Potestas ecclesiae solvendi (Wortlaut)

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Normen
Potestas ecclesiae solvendi

Kongregation für die Glaubenslehre
im Pontifikat von Papst
Johannes Paul II.
für die Durchführung des Verfahrens zur Auflösung des Ehebandes
zugunsten des Glaubens (in favorem fidei vgl. Privilegium Petrinum)
30. April 2001

(Quelle: Die deutsche Fassung auf der Vatikanseite)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Die Vollmacht der Kirche, Ehen zugunsten des Glaubens (in favorem fidei) aufzulösen, wurde in ihrer Ausübung bislang, abgesehen vom Paulinischen Privileg, durch die Instructio pro solutione matrimonii und die Normae procedurales geregelt, die von Paul VI. approbiert und von der Kongregation für die Glaubenslehre im Jahr 1973 herausgegeben wurden. In diesen Dokumenten werden sowohl die Bedingungen aufgezeigt, unter denen ein Fall von Auflösung einer Ehe zugunsten des Glaubens zugelassen werden kann, als auch Verfahrensnormen erlassen, die in den Diözesen zu befolgen sind, bevor die Akten an diese Kongregation übersandt werden. Die Promulgation des Codex Iuris Canonici für die lateinische Kirche und des Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium für die orientalischen Kirchen führte nun jedoch zu der Notwendigkeit, jene Dokumente durchzusehen und einige Vorschriften der neuen Gesetzgebung anzupassen.

Es ist hinlänglich bekannt, dass Ehen unter Nichtkatholiken, von denen zumindest einer nicht getauft ist, vom Papst unter bestimmten Bedingungen zugunsten des Glaubens und zum Heil der Seelen aufgelöst werden können. Die  Ausübung dieser Vollmacht, bei der die pastoralen Notwendigkeiten der Zeiten und Orte sowie auch alle Umstände jedes Falles zu beachten sind,  unterliegt dem Urteil des Papstes.

Der Gebrauch des sogenannten “Privilegium Paulinum”, also die Auflösung einer Ehe, die sich auf den ersten Brief des Hl. Paulus an die Korinther (1 Kor 7,12-17) stützt, wird im Codex Iuris Canonici (cann. 1143-1147) und im Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium (cann. 854-858) geregelt. Die Kirche deutet die Worte des Apostels nämlich einerseits im Sinne einer echten Freiheit für gläubigen Partner, eine neue Ehe einzugehen, „wenn der ungläubige Partner sich trennt“ (1 Kor 7,15); andererseits hat die Kirche im Lauf der Zeit den Gebrauch des Paulinischen Privilegs immer mehr durch positive Normen untermauert. Dies betrifft insbesondere die Definition des Wortes „sich trennen“ („discedere“), die Vorschrift, dass die Trennung („discessus“) durch Befragung („interpellationes“) im kirchlichen Bereich feststehen muss, und die Norm, nach der die Ehe erst in dem Moment aufgelöst wird, in dem der gläubige Partner eine andere Ehe schließt. Das Paulinische Privileg war so schon zu Beginn des 13. Jahrhunderts ein vollständig entfaltetes theologisch-kanonisches Rechtsinstitut; in den folgenden Jahrhunderten blieb es im Wesentlichen unverändert und wurde so, formal bereinigt, auch in das jüngst promulgierte Recht aufgenommen. Dies zeigt klar, dass die Kirche sich stets ihrer Vollmacht bewusst war, die Grenzen dieses Privilegs zu bestimmen und es in einem weiteren Sinn zu interpretieren, wie sie dies zum Beispiel mit der Bedeutung des Wortes „sich trennen“ („discedere“) tat, das der Angelpunkt des Paulinischen Privilegs ist.

Als im 16. Jahrhundert mit der missionarischen Ausdehnung neue pastorale Verhältnisse erwuchsen, zögerten die Päpste überdies nicht, jenen Polygamisten, die sich zum Glauben bekehrten, mit neuen und sehr weit gehenden „Privilegien“ entgegenzukommen, die die Grenzen des „Privilegium Paulinum“, wie es in der zitierten Stelle des hl. Paulus über die Auflösung eines im Unglauben geschlossenen Bandes beschrieben ist, bei weitem überschritten. Hierher gehören vor allem die Apostolischen Konstitutionen Altitudo von Papst Paul III. vom 1. Juni 1537, Romani Pontifices des hl. Papstes Pius V. vom 2. August 1571  und, Populis von Papst Gregor XIII. vom 25. Januar 1585. Für die Gebiete, für die sie erlassen worden waren, hatten diese Bestimmungen bis zur Promulgation des Kodex von 1917 Geltung. Der Kodex dehnte die Regelungen dann auf die ganze Kirche aus (can. 1125); formal galten sie daher bis zur Promulgation des Kodex von 1983. Dieser Kodex änderte dann alles Veraltete entsprechend ab und behandelte die Fälle der Auflösung einer Ehe, für die in jenen drei Konstitutionen Vorsorge getroffen worden war, in cann. 1148-1149; auch der Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium trifft dazu durch cann. 859-860 Regelungen.

Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass Ehen, auf die das Paulinische Privileg angewendet wird, und solche, die in cann. 1148-1149 CIC und cann. 859-860 behandelt werden, von Rechts wegen aufgelöst werden, sobald die gesetzlich vorgeschriebenen Bedingungen erfüllt sind; daher ist in diesen Fällen keinerlei Angehen einer übergeordneten Autorität notwendig. Wenn aber andere Ehen aufgelöst werden sollen, die von Partnern geschlossenen wurden, von denen zumindest einer nicht getauft ist,, sind sie in jedem einzelnen Fall dem Papst zu unterbreiten. Nachdem vorab in der Kongregation für die Glaubenslehre eine Prüfung erfolgte, entscheidet der Papst nach eigenem pastoralen Ermessen, ob die Auflösung des Bandes zu gewähren ist oder nicht.

Die Praxis, das Eheband durch Einzelfallentscheid des Papstes  aufzulösen, wurde nach der Promulgation des Kodex von 1917 eingeführt. In der Zeit davor war nämlich durch das Paulinische Privileg und durch die oben erwähnten Konstitutionen ausreichend Vorsorge getroffen, weil außerhalb der Missionsgebiete selten Fälle auftraten, die dieses Mittels bedurften. Denn die sozialen und religiösen Verhältnisse in den seit altersher christlichen Gebieten, insbesondere die Festigkeit der Ehe und der Familie und die geringe Zahl an Dispensen von der Religionsverschiedenheit, brachten es mit sich, dass dort überaus selten gültige Ehen zwischen einem getauften Partner und einem ungetauften Partner auftraten. Aus verschiedenen Gründen wuchs im 20. Jahrhundert jedoch die Zahl der Ehen immer mehr an, die des pastoralen Hilfsmittels der Auflösung des Bandes bedürfen. Unter anderen sind insbesondere folgende Gründe zu nennen: Die Abgrenzung zwischen in sich geschlossenen Religionsgemeinschaften, wie sie in den vorangegangenen Jahrhunderten gegeben war, ist in diesem Jahrhundert fast verschwunden; so haben sich Mischehen ebenso über die Maßen vervielfacht wie auch Ehen, die nach Erlangen der Dispens vom Hindernis der Religionsverschiedenheit zwischen einem katholischen Partner und einem nichtgetauften Partner eingegangen werden. Auch hat der Kodex von 1917 das Hindernis der Religionsverschiedenheit bezüglich der nichtkatholischen Getauften aufgehoben; daher sind Ehen zwischen diesen Nichtkatholiken und Ungetauften ohne jede Dispens gültig. So wächst die Zahl jener Ehen, bei denen eine Auflösung des Bandes möglich ist. Dazu kommt noch die von Tag zu Tag zunehmende Schwäche und Unbeständigkeit der Familienbande, weswegen die Scheidung immer mehr Raum greift (vgl. Gaudium et spes, 47) und die Zahl der Ehen, die Schiffbruch erleiden, von Tag zu Tag wächst.

Im Wissen um die Vollmacht der Kirche, Ehen zwischen Nichtkatholiken aufzulösen, von denen zumindest einer nicht getauft ist, haben die römischen Päpste diesen neuen pastoralen Notwendigkeiten ohne Zögern entsprochen und die Praxis eingeführt, diese Vollmacht der Kirche in Einzelfällen auszuüben, wenn es ihm – nach Prüfung aller Umstände, die in jedem einzelnen Fall zusammentreffen – zugunsten des Glaubens und zum Heil der Seelen angebracht scheint.

Fünfzehn Jahre nach der Promulgation des pio-benediktinischen Kodex waren die Fälle der Auflösung zugunsten des Glaubens schon so zahlreich, dass die Kongregation vom Hl. Offizium am 1. Mai 1934 eine Instructio mit dem Titel Normae pro conficiendo processu in casibus solutionis vinculi matrimonialis in favorem fidei per supremam Summi Pontificis auctoritatem herausgab. Diese Instructio bekräftigte zuerst die Vollmacht des Papstes zur Auflösung von Ehen zwischen Nichtkatholiken, von denen zumindest einer nicht getauft ist (Art. 1), sodann betonte sie die ausschließliche Zuständigkeit der Kongregation vom Hl. Offizium, über diese Fälle zu befinden (Art. 2). Danach wurden die Erfordernisse angegeben, damit der Gnadenerweis gewährt werden konnte (Art. 3) und Normen zur Durchführung des diözesanen Verfahrens erlassen, die beachtet werden mussten, bevor alle Akten an die Kongregation vom Hl. Offizium gesandt werden konnten (Artt. 4-18). Diese Instructio wurde den betroffenen Ortsordinarien ausgehändigt, aber nicht in den Acta Apostolicae Sedis veröffentlicht, um die Gefahr zu vermeiden dass die Kirche in den Medien als Befürworterin der Scheidung dargestellt würde.

Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil entschied Papst Paul VI., dass diese gesamte Materie vollständig untersucht werden müsse; auch sollte die Instructio von 1934 überarbeitet und an die neuen Verhältnisse angepasst werden. Hierauf erließ die Kongregation für die Glaubenslehre am 6. Dezember 1973 die neue Instructio pro solutione matrimonii in favorem fidei, in Verbindung mit den oben erwähnten Normae procedurales. Diese neue Instructio wurde wiederum, wie schon 1934 geschehen, nicht in den Acta Apostolicae Sedis veröffentlicht, sondern den Ortsordinarien in vertraulicher Form mitgeteilt. Gleichwohl wurde sie später durch Veröffentlichung in mehreren Zeitschriften bekannt.

Als der Codex Iuris Canonici überarbeitet wurde, erstellte man Entwürfe für Canones, in denen überblicksartig sowohl Grundsätze substanziellen Rechts als auch Verfahrensnormen für die Auflösung des Ehebandes zugunsten des Glaubens festgelegt wurden. Der Höchsten Autorität erschien es jedoch angemessener, diese schwierige Materie nicht in den Kodex aufzunehmen, sondern in partikularen Normen zu behandeln, die von der Kongregation für die Glaubenslehre erlassen und vom Papst speziell approbiert werden sollten. .

Nun aber, nach der Promulgation des Codex Iuris Canonici und des Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium, werden den Diözesan- und Eparchialbischöfen die überarbeiteten und der geltenden Gesetzgebung angepassten Normae für die Auflösung des Ehebandes zugesandt, damit sie in den Kurien in die Praxis umgesetzt werden, und zwar sowohl was die Zulassung der Fälle nach den substantiellen Grundsätzen betrifft als auch was die Erhebungen im Verfahren vor der Übermittlung der Akten an die Kongregation für die Glaubenslehre angeht.

Damit aber die Gläubigen keinen geistlichen und zeitlichen Schaden erleiden, sollen die Bischöfe eifrig Sorge tragen, dass die Fälle für die Auflösung des Ehebandes zugunsten des Glaubens gegebenenfalls vor ihrer Annahme einer sorgfältigen Prüfung unterworfen werden, ob sie gemäß den nachfolgenden Normae tatsächlich zugelassen werden können; wenn sich zeigt, dass sie zuzulassen sind, sollen die Bischöfe das Verfahren in der Diözese diesen Normae gemäß treu und sorgfältig so durchführen lassen, dass die Akten, die an diese Kongregation zu senden sind, allenthalben vollständig und richtig ausgearbeitet sind.

Durch den Erlass dieser neuen Normen werden frühere Normen über die Durchführung dieser Verfahren vollständig aufgehoben; alles, selbst erwähnungspflichtiges, Entgegenstehende wird dabei außer Kraft gesetzt.

Diese Normen, die in der Ordentlichen Versammlung dieser Kongregation beschlossen wurden, hat Papst Johannes Paul II. in der am 16. Februar 2001 gewährten Audienz approbiert und treu zu halten angeordnet.

Rom, am Sitz der Kongregation für die Glaubenslehre, am 30. April, dem Gedenktag des Heiligen Pius V., im Jahr 2001.

Josef Kard. Ratzinger,


Präfekt

Tarcisio Bertone, S.D.B.,

em. Erzbischof von Vercelli,

Sekretär

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