Humani generis (Wortlaut)

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Enzyklika
Humani generis

von Papst
Pius XII.
an die ehrwürdigen Brüder, die Patriarchen, Primaten, Erzbischöfe, Bischöfe
und die anderen Oberhirten die in Frieden und Gemeinschaft mit dem Apostolischen Stuhle leben,
über einige falsche Ansichten, die die Grundlagen der katholischen Lehre zu untergraben drohen
12. August 1950

(Offizieler lateinischer Text: AAS XLII [1950] 561-578)

(Quelle: Herder-Korrespondenz, 6. Jahrgang, Fünftes Heft - Februar 1952, S. 215-221: Offizielle neue "nach dem lateinischen Urtext durchgesehene und verbesserte" Auflage aus der Vatikanischen Druckerei; die erste Auflage der Vatikanischen Druckerei hatte Mängel ! (aus: Herder-Korrespondenz, 5. Jahrgang S. 215); Überschriften aus: Heilslehre der Kirche, Dokumente von Pius IX. bis Pius XII. Deutsche Ausgabe des französischen Originals von P. Cattin O.P. und H. Th. Conus O.P. besorgt von Anton Rohrbasser, Paulus Verlag Freiburg Schweiz 1953; Imprimatur Friburgi Helv., die 22. maii 1953 L. Weber V. G. Die Nummerierung entspricht der englischen Fassung).

Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Ehrwürdige Brüder,
Gruß und Apostolischen Segen !
Thomas von Aquin, der Meister der katholischen Priesterausbildung

Einleitung: Moralische Notwendigkeit der Offenbarung

1 Die Uneinigkeit der Menschen in Fragen der Religion und der sittlichen Ordnung, wie auch ihr Abirren von der Wahrheit, war von jeher für alle Guten, vor allem für die gläubigen und treuen Söhne der Kirche, Quelle und Grund tiefen Schmerzes. Heute gilt dies ganz besonders, da wir überall selbst die Grundlagen der christlichen Kultur angefochten sehen.

2 Es ist nicht zu verwundern, dass außerhalb des Bereiches der Kirche jederzeit solche Uneinigkeit und Abirrung zu finden war. Denn die menschliche Vernunft kann zwar, allgemein gesprochen, mit ihren natürlichen Kräften und Einsichten zu wahrer und sicherer Erkenntnis des einen persönlichen Gottes, des Erhalters und Lenkers der Welt, und zur Erkenntnis des vom Schöpfer in unser Herz gelegten natürlichen Sittengesetzes gelangen; trotzdem stehen aber dem erfolgreichen und nutzbringenden Gebrauch dieser naturgegebenen Befähigung der menschlichen Vernunft: nicht wenige Hindernisse entgegen. Übersteigen doch die Wahrheiten, die sich auf Gott und auf das Verhältnis zwischen dem Menschen und Gott beziehen, den Bereich der Sinnenwelt; und sollen sie auf das praktische Leben bestimmenden Einfluss gewinnen, so verlangen sie Opferwille und Selbstverleugnung. Für den menschlichen Verstand ist es schwierig, zur Anerkennung derartiger Wahrheiten zu gelangen, einmal wegen des Einflusses der Sinne und der Einbildungskraft, so dann wegen der ungeordneten Begierden, die aus der Erbsünde stammen. So kommt es, dass sich der Mensch in solchen Fragen. gerne einredet, das sei falsch oder wenigstens nicht sicher, was er nicht wahrhaben will.

3 Man muss deshalb die göttliche Offenbarung als moralisch notwendig bezeichnen, damit die religiösen und sittlichen Wahrheiten, die an sich der Vernunft nicht unzugänglich sind, von allen, auch in dem Zustand, in dem die Menschheit sich gegenwärtig befindet, leicht, mit voller Sicherheit und ohne Beimischung von Irrtum erkannt werden können.<ref> Conc, Vatic. D. B., 1876, Const. De Fide cath., cap. 2, De revelatione.</ref>

4 Ja dem menschlichen Geist kann es mitunter sogar schwierig sein, bezüglich der Glaubwürdigkeit der katholischen Glaubenslehre zu einem sicheren Urteil zu kommen, obwohl Gott so viele und so wunderbare Zeichen gegeben hat, durch die der göttliche Ursprung der christlichen Religion schon allein mit dem natürlichen Licht der Vernunft sicher erwiesen zu werden vermag. Kann sich doch der Mensch, von Vorurteilen irregeleitet oder von Leidenschaften und verkehrtem Willen getrieben, nicht nur der gegebenen Evidenz der äußeren Zeichen, sondern auch den übernatürlichen Eingebungen, die Gott uns ins Herz legt, verschließen und widersetzen.

I. Irrtümliche Lehren der Gegenwart

1. Irrtümer über die Vernunft und die Offenbarung

5 Richtet man den Blick auf die, die außerhalb der Kirche Christi stehen, so wird jeder unschwer feststellen können, welche Wege von nicht wenigen unter den Gebildeten hauptsächlich eingeschlagen werden. So finden sich manche, die das sog. Entwicklungssystem, wenngleich es noch nicht einmal auf dem Gebiet der Naturwissenschaften unbestritten feststeht, ohne kluges Abwägen und Unterscheiden annehmen und auf den Ursprung aller Dinge angewendet wissen wollen. Dabei machen sie sich unbedenklich die monistische und pantheistische Auffassung zu eigen, nach der das Weltall einer ständigen Entwicklung unterworfen ist. Diese Auffassung nützen dann die Anhänger des Kommunismus gerne aus, um ihren "dialektischen Materialismus" erfolgreicher zu vertreten und anzupreisen und jeden Gedanken an Gott aus den Herzen herauszureißen.

6 Derartige Aufstellungen der Entwicklungslehre, die alles verwerfen, was absolut, fest und unveränderlich ist, haben den Weg gebahnt für eine neue Philosophie, die sich zum Idealismus, Immanentismus und Pragmatismus hinzugesellt und Existenzphilosophie genannt wird, da es ihr eigen ist, unter Beiseitesetzung des unveränderlichen Wesens der Dinge sich nur mit der Existenz des Einzelnen zu befassen.

7 Hieran reiht sich ein falscher Historizismus, der sich ausschließlich an die Geschehnisse des menschlichen Lebens hält und damit die Grundlagen jeder absoluten Wahrheit und jedes absoluten Gesetzes zerstört, sowohl auf dem Gebiete der Philosophie wie auch auf dem der christlichen Dogmen.

