Con vivo compiacimento (Wortlaut)

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Ansprache
Con vivo compiacimento

unseres Heiligen Vaters
Pius XII.
an die S. Romana Rota anlässlich der Eröffnung des neuen Gerichtsjahres
Der Rechtspositivismus und das richtige Recht
13. November 1949

(Offizieller italienischer Text: AAS 41 [1949] 604-608)

(Quelle: Arthur Fridolin Utz OP, Joseph-Fulko Groner O.P, Hrsg.: Aufbau und Entfaltung des gesellschaftlichen Lebens, Soziale Summe Pius' XII. (1939-1958), Übersetzerkollegium: Herausgeber und Franz Schmal u. H. Schäufele, Paulus Verlag Freiburg/Schweiz 1954; Imprimatur Friburgi Helv., die 5. Maii 1954 N. Luyten O.P. Imprimatur Friburgi Helv., die 29. Junii 1954 R. Pittet, v.g.; Band I, S. 163-169; Nrn. 374-391)

Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Begrüßung

Mit lebhafter Freude begrüßen Wir Euch, geliebte Söhne, die Ihr wiederum um Uns versammelt sind. Wir haben aus dem Munde Eures verehrten Dekans den Bericht über Eure Tätigkeit während des Rechtsjahres 1948/49 vernommen, ein Bericht, der mit der nüchternen und zugleich leuchtenden Beredsamkeit der Tatsachen zu den vielen anderen einen neuen Beweis für den hohen Wert und die untadelige Geradheit dieses Gerichtshofes erbringt.

Die Arbeit der Sacra Romana Rota, die Wir im Verlaufe des letzten Jahrzehntes unmittelbarer verfolgen konnten, hat Uns in die Lage versetzt, ihre rückhaltlose Achtung vor der Wahrheit der Tatsachen und vor den Gesetzen des göttlichen Rechtes geziemend zu schätzen, besonders in dem, was die Heiligkeit der Ehe und die Begründung der Familie angeht. Sie flößt Uns auch gleichzeitig die feste Zuversicht ein, dass alle ihre Mitglieder immer treu die schon von Uns verkündeten Normen beobachten, die Wir in Erfüllung der Pflichten Unseres apostolischen Lehramtes, besonders in den Ansprachen vom 3. Oktober 1941, vom 1. Oktober 1942 und vom 2. Oktober 1944 angegeben haben. Das ist ein um so größerer Trost für Uns in den gegenwärtigen Verhältnissen, die sicherlich nicht überall, aber doch in weitem Ausmaße - in der Handhabung der Justiz das Schauspiel einer Krise bieten, welche das übliche Versagen des christlich-sittlichen Gewissens übersteigt.

Die Ursachen der Krise in der weltlichen Justiz

Die unmittelbaren Ursachen dieser Krise müssen in erster Linie im Rechtspositivismus und im Staatsabsolutismus gesucht werden, zwei Erscheinungen, die ihrerseits auseinander hervorgehen und voneinander abhängen. Wenn dem Recht die Grundlage entzogen wird, die es im göttlichen natürlichen und positiven Recht besitzt und die eben darum unveränderlich ist, bleibt in der Tat nichts anderes übrig, als es auf das Gesetz des Staates als eine oberste Norm zu gründen und damit ist das Prinzip des absoluten Staates aufgestellt. Umgekehrt wird dieser absolute Staat notwendig versuchen, alle Dinge seiner Willkür zu unterwerfen und besonders das Recht seinen eigenen Zwecken dienstbar zu machen.

Der Rechtspositivismus und der Staatsabsolutismus haben das edle Antlitz der Justiz, deren wesentliche Grundlagen das Recht und das Gewissen sind, verändert und entstellt. Diese Tatsache ruft eine Reihe von Erwägungen hervor, die sich auf zwei Punkte zurückführen lassen: die objektiven Normen des Rechts und ihre subjektive Auffassung. Für heute wollen Wir Uns darauf beschränken, von dem ersten Punkt zu sprechen, während Wir das Studium des zweiten auf eine andere Gelegenheit verschieben, so es dem Herrn gefällt.

DIE OBJEKTIVEN NORMEN DES RECHTS

Die Frage nach dem richtigen Recht

In der Rechtswissenschaft wie in der Rechtspraxis kehrt ständig die Frage nach dem wahren und gerechten Recht wieder. Gibt es also auch ein anderes? Ein falsches und illegitimes Recht? Zweifellos stoßen und widersprechen sich wesentlich diese beiden Termini (= Ausdrücke) in der Zusammenstellung. Darum ist es jedoch nicht weniger wahr, dass der von ihnen bezeichnete und zu ihnen gehörende Begriff im Rechtsempfinden, selbst dem der klassischen Heiden immer lebendig war. Keiner von ihnen hat ihm wohl einen tieferen Ausdruck verliehen als Sophokles in seiner Tragödie Antigone (v. 23-24). Er lässt seine HeIdin sagen, dass Eteokles auf Bemühen Kreons begraben wurde σύν δίχη δίχία (Mit gerechtem Recht). Δίκαιος (Gerecht) ist derjenige, welcher seine Pflicht gegen Gott und gegen die Menschen erfüllt, der gerecht, fromm, ehrbar, rechtschaffen, menschlich ist. δίχη δίκαιίκαι entspricht daher dem, was wir wahres und gerechtes Recht nennen, während χειροδίκης; oder χειροδίκαιος (Das Faustrecht anwendend) den Gewalttätigen bezeichnet, welcher das Recht des Stärkeren anwendet und den Menschen des falschen und ungerechten Rechtes verrät.

Die ganze Krise, auf die Wir hingewiesen haben, lässt sich in den Antagonismus zwischen dem wahren und dem falschen Recht zusammenfassen. Das Interesse, mit dem sich ernste und scharfsinnige Juristen dem Studium dieser Frage gewidmet haben, scheint Uns ein glückliches Vorzeichen für die Lösung der Krise. Aber dazu muss man den Mut haben, ihre Wurzeln klar zu sehen und ehrlich anzuerkennen.

Wo also sollen Wir diese suchen, wenn nicht im Gebiet der Rechtsphilosophie ?

Der ordnende Wille Gottes als Erstursache des Rechts

Es ist unmöglich, die körperliche und geistige, physische und moralische Welt aufmerksam zu betrachten, ohne von Bewunderung ergriffen zu sein bei dem Schauspiel der Ordnung und Harmonie, die auf allen Stufen der Leiter des Seins herrscht. Im Menschen werden diese Ordnung und diese Harmonie bis zu jener Grenzlinie, an die seine unbewusste Aktivität reicht und bei der sein bewusstes und freies Handeln beginnt, streng nach den Gesetzen verwirklicht, die der Schöpfer in das existierende Sein gelegt hat. Jenseits jener Linie gilt noch der ordnende Wille Gottes; jedoch sind seine Verwirklichung und seine Entfaltung der freien Entscheidung des Menschen überlassen, welche dem göttlichen Wollen entsprechend oder widersprechend sein kann.

In diesem Bereich des bewussten menschlichen Handelns, des Guten und des Bösen, der Vorschriften, des Erlaubten und des Verbotenen, bekundet sich der ordnende Wille des Schöpfers vermittels des sittlichen, in der Natur und in der Offenbarung niedergelegten Gebotes Gottes, wie auch vermittels der Vorschrift oder des Gesetzes der rechtmäßigen menschlichen Autorität in der Familie, im Staat und in der Kirche. Wenn das menschliche Handeb sich an diese Normen hält und sich nach ihnen richtet, so bleibt es von selbst in Einklang mit der allgemeinen, vom Schöpfer gewollten Ordnung.

Die bloße Tatsache genügt nicht als Norm

Hierin findet die Frage nach dem echten und dem falschen Recht ihre Antwort. Die bloße Tatsache, dass etwas von der gesetzgebenden Macht zur verpflichtenden Norm des Staates erklärt worden ist, genügt allein und an sich noch nicht, um wahres Recht zu schaffen. Das «Kriterium der bloßen Tatsache» genügt nur bei dem, der der Urheber und die oberste Norm alles Rechts ist, Gott. Es auf den menschlichen Gesetzgeber ohne Unterscheidung und endgültig zu übertragen, als ob sein Gesetz die oberste Norm des Rechts ausmachte, das ist der Irrtum des Rechtspositivismus im eigentlichen und technischen Sinn des Wortes; ein Irrtum, der dem Staatsabsolutismus zugrunde liegt und der einer Vergöttlichung des Staates gleichkommt.

Die folgenschwere Entwicklung des Rechtspositivismus

Das neunzehnte Jahrhundert trägt die schwere Verantwortung für den Rechtspositivismus. Wenn seine Folgen in ihrer ganzen Schwere sich nur langsam in der Gesetzgebung fühlbar gemacht haben, so ist dies der Tatsache zu verdanken, dass die Kultur noch von der christlichen Vergangenheit durchdrungen war und dass die Vertreter des christlichen Denkens noch fast überall ihre Stimme in den gesetzgebenden Versammlungen zu Gehör bringen konnten. Es musste erst der totalitäre Staat antichristlicher Prägung kommen, der Staat, der grundsätzlich oder wenigstens tatsächlich jede Zügelung durch ein oberstes göttliches Recht sprengte, um vor der Welt das wahre Gesicht des Rechtspositivismus zu enthüllen.

Muss man wohl weit in der Geschichte zurückgehen, um ein sogenanntes « gesetzliches Recht » zu finden, das dem Menschen jede persönliche Würde nimmt, das ihm jedes Grundrecht auf Leben und Unantastbarkeit seiner Glieder entzieht und das eine wie das andere der Willkür der Partei und des Staates ausliefert, das dem Individuum das Recht auf Ehre und guten Namen nicht zuerkennt, das den Eltern das Recht über ihre Kinder und die Verpflichtung zu deren Erziehung abspricht, das vor allem die Anerkennung Gottes, des obersten Herrn, und die Abhängigkeit des Menschen von ihm als für den Staat und für die menschliche Gemeinschaft belanglos betrachtet? Dieses « gesetzliche Recht » im eben dargelegten Sinn hat die vom Schöpfer errichtete Ordnung umgestürzt, hat die Unordnung Ordnung, die Tyrannei Autorität, die Sklaverei Freiheit und das Verbrechen vaterländische Tugend genannt.

Solcher Art war und ist noch, Wir müssen es sagen, an einigen Orten das « gesetzliche Recht ». Wir alle sind Zeuge gewesen, wie einige, die nach diesem Recht gehandelt hatten, dann zur Rechenschaft vor der menschlichen Justiz gezogen worden sind. Die Prozesse, die sich so abgewickelt haben, haben nicht nur wirkliche Verbrecher ihrem verdienten Los zugeführt, sie haben auch die unerträgliche Lage offen dargelegt, in die eine staatliche Gesetzgebung, die durch und durch vom Rechtspositivismus beherrscht ist, einen öffentlichen Beamten bringen kann, der sonst seiner Natur gemäß und wenn er frei seinem Empfinden hätte folgen können, ein rechtschaffener Mann geblieben wäre.

Man hat festgestellt, wie auf Grund der Grundsätze dieses Rechtspositivismus diese Prozesse mit ebensoviel Freisprechungen hätten enden müssen, auch in Fällen von Verbrechen, die das menschliche Empfinden anwidern und die Welt mit Abscheu erfüllen. Die Angeklagten waren sozusagen vom « geltenden Recht » gedeckt. Wessen waren sie wirklich schuldig, wenn nicht, dass sie das getan hatten, was dieses Recht vorschrieb oder erlaubte?

Wir wollen gewiss die wahren Schuldigen nicht entschuldigen. Aber die größere Verantwortung fällt auf die Propheten, die Vorkämpfer, die Schöpfer einer Kultur, einer Staatsmacht und einer Gesetzgebung zurück, die Gott und seine obersten Rechte nicht anerkennt. Wo immer diese Propheten am Werk waren und noch sind, muss mit der Erneuerung und der Wiederherstellung des wahren rechtlichen Denkens begonnen werden.

Erneute Einschärfung des wahren Kriteriums echten Rechts: des Gesetzes Gottes

Die rechtliche Ordnung muss sich wieder an die sittliche Ordnung gebunden fühlen und darf sich nicht erlauben, deren Grenzen zu überschreiten. Nun ist aber die sittliche Ordnung wesentlich in Gott begründet, in seinem Willen, in seiner Heiligkeit, in seinem Sein. Auch die tiefste und scharfsinnigste Rechtswissenschaft könnte kein anderes Kriterium aufzeigen, um die ungerechten Gesetze von den gerechten, das bloß gesetzliche Recht vom wahren Recht zu unterscheiden, als jenes, das schon mit dem bloßen Licht der Vernunft aus der Natur der Dinge und des Menschen selbst wahrnehmbar ist, das Kriterium des vom Schöpfer in das Herz des Menschen geschriebenen (Vgl. Röm. 2, 14-15) und durch die Offenbarung ausdrücklich bestätigten Gesetzes. Wenn das Recht und die Rechtswissenschaft nicht auf den Führer verzichten wollen, der einzig imstande ist, sie auf dem rechten Weg zu bewahren, dann müssen sie die « ethischen Verpflichtungen » als objektive, auch für die Rechtsordnung gültige, Normen anerkennen.

Das Recht der katholischen Kirche

Die rechtliche Organisation der katholischen Kirche ist niemals durch eine solche Krise gegangen und ist auch nicht in Gefahr, jemals hindurchzugehen. Wie könnte es anders sein? Ihr Alpha und Omega ist das Wort des Psalmisten: « In Ewigkeit, Herr, gilt dein Wort, fest gegründet wie der Himmel. «Beständigkeit ist deines Wortes Eigenart, und ewig gilt jede Weisung deiner Gerechtigkeit» (« In aeternum, Domine, est verbum tuum, stabile ut caelum ... Verbi tui caput constantia est, et aeternum est omne decretum iustitiae tuae.» Ps. 118, 89.160). Dies gilt für das ganze göttliche Recht, ebenfalls für jenes, welches der Gottmensch zum Fundament seiner Kirche gemacht hat. In der Tat hat er von Anfang an, bereits in seinen ersten großen Verheißungen (Mt. 16, 16-20) seine Kirche als eine rechtliche Gesellschaft eingesetzt. Blind müsste wahrhaft der sein, der vor dieser Wirklichkeit die Augen verschlösse.

Die Wissenschaft und die Praxis des kanonischen Rechts anerkennen selbstverständlich kein gesetzliches Recht, das nicht zugleich auch wahres Recht wäre; ihr Amt ist es, in den vom göttlichen Recht festgesetzten Grenzen das rechtliche System der Kirche stets voll und ganz auf das Ziel der Kirche selber, das im Heil und im Wohl der Seelen besteht, auszurichten. Diesem Ziel dient in vollkommener Weise das göttliche Recht. Diesem Ziel muss auch das kirchliche Recht in bestmöglicher Weise zustreben.

Froh im Wissen, dass Ihr, geliebte Söhne, als einzelne und als Gesamtheit, Euer hohes Richteramt in diesem Geiste ausübt, erteilen Wir Euch zum Unterpfande der reichsten himmlischen Gnaden von Herzen Unseren Apostolischen Segen.