Thomas von Aquin: Compendium theologiae

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Compendium theologiae
Kirchenlehrer Thomas von Aquin, zwischen 1261-1274 geschrieben.

Quelle: Sancti Thomae Aquinatis, Compendium theologiae (Reihe: Bibliotheca Thomistica), (Lateinischer) Text mit Übersetzung und Anmerkungen (in Klammer) von Dr. Friedrich Abert, Professor der Theologie an der Universität Würzburg, Andreas Göbels Verlagsbuchhandlung Würzburg 1896 (515 Seiten, der deutsche Text enthält lateinische Sätze, mit Sachregister, Format: 23,5 x 16 cm). Digitalisiert und ein wenig bearbeitet von Benutzer:Oswald.

Inhaltsverzeichnis

Einführend

1. Das Compendium theologiae soll nach der Absicht des Verfassers den kurzen Inbegriff alles dessen bieten, was dem Menschen zur Erlangung des Heiles notwendig ist. Dies aber ist die Erkenntnis der Wahrheit, das Streben und Verlangen nach dem richtigen Lebensziel und das Rechtschaffenhandeln: m. a. W.: Glaube, Hoffnung und Liebe. Im I. Teil wird dementsprechend ein kurzer Abriss aller Glaubenswahrheiten gegeben mit ständigem Hinweis auf das apostolische und auf das Nicaenisch-Konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis, vom Verfasser "Symbolum Patrum" genannt. Der zweite Teil sollte durch Erklärung der sieben Bitten des "Vaterunsers" Natur und Gegenstand der christlichen Hoffnung zur Darstellung bringen, während im dritten Teil das Gebot der Liebe Gottes und des Nächsten, wohl in Verbindung mit dem Dekalog, wäre behandelt worden. Leider kam Thomas nur bis zur Erklärung der zweiten Bitte des Vaterunsers. Eine gewisse Ergänzung der in diesem Werke nicht ausgeführten Partien bietet seine Schrift: "In orationem dominicam expositio" (opusculum 7. der Editio Romana v. 1570) sowie das opusc. 4. Ed. Rom.: "in duo praecepta caritatis et in decem legis praecepta expositio." Bei Manz in Regensburg erschien 1879 ein Abdruck der beiden letztgenannten Werkchen in Verbindung mit mehreren andern, dem hl. Thomas zum Teil nicht zukommenden Abhandlungen - sowie auch eine deutsche Übersetzung; eine desgl. bei Räber in Luzern u. d. T.: "Katechismus des hl. Thomas, Übersetzt von Portmann und Kunz". - Unstreitig bildete für Thomas bei Abfassung seines Compendiums das Enchiridion des hl. Augustin das Vorbild, jene Abhandlung, welche unter den Werken des Letzteren gewöhnlich unter dem Titel: "Enchiridion ad Laurentium sive de fide, spe et charitate liber unus" (Migne ser. lat. XL, 231-290) aufgeführt wird. Der Grundplan ist bei beiden Werkchen der gleiche, die Ausführung aber, der Eigenart der beiden großen Meister entsprechend, ganz verschieden. Auch der äußere Zweck der Abfassung ist bei beiden der gleiche: Wie Augustin dem Laurentius, so wie Thomas seinem Ordensgenossen, Freund und Beichtvater Reginald in einem kurzgefassten Handbuch alles bieten, was für das christliche Leben wissenswert ist.

2. Die Autorschaft des hl. Thomas für das vorliegende Handbuch steht außer allem Zweifel. Die ältesten Biographen des Heiligen berichten die Abfassung desselben durch Thomas. So erzählt der zeitlich ihm nahestehende Ptolomaeus de Luca, Thomas habe eine Abhandlung "de fide et spe" verfasst, beginnend mit den Worten "Aeterni Patris verbum"; andere betiteln die Abhandlung "de fide, spe et charitate" auf den Plan des Werkchens Rücksicht nehmend, während Ptolomaeus das wirklich Ausgeführte im Auge hat. Der dem Heiligen gleichzeitige Wilhelm de Tocco führt es auf unter dem Namen Compendium theologiae, unter welchem Titel es in die von Pius V. im Jahre 1570 veranstaltete Gesamtausgabe der Werke des hl. Thomas als opusculum I. ist aufgenommen worden. Die Abfassung dieses Werkchens fällt in die letzte Lebensperiode des Heiligen, wenigstens nicht vor das Jahr 1261. Denn erst von dieser Zeit an hatte sich Thomas bei seiner Abreise von Paris nach Italien genannten Reginald als ständigen Studiengenossen und Beichtvater gewählt. - Man darf jedoch unser Compendium theologiae nicht verwechseln mit einem Handbuch gleichen oder ähnlichen Titels, nämlich dem "Compendium theologicae veritatis", das im Mittelalter weit verbreitet war, und sogar schon in's mittelalterliche Deutsch übersetzt wurde. Dieses mit den Worten: "Theologicae facultatis (resp. vertitatis)" beginnende Werkchen ist ein kurzgefasstes dogmatisches Handbuch, mehr kompilatorischen als wissenschaftlichen Charakters. Es wird oft dem hl. Thomas, oft auch Albert dem Grossen zugeschrieben, aber wie schon der hl. Antonin (Chron. p. 3 tit. 18 c. 10 § II) bemerkt, mit Unrecht. Letzterer hält Thomas von Sutton, einen englischen Dominikaner, für den Verfasser, während die gewöhnlichere Ansicht es dem Hugo (Ulrich?) de Argentina zuschreibt.

3. Der Text des Compendiums (siehe Ende des Wikis), ist im wesentlichen der von F. J. H. Ruland im Jahre 1863 auf Grund der Ausgaben von Venedig 1587, Antwerpen 1612 und von Madrid 1771 bei Ferdinand Schöningh in Paderborn herausgegebene. Hiermit verglich Friedrich Abert noch den Text der Römischen Gesamtausgabe von 1570, sowie die von Fiacordi zu Parma 1864 und von Vives zu Paris 1889 veranstalteten Ausgaben. Die von Leo XIII. veranstaltete neue römische Ausgabe sämtlicher Werke des hl. Thomas war leider noch nicht bis zur Herausgabe der opuscula gediehen. Handschriften dieses Compendiums finden sich weder in der Münchener noch in der Wiener Staatsbibliothek, dagegen weisen die Bibliothekskataloge Frankreichs mehrere derselben auf, wie auch die der Universität Oxford. Friedrich Abert hatte zum Vergleich noch einen sehr sorgfältig gearbeiteten Inkunabeldruck beigezogen, der im Jahre 1497 in Venedig durch Hermann Lichtenstein aus Köln veranstaltet wurde.

Grobes Inhaltsverzeichnis des Werkes

Kurzer Abriss der Theologie und Widmung, ab Kapitel 1
Abhandlung vom Glauben

A. Von der dreifaltigen Gottheit
I. Teil: Von der Einheit der Wesenheit, ab Kapitel 2
II. Teil: Von der Dreiheit der Personen, ab Kapitel 37
III. Teil: Von den Werken der Gottheit, ab Kapitel 68
B. Vom Glauben an die Menschheit Christi, ab Kapitel 185

Abhandlung von der Hoffnung , ab Kapitel 247

Die Kapitel des Kompendiums

1. Kapitel: Einleitung

Des ewigen Vaters Wort, das in seiner Unermesslichkeit alles umfasst, wollte, um den durch die Sünden erniedrigten Menschen zur Höhe der göttlichen Herrlichkeit wieder empor zu führen, selbst niedrig und gering werden, indem er unsre Geringheit an sich nahm, ohne dabei seine Majestät aufzugeben. Um sodann jenen, welche die Lehre des göttlichen Wortes sich nicht aneignen, jeden Entschuldigungsgrund zu nehmen, fasste er die Lehre des menschlichen Heils, die er für die der Forschung sich Widmenden weitläufig und lichtvoll in den verschiedenen Büchern der Hl. Schrift dargelegt hat, für die durch anderweitige Beschäftigung Verhinderten in einem kurzen Auszug zusammen. (Vgl. hierzu: 2. 2. q 1 a 9 ad 1m und q 5 a 3 ad 2m). Das menschliche Heil aber besteht in diesen drei Dingen: 1. in der Erkenntnis der Wahrheit, die der Verdunkelung des menschlichen Verstandes durch den vielgestaltigen Irrtum vorbeugen soll; 2. in dem Streben nach dem richtigen Ziel, damit der Mensch nicht falsche Ziele verfolge und so die wahre Glückseligkeit verfehle; 3. in der Beobachtung der Gerechtigkeit, damit er nicht mit den Lastern der verschiedensten Art sich beschmutze.

Die für das menschliche Heil notwendige Erkenntnis der Wahrheit aber fasste er in einigen wenigen kurzen Glaubensartikeln zusammen.

Deshalb sagt der Apostel (Röm 9, 28): "Gott macht kurz sein Wort auf Erden" (nach dem Literalsinn: "Schnell wird der Herr das Wort ausführen auf Erden". Th. aber fasst das "Breviatum" nicht von der Abkürzung der Ausführung des Heilsratschlusses Gottes, sondern von der Abkürzung der Heilsverkündigung durch Zusammenfassung in einigen inhaltschweren Sätzen: quanto aliquod verbmn est magis perfectum., tanto est altius et per consequens magis simplex et breve. Rom. c. 9. lectio 5); und: "Das ist das Wort (d. h. nicht viele Worte) des Glaubens, das wir verkünden". (Röm 10, 8.) Desgleichen hat er dem menschlichen Streben die rechte Richtung gegeben durch ein kurzes Gebet, in welchem er uns die Anweisung gab, worauf unser Streben und Hoffen gerichtet sein soll. Die menschliche Gerechtigkeit endlich, die in der Gesetzesbeobachtung besteht, fasste er kurz zusammen in dem Einen Gebote der Liebe. "Denn die Liebe ist die Erfüllung des Gesetzes" (Röm 13, 10.) Deshalb lehrte der Apostel (1 Kor 13, 13), die ganze Vollkommenheit des gegenwärtigen Lebens bestehe in Glaube, Hoffnung und Liebe, den kurz zusammengefassten Hauptstücken unseres Heils: "Jetzt aber bleiben Glaube, Hoffnung und Liebe". Daher besteht in diesen drei Stücken nach dem hl. Augustin (Enchiridion c. 3) der Dienst Gottes.

Um Dir nun, lieber Sohn Reginald, einen kurzen Lehrabriss der christlichen Religion zu geben, den Du immer vor Augen haben kannst. konzentriert sich unsre ganze Abhandlung auf diese drei Stücke. Wir handeln also erstens vom Glauben, zweitens von der Hoffnung und drittens von der Liebe. Diese Aufeinanderfolge hält der Apostel ein, und fordert die Natur der Sache. Denn eine richtige Liebe kann es nicht geben, ohne dass der Hoffnung ein richtiges Ziel gesetzt ist; und dies hinwieder kann nicht der Fall sein, wo die Erkenntnis der Wahrheit mangelt.

In erster Linie also ist der Glaube notwendig, durch den Du die Wahrheit erkennst; sodann die Hoffnung, durch welche Deine Absicht auf die rechte Bahn gelenkt, und endlich drittens die Liebe, durch welche Dein ganzes Streben und Begehren nach allen Seiten hin geordnet wird.

2. Kapitel: Einteilung

Der Glaube ist im gewissen Sinn ein Vorverkosten jener Erkenntnis, die uns dereinst selig macht. Deshalb sagt der Apostel (Hebr 11, 1) er sei "der zu hoffenden Dinge feste Grundlage", indem er nämlich in uns die zu hoffenden Dinge, das ist die künftige Seligkeit, in ihren ersten Anfängen grundlegt. Diese, die Seligkeit mit sich führende Erkenntnis besteht aber nach der Lehre des Herrn in zwei Erkenntnisgegenständen : nämlich in der dreifaltigen Gottheit und in der Menschheit Christi; deshalb sagt er in seinem Gebet zum Vater: "Das ist das ewige Leben, dass sie erkennen Dich den allein wahren Gott, und den Du gesandt hast, Jesus Christus" (Joh 17, 3). Um diese beiden Dinge also dreht sich die ganze Glaubenserkenntnis : um die dreieinige Gottheit und um die Menschheit Christi. Und das darf uns nicht Wunder nehmen: Denn die Menschheit Christi ist der Weg, auf dem man zur Gottheit gelangt. Man muss also, da man noch hienieden pilgert, den Weg erkennen, auf dem man zum Ziel gelangt, und auch in der ewigen Heimat würde man Gott nicht genügend Dank sagen können, wenn man nicht die Erkenntnis des Weges besäße, auf dem man zum Heil gelangte. Deshalb sagt der Herr zu seinen Jüngern (Joh 14, 4): "Ihr wisst, wohin ich gehe und kennt auch den Weg".

Die Lehre von der Gottheit zerfällt in drei Teile: 1. in die Lehre von der Einheit der Wesenheit, 2. von der Dreiheit der Personen, 3. von den Werken der Gottheit.

I. Teil. Von der Einheit der Wesenheit

3. Kapitel: Gottes Dasein

In der Lehre von Gottes Wesenheit ist der erste Glaubenssatz, dass Gott existiert, eine Wahrheit, die auch der Vernunft einleuchtend ist. Denn wir sehen, dass überall, wo sich eine Bewegung oder Veränderung findet, der Unterschied zwischen dem Bewegten oder Veränderten und dem Bewegenden oder Verändernden besteht, dass etwas anderes das ist, was die Veränderung erleidet und etwas andres das, was die Bewegung oder Veränderung bewirkt. So sehen wir, dass die niederen Naturdinge durch die höheren zur Bewegung und Veränderung gebracht werden; so die Elemente durch den siderischen Einfluss, und bei den Elementen selbst bewegt oder verändert das stärkere das schwächere, und auch bei den Himmelskörpern erhalten die niederen durch die höheren ihre Bewegung. Diese Verkettung von Bewegtem und Bewegendem kann aber nicht bis ins unendliche fortgehen. Denn alles, was von einem Andern bewegt wird, ist in gewissem Sinn ein Werkzeug des Erstbewegenden (so sind alle ineinandergreifenden Rädchen einer Maschine Werkzeuge der Dampfkraft, welche durch sie die Wirkung setzt). Gibt es nun kein Erstbewegendes, so hat alles, was Bewegung verursacht, Instrumentalcharakter. Geht aber die Reihe von Bewegendem und Bewegtem bis ins Unendliche fort, so gibt es kein Erstbewegendes: Also tragen all die bewegenden und bewegten Dinge in dieser unendlichen Reihe den Charakter von Werkzeugen an sich (im Begriff und Wesen des Werkzeuges aber liegt es doch eben, dass es nur als Mittelursache, also nur durch eine andere bewegt, wieder bewege oder eine Wirkung setze: dass z. B. der Bogen, vom Menschen gespannt, einen Pfeil abschiesse). Nun findet aber auch schon selbst ein nicht wissenschaftlich Gebildeter den Gedanken einfach lächerlich, es könnte ein Werkzeug in Bewegung (Tätigkeit) sein, ohne eine Prinzipalursache (die es in Bewegung setzt). Das würde gerade so viel heißen, als wenn jemand die Herstellung von Schrank oder Bett dem Beil oder der Säge ohne einen diese Instrumente handhabenden Arbeiter überlassen wollte.

Es muss also ein erstbewegendes Wesen geben, welches das oberste und höchste unter allen übrigen ist; und dies nennen wir Gott.

(Dies ist der erste Teil des aus der Tatsache der in der Welt vorhandenen Bewegung hergenommenen Gottesbeweises, den Thomas als den einleuchtendsten bezeichnet. "Bewegung" ist hier nicht als bloße Ortsbewegung, sondern als alle Veränderung im weitesten Umfang zu fassen; also "Bewegung" = alle Veränderung, alles Werden, alles Entstehen und Vergehen, alle Entwicklung, aller Übergang von einem Zustand in den andern; auch alle Bewegung auf geistigem Gebiet; die Denkbewegung durch Schlussfolgerung, wie die Willensbewegung). In diesem Kapitel wird der eine Satz bewiesen: es kann keine unendliche Reihe von Bewegendem und Bewegtem geben, weil alle Bewegung nur möglich und denkbar ist in der Voraussetzung eines Erstbewegenden. Dieser Satz ruht auf dem Denkgesetz des hinreichenden Grundes. Vgl. hierzu Cg. I, 13; besonders ausführlich: Physic. lib. 8 lectio 9; lib. 7 lectio 2).

  • Es ist Dogma, dass Gott auf Grund der geschaffenen Dinge durch das natürliche Licht der menschlichen Vernunft mit Gewissheit erkannt werden kann (I. VatiKanum, DF, 11.

4. Kapitel: Gott ist unveränderlich

Daraus ergibt sich mit Notwendigkeit, dass Gott, da er es ist, der alles übrige bewegt, selbst unbeweglich, über alle Veränderung, alles Werden und alle Entwicklung erhaben ist. 1. Da er nämlich der Erstbewegende ist (also jener, von dem alle Bewegung oder Veränderung herkommt und abhängt), so müsste er, wenn er selbst wieder der Bewegung oder Veränderung unterläge, entweder durch sich selbst oder durch ein anderes Wesen in diese Bewegung oder Veränderung gebracht werden. Durch einen andern nun kann er diese Bewegung nicht erleiden: denn dann müsste es ein Bewegung verursachendes Wesen geben, das ihm vorausgeht (das eher bewegt, als er): das aber ist mit dem Begriff des (Zu-) Erstbewegenden unvereinbar. Verursacht er aber selbst seine Bewegung oder Veränderung, so sind zwei Fälle möglich. Entweder er bewirkt und erleidet zugleich nach ein und derselben Seite hin die Bewegung oder Veränderung; oder er bewirkt sie nach der einen Seite seines Wesens und erleidet sie nach der andern Seite hin. Der erste Fall ist (nach dem Gesetz des Widerspruchs) unmöglich. Denn alles, was der Bewegung oder Veränderung unterliegt, ist - insofern und insoweit dies der Fall ist - nur der Möglichkeit, dem Vermögen nach (so ist z. B. das in der Entwicklung zum Mannesalter begriffene Kind, so lange es noch in diesem Entwicklungsgang sich befindet, noch nicht wirklich = actu das was man unter einem Mann (einem zur vollen Entwicklung gediehenen Menschen) versteht, wohl aber ist es auf dem Weg dazu = in potentia); das aber, was die Bewegung bewirkt, muss der Wirklichkeit nach (wirklich) sein, (denn nichts kann wirken, wenn es nicht wirklich ist. Movere enim nihil aliud est, quam educere aliquid de potentia in actum. De potentia autem non potest aliquid reduci in actum, nisi per aliquod ens actu; sicut calidum in actu, ut ignis, facit lignum, quod est calidum in potentia esse actu calidum et per hoc movet et alterat ipsum 1 q 2 a 3). Würde nun Gott nach ein und derselben Beziehung (Seite) hin zugleich bewegend und bewegt (die Bewegung, Veränderung bewirkend und zugleich erleidend) sein, so wäre er (nicht nach verschiedenen, sondern) nach ein und derselben Beziehung hin zugleich im Zustand der (bloßen) Möglichkeit und in dem der Wirklichkeit (er wäre zugleich auf einmal bloß möglich und auch wieder wirklich, wie wenn Etwas zugleich wirklicher Apfel und auch wieder Apfel bloß in der Möglichkeit, Apfelblüte, Mann und Kind zugleich wäre). Das aber ist (nach dem Gesetz des Widerspruchs) ein Ding der Unmöglichkeit. - Aber auch der zweite Fall ist etwas Unmögliches. Würde er nämlich nach der einen Seite seines Wesens hin die Bewegung bewirken und nach der anderen Seite hin dieselbe erleiden, so wäre er nicht an sich (seinem ganzen Sein nach), schlechthin, sondern nur eben nach jener Seite seines Wesens hin, welches die Bewegung verursacht, der Erstbewegende (wenn der Mensch z. B. seinen Fuß bewegt, so bewirkt seine Seele die Bewegung, der Fuß aber erleidet sie, es ist nicht der ganze Mensch nach allen seinen Seiten hin, sondern nur seiner Seele nach das Erstbewegende). Das aber, was aus und durch sich selbst, also schlechthin, seinem ganzen Sein und Wesen nach, etwas Bestimmtes ist, geht dem voraus, das dies nicht aus und durch sich selbst (sondern durch etwas anderes oder nur nach einer Seite hin) ist. Gott kann also nicht das erstbewegende Wesen sein, wenn ihm diese Eigenschaft nur kraft eines Teiles seines Wesens (nicht aber kraft seines ganzen Seins und Wesens) zukommt. Es muss also das erstbewegende Wesen absolut unveränderlich sein (es kann nicht selbst wieder in die Bewegung, Veränderung mit hineingezogen sein).

2. Zu demselben Schluss kommen wir auch, wenn wir die Natur und das Wesen der Dinge betrachten, welche die Bewegung erleiden, sowie jener, welche dieselbe bewirken. Alle Bewegung oder Veränderung nimmt nämlich ihren Ausgangspunkt von etwas in gewissem Sinn Unveränderlichem - unveränderlich (unbeweglich) nämlich auf dem Gebiet, auf dem es selbst (wieder) die Bewegung hervorruft (das nämlich nicht in die Bewegung, die es hervorruft, selbst wieder mit hineingezogen ist). So sehen wir, dass alle Veränderung, alles Entstehen und Vergehen im Gebiet der sublunaren Körperwelt auf siderischen (kosmischen) Einfluss als die erste und oberste Ursache ihrer Veränderung zurückzuführen ist; die Sternenwelt selbst aber unterliegt (nach der alten Kosmologie) nicht dieser Art von Veränderung, von Entstehen und Vergehen und Umbildung (wie die sublunare Körperwelt; so geht ja auch die ganze Bewegung des Denkens, der ganze Denkprozess von unwandelbar festen, obersten Grundsätzen aus). Was also erstes Prinzip jeglicher Bewegung und Veränderung ist, muss absolut unveränderlich sein.

5. Kapitel: Gott ist ewig

Daraus ergibt sich ferner, dass Gott ewig ist. Denn alles, was anfängt oder aufhört zu sein, erleidet dies durch Bewegung oder Veränderung. Nun ward aber oben gezeigt, dass Gott unveränderlich ist. Also ist er auch ewig. 1 q 10 a 2. Cg. I, 15 n. 1.

  • IV. Laterankonzil und I. Vaticasnum: Gott ist aeternus.

6. Kapitel: Gottes Dasein ist notwendig

(In diesem Kapitel wird der andere Satz bewiesen: dass alles, was der Bewegung unterliegt, wieder ein anderes Bewegendes voraussetzt, also nicht das Erstbewegende sein kann: dies muss vielmehr über alle Bewegung und Veränderung erhaben sein. Dieser Satz ruht auf dem Denkgesetz des Widerspruchs. Im vorigen Kapitel ward Gott nachgewiesen als der primus motor: in diesem Kapitel als der primus motor immotus; der erste Begriff bringt Gottes Weltimmanenz dem Atheismus gegenüber, der zweite Gottes Welt-Transscendenz dem Pantheismus gegenüber zur Geltung. Durch die harmonische Zusammenfassung dieser beiden, für die außerchristliche Philosophie so schwer zusammenzuhaltenden Momente des Gottesbegriffes wird sowohl dem berechtigten Gedanken des Pantheismus von der Weltinnerlichkeit Gottes Rechnung getragen, als auch andrerseits dessen Irrtum zurückgewiesen; Gott ist der Welt und dem Weltprozess im Innersten innerlich, aber nicht als das, was in dem Weltprozess sich bewegt, entwickelt und entfaltet: sondern als das, wodurch alle Weltbewegung und Entwicklung bedingt ist (primus motor), ohne dass er selbst in diesen Prozess mit hineingezogen wäre, geschweige denn in ihm aufginge (immotus). Diese Fassung des Gottesbegriffes wird von Thomas als sachlich identisch gefasst mit jener, die ihn als actus purus bezeichnet (vgl. unten c. 11 ff.): actus = primus motor; purus = immotus. 1 q 2 a 3; Cg. I, 13.

  • Lateran. IV und Vatican: Gott ist incommutabilis.

1. Aus dem Gesagten lässt sich ferner nachweisen, dass Gott mit Notwendigkeit existiert. 1. Denn Alles, was die Möglichkeit hat zum Sein und auch zum Nichtsein, ist der Veränderlichkeit unterworfen. Gott aber ist, wie gezeigt ward, absolut unveränderlich. Also findet sich bei Gott nicht die Möglichkeit zum Sein und zum Nichtsein. Alles aber was existiert und nicht die Möglichkeit hat zum Nichtsein, ist notwendig existierend, denn notwendig sein, und unmöglich nicht sein, bezeichnet eines und dasselbe. Deshalb ist Gottes Dasein notwendig. 1. q 2. a 3 3tio.

2. Alles ferner, was die Möglichkeit hat, zu sein und nicht zu sein, bedarf eines Andern, das ihm das Sein bewirkt (welches macht, dass es sei); denn an sich verhält es sich indifferent zum einen wie zum andern. Was aber einem andern das Sein bewirkt, ist wenigstens der Natur nach eher als dieses Andere. (Geht diesem andern voran). Also geht allem, was sein und auch nicht sein kann, etwas voran und voraus. Gott aber geht nichts voran oder voraus. Also ist es nicht möglich, dass er sein und auch nicht sein kann, sondern es ist notwendig, dass er sei (da sei). - Weil es aber manche mit Notwendigkeit existierende Dinge gibt, die aber für ihr Notwendigsein selbst wieder eine Ursache haben, die ihnen von oder voraus gehen muss, so hat Gott, der das erste Wesen von Allen ist, keine weitere Ursache für seine Notwendigkeit: Deshalb ist seine Notwendigkeit in seinem eigenen Wesen (nicht in etwas außer ihm) begründet. (Nulla res creata est necessaria secundum se considerata; sed in se possibili et necessaria per aliud. Ver. q 43. a1 ad 2m. Sunt quaedam necessari quae habent causam suae necessitatis, wie z. B. eine logisch notwendige Schlussfolgerung ein logisch notwendiges Axiom. 1 q 44 a 1 ad 2, Cg. 15 n. 4. II, 15 n. 5. Vgl. hierzu August. tract. 38 in Joann. n. 10.)

7. Kapitel: Gott ist immer

1. Aus dem Gesagten erhellt, dass Gott immer ist. Denn Alles was notwendig sein muss, ist immer. Was nämlich keine Möglichkeit hat, nicht zu sein, kann unmöglich nicht existieren, und es gibt darum keinen Augenblick, wo es nicht wäre. Nun ward gerade gezeigt, dass Gott mit Notwendigkeit existiert. Also existiert er auch immer.

2. Alles ferner, was anfängt oder aufhört zu existieren, erhält dies auf dem Weg der Bewegung oder Veränderung. Nun ist Gott, wie (Kap. 4) gezeigt ward, absolut unveränderlich. Es ist also unmöglich, dass er anfing zu existieren oder dass er zu existieren aufhört. Cg. I, 15 n. 2.

3. Alles was nicht immer existierte, bedarf, wenn es anfängt zu sein, eines Andern, das ihm Ursache des Daseins ist. Denn nichts vermag sich selbst vom Möglichsein zum Wirklichsein hinüber zu bringen oder vom Nichtsein zum Sein (quia, quod non est, non potest aliquid agere. Cg. I, 15 n. 2). Für Gott aber kann es keine Ursache seines Daseins geben, weil er der Erstseiende ist; die Ursache aber ist immer früher als das Verursachte. Also muss Gott notwendig immer existiert haben. Cg. I, 15 n. 3.