8 Bei einem derartigen Wirrwarr von Anschauungen ist es für Uns ein gewisser Trost, zu sehen, wie Menschen, die nach den Grundsätzen des Rationalismus gebildet wurden, heute nicht selten zu den Quellen der göttlichen Offenbarung zurückzukehren wünschen und das in der Heiligen Schrift niedergelegte Wort Gottes als Grundlage der theologischen Wissenschaft anerkennen und aufstellen. Doch ist es beklagenswert, dass dabei nicht wenige unter ihnen, je fester sie sich an das Wort Gottes halten, desto mehr die menschliche Vernunft beiseite schieben, und je mehr sie geneigt sind, die Autorität des offenbarenden Gottes zu betonen, desto entschiedener das Lehramt der Kirche ablehnen, das doch Christus der Herr eingesetzt hat, um die von Gott geoffenbarte Wahrheit zu hüten und zu erklären. Ein solches Verhalten steht nicht nur in klarem Widerspruch zur Heiligen Schrift, sondern wird auch von der Erfahrung als falsch erwiesen. Oft genug klagen ja gerade die, die von der wahren Kirche getrennt sind, laut über ihre eigene Uneinigkeit in Fragen der Glaubenslehren und legen damit, ohne es zu wollen, Zeugnis ab für die Notwendigkeit eines lebendigen Lehramtes.

2.Gefährliche Haltungen im kirchlichen Bereich

9 Katholische Theologen und Philosophen, die die wichtige Aufgabe haben, ein Hort der göttlichen und menschlichen Wahrheit zu sein und sie den Herzen der Menschen einzupflanzen, dürfen gewiss über diese Anschauungen, die vom rechten Weg mehr oder weniger abweichen, nicht in Unkenntnis sein oder sie unbeachtet lassen. Ja gerade sie müssen diese Anschauungen gründlich kennen; denn Krankheiten können nicht geheilt werden, wenn sie nicht zuerst richtig erkannt sind; sodann ist in solchen falschen Aufstellungen mitunter ein Körnchen Wahrheit enthalten; endlich spornen sie dazu an, gewisse philosophische und theologische Wahrheiten sorgfältiger zu erforschen und durchzudenken.

10 Wenn sich nun unsere Philosophen und Theologen damit begnügten, diese Lehren unter Wahrung der gebotenen Vorsicht zu studieren und daraus die oben genannten Früchte zu ziehen, so läge für ein Einschreiten des kirchlichen Lehramtes kein Grund vor. Wir wissen zwar recht wohl, dass die katholischen Gelehrten diesen Irrtümern gegenüber meistens auf der Hut sind; aber anderseits steht doch fest, dass es heute, wie zur Zeit der Apostel, nicht an solchen fehlt, die über Gebühr auf Neues ausgehen und sogar fürchten, man könnte sie in Fragen der heutigen fortgeschrittenen Wissenschaft für unwissend halten. So haben sie das Bestreben, sich der Leitung des kirchlichen Lehramtes zu entziehen, und laufen damit Gefahr, nach und nach sogar von der gottgeoffenbarten Wahrheit abzuirren und auch andere mit sich in den Irrtum hineinzuziehen.

11 Daneben zeigt sich noch eine andere Gefahr, die um so ernster ist, je mehr sie sich in das Gewand der Tugend kleidet. Viele nämlich, die den Zwiespalt unter den Menschen und die Verwirrung der Geister beklagen, lassen sich von unklugem Eifer hinreißen und verlangen sehnlichst darnach, die Schranken niederzulegen, die rechtlich denkende, ehrenwerte Menschen voneinander scheiden. In dieser "irenischen" Einstellung gehen sie so weit, dass sie die Fragen, die die Menschen trennen, beiseite setzen und nicht nur daran arbeiten, mit vereinten Kräften den Ansturm des Atheismus abzuwehren, sondern auch in Fragen der Glaubenslehre Unvereinbares zu vereinbaren. Und wie es früher Leute gab, die sich die Frage stellten, ob die herkömmliche Art der kirchlichen Apologetik nicht eher ein Hindernis als eine Hilfe sei, die Seelen für Christus zu gewinnen, so fehlt es auch heute nicht an solchen, die so weit zu gehen wagen, dass sie sich allen Ernstes fragen, ob die Theologie und ihre Methode, wie sie in den Schulen mit Billigung der kirchlichen Autorität in Übung sind, nicht nur der Verbesserung, sondern einer vollen Umgestaltung bedürfe, damit das Reich Christi in aller Welt, unter Menschen jeglicher Kultur und jeglicher religiöser Anschauung mit größerem Erfolg ausgebreitet werde.

12 Wenn nun die Betreffenden auf nichts anderes ausgingen, als die kirchliche Wissenschaft und ihre Methode durch Einführung gewisser Neuerungen den Verhältnissen und Anforderungen der Jetztzeit mehr anzupassen, bestünde kaum ein Grund zu Besorgnis. Aber im Übereifer eines unklugen Irenismus erblicken manche, wie es scheint, ein Hindernis für die Wiederherstellung der Einheit unter den getrennten Brüdern in Dingen, die auf Normen und Grundsätzen ruhen, die Christus selbst aufgestellt, und auf Einrichtungen, die er getroffen hat, oder die Bollwerke und Pfeiler für die Unversehrtheit des Glaubens bilden, bei deren Sturz zwar alles eins wird, aber nur in Trümmern.

13 Derartige neue Anschauungen, ob sie nun aus verwerflicher Neuerungssucht oder aus einem lobenswerten Beweggrund stammen, werden nicht immer in gleichem Umfang, mit gleicher Deutlichkeit und mit gleichen Ausdrücken vorgetragen; auch sind ihre Vertreter unter sich dabei nicht immer völlig eins. Denn was die einen heute mehr verschleiert vorlegen in vorsichtig gewählten Wendungen und mit gewissen Unterscheidungen, lehren morgen andere mit größerer Kühnheit offen und hemmungslos, und das nicht ohne Anstoß für viele, insbesondere für den jungen Klerus, und nicht ohne Schädigung der kirchlichen Autorität. Wenn man sich bei der Veröffentlichung von Büchern gewöhnlich noch größere Zurückhaltung aufzuerlegen pflegt, so spricht man schon ungehemmter in Schriften, die unter der Hand rundgegeben werden, in Vorträgen und in geschlossenen Zirkeln. Solche Ansichten werden nicht nur unter dem Welt- und Ordensklerus verbreitet, sondern auch in Laienkreisen, vor allem bei den Lehrern und Erziehern der Jugend.

