Vereinigung mit Gott und der Einheit des gesamten Menschengeschlechts immer vollkommener verwirkliche..<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 1.</ref>
Die Brüderlichkeit in der Universalkirche
47. Die Personen des geweihten Lebens sind auf Grund der Tatsache selbst, dass die vielfältigen Charismen der jeweiligen Institute vom Heiligen Geist geschenkt werden im Hinblick auf das Wohl des ganzen mystischen Leibes, zu dessen Aufbau sie beitragen sollen (vgl. 1 Kor 12,4-11), dazu berufen, Sauerteig missionarischer Gemeinschaft in der Universalkirche zu sein. Bezeichnenderweise ist es die Liebe, die nach den Worten des Apostels "der Weg" ist, "der alles übersteigt" (1 Kor 12,31), die Wirklichkeit, die "die größte unter allen ist" (1 Kor 13,13), die alle Unterschiede harmonisch in Einklang bringt und allen die Kraft verleiht, im apostolischen Einsatz einander Stütze zu sein. Gerade danach strebt das besondere Band der Gemeinschaft, das die verschiedenen Formen des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens zum Nachfolger Petri in seinem Dienst an der Einheit und der missionarischen Universalität haben. Die Geschichte der Spiritualität veranschaulicht dieses Band eingehend dadurch, dass sie deren günstige Aufgabe zeigt, um sowohl die dem geweihten Leben eigene Identität als auch die missionarische Ausbreitung des Evangeliums zu gewährleisten. Die machtvolle Verbreitung der evangelischen Botschaft ebenso wie die feste Verwurzelung der Kirche in so vielen Gegenden der Welt und der christliche Frühling, der heute in den jungen Kirchen festzustellen ist, wären - wie die Synodenväter festgestellt haben - ohne den Beitrag so vieler Institute des geweihten Lebens und der Gesellschaften des apostolischen Lebens undenkbar. Sie haben über Jahrhunderte hin die Gemeinschaft mit den Nachfolgern des hl. Petrus aufrechterhalten, die bei ihnen großzügige Bereitschaft vorfanden, sich der Mission mit einer Verfügbarkeit zu widmen, die, wenn nötig, bis zum Heroismus reichen konnten.
So ragt das Wesensmerkmal der Universalität und der Gemeinschaft hervor, das den Instituten des geweihten Lebens und den Gesellschaften des apostolischen Lebens eigen ist. Aufgrund des in ihrer besonderen Beziehung zum Petrusamt verwurzelten überdiözesanen Charakters stehen sie auch im Dienst der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Teilkirchen,<ref>Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Schreiben an die Bischöfe der katholischen Kirche über einige Aspekte der Kirche als Communio Communionis notio (28. Mai 1992), 16: AAS 85 (1993), 847-848.</ref> unter denen sie den "Austausch der Gaben" wirksam fördern und dadurch zu einer Inkulturation des Evangeliums beitragen können, die die Reichtümer der Kulturen aller Völker reinigen, bewerten und annehmen soll.<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 13.</ref> Auch heute offenbart die Blüte an Berufungen zum geweihten Leben in den jungen Kirchen die Fähigkeit, die es besitzt, um innerhalb der katholischen Einheit die Erfordernisse der verschiedenen Völker und Kulturen zum Ausdruck zu bringen.
[Fortsetzung folgt]
Anmerkungen
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