4. Was jemand nicht durch eine äußere Ursache zukommt, kommt ihm durch sich selbst zu. Das Dasein aber kommt Gott nicht durch eine äußere (außer ihm stehende) Ursache zu, denn dann wäre diese früher als er. Gott hat also sein Dasein durch sich selbst. Jene Dinge aber, die durch sich selbst sind (also nicht noch etwas anderes zu ihrer Existenz voraussetzen), sind immer notwendigerweise. Also ist Gott immer. Cg. I, 15 n. 4.

8. Kapitel: Bei Gott gibt es keine Aufeinanderfolge

1. Daraus erhellt weiter, dass es in Gott keine Aufeinandefolge gibt, sondern dass sein Dasein ganz zugleich auf einmal ist. Denn eine Aufeinanderfolge (ein Nacheinander) findet sich nur bei jenen Wesen, die irgendwie der Bewegung oder Veränderung unterliegen, Denn das Früher und Später (Vorher und Nachher) bei der Bewegung ist der Grund der zeitlichen Aufeinanderfolge, Gott aber ist, wie (Kap. 4) gezeigt ward, in keiner Weise der Bewegung unterworfen. Also gibt es in Gott keine Aufeinanderfolge, sondern sein Dasein ist ganz zugleich auf einmal. Cg, I, 15 n. 2; 1. q 10. a 2-4.

2. Besteht das Dasein eines Wesens nicht ganz zugleich auf einmal, so muss ihm Etwas verloren gehen und Etwas hinzu kommen können. Das nämlich geht verloren, was vorübergeht, und hinzu kommen kann ihm das, was man in der Zukunft erwartet. Gott aber erleidet weder einen Verlust, noch erhält er einen Zuwachs, denn er ist unveränderlich. Also ist sein Dasein ganz zugleich auf einmal.

Diese beiden (in Kap. 7 und 8) aufgeführten Momente begründen Gottes Ewigkeit im eigentlichen Sinn. Denn nur das ist im eigentlichen Sinn ewig, was immer ist und dessen Dasein ganz zugleich auf einmal ist, nach der Definition des Boetius (de Consol. V Pros. 6). "Die Ewigkeit ist der vollkommene Besitz des unbegrenzten Lebens ganz zugleich auf einmal." 1 q. 10. a. 1.

  • Lateran. IV. Kap. 1. und I. Vatikanum: Gott ist aeternus.

9. Kapitel: Gott ist einfach

1. Aus dem Gesagten erhellt weiter, dass der Erstbewegende einfach sein muss. Denn bei jeder Zusammensetzung muss es zwei Dinge geben, die sich zu einander verhalten, wie Möglichsein zum Wirklichsein. (Entweder verhält sich der eine Teil zum andern, z. B. der Leib zur Seele - oder alle Teile zum Ganzen z. B. alle einzelnen Glieder zum Körper, wie Möglichsein zum Wirklichsein, Pot. 9. 7. a. 1., d. h. die einzelnen Glieder des Leibes oder Rädchen der Maschine sind noch nicht der Leib oder die Maschine wirklich - wohl aber der Möglichkeit nach, insofern durch sie der Leib, die Maschine ermöglicht ist und durch ihre Zusammensetzung verwirklicht wird.) Beim Erstbewegenden aber, vorausgesetzt, dass er absolut unbeweglich ist, kann sich unmöglich Möglichsein mit Wirklichsein verbunden vorfinden; denn der Grund, dass etwas der Beweglichkeit (Veränderlichkeit, Entwicklung) unterliegt, ist eben das Möglichsein (denn jede Veränderung besteht eben darin, dass etwas, was seither nur möglich war, nun verwirklicht wird). Es ist also unmöglich, dass der Erstbewegende zusammengesetzt ist. Cg. I, 18 n, 1.; 1 q 3 a 7, 4to.

2. Allem Zusammengesetzten muss etwas Anderes vorausgehen; denn die sich zusammenfügenden Teile sind der Natur nach früher, als das Zusammengesetzte (weil das Zusammengesetzte in seiner Existenz eben abhängig ist von den es zusammensetzenden Teilen. 1 q 3 a 7 2°). Jenes Wesen also, das von Allen das Erste ist, kann unmöglich zusammengesetzt sein. - Die Erfahrung zeigt uns auch, dass selbst im Bereich des Zusammengesetzten den einfacheren Körpern die Priorität zukommt; denn die Elemente sind (der Natur nach) eher, als die aus ihnen sich zusammensetzenden Körper, und auch unter den Elementen selbst ist (nach der alten Naturlehre) das Feuer das erste, weil das subtilste - einfachste von allen, Allen Elementen aber geht (nach der alten Kosmologie) vorauf die Himmelsmaterie (der Äther), die in größerer Einfachheit existiert, da sie keine heterogenen Bestandteile in sich enthält Es muss also das erste aller Dinge absolut einfach sein, Cg, I, 18 n. 2 1 q 3 a 7, 2do.

10. Kapitel: Gott ist seine Wesenheit

1. Daraus ergibt sich weiter, dass Gott seine Wesenheit (nicht bloß hat, sondern auch) ist. Die Wesenheit eines jeden Dinges ist das was seine Definition ausdrückt. Diese aber ist (an sich) identisch mi dem definierten Ding (deckt sich mit ihm vollständig), wenn nicht per Akzidens (zufällig) dem definierten Ding noch etwas zukommt, was nicht zu seiner Definition (seinem strengen Wesensbegriff) gehört. (Quum enin in unoquoque sit sua essentia, si nihil in aliquo esset praeter ejus essentiam totum quod res est, esset ejus essentia, et sic ipsum esset ejus essentia. Cg. I, 28 n. 1.) So ist z. B. für den Menschen, dessen Wesensbegriff ist: "ein vernünftiges, sterbliches Lebewesen", es etwas zufälliges, dass er gerade weiße Hautfarbe hat; daher ist "vernünftig sterbliches Lebewesen" identisch mit Mensch, nicht aber identisch mit einem weißfarbigen Menschen, insofern er weißfarbig ist. Bei jedem Wesen also, wo sich nicht der Unterschied findet von Etwas, das ans sich (wesentlich) den Ding zukommt und etwas Andern, das ihm nur zufällig (außerwesentlich) zukommt, ist die Wesenheit völlig identisch mit ihrem Inhaber (Inhaber und Natur oder Wesenheit decken sich völlig). Da nun Gott, wie (Kap. 9) gezeigt ward, einfach ist, so kann in ihm nicht der Unterschied sich vorfinden von dem, was ihm an sich, und dem, was ihm nur zufällig zukommt. Es ist also seine Wesenheit völlig dasselbe wie er selbst (ist mit ihm identisch). Cg. I, 21 n. 1 u. 2. 1 q 3 a 3.

2. Bei jedem Ding: in welchem die Wesenheit nicht völlig identisch ist mit dem Ding, dessen Wesenheit sie ist, lässt sich etwas finden, was den Charakter des bloßen Möglichseins und etwas, was den Charakter des Wirklichseins an sich trägt; denn die Wesenheit nimmt dem Ding gegenüber, dessen Wesenheit sie ist, den Charakter des Formalen, des Bestimmenden ein: so gibt die Menschheit (die menschliche Natur oder Wesenheit) dem Menschen, dessen Natur sie ist, die Charakterisierung des menschlichen Seins, macht ihn zu dem, was er ist. In Gott aber findet sich nicht der Unterschied vom Möglichsein und Wirklichsein : er ist vielmehr das lautere Wirklichsein. Er ist also selbst seine Wesenheit. Cg. I, 21 n. 5.

11. Kapitel: Bei Gott ist Wesenheit und Dasein identisch

1. Weiter ergibt sich notwendig, dass Gottes Wesenheit nicht etwas Anderes ist, als sein Dasein selbst. Bei jedem Wesen, in welchem etwas anderes die Wesenheit, und etwas Anderes seine Existenz ist, muss etwas anderes sein, das, was (oder wodurch es) existiert, und etwas anderes, wo durch es als etwas Bestimmtes existiert; denn das Dasein ist es, auf Grund dessen wir von dem Ding aussagen, dass es ist; während seine Wesenheit es ist, auf Grund deren wir vom Ding aussagen, was es ist. Darum zeigt ja auch die Definition, welche die Wesenheit ausdrückt, an, was das Ding ist, (die quidditas, Washeit, Wesenheit des Dinges). In Gott aber ist nicht etwas anderes das, was (oder wodurch er) existiert, und etwas anderes das, wodurch er als ein Wesen einer bestimmten Art existiert; denn bei ihm gibt es, wie gezeigt ward (Cap. 8), keinerlei Zusammensetzung. Es ist also bei ihm seine Wesenheit nichts Anderes, als sein Dasein. Cg. I, 22 n. 5.

2. Es ward (Kap. 4) gezeigt, dass Gott lauteres Wirklichsein ist ohne Trübung durch irgend welches Möglichsein. Seine Wesenheit muss also die letzte und höchste Aktualität oder Wirklichkeit sein; denn jede Wirklichkeit, die noch nicht die letzte und höchste ist, verhält sich der höchsten Wirklichkeit gegenüber immer noch potential, (als etwas, was noch nicht zur letzten und höchsten Stufe des lautersten Wirklichseins gebracht ist, das also noch eine Seite in seinem Wesen hat, die noch nicht verwirklicht, sondern erst in der Entwicklung begriffen ist). Die letzte und höchste Wirklichkeit aber ist das Sein selbst, (das, was nichts als Dasein ist). Da nämlich jede Bewegung (im weitesten Sinn) das Herausgehen aus dem Zustand des Möglichseins in den des Wirklichseins ist, so muss die letzte und höchste Wirklichkeit das sein, auf was alle Bewegungen abzielt; und da jede natürliche Bewegung auf das abzielt, was von Natur aus verlangt wird, so muss das die letzte und höchste Wirklichkeit sein, was vor allen Dingen angestrebt und begehrt wird. Das aber ist das wirkliche Dasein. Es muss also die göttliche Wesenheit, welche die lautere und höchste Wirklichkeit ist, das Dasein selbst sein. Cg. I, 22 n. 4; 1 q 3 a 4, 2 do.

12. Kapitel: Der Gottesbegriff kann nicht als Artbegriff unter einen höheren Gattungsbegriff fallen

(Zum Verständnis der nachfolgenden Kap. 12-14 beachte man, dass Thomas häufig für das ontologische Gebiet auch aus dem logischen argumentiert. Ihm ist eben die Logik nicht, losgerissen von der Wirklichkeit, ein rein subjektives Spiel mit Begriffen ohne objektive Gültigkeit. Das menschliche Denken und seine Gesetze hat die Dinge zur Voraussetzung, wie umgekehrt die Dinge hinwieder das göttliche Denken voraussetzen. Darum kann er aus dem logischen Gebiet Beweise für das ontologische entlehnen und umgekehrt). -

1. Daraus ergibt sich ferner, dass (der Begriff') "Gott" nicht etwa wie ein Artbegriff unter einen höheren Gattungsbegriff fällt (wie z. B. der Artbegriff "Mensch" unter den Gattungsbegriff animal, sinnliches Lebewesen). Der Artbegräf (homo) wird nämlich dadurch begründet, dass zum Gattungsbegriff (animal) die (spezifische) Differenz (rationale) hinzukommt. Jede Wesenheit also, die einen Artbegriff' bildet (z. B. homo) hat etwas zum Gattungsbegriff (animal) hinzugefügtes (rationale). Das Sein (Dasein) selbst aber, - und das ist ja eben Gottes Wesenheit (Kap. 11) - enthält nichts in sich, das einem andern (als unterscheitendes Merkmal, differentia specifica) beigefügt wäre, (weil ja eben das Sein es ist, was allen Dingen gemeinsam ist, nicht aber das, was das eine von dem andern unterscheidet). Also fällt Gott nicht als Artbegriff' unter einen (höheren) Gattungsbegriff, 1. q 3. a 5, 2do. Cg. I, 25 n. 1 vgl. I, 24.

2. Da ferner die Gattung die spezifische Unterschiede dem Vermögen nach in sich enthält (z. B. der Begriff animal die, die species leo, equus, aquila usw. begründenden spezifischen Differenzen) - so ist in einem jeden Ding, das sich aus Gattung und spezifischer Differenz zusammensetzt, Wirklichsein mit bloß Möglichsein gemischt. Nun ward aber gezeigt, dass Gott lauteres Wirklichsein ist ohne Trübung durch irgend ein Möglichsein. Deshalb ist seine Wesenheit nicht zusammengesetzt aus Gattung und spezifischem Unterschied - und so fällt er unter keinen Gattungsbegriff: Cg, I, 24. n. 2; 1. q 3. a 5 1°.

13. Kapitel: Der Gottesbegriff kann unmöglich als ein Gattungsbegriff gefasst werden

Es ist weiter nachzuweisen, dass "Gott" unmöglich Gattungsbegriff sein kann. Die Gattung nämlich bezeichnet die Wesenheit, nicht das Dasein eines Dinges; denn erst durch die spezifische Differenz wird das Ding in dem ihm eigenen Dasein konstituiert, begründet (d. h. das, was wir mit dem Gattungsbegriff, z. B. animal, bezeichnen, ist nicht existenzfähig, denn es gibt kein Wesen, das bloß als animal existiert; sondern es existiert als spezifisch bestimmtes animal, als Löwe oder Adler usw.) Aber Gottes Wesenheit ist eben sein Dasein. Es ist also unmöglich, dass Gott Gattungsbegriff ist. Cg. I, 24 n. 1. u. 4.

2. Jede Gattung ferner wird durch einige Artunterschiede (in verschiedenen Arten) geteilt. Dem Sein als solchem aber kann kein Artunterschied zukommen. Denn die Artunterschiede nehmen an der Geltung nur per Akzidens, nicht an sich teil, nämlich nur insofern, als die durch die Artunterschiede begründeten Arten an der Gattung teilnehmen. Nun aber ist kein Artunterschied denkbar, der nicht am Sein teilnähme (dem nicht das Sein zukäme) denn das Nichtseiende (etwas, was nicht ist) kann auch kein Artunterschied von irgend Etwas sein.

Es ist also unmöglich, dass "Gott" ein Gattungsbegriff ist, der von mehreren Arten ausgesagt werden könnte. 1. q 3. a 5, 2 do; Cg. I. 25 n. 4.

14. Kapitel: "Gott" ist auch nicht ein Artbegriff, der von mehreren Individuen ausgesagt werden könnte

1. Es ist auch nicht möglich, dass "Gott" als Artbegriff von mehreren Individuen ausgesagt werden kann (wie etwa der Artbegriff "Mensch" von allen menschlichen Individuen). Denn die einzelnen Individuen, die in der einen spezifischen Wesenheit miteinander übereinkommen, unterscheiden sich voneinander durch gewisse außerwesentliche Bestimmtheiten. So kommen alle Menschen mit einander überein in Bezug auf die menschliche Natur, unterscheiden sich aber von einander durch etwas, was nicht zum Begriff und Wesen der menschlichen Natur als solcher gehört. Das aber kann bei Gott nicht der Fall sein, denn Gott ist selbst seine Wesenheit, wie (Kap. 10) gezeigt ward. (Er hat also nicht noch etwas an sich, wodurch er sich unbeschadet seiner Wesenheit, von andern unterscheiden könnte: er ist eben einfach schon durch seine Wesenheit von allen andern unterschieden). Es ist also unmöglich, dass "Gott" ein Artbegriff ist, der von mehreren Individuen ausgesagt werden könnte. Cg. I, 42 n. 9. 1. q 3. a 5, 3 tio.

2. Mehrere Individuen, die unter einer Art enthalten sind, unterscheiden sich voneinander dem (tatsächlichen) Sein (dem Dasein) nach, und sind doch wieder (inhaltlich) eins in der einen spezifischen Wesenheit (der spezifischen Natur). Überall also, wo mehrere Individuen unter einer Art (Species) sich finden, muss ein Unterschied bestehen zwischen dem tatsächlichen Sein (dem Dasein) und dem inhaltlichen Sein, dem spezifischen Sein der Wesenheit. In Gott aber ist, wie gezeigt ward, Dasein und Wesenheit, (tatsächliches und inhaltliches Sein) eins und dasselbe. Gott kann also unmöglich ein Artbegriff sein, der von mehreren Individuen ausgesagt wird. 1. q 3. a 5, 3 tio.

15. Kapitel: Es gibt nur Einen Gott

1. Daraus erhellt auch, dass es notwendiger Weise nur einen einzigen Gott geben kann. Gesetzt den Fall, es gäbe mehrere Götter, so könnte ihnen der Gottesname entweder im verschiedenem (aequivoken) oder in demselben Sinn zukommen. Kommt er ihnen im verschiedenen (im uneigentlichen) Sinn zu, so macht das nichts zur Sache: denn dem steht nichts im Weg, dass, was wir als "Sein" bezeichnen, andere "Gott" nennen. Kommt er ihnen aber in ein und demselben Sinn zu (wie z. B. der Name "Mensch" dem Petrus und Paulus), so müssen notwendig diese verschiedenen Götter entweder in der Gattung oder in der Art miteinander übereinstimmen. Nun ward aber soeben gezeigt, dass "Gott" weder Gattungs- noch Artbegriff sein kann, der mehrere Individuen unter sich enthält. Es ist also unmöglich, dass es mehrere Götter gibt.

2. Das, wodurch die, mehreren gemeinsame Wesenheit individualisiert, ins Einzeldasein gesetzt ist, kann unmöglich (nach dem Gesetz des Widerspruchs) mehreren zugleich gemeinsam sein. Obwohl es also mehrere Menschen geben kann, so ist es doch unmöglich, dass dieser bestimmte Mensch (z. B. Sokrates) mehr als Einer ist. Wird also die Wesenheit durch sich selbst individualisiert, und nicht durch etwas anderes (ausser ihr) so ist es unmöglich, dass sie mehreren zugehören kann. Die göttliche Wesenheit nun aber wird durch sich selbst individualisiert, weil in Gott die Wesenheit und das, was existiert, nicht unterschieden ist; denn wie gezeigt ward, ist Gott seine Wesenheit. Es ist also unmöglich, dass Gott mehr als Einer ist. 1. q 11. a 3, 1 mo.

3. Auf zweifache Weise kann eine Form (d. h. eine Natur, eine Wesenheit), vervielfältigt werden: einmal durch die spezifische Differenz, wie der Gattungsbegriff z. B. die Farbe in ihren verschiedenen Arten, (als rote, blaue, grüne etc. Farbe) oder durch ihr Subjekt, ihren Inhaber, wie z. B. die weiße Farbe (durch die verschiedenen Gegenstände, an denen sie sich findet), vervielfältigt, individualisiert ist. Jede Form (Natur, Wesenheit) nun, die keine spezifische Vervielfältigung (mehr) zulässt, kann, wenn sie nicht in irgend einem Subjekt, einem Träger sich findet, unmöglich vervielfältigt werden. (Illud quod est individuationis principium non potest esse pluribus commune). So würde z. B. die weiße Farbe, wenn sie (den unmöglichen Fall angenommen) ihr Dasein und ihren Bestand hätte ohne ein Subjekt (einen Gegenstand an dem sie sich findet) nur eine einzige sein (weil kein Grund für ihre Vervielfältigung da ist), Nun ist die göttliche Wesenheit das Dasein selbst, das nicht durch spezifische Differenzen (wie z. B., die Wesenheit) geteilt werden kann, wie (Kap. 12) gezeigt ward. Da also das göttliche Dasein zu fassen ist als eine Form, (Natur, Wesenheit), die in sich selbst Sein und Bestand hat, - weil eben Gott sein Dasein ist - so ist es unmöglich, dass die göttliche Wesenheit mehr als Eine ist. Es ist also unmöglich, dass es mehrere Götter gibt. Cg. I, 42 n. 11.

  • Alle kirchlichen Symbole haben die Bestimmung: unus Deus.

16. Kapitel: Gott ist unmöglich ein körperliches Wesen

1. Es ergibt sich weiter, dass Gott nicht ein körperliches Wesen sein kann. Denn in jedem Körper findet sich Zusammensetzung; jeder Körper besteht eben aus Teilen; was also absolut einfach ist (und das ist Gott c. 9) kann nicht Körper sein. Cg. I, 20 n. 1.

2. Es findet sich kein körperliches Wesen, das andere in Bewegung oder Tätigkeit setzt, ohne selbst wieder in Bewegung oder Tätigkeit gesetzt zu sein, wie sich dies durch den Induktionsbeweis auf allen Gebieten des körperlichen Wirkens nachweisen lässt. (Gesetz der Trägheit der Materie, Beharrungsvermögen). Ist nun der Erstbewegende, der, von dem alle Bewegung ausgeht, selbst unbewegt (Kap. 4) so kann er unmöglich ein körperliches Wesen sein. 1. q 3. a 1, 1mo Cg. I, 20 n. 8.

17. Kapitel: Gott kann unmöglich Körperform oder eine Kraft in der Körperwelt sein

1. Es ist auch nicht möglich, dass Gott eine Körperform sei (d. h. dass er dasjenige sei, was einem Körper, oder der ganzen Körperwelt, als das mit ihr zur Natureinheit verbundene innerliche Bildungsgesetz (= forma, εντελέχεια) ihre spezifische Bestimmtheit verleiht - oder dass er eine Kraft sei, welche an einen Körper (oder an die ganze Körperwelt) gebunden wäre (Gott ist nicht Weltseele). Denn einem jeden Körper kommt die Eigenschaft der Veränderlichkeit zu. Wird also der Körper verändert, so muss auch, was an oder im Körper sich findet, (was an ihn gebunden ist) dies Los der Veränderlichkeit teilen wenigstens per accidens, (indirekt). Jenes Wesen aber, von dem alle Bewegung ausgeht, kann weder an sich (per se) direkt, noch auch per accidens, indirekt, selbst wieder der Veränderung unterliegen, da ihm, wie gezeigt ward (Kap. 4) absolute Unveränderlichkeit zukommen muss. Es ist also unmöglich, dass Gott Körperform oder eine an einen Körper gebundene Kraft ist, (wie der kosmologische Pantheismus behauptet).

2. Alles, was etwas anderes in Bewegung setzt, muss eine Herrschaft über das besitzen, was es in Bewegung setzt (oder verändert); denn wir sehen, dass die Bewegung umso schneller ist, je mehr die bewegende Kraft jene des bewegten Gegenstandes überragt. Jenes Wesen also, das unter allen, welche Bewegung verursachen, das Erste (und oberste) ist, muss auch die oberste Macht haben über alle Dinge, welche der Bewegung unterliegen. Das aber könnte nicht der Fall sein, wenn es an ein der Bewegung unterliegendes Wesen gebunden wäre, sei es als dessen Form oder dessen Kraft. Es kann also das erste Wesen, von dem alle Bewegung ausgeht, weder ein Körper, noch eine Form, noch eine Kraft im Körper sein. Deshalb behauptete (schon) Anaxagoras, der Verstand müsse losgelöst (von der Körperwelt) sein, damit er herrschen und alles in Bewegung setzen könne. Cg. I, 27. n, 5; 1. q 3. a 8.

  • I. Vatikanum: Gott ist re et essentia a mundo distinctus.

18. Kapitel: Gott ist unendlich seiner Wesenheit nach

1. Daraus lässt sich ferner erklären, dass (und in welchem Sinn) Gott unendlich ist. Diese Unendlichkeit aber kommt Gott nicht im privativen Sinne zu (d. h. sie ist nicht Unendlichkeit im Sinne eines Mangels) wie dies bei jenen Dingen der Fall ist, die ihrer Natur nach eine Begrenzung haben sollten, sie aber nicht haben (z. B. bei der Materie) sondern im negativen Sinn, insofern man unter unendlich das versteht, was einfach keine Schranke hat. Nun findet das Wirklichsein (actus) seine Schranke nur am Möglichsein (potentia), welches aufnehmende Kraft ist (soviel Rezeptivität also ein Ding hat, soviel kann an ihm verwirklicht werden). Denn wir finden, dass die Form ihre Begrenzung und ihre Beschränkung findet an dem Aufnahmevermögen (der Rezeptivität, potentia) des Stoffes (Forma finitur per materiam, in quantum forma in se considerata communis est ad multa (das, z. B. das Veilchen von innen heraus gestaltende Bildungsprinzip = forma kann an sich in tausend Exemplaren sich verwirklichen); sed per hoc, quod recipitur in materia, fit forma determinate hujus rei (dieses bestimmten einzelnen Veilchens. 1. q 7. a 1).

Da nun der Erstbewegende lauteres Wirklichsein ohne Beimischung irgend eines Möglichseins, (eines Stoffes) ist, da er weder die Form eines Körpers, noch eine dem Körper anhaftende Kraft ist, so ist er notwendig unbegrenzt, unendlich. Cg. I, 43. n. 2. u. 4.

2. Den Beweis hierfür liefert (nach der alten Naturlehre) auch die Stufenordnung, die wir in den Weltdingen finden. Je höher, subliam etwas unter den Dingen ist, in desto größerer, (seiner Natur entsprechender) Quantität findet sich dasselbe vor.

So sind unter den Elementen die höheren zugleich auch größer an Ausdehnung, sowie an Einfachheit, wie man das aus ihrem Entstehungsprozess ersehen kann: denn in vermehrter Proportion entsteht das Feuer aus der Luft, die Luft aus dem Wasser, das Wasser aus der Erde. Die Himmelsmaterie aber (der Äther) überragt, wie der Augenschein zeigt, die ganze Ausdehnung der (irdischen) Elemente. Was also unter allen Dingen die erste Stelle einnimmt, und vor dem ein früheres nicht denkbar ist, muss auch in einer, seiner Natur entsprechenden unendlichen Quantität sich vorfinden (existieren). - Kein Wunder auch, dass man das, was einfach ist und ohne körperliche Ausdehnung ist, als etwas Unendliches annimmt, da ja auch unser Geist, der unkörperlich und einfach ist, die Ausdehnung aller Körper durch die Kraft seiner Erkenntnis überragt und sie alle umfasst. Um soviel mehr überragt jenes Wesen welches das Erste unter allen ist, durch seine Unendlichkeit das ganze Universum und (schließt alles in sich ein) umfasst alles. Cg. I, 43 u. 7.

19. Kapitel: Gott besitzt unendliche Kraft

1. Daraus ergibt sich ferner, dass Gott unendliche Kraft besitzt. Die Kraft eines Dinges entspringt seinem Wesen. Denn die Wirkungskraft eines jeden Wesens richtet sich genau nach seiner Seinsweise (nach der Art, wie es ist). Ist nun Gott seinem (Sein und) Wesen nach unendlich, so muss auch seine Kraft unendlich sein. 1 q 25 a 2.

2. Dasselbe lässt sich auch nachweisen aus der Stufenreihe der Dinge im Weltganzen. Jedes Ding nämlich, das noch Portentialität besitzt (dessen Sein noch nicht nach allen Seiten hin aktualisiert ist), hat nach dieser (seiner potentialen) Seite hin noch rezeptive und passive Kraft (die Kraft noch weiteres in sich aufzunehmen und zu erleiden, an sich zu erfahren): sofern es jedoch schon actu ist (in Bezug auf die aktualisierte Seite seines Wesens), besitzt es aktive (Wirkungs-)Kraft.