3. Theologischer und dogmatischer Relativismus

14 Was nun die Theologie betrifft, so gehen einige darauf aus, den Sinn der Dogmen möglichst abzuschwächen und das Dogma von der Ausdrucksweise, die seit langem in der Kirche gebräuchlich ist, und von den philosophischen Begriffen, deren sich die katholischen Gelehrten bedienen, freizumachen, um statt dessen bei der Darlegung der katholischen Lehre zur Sprechweise der Heiligen Schrift und der Kirchenväter zurückzukehren. Wenn das Dogma der Elemente, die der göttlichen Offenbarung angeblich nur äußerlich anhaften, erst entkleidet sein werde, dann lasse es sich, so hoffen sie, mit Aussicht auf Erfolg mit den Lehrmeinungen der von der Kirche Getrennten vergleichen, und so werde man schrittweise zu einer wechselseitigen Angleichung des katholischen Dogmas und der Anschauungen der Andersgläubigen gelangen.

15 Sei die katholische Lehre einmal auf diesen Stand gebracht, so werde damit, meinen sie, ein Weg geschaffen, auf dem man, wie es die heutigen Verhältnisse erheischen, das Dogma auch in den Begriffen der modernen Philosophie ausdrücken könne, des Immanentismus, des Idealismus, der Existenzphilosophie oder irgendeines anderen Systems. Das könne und müsse, betonen manche mit noch größerer Dreistigkeit, auch deshalb geschehen, weil sich ihrer Ansicht nach die Geheimnisse des Glaubens niemals durch vollständig zutreffende, sondern nur durch sog. angenäherte und ständig wandelbare Begriffe ausdrücken lassen, durch Begriffe, die die Wahrheit zwar in etwa andeuten, aber notwendigerweise auch entstellen. Sie halten es daher nicht für widersinnig, sondern für durchaus notwendig, dass die Theologie, entsprechend den verschiedenen philosophischen Systemen, deren sie sich im Lauf der Zeit als ihrer Werkzeuge bedient, die alten Begriffe durch neue ersetzt. Auf diesem Wege werde es gelingen, in zwar verschiedenen, in gewisser Hinsicht sogar entgegengesetzten, aber nach ihrer Meinung gleichwertigen Fassungen dieselben göttlichen Wahrheiten so wiederzugeben, wie es der Natur des Menschen entspricht. Sie fügen hinzu, die Dogmengeschichte bestehe in der Aufweisung der verschiedenen aufeinanderfolgenden Formen, in die die geoffenbarten Wahrheiten je nach den verschiedenen im Lauf der Jahrhunderte auftauchenden Lehrsystemen und Anschauungen gekleidet worden seien.

16 Die bisherigen Ausführungen zeigen klar, dass derartige Bemühungen nicht nur zum dogmatischen Relativismus hinführen, sondern ihn schon tatsächlich enthalten. Diesen Relativismus begünstigt nur allzu sehr die Geringschätzung, mit der man der traditionellen, allgemein angenommenen Lehre und der Terminologie, in der sie ausgedrückt wird, begegnet. Gewiss sieht jedermann, dass derartige Fachausdrücke, wie sie in den Schulen und vom kirchlichen Lehramt selbst gebraucht werden, eine Vervollkommnung und Verfeinerung erfahren können; außerdem ist bekannt, dass die Kirche im Gebrauch dieser Ausdrücke nicht immer konstant war. Auch ist klar, dass sich die Kirche nicht an ein beliebiges kurzlebiges philosophisches System binden kann; aber was von den katholischen Theologen übereinstimmend in jahrhundertelanger Arbeit aufgestellt worden ist, um einigermaßen zu einem Verständnis und einer Erfassung des Dogmas zu kommen, ruht nicht auf einem so hinfälligen Fundament. Denn es ruht auf Prinzipien und Begriffen, die der wahren und richtigen Erkenntnis der geschaffenen Dinge entstammen; bei Gewinnung und Formung dieser Erkenntnisse war die göttliche Offenbarung, wie ein Stern, dem menschlichen Geist mittels der Kirche eine Leuchte. Daher ist es nicht zu verwundern, dass einige derartige Begriffe von ökumenischen Konzilien nicht nur verwendet, sondern selbst festgelegt wurden, so dass es nicht erlaubt ist, davon abzugehen.

17 Vieles und Wertvolles ist in jahrhundertelanger Arbeit von Männern nicht gewöhnlicher Geisteskraft und Heiligkeit unter der wachsamen Aufsicht des kirchlichen Lehramtes und nicht ohne Erleuchtung und Führung des Heiligen Geistes erfasst, zum Ausdruck gebracht und nach und nach vervollkommnet worden, um die Wahrheiten des Glaubens immer bestimmter auszudrücken. All dies beiseite zu lassen, zu verwerfen oder seines Wertes zu entkleiden und an seine Stelle Begriffe, die auf unsicheren Voraussetzungen ruhen, und wandelbare und ungenaue Ausdrücke einer neuen Philosophie zu setzen, die wie die Blumen des Feldes heute sind und morgen vergehen, ist daher nicht nur im höchsten Grade unklug, sondern heißt auch das Dogma selbst gewissermaßen zu einem vom Winde hin und her bewegten Rohr machen. Die Geringschätzung der Ausdrücke und Begriffe, deren sich die scholastischen Theologen zu bedienen pflegen, führt von selbst dazu, der sog. spekulativen Theologie ihre Kraft zu nehmen, da diejenigen, die so vorangehen, der Ansicht sind, sie biete keine echte Sicherheit, weil sie sich auf theologisches Schluss verfahren stütze.

