Familiaris consortio (Wortlaut)

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Apostolisches Schreiben
Familiaris consortio

unseres Heiligen Vaters
Johannes Paul II.
an die Bischöfe, die Priester und die Gläubigen der ganzen Kirche
über die Aufgaben der christlichen Familie in der Welt von heute
22. November 1981

(Offizieller lateinischer Text AAS 74 [1982] 81-191)

(Quelle: Deutsche Fassung auf der Vatikanseite und Anmerkungen in: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 33)

Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


EINLEITUNG

Die Kirche im Dienst an der Familie

1. Die Familie wurde in unseren Tagen - wie andere Institutionen und vielleicht noch mehr als diese - in die umfassenden, tiefgreifenden und raschen Wandlungen von Gesellschaft und Kultur hineingezogen. Viele Familien leben in dieser Situation in Treue zu den Werten, welche die Grundlage der Familie als Institution ausmachen. Andere sind ihren Aufgaben gegenüber unsicher und verwirrt oder sogar in Zweifel und fast in Unwissenheit über die letzte Bedeutung und die Wahrheit des ehelichen und familiären Lebens. Wieder andere sind durch ungerechte Situationen verschiedener Art in der Ausübung ihrer Grundrechte behindert. In dem Wissen, dass Ehe und Familie zu den kostbarsten Gütern der Menschheit zählen, möchte die Kirche ihre Stimme und das Angebot ihrer Hilfe zu jenen gelangen lassen, die den Wert von Ehe und Familie bereits kennen und dementsprechend leben wollen, zu jenen, die unsicher und unruhig nach der Wahrheit suchen, sowie zu jenen, die ungerechterweise daran gehindert werden, ihre Auffassung von der Familie in Freiheit zu verwirklichen. Indem sie die einen stützt, die anderen belehrt und den letzteren hilft, bietet die Kirche ihren Dienst allen Menschen an, die sich über das Schicksal von Ehe und Familie Gedanken machen (Vgl. Gaudium et Spes, 52).

Insbesondere wendet sie sich an die jungen Menschen, die am Anfang ihres Weges zu Ehe und Familie stehen, um ihnen zu helfen, die Schönheit und Größe der Berufung zur Liebe und zum Dienst am Leben zu entdecken und ihnen so neue Horizonte aufzutun.


Die Synode von 1980 in ihrem Zusammenhang mit den vorhergehenden

2. Ein Zeichen dieses großen Interesses der Kirche für die Familie war die letzte Bischofssynode, die vom 26. September bis 25. Oktober 1980 in Rom abgehalten wurde. Sie war die natürliche Fortsetzung der zwei vorhergehenden (Vgl. Johannes Paul II.: Homilie zur Eröffnung der VI. Bischofssynode (26.9.1980), 2; AAS 72 (1980) 1008). Die christliche Familie ist ja die erste Gemeinschaft, der es obliegt, dem heranwachsenden Menschen das Evangelium zu verkünden und ihn durch eine fortschreitende Erziehung und Glaubensunterweisung zur vollen menschlichen und christlichen Reife zu führen. Und nicht nur das. Die letzte Synode steht auch mit jener über das Amtspriestertum und über die Gerechtigkeit in der Welt von heute in einer gewissen gedanklichen Verbindung. Denn als erziehende Gemeinschaft muss die Familie dem Menschen beim Erkennen der persönlichen Berufung und bei der Entscheidung zum notwendigen Einsatz für größere Gerechtigkeit behilflich sein, indem sie von Anfang an zu zwischenmenschlichen Beziehungen erzieht, die von Gerechtigkeit und Liebe geprägt sind.

Zum Abschluss ihrer Beratungen überreichten mir die Väter der Synode eine umfangreiche Liste von Vorschlägen ("Propositiones"). Sie enthält die Ergebnisse ihrer Überlegungen in jenen arbeitsreichen Tagen. Einmütig baten sie mich, vor der Menschheit die lebendige Sorge der Kirche für die Familie zu bekunden und geeignete Weisungen für einen erneuerten pastoralen Einsatz in diesem so grundlegenden Bereich menschlichen und kirchlichen Lebens zu geben.