Was also ein bloß potentiales Sein hat - und das ist die Materia prima - (das allem stofflichen zu Grunde liegende) - besitzt eine unbegrenzte rezeptive Kraft, ohne auch nur das Geringste von aktiver (Wirkungs-)Kraft zu haben; je mehr aber in aufsteigender Linie über ihr ein Ding an Aktualität gewinnt, je mehr es an Form, Bestimmtheit hat, desto reicher ist es an Wirkungskraft (ex hoc ipso, quod aliquid in actu est, activum est. Cg. I, 43). Deshalb ist das Feuer unter allen Elementen das am meisten wirksame Agens (Elektrizität). Gott nun, der das lautere Wirklichsein ist, ohne dass auch nur das geringste Möglichsein, die geringste Potentialität ihm anhaftet, überragt unendlich an Wirkungskraft alle andern Wesen. 1 q 25 a 2. Cg. II, 7 n. 2.

20. Kapitel: Die Unendlichkeit in Gott ist nicht als eine Unvollkommenheit zu fassen

1. Nun ist zwar das Unendliche, das wir im Gebiet des räumlich Ausgedehnten (der Quantitäten) finden, etwas Unvollkommenes: wenn wir aber Gott unendlich nennen, so bezeichnet dies eine Vollkommenheit im höchsten Grade in ihm. Das Unendliche auf dem Gebiet des räumlich Ausgedehnten gehört nämlich in den Bereich der Materie, insofern diese noch nicht zum Abschluss, zur Begrenzung gekommen ist. Die Unvollkommenheit bei einem jeden (körperlichen) Wesen liegt aber eben darin, dass die Materie der Privation (des Entbehrens der den Stoff bestimmenden Form) unterliegt; jegliche Vollkommenheit aber leitet sich aus der Form, d. h. aus dem ab, was dem Ding seine Bestimmtheit, seinen Charakter verleiht.

Da nun Gott aus dem Grunde unendlich ist, weil er bloß Form (bloß bestimmend, nicht aber auch bestimmt werdend) oder (was dasselbe ist) weil er bloß Akt, bloß Wirklichsein ist, ohne auch nur das Geringste von Materialität oder Potentialität in seinem Wesen zu haben, so ist seine Unendlichkeit eine höchste Vollkommenheit in ihm. Cg. I, 43 n. 4.

2. Dies kann man auch sonst noch aus den Dingen ersehen: Wenn auch in ein und demselben Ding, das vom unvollkommenen Zustand in den vollkommenen übergeht (übergeleitet, gebracht wird, sich entwickelt), das Unvollkommene sich eher vorfindet, als das Vollkommene - wie der Knabe früher ist als der Mann - so muss doch in letzter Linie (nach dem Gesetz des zureichenden Grundes, dass nichts in der Wirkung sein kann, was nicht schon in der Ursache ist) alles Unvollkommene aus dem Vollkommenen seinen Ursprung haben. Denn der Knabe entsteht nur aus dem Mann (durch die Zeugung), und der Same nur aus dem Tier oder der Pflanze. 1 q 7 a 1 u. 2.

Jenes Wesen also, das von Natur aus früher ist als alle übrigen, und von dem alle übrigen ihre Bewegung herleiten (Kap. 4), muss vollkommener als alle diese sein. Cg. I, 16 u. 2.

21. Kapitel: In Gott findet sich alle Vollkommenheit des Universums und zwar in eminenter Weise

1. Daraus ergibt sich weiter, dass notwendigerweise alle Vollkommenheiten, wie immer und wo immer sie sich finden können, in Gott als ihrer Quelle in unendlicher Fülle enthalten sind. Denn alles, was etwas andres einer Vollkommenheit entgegenführt, hat zuerst selbst diese Vollkommenheit, zu der es das Andere hinführt, in sich: wie der Lehrer das Wissen, das er andern beibringt, zuerst in sich selbst hat (als geistiges Eigentum besitzt).

Da nun Gott der Erstbewegende ist (von dem alle Entwicklung ausgeht) und da er alle andern Dinge ihrer (entsprechenden) Vollkommenheit entgegenführt (jedes Ding zu der ihm entsprechenden Vollkommenheit bringt), so müssen notwendigerweise (nach dem Kausalgesetz) alle Vollkommenheiten der Dinge in ihm in Überfülle präexistieren (zuerst sich finden). 1 q 4 a 2, lmo; Cg. I, 28 n. 2 u. 4.

2. Jedes Wesen, das eine Vollkommenheit besitzt, einer anderen jedoch entbehrt, ist auf ein bestimmtes Gattungs- oder Artgebiet beschränkt. Denn durch die Form, die eben die Vollendung, die Vollkommenheit des Dinges ist, ist jedes Wesen in Gattung oder Art gesetzt. Was aber unter Gattung oder Art fällt, kann nicht unendlich der Wesenheit nach sein; denn die letzte Differenz, durch die das Ding eben in die Art gesetzt wird, begrenzt seine Wesenheit (seinen Wesensinhalt; so begrenzt die Differenz "rationale" den Begriff "animal"). Darum wird auch die Begriffsbestimmung, welche die Natur und das Wesen eines Dinges ausdrückt, Definition (Begrenzung) oder Grenze genannt. (Dies ist auch der Grund, weshalb wir von Gott eben, weil er unendlich ist, keine eigentliche Definition geben können. 1. q 3. a 5; Cg. I, 25.)

Ist nun die göttliche Wesenheit unendlich, so kann sie unmöglich nur die Vollkommenheit einer einzigen Gattung oder Art besitzen mit Ausschluss aller übrigen, sondern es müssen sich notwendig die Vollkommenheiten aller Gattungen oder Arten (des ganzen Universums) in ihm vorfinden. 1 q 4 a 2, 2do.

22. Kapitel: In Gott sind alle Vollkommenheiten der Sache nach eins

Fassen wir alles zusammen, was im Vorausgehenden behandelt, wurde, so ergibt sich, dass alle Vollkommenheiten in Gott der Sache nach eins sind. Wie oben (Kap. 9) gezeigt ward, ist Gott einfach; wo aber Einfachheit herrscht, kann von einer Verschiedenheit der enthaltenden Dinge nicht die Rede sein. Finden sich also in Gott die Vollkommenheiten aller Dinge, so können sie unmöglich sich so in ihm vorfinden, dass sie gegenseitig von einander verschieden sind; es bleibt also nur übr" dass sie alle zusammen eins in ihm sind. - Ein entsprechendes Beispiel hierfür finden wir auf dem Gebiet der Erkenntniskräfte. Es erkennt nämlich die höhere Kraft all das zugleich auf einmal, was von den niederen Kräften zerteilt und vereinzelt erkannt wird. So beurteilt z. B., was Gesicht, Gehör und die übrigen Sinne im einzelnen wahrnehmen, der Verstand mit seiner einzigen einfachen Kraft. Das Gleiche ist der Fall auf den (verschiedenen) Wissenschaftsgebieten. Während die niederen Wissenschaften je nach den verschiedenen Wissensgebieten, womit sie sich beschäftigen, sich vervielfältigen, gibt es unter ihnen eine Wissenschaft, die über ihnen allen steht und die auf alle sich erstreckt, und das ist jene, welche erste Philosophie (oder Metaphysik) genannt wird.

Ein weiteres Bild hierfür bietet auch das Gebiet der Regierungsgewalt. In der königlichen Gewalt, die nur eine ist, sind enthalten alle übrigen Gewalten, die in den verschiedenen Amtsstellungen des Königreiches verteilt sich vorfinden. So müssen auch die Vollkommenheiten, die in den niederen Dingen zerteilt und in (bunter) Mannigfaltigkeit sich vorfinden, im höchsten Gipfelpunkt aller Dinge, in Gott, in (untrennbarer) Einheit enthalten sein. Cg. I, 31.

23. Kapitel: In Gott findet sich nichts Zufälliges

1. Daraus ergibt sich weiter, dass in Gott kein Akzidens, nicht etwas zu seiner Wesenheit erst noch hinzukommendes, sein kann. Alle Vollkommenheiten sind nämlich in ihm ein einziges Ding; nun gehört aber in das Gebiet der Vollkommenheit das Sein, das Können, das Handeln und alles übrige dergleichen (was man als Akzidentien bezeichnet); es sind also notwendig in ihm alle diese Dinge, nichts anderes als seine Wesenheit selbst. Keines von all diesen Dingen ist in ihm als ein Akzidens (als etwas zur Wesenheit noch hinzukommendes, eine Modifikation derselben). Cg. I, 23 u. 5.

2. Unmöglich kann ein Wesen unendlich an Vollkommenheit sein, wenn seine Vollkommenheit noch einen Zuwachs erfahren kann. Wo immer nun ein Ding eine Vollkommenheit als Akzidens, als etwas Zufälliges besitzt, da muss - da jedes Akzidens zur (schon vorhandenen) Wesenheit erst hinzukommt - der Wesenheit dieses Dinges noch eine Vollkommenheit (die nicht im Wesen enthalten ist) hinzugefügt werden können. Also findet sich in der Wesenheit dieses Dinges keine unendliche Vollkommenheit (da dieser ja nichts mehr hinzugefügt werden kann). Nun ward aber gezeigt (Kap. 18), dass Gott seinem Wesen nach unendliche Vollkommenheit besitzt. Darum kann keine Vollkommenheit in ihm den Charakter von etwas Zufälligem an sich tragen, sondern alles, was in ihm ist, ist seine Wesenheit.

3. Dasselbe ergibt sich auch ohne weiteres aus der höchsten Einfachheit Gottes, wie daraus, dass er das lautere Wirklichsein und daraus, dass er der Erstseiende ist. Zwischen dem Akzidens nämlich und seinem Subjekt (seinem Träger, dem Ding, woran das Zufällige sich findet) besteht eine gewisse Art von Zusammensetzung (es ist also keine absolute Einfachheit vorhanden).

Was ferner Subjekt (Träger) ist, ist unmöglich actus purus, lauteres Wirklichsein (das nicht noch weiter verwirklicht werden kann) - denn das Akzidens ist eine Form oder ein Akt des Subjektes (etwas, was seinem Träger eine gewisse nähere Bestimmtheit, Form, z. B. Schönheit, Tätigkeit usw. die weitere Verwirklichung nach einer bestimmten Seite hin verleiht). Cg. I, 23 n. 1.

Sodann endlich ist immer dasjenige, was aus und durch sich selbst ist, früher, als jenes, was per accidens, durch Zufall ist. (Denn das Akzidens schließt seinem Begriff nach - akzidentis esse est inesse schon etwas - die Substanz - voraus, der es zufällt, der es sich zugesellt.) Aus all dem kann man im Zusammenhalt mit dem Obengesagten den Schluss ziehen, dass in Gott nichts ist, was man als akzidentell, als etwas ihm zufällig Zukommendes bezeichnen könnte. Cg. I, 23. 1 q 3 a 6.

24. Kapitel: Die Vielfältigkeit des Begriffes der Namen, die wir Gott beilegen, steht nicht im Widerspruch mit seiner Einfachheit

Daraus können wir auch den Grund ersehen, warum wir viele Namen von Gott aussagen, während er in sich selbst absolut einfach ist. Da unser Verstand seine Wesenheit, sowie sie in sich ist, nicht zu erfassen vermag, so steigt er zu ihrer Erkenntnis empor auf Grund der Dinge, die in unserem Gesichtskreis liegen. In diesen aber finden sich verschiedene Vollkommenheiten (verteilt und zerstreut), während die Wurzel und der Ursprung von ihnen allen in Gott ein einziges Ding ist, wie gezeigt ward (Kap. 22). Da wir nun etwas nur benennen können, insofern und insoweit wir es erkennen (begreifen) - es sind ja die Namen die Zeichen für unsere Begriffe (für das von uns Erkannte, für das, was wir begreifen) - so können wir Gott nur benennen mit jenen Vollkommenheiten, die wir in den übrigen Dingen finden, deren (aller) Ursprung in ihm ist; und weil diese (Vollkommenheiten) in den (in unserem Gesichtskreis liegenden) Dingen vielfältig (zerteilt und zerstreut) sich vorfinden, müssen wir Gott viele Namen beilegen. Würden wir aber seine Wesenheit schauen, so wie sie in sich ist (und nicht wie sie sich gleichsam gebrochen in den Weltdingen wiederspiegelt, wie das Sonnenlicht in den Regenbogenfarben), so bräuchten wir nicht eine Vielfältigkeit von Namen, sondern sein Name oder Begriff wäre (für uns) einfach nur einer, wie auch seine Wesenheit einfach nur eine ist. - Das erwarten wir am Tage unsrer Verherrlichung, nach dem Wort des Zacharias (14, 9): "An jenem Tag wird ein Herr sein, und sein Name nur einer." Cg. I, 31.

25. Kapitel: Die verschiedenen von Gott ausgesagten Namen sind nicht synonym

Hierbei ist dreierlei zu beachten. Erstens: Obwohl die verschiedenen Namen der Sache nach eins und dasselbe in Gott bezeichnen, so sind sie doch nicht synonym (gleichbedeutend). Damit Namen gleichbedeutend seien, ist erforderlich, dass sie eine und dieselbe Sache, sowie ein und denselben Begriff (dieselbe Auffassung) des Verstandes vorstellen. Wo aber (zwar) ein und dieselbe Sache bezeichnet wird, (jedoch) nach verschiedenen Begriffen d. i. Auffassungen, die sich der Verstand von jener Sache bildet, - da sind die Namen nicht gleichbedeutend, weil sie nicht völlig das gleiche bezeichnen. Denn die Namen bezeichnen unmittelbar (nicht die Sache selbst, sondern) die Auffassungen unseres Geistes (die Begriffe) welche die Abbilder der Dinge sind. Da nun die verschiedenen Namen, die wir von Gott aussagen, verschiedene Auffassungen (Begriffe) bezeichnen, die unser Geist von ihm sich bildet, so sind sie nicht synonym, gleichbedeutend, obwohl sie völlig ein und dieselbe Sache bezeichnen. 1. q 13 a 4. Cg. I, 35.

26. Kapitel: Durch die Definition dieser Namen kann das nicht definiert werden, was in Gott ist

Zweitens: Da unser Verstand durch keinen von all diesen Begriffen, welche die genannten Namen von Gott ausdrücken, die göttliche Wesenheit vollkommen erfasst, so kann unmöglich durch die Definition dieser Namen das definiert werden, was in Gott ist (Gottes inneres Wesen), so dass z. B. die Definition der göttlichen Weisheit (zugleich) die Definition der göttlichen Allmacht wäre usw. Ein anderer Grund hierfür ist der: Jede Definition besteht aus Gattung (genus proximum) und Differenz (differentia specifica); das was im eigentlichen Sinne definiert wird, ist die Art (species). Nun ward aber (Kap. 12.) gezeigt, dass die göttliche Wesenheit unter keinen Gattungs- oder Artbegriff fällt, also kann es von ihr keine Definition geben. 1. q 3. a 5; Cg. I, 25.

27. Kapitel: Zwischen den von Gott und den übrigen Dingen ausgesagten Namen besteht weder völlige Sachgemeinsamkeit, noch auch bloße Namensgemeinschaft

Drittens: Die Namen, die wir von Gott wie von den übrigen Dingen aussagen (z. B. Sein, Leben, Weisheit usw.) werden (von beiden) weder im völlig gleichen Sinn (univoke) noch auch im völlig verschiedenen Sinn (aequivoke) ausgesagt. Im vollständig gleichen Sinn können sie nicht ausgesagt werden, weil die Definition dessen, was man vom Geschöpf aussagt (z. B. Leben), nicht die Definition dessen ist, was man von Gott aussagt (Kap. 26). Bei Namen aber, die im vollständig gleichen Sinn ausgesagt werden, muss die Definition die gleiche sein. - Sie können aber auch nicht im vollständig verschiedenen Sinn ausgesagt werden. Bei Dingen nämlich, die (bloß) zufällig aequivok sind, (wie z. B. der Name "Bernstein" von einem Naturproclukt und als Familienname gebraucht), wird ein und derselbe Name dem einen Ding beigelegt, ohne die geringste Beziehung auf das andere Ding (dem dieser Name zukommt); deshalb kann man von dem Einen nicht auf das Andere Schlussfolgerungen ziehen.

Die Namen dagegen die wir (zugleich) von Gott und den übrigen Dingen aussagen, werden Gott beigelegt auf Grund eines gewissen Verhältnisses, in welchem er sich zu diesen Dingen befindet, in denen der Verstand das durch sie bezeichnete findet. Deshalb können wir auch von den Weltdingen ausgehend über Gottes Wesen philosophische Forschungen anstellen.

Es werden also diese Namen nicht in völlig disparatem Sinn (zugleich) von Gott und den übrigen Dingen ausgesagt, wie dies bei jenen der Fall ist, die zufällig aequivok sind. Sie werden (von beiden vielmehr) ausgesagt im analogen Sinn, d. h. auf Grund des Verhältnisses, in welchem sie sich alle zu einem dritten (zu Gott nämlich) befinden.

Indem wir nämlich die übrigen Dinge in ihrem Verhältnis zu Gott als ihren ersten Ursprung betrachten, legen wir diese Namen, welche die Vollkommenheit der übrigen Dinge bezeichnen, Gott bei.

Obwohl also diese Namen - insofern wir sie Gott beilegen, - zuerst von den Geschöpfen ausgesagt werden, weil unser Verstand, diese Namen von den Kreaturen entlehnend und sie Gott beilegend, zu ihm aufsteigt, so werden sie doch, insofern man Rücksicht nimmt auf die Sache selbst, die durch den Namen ausgedrückt wird, zuerst von Gott ausgesagt, von dem (alle diese) Vollkommenheiten herabsteigen in die übrigen (Welt-) Dinge. 1. q 13. a 5 u. 6; Cg. I, 32-34.

28. Kapitel: Gott muss erkennend sein

1. Nun ist weiter nachzuweisen, dass Gott ein erkennendes Wesen ist. Wie gezeigt ward, praeexistieren in ihm in Überfülle die Vollkommenheiten von allem, was da ist. Unter allen Vollkommenheiten der Dinge aber scheint das Erkennen das Vorzüglichste zu sein, da die erkennenden Wesen alle andern übertreffen (denn durch das Denken wird der Denkende gewissermaßen alles, was er denkt; indem er all die Vollkommenheiten durch das Denken in sich aufnimmt und sich assimiliert). Deshalb muss Gott erkennend sein. 1. q 12. a 1. Cg. I, 44 n. 5.

2. Wie oben (Kap. 4) gezeigt ward, ist Gott lauteres Wirklichsein ohne (Beimischung) Trübung doch irgend welches (der Verwirklichung noch bedürfende) Möglichsein. Die Materie aber ist (ihrem innersten Begriff und Wesen nach) etwas nur der Möglichkeit nach Seiendes. Es muss also Gott völlig frei und rein von Materie, von allem Stofflichen sein. Das Freisein von der Materie aber ist der Grund der Denkfähigkeit. Der Beweis hierfür ist die Tatsache, dass die im Stofflichen befindlichen Formen (Bildungsgesetze, typischen Ideen) dadurch tatsächlich erkennbar werden, das man sie mit dem Denken, (durch den Denkprozess der Abstraktion) von der Materie und den stofflichen Daseinsbedingungen abstrahiert (loslöst). Gott ist also ein erkennendes Wesen. 1. q 12. a 1; Cg. I, 44. u. 4.

3. Es ward gezeigt, dass Gott der Erstbewegende (das erstbewegende Wesen ist (Kap. 4). Dies aber scheint vor allem die charakteristische Eigentümlichkeit des Verstandes zu sein; denn der Verstand bedient sich aller übrigen Dinge als Werkzeuge um Bewegung (oder Veränderung) hervorzubringen; so bedient sich z. B. der Mensch vermöge (der Superiorität) seines Verstandes der Tiere, der Pflanzen und der leblosen Dinge als Werkzeuge (für die verschiedensten Zwecke). Deshalb muss Gott, weil er der Erstbewegende ist, vernünftig sein. Cg. I, 44 n. 3.

29. Kapitel: In Gott findet sich das Erkennen nicht als bloßes Vermögen oder als Zustand, sondern nur als wirkliche Betätigung

Da sich in Gott nichts vorfindet, das nur dem Vermögen nach (also der Verwirklichung noch fähig und bedürftig) wäre, sondern da in ihm alles lautere Tatsächlichkeit ist, wie (Kap. 4) gezeigt ward, so kann Gott nicht dem Vermögen oder dem Zustand nach, sondern nur der tatsächlichen Wirklichkeit nach erkennend (denkend) sein. Daraus folgt, dass es bei ihm keine Aufeinanderfolge (kein Nacheinander) im Denken gibt. Wenn nämlich ein Verstand nach und nach, in aufeinanderfolgender Reihe mehreres erkennt (denkt), so muss er, während er das eine tatsächlich erkennt (wirklich denkt), das andere dem Vermögen nach erkennen (denken). Zwischen Dingen nämlich, die zugleich auf einmal (präsent) sind, gibt es keine Aufeinanderfolge. Erkennt (denkt) also Gott nichts nur dem Vermögen nach (d. h. so, dass er es jetzt noch nicht wirklich denkt, es aber später denken kann) so ist sein Denken ohne alle Aufeinanderfolge (ohne ein Nacheinander). Daraus folgt, dass er alles, was er erkennt (denkt), zugleich auf einmal erkennt (denkt), und hinwieder, dass er nichts von neuem erkennt, (was er etwa früher noch nicht gewusst hätte). Der Verstand nämlich, der etwas von Neuem (als etwas ihm neues) erkennt, war früher (in Bezug auf dieses Wissensobjekt) nur dem Vermögen nach erkennend. Deshalb kann beim göttlichen Erkennen (Denken) nicht von einem diskursiven Denken die Rede sein, so dass er also etwa auf Grund des einen (Erkannten, Gedachten) zur Erkenntnis von etwas anderem käme, wie das bei unserem Verstand der Fall ist, wenn er schlussfolgernd vorgeht. Solch ein diskursives Denken ist im Verstand dann vorhanden, wenn wir vom Bekannten zur Erkenntnis des Unbekannten oder (wenigstens) dessen, was wir vorher noch nicht (wirklich) dachten, voranschreiten. - Das aber kann beim göttlichen Verstand nicht der Fall sein. 1. q 14 a 7. Cg. I, 55-57.

30. Kapitel: Das einzige Erkenntnisbild, wodurch Gott erkannt, ist seine Wesenheit selbst

Aus dem Gesagten erhellt, dass Gott nicht etwa durch ein von ihm verschiedenes Erkenntnisbild, sondern nur durch seine Wesenheit selbst erkennt (denkt). Jeder Verstand nämlich, der durch ein Erkenntnisbild (eine Vorstellung) erkennt (denkt), welches etwas anderes ist, als er selbst, verhält sich zu diesem Erkenntnisbild (zu dieser Vorstellung) wie das Mögliche (das der Verwirklichung noch fähige und bedürftige) zu dem es (auf diesem Gebiet und nach dieser Seite hin) Verwirklichenden; denn das Erkenntnisbild (die Vorstellung) ist eben das, was den Verstand vervollkommnet, indem es (sie) ihn ja eben wirklich denken macht.

Wenn es nun in Gott nichts gibt, was bloß dem Vermögen nach wäre, da er vielmehr die lautere Wirklichkeit, Tatsächlichkeit ist, so kann er nicht durch ein von ihm verschiedenes Erkenntnisbild (durch eine von ihm verschiedene Vorstellung) - sondern nur durch seine eigene Wesenheit selbst erkennen (denken). Cg. I, 46 n. 2.

Daraus folgt, dass er direkt und in erster Linie sich selbst erkennt (denkt). Denn die Wesenheit eines Dinges führt eigentlich und direkt nur zur Erkenntnis jenes Dinges, dessen Wesenheit sie ist; denn durch die Definition des Menschen wird im eigentlichen Sinne der Mensch, durch die des Pferdes das Pferd erkannt (gedacht). Da nun Gott durch seine eigene Wesenheit erkennend ist (denkt) so muss, was von ihm direkt und in erster Linie erkannt (gedacht) ist, Gott selbst sein. Da er ferner seine Wesenheit selbst ist (sie nicht bloß hat, wie die übrigen Dinge), so folgt, dass bei ihm der Erkennende, Denkende, und das, wodurch er erkennt) (denkt, = der Gedanke) und das, was er erkennt (denkt, das Gedachte, der Denkgegenstand) völlig eins und dasselbe ist. 1. q 14. a 2. Cg. I, 46-48.

31. Kapitel: Gott ist sein Erkennen

Es folgt weiter, dass (bei Gott das Erkennen, Denken, nicht etwas von seinem Sein und Wesen Verschiedenes ist, wie dies bei uns Menschen der Fall ist, sondern dass sein ganzes Sein und Wesen im Erkennen, Denken aufgeht, dass also) Gott selbst sein Denken ist. Das Erkennen, Denken, ist nämlich actus secundus (d. h. die Betätigung eines Vermögens) wie das aktuelle Betrachten, aufmerken - der actus primus (d. h. das Vermögen in der nächsten Verfassung, um handeln, oder sich betätigen zu können) ist das Erkenntnisvermögen oder das habituelle Wissen (das Wissen das jemand besitzt, ohne im Augenblick davon Gebrauch zu machen). - Darum verhält sich jeder Verstand, welcher nicht ganz in seiner Erkenntnistätigkeit aufgeht (mit ihr identisch ist) zu seiner Erkenntnis - Denktätigkeit, wie das Vermögen zu seiner Betätigung. Denn zwischen den einzelnen Potenzen (Vermögen) und Akten besteht nämlich die Reihenfolge, dass das Vorausgehende sich immer potential zum Nachfolgenden verhält (d. h. als etwas, was durch das Nachfolgende der Verwirklichung fähig und bedürftig ist) während das Letzte die Vollendung gibt - verstehe wohl, in ein und demselben Ding (nämlich in seinem Entwicklungsgang, den es durchmacht) - während bei verschiedenen Dingen es sich gerade umgekehrt verhält: Denn das Bewegende und Handelnde verhält sich zur Bewegung und zum Akt (zur Handlung) wie das Wirkende zu dem der Verwirklichung Unterliegenden. Da nun Gott lauteres Wirklichsein ist, so gibt es ihm nichts, was sich zum andern verhält wie das zu Verwirklichende zu Verwirklichenden. Es muss also Gott selbst sein Erkennen (Denken) sein. Cg. I, 45 u. 3 n. 4.

2. Im gewissen Sinn verhält sich der Verstand zur Erkenntnistat (-tätigkeit), wie die Wesenheit zum (Da-)Sein. Nun ist Gott erkennend durch seine Wesenheit (Kap. 30); seine Wesenheit aber ist sein Sein; also ist auch sein Verstand (nichts anderes, als) sein Erkennen (Denken, seine Denktat). Und so setzt die Tatsache, dass Gott erkennend (denkend) ist, keine Zusammensetzung in Gott hinein; denn in ihm ist nicht etwas Anderes der Verstand (das Denkvermögen) das Erkennen (die Denktätigkeit oder -tat) und das Erkenntnisbild (der Gedanke) und all dies ist nichts anderes, als seine Wesenheit selbst. Cg. I, 45 n. 2. 1. q 14. a 4.

32. Kapitel: Bei Gott muss es auch Willenstätigkeit geben

1. Weiterhin erhellt, dass Gott notwendigerweise auch ein Wesen mit Willenstätigkeit ist. Er erkennt sich nämlich selbst, der er das vollkommene Gut ist, wie aus dem Gesagten hervorgeht. Das erkannte Gute aber wird mit Notwendigkeit geliebt. Das aber ist das Werk des Willens; also ist Gott notwendig ein wollendes Wesen. Cg. I, 72 n. 1.