4. Falscher Begriff vom Lehramt der Kirche

18 In der Tat gehen die Vertreter der neuen Richtung leider von der Geringschätzung der scholastischen Theologie leicht einen Schritt weiter zur Vernachlässigung, ja sogar zur Verachtung des kirchlichen Lehramtes selbst, das diese Theologie mit seiner Autorität so nachdrücklich gutheißt. Sehen sie doch dieses kirchliche Lehramt als Hemmschuh des Fortschrittes und Hindernis der Wissenschaft an; manche Nichtkatholiken hinwieder betrachten es als eine Art unberechtigten Zügels, der einige aufgeschlossenere Theologen an der Erneuerung ihres Faches hindere. Und doch muss das kirchliche Lehramt für jeden Theologen in Sachen des Glaubens und der Sitten nächste und allgemeine Norm der Wahrheit sein, da ja ihm Christus der Herr die ganze Glaubenshinterlage, die Heilige Schrift und die göttliche überlieferung, zur Bewahrung, Verteidigung und Erklärung anvertraut hat. Trotzdem wird die Verpflichtung, die den Gläubigen obliegt, auch jene Irrtümer zu fliehen, die der Häresie mehr oder weniger nahekommen, und sich daher auch "an die Kundgebungen und Erlasse zu halten, durch die derartige Ansichten vom Heiligen Stuhl verurteilt und verboten werden",<ref>CIC, e an. 1324; cfr. Conc. Vat., D, B. 1820, Cost. De Fide cath., cap. 4, De fide et ratione, post canones.</ref> bisweilen in einer Weise übergangen, als ob sie überhaupt nicht bestünde. Was die Römischen Päpste in ihren Rundschreiben über die Natur und Verfassung der Kirche darlegen, wird von manchen geflissentlich außer acht gelassen, und dies deshalb, damit ein mehr unbestimmter Begriff, der, wie sie erklären, aus den alten Kirchenvätern, besonders den Griechen, geschöpft sei, sich durchsetze. Denn die Päpste, so behaupten sie immer wieder, beabsichtigen nicht, über Fragen, die unter den Theologen strittig sind, ein Urteil abzugeben; man müsse daher auf die alten Quellen zurückgehen und die neueren Kundgebungen und Erlasse des kirchlichen Lehramts nach den Schriften des Altertums auslegen.

19 Das mag nun treffend gesagt erscheinen, ist aber nicht frei von Trug. Es ist ja gewiss richtig, dass die Päpste den Theologen im allgemeinen Freiheit lassen in Fragen, die von bedeutenden Gottesgelehrten so oder anders verstanden werden; aber die Geschichte lehrt auch, dass manches, was zuerst Gegenstand freier Meinung war, später keine Freiheit der Meinung mehr zuließ.

20 Man darf auch nicht die Ansicht hegen, das, was in den Päpstlichen Rundschreiben gesagt wird, verlange an sich keine Zustimmung, weil die Päpste in solchen Schreiben nicht von ihrer höchsten Lehrgewalt Gebrauch machen. Denn es ist das Ordentliche Lehramt, das hier spricht, von dem ganz ebenso das Wort gilt: ?,Wer euch hört, höret mich"<ref>{{#ifeq: Evangelium nach Lukas | Humani generis (Wortlaut) |{{#if: Lk|Lk|Evangelium nach Lukas}}|{{#if: Lk |Lk|Evangelium nach Lukas}}}} 10{{#if:16|,16}} EU | BHS =bibelwissenschaft.de">EU | #default =bibleserver.com">EU }}. </ref> und meist gehören die Dinge, dIe in den Enzykliken gesagt und eingeschärft werden, auch schon sonstwie zur katholischen Lehre. Wenn aber Päpste in Ihren amtlichen Kundgebungen zu einer bisher strittigen Frage mit Absicht Stellung nehmen, so ist allen klar, dass diese Sache nach Meinung und Wille eben dieser Päpste nicht mehr als Gegenstand freier Meinungsäußerung unter den Theologen betrachtet werden kann.

21 Richtig ist auch, dass die Theologen immer wieder auf die Quellen der göttlichen Offenbarung zurückgehen müssen: ist es doch ihre Aufgabe zu zeigen, inwiefern das, was das lebendige Lehramt verkündet, in der Heiligen Schrift und in der göttlichen Überlieferung, sei es ausdrücklich, sei es einschließlich, enthalten ist. Es kommt hinzu, dass beide Quellen der von Gott geoffenbarten Lehre so reiche und so bedeutsame Schätze der Wahrheit bergen, dass sie in der Tat nie ganz ausgeschöpft werden können. Daher erfahren die theologischen Wissenschaften durch das Studium der heiligen Quellen immer wieder eine Verjüngung, wogegen eine Spekulation, die das beständige Zurückgreifen auf die Glaubenshinterlage vernachlässigt, erfahrungsgemäß unfruchtbar wird. Aber das ist kein genügender Grund, die Theologie, auch nicht die sog. positive, mit der reinen Geschichtswissenschaft auf gleiche Stufe zu stellen. Denn Gott hat seiner Kirche zugleich mit den genannten heiligen Quellen das lebendige Lehramt gegeben, damit es auch das, was in der Glaubenshinterlage nur dunkel und gleichsam Einschlussweise enthalten ist, aufhelle und herausstelle. Diese Glaubenshinterlage hat der göttliche Erlöser nicht den einzelnen Gläubigen und selbst nicht den Theologen, sondern ausschließlich dem kirchlichen Lehramt zur authentischen Erklärung anvertraut. Wenn nun die Kirche, wie es im Lauf der Jahrhunderte zu wiederholten Malen geschehen ist, dieses ihr Amt ausübt - sei es in der Form der ordentlichen, sei es in der der außerordentlichen Betätigung -, so ist offensichtlich, dass eine Methode, in der Klares aus Unklarem erklärt wird, durch und durch falsch ist, dass vielmehr von allen notwendigerweise die entgegengesetzte Ordnung befolgt werden muss. Daher fügte Unser Vorgänger unvergesslichen Angedenkens, Pius IX., der Erklärung, es sei die vornehmste Aufgabe der Theologie, zu zeigen, wie eine von der Kirche definierte Lehre in den Glaubensquellen enthalten sei, nicht ohne schwerwiegenden Grund die Worte bei: "in eben dem Sinn, in dem sie [von der Kirche] definiert worden ist".<ref>Pius IX., Inter gravissimas, 28 oct. 1870, Acta, voI, I,p. 260. </ref>

5. Missverstandene Auslegung der Heiligen Schrift

22 Kehren wir nunmehr zu den oben berührten neueren Ansichten zurück. Hier wird auch manches von einigen vorgetragen und anderen beigebracht, was der göttlichen Autorität der Heiligen Schrift abträglich ist. Manche vermessen sich, den Sinn der Definition des Vatikanischen Konzils über Gott als den Urheber der Heiligen Schrift zu verfälschen, und vertreten von neuem die schon mehrmals von der Kirche verworfene Ansicht, die Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift beziehe sich nur auf das was über Gott sowie über die sittliche und religiöse Ordnung ausgesagt wird. Fälschlich sprechen sie sogar von einem menschlichen Sinn der heiligen Bücher, unter dem der göttliche Sinn verborgen liege, dem allein sie die Irrtumslosigkeit zuerkennen. Bei der Auslegung der Heiligen Schrift wollen sie keinerlei Rücksicht genommen wissen auf die "Analogie des Glaubens" und auf die kirchliche Überlieferung. Daher ist ihrer Ansicht nach die Lehre der heiligen Väter und des kirchlichen Lehramtes gewissermaßen am Maßstab der Heiligen Schrift, und zwar so wie diese von den Exegeten nach rein menschlicher Methode ausgelegt wird, zu bemessen, und nicht umgekehrt, eben diese Heilige Schrift auszulegen im Geiste der Kirche, die Christus der Herr zur Hüterin und Erklärerin der Hinterlage der von Gott geoffenbarten Wahrheit bestellt hat.

23 Außerdem muss der Literalsinn der Heiligen Schrift und ihre Auslegung, wie sie unter der Aufsicht der Kirche von so vielen und bedeutenden Exegeten erarbeitet worden ist, nach den von diesen Leuten erdachten Grundsätzen einer neuen Exegese weichen, die sie als symbolische und geistige bezeichnen. Durch diese Exegese würden die Bücher des Alten Testaments, die heute in der Kirche wie in einem versiegelten Quell verborgen lägen, endlich einmal allen eröffnet. Diese Methode, behaupten sie, behebe alle die Schwierigkeiten, die nur solche behindern, die sich an den Literalsinn halten.

24 Jedermann sieht, wie weit sich all dies entfernt von den Grundsätzen und hermeneutischen Regeln, die Unsere Vorgänger seI. Anged. Leo XIII. in dem Rundschreiben "Providentissimus" und Benedikt XV. in dem Rundschreiben "Spiritus Paraclitus" und auch Wir selbst in dem Rundschreiben "Divino afflante Spiritu" mit Fug und Recht aufgestellt haben.

6. Zehn theologische Irrtümer der Gegenwart

25 Es ist nicht zu verwundern, dass derartige Neuerungen auf fast allen Gebieten der Theologie bereits giftige Früchte gezeitigt haben. Es wird in Zweifel gezogen, ob die menschliche Vernunft imstande sei, durch Beweise, die den geschaffenen Dingen entnommen sind, ohne Hilfe der göttlichen Offenbarung und der göttlichen Gnade das Dasein eines persönlichen Gottes darzutun; es wird geleugnet, dass die Welt einen Anfang gehabt hat; es wird behauptet, die Erschaffung der Welt sei notwendig, da sie aus der notwendigen Freigebigkeit der göttlichen Liebe erfolge; gleicherweise wird das ewige und unfehlbare Vorauswissen der freien Handlungen der Menschen Gott abgesprochen: alles Dinge, die den Erklärungen des Vatikanischen Konzils entgegen sind.<ref>Cfr. Conc. Vat., Const. De Fide cath., cap. 1, De Deo rerum omnium creatore.</ref>

26 Von einigen wird auch die Frage aufgeworfen, ob die Engel Geschöpfe mit Persönlichkeitscharakter sind; ob zwischen Materie und Geist ein wesentlicher Unterschied bestehe. Andere nehmen der übernatürlichen Ordnung die Eigenart einer wirklich ungeschuldeten Gabe, da sie behaupten, Gott könne keine vernunftbegabten Wesen schaffen, ohne sie zu seiner beseligenden Anschauung zu bestimmen und zu berufen. Damit nicht genug: unter Hintansetzung der Definitionen des Konzils von Trient verderben sie den Begriff der Erbsünde und zugleich den der Sünde überhaupt als einer Beleidigung Gottes, und ebenso den der Genugtuung, die Christus für uns geleistet hat. Es fehlt auch nicht an solchen, die behaupten, die Lehre von der Transsubstantiation, die ja auf einem veralteten Substanzbegriff ruhe, sei so umzugestalten, dass die wirkliche Gegenwart Christi in der heiligen Eucharistie in einem gewissen symbolischen Sinn verstanden werde, insofern die konsekrierten Spezies nur wirksame Zeichen seien für die geistige Gegenwart Christi und für seine in seinem mystischen Leib sich vollziehende innigste Vereinigung mit den Gläubigen, dessen Gliedern.

27 Einige meinen auch, sie seien nicht gebunden durch die von Uns vor einigen Jahren in Unserem Rundschreiben dargelegte und auf den Offenbarungsquellen gründende Lehre, dass der mystische Leib Christi und die Katholische Römische Kirche eins und dasselbe sind.<ref>Litt. Enc. Mystici corporis christi, AAS vol. XXXV, p. 193 sq. </ref> Wieder andere machen die Notwendigkeit, zur wahren Kirche zu gehören, um das ewige Heil zu erlangen, zu einer leeren Formel. Andere endlich tun dem vernunftbegründeten Charakter der "Glaubwürdigkeit" der christlichen Lehre ungerechten Eintrag.

II. Darlegung der katholischen Lehre

28 Es steht fest, dass diese und ähnliche Ansichten bereits bei manchen Unserer Söhne umgehen, die sich durch unklugen Seeleneifer oder vermeintliche Wissenschaftlichkeit täuschen lassen. Ihnen gegenüber sehen Wir Uns zu Unserem großen Schmerz genötigt, ganz bekannte Wahrheiten zu wiederholen und auf die offenkundigen Irrtümer sowie die Gefahren des Irrtums nicht ohne bange Sorge hinzuweisen.

1. Die Philosophie betreffend :

a) Richtige Einschätzung des menschlichen Verstandes

29 Es ist allgemein bekannt, welche Bedeutung die Kirche der menschlichen Vernunft beilegt, wo es sich darum handelt, das Dasein des einen persönlichen Gottes mit Sicherheit zu beweisen, die Grundlagen des christlichen Glaubens durch die von Gott gegebenen Zeichen unwiderleglich darzutun, das Gesetz, das Gott in das menschliche Herz gelegt hat, richtig zum Ausdruck zu bringen und endlich zu einem gewissen Grad der Erkenntnis der Glaubensgeheimnisse zu gelangen, und zwar nicht ohne reiche Frucht.<ref>Cfr. Conc. Vat., D. B., 1796. </ref>

b) Die traditionelle Philosophie

Diese Aufgabe wird indessen die Vernunft nur dann gehörig und sicher erfüllen können, wenn sie eine entsprechende Durchbildung erfahren hat, d. h. mit jener gesunden Philosophie ausgestattet ist, die als aus der Vorzeit langer christlicher Jahrhunderte überkommenes Erbgut in Geltung ist und die dazu noch ein Ansehen höherer Ordnung besitzt, weil das kirchliche Lehramt selbst ihre Prinzipien und Hauptlehren, die hochbegabte Männer nach und nach herausgearbeitet und genau gefasst haben, am Maßstab der göttlichen Offenbarung gemessen hat. Diese Philosophie, die in der Kirche anerkannt und angenommen ist, schützt den wahren und echten Wert der menschlichen Erkenntnisse, die unerschütterlichen metaphysischen Prinzipien - das des hinreichenden Grundes, der Kausalität und der Finalität -, und gewährleistet die Erreichung sicherer und unwandelbarer Wahrheit.

c) der wahre philosophische Fortschritt

30 In dieser Philosophie wird gewiss manches behandelt, was mit Fragen des Glaubens und der Sitten weder direkt noch indirekt zusammenhängt und daher von der Kirche der freien Erörterung der Fachleute überlassen wird; aber in vielen anderen Fragen, besonders hinsichtlich der oben erwähnten Prinzipien und Hauptlehren, besteht nicht die gleiche Freiheit. Man darf zwar auch in solchen wesentlichen Fragen die Philosophie in ein passenderes und reicheres Gewand kleiden, sie durch zutreffendere Fassungen sicherstellen, sie von gewissen weniger geeigneten Schulbehelfen frei machen, sie auch mit Vorsicht bereichern durch manches, was der menschliche Geist fortschreitend erarbeitet hat. Aber niemals ist es berechtigt, sie zu untergraben, durch falsche Prinzipien zu entstellen oder in ihr einen zwar großartigen, aber veralteten Bau zu erblicken. Denn die Wahrheit und jede philosophische Fassung derselben kann nicht von einem Tag auf den andern verändert werden, vor allem, wo es sich um Prinzipien handelt, die dem menschlichen Geist unmittelbar bekannt sind, oder um Lehren, die sich auf die Weisheit der Jahrhunderte stützen und auch darauf, dass sie mit der göttlichen Offenbarung in Einklang stehen und durch sie bestätigt werden. Was immer der menschliche Geist in ehrlicher Forscherarbeit zu finden vermag, kann tatsächlich der bereits gefundenen Wahrheit nicht widerstreiten. Denn Gott, die höchste Wahrheit, hat den menschlichen Verstand geschaffen und leitet ihn, nicht damit er der richtig erworbenen Wahrheit täglich Neues entgegensetze, sondern damit er, unter Beseitigung etwa eingeschlichener Irrtümer, Wahrheit auf Wahrheit baue in der gleichen Ordnung und Harmonie, in der die Natur selbst, aus der wir die Wahrheit schöpfen, aufgebaut erscheint. Darum soll der Christ, sei er Philosoph oder Theologe, nicht übereilt und leichthin alles, was Tag für Tag an Neuem ausgesonnen wird, aufnehmen, sondern er soll es mit größter Sorgfalt prüfen und mit rechter Waage wägen, um die schon gewonnene Wahrheit nicht zu verlieren oder zu verderben, was sicher nicht ohne schwere Gefährdung und Schädigung des Glaubens selbst erfolgen würde.

d) Die Lehre des heiligen Thomas von Aquin

31 Erfasst man diese Sachlage klar, so sieht man leicht ein, warum die Kirche verlangt, dass die künftigen Priester ihre philosophische Ausbildung "nach der Methode, der Lehre und den Grundsätzen des Doctor Angelicus" erhalten.<ref>CIC, can. 1366, 2.</ref> Ist ihr doch aus jahrhundertelanger Erfahrung bekannt, dass die Methode und Eigenart des Aquinaten besondere Vorzüge besitzt, sei es für die Ausbildung der Anfänger, sei es für die Durchdringung noch unerforschter Wahrheiten; seine Lehre aber weiß sie in harmonischem Einklang mit der göttlichen Offenbarung und kennt sie als überaus wirksam, um die Grundlagen des Glaubens sicherzustellen und die Früchte eines gesunden Fortschrittes mit Nutzen und ohne Gefahr zu ernten.<ref>AAS vol. XXXVIII, 1946, p. 387. </ref>

32 Es ist daher tief bedauerlich, dass die in der Kirche angenommene und anerkannte Philosophie heute von manchen gering geschätzt wird, und man sie ohne weiteres als veraltet in der Form und als rationalistisch in ihrem Denkverfahren hinstellt. Fort und fort behauptet man, diese unsere Philosophie vertrete zu Unrecht die Anschauung, es könne eine absolut wahre Metaphysik geben, wogegen man versichert, die Wahrheiten, insbesondere die transzendenten, könnten nicht passender ausgedrückt werden als durch unter sich verschiedene Sätze, die sich gegenseitig ergänzen, so sehr sie auch untereinander in einem gewissen Gegensatz stehen. Die Philosophie, die in unseren Schulen gelehrt wird, könne daher - so gibt man zu - mit ihrer lichtvollen Darlegung und Lösung der Fragen, mit ihrer genauen Begriffsbestimmung und ihren klaren Unterscheidungen als Vorschule für die scholastische Theologie dienlich sein, eine Vorschule, die dem Geist des Mittelalters in hervorragender Weise angepasst sei, aber sie biete nicht die Art des Philosophierens, die unserer modernen Kultur und deren Bedürfnissen entspreche. Ferner wendet man ein, die "philosophia perennis" sei ausschließlich Philosophie der unveränderlichen Essenzen, wogegen der moderne Geist auf die Existenz der Einzeldinge und auf das beständig im Fluss befindliche Leben gerichtet sein müsse. Während man so unsere Philosophie verachtet, rühmt man dagegen andere philosophische Systeme, sei es des Altertums oder der Jetztzeit, sei es der Völker des Morgen- oder des Abendlandes, in einer Weise, die nahezulegen scheint, es lasse sich jede Philosophie und Geistesrichtung, gewisse, allenfalls notwendige Richtigstellungen und Zusätze vorausgesetzt, mit dem katholischen Dogma vereinbaren. Und doch kann kein Katholik daran zweifeln, dass diese Ansicht durch und durch falsch ist, besonders wo Auffassungen in Frage kommen, wie die des Immanentismus, des Idealismus, des historischen oder dialektischen Materialismus oder auch der Existenzphilosophie, mag sie sich zum Atheismus bekennen oder zum mindesten gegen den Wert des metaphysischen Schlussverfahrens wenden.

33 Schließlich macht man der in unseren Schulen überlieferten Philosophie auch den Vorwurf, sie achte beim Denkprozess allein auf den Verstand und vernachlässige die Bedeutung des Willens und des Gemütslebens. Das entspricht nicht den Tatsachen. Denn die christliche Philosophie hat die heilsame Einwirkung einer richtigen inneren Gesamthaltung auf das volle Erkennen und Aufnehmen der religiösen und sittlichen Wahrheiten nie in Abrede gestellt; im Gegenteil, sie hat immer gelehrt, dass der Mangel der genannten inneren Einstellung der Grund sein kann, warum der Verstand unter dem Einfluss der Leidenschaften und eines verkehrten Willens so verdunkelt wird, dass er nicht mehr richtig sieht. Der hl. Thomas hält sogar dafür, der Verstand könne höhere, der natürlichen oder übernatürlichen Ordnung angehörende sittliche Werte einigermaßen erfassen, insofern er in seiner Seele eine gewisse natürliche oder durch die Gnade hinzukommende gemüthafte Naturverwandtschaft mit eben diesen Werten erfährt,<ref>Cfr. S. Thomas von Aquin, Summa theologiae, II – II, quaest. 1, art. 4 ad 3 et quaest. 45, art 2, in 6. </ref> und es ist einleuchtend, wie sehr eine solche, wenngleich einigermaßen dunkle Erkenntnis dem forschenden Verstand von Nutzen sein kann. Es ist indes etwas anderes, einer affektiven Willensdisposition die Kraft zuzuschreiben, dem Verstand bei der Erwerbung einer sicheren und gefestigteren Erkenntnis der sittlichen Wahrheiten behilflich zu sein, und etwas anderes, was jene Neuerer anstreben, dem Strebe- und Gemütsvermögen eine Art Intuition zuzuerkennen und den Menschen, da er auf dem Wege der Verstandestätigkeit nicht mit Sicherheit entscheiden könne, was als wahr anzunehmen sei, auf den Willen zu verweisen, mit dem er in freier Entscheidung unter den entgegengesetzten Anschauungen seine Wahl treffe. Hier werden Erkennen und Wollen ohne die gehörige Unterscheidung vermengt.

e) Aufgabe der Theodizee und der Ethik

34 So ist es nicht zu verwundern, dass durch diese neuen Theorien zwei Zweige der Philosophie gefährdet werden, die ihrer Natur nach mit der Glaubenslehre eng zusammenhängen: die Theodizee und die Ethik. Man hält nämlich dafür, Aufgabe dieser Wissenschaften sei nicht, etwas Sicheres über Gott oder etwas anderes Transzendentes zu ermitteln, sondern vielmehr zu zeigen, dass das, was der Glaube über den persönlichen Gott und seine Gebote lehrt, mit den Forderungen des Lebens vollkommen übereinstimme und daher von allen angenommen werden müsse, wenn anders man der Verzweiflung entgehen und das ewige Heil erreichen wolle. All das widerstreitet klar den Kundgebungen Unserer Vorgänger Leo XIII. und Pius X. und lässt sich auch nicht mit den Lehrentscheidungen des Vatikanischen Konzils vereinbaren. Es wäre gewiss unnötig, über diese Abirrungen von der Wahrheit - Klage zu führen, wenn alle auch in philosophischen Fragen mit der gebührenden Ehrfurcht auf das kirchliche Lehramt achten wollten, dem es in der Tat kraft göttlicher Anordnung zusteht, nicht nur die Hinterlage der von Gott geoffenbarten Wahrheiten zu hüten und zu erklären, sondern auch über die Lehren der Philosophie zu wachen, damit die katholischen Dogmen durch unrichtige Anschauungen nicht Schaden leiden.

2. Die positiven Wissenschaften betreffend

35 Nun bleibt noch etwas zu sagen über Fragen, die zwar zu den so genannten positiven Wissenschaften gehören, aber dennoch mit Wahrheiten des christlichen Glaubens mehr oder minder verknüpft sind. Nicht wenige fordern nämlich nachdrücklich, die katholische Religion solle auf diese Wissenschaften weitestgehend Rücksicht nehmen. Das ist tatsächlich lobenswert, wo es sich um wirklich bewiesene Tatsachen handelt, kann aber dort nur mit Vorsicht Anwendung finden, wo vielmehr Hypothesen in Frage kommen, die zwar im menschlichen Wissen irgendwie ein Fundament haben, aber auch in der Heiligen Schrift und der Überlieferung enthaltene Lehren berühren. Wenn nun derartige Hypothesen direkt oder indirekt der von Gott geoffenbarten Lehre widerstreiten, dann kann die genannte Forderung in keiner Weise anerkannt werden.

a) Biologische und anthropologische Fragen

36 Das kirchliche Lehramt verbietet daher nicht, dass die Entwicklungslehre, entsprechend dem heutigen Stand der Profanwissenschaft und der Theologie, von den Fachleuten beider Gebiete in Forschung und Erörterung behandelt werde, insofern die Untersuchung den Ursprung des menschlichen Leibes aus schon vorliegender und belebter Materie betrifft; denn bezüglich der Seele gebietet uns der katholische Glaube, daran festzuhalten, dass sie unmittelbar von Gott geschaffen ist. Bei dieser Untersuchung soll man die Gründe für beide Ansichten, die zugunsten und die zuungunsten sprechenden, mit gebührendem Ernst, mit der gebührenden Besonnenheit und Mäßigung abwägen und beurteilen, und alle sollen bereit sein, sich dem Urteil der Kirche zu unterwerfen, der von Christus das Amt übertragen ist, die Heilige Schrift authentisch zu erklären und die Dogmen des Glaubens zu schützen.<ref>Cfr. Allocut. Pont, ad membra Academiae Scientiarum, 30 novembris 1941 : A.A.S voL XXXIII, p. 506. </ref> Über diese Freiheit der Erörterung gehen manche in kühner Vermessenheit hinweg und benehmen sich so, als ob der Ursprung des menschlichen Leibes aus schon vorhandener belebter Materie durch die bisher festgestellten Indizien und die aus diesen Indizien abgeleiteten Schlussfolgerungen schon einfachhin sicher und bewiesen sei, und als ob von seiten der Quellen der göttlichen Offenbarung nichts vorliege, was die größte Mäßigung und Vorsicht in dieser Frage verlange.

37 Wenn man aber von einer anderen Hypothese spricht, dem so genannten Polygenismus, so steht den Kindern der Kirche keineswegs die gleiche Freiheit zu. Denn die Gläubigen können nicht die Ansicht halten, deren Vertreter behaupten, es habe nach Adam auf unserer Erde wirkliche Menschen gegeben, die nicht aus ihm, als dem Stammvater aller, auf dem Wege natürlicher Zeugung ihren Ursprung hätten, oder "Adam" bedeute eine Mehrheit von Stammvätern. Denn es ist durchaus nicht ersichtlich, wie sich eine derartige Ansicht vereinbaren lässt mit dem, was die Quellen der geoffenbarten Wahrheit und die Äußerungen des kirchlichen Lehramts über die Erbsünde lehren, die ihren Ursprung hat in der in Wirklichkeit von dem einen Adam begangenen Sünde und die, durch Zeugung auf alle übertragen, in jedem als ihm eigene Sünde vorhanden ist.<ref>Cfr. Rom. V, 12 – 19; Conc. Trid., sess. V, can. 1 – 4.</ref>

b) Der historische Wert der Genesis

38 Wie in Biologie und Anthropologie, so überschreiten manche auch in der Geschichtswissenschaft kühn die von der Kirche gesetzten Schranken und Sicherungen. Insbesondere muss man Klage führen über eine allzu große Freiheit in der Erklärung der Geschichtsbücher des Alten Testamentes. Die Verfechter dieser Erklärung berufen sich zur Rechtfertigung ihres Verhaltens mit Unrecht auf das Schreiben, das die Päpstliche Bibelkommission vor nicht langer Zeit an den Erzbischof von Paris gerichtet hat.<ref>Die 16 ianuarii 1948 : AAS vol. XL, pp. 45-48.</ref> Denn dieses Schreiben weist klar darauf hin, dass die ersten elf Kapitel der Genesis in einem wahren Sinn, der von den Exegeten noch näher zu untersuchen und zu bestimmen ist, Geschichtsdarstellung sind, wenn sie auch nicht mit der Art der Geschichtsschreibung übereinstimmen, deren sich die hervorragenden griechischen und lateinischen Geschichtsschreiber oder auch die modernen Fachgelehrten bedienen, und dass diese Kapitel in einfacher und bildhafter, dem Verständnis eines wenig gebildeten Volkes angepasster Form die Hauptwahrheiten bieten, die für das von uns zu erreichende ewige Heil grundlegend sind, und außerdem eine volkstümliche Darstellung der Anfänge der Menschheit und des Auserwählten Volkes geben. Wenn aber die alten Verfasser der heiligen Bücher etwas aus Volksüberlieferungen geschöpft haben - was zugegeben werden kann -, so darf man nie vergessen, dass sie dies mit Beihilfe der göttlichen Inspiration getan haben, durch die sie in der Auswahl und Beurteilung jener Quellen vor jedem Irrtum bewahrt wurden.

39 Was aber aus Volksüberlieferungen in die Heilige Schrift aufgenommen worden ist, darf keineswegs mit Mythologien und anderen derartigen Dingen auf gleiche Stufe gestellt werden. Diese entspringen nämlich mehr der freien Phantasie als jenem Streben nach schlichter Wahrheit das in den heiligen Büchern, auch des Alten Testaments, so stark hervorleuchtet, dass man den Verfassern unserer heiligen Bücher offenkundig den Vorrang vor den Profanschriftstellern des Altertums einräumen muss.

Schluss : Pflichten der kirchlichen Behörden und Professoren

40 Wir wissen wohl, dass die meisten katholischen Professoren, die die Universitäten, kirchlichen Seminarien und Ordenshochschulen der Früchte ihres Fleißes teilhaftig machen, frei sind von diesen Irrtümern, die heute, sei es aus Neuerungssucht, sei es aus einer ungeordneten apostolischen Einstellung, offen oder insgeheim verbreitet werden. Aber Wir wissen ebenfalls, dass solche neue Anschauungen Unvorsichtige verführen können. Darum ziehen Wir es vor, den ersten Anfängen entgegenzutreten, statt die Heilmittel erst anzuwenden, wenn die Krankheit schon eingewurzelt ist.

41 Um es in Ausübung Unseres heiligen Amtes an nichts fehlen zu lassen, schreiben Wir, nach reiflicher Überlegung und Prüfung vor Gott, daher den Bischöfen und den Obern der Ordensgenossenschaften unter schwerer Verpflichtung im Gewissen vor, mit aller Sorgfalt Vorkehrung zu treffen, dass derartige Ansichten in Schulen, Versammlungen und Schriften jeder Art nicht gelehrt oder den Klerikern oder Gläubigen in irgendeiner Form vorgetragen werden.

42 Alle diejenigen, die in kirchlichen Anstalten lehren, sollen wissen, dass sie das ihnen anvertraute Lehramt nicht mit gutem Gewissen ausüben können, wenn sie die von Uns hier über die Lehre erlassenen Vorschriften nicht gewissenhaft annehmen und bei der Unterweisung ihrer Schüler aufs genaueste einhalten. Die pflichtmäßige Ehrfurcht und Unterwürfigkeit, die sie bei ihrer hingebenden Arbeit dem kirchlichen Lehramt entgegenbringen müssen, sollen sie auch ihren Schülern in Geist und Herz einpflanzen.

43 Gewiss sollen sie sich mit aller Kraft und Anstrengung bemühen um den Fortschritt der Fächer, die sie lehren; sie müssen sich aber auch davor hüten, die von Uns zum Schutz der Wahrheit des Glaubens und der katholischen Lehre gezogenen Grenzen zu überschreiten. Neuen Fragen, wie sie die moderne Kultur und der Fortschritt der Zeit gebracht haben, mögen sie mit vollem Einsatz ihre Forschungsarbeit zuwenden, aber unter Wahrung der erforderlichen Klugheit und Vorsicht. Endlich sollen sie nicht in falschem Irenismus meinen, die Außenstehenden und Irrenden könnten auf anderem Weg erfolgreich in den Schoß der Kirche zurückgeführt werden als dadurch, dass ihnen allen die volle Wahrheit, wie sie in der Kirche in Geltung ist, ohne jede Entstellung und jeden Abstrich vorgelegt wird.

44 In dieser Hoffnung, die durch euere Hirtensorge bestärkt wird, erteilen Wir als Unterpfand der himmlischen Gnaden und als Zeichen Unseres väterlichen Wohlwollens euch allen und jedem einzelnen, Ehrwürdige Brüder, euerem Klerus und Volk von Herzen den Apostolischen Segen.

Gegeben zu Rom, bei St. Peter, am 12. August 1950,

im zwölften Jahr unseres Pontifikates

Pius XII. PP.

Anmerkungen

<references />