Dieser Aufgabe will ich mit dem vorliegenden Schreiben nachkommen, worin ich einen Dienst des mir anvertrauten apostolischen Amtes sehe. Dabei möchte ich allen Teilnehmern der Synode meine Dankbarkeit zum Ausdruck bringen für ihren wertvollen Beitrag an Lehre und Erfahrung, der besonders in ihren "Propositiones" seinen Niederschlag fand. Deren Text vertraue ich dem Päpstlichen Rat für die Familie an mit dem Auftrag, durch ein vertieftes Studium jeden Aspekt des darin enthaltenen Reichtums fruchtbar zu machen.


Ehe und Familie - ein kostbares Gut

3. Die Kirche weiß aus dem Glauben um den Wert von Ehe und Familie in ihrer ganzen Wahrheit und tiefen Bedeutung, deshalb fühlt sie sich erneut gedrängt, das Evangelium, die "Frohbotschaft", allen ohne Unterschied zu verkünden, besonders aber jenen, die zur Ehe berufen sind und sich auf sie vorbereiten, sowie allen Eheleuten und Eltern in der Welt. Sie ist tief davon überzeugt, dass nur die Annahme des Evangeliums die volle Verwirklichung aller Hoffnungen schenkt, die der Mensch mit Recht in Ehe und Familie setzt.

Von Gott mit der Schöpfung selbst gewollt (Vgl. Gen 1-2), sind Ehe und Familie innerlich auf die Vollendung in Christus hingeordnet (Vgl. Eph 5) und bedürfen seiner Gnade, um von den Wunden der Sünde geheilt (Vgl. Gaudium et Spes, 47; Johannes Paul II., Brief Appropinquat iam vom 15.8.1980, 1; AAS 72 (1980) 791) und so "auf ihren Anfang" (Vgl. Mt 19, 4) zurückgeführt zu werden, das heißt zur vollen Kenntnis und Verwirklichung der Pläne Gottes. In einem geschichtlichen Augenblick, in dem die Familie Ziel von zahlreichen Kräften ist, die sie zu zerstören oder jedenfalls zu entstellen trachten, ist sich die Kirche bewusst, dass das Wohl der Gesellschaft und ihr eigenes mit dem der Familie eng verbunden ist (Vgl. Gaudium et Spes, 47), und fühlt umso stärker und drängender ihre Sendung, allen den Plan Gottes für Ehe und Familie zu verkünden, um deren volle Lebenskraft und menschlich-christliche Entfaltung zu sichern und so zur Erneuerung der Gesellschaft und des Volkes Gottes beizutragen.

ERSTER TEIL: DIE FAMILIE HEUTE -LICHT UND SCHATTEN

Notwendige Kenntnis der Situation

4. Da der Plan Gottes für Ehe und Familie Mann und Frau konkret betrifft - in ihrer täglichen Existenz, in bestimmten sozialen und kulturellen Situationen -, muss sich die Kirche, um ihren Dienst leisten zu können, um die Kenntnis jener Situationen bemühen, in denen Ehe und Familie sich heute verwirklichen (Vgl. Johannes Paul II., Ansprache an den Rat des Generalsekretariates der Bischofssynode (23.2.1980): Insegnamenii di Giovanni Paolo II, III, 1 (1980) 472-476.

Diese Kenntnis ist also eine für die Evangelisierung unerlässliche Notwendigkeit: muss doch die Kirche das unveränderliche und immer neue Evangelium Christi an die Familien unserer Zeit herantragen, müssen doch die Familien in den Bedingungen unserer Welt den Plan Gottes für sie aufgreifen und verwirklichen. Und nicht nur das: Die Forderungen und Anrufe des göttlichen Geistes sprechen auch aus den Ereignissen der Geschichte, weshalb die Kirche auch durch die Situationen, Fragen, Ängste und Hoffnungen der Jugendlichen, der Eheleute und der Eltern von heute zu einer tieferen Kenntnis des unerschöpflichen Mysteriums der Ehe und Familie geführt werden kann (Vgl. Gaudium et Spes, 4).

Hinzu kommt noch eine weitere, in der heutigen Zeit besonders wichtige Überlegung. Nicht selten werden dem Mann und der Frau von heute in ihrer ehrlichen und tiefen Suche nach einer Antwort auf die täglichen ernsten Probleme ihres ehelichen und familiären Lebens Ansichten und Vorschläge angeboten, die zwar verlockend sind, aber die Wahrheit und Würde der menschlichen Person mehr oder weniger verletzen. Dieses Angebot wird oft von der mächtigen und weitverzweigten Organisation der Medien gestützt, welche die Freiheit und die Fähigkeit zur objektiven Beurteilung unterschwellig gefährden.

Viele wissen bereits um diese Gefahr, in der die menschliche Person schwebt, und setzen sich für die Wahrheit ein. Die Kirche schließt sich ihnen mit ihrer evangelischen Unterscheidungsgabe an, indem sie ihren Dienst an der Wahrheit, der Freiheit und der Würde jedes Mannes und jeder Frau anbietet.


Die evangelische Unterscheidungsgabe

5. Die von der Kirche geleistete Unterscheidung wird zum Angebot einer Orientierung mit dem Ziel, dass die ganze Wahrheit und die volle Würde von Ehe und Familie gerettet und verwirklicht werde.

Sie wird im Glaubenssinn vollzogen (Vgl. Lumen gentium, 12), den der Heilige Geist allen Gläubigen mitteilt (Vgl. 1 Joh 2,20), und ist demnach Werk der gesamten Kirche entsprechend den verschiedenen Gaben und Charismen, die gemeinsam und nach dem Grad der jeweiligen Verantwortung für eine immer tiefere Erkenntnis und Verwirklichung des Wortes Gottes zusammenwirken. Die Kirche vollzieht diese ihre evangelische Unterscheidung also nicht nur durch die Hirten, die im Namen und mit der Vollmacht Christi lehren, sondern auch durch die Laien: Christus "bestellt sie zu Zeugen und rüstet sie mit dem Glaubenssinn und der Gnade des Wortes aus (vgl. Apg 2,17-18; Offb 19,10), damit die Kraft des Evangeliums im alltäglichen Familien- und Gesellschaftsleben aufleuchte" (Vgl. Lumen gentium, 35). Die Laien haben sogar aufgrund ihrer besonderen Berufung die spezifische Aufgabe, im Licht Christi die Geschichte dieser Welt auszulegen; ist es doch ihr Auftrag, die zeitlichen Wirklichkeiten nach dem Plan Gottes, des Schöpfers und Erlösers, zu erhellen und zu ordnen. Der "übernatürliche Glaubenssinn" (Vgl. Lumen gentium, 12; Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung Mysterium Ecclesiae, 2: AAS 65 (1973) 398-400) besteht jedoch nicht nur oder notwendigerweise in der Übereinstimmung der Gläubigen. Die Kirche sucht, indem sie Christus folgt, die Wahrheit, welche sich nicht immer mit der Meinung der Mehrheit deckt. Sie horcht auf das Gewissen und nicht auf die Macht und verteidigt so die Armen und Verachteten. Die Kirche weiß auch die soziologischen und statistischen Forschungen zu schätzen, wenn diese sich zur Erfassung des geschichtlichen Umfeldes, in dem sich das pastorale Wirken vollziehen muss, nützlich erweisen und wenn sie zu einer besseren Erkenntnis der Wahrheit verhelfen; diese Forschungen allein können jedoch nicht ohne weiteres als Ausdruck des Glaubenssinnes betrachtet werden.

Aufgabe des apostolischen Amtes ist es, das Bleiben der Kirche in der Wahrheit Christi zu gewährleisten und sie immer tiefer darin einzuführen; die Hirten müssen deshalb den Glaubenssinn in allen Gläubigen fördern, die Echtheit seiner Ausdrucksformen verbindlich abwägen und beurteilen und die Gläubigen zu einer immer reiferen Unterscheidung im Licht des Evangeliums erziehen (Vgl. Lumen gentium, 12; Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, 10).

Zur Erarbeitung einer echten evangelischen Unterscheidungsgabe in den verschiedenen Situationen und Kulturen, in denen Mann und Frau ihre Ehe und Familie leben, können und müssen die christlichen Eheleute und Eltern einen eigenen, unersetzlichen Beitrag leisten. Zu dieser Aufgabe befähigt sie das ihnen eigene Charisma, die ihnen eigene Gnadengabe, die sie im Sakrament der Ehe empfangen haben (Vgl. Johannes Paul II., Homilie zur Eröffnung der VI. Bischofssynode (26.9.1980), 3: AAS 72 (1980) 1008).


Die Lage der Familie in der Welt von heute

6. Die Situation, in der sich die Familie befindet, weist positive und negative Aspekte auf: Die einen sind Zeichen für das in der Welt wirksame Heil in Christus, die anderen für die Ablehnung, mit der der Mensch der Liebe Gottes begegnet.

Einerseits ist man sich der persönlichen Freiheit mehr bewusst, schenkt der Qualität der zwischenmenschlichen Beziehungen in der Ehe, der Förderung der Würde der Frau, der verantworteten Elternschaft, der Erziehung der Kinder größere Aufmerksamkeit; man weiß darüber hinaus um die Notwendigkeit der Entwicklung von Beziehungen zwischen den einzelnen Familien zu gegenseitiger spiritueller und materieller Hilfe; man entdeckt wieder neu die der Familie eigene ekklesiale Sendung und ihre Verantwortung für den Aufbau einer gerechteren Gesellschaft. Andererseits aber gibt es Anzeichen einer besorgniserregenden Verkümmerung fundamentaler Werte: eine irrige theoretische und praktische Auffassung von der gegenseitigen Unabhängigkeit der Eheleute; die schwerwiegenden Mißverständnisse hinsichtlich der Autoritätsbeziehung zwischen Eltern und Kindern; die häufigen konkreten Schwierigkeiten der Familie in der Vermittlung der Werte; die steigende Zahl der Ehescheidungen; das weit verbreitete Übel der Abtreibung; die immer häufigere Sterilisierung; das Aufkommen einer regelrechten empfängnisfeindlichen Mentalität.

An der Wurzel dieser negativen Erscheinungen findet sich oft eine Zersetzung von Begriff und Erfahrung der Freiheit, die nicht als die Fähigkeit aufgefasst wird, den Plan Gottes für Ehe und Familie zu verwirklichen, sondern vielmehr als autonome Kraft der Selbstbehauptung - für das eigene, egoistisch verstandene Wohlergehen und nicht selten gegen die Mitmenschen. Auch eine andere Tatsache verdient unsere Aufmerksamkeit, nämlich die, dass es in den Ländern der sogenannten Dritten Welt den Familien sowohl an den grundlegenden Mitteln zum Überleben fehlt, wie Nahrung, Arbeit, Wohnung, Arzneien, als auch an den elementarsten Freiheiten. In den reicheren Ländern hingegen nehmen der übertriebene Wohlstand und die Konsumhaltung sowie eine gewisse paradoxerweise damit verbundene Angst und Unsicherheit gegenüber der Zukunft den Eltern die Hochherzigkeit und den Mut, neues Leben zu wecken. So wird das Leben oft nicht als Segen, sondern als eine Gefahr betrachtet, gegen die man sich verteidigen muss.

Die geschichtliche Situation, in der die Familie lebt, steht somit als Ineinander von Licht und Schatten vor uns.

Darin wird deutlich, dass die Geschichte nicht einfach ein notwendiger Fortschritt zum Besseren ist, sondern vielmehr ein Ereignis der Freiheit, ja ein Kampf zwischen Freiheiten, die einander widerstreiten; sie ist - nach der bekannten Formulierung des heiligen Augustinus - ein Konflikt zwischen zweierlei Liebe: der Liebe zu Gott bis hin zur Verachtung seiner selbst und der Liebe zu sich bis hin zur Verachtung Gottes (Vgl. Augustinus, De Civitate Dei, XIV, 28: CSEL 40, II, 56 f.).

Daraus folgt, dass nur die Erziehung zu einer im Glauben verwurzelten Liebe die Fähigkeit schenken kann, die "Zeichen der Zeit" zu deuten, die der geschichtliche Ausdruck dieser zweifachen Liebe sind.


Die Auswirkung dieser Situation auf das Gewissen der Gläubigen

7. In einer solchen Welt und unter dem besonders von den Massenmedien ausgeübten Druck waren und sind die Gläubigen nicht immer fähig, dem Verblassen der fundamentalen Werte gegenüber immun zu bleiben und sich als kritisches Gewissen dieser Familienkultur und als aktive Miterbauer eines echten "Familienhumanismus" zu erweisen.

Unter den beunruhigendsten Anzeichen für diese Tatsache haben die Synodenväter besonders die folgenden hervorgehoben: die Zunahme von Scheidung und Eingehen einer neuen Verbindung sogar bei den Gläubigen; das Hinnehmen der nur zivilrechtlich geschlossenen Ehe im Gegensatz zur Berufung der Getauften, "sich im Herrn zu vermählen"; die kirchliche Feier der Eheschließung ohne lebendigen Glauben, sondern aus anderen Beweggründen; die Ablehnung der sittlichen Normen für einen menschlichen und christlichen Vollzug der Sexualität in der Ehe.

[Fortsetzung folgt]