2. Es ward oben (Kap. 3) gezeigt, dass Gott das erstbewegende Wesen ist; der Verstand aber (als solcher) bringt eine Bewegung hervor nur durch Vermittlung des Begehrens (denn der etwas bloß spekulativ betrachtende Verstand bewirkt dies an sich noch nicht); das Begehren aber, das dem Verstand folgt (das vernünftige Begehren im Gegensatz zum bloß sinnlichen), ist eben der Wille; es muss also Gott ein wollendes Wesen sein. Cg. I, 72 n. 5 u. 6. 1 q 19 a 1.

33. Kapitel: Der göttliche Wille kann nichts anderes sein als sein Verstand selbst

1. Es leuchtet aber auch ein, dass der Wille Gottes nichts anderes sein kann, als sein Verstand. Das erkannte Gute, welches das dem Verstand (eigentümliche) Objekt ist, bewegt den Willen und ist seine Tatsächlichkeit und seine Vollkommenheit (ist das, was ihn wirklich wollend macht und gibt ihm seine Vollendung). In Gott aber gibt es keinen Unterschied von Bewegung Verursachendem und Bewegung Empfangendem, von Akt und Potenz, von Vollkommenheit und von Etwas der Vervollkommnung Fähigem und Bedürftigem, wie aus dem oben (Kap. 4) Gesagten hervorgeht. Es muss also der göttliche Wille das erkannte Gute selbst sein. Nun ist aber der göttliche Verstand und die göttliche Wesenheit ein und dasselbe Ding (Kap. 31). Also ist der göttliche Wille nichts anderes, als der göttliche Verstand und als die göttliche Wesenheit. Cg. I, 73 n. 2.

2. Unter allen Vollkommenheiten der Dinge sind die vorzüglichsten Verstand und Wille. Beweis hierfür ist, dass sie sich nur bei den höheren Wesen vorfinden. Nun sind aber die Vollkommenheiten aller Dinge in Gott nur ein einziges Ding - das seine Wesenheit ist, wie oben (Kap. 22) gezeigt ward: Verstand und Wille sind also in Gott eins und dasselbe mit seiner Wesenheit.

34. Kapitel: Der Wille Gottes ist sein Wollen selbst

1. Daraus ergibt sich ferner, dass der göttliche Wille das Wollen (die Willenstat) Gottes selbst ist. Es ward (soeben) gezeigt, dass der Wille in Gott dasselbe ist, wie das von ihm gewollte Gut. Das aber könnte nicht der Fall sein, wenn nicht sein Wollen (seine Willenstätigkeit) dasselbe wäre, was sein Wille: Da das Wollen (die Willenstätigkeit) im Willen (Willensvermögen) überhaupt nur vorhanden ist auf Grund des Gewollten; es ist also der göttliche Wille, sein Wollen (er ist lautere Willenstat, nicht bIoßes Willensvermögen).

2. Der göttliche Wille ist dasselbe was sein Verstand und seine Wesenheit ist; der Verstand Gottes aber ist sein Erkennen (seine Erkenntnistätigkeit = tat) und die Wesenheit Gottes ist sein Dasein: also muss auch sein Wille sein Wollen (Willenstat) sein. Und so leuchtet ein, dass Gottes Wille seiner Einfachheit nicht widerspricht. Cg. I, 73.

35. Kapitel: Alles bisher Gesagte ist in einem Glaubensartikel zusammengefasst

Aus all dem bisher Gesagten ergibt sich als kurzes Resultat, dass Gott einer ist, dass er ein einfaches, vollkommenes, unendliches, erkennendes und wollendes Wesen ist. All das ist im Glaubensbekenntnis in einem kurzen Artikel zusammengefasst, indem wir nämlich bekennen, dass wir glauben "an einen allmächtigen Gott." Da der Name Deus (Gott) aus dem griechischen θεός, von θεασθαι, wie es scheint, abgeleitet ist, das soviel heißt als schauen, sehen oder denken - so ergibt sich schon aus dem Namen Deus - dass er erkennend - und in Folge dessen auch wollend ist. Dadurch aber, dass wir ihn "Einen" nennen, schließen wir aus sowohl die Mehrzahl von Göttern, als (überhaupt) jede Zusammensetzung (in ihm), denn schlechthin Eines ist eben nur das, was einfach (nicht zusammengesetzt) ist. Dadurch aber, dass wir ihn "allmächtig" nennen, deuten wir an, dass er unendlich an Kraft ist, der nichts sich entziehen kann, und hiermit (hierin) ist eingeschlossen, dass er unendlich und vollkommen ist; denn die Kraft eines Dinges ist (lediglich) die Folge der Vollkommenheit seiner Natur und Wesenheit.

36. Kapitel: All das Gesagte ward auch von den Philosophen behauptet

Was wir bis jetzt von Gott behandelt haben, wurde auch von mehreren heidnischen Philosophen mit großem Scharfsinn erforscht, obwohl auch manche derselben in Irrtümer in diesen Fragen verfallen sind. Und selbst jene, welche etwas Wahres auf diesem Gebiet aufgestellt haben, vermochten nach langwieriger und schwieriger Untersuchung zu den genannten Wahrheiten kaum gelangen.

Wir sind aber über Gott durch die Lehre der christlichen Religion noch in Bezug auf andere Stücke unterrichtet, zu denen die Philosophen nicht gelangen konnten. Über diese Wahrheiten, zu welchen der menschliche Verstand nicht vordringen kann, belehrt uns der christliche Glaube. Diese Lehrstücke aber sind: dass, obwohl Gott nur Einer und einfach ist, es doch einen Gott Vater, einen Gott Sohn und einen Gott den Hl. Geist gibt, und dass diese drei nicht drei Götter, sondern nur der Eine Gott sind. Dies wollen wir nun, soweit uns dies möglich ist, zum Gegenstand unserer Forschung machen. Cg. IV, 1.

37. Kapitel: In welchem Sinn von einem Wort in Gott die Rede ist

Halten wir aus dem bisher Gesagten fest, dass Gott sich selbst erkennt und liebt; desgleichen, dass das Erkennen und Lieben in ihm nichts anderes ist, als sein ganzes Sein und Wesen selbst. Weil Gott nun aber sich selbst erkennt (denkt), alles Erkannte (Gedachte) aber in dem Erkennenden (Denkenden) ist: so muss Gott in sich selbst sein, wie das Erkannte (Gedachte) in dem Erkennenden (Denkenden). Das Erkannte (Gedachte) aber, insofern es in dem Erkennenden (Denkenden) ist, ist gewissermaßen das Wort des Verstandes (des denkenden Geistes). Denn mit dem äußeren Worte bezeichnen wir das, was wir innerlich im Verstand begreifen (mit unserem Geiste erfassen); denn die Worte sind nach Aristoteles die Zeichen für die Begriffe (für das, was wir begriffen, verstanden haben). Wir müssen also annehmen, dass in Gott sein Wort vorhanden ist. 1 q 27 a 1; Cg. IV, 11.

38. Kapitel: Das Wort in Gott wird Konzeption (Empfängnis) genannt

Was im Verstand enthalten ist als inneres Wort wird nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch als etwas vom Geist Konzipiertes (Empfangenes) bezeichnet. Auf körperlichem Gebiete ist von Konzeption (Empfängnis, Erzeugung) dann die Rede, wenn im Mutterleib eines animalischen Lebewesens durch die lebenerzeugende Kraft ein neues Wesen gebildet wird, in der Weise, dass das männliche Lebewesen sich aktiv, das weibliche aber, in welchem die Empfängnis (Erzeugung) vor sich geht, sich passiv verhält, so dass das empfangene (oder erzeugte) Wesen der Natur beider (bei der Erzeugung beteiligter Lebewesen) angehört, indem es mit ihnen in dieselbe Spezies, Art fällt. Was aber der denkende Geist erfasst (begreift, versteht) wird im Verstand gebildet und zwar fällt hier bei dem gedachten Gegenstand die Rolle des aktiven, dem Verstand jene des passiv sich verhaltenden Wesens zu. Das aber, was im Verstand erfasst (begriffen, verstanden) wird, und in ihm sich befindet, ist gleichförmig sowohl dem gedachten Gegenstand, welcher (diesen Denkprozess) hervorruft, und dessen Abbild es ist, als auch dem denkenden Geist, dem Verstand selber, der hierbei sich passiv (leidend, empfangend) verhält, und mit dem es (dieses Geistesprodukt) in das Gebiet der Gedankenwelt gehört.

Deshalb nennen wir das, was vom Verstand erfasst (begriffen, verstanden wird, das Produkt des Denkprozesses) nicht mit Unrecht Konzeption, Empfängnis des denkenden Geistes (des Verstandes). 1 q 27 a 2; Cg. IV, 11.

39. Kapitel: Über das Verhältnis des Wortes zum Vater

Jedoch ist (bei diesem Vergleich) ein Unterschied nicht aus dem Auge zu verlieren. Da das, was im denkenden Geist, im Verstand empfangen (erfasst, begriffen, verstanden) wird, ein Abbild des erkannten (gedachten) Dinges ist und sein spezifisches Sein sowie seine innere Natur und Wesenheit zur Darstellung bringt, so ist es gewissermaßen ein Produkt (ein Erzeugnis, ein Kind) des erkannten (gedachten, begriffenen) Dinges. Erkennt (denkt) also der denkende Geist einen von ihm verschiedenen Gegenstand, so trägt der erkannte (gedachte) Gegenstand gleichsam die Rolle des Vaters für das im denkenden Geist empfangene Wort; dem denkenden Geist selbst aber kommt mehr die Rolle der Mutter zu, deren Aufgabe darin liegt, dass in ihr die Empfängnis sich vollziehe. Erkennt (denkt) aber der denkende Geist sich selbst: so steht das empfangene Wort zum denkenden Geist im Verhältnis des Kindes zum Vater. Da wir nun (hier) vom Wort reden, insofern sich Gott selbst erkennt (denkt), so muss das Wort sich zu Gott, dessen Wort es ist, verhalten, wie das Kind, der Sohn zum Vater. 1 q 27 a 2; Cg. IV, 11.

40. Kapitel: In welchem Sinne die Erzeugung in Gott zu fassen ist

Deshalb lehrt uns die katholische Glaubensregel bekennen, dass in Gott Vater und Sohn sei; denn es heißt: "Ich glaube an Gott den Vater und an seinen Sohn". Damit aber Niemand, wenn er die Namen "Vater" und "Sohn" hört, etwa auf die Vermutung käme, es handle sich um eine fleischliche Erzeugung, auf Grund deren wir von Vater und Sohn sprechen, bedient sich der Evangelist Johannes, dem die himmlischen Geheimnisse geoffenbart· wurden, statt des Namens "Sohn" des Ausdruckes "Wort" - damit wir an eine Zeugung denken sollen, die sich nicht auf fleischlichem, sondern auf' geistigem Gebiete vollzieht.

41. Kapitel: Das Wort, der Sohn, hat dasselbe Sein mit Gott dem Vater und dieselbe Wesenheit gemeinsam

Weiterhin ist wohl zu beachten, dass bei uns ein etwas anderes ist (unser Dasein in der Welt der Wirklichkeit) und unser Erkennen (Denken, unsre Gedankenwelt). Darum muss das in unserem denkenden Geist (Verstand) empfangene Wort, das nur ein gedachtes Sein (ein Dasein nur auf' dem Gebiet der Gedankenwelt) hat, andrer Natur sein (einem andern Gebiet, nämlich dem des Gedachten angehören), als unser denkender Geist, (Verstand), der ein Natursein (d. h. nicht ein bloß gedachtes, sondern ein Sein in der Wirklichkeit, in rerum natura) hat. Bei Gott aber ist Sein (Dasein) und Erkennen (Denken) eins und dasselbe (die Gedankenwelt ist bei ihm zugleich Welt der Wirklichkeit). Das Wort Gottes also, das in Gott ist, dessen Wort es ist dem gedachtem Sein nach, hat dasselbe (wirkliche) Sein wie Gott, dessen Wort es ist. Deshalb muss es dieselbe Wesenheit und Natur wie Gott selbst haben, so dass Alles, was man von Gott sagen kann, auch vom Wort Gottes gelten muss. 1 q 27 a 2, ad 2m; Cg. IV, 11.

42. Kapitel: Dies lehrt der katholische Glaube

Deshalb lehrt uns die katholische Glaubensregel den Sohn als den Vater wesensgleich bekennen. Hierdurch wird ein doppelter Irrtum ausgeschlossen. Erstens, dass wir Vater und Sohn uns nicht denken auf Grund einer fleischlichen Erzeugung. Diese nämlich vollzieht sich durch eine Absonderung (Ausscheidung) der Substanz des Sohnes vom Vater, so dass also (hier) von einer Konsubstantialität (einer völligen Wesenseinheit) vom Vater und Sohn nicht die Rede sein kann.

Zweitens, dass wir uns Vater und Sohn aber auch nicht denken vollständig so, wie dies bei der geistigen Erzeugung, in der bei uns im denkenden Geiste das Wort erzeugt wird, der Fall ist, wo das Wort nur etwas dem denkenden Geist (der allein Substanz, in sich und für sich bestehendes Wesen ist) zufälliges, zu ihm hinzukommendes, nicht aber zu seiner eigenen Natur und Wesenheit gehörendes ist.

43. Kapitel: In Gott ist kein Unterschied zwischen Wort und Vater, weder in Bezug auf Zeit, noch Art, noch Natur

Bei jenen Dingen, welche in Bezug auf die Wesenheit sich nicht von einander unterscheiden, kann es unmöglich einen Unterschied geben in Bezug auf Art, auf Zeit und auf Natur. Weil nun das Wort gleichwesentlich (dem Vater) ist, so unterscheidet es sich notwendigerweise in keinem von all den genannten Dingen vom Vater.

1. So kann es sich von ihm nicht unterscheiden in Bezug auf die Zeit. Da wir nämlich dies Wort in Gott deshalb postulieren, weil Gott sich selbst erkennt (denkt), indem er sein intelligibles (der Gedankenwelt angehöriges) Wort empfängt (erfasst), so würde, falls Gottes Wort je einmal nicht existiert hätte, Gott damals sich nicht erkannt (gedacht) haben. Immer aber, solange Gott existiert, hat er sich erkannt (gedacht), weil ja sein Erkennen (Denken) sein Sein (Dasein) ist; (sein ganzes Sein und Wesen in Erkennen, Denken aufgeht); also existierte auch immer sein Wort; deshalb sagen wir in der katholischen Glaubensregel: es sei geboren aus dem Vater vor aller Zeit."

2. Es ist ferner unmöglich, dass in Bezug auf die spezifische Ebenbildlichkeit das Wort Gottes von Gott sich unterscheide, als wäre etwa ersteres etwas Minderes, Geringeres als Gott. Denn Gott erkennt (denkt) sich nicht minder oder geringer, als er ist, existiert. (Die Denktat Gottes ist ebenso stark und gewaltig als die Tatsache seines Seins: denn sie ist eins und dasselbe mit ihr). Zum Begriff und Wesen des Wortes aber gehört vollkommene spezifische Ähnlichkeit, weil das Ding, das es ausdrückt (von dem es das Wort, der Gedanke ist) vollkommen erkannt, erfasst sein muss (sonst käme ja überhaupt dieses betreffende Wort gar nicht zustande). Es muss also Gottes Wort absolut vollkommene spezifische Ebenbildlichkeit mit dem göttlichen Wesen haben. - Nun gibt es aber Dinge, die zwar von Andern herkommen, aber die vollkommene spezifische Ebenbildlichkeit mit jenen Wesen, von denen sie herkommen, nicht erreichen. Dies ist erstens der Fall bei der generatio aequivoca; (nach der aristotelisch-thomistischen Naturlehre ist alles Werden und Entstehen auf Erden bedingt durch die kosmische Bewegung, vor allem durch den Einfluss der Sonne; jede Erzeugung, jedes Werden in der Pflanzen- wie in der Tierwelt vollzieht sich unter ihrem Einfluss und zwar so, dass hierbei der Sonne die primäre Ursächlichkeit zukommt. - Vgl. 1 q 115 a 3; Cg. III, 82 u. 86, und dieses Werkchen c. 127. - Es kann nun nach dieser Theorie die Sonne als Primärursache , wie sie in Verbindung mit dem irdischen, zeugenden Prinzip die irdischen Organismen erzeugt, so auch ohne das erstere gewisse niedere Tierorganismen aus der hierzu disponierten Materie erzeugen = generatio aequivoca im engeren Sinn). Denn von der Sonne wird nicht wieder eine Sonne, sondern irgend ein Tierwesen erzeugt.

Um eine derartige Unvollkommenheit von der göttlichen Erzeugung auszuschließen, bekennen wir, dass das Wort geboren sei "als Gott von Gott." Zweitens kann ein Ding, das von einem andern hervorgeht, von diesem sich unterscheiden durch den Mangel an Reinheit (dass es nicht so rein und unvermischt bleibt, als das Wesen, von dem es stammt). Das ist dann der Fall, wenn von einem an sich einfachen und ungetrübten Ding dadurch, dass man es einem äußeren Stoff appliziert (es in einer äußeren Materie realisiert) etwas hervorgebracht wird, was von der ersten spezifischen Ebenbildlichkeit absteht; so wenn z. B. aus dem Haus, das im Geist des Künstlers (als Entwurf, Plan) existiert, ein Haus entsteht in der stofflichen Ausführung, oder wenn aus dem (an sich neutralen, farblosen) Licht, das von einem begrenzten Körper aufgenommen wird, die (durch den Körper bedingte) Färbung entsteht, oder wenn (nach der alten Naturlehre) aus dem Feuer, durch seine Verbindung mit den übrigen Elementen ein zusammengesetzter (nicht mehr die ganze Reinheit der Feuernatur besitzender) Körper wird; oder wenn der Lichtstrahl bei seinem Durchgang durch einen dunklen (Glas-)Körper gedämpft wird. Um dies von der göttlichen Erzeugung (des Wortes vom Vater) auszuschließen, wird beigefügt: "Licht vom Licht."

Drittens endlich kann ein Ding, das von einem Andern herkommt, die vollkommene spezifische Ebenbildlichkeit nicht erreichen wegen des Mangels der Wahrheit (oder Wirklichkeit), wenn es nämlich nicht in Wirklichkeit die Natur des Dinges, von dem es herkommt, erhält, sondern nur eine Ähnlichkeit mit demselben, wie dies z. B. der Fall ist beim Bild im Spiegel, bei einem Porträt oder einer Skulptur, oder auch bei dem Abbild des Dinges das sich im Verstand oder in der Sinneswahrnehmung findet (das bloß gedachte oder eingebildete - nicht das wirkliche Ding). Denn das Porträt eines Menschen bezeichnen wir nicht als einen wirklichen Menschen, sondern nur als sein Abbild, als etwas ihm ähnliches; so ist auch, wie Aristoleles sagt, nicht der (wirkliche) Stein in der (den Stein wahrnehmenden oder denkenden) Seele, sondern nur das Abbild des Steines. Um auch dieses von der göttlichen Erzeugung (des Wortes vom Vater) auszuschließen, wird beigefügt: "wahrer Gott vom wahren Gott."

3. Endlich ist es unmöglich, dass sich das Wort Gottes von Gott der Natur nach unterscheidet. Denn Gott ist es natürlich, (es gehört zu seiner Natur), dass er sich selbst erkennt (denkt). Ein jeder Verstand nämlich (er mag auf einer Stufe stehen wie immer) hat einige Dinge, die er von Natur aus ohne weiteres einsieht, denkt, das sind z. B. für unsern Verstand die obersten Prinzipien (die ersten unmittelbar einleuchtenden Sätze, die Denkgesetze, die Axiome). Um so mehr erkennt Gott, dessen Erkennen (Denken) ja eben sein ganzes Sein und Wesen ist, sich selbst von Natur aus (ohne weiteres). Sein Wort also kommt aus ihm hervor von Natur aus, (in natürlicher, unmittelbarer, selbstverständlicher Weise) nicht wie jene Dinge, die nicht auf dem Weg der Natur (ohne weiteres) hervorgehen, wie dies z. B. bei uns mit den Kunstprodukten der Fall ist, von denen man sagt, dass wir sie machen; was aber auf dem Weg der Natur von uns ausgeht, von dem sagt man, dass wir es erzeugen, wie z. B. bei einem Sohn, (der Naturprodukt, nicht Kunstprodukt ist). Damit man also nicht etwa glaube, dass das Wort Gottes aus Gott nicht durch einen Naturprozess ausgehe, sondern (bloß) kraft seines Willens (wie dies bei Kunstprodukten der Fall ist) so fügt man bei: "Erzeugt, nicht gemacht."

44. Kapitel: Schlussfolgerung aus dem Vorhergehenden

Weil aber, wie aus dem Vorhergehenden ersichtlich ist, alle diese Bedingungen des göttlichen Generationsprozesses darin gipfeln, dass der Sohn dem Vater wesensgleich ist, so wird schließlich gleichsam als das kurz zusammengefasste Resultat von all dem beigesetzt: "gleichwesentlich dem Vater."

45. Kapitel: Gott ist in sich selbst, wie das Geliebte im Liebenden

Wie nun das erkannte (gedachte) Ding in dem Erkennenden (Denkenden) ist. insofern es erkannt (gedacht) wird: so auch muss der geliebte Gegenstand in dem Liebenden sein, insofern er geliebt wird. Es wird nämlich der Liebende durch den geliebten Gegenstand in eine gewisse innerliche Erregung und Bewegung gebracht. Da nun jenes Ding, welches die Bewegung verursacht, mit dem Gegenstand, welcher die Bewegung erleidet, in Kontakt tritt, so muss der geliebte Gegenstand notwendigerweise dem Liebenden innerlich sein.

Wie aber Gott sich selbst erkennt, so liebt er auch sich notwendigerweise. Denn das erkannte (geistig erfasste) Gute ist an sich liebenswürdig. Es ist also Gott in sich selbst, wie der geliebte Gegenstand im Liebenden. 1. q 27 a 3; Cg. IV, 23.

46. Kapitel: Die Liebe in Gott wird Geist genannt

Es ist also sowohl das Erkannte (Gedachte) in dem Erkennenden (Denkenden), als auch der geliebte Gegenstand in dem Liebenden; es ist, aber hierbei wohl im Auge zu behalten, dass das Enthaltensein in einem Andern in beiden Fällen ein verschiedenes ist.

Da nämlich der Erkenntnisakt sich dadurch vollzieht, dass der Erkennende sich dem Gegenstand, den er erkennt, im gewissen Sinne assimiliert, (sich ihm anpasst, sich ihm verähnlicht), so ist notwendigerweise der Erkenntnisgegenstand in dem Erkennenden (Denkenden), insofern und insoweit sein AbbiId in ihm sich vorfindet. Der Liebesakt hingegen vollzieht sich dadurch, dass der Liebende vom geliebten Gegenstand einen gewissen Impuls (eine Anregung) empfängt. Der geliebte Gegenstand zieht nämlich den Liebenden an sich. Daher erhält der Liebesakt seinen Abschluss nicht durch ein Abbild des Geliebten, wie dies beim Erkenntnisakt der Fall ist, der in dem Abbild des erkannten Gegenstandes seinen Abschluss findet, sondern sein Abschluss besteht vielmehr darin, dass er den Liebenden zum geliebten Gegenstand hinzieht. Die Überleitung der prinzipiellen, grundlegenden, hauptsächlichen (nicht nebensächlichen) Ähnlichkeit vollzieht sich nun auf dem Weg der Zeugung von Individuen gleicher Natur und (Wesenheit = generatio univoca), auf deren Grund hin bei Lebewesen das zeugende Vater, das erzeugte Wesen aber Sohn (Kind) genannt wird. Bei ihnen vollzieht sich aber auch die erste Bewegung auf Grund und in Gemäßheit ihrer spezifischen Natur und Wesenheit. (Res naturalis per formam, qua perficitur in sua specie, habet inclinationen in proprias operationes et proprium finem, quem per operationes consequiturj quale enim est unumquodque, talia operatur et in sibi convenientia tendit. Cg. IV, 19).

Wie wir also bei Gott jene Art und Weise, in welcher Gott in Gott sich befindet, wie das Erkannte (Gedachte) im Erkennenden (Denkenden) dadurch ausdrücken, dass wir von einem Sohn sprechen, welcher das Wort Gottes (das von ihm Erkannte, Gedachte) ist: so drücken wir die Art und Weise, in welcher Gott in Gott ist, wie der geliebte Gegenstand im Liebenden, dadurch aus, dass wir von einem Geist sprechen, welcher die Liebe Gottes ist; und deshalb sind wir nach der katholischen Glaubensregel gehalten, an den Geist zu glauben. Cg. IV, 19. 1, q 27. a 4.

47. Kapitel: Der Geist, der in Gott ist, ist heilig

Das Gute nun, insofern es geliebt (begehrt wird, trägt den Charakter des Zieles, (des Zweckes) an sich. (1. q 10. a 4). Das Ziel aber ist es, welches der Willensbewegung den Charakter des Guten oder des Bösen verleiht. Es muss also notwendiger Weise jene Liebe, mit welcher das höchste Gut selbst, welches Gott ist, geliebt wird, eine ganz eminente Güte an sich tragen, die wir mit dem Namen Heiligkeit (sanctitas) ausdrücken, mögen wir nun mit den Griechen das Wort sanctus fassen im Sinne von rein (άγιος), weil in Gott die reinste Güte sich findet ohne jegliche Trübung, oder mögen wir mit den Lateinern das Wort sanctus nehmen im Sinne von fest, unwandelbar (von sancire abgeleitet), weil in Gott die Güte den Charakter der Unwandelbarkeit an sich trägt, weshalb auch alles, was Gott geweiht ist, heilig genannt wird, wie der Tempel, die Tempelgefäße und überhaupt Alles, was für den göttlichen Dienst bestimmt ist. (2.2. q 81. a 8). Ganz entsprechend wird also der Geist, durch welchen uns die Liebe angezeigt wird, womit Gott sich selbst liebt, heiliger Geist genannt. Deshalb nennt auch die katholische Glaubensregel diesen Geist heilig, indem es heißt: "Ich glaube an den Heiligen Geist." 1. q 36, a 1.

48. Kapitel: Die Liebe in Gott ist nicht als etwas Akzidentelles aufzufassen

Wie aber das Erkennen Gottes sein Sein selbst ist, so ist es auch mit seinem Lieben der Fall. Gott liebt sich also nicht durch etwas, was zu seinem Wesen noch hinzukommt, sondern durch sein eigenes Wesen. Da er nun sich selbst liebt, insofern er in sich selbst ist, wie der geliebte Gegenstand in dem Liebenden, so ist der geliebte Gott in dem liebenden Gott, nicht in akzidenteller Weise - wie die geliebten Gegenstände auch in uns in akzidenteller Weise sind, wenn wir lieben; sondern Gott ist in sich selbst wie das Geliebte im Liebenden in substantieller Weise (der geliebte Gott ist im liebenden Gott nicht als etwas zu ihm erst hinzukommendes, als eine in ihm seiende Gemütsbewegung, sondern diese Gemütsbewegung ist wesentlich selbst wieder Gott).

Der Heilige Geist also, womit von uns die göttliche Liebe bezeichnet wird, ist nicht etwas Akzidentelles in Gott, sondern er ist ein in der göttlichen Natur subsistierendes, (in ihr das Insich- und Fürsichsein habendes) Ding, in derselben Weise wie Vater und Sohn. Deshalb wird er in der Glaubensregel vorgestellt als "zugleich mit dem Vater und dem Sohn anzubeten und zu verherrlichen." Cg. IV, 19.

49. Kapitel: Der Hl. Geist geht vom Vater und vom Sohn aus

Das Erkennen (Denken, der Erkenntnisakt) geht aus der Erkenntniskraft des Verstandes hervor. Insofern und insoweit nun der Verstand tatsächlich erkennt (denkt), ist in ihm der Gegenstand, welcher erkannt (gedacht) wird. Die Tatsache also, dass das Erkannte (Gedachte) in dem Erkennenden ist, geht hervor aus der Erkenntnis (Denk-)kraft des Verstandes -und das ist sein Wort, wie oben (Kap. 37) bemerkt ward). Desgleichen ist der Gegenstand, welcher geliebt wird, in dem Liebenden, insofern und insoweit er tatsächlich geliebt wird. Dass aber etwas tatsächlich, wirklich geliebt wird, kommt sowohl aus der Liebeskraft des Liebenden, als auch aus dem liebenswürdigen Gut, insofern es (als solches tatsächlich) wirklich erkannt ist. Die Tatsache also, dass der geliebte Gegenstand im Liebenden ist, kommt aus einer zweifachen Quelle: nämlich einerseits aus dem liebenden Prinzip (der Liebeskraft des Liebenden), sowie anderseits aus dem geistig aufgefassten Gegenstand, der nichts anderes ist, als das Wort (der Gedanke, der Begriff), das man vom geliebten Gegenstand empfängt. Nun ist in dem sich selbst erkennenden (denkenden) und liebenden Gott das (durch den Denkakt gebildete) Wort der Sohn, der aber, dessen Ausdruck das Wort bildet, ist der Vater des Wortes, wie aus dem Gesagten (Kap. 39.) hervorgeht; es muss also notwendig der Hl. Geist, der die Liebe ist, insofern nämlich Gott in sich selbst ist, wie das Geliebte im Liebenden - vom Vater und vom Sohn ausgehen. Deshalb heißt es im Glaubensbekenntnis: "Der vom Vater und vom Sohn ausgeht." 1. q 36. a 2. Cg. IV, 19.

50. Kapitel: Die Dreifaltigkeit der Personen in Gott steht nicht im Widerspruch mit der Einheit der Wesenheit

All das bisher Gesagte lässt sich kurz dahin zusammenfassen, dass wir in der Gottheit eine DreizahI setzen, die jedoch der Einheit und Einfachheit des Wesens nicht widerstreitet. Man muss nämlich zugeben, dass Gott ist existierend in seiner Natur, sowie dass er erkannt und geliebt ist von sich selbst. Anders aber ist dies der Fall bei Gott und anders bei uns.

Weil der Mensch in seiner Natur (im Reich der Wirklichkeit) eine Substanz (ein in sich und für sich bestehendes Ding) ist, während sein Denken und sein Lieben nicht seine Substanz (sondern nur eine zu seinem Wesen hinzukommende Tätigkeit) ist, so ist der Mensch, wenn man ihn so betrachtet, wie er in der Natur (in der Welt der Wirklichkeit) existiert, ein subsistierendes (in sich und auf sich selbst stehendes) Wesen; denkt man sich ihn aber so, wie er in seinem Verstand (in der Gedankenwelt als von sich selbst gedacht) existiert, so ist er kein subsistierendes Ding, sondern nur der Gedanke eines subsistierenden Dinges (ein bloß gedachter nicht ein wirklicher Mensch) und dasselbe ist der Fall beim Menschen insofern er in sich selbst ist, wie das Geliebte im Liebenden.

So kann man beim Menschen ein Dreifaches unterscheiden; 1. den Menschen in seiner Natur (in der Welt der Wirklichkeit, in der Außenwelt) existierend, 2. den Menschen im Verstand (in der Gedankenwelt, bloß als gedacht) existierend und 3. den Menschen in der Liebe (als geliebt) existierend; aber diese drei sind nicht eins, weil das Erkennen (Denken) des Menschen noch nicht sein ganzes Sein (und Wesen) ist, ebenso wenig als das Lieben. Von diesen Dreien ist nur Einer allein eine subsistierendes (in sich und auf sich selbststehendes) Ding, nämlich der in seiner Natur (in der Außenwelt, in der Welt der Wirklichkeit, nicht bloß in der Gedanken- und der Gefühlswelt als gedachter oder gewollter) existierende Mensch.

In Gott aber ist Dasein, Erkennen (Denken) und Lieben eins und dasselbe. Gott also in seinem natürlichen Sein (in der Welt der Wirklichkeit) existierend und Gott in seinem Denken existierend, sowie Gott in seiner Liebe existierend sind eins und dasselbe: ein jeder davon aber ist in sich und für sich bestehend, subsistierend. Und weil die in sich und für sich bestehenden Wesen im Gebiet der vernünftigen Natur von den Lateinern Personen, von den Griechen aber Hypostasen genannt werden, sagen die Lateiner, in Gott seien drei Personen, die Griechen aber, drei Hypostasen, nämlich Vater, Sohn und Hl. Geist. Cg. IV, 11 u. 19.

51. Kapitel: Scheinbarer Widerspruch der Dreifaltigkeit der Personen in Gott

1. Aus dem Gesagten aber scheint ein Widerspruch sich zu ergeben.

Setzen wir nämlich in Gott eine Dreizahl, so müssen wir, da die Zahl immer irgend eine Teilung voraussetzt, in Gott einen Unterschied annehmen, wodurch die drei Personen sich von einander gegenseitig unterscheiden, und dann wäre in Gott nicht die höchste Einfachheit. Denn wenn die Dinge in einem Punkt mit einander übereinkommen, und in einem andern sich von einander unterscheiden, so muss eine Zusammensetzung vorhanden sein; dies aber widerspricht dem früher Gesagten.

2. Wenn ferner, wie oben (Kap. 15) gezeigt ward, notwendig nur ein einziger Gott existiert: so scheint es unmöglich, dass es einen erzeugten und einen hervorgehenden Gott gibt, da kein Ding, das der Zahl nach nur eines ist, entsteht oder hervorgeht aus sich selbst. Mit Unrecht also legt man der Gottheit den Namen Vater, Sohn und hervorgehender Geist bei.

52. Kapitel: Lösung der Schwierigkeit. In Gott ist ein Unterschied nur der Relation nach

Den obersten Grundsatz zur Lösung der Schwierigkeit bietet uns die Erwägung, dass je nach der Verschiedenheit der Natur bei den verschiedenen Dingen die Art und Weise des Ursprunges oder Hervorgehens der Einen aus dem Andern eine verschiedene ist. - Bei den leblosen Wes en, die sich nicht selbst bewegen, sondern ihre Bewegung nur von außen her empfangen, entsteht das eine Ding aus dem andern dadurch, dass dieses von jenem von außen alteriert oder verändert wird; so wird vom Feuer ein anderes Feuer, von der Luft andere Luft erzeugt (sic enim ex igne generatur ignis, dum ab igne corpus extraneum alteratur et ad qualitatem et speciem ignis perducitur. Cg. IV, 11). - Bei den lebenden Wesen hingegen, deren (specifische) Eigentümlichkeit darin besteht, dass sie sich von selbst bewegen, geht die Erzeugung in dem Erzeugenden selbst vor sich, wie dies der Fall ist mit der Leibesfrucht bei den Tieren und der Frucht bei den Pflanzen. Weiterhin ist nun auch zu beachten, wie die Art und Weise des Ausganges bei ihnen verschieden ist je nach ihren verschiedenen Kräften und Tätigkeiten (soll wohl operationes statt processiones heißen). Es finden sich nämlich bei ihnen Kräfte, deren Tätigkeit sich nur auf Körperliches erstreckt, insofern sie es materiell (stofflich) ist; dies ist der Fall bei den Kräften der Pflanzenseele, der Ernährungs-, Mehrungs- und Zeugungskraft. Auf diesem Gebiet seelischer Kräfte geht nur ein körperliches Wesen von dem andern körperlich verschieden hervor, ist jedoch gleich wohl bei lebenden Wesen jenem, aus dem es hervorgeht, einigermaßen geeint (als foetus).

Nun gibt es weiter Kräfte, deren Tätigkeit zwar das körperliche Gebiet nicht überschreitet, aber immerhin sich ausdehnt bis zu einem, Körperliches vorstellenden Bilde, das sie immateriell in sich aufnehmen, wie dies bei allen Kräften der sensitiven (der Tier-)Seele (beim Vorgang des Sehens, Hörens usw.) der Fall ist. Der Sinn nimmt nämlich, wie Aristoteles sagt, das, die Dinge vorstellende Bild immateriell (ohne Materie, d. h. nicht ihrem physischen, sondern ihrem intentionalen, idealen, bildlichen oder vorstellenden Sein nach) in sich auf. Obwohl nun aber diese Kräfte die Formen (das den Stoff innerlich beherrschende und aktualisierende Bildungsprinzip) der Dinge in einem gewissen Sinne immateriell in sich aufnehmen, so können sie dieselben doch nicht in sich aufnehmen, ohne ein körperliches Organ (das Sinnesorgan). Findet also bei diesen Kräften der Seele irgend ein Ausgang (ein Hervorgehen) statt, so ist das, was hervorgeht, nicht etwas Körperliches oder etwas, was von jenen, aus dem es hervorgeht, körperlich unterschieden oder mit ihm (körperlich) verbunden ist, sondern vielmehr (von ihm verschieden und mit ihm verbunden) auf eine gewisse unkörperliche und immaterielle Weise, wenngleich auch nicht völlig ohne alle Beihilfe eines körperlichen Organs. So gehen z. B. bei den Tieren die Bildungen der von der Phantasie erfassten Dinge hervor. Diese befinden sich in der Phantasie nicht etwa wie etwas Körperliches im Körperlichen, sondern auf eine gewisse geistige Art. Darum wird auch von Augustin das von der Einbildungskraft bewirkte Schauen als ein geistiges bezeichnet. - Wenn nun schon auf dem Gebiet der Phantasietätigkeit Etwas auf nicht körperliche Weise hervorgehen kann, so wird dies umsomehr bei der Tätigkeit des Verstandes eintreten, der nicht einmal bei seiner Tätigkeit eines körperlichen Organs bedarf, dessen Tätigkeit vielmehr vollständig immateriell ist. Es geht nämlich das (innere) Wort bei der Verstandestätigkeit hervor als etwas, was im Verstand dessen, der das innere Wort spricht, existiert; nicht als wäre es etwa örtlich in ihm enthalten oder etwa körperlich von ihm geschieden, sondern so, dass es in ihm existiert (einfach) auf Grund des Ursprunges; und dasselbe gilt von dem Hervorgehen auf dem Gebiet der Willenstätigkeit, insofern der geliebte Gegenstand im Liebenden existiert, wie oben (Kap. 45) gesagt ward.

Obwohl nun aber die intellektiven und sensitiven Kräfte ihrem Begriff und Wesen nach höher sind als jene der vegetativen (der Pflanzen-)Seele, so geht doch weder bei den Menschen noch bei den Tieren bei diesem Hervorgehen, das auf dem Gebiet der Phantasie oder dem der sensitiven Tätigkeit statthat, etwas hervor, das in derselben spezifischen Natur subsistiert (welches physisch als ein Wesen gleicher Art seinen Selbstand gewinnt). Dies ist vielmehr nur der Fall bei jenem Hervorgehen, das auf dem Gebiet der vegetativen Seelentätigkeit sich vollzieht. Der Grund hiervon ist der, dass bei allen aus Materie und Form zusammengesetzten Dingen die Vervielfältigung der Individuen derselben Art durch Teilung der Materie stattfindet. Deshalb vollzieht sich bei den Menschen und den Tieren, da sie aus Materie und Form zusammengesetzt sind, die Vervielfältigung der Individuen derselben Spezies durch körperliche Teilung (Ausscheidung des männlichen Samens und des weiblichen Eies), die nur auf dem Gebiet der vegetativen Seelentätigkeit, nicht aber auch auf dem der übrigen Seelentätigkeiten sich findet. Bei jenen Dingen aber, die nicht aus Materie und Form zusammengesetzt sind, kann sich keine andere Unterscheidung (oder Teilung) finden, ausser einer formalen (d. h. einer solchen, die nicht auf der bloß stofflichen Teilung beruht, sondern auf dem Unterschied der Form, d. h. des Gestaltungs- oder Wesensprinzips).

Ist nun die Form, welche die Unterscheidung (Teilung) begründet, die Substanz des Dinges, so muss jene Unterscheidung eine solche von subsistierenden Dingen (von Dingen, die Selbstand haben) sein; nicht aber ist dies dann der Fall, wenn jene Form nicht die Substanz (das Subjekt) des Dinges bildet. - Es ist also, wie aus dem Gesagten hervorgeht, ein allgemeines Gesetz für jeden Verstand, dass das, was im Verstand erfasst und aufgefasst wird, aus dem Denkenden, insofern er denkend ist, gewissermaßen hervorgeht, und sich durch eben dieses Hervorgehen von dem Denkenden in gewissem Sinne unterscheidet. So unterscheidet sich die Auffassung (conceptio) des Verstandes, welche eben das verstandene, gedachte, geistige Bild des Erkenntnis-Denkgegenstandes (intentio) ist, von dem denkenden Verstand; und ebenso muss die Gemütsbewegung des Liebenden, vermöge welcher der geliebte Gegenstand im Liebenden ist, aus dem Willen des Liebenden hervorgehen, insofern er liebend ist.

(Während dies aber bei jeglichem Verstand und Willen der Fall ist), hat der göttliche Verstand das Eigentümliche an sich, dass, weil sein Denken nichts anderes als sein ganzes Sein und Wesen ist, die Auffassung des Verstandes (das innere Wort), welche das gedachte Bild der erkannten Sache ist, seine Substanz ist, und das gleiche ist der Fall mit der Gemütsbewegung (affectio) in Gott, insofern er liebt. Daraus folgt, dass der Gedanke des göttlichen Verstandes - sein Wort - von dem, der es hervorbringt (spricht), nicht in Bezug auf das substantielle Sein sich unterscheidet, sondern nur dadurch, dass das Eine aus dem Andern hervorgeht. Das Gleiche ist der Fall mit der Gemütsbewegung der Liebe im liebenden Gott, - dem Heiligen Geist.

Wie man sieht, steht also nichts im Weg, dass das Wort Gottes - der Sohn - eins mit dem Vater ist der Wesenheit nach, und doch wieder von ihm sich unterscheidet durch das Verhältnis (die Relation) des Ausgehens von ihm. Daraus ergibt sich klar, dass nicht (wie oben Kap. 51 eingewendet ward) ein und dieselbe Sache aus sich selbst entsteht und hervorgeht; denn der Sohn ist, insofern und insoweit er vom Vater hervorgeht, von diesem verschieden; und dasselbe Verhältnis besteht beim Hl. Geiste dem Vater und Sohn gegenüber. Cg. IV, 11.

53. Kapitel: Die Relationen, durch welche Vater, Sohn und Hl. Geist unterschieden werden, sind real und nicht bloß gedachte

Die Relationen (Beziehungen, dieses gegenseitige Verhältnis), durch welche Vater, Sohn und hHl. Geist von einander unterschieden werden, sind reale Relationen und nicht bloß im Denken vorhandene (begriffliche, gedachte). Jene Beziehungen sind bloß gedachte (nur im Denken vorhandene), welche aus Etwas sich ergeben, das nicht in der (von unserm Denken unabhängigen) Außenwelt, sondern nur in unserer Auffassung (unserm Denken, in unsrer Gedankenwelt) sich findet. So sind z. B. die Begriffe rechts und links (rechte und linke Seite) vom Stein gebraucht nicht reale, sondern nur gedachte Relationen (Beziehungen, die derselbe zu irgend einem andern Ding hat); denn sie ergeben sich nicht aus einer realen im Stein existierenden Kraft, sondern nur daraus, dass der Wahrnehmende den Stein z. B. als links auffasst, weil er links von einem Tier sich befindet. Dagegen sind die Begriffe links und rechts bei einem Tier reale Relationen; denn sie ergeben sich aus organischen Tüchtigkeiten, die in bestimmten Teilen des Tieres sich finden (unde qualitercunque vertatur animal, semper relatio codem modo manet; nunquam enim pars dextera sinistra dicetur. Res vero inanimatae, quae praedictis virtutibus carent, non habent in se hujusmodi relationem realiter existentem, sed nominantur secundum relationem dextri aut sinistri ex eo, quod animalia aliquo modo se habent ad ipsum; unde eadem columna nunc dextra nunc sinistra dicitur, secundum quod animal ex diverso situ ei comparatur. Cg. IV, 14 n. 8). Da nun die Beziehungen, durch welche Vater, Sohn und Hl. Geist unterschieden werden, in Gott real existieren, so sind auch diese Beziehungen reale Relationen und nicht bloß gedachte. 1 q 27 a 1; Cg. IV, 14 n. 8.

54. Kapitel: Diese Relationen haften Gott nicht in akzidenteller Weise an

Es ist aber unmöglich, dass diese (gegenseitigen) Beziehungen Gott nur in akzidentieller Weise anhaften; einmal, weil die Tätigkeit, deren unmittelbare Folge diese Beziehungen sind, nichts anderes als die Substanz Gottes selbst sind; sodann, weil, wie oben (Kap. 23) gezeigt ward, in Gott überhaupt ein Akzidenz sich nicht vorfinden kann. Finden sich nun diese gegenseitigen Beziehungen real in Gott vor, so können sie nicht in bloß akzidentieller Weise an ihm sich vorfinden, sondern müssen subsistent (in sich und auf sich selbst stehend, selbständig) sein. Wie aber das, was bei anderen Dingen nur ein Akzidenz (etwas zum selbstständigen Wesen erst noch hinzukommendes) ist, in Gott substantiell (ein selbständiges Ding) sein kann, erhellt aus dem seither Gesagten. 1 q 28 a 2. Cg. II, 14 n. 9.

55. Kapitel: Durch diese Relationen wird in Gott der persönliche Unterschied begründet

Es wird also in Gott eine Unterscheidung begründet durch die gegenseitigen Beziehungen, die nicht etwas erst zur Substanz (zu einem in sich und für sich schon bestehenden Ding) hinzukommendes, sondern etwas Subsistentes, (etwas auf sich und in sich selbst Bestehendes) sind. Nun aber ist die Unterscheidung, welche zwischen subsistenten Wesen auf dem ganzen Gebiet der vernünftigen Natur sich findet, eine Unterscheidung von Person zu Person; es wird also durch diese gegenseitigen Beziehungen in Gott ein persönlicher Unterschied begründet. Der Vater also, der Sohn und der Hl. Geist sind drei Personen - oder auch drei Hypostasen, denn der Name Hypostase bezeichnet etwas in sich Abgeschlossenes, das in sich und durch sich selbst besteht (Selbstand hat). 1. q 29. a 4.

56. Kapitel: In Gott können nur drei Personen sein

1. Es ist unmöglich, dass in Gott mehr als drei Personen sind. Denn die göttlichen Personen können nicht vermehrt werden durch die Teilung der Substanz, sondern nur infolge der, durch das Hervorgehen (der einen aus der andern) begründete gegenseitigen Beziehung, und zwar nicht irgend welchen beliebigen Hervorgehens, sondern nur eines solchen, das zum Zielpunkt nicht etwas außerhalb der göttlichen Natur Liegendes hat. Hätte es etwas Außergöttliches zum Zielpunkt, so würde dies nicht die göttliche Natur besitzen, und so könnte es nicht eine göttliche Person oder Hypostase sein. Ein Hervorgehen in Gott, das nicht etwas Äußeres zum Zielpunkt hat, kann es nur nach zwei Richtungen hin geben: nämlich durch die Tätigkeit des Verstandes, wodurch das Wort, und durch die Willenstätigkeit, wodurch die Liebe ausgeht, wie oben (Kap. 37 u. 45) bemerkt ward. Es kann also keine weitere hervorgehende göttliche Person geben als jene, welche hervorgeht als Wort, die wir Sohn nennen, und jene, welche als Liebe hervorgeht, die wir Hl. Geist nennen. 1. q 27. a 5.

2. Da ferner Gott mit einem einzigen Blick seines Verstandes Alles (zugleich auf einmal) erfasst und mit einem einzigen Akt seines Willens Alles (zugleich auf einmal) liebt, kann es unmöglich in Gott mehr als ein Wort und mehr als eine Liebe geben. Da nun der Sohn hervorgeht als das Wort, der Hl. Geist aber als die Liebe, so kann es unmöglich in Gott mehr als einen Sohn und mehr als einen Hl. Geist geben. 1. q 27. a 5 ad. 3m; Cg. IV, 26. n. 1.

3. Vollkommen ist das, außer dem sich nichts (von der gleichen Art) findet. Was also neben sich noch etwas von gleicher Art mit sich zulässt, das ist nicht schlechthin (nach allen Seiten hin) vollkommen. Darum finden sich alle jene Dinge, die auf ihrem Naturgebiet nach allen Seiten hin vollkommen sind, nicht der Zahl nach vervielfältigt vor: wie Gott und (nach der alten Naturanschauung) Sonne und Mond und dergleichen. Es muss aber sowohl Sohn als Hl. Geist nicht bloß nach dieser oder jener Seite hin, sondern nach allen Seiten hin, also, schlechthin, vollkommen sein, da beide Gott sind, wie gezeigt ward. Es kann also unmöglich mehr als einen Sohn und mehr als einen Hl. Geist geben.

4. Dasjenige, wodurch ein in sich und für sich bestehendes Wesen gerade dieses bestimmte, von allen Übrigen unterschiedene Ding ist, kann unmöglich der Zahl nach vermehrt werden, weil der Individualbegriff nicht von mehreren ausgesagt werden kann. Nun ist durch die Sohnschaft der Sohn gerade diese bestimmte in sich und für sich bestehende und von allen übrigen unterschiedene göttliche Person - wie es Sokrates durch seine Individuationsprinzipien (durch die ihn als Einzelwesen konstituierenden Eigentümlichkeiten) gerade diese bestimmte menschliche Person ist (und keine andere). Wie also die Individuationsprinzipien, durch welche Sokrates gerade dieser bestimmte Mensch (und kein anderer) ist, nur einen einzigen (Menschen) zukommen können, so kann auch die Sohnschaft (als das Individuationsprinzip des Sohnes) in Gott nur einem einzigen zukommen; und dasselbe ist der Fall mit dem gegenseitigen Verhältnis von Vater und Hl. Geist. Es kann also unmöglich in Gott mehr als einen Vater, oder als einen Sohn, oder als einen Hl. Geist geben.

5. Was der Form (der Wesensbestimmtheit) nach eins ist, kann der Zahl nach vervielfältigt werden nur auf Grund des stofflichen Substrates. So ist die weiße Farbe eine der Zahl nach mehrfache nur auf Grund der verschiedenen Dinge, an denen sie sich findet. In Gott nun gibt es nichts stoffliches. Was also der Wesensbestimmtheit nach eins ist in Gott, kann unmöglich der Zahl nach vermehrt werden. Derart aber sind eben Vaterschaft, Sohnschaft und das Hervorgehen des Hl. Geistes (von denen also keine, weil sie in Gott nicht ein stoffliches Substrat hat, in mehreren Subjekten existieren kann). Es kann also in Gott unmöglich mehr als einen Vater, oder einen Sohn, oder einen Hl. Geist geben. Cg. IV, 26. n. 2.

57. Kapitel: Von den Eigentümlichkeiten oder Nationen in Gott. Ihre Zahl im Vater

Da nun eine bestimmte Anzahl von Personen in Gott existiert, so müssen auch die Eigentümlichkeiten der Personen, durch die sie sich gegenseitig von einander unterscheiden, in einer bestimmten Anzahl sich finden. Drei von ihnen kommen dem Vater zu: eine, wodurch er sich vom Sohn allein unterscheidet - die Vaterschaft; eine andere, wodurch er sich von Beiden , dem Sohn sowohl als dem Hl. Geist unterscheidet und das ist das Nichtgeborenwerden(-sein), weil der Vater nicht Gott ist, der von einem andern ausgeht, wie das bei Sohn und Hl. Geist der Fall ist: die dritte endlich, wodurch der Vater zugleich mit dem Sohn vom Hl. Geist sich unterscheidet - die gemeinsame Hauchung. Eine Eigentümlichkeit hingegen, durch welche der Vater sich vom Hl. Geist all ein unterscheidet, lässt sich nicht anführen, weil Vater und Sohn (zusammen) ein einziges Prinzip des Hl. Geistes sind, wie (Kap. 49) gezeigt ward. 1. q 32 a 3.

58. Kapitel: Zahl der Eigentümlichkeiten des Sohnes und des Hl. Geistes

Dem Sohn aber müssen zwei (Eigentümlichkeiten) zukommen: eine, wodurch er sich vom Vater unterscheidet - die Sohnschaft; und eine andere wodurch er zugleich mit dem Vater sich vom Hl. Geist unterscheidet - die gemeinschaftliche Hauchung. Eine Eigentümlichkeit dagegen, wodurch er sich vom Hl. Geiste allein (für sich genommen) unterscheidet, lässt sich nicht anführen, weil, wie gesagt, Vater und Sohn zusammen ein einziges Prinzip des Hl. Geistes sind. Desgleichen lässt sich auch keine Eigentümlichkeit angeben, durch welche Sohn und Hl. Geist zusammen sich vom Vater unterscheiden würden. Der Vater unterscheidet sich nämlich von ihnen nur durch eine einzige Eigentümlichkeit - das Nichtgeborensein, insofern er nämlich nicht eine ausgehende Person ist. Weil aber Sohn und Hl. Geist nicht durch einen einzigen Ausgang hervorgehen, sondern durch mehrere, so werden sie durch zwei Eigentümlichkeiten vom Vater unterschieden. - Der Hl. Geist endlich hat nur eine einzige Eigentümlichkeit, durch die er von Vater und Sohn sich unterscheidet - den Ausgang: denn wie aus dem Gesagten hervorgeht, kann es keine Eigentümlichkeit geben, durch welche der Hl. Geist vom Vater oder vom Sohn allein für sich unterschieden wäre. Es gibt also fünf Eigentümlichkeiten, welche den Personen zukommen: das Nichtgeborensein, die Vaterschaft, die Sohnschaft, die Hauchung und der Ausgang. 1. q 32 a 3.

59. Kapitel: Grund, weshalb man diese Eigentümlichkeiten Merkmale nennt

Diese fünf Dinge können nun zwar Merkmale (Kennzeichen) der Personen genannt werden, weil durch sie uns der Unterschied der Personen in Gott bemerkbar (kenntlich) wird; dagegen können wir diese fünf nicht (sofort) als Eigentümlichkeiten der Personen bezeichnen, wenn man beim Begriff von Eigentümlichkeit darauf Nachdruck legt, dass man "eigentümlich" das nennt, was einem einzigen Ding ausschließlich zukommt - denn die gemeinschaftliche Hauchung kommt sowohl dem Vater als dem Sohn zu. Nimmt man jedoch das Wort "eigentümlich" in dem Sinn, dass wir damit das bezeichnen, was mehreren in Rücksicht auf ein drittes zukommt, wie z. B. der Begriff "zweifüßig" dem Menschen wie dem Vogel im Gegensatz zu den Vierfüsslern - so steht nichts im Weg, auch die gemeinschaftliche Hauchung als Eigentümlichkeit zu bezeichnen.

Weil nun aber in Gott die Personen bloß durch die Relationen (die gegenseitige Beziehung) sich von einander unterscheiden: die Merkmale aber das sind, wodurch uns der Unterschied der Personen kennbar wird, so müssen diese Merkmale einigermaßen mit den Relationen zusammenfallen.

Vier von ihnen sind (denn auch) wahre Relationen, durch welche die göttlichen Personen ihre gegenseitige Beziehung haben. Das fünfte Merkmal dagegen - das Nichtgeborensein - gehört ins Gebiet der Relationen, als Negation der Relation; denn die Negationen lassen sich (logisch wie sachlich) auf das Gebiet der (ihnen entsprechenden) Affirmationen zurückführen, ebenso, wie die Privationen auf das der (ihnen entgegengesetzten) habitus (Zuständlichkeiten). So wird der Begriff Nicht-Mensch auf das Gebiet Mensch, der Begriff Nicht-Weiß auf das Gebiet weiß zurückgeführt.

Es ist aber zu beachten, dass von den Relationen, durch welche die (göttlichen) Personen in gegenseitiger Beziehung stehen, einige einen eigenen Namen haben, wie die Vaterschaft und die Sohnschaft, die eine Relation im eigentlichen Sinn bezeichnen; andere aber sind ohne (besonderen) Namen. Dies sind jene Relationen, durch welche der Vater und Sohn zum Hl. Geist, und dieser wieder zu jenen in gegenseitiger Beziehung steht. Hier bedienen wir uns statt des Namens der Relation des Namens des Ursprungs. Denn die Namen "gemeinsame Hauchung" und "Ausgang" bezeichnen offenbar den Ursprung, nicht aber die auf den Ursprung (erst) sich gründende Relation, wie man dies bei den Relationen von Vater und Sohn sehen kann. Der Name Erzeugung bezeichnet nämlich den aktiven Ursprung, und hierauf gründet sich die Relation der Vaterschaft; während der Name Geburt den passiven Ursprung des Sohnes bezeichnet, und hierauf gründet sich die Relation der Sohnschaft. In gleicher Weise gründet sich also auch auf die gemeinsame Hauchung, wie nicht minder auf den Ausgang eine Relation.

Weil aber diese (letzteren) Relationen keinen eigenen Namen haben, so bedienen wir uns an Stelle des Namens der Relationen jener der (die Relationen begründenden) Akte.

60. Kapitel: Trotz der Vierzahl der in Gott subsistierenden Relationen gibt es doch nur drei göttliche Personen

Obwohl nun die subsistierenden Relationen (die in sich und auf sich selbst stehenden gegenseitigen Beziehungen) in Gott nichts anderes, als die göttlichen Personen selbst sind, wie gesagt ward (Kap. 55), so muss es doch nicht nach der Zahl der Relationen vier oder fünf Personen (in Gott) geben. Die Zahl setzt nämlich immer irgend welche TeiIung voraus. Wie nämlich das Eins (die Einheit) etwas Unteilbares oder Ungeteiltes ist, so ist die Mehrzahl etwas Teilbares oder Geteiltes. Damit also eine Mehrzahl von Personen (in Gott) vorhanden sei, ist erforderlich, dass die Relationen teilende (trennende) Kraft haben auf Grund des Gegensatzes; denn eine formale Teilung (im Gegensatz zu einer bloß materialen, stofflichen) kann nur statthaben auf Grund des Gegensatzes. Betrachten wir nun die genannten Relationen näher, so sehen wir, dass die Vaterschaft und Sohnschaft gegenseitig in einem relativen Gegensatz stehen, sodass sie sich nicht in ein und demselben Subjekt zusammen finden können. Deshalb müssen Vaterschaft und Sohnschaft zwei subsistente (in sich und auf sich stehende) Personen sein; dagegen steht das Nichtgeborensein zwar im Gegensatz zur Sohnschaft, nicht aber zur Vaterschaft; deshalb können die Vaterschaft und das Nichtgeborensein ein und derselben Person zukommen. Desgleichen ist die gemeinsame Hauchung weder der Vaterschaft noch der Sohnschaft noch auch dem Nichtgeborensein entgegengesetzt. Deshalb steht nichts im Weg, dass die gemeinsame Hauchung sowohl in der Person des Vaters als auch in der des Sohnes sich findet. Darum ist die gemeinsame Hauchung nicht eine Person, die ein von der Person des Vaters und des Sohnes getrenntes Fürsich- und Insichsein hat. Der Ausgang (des Hl. Geistes) hingegen steht im relativen Gegensatz zur gemeinsamen Hauchung. Da also die gemeinsame Hauchung dem Vater wie dem Sohn zugehört, so muss der Ausgang eine andere Person sein als die Person von Vater und Sohn.

Daraus ergibt sich auch, warum Gott nicht fünffältig heißt (etwa) wegen der fünffachen Zahl der Merkmale (Kennzeichen), sondern dreifaltig wegen der Dreizahl der Personen. Denn die fünf Merkmale sind nicht fünf in sich und für sich selbst bestehende Dinge, - wohl aber sind die drei Personen drei in sich und für sich bestehende Dinge. Kommen also auch ein und derselben Person mehrere Merkmale oder Eigentümlichkeiten zu, so ist es doch nur eine derselben, welche die Person begründet. Denn die Begründung der Person durch die Eigentümlichkeiten vollzieht sich nicht etwa derart, dass letztere durch mehrere konstituiert würde, sondern so, dass die relative EigentümIichkeit selbst als in sich und für sich bestehend Person ist. Wären also (bei einer Person) mehr als eine Eigentümlichkeit als getrennt für sich und in sich bestehend denkbar, so hätten wir auch sofort mehrere Personen und nicht bloß Eine.

Von mehreren Eigentümlichkeiten oder Merkmalen nun, die einer einzigen Person zukommen, begründet jene, welche den übrigen der Ordnung der Natur nach vorausgeht, die Person, während die übrigen als der schon konstituierten (begründeten) Person anhaftend zu denken sind. Nun kann aber offenbar das Nichtgeborensein nicht das erste Merkmal des Vaters sein, durch das seine Person begründet würde; einmal, weil durch eine (blosse) Negation nichts begründet wird, sodann, weil die Affirmation der Natur nach der Negation vorausgeht. Die gemeinsame Hauchung setzt aber der Ordnung der Natur nach die Vaterschaft und Sohnschaft voraus, wie der Ausgang der Liebe den Ausgang des (geistigen) Wortes. Deshalb kann auch die gemeinschaftliche Hauchung nicht das erste Merkmal des Vaters sein, ebensowenig als das des Sohnes. Also ist das erste Merkmal des Vaters die Vaterschaft, das des Sohnes aber die Sohnschaft, während der Hl. Geist überhaupt nur Ein Merkmal hat, den Ausgang. Es gibt also drei, Personen begründende Merkmale: die Vaterschaft, die Sohnschaft und den Ausgang. Diese Merkmale müssen notwendig Eigentümlichkeiten (im strengen, exklusiven Sinne) sein. Was nämlich die Person (im eigentlichen Sinn) begründet, darf nur dieser Person (ausschließlich) allein zukommen; denn die Individuationsprinzipien (das was das Einzelwesen als solches begründet) dürfen nur dieser Person allein zukommen.

Es werden deshalb die genannten drei Merkmale persönliche Eigentümlichkeiten genannt, weil sie auf vorgenannte Weise die drei Personen begründen. Die übrigen aber werden zwar Eigentümlichkeiten oder Merkmale der Personen, nicht aber persönliche Eigentümlichkeiten genannt, weil sie die Personen nicht (erst) begründen. 1 q 40 a 2.

61. Kapitel: Denkt man sich in Gott die persönlichen Eigentümlichkeiten hinweg, so verschwinden auch die Hypostasen

Entfernt man im Denken die persönlichen Eigentümlichkeiten in Gott, so verschwinden auch die Hypostasen. Bei der Auflösung (eines Dinges), die wir in unserm Denken vornehmen, bleibt, wenn wir die Form entfernten, noch das Subjekt der Form; so bleibt, wenn wir uns z. B. die weiße Farbe wegdenken, (als Subjekt) noch die Fläche (auf der sie sich findet); denken wir uns auch diese hinweg, so bleibt noch die Substanz des Dinges (da die Fläche, die Ausdehnung nicht die Substanz, sondern nur ein der Substanz anhaftendes Akzidenz ist); denken wir uns nun auch die (substantielle) Form hinweg, so bleibt (da jede körperliche Substanz aus Materie und substantieller Form zusammengesetzt ist) nur noch die Materie prima (das letzte Subjekt jeglicher körperlichen Substanz) übrig; denken wir uns aber (auch diese als) das letzte Subjekt hinweg, dann bleibt nichts mehr übrig. Nun aber sind die persönlichen Eigentümlichkeiten nichts anderes als eben die in sich und für sich bestehenden Personen (das letzte Subjekt, der Träger). Sie begründen auch nicht die Personen in der Weise, als kämen sie erst zu einem vorher schon bestehenden Suppositum (Träger) erst hinzu; denn in Gott kann nichts unterschieden sein, was absolut (an sich) ist, sondern nur was eine gegenseitige Beziehung zu einem andern hat (wie Vater zu Sohn). Entfernen wir also mit unserem Denken die persönlichen Eigentümlichkeiten in Gott, so bleiben in ihm keine von einander unterschiedene Personen mehr übrig; wohl aber bleiben diese noch, wenn wir uns die nicht (im strengen Sinne siehe oben Kap. 60) persönlichen Merkmale wegdenken. 1 q 40 a 3.

62. Kapitel: Die göttliche Wesenheit bleibt, auch wenn man sich die persönlichen Eigentümlichkeiten in Gott wegdenkt

Fragt man aber weiter, ob auch die göttliche Wesenheit noch bleibt, wenn man die persönlichen Eigentümlichkeiten wegdenkt, so ist zu sagen, dass sie in gewissem Sinne bleibt, in einem andern aber nicht. Die Auflösung nämlich, die wir im Denken vollziehen, kann eine doppelte sein. Die eine ist jene, welche sich vollzieht durch die Hinwegnahme der Form von der Materie (vgl. das Beispiel oben Kap. 61). Hier schreitet man von dem, was mehr formal (bestimmt) ist, zu dem fort, was mehr material (unbestimmt) ist; das was das letzte Subjekt ist (und das ist die materia prima) bleibt bis zuletzt; die letzte und höchste Form aber wird zuerst entfernt (siehe oben Kap. 61). Die andere (im Denken vollzogene) Auflösung aber besteht darin, dass das Allgemeine von dem Besondern abstrahiert (losgelöst) wird, und hierbei verhält es sich gerade umgekehrt. Denn hier werden zuerst die materiellen, die Individuation bewirkenden Bedingungen (durch das Denken) entfernt, um zum Allgemeinbegriff zu gelangen (wir abstrahieren z. B. von den individuellen Eigentümlichkeiten eines einzelnen bestimmten Löwenindividuums, um den Allgemeinbegriff "Löwe" zu erhalten). Obwohl nun bei Gott weder von Materie und Form, noch von Allgemeinem und Besonderem die Rede sein kann, so gibt es doch in Gott etwas Gemeinschaftliches und etwas Eigentümliches, und ein Suppositum der gemeinschaftlichen Natur (einen Träger, Inhaber der g. Natur). Die Personen aber verhalten sich zur Wesenheit nach unserer Auffassung, wie die einzeln für sich seienden Suppositen (Träger, Inhaber) zur gemeinschaftlichen Natur (die sie tragen, innehaben). Nach der ersten Art der in unerm Denken vollzogenen Auflösung bleibt nach Hinwegnahme der persönlichen Eigentümlichkeiten, welche eben nichts anderes als die in sich und für sich bestehenden Personen sind, die gemeinschaftliche Natur nicht mehr übrig; wohl aber ist dies der Fall bei der zweiten Art der Auflösung. 1 q 40 a 3.

63. Kapitel: Verhältnis zwischen den persönlichen Akten und den persönlichen Eigentümlichkeiten

Aus dem Gesagten kann man ersehen, welches begriffliche Verhältnis zwischen den persönlichen Akten und den persönlichen Eigentümlichkeiten obwaltet. Die persönlichen Eigentümlichkeiten sind subsistierende Personen; eine subsistente Person aber in jeder Natur handelt (wirkt), indem sie ihre Natur mitteilt kraft ihrer Natur (nicht zunächst kraft ihrer Person); denn die spezifische Wesensform ist (zunächst) das Prinzip, kraft dessen ein Wesen derselben Spezies (Art) erzeugt wird. Da nun die persönlichen Akte in Gott in der Mitteilung der göttlichen Natur bestellen, so muss die subsistente (in sich und für sich bestehende) Person die gemeinschaftliche Natur kraft dieser Natur selbst mitteilen. Daraus ergibt sich eine doppelte Folgerung: Die erste ist, dass die erzeugende Kraft im Vater die göttliche Natur selbst ist; denn die Kraft, alles zu wirken, ist auch das Prinzip, kraft dessen etwas gewirkt (vollzogen) wird. Die zweite Folgerung ist, dass der persönliche Akt, die Erzeugung nämlich, begrifflich sowohl die göttliche Natur, als auch die persönliche Eigentümlichkeit des Vaters, die nichts anderes als die Hypostase des Vaters selbst ist, voraussetzt, obwohl andrerseits diese Eigentümlichkeit, insofern sie eine Relation ist, eine Folge dieses (persönlichen) Aktes (der Erzeugung) ist. Betrachtet man also den Vater als subsistente Person, so kann man sagen: weil er Vater ist, erzeugt er (den Sohn); betrachtet man ihn aber vom Standpunkt der Relation aus, so scheint man umgekehrt sagen zu müssen: weil er (den Sohn) erzeugt, darum ist er Vater. 1 q 42 a 3; q 40 a 4.

64. Kapitel: Unterschied der Erzeugung bei Vater und bei Sohn

In anderer Weise gestaltet sich jedoch das Verhältnis zwischen der aktiven Erzeugung (dem Erzeugen) und der Vaterschaft, und das zwischen der passiven Erzeugung (dem Erzeugtwerden) und der Sohnschaft. Die aktive Erzeugung setzt der Ordnung der Natur nach die erzeugende Person voraus; die passive Erzeugung oder Geburt aber geht der Naturordnung nach der erzeugten Person voraus, weil der Geburt (im weiteren Sinn, von der Empfängnis beginnend) die erzeugte Person es verdankt, dass sie überhaupt existiert. So also setzt die aktive Erzeugung begrifflich die (persönliche Eigentümlichkeit der) Vaterschaft, insofern sie die Person des Vaters begründet, voraus; die Geburt hingegen setzt die (persönliche Eigentümlichkeit der) Sohnschaft, insofern sie die Person des Sohnes begründet, nicht voraus, sondern geht ihr vielmehr in einem doppelten Sinn voran, nämlich sowohl insofern sie die Person begründet als auch insofern sie Relation (gegenseitige Beziehung des Erzeugten zum Erzeuger) ist. Das Gleiche gilt bezüglich des Ausganges des Hl. Geistes. 1 q 40 a 4.

65. Kapitel: Der Unterschied der notionalen Akte von den Personen ist kein realer, sondern nur ein gedachter

Indem wir das Verhältnis, das zwischen den notionalen Akten (den persönlichen Akten, in der Mitteilung der göttlichen Natur bestehend) und den notionalen (persönlichen) Eigentümlichkeiten obwaltet, entwickelten, wollten wir damit nicht behaupten, dass zwischen den notionalen Akten und den persönlichen Eigentümlichkeiten ein realer Unterschied bestehe, sondern nur ein in unserm Denken vorhandener (ein begrifflicher, gedachter). Wie nämlich das Erkennen Gottes nichts anderes, als der erkennende Gott selbst ist: so ist auch die Erzeugung des Vaters (dieser notionale Akt) nichts anderes, als der erzeugende Vater selbst, obgleich die Ausdrucksweise eine verschiedene ist. Obgleich ferner eine einzige Person mehrere Merkmale hat, so findet sich doch in ihr keinerlei Zusammensetzung. Denn das Nichtgeborensein kann, weil eine negative Eigentümlichkeit, keine Zusammensetzung bewirken. Die zwei Relationen aber, die in der Person des Vaters sich finden - die Vaterschaft und die gemeinsame Hauchung - sind rücksichtlich der Person des Vaters der Sache nach eins und dasselbe; denn wie die Vaterschaft der Vater ist, so ist auch die gemeinsame Hauchung im Vater der Vater, und im Sohn der Sohn. Sie unterscheiden sich jedoch rücksichtlich dessen, auf was sie ihre Beziehung haben; denn durch die Vaterschaft steht der Vater in Beziehung zum Sohn, durch die gemeinsame Hauchung in Beziehung zum Hl. Geist; desgleichen der Sohn durch die Sohnschaft zum Vater, durch die gemeinsame Hauchung aber zum Hl. Geist.

66. Kapitel: Die relativen Eigentümlichkeiten sind die göttliche Wesenheit selbst

1. Die relativen Eigentümlichkeiten (jene Eigentümlichkeiten, welche durch ihre gegenseitige Beziehung einen Gegensatz in Gott begründen) müssen die göttliche Wesenheit selbst sein. Denn die relativen Eigentümlichkeiten sind nichts anderes als die subsistierenden Personen selbst; die subsistierende Person in Gott aber kann nichts anderes sein als die göttliche Wesenheit selbst; die göttliche Wesenheit aber ist, wie oben (Kap. 10) gezeigt ward, nichts anderes als Gott selbst. Also sind die relativen Eigentümlichkeiten der Sache nach dasselbe, wie die göttliche Wesenheit. Cg. IV. 14 n. 6.

2. Was in einem Ding außer oder neben seiner Wesenheit sich (noch) findet, das haftet ihm (nicht wesentlich, sondern nur zufällig) akzidentell an. In Gott aber kann, wie oben (Kap. 23) gezeigt ward, kein Akzidenz sich finden. Die relativen Eigentümlichkeiten sind also der Sache nach nichts anderes als die göttliche Wesenheit. 1. q 28. a 2. Cg. IV, 14. n. 9.

67. Kapitel: Die Relationen sind nicht etwas Gott äußerliches, wie die Porretaner behaupten

1. Man kann auch nicht behaupten, die genannten Relationen seien nicht den Personen etwas (wesentlich) Innerliches, (mit ihnen Identisches) sondern hätten nur eine äußere Beziehung zu ihnen, wie die Porretaner (die Anhänger des exzessiven Realisten Gilbert de la Porré † 1154) behaupten. Denn die realen Relationen müssen in den Dingen selbst sein, die in Relation (Beziehung) stehen. Dies zeigt sich klar bei den geschöpflichen Dingen; in ihnen finden sich die realen Relationen wie Akzidentien in ihren Subjekten (Trägern Inhabern). Nun sind aber die Relationen, durch welche die göttlichen Personen in gegenseitiger Beziehung stehen, reale Relationen, wie oben (Kap. 53) gezeigt ward; also müssen sie in den göttlichen Personen selbst (nicht neben oder ausser ihnen) sich vorfinden; allerdings nicht als Akzidentien. Denn auch alles übrige, was bei den Geschöpfen den Charakter des Akzidens an sich trägt, verliert, auf Gott übertragen, diesen Charakter - (wird etwas Wesentliches, identisch mit dem göttlichen Wesen selbst) wie z. B. die Weisheit, Gerechtigkeit u. a. dergleichen wie oben (Kap. 23) gezeigt ward.

2. In Gott kann eine Unterscheidung einzig und allein nur statthaben auf Grund der Relationen (der gegenseitigen Beziehung des Vaters zum Sohn, des Sohnes zum Vater usw.). Denn alles was absolut (nicht in Beziehung zu einer andern Person) von Gott ausgesagt wird, ist gemeinsam. Stehen also die Relationen nur in einem äußern Verhältnis zu den Personen (sind sie ihnen also nicht innerlich, nicht mit ihnen identisch) so bleibt kein Unterschied zwischen den Personen mehr übrig. Es sind also die relativen Eigentümlichkeiten in den Personen selbst, so jedoch, dass sie (mit den Personen identisch sind), nichts anderes als die Personen selbst, sowie auch die göttliche Wesenheit selbst sind, wie man ja auch von der Weisheit und Güte sagt, sie seien in Gott, während sie nichts anderes sind als Gott selbst und die göttliche Wesenheit, wie oben (Kap. 22) gezeigt ward. l. q 28. a 2.

  • Eugen III. auf dem Konzil von Rheims 1148: Credimus et confitemur, solum Deum Patrem, Filium et Spiritum sanctum aeternum esse, nec aliquas omnino res, sive relationes, sive proprietates, sive singularitates vel unitates dicantur, vel alia hujusmodi adesse Deo, quae sint ab aeterno et non sint Deus.

68. Kapitel: Von der Bewirkung des Seins

1. Nachdem wir die Einheit des göttlichen Wesens, sowie die Dreiheit der Personen betrachtet haben, erübrigt noch, von den Werken der Dreifaltigkeit (von dem durch die Dreifaltigkeit bewirkten) zu handeln. Das erste aber, was Gott an den Dingen bewirkt ist das Sein selbst; denn das Sein bildet die Voraussetzung sowie die Grundlage aller weiteren Wirkungen. Alles aber, dem das Sein in was immer für einem Sinn zukommt, muss dies Sein notwendig durch Gott haben (der Begriff des Seins kommt nicht bloß den wirklich (actu) existierenden Dingen, sondern auch jenen zu, die nur nach irgend einer Weise hin sind: nihil prohibetea, quae non sunt simpliciter, aliquo modo esse. Simpliciter enim, sunt, quae ac tu sunt (die wirklich, tatsächlich existierenden Dinge). Ea vero, quae non sunt acta, sunt in potentia (= das potentiale, mögliche Sein, das die Dinge nicht bloß im Denken des Menschen, sondern auch unabhängig vor ihm in der Ordnung der Dinge haben) vel ipsius Dei, vel creaturae, sive in potentia activa, sive in passiva, sive in potentia opinandi, ve] imaginandi vel quocunque modo significandi. 1. q 14. a 9).

Auf jedem Gebiet, auf dem sich eine, je nach dem höheren oder geringeren Grad irgend einer Vollkommenheit geordnete Stufenreihe von Wesen findet, ist jenes, welches in dieser Stufenreihe das erste und vollkommenste ist, zugleich auch die Ursache dieser Vollkommenheit in allen übrigen (welche diese Vollkommenheit in geringerem, abgeschwächtem Grad besitzen). So ist das Feuer, als das intensivste Naturagens auf dem Gebiet der Wärme die Ursache der Wärme bei allen andern mehr oder minder warmen Körpern. (Der Grund ist: ea, quae positive secundum magis et minus dicuntur, hoc habent ex accessu remotiori vel propinqniori ad aliquid unum: si enim unicuique eorum ex seipso illud conveniret, non esset ratio, cur perfectius in uno quam in alio inveniretur. De pot. q 3. a 5. Warum? Weil, was einem Ding kraft seiner eigenen Natur und Wesenheit zukommt, ihm nicht in vermindertem, abgeschwächtem Grade zukommen kann, weil jede Mehrung oder Minderung in Bezug auf Wesensbestimmungen sofort die Natur des Dinges zu einer andern macht. Si autem natura vel quidditate (Wesenheit) rei integra manente, aliquid minoratum inveniatur, jam patet quod illud non simpliciter dependit ex illa natura, sed ex aliqua alia, per cujus remotionem minoratur. Quod igitur alicui minus convenit, quam aliis, non convenit ei ex sua natura tantum, sed ex alia causa. lllud igitur erit causa omnium in aliquo genere, cui maxime convenit illius generis praedicatio, unde etiam, quod maxime calidum est, videmus esse causam caloris in omnibus calidis: et quod maxime lucidum, causam omnium lucidorum. Cg. II, 15 n. 2.) Immer nämlich sehen wir, dass das Unvollkommene seinen Ursprung hat aus dem Vollkommenen, wie der Same (der nur ein unvollkommenes Tier oder eine unentwickelte Pflanze ist) aus den (vollkommen ausgebildeten) Tieren und Pflanzen. Nun ward aber oben (Kap. 3) gezeigt, dass Gott das erste und vollkommenste Wesen auf dem Gebiet des Seins ist; also muss er allen übrigen Wesen, welche das Sein (in höherem oder geringerem Grad) haben, die Ursache ihres Seins sein. 1. q 44. a 1. Cg. II, 15 n. 2.

2. Eine jede Eigenschaft, die ein Ding (nicht kraft seiner Wesenheit, sondern) dadurch besitzt, dass es an der einem andern Wesen eigenen Güte partizipiert, teilhat, muss zurückgeführt werden als auf sein Prinzip und seine Ursache auf jenes Wesen, welches dieselbe kraft seiner eigenen Natur und Wesenheit besitzt. So besitzt das glühende Eisen die Feuereigenschaft (nicht kraft seiner eigenen Natur, sondern) vermittelst jenes Naturwesens, welches Feuer kraft seiner Natur und Wesenheit ist. Nun ward aber oben (Kap. 11) gezeigt, dass Gott sein Sein selbst ist; also kommt es ihm zu kraft seiner eigenen Natur und Wesenheit; allen übrigen Dingen aber kommt es nur zu durch Teilnahme, (dadurch dass sie ihr Sein haben, nicht aber ihr Sein sind, wie Gott). Denn bei keinem einzigen anderen Dinge ist die Wesenheit zugleich auch sein Dasein, weil das absolute, auf sich und in sich selbststellende Sein nur ein einziges sein kann, wie oben (Kap. 15) gezeigt ward. Also muss Gott für Alles, was da ist, die Ursache der Existenz sein. 1. q 44. a 1. Cg. II, 15 n. 4.

69. Kapitel: Gott setzt bei der Schöpfung der Dinge keine Materie voraus

1. Daraus geht aber hervor, dass Gott, wenn er die Dinge schafft, keiner Materie bedarf, um aus ihr die Dinge hervorzubringen. Denn keine wirkende Ursache bedarf zu ihrem Wirken jenes Gegenstandes, den sie durch ihre Tätigkeit erst hervorbringt. So braucht der Baumeister zu seiner (Bau-)Tätigkeit Steine und Holz, weil er diese durch sein eigenes Wirken nicht hervorbringen kann; wohl aber bringt er das Haus durch seine Tätigkeit zustande, und setzt dasselbe nicht voraus. Nun wird aber selbst die Materie (die materia prima, welche das letzte Substrat alles Werdens in der Welt ist) notwendiger Weise durch Gottes Wirken hervorgebracht, weil, wie oben (Kap. 68) gezeigt ward, Alles, was nur in irgend einer Weise (sei es actu, sei es potentia) ist, Gott als Ursache seiner Existenz hat. Also setzt Gott bei seinem Wirken auch die Materie nicht voraus. Cg. II, 16. n. 11.

2. Der Akt (des Wirklichsein) ist der Natur nach eher, als die Potenz (das Möglichsein : inter actum et potentiam talis est ordo, quod licet in uno et eodem, quod quandoque est potentia, quandoque actu, potentia sit prior tempore quam actus, licet actus sit prior natura, tamen simpliciter loquendo, oportet actum potentia priorem esse, quod patet ex hoc, quod potentia non reducitur in actum nisi per ens actu Cg. II, 16 n. 10. Deshalb kommt dem Akt in erster Linie es zu, Prinzip (von etwas Anderem) zu sein; jedes Prinzip aber, das beim Schaffen (viell. operando? beim Wirken) ein weiteres Prinzip voraussetzt, ist erst in zweiter Linie Prinzip. Da nun Gott Prinzip der Dinge ist, und zwar als erster Akt (erstes und lauteres Wirklichsein), die Materie hingegen (Prinzip derselben) als Seiendes bloß dem Vermögen nach, so geht es nicht an, dass Gott bei seinem Wirken die Materie voraussetzt. Cg. II, 16 n. 10.

3. Je allumfassender eine Ursache ist, desto allgemeineren Charakter trägt ihre Wirkung. Denn die partikulären (auf ein bestimmtes Gebiet beschränkten) Ursachen applizieren die Wirkungen der universalen Ursachen auf irgend ein (spezifisch) bestimmtes Gebiet. Diese Applikation auf ein bestimmtes Gebiet (von Seiten der partikulären Ursache) steht zur universalen Wirkung im Verhältnis des Aktes zur Potenz. Jede Ursache also, welche ein Wirklichsein bewirkt (nur) unter der Voraussetzung von etwas, was im Zustand des Möglichseins zu diesem Wirklichsein sich befindet - trägt den Charakter der Partikularursache an sich gegenüber einer, ein weiteres Gebiet beherrschenden Ursache. Das aber kann bei Gott nicht der Fall sein, da er die erste (und darum die allumfassende) Ursache ist, wie oben (Kap. 68) gezeigt ward. Also ist er in seinem Wirken nicht an eine schon vorhandene Materie gebunden. (causalitates entis absolute reducuntur in primam causam universalem; causalitas vero aliorum quae ad esse superadduntur, vel quibus esse specificatur, pertinent ad causas secundas, quae agunt per informationem (die eine Materie supponiert) quasi supposito effectu causae universalis. De pot. q 3. a 1.) Ihm also kommt es zu, die Dinge aus Nichts hervorzubringen, d. h. zu schaffen. Cg. II, 16. n. 2. 1. q 45. a 5. Alia agentia non sunt causa essendi simpliciter, sed causae essendi hoc, ut hominem vel album: esse autem simpliciter per creationem causatur, quae nihil praesupponit, quia non potest alliquid prae existere, quod sit extra ens simpliciter: per alias autem factiones fit hoc ens vel tale; nam ex ente praexistente fit hoc ens vel tale. Cg. II. 21. n. 3.) Deshalb bekennt ihn der katholische Glaube als Schöpfer.

70. Kapitel: Die Schöpfereigenschaft kommt Gott allein zu

1. Auch das ergibt sich, dass Gott allein Schöpfer sein kann. Denn schöpferische Tätigkeit kann nur jener Ursache zukommen, die nicht noch eine allumfassendere und weitergehende voraussetzt, wie aus dem eben Gesagten erhellt; das aber kommt nur Gott zu; er allein also ist Schöpfer. 1. q 45. a 5. Cg. II, 21. n. 1.

2. Je größer der Abstand zwischen dem Möglichsein und dem Wirklichsein ist, desto gewaltiger muss die Kraft sein, durch welche dieses Möglichsein zum Wirklichsein (zur Tatsächlichkeit) gebracht wird. (Quanto enim frigus est vehementius, et sic a calore magis distans, tanto majori virtute caloris opus est, ut ex frigido fiat calidum. De pot. q 3. a 4.) Aber dürfen wir uns auch den Abstand zwischen Möglichsein und Wirklichsein noch so groß vorstellen, größer bleibt immer noch der Abstand, wenn das Möglichsein (verstehe wohl im realen, nicht im logischen Sinn) überhaupt nicht da ist; etwas also aus Nichts hervorbringen (wo also nicht einmal ein reales Möglichsein vorausgeht) fordert eine unendliche Kraft. Gott allein aber besitzt unendliche Kraft, weil er allein unendliche Wesenheit hat; also kann nur Gott allein schöpferisch tätig sein. 1 q 45 a 5. Cg. II, 21 n. 5: nihil aliud praeter Deum potest creare, neque sicut principale agens, neque sicut instrumentum.

71. Kapitel: Die Verschiedenheit der Materie ist nicht der Grund der Verschiedenheit in den Dingen

1. Aus dem bisher Gesagten erhellt, dass der Grund der Verschiedenheit in den Dingen, (die wir im Weltganzen wahrnehmen) nicht die Verschiedenheit der Materie sein kann. Denn die Materie bildet, wie gezeigt ward, nicht die Voraussetzung des göttlichen Wirkens, durch welches er die Dinge ins Dasein bringt. Nun ist die Materie die Ursache der Verschiedenheit in den Dingen nur insofern, als die Materie zu ihrer Hervorbringung erforderlich ist, so dass je nach der Verschiedenheit der Materie verschiedene Formen (Bildungs- und Gestaltungsprinzipien) in sie eingeführt werden. Also liegt der Grund der Verschiedenheit bei den von Gott hervorgebrachten Dingen nicht auf Seiten der Materie. 1. q 47. a 1. Cg. II, 40. n. 3.

2. Die Mehrheit oder Einheit der Dinge richtet sich nach ihrem Sein; denn jedes Ding ist, insofern es ein Seiendes ist, auch ein einziges Ding. Nun haben aber die Formen ihr Sein nicht wegen der Materie, sondern vielmehr die (einzelnen) Materien wegen der Formen; denn der Akt, das Wirklichsein (welches die Form der Materie gibt) ist besser als das (bloß) Möglichsein, (welches der Materie an sich zukommt); das aber, um dessentwillen etwas Anderes ist, muss das bessere von beiden sein. Nicht also sind deshalb die Formen verschieden, um verschiedene Materien zuzukommen, sondern umgekehrt, deshalb sind die Materien verschieden, um verschiedenen Formen zu entsprechen. Cg. 1I, 40 n. 5.

72. Kapitel: Von der Art und Weise, auf welche Gott die Verschiedenheit und Mehrheit der Dinge verursacht hat

1. Da nun das Verhältnis der Dinge zu ihrer Einheit und Vielheit dasselbe ist, wie zu ihrem Sein, das ganze Sein derselben aber von Gott abhängt, wie gezeigt ward (Kap. 69), so muss auch die Ursache der Mehrheit der Dinge in Gott liegen. Wie ist dies zu denken? Notwendiger Weise drückt jedes wirkende Ding dem von ihm Bewirkten den Stempel seines eigenen Wesens auf, soweit als dies möglich ist (patet enim quod quanto aliquid est calidius, tanto facit magis calidum, et quanto est aliquis melior artifex, tanto formam artis perfectius inducit in materiam. Cg. II, 45 n. 1). Nun war es aber nicht möglich, dass die von Gott hervorgebrachten Dinge die Ähnlichkeit mit der göttlichen Güte und Vollkommenheit in jener Einfachheit erlangten, wie sich dieselbe in Gott findet; deshalb musste das in sich und an sich eine und einfache göttliche Wesen in den geschaffenen Wesen mannigfaltig und verschiedenartig zur Darstellung gelangen. Es war also eine Verschiedenartigkeit in den von Gott hervorgebrachten Dingen notwendig, zu dem Zweck, dass durch die Mannigfaltigkeit der Dinge ein Abbild der göttlichen Vollkommenheit gegeben werde, soweit dies in ihrer Art möglich ist (ut quod deest uni ad repraesentandam divinam bonitatem, suppleatur per aliam). 1 q 47 a 1; Cg. II, 45 n. 1.

2. Alles Verursachte ist endlich, nur Gottes Wesenheit allein ist unendlich, wie gezeigt ward (Kap. 18). Alles Endliche aber wird durch Hinzufügung von etwas Anderem größer. Es war also besser, dass in den geschaffenen Dingen eine bunte Mannigfaltigkeit herrsche, so dass es mehrere Gattungen von Dingen gibt, als dass nur eine einzige von Gott hervorgebrachte Gattung von Dingen existierte. Dem höchsten Gut aber kommt es zu, das Beste herbeizuführen (zu leisten). Es war also angemessen für Gott, dass er die Dinge in bunter Mannigfaltigkeit schuf. Cg. II, 45 n. 4.

73. Kapitel: Von der Mannigfaltigkeit, Abstufung und Ordnung der Dinge

Es genügt aber nicht die bloße Mannigfaltigkeit der Dinge, sondern es muss in derselben auch eine gewisse Stufenordnung herrschen, so dass die einen Wesen vorzüglicher und höher sind als die andern. Das nämlich ist dem Reichtum der göttlichen Güte eigen, dass er den von ihm verursachten Dingen den Stempel seiner Güte aufprägt, soweit dies nur möglich ist. Nun ist aber Gott nicht bloß in sich gut, sondern er übertrifft auch die übrigen Dinge an Güte, und führt sie dem (ihrer Natur entsprechenden) guten Zustand entgegen. Damit nun also die geschaffenen Dinge eine vollkommene Ähnlichkeit mit Gott hätten, war es notwendig, dass manche Dinge besser eingerichtet wurden, als Andere, und dass manche auf andere einwirken und sie dadurch ihrer Vervollkommnung entgegenführen (non autem posset creatura ad bonitatem alterius creaturae agere, nisi esset in rebus creatis pluritas et inaequalitas: quia agens est aliud a patiente et honorabilius eo. Cg. II, 45 n. 3). Die erste Unterscheidung der Dinge besteht aber hauptsächlich in der Verschiedenheit der Formen (d. h. in der Verschiedenheit der spezifischen Natur), die formale Unterscheidung (die durch die Form, die Wesensbestimmtheit, die Natur eines Dinges begründete Unterscheidung) beruht aber auf dem Gegensatz. Denn die Gattung wird in verschiedene Arten (die durch die Formen bestimmt werden) geteilt durch entgegengesetzte Differenzen. Beim Gegensatz aber muss es notwendig eine Stufenordnung geben, denn immer ist von zwei einander entgegengesetzten Dingen das eine (in Bezug eben auf diesen Gegensatz) besser als das andere (sonst wären sie ja nicht entgegengesetzt. Cg. III, 97).

Es muss also Gott die Verschiedenheit der Dinge so begründet haben, dass sie mit einer gewissen Rangordnung, Abstufung verbunden ist, so dass die einen vorzüglicher sind als die andern. 1 q 47 a 2.

74. Kapitel: Manche geschaffene Dinge besitzen mehr Potentialität und weniger Aktualität, bei andern ist es umgekehrt

Ein jedes Ding ist insoweit edel (erhaben) und vollkommen, als es sich der Ähnlichkeit mit Gott nähert; nun aber ist Gott lauteres Wirklichsein ohne irgend welche Trübung durch etwa noch in seinem Wesen sich vorfindendes Möglichsein; es müssen also notwendigerweise jene Wesen, welche die höchste Stufe unter den Dingen einnehmen, mehr von Wirklichsein und weniger von (bloß) Möglichsein an sich haben, während umgekehrt die auf den niederen Stufen mehr im Zustand des bloß Möglichseins sich befinden. Das ist so zu denken: Da Gott ewig und unveränderlich in seinem Sein ist, so nehmen jene Dinge die niederste Rangstufe ein, haben also am wenigsten Gottähnlichkeit an sich, welche dem Entstehen und Vergehen unterliegen, also bald sind und bald auch wieder nicht sind.

Und weil das Dasein eine Folge der Form des Dinges ist (denn Alles, was existiert, existiert nur als Bestimmtes - das Bestimmtsein aber hat jedes Ding eben durch seine Form), so existieren diese Dinge, wenn sie ihre Form haben; hören aber auf zu existieren, wenn sie ihre Form verlieren. Es muss also Etwas in ihnen sein, was bald die Form (Bestimmtheit) haben, bald dieselbe wieder verlieren kann, und dies nennen wir Materie. Alles also, was derart die niederste Rangstufe unter den Dingen einnimmt, muss aus Materie und Form zusammengesetzt sein. Jene Wesen aber, die unter den geschaffenen Dingen die höchsten Rangstufen einnehmen, nähern sich am meisten der Ähnlichkeit mit dem göttlichen Sein; bei ihnen findet sich nicht die (reale) Möglichkeit zum Sein und zum Nichtsein, sondern sie haben von Gott durch die Schöpfung ein immerdauerndes Sein erhalten. (1 q 50 a 5; Cg. II, 55.)

Da nun aber die Materie ihrem innersten Wesen nach ganz darin aufgeht, dass sie eben die Möglichkeit zu dem Sein ist, das durch die Form tatsächlich ist, so sind jene Wesen, in welchen sich nicht die Möglichkeit zum Sein und zum Nichtsein findet, nicht zusammengesetzt aus Materie und Form, sondern sind reine Formen, die in dem Sein, das sie von Gott empfangen haben, ihr Insich- und Fürsichsein besitzen. Derartige unkörperliche (stofflose) Substanzen sind notwendig unzerstörbar (unauflöslich). Denn in allen zerstörbaren (auflöslichen) Dingen findet sich die Möglichkeit zum Nichtsein; diese findet sich aber nicht bei den oben genannten Wesen; sie sind also unzerstörbar (Non autem dicitur aliquid esse corruptibile per hoc, quod Deus possit illud in non esse redigere, subtrahendo suam conservationem: sed per hoc, quod in se ipso aliquod principium corruptionis habet, vel contrarietatis vel saltem potentiam materiae. 1 q 50 a 5 ad 3.) Die geistigen Substanzen sind also unzerstörbar kraft der ihnen durch die Schöpfung verliehenen Natur. Cg. II, 55 n. 4.

2. Kein Ding fällt der Auflösung anheim, ausser dadurch, dass die Form sich von ihm trennt, denn das Dasein ist immer eine Folge der Form (weil nichts existieren kann, ausser als ein bestimmtes Ding; diese Bestimmtheit aber gibt eben die Form). Da nun die geistigen Substanzen selbst nichts anderes sind, als in sich und auf sich selbst stehende Formen, so können sie von ihren Formen nicht getrennt werden (weil sie ja diese Formen selbst sind) und so können sie das Dasein nicht verlieren (weil das Dasein an sich und immer mit der Form, nicht zwar identisch, wohl aber unzertrennlich verbunden ist, denn die Form ist das, was das Ding unmittelbar zum Wirklichsein befähigt), also sind sie unzerstörbar. (Quod per se alicui competit, de necessitate et semper et inseparabiliter ei inest, sicut rotundum per se quidem inest circulo, per accidens autem aeri; unde aes quidem fieri non rotundum, est possibile, circulum autem non esse rotundum est impossibile. Esse autem per se consequitur formam. Per se enim dicimus quod est secundum ipsum: unumquodque autem habet esse, secundum quod habet formam. Substantiae igitur, quae non sunt ipsae formae (sondern zusammengesetzt aus Materie und Form) possunt privari esse, secundum qllod amittunt formam; sicut aes privatur rotunditate, secundum quod desinit esse circulare. Substantiae vero, quae sunt ipsae formae nunquam possunt privari esse; sicut si aliqua substantia esset circulus, nunquam posset fieri non rotunda. Cg. II, 55 n. 2). 1 q 50 a 5.

3. Zwischen diesen beiden Stufenreihen von Wesen (den aus Materie und Form zusammengesetzten und daher auflösbaren - korruptibelen - und den nur als Formen bestehenden und darum unauflösbaren) liegt eine dritte Reihe von Wesen in der Mitte, die zwar nicht die Möglichkeit zum Sein und zum Nichtsein haben (wie die korruptibelen Substanzen), wohl aber doch die Möglichkeit in Bezug auf den Ort (d. h. es ist bei ihnen eine Veränderung möglich nicht in Bezug auf ihr Wesen, wohl aber in Bezug auf den Ort, indem sie bei ihrer Kreisbewegung bald diesen, bald jenen Ort im Raum einnehmen). Diese (in der Mitte stehenden) Wesen aber sind (nach der aristotelischen Kosmologie) die Himmelskörper, die dem Entstehen und Vergehen nicht unterliegen, da sie keine heterogenen Elemente in sich enthalten; jedoch sind sie veränderlich in Bezug auf den Ort. Es besteht aber dasselbe Verhältnis zwischen der Materie und der Bewegung in den Dingen; denn auch die Bewegung ist (wie die Materie) Sache eines nur dem Vermögen nach Seienden (d. h. der sich bewegende Körper ist, solange und insofern er sich bewegt, nur dem Vermögen, noch nicht der Wirklichkeit nach, an dem Ruhepunkt, dem er zustrebt, wie die Materie im Möglichsein zu allen Formen sich befindet). Es besitzen also diese Himmelskörper eine Materie, die aber nicht dem Entstehen und Vergehen, sondern nur der Ortsveränderung unterworfen ist. 1 q 66 a 2.

75. Kapitel: Diese immateriellen Substanzen sind vernünftig

1. Diese von uns als immateriell bezeichneten (in sich und für sich bestehenden) Wesen (Substanzen) sind notwendigerweise vernünftig. Dadurch nämlich ist etwas vernünftig, dass es frei ist von der Materie. Dies beweist uns der Erkenntnisvorgang selbst: denn der vernünftig erkennbare Gegenstand in dem Wirklichsein (in der Tatsächlichkeit, Erkennbarkeit) und die Erkenntniskraft in ihrem Wirklichsein (in ihrer Tätigkeit) fließen in eins zusammen. Nun ist offenbar Etwas tatsächlich vernünftig erkennbar dadurch, dass es von der Materie ausgeschieden (abstrahiert) ist; denn selbst von den materiellen Dingen können wir eine vernünftige (d. i. eine nicht bloß sinnliche) Erkenntnis nur haben durch Abstraktion von der Materie. Also müssen wir auch bezüglich des Verstandes (der Vernunft) das gleiche Urteil fällen (wie bezüglich des vernünftig erkennbaren Gegenstandes), dass nämlich Alles, was immateriell (geistig) ist, zugleich auch vernünftig ist. 1 q 50 a 2. Cg. II, 50 n. 2.

2. Die immateriellen Substanzen sind die ersten und höchsten Wesen unter den Dingen; denn das Wirklichsein (der Akt - die immateriellen Substanzen haben mehr Wirklichsein an sich als die übrigen Wesen, c. 74) ist der Natur nach früher als das bloß Möglichsein. Über allen übrigen Dingen aber steht offenbar die Vernunft: denn die Vernunft bedient sich der körperlichen Dinge als ihrer Werkzeuge. Also müssen die immateriellen Substanzen (weil den höchsten Rang einnehmend) vernünftig sein.

3. Je höheren Rang ein Wesen unter den Dingen einnimmt, desto mehr nähert es sich der Ähnlichkeit mit Gott. So sehen wir, dass eine Reihe von Dingen, welche die unterste Stufe einnehmen, die Ähnlichkeit mit Gott nur in Bezug auf das (Da-)Sein teilen, wie die leblosen Wesen; andere sodann in Bezug auf Sein und auf Leben, wie die Pflanzen; wieder andere außerdem noch auch in Bezug auf das Wahrnehmen, Empfinden, wie die Tiere; die höchste Art der Ähnlichkeit mit Gott aber besteht in der Vernünftigkeit, die Gott in eminentem Sinne besitzt. Die obersten unter den Geschöpfen sind also vernünftige Wesen, und weil sie mehr Ähnlichkeit mit Gott besitzen, als die übrigen Wesen, sagt man von ihnen, sie seien nach Gottes Ebenbild geschaffen. Cg. II, 56.

76. Kapitel: Diese geistigen Substanzen besitzen Wahlfreiheit

1. Daraus lässt sich nachweisen, dass diese immateriellen Substanzen Wahlfreiheit besitzen. Denn die Vernunft handelt oder begehrt nicht urteilslos, wie die leblosen Wesen; auch ist das Urteil der Vernunft nicht bewirkt (und gebunden) durch den Naturtrieb (Instinkt) wie bei den Tieren (also ein ihr angetanes, durch die Natur bewirktes Urteil), sondern es ruht und steht auf sich selbst, auf seiner eigenen Auffassung und Wahrnehmung (ist also ein selbständiges, selbstgemachtes Urteil); denn die Vernunft erkennt auch das Ziel (den Zweck) und das Mittel zum Ziel, sowie das Verhältnis, das zwischen beiden obwaltet. Und deshalb kann sie selbst die Ursache ihres Urteiles sein, auf Grund dessen sie dann etwas begehrt oder tut um des Zweckes willen; frei aber nennen wir das, was (nicht um eines andern willen da ist und durch einen andern bestimmt wird, sondern was) um seiner selbst willen da ist, sich Selbstzweck ist und sich selbst bestimmt. Es begehrt und handelt also die Vernunft (nicht wie dies bei den Tieren der Fall ist, mit einem durch den Instinkt gebundenen, sondern) mit freiem Urteil, und das heißt, Wahlfreiheit besitzen; also sind die höchsten selbständigen Wesen mit Wahlfreiheit ausgestattet. 1 q 59 a 3. Cg. II, 47 n. 2 u. 3.

2. Frei ist das, was nicht gebunden ist an irgend eine bestimmte Sache (oder Richtung). Das Verlangen des vernünftigen, selbständigen Wesens ist nun nicht gebunden an irgend ein bestimmtes (Einzel-)Gut, denn es (beruht und) richtet sich nach der Auffassung der Vernunft; diese aber fasst (nicht, wie das sinnliche Wahrnehmungsvermögen, ein bestimmtes Einzel-Ding oder -Gut, sondern) das Gute im Allgemeinen ins Auge. Darum ist das Begehren der vernünftigen Substanz frei, weil es sich indifferent verhält jedem Einzelgut gegenüber (es ist nicht an das eine oder andere Einzelgut gebunden, sondern steht allen gleichmäßig frei und indifferent gegenüber). Cg. II, 47 n. 4.

77. Kapitel: Unter diesen geistigen Substanzen besteht eine Rangstufe je nach der Vollkommenheit der Natur

Wie nun diese vernünftigen Wesen den übrigen Wesen gegenüber eine höhere Rangstufe einnehmen, so müssen sie unter sich selbst wieder durch verschiedene Abstufungen sich von einander unterscheiden. Denn durch bloße materielle, stoffliche Unterscheidung können sie sich nicht von einander scheiden, da sie ja ohne alle Materie sind. Findet sich also bei ihnen eine Mehrheit, so kann sie notwendigerweise nur verursacht sein durch formale Unterscheidung (d. h. durch eine solche, die auf der verschiedenen Wesensbestimmtheit, nicht in der bloß stofflichen, numerischen Unterscheidung beruht), durch sie wird (nicht der numerische, sondern) der spezifische Unterschied begründet. Wo aber der Unterschied ein spezifischer ist, da muss auch eine gewisse Stufen- und Rangordnung sich finden. Der Grund hiervon ist der: Wie auf dem Zahlengebiet durch jede Addition oder Subtraktion von Einheiten die Zahl sofort wesentlich eine andere wird, so werden durch Addition oder Subtraktion, Hinzufügung oder Hinwegnahme von (Wesens-)Unterschieden die Naturdinge spezifisch unterschieden. So unterscheidet sich, was bloß beseelt ist (die Pflanze), von dem, was beseelt und zugleich empfindend, wahrnehmend ist (dem Tier) und was beseelt und wahrnehmend ist hinwieder von dem, was beseelt, wahrnehmend und vernünftig ist (dem Menschen). Diese immateriellen Substanzen müssen also auf Grund einer bestimmten Rangordnung unterschieden sein. 1 q 50 a 4. Cg. II, 93.

78. Kapitel: Stufenordnung derselben auf dem Erkenntnisgebiet

Weil sich nach der Substanz (dem Wesen) des Dinges die Art- und Weise seines Handelns bestimmt, so müssen die höheren geistigen Substanzen eine erhabenere Erkenntnisweise besitzen, indem ihre Erkenntnisbilder und Erkenntniskräfte einen universaleren, weit umfassenderen und intensiveren (mehr konzentrierten, das ganze Wissensgebiet in eine Einheit zusammenfassenden) Charakter haben. Die niederen hingegen sind schwächer und besitzen Erkenntnisbilder (Begriffe, Gedanken), die mehr vervielfältigt, und weniger universal (weniger weittragend und umfassend) sind. 1 q 55 a 3.

79. Kapitel: Die Substanz, durch welche der Mensch denkt, ist die niederste im Reich der vernünftigen Substanzen (Geistigkeit der Menschenseele)

1. Da man keine unendliche Reihe von Wesen annehmen kann, so muss sich, wie es unter diesen Substanzen (Wesen) eine höchste gibt, die Gott am nächsten kommt (in Bezug auf die Gottähnlichkeit und Reinheit von Potentialität), auch wieder (in diesem Reich der geistigen Substanzen) eine niederste finden, die am meisten sich der körperlichen Materie (und dadurch der Potentialität) nähert. Dies lässt sich folgendermaßen erklären: Vor allen übrigen sinnlichen Lebewesen hat der Mensch den Vorzug der Denktätigkeit. Denn nur der Mensch erkennt die Allgemeinbegriffe, das gegenseitige Verhältnis der Dinge zu einander, sowie die immateriellen Wesen - lauter Dinge, die nur durch das vernünftige Denken wahrgenommen werden. Nun ist es unmöglich, dass das vernünftige Denken eine durch ein körperliches Organ vollzogene Tätigkeit ist, die etwa gerade so vor sich ginge, wie das Sehen durch das Auge. Denn notwendigerweise muss jedes Organ einer wahrnehmenden Kraft sich allen Dingen seines Wahrnehmungsgebietes gegenüber neutral verhalten, wie die Pupille z. B. ihrer Natur nach farblos ist (neutral in Bezug auf die Farben sich verhält, um eben alle Farben wahrnehmen, in sich aufnehmen zu können); die Wahrnehmung der Farben geht nämlich dadurch vor sich, dass das Bild der Farbe (des farbigen Gegenstandes) in der Pupille aufgenommen wird (durch die Pupille hindurch geht und auf der Netzhaut sich spiegelt). Das aber, was etwas anderes in sich aufnehmen soll, muss von diesem andern (um es eben aufnehmen zu können) frei sein (quia natura determinata illius organi corporei prohiberet cognitionem omnium corporum; sicut si aliquis determinatus color sit non solum in pupilla, sed etiam in vase vitreo, liquor infusus ejusdem coloris videtur. 1 q 75 a 2). Nun aber erkennt die (menschliche) Vernunft die Natur aller sinnlich wahrnehmbaren Dinge. Würde sie nun durch ein körperliches Organ vernünftig erkennen, so müsste dieses körperliche Organ frei sein von aller sinnlich wahrnehmbaren Naturbeschaffenheit, und das ist unmöglich (weil es einen Widerspruch in sich schließt). 1 q 75 a 2.

2. Jegliche Wahrnehmung erhält ihren Charakter durch die Art und Weise, in welcher das Bild des wahrgenommenen Gegenstandes in ihr sich vorfindet; denn dieses ist das Prinzip des Wahrnehmens. Nun nimmt aber die Vernunft die Dinge immateriell (stofflos, geistig) wahr, selbst jene, welche in ihrer Natur materiell (stofflich) sind, indem sie den allgemeinen Wesensbegriff aus den ihn individualisierenden materiellen (Daseins- )Bedingungen herausschält (abstrahierend z. B. von den einzelnen Pferden, ihrer Farbe, Größe, ihrem Ort usw., den Allgemeinbegriff "Pferd" gewinnt). Es ist also nicht möglich, dass das Bild des vernünftig erkannten Dinges im Verstand materiell sich vorfindet; also wird es nicht in einem körperlichen Organe aufgenommen; denn jedes körperliche Organ ist etwas materielles.

3. Diese Geistigkeit der Menschenseele ergibt sich auch aus der Tatsache, dass das Sinnesvermögen geschwächt oder ganz zerstört wird, wenn der Sinneseindruck ein gewisses Maß überschreitet und zu stark wird. So leidet das Gehör durch all zu starke Töne, und das Gesicht durch alll zu starkes Licht, was daher kommt, weil dadurch die Harmonie (harmonische Struktur) des Organs sich auflöst (alteriert wird). Beim Verstand ist das Umgekehrte der Fall: dieser wächst an Stärke, je höher und stärker sein Erkenntnis_(Wahrnehmungs-)Gegenstand wird. Denn wer das Höhere und Schwerere auf dem Erkenntnisgebiet versteht, kann das übrige nicht weniger, sondern vielmehr besser verstehen.

Da nun die Tatsache fest steht, dass der Mensch vernünftig denkt, das vernünftige Denken aber nicht durch ein körperliches Organ ausführbar ist, so folgt, dass das, womit der Mensch vernünftig denkt, eine unkörperliche Substanz sein muss. Denn ein Wesen, das durch sich selbst, ohne Beihilfe des Körpers tätig sein kann, dessen Substanz (Wesen) ist auch vom Körper nicht abhängig. Denn alle jene Kräfte und Bestimmtheiten, die nicht auf sich und in sich selbst stehen können ohne Beihilfe des Körpers, können auch keine Tätigkeit entfalten außer in und mit dem Körper. Denn nicht die Wärme an sich (als in sich und auf sich selbst stehende Wärme) macht warm, sondern der Körper durch die Wärme (der warme Körper, die warme Luft). Diese unkörperliche Substanz also, durch welche der Mensch vernünftig denkt, nimmt die niederste Rangstufe ein im Reich der vernünftigen Substanzen, und steht der Materie am nächsten. 1 q 75 a 2 u. 7.

80. Kapitel: Von der Verschiedenheit, die in der vernünftigen Erkenntnis obwaltet

Das geistige Sein steht über dem sinnlich wahrnehmbaren Sein, wie die Vernunft äber dem Sinnesvermögen; da nun jene Dinge, welche auf einer niederen Stufe stehen, die höheren, soweit sie können nachbilden, wie die dem Entstehen und Vergehen unterliegenden Erdenwesen (durch den fortwährenden Kreislauf des Stoffes) im gewissen Sinn den Kreislauf der Himmelskörper nachbilden (nachahmen); so muss eine gewisse Analogie zwischen dem Sinnlichen und dem Geistigen bestehen, so dass wir auf Grund des Sinnlichen zur Kenntnis des Geistigen einigermaßen gelangen können. Nun gibt es im Reich des Sinnlichen ein Höchstes, das ist das Wirklichsein (die Tatsächlichkeit, der Akt) nämlich die Form (die Bestimmtheit) und ein Niederstes, das ist das bloße Möglichsein, die Materie (das Unbestimmte), und endlich ein in der Mitte zwischen beiden Liegendes, das aus Materie und Form zusammengesetzte Ding. Analog verhält es sich auf dem geistigen Gebiet. Das Höchste im Reich des geistigen, - Gott - ist lauteres Wirklichsein; die übrigen geistigen Substanzen besitzen etwas von Wirklichsein und etwas von Möglichsein auf geistigem Gebiet, während die niederste der geistigen Substanzen, jene nämlich, durch welche der Mensch vernünftig denkt (die menschliche Seele), im Zustand des bloßen Möglichseins auf dem Erkenntnisgebiet sich befindet. Hierfür spricht auch die Tatsache, dass der Mensch im Anfang (als Kind) nur dem Vermögen nach vernünftig denkend ist, und erst allmälich zur Wirklichkeit, des vernünftig Denkens sich entwickelt (zum Vernunftgebrauch kommt). Darum wird das, wodurch der Mensch vernünftig denkt, Verstand im Zustand des Möglichseins genannt. (Sicut tabula rasa, in qua nihil est scriptum 1. q 79. a 2. Der Verstand, der Alles werden, sich Allem assimilieren, alle Dinge geistig in sich aufnehmen kann, sie aber noch nicht wirklich besitzt).

81. Kapitel: Der Verstand im Menschen nimmt sich seine Erkenntnisbilder aus der Sinnenwelt

1. Es ward bemerkt (Kap. 78) dass, je höher ein vernünftiges Wesen ist, desto allumfassender auch seine Erkenntnisbilder seien; darum besitzt der menschliche Verstand, den wir als im Zustand des bloßen Möglichseins bezeichnet haben (als bloßes Denkvermögen) unter allen vernünftigen Wesen die am wenigsten weitumfassenden Erkenntnisbilder, und daher kommt es, dass er seine Erkenntnisbilder sich aus der Sinnenwelt hernimmt.

2. Auch ein anderer Umstand beweist dies. Es muss nämlich die Form (die Bestimmtheit) im Verhältnis stehen (proportioniert sein) dem Ding, das dieselbe in sich aufnehmen soll. Wie nun der menschliche, im Zustand des bloßen Vermögens sich befindende Verstand (das Denkvermögen) unter allen vernünftigen Wesen der körperlichen Materie am nächsten steht; so müssen auch seine Erkenntnisbilder den sinnfälligen Dingen am nächsten stehen. 1. q 84 a G.

82. Kapitel: Der Mensch bedarf zu seiner Verstandestätigkeit der Sinnesvermögen

Die Formen (Wesensbestimmtheiten) haben in den körperlichen Dingen einen bloß partikulären Charakter und ein materielles (stoffliches) Sein, während sie im Verstand einen allgemeingültigen, universalen und immateriellen Charakter besitzen. Dies zeigt die Art und Weise wie wir erkennen (und denken). Wir erkennen (und denken) nämlich die Dinge in ihrem allgemeingültigen und immateriellen Charakter. Die Art und Weise unseres Erkennens (unseres Denkens, unser Denkprozess) muss notwendiger Weise entsprechen den Erkenntnisbildern , durch welche wir denken. Da man nun von einem Ende zum andern nur durch das zwischen beiden in der Mitte Liegende gelangen kann, so müssen die den körperlichen Dingen entnommenen Formen (Wesensbestimmtheiten als Erkenntnisbilder) zum Verstand durch gewisse Mittelstufen gelangen. Das aber sind die Sinneskräfte , welche die Wesensbestimmtheiten der körperlichen Dinge ohne Materie (stofflos) in sich aufnehmen; denn in das Auge wird nur das Abbild des Steines, nicht aber sein Stoff selbst aufgenommen. Jedoch werden in den Sinneskräften die Wesensbestimmtheiten der Dinge nur in ihrem Vereinzeltsein (nicht in ihrer Allgemeingültigkeit) aufgenommen; denn mit den Sinneskräften erkennen wir nur die Einzeldinge (dieses bestimmte, uns vor Augen oder vor der Phantasie stehende Pferd, nicht den allgemeingültigen Begriff "Pferd"). Den Menschen sind also, damit er seine Verstandestätigkeit ausüben kann, Sinnesvermögen notwendig. Ein Beweis dafür ist die Tatsache, dass jener, dem ein Sinn(= esvermögen) fehlt, kein Wissen von an den sinnlich wahrnehmbaren Dingen hat, welche in das Bereich dieses Sinnes fallen; so kann ein Blindgeborener kein Wissen von den Farben haben. 1. q 84 a 6 u. 7.

83. Kapitel: Notwendigkeit der Annahme eines tätigen Verstandes

Daraus erhellt, dass das Wissen von den Dingen in unserem Verstand nicht dadurch verursacht wird, dass demselben in sich und auf sich selbst stehende Wesensbestimmtheiten, die ein rein geistiges Sein haben, (die platonischen Ideen) mitgeteilt und eingeflößt werden, wie die Platoniker und Anhänger von ihnen annahmen, sondern der Verstand erwirbt sich vielmehr das Wissen aus der Sinnenwelt vermittelst der Sinne. Da aber, wie gesagt, in den Sinneskräften sich die Wesensbestimmtheiten nur in ihrem Vereinzeltsein (nicht in ihrer Allgemeingültigkeit) vorfinden, so sind sie noch nicht der Wirklichkeit, sondern nur erst der Möglichkeit nach vernünftig erkennbar. Denn die Vernunft erkennt nur das Allgemeingültige. Was aber nur der (realen) Möglichkeit nach sich vorfindet, kann zur Wirklichkeit nur gebracht werden durch eine wirkende Kraft. Es muss also eine wirkende Kraft geben, welche die in den Sinnesvermögen vorhandenen Erkenntnisbilder auch wirklich, (tatsächlich) erkennbar (denkbar) macht, (der sein Licht ausgießt über die dunkel in den Dingen liegenden Ideen). Das aber kann der im Zustand des bloßen Möglichseins befindliche Verstand nicht zuwege zu bringen; denn er ist ja selbst mehr im Zustand des Verwirklichtwerdens durch die Erkenntnisgegenstände, als dass er diese verwirklichen, (zur Tatsächlichkeit bringen) könnte (er verhält sich diesen mehr passiv als aktiv gegenüber). Wir müssen also noch einen weiteren Verstand annehmen, welcher die bloß der Möglichkeit nach denkbaren Erkenntnisbilder wirklich denkbar macht, wie das Licht die Farben, die vorher nur der Möglichkeit nach sichtbar waren, nun wirklich sichtbar macht - und diesen Verstand nennen wir den tätigen (oder wirkenden) Verstand. Einen solchen anzunehmen, bestünde keine Notwendigkeit, wenn die Wesensbestimmtheiten der Dinge nicht bloß der Möglichkeit, sondern einfach der Wirklichkeit nach denkbar wären, wie die Platoniker behaupteten.

So ist uns zur vernünftigen Denktätigkeit notwendig: erstens der im Zustand des bloß Möglichseins befindliche (der rezeptive) Verstand, der die Erkenntnisbilder in sich aufnimmt, zweitens der tätige (wirkende) Verstand, der sie wirklich denkbar macht. Wenn aber der rezeptive Verstand die Erkenntnisbilder schon in sich aufgenommen hat, so heißt man ihn habituellen (im ruhenden Besitzzustand befindlichen) Verstand, da er die Erkenntnisbilder (die Gedanken) schon derart hat, dass er von ihnen, wann er will, Gebrauch machen kann, also in einem Mittelzustand zwischen dem bloßen Möglichsein (des Gedankens) und der vollendeten Wirklichkeit (dem tatsächlichen Denken) sich befindet. Wenn er aber diese Erkenntnisbilder in vollendeter Wirklichkeit hat, heißt er aktueller (im Zustand der Tätigkeit befindlicher) Verstand. Dann nämlich erkennt er tatsächlich, wirklich die Dinge, wenn das Erkenntnisbild des Dinges die Form des rezeptiven Verstandes geworden ist (d. h. das geworden ist, was dem zu allem Möglichen bestimmbaren Verstand seine augenblickliche Bestimmtheit gibt); deshalb sagt man, der aktuelle Verstand ist das aktuell Gedachte (der Verstand in seiner Tätigkeit und das Erkenntnisbild in seiner Wirklichkeit fließen in eins zusammen wie Materie und Form). 1. q 79. a 3. Cg. II, 77.

84. Kapitel: Die menschliche Seele ist unsterblich

Aus dem Gesagten folgt mit Notwendigkeit, dass die menschliche Seele unauflöslich, unsterblich ist.

1. Das Wirken eines jeden Dinges richtet sich nach der Art und Weise seines Seins. Der Verstand nun hat eine Tätigkeit, an welcher der Leib nicht mehr beteiligt ist, wie gezeigt ward (Kap. 79); daraus folgt, dass er aus und durch sich selbst eine Tätigkeit enfaltet, also ist er (da der Charakter der Tätigkeit auch dem Sein zukommt) eine in ihrem eigenen Sein (nicht in dem der Materie) ihr Fürsich- und Insichbestehen habende Substanz. Nun ward aber oben (Kap. 74) gezeigt, dass die vernünftigen Substanzen unauflöslich (unsterblich) sind; also ist der Verstand, durch welchen der Mensch denkt, unsterblich.

2. Das eigentliche Subjekt des Entstehens und Vergehens ist die Materie; je weiter also etwas von der Materie entfernt ist, desto weiter ist es entfernt von dem Vergehen (der Auflösung). So sind jene Dinge, die aus Materie und Form sich zusammensetzen, an sich auflösbar (vergänglich); die materiellen Formen dagegen (jene Wesensbestimmtheiten die nur in und mit dem Stoff existieren können) sind dem Vergehen (der Auflösung) nicht an sich unterworfen, sondern nur indirekt, per accidens (d. h. sie bestehen nicht per se sondern nur in und mit dem Stoff; darum vergehen sie auch nicht per se, direkt, sondern stehen und fallen mit dem Ganzen, analog wie z. B. die Kunstform welche der Marmor als Säule hat, nicht per se, für sich besonders, sondern einfach in und mit der Säule selbst vernichtet wird). Die immateriellen Formen endlich, welche mit der Materie nichts mehr gemein haben, sind absolut unzerstörbar, unvergänglich. Der Verstand nun ist seiner Natur nach völlig über die Materie erhaben, wie dies seine (Denk-)Tätigkeit beweist; denn wir erkennen etwas vernünftig nur dadurch, dass wir es von der Materie absondern (durch Abstraktion). Es ist also der Verstand seiner Natur nach unvergänglich.

3. Von Auflösung kann nur da die Rede sein, wo ein Gegensatz besteht; denn nichts wird zerstört (fällt der Auflösung anheim, vergeht) außer durch die Einwirkung des ihm Entgegengesetzten. Deshalb sind die Himmelskörper, in denen sich (nach der aristotelischen Physik) keine Gegensätze (keine einander entgegengesetzten, heterogenen Teile) finden, unvergänglich. Nun ist aber diese Heterogenität der Natur des Verstandes bis zu dem Maße fremd, dass selbst jene Dinge, welche an sich einander entgegengesetzt sind, wenn sie (durch das Denken) in den Verstand aufgenommen werden, diesen Gegensatz verlieren; denn die beiden Gegensätze werden in einem einzigen Begriff zusammengefasst, weil nämlich durch den einen Gegensatz der andere erkannt (gedacht) wird (so wird z. B. das Böse als Privation des Guten, die Finsternis als Privation des Lichtes nur durch Begriff des Guten, des Lichtes - also seines Gegensatzes, geistig aufgefasst). Unmöglich also kann der Verstand vergänglich sein. 1. q 75 a 6; Cg. II, 79.

85. Kapitel: Die Frage über die Einzigkeit des rezeptiven Verstandes

Es könnte nun jemand behaupten, der Verstand sei allerdings unsterblich; allein alle Menschen zusammen hätten eben nur einen einzigen Verstand, so dass das, was nach dem Tod aller Menschen übrig bleibt, nichts wäre, als dieser Eine Verstand (dies ist die Meinung des Averroes und seiner Schule). Dass aber alle Menschen zusammen nur einen einzigen Verstand besitzen, kann nach ihnen durch viele Gründe nachgewiesen werden.

1. Erstens fordert dies die Einheit des Erkenntnisbildes (des Gedankens); ist ein anderer Verstand in mir, und ein anderer in dir, so muss auch ein anderes Erkenntnisbild (eine andere Auffassung) in mir sein, und folglich ist etwas Anderes das Erkannte (der Gedanke), was ich erkenne (denke) und etwas Anderes das, was du erkennst (denkst). Es würde also das Gedankenbild (der Gedanke, die Auffassung) vervielfältigt, je nach der Zahl der (denkenden, erkennenden) Individuen, und so hätte es nicht mehr universalen (allgemeingültigen) sondern nur individuellen Charakter. Daraus scheint dann zu folgen, dass es nicht tatsächlich erkannt (gedacht) ist, sondern nur der Möglichkeit nach; denn die individuellen Gedankenbilder (die sich in den Einzeldingen realisiert finden, aus denen sie der Verstand abstrahiert) sind nur der Möglichkeit nach, nicht schon der Wirklichkeit nach intelligibel (Gegenstand des vernünftigen Denkens) was den Platonikern gegenüber (siehe oben Kap. 83) festzuhalten ist; der Wirklichkeit nach werden sie intelligibel eben durch die Abstraktion vom Individuellen, im Einzelding sich findenden.

2. Sodann, da (Kap. 79) nachgewiesen ward, dass der Verstand ein Wesen ist, das seinen Selbstand in seinem eigenen Sein (nicht in der Materie) hat; da ferner, wie oben (Kap. 77) gezeigt ward, es nicht der Zahl nach mehrere vernünftige Substanzen von einer Spezies geben kann, so folgt, wenn der Verstand in mir und der in dir ein der Zahl nach verschiedener ist, dass auch ein spezifischer Unterschied unter ihnen obwalten muss, und dann gehören ich und du nicht ein und derselben Spezies ("Mensch" genannt) an.

3. Da alle Individuen einer Spezies dieselbe spezifische Natur haben (also nach dieser Seite hin eins sind) so muss außer der spezifischen Natur (z. B. der menschlichen) noch etwas andres da sein, auf Grund dessen sich die einzelnen Individuen derselben Spezies von einander unterscheiden. Ist nun der Verstand, den alle Menschen haben, spezifisch (der Art nach) nur einer, nämlich der spezifisch menschliche Verstand, (sind sie also in Bezug auf den Verstand gleichartig) ist aber dieser andrerseits der Zahl nach vielfältig, so muss es etwas geben, was den einen Verstand von dem andern der Zahl nach unterscheidet. Diese Differenz können wir nun nicht in der Substanz des Verstandes selbst finden, da der Verstand nicht zusammengesetzt ist aus Materie und Form (so dass also etwa eine zur Substanz des Verstandes gehörige individuelle Materie den einen Verstand von dem andern unterschiede). Daraus folgt, dass alle Unterscheidung, die wir aus dem Wesen des Verstandes selbst hernehmen könnten, einen formalen Charakter an sich tragen muss. (Es kann also zwischen dem einen und dem andern Verstand nur der Unterschied bestehen, wie zwischen Form und Form, weil der Verstand nichts von Materie an sich hat); der formale Unterschied aber ist jener, welcher eine Spezies von der andern unterscheidet. (Da also doch alle Menschen spezifisch denselben Verstand haben sollen), so kann der Verstand des einen Menschen sich von dem Verstand des andern der Zahl nach nur deshalb unterscheiden, weil beide verschiedene Körper haben. Fallen nun die verschiedenen Körper der Auflösung anheim, so dürften nicht mehrere, sondern nur ein einziger Verstand übrig bleiben.

Es lässt sich jedoch mit Evidenz nachweisen, dass unmöglich der Verstand in allen Menschen nur ein einziger ist. Zu diesem Zweck müssen wir jenes Verfahren einhalten, das man gegen jene anwendet, welche die Prinzipien leugnen, (gegen die absoluten Skeptiker), indem wir nämlich von einer Tatsache ausgehen, die sich absolut nicht leugnen lässt. Stellen wir also die Behauptung auf, dieser Mensch z. B. Sokrates oder Plato denkt: diese Tatsache kann er (Sokrates oder Plato) nicht in Abrede stellen, außer dadurch, dass er denkt, es sei in Abrede zu stellen, es sei zu verneinen. Eben dadurch also, dass er es verneint (dass er denke), nimmt er die Tatsache an, behauptet er es: denn bejahen oder verneinen kann nur Einer, der denkt. Denkt nun dieser Mensch, so muss das wodurch er formaliter (eigentlich) denkt, seine Form (eine Bestimmtheit an ihm) sein, denn nichts ist tätig, wirkend, außer insofern es (durch die Bestimmtheit) im Wirklichsein ist. Das also wodurch der Wirkende wirkt, ist sein Wirklichsein, wie die Wärme, wodurch der warme Gegenstand warm macht, das Wirklichsein ist (d. h. die Bestimmtheit des wärmenden Körpers; das, wodurch der wärmende Körper eben ein wärmender ist). Der Verstand also, durch welchen der Mensch denkt, ist die Form (die Bestimmtheit) dieses Menschen, und aus eben diesem Grunde die jenes Menschen. Nun ist aber unmöglich, dass eine der Zahl nach einzige Form (Bestimmtheit) mehreren der Zahl nach verschiedenen Individuen angehört, weil der Zahl nach verschiedene Individuen nicht ein und dasselbe (Da-)Sein haben, (sondern jeder hat sein eigenes Dasein). Jedes Wesen aber hat sein Dasein nur durch seine Form (seine Wesensbestimmtheit; denn jedes Wesen kann eben nur als ein bestimmtes existieren). Es kann also unmöglich der Verstand, durch welchen der Mensch denkt, in Allem nur ein einziger sein. Cg. II, 59. n. 4.

Da man sich der Kraft dieses Beweises wohl bewusst ist, so sucht man sich ihm durch Ausflüchte zu entziehen. Man sagt: der rezeptive Verstand (siehe oben Kap. 80) nimmt die Erkenntnisbilder in sich auf und durch sie wird er aktuiert (zum tatsächlichen Denken gebracht, denkend gemacht). Die Erkenntnisbilder sind aber in einem gewissen Sinne in den Phantasiebildern, (welche durch die Sinne erzeugt werden) enthalten. Insofern also das Erkenntnisbild sowohl in dem rezeptiven Verstand, als auch in den Phantasiebildern sich findet, die in uns sind, insoweit ist eine Verbindung und Einheit zwischen dem rezeptiven Verstand und uns hergestellt (eine Brücke zu uns herüber geschlagen), so dass jeder einzelne von uns durch ihn, (welcher der Zahl nach nur Einer ist), denken kann. Diese Behauptung aber ist vollständig hinfällig.

1. Erstens weil das (vernünftige, geistige) Erkenntnisbild (der Gedanke), insofern es sich noch in den Phantasiebildern befindet, nur der Möglichkeit (und noch nicht der Wirklichkeit nach) gedacht ist (weil es erst durch die Abstraktion aus ihnen erhoben wird); insofern es aber im rezeptiven Verstande ist, ist es der Wirklichkeit nach (wirklich) gedacht, (als abstrakte Vorstellung). Insofern es sich also im rezeptiven Verstand befindet, ist es nicht (mehr) in den Phantasiebildern, sondern vielmehr aus den Phantasiebildern abstrahiert (herausgeschält). Also ist auch das Band zerrissen, das den rezeptiven Verstand mit uns verbinden soll. Cg. II, 59. n. 5.

Sodann 2. auch zugegeben, es bestehe eine gewisse Verbindung zwischen dem rezeptiven Verstand und uns, so würde diese doch noch nicht hinreichen, um die Denktätigkeit bei jedem Einzelnen von uns herzustellen. Denn dadurch, dass das Erkenntnisbild eines Gegenstandes im Verstand ist, folgt nicht, dass dieser (Gegenstand) sich selbst denkt, sondern dass er gedacht wird. Denn nicht der Stein denkt, auch wenn das Erkenntnisbild desselben im rezeptiven Verstand ist.

Also aus der Tatsache, dass die aus den in uns befindlichen Phantasiebildern abstrahierten Gedanken, Vorstellungen, im rezeptiven Verstand sich befinden, folgt keineswegs, dass wir denkend sind, sondern im Gegenteil, dass wir gedacht sind, oder vielmehr die Phantasiebilder, die in uns sich vorfinden. Dies wird noch evidenter durch den Vergleich, dessen Aristoteles im dritten Buch "über die Seele" (de anima lib 3. lectio 10) sich bedient, indem er sagt, der Verstand verhalte sich zu den Phantasiebildern, wie das Sehen zu den Farben. Nun bewirkt aber offenbar die Tatsache, dass das Abbild der Farben, die an der Wand sind, im Gesichtssinn sich vorfindet, es nicht, dass die Wand sieht, sondern vielmehr, dass sie gesehen wird. Ebenso wenig folgt also auch aus der Tatsache, dass die aus den in uns vorhandenen Phantasiebildern abstrahierten Vorstellungen, Gedanken, im Verstande entstehen, - dass wir denken, sondern vielmehr dass wir gedacht sind. Cg. II, 59. n. 2.

3. Wenn wir durch den Verstand formaliter denken, (d. h. so die Denktätigkeit ausüben, dass der Verstand dabei nicht als bloßes ausführendes Organ erscheint, sondern im eigentlichen Sinn die prinzipale Ursache des Denkens ist als forma des Menschen, also nicht etwas, dessen sich noch ein höheres im Menschen befindliches Prinzip zur Denktätigkeit bediente - was unmöglich ist, da der Verstand eben das höchste im Menschen ist, und alles übrige in seinen Dienst nimmt), so muss das Denken des Verstandes das Denken des Menschen sein, wie ein und dasselbe Erwärmen sowohl Sache des Feuers als der Wärme (als Qualität des Feuers gedacht) ist. Befindet sich nun der Zahl nach ein und derselbe Verstand in mir und in dir, so folgt notwendig, dass rücksichtlich desselben Erkenntnisgegenstandes mein Denken und das deine eins und dasselbe ist, während wir nämlich zugleich ein und dasselbe denken; das ist aber unmöglich. Denn es ist unmöglich, dass von zwei der Zahl nach verschiedenen Subjekten, die (als Prinzipalursachen) tätig sind, eine der Zahl nach einzige Handlung ausgeübt werde. (Nulla operatio potest multiplicari nisi duppliciter: vel ex parte objectorum, vel ex parte principii operantis; potest tamen addi et tertium ex parte temporis; sicut cum aliqua operatio recipit interpolationen temporum. Ipsum ergo intelligere, quod est operatio intellectus possibilis, potest quidem multiplicari secundum objecta, ut aliud sit intelligere hominem, aliud intelligere equum; et etiam secundum tempus, ut aliud sit numero intelligere quod fuit heri, et quod est hodie, si tamen discontinuetur operatio. Non autem potes multiplicari ex parte principii operantis, si intellectus possibilis est unus tantum. Si igitur ipsum intelligere intellectus possibilis est intelligere hominis hujus et illius; poterit quidem aliud esse intelligere hujus hominis et intelligere illius, si diversa intelligant; cujus aliqua ratio esse potest diversitas phantasmatum. Sed diversorum hominum simuI idem intelligentium, ut ipsi dicunt, similiter poterit multiplicari ipsum intelligere, seilecet ut unus hodie intelligat et alius cras; quod etiam potest referri ad diversum usum phantasmatum; sed duorum hominum simul idem intelligentium, necesse est, quod sit nuum et idem numero intelligere, quod est imponibile. Q Q. disp. de anima a 3).

Es ist also unmöglich, dass in allen Menschen zusammen nur ein einziger Verstand sich vorfindet. (1. q 76 a 2). Da nun der Verstand unsterblich ist, wie gezeigt ward (Kap. 86) so besteht nach Auflösung der Körper der Verstand der Menschen als der Zahl nach verschieden fort.

Die oben gemachten Einwendungen aber lassen sich leicht widerlegen.

ad 1. Der erste Einwand leidet an vielen Schwächen. Fürs Erste geben wir die Einheit des von allen Menschen Erkannten, Gedachten (Einen Gegenstandes) zu, (dass irgend ein gedachter Gegenstand z. B. das gedachte Pferd, bei allen Menschen ein und derselbe ist). Erkannt (Gedacht) aber nenne ich das, was Gegenstand des Verstandes ist; Gegenstand des Verstandes aber ist (nicht in erster Linie) das Erkenntnisbild, (der Gedanke) sondern das Wesen des Dinges (in der Außenwelt. Das was der Verstand erkennt, ist das Ding selbst; das wodurch er erkennt, ist das Erkenntnisbild, der Begriff des Dinges).

Denn nicht alle Vernunftwissenschaften handeln von den Erkenntnisbildern (den Gedankendingen, den Begriffen); sondern von der (nicht bloß im Denken, sondern unabhängig von diesem in der Außenwelt vorhandenen) Natur und Wesenheit der Dinge. (Von ersteren handelt nur die Logik).

So ist auch der Gegenstand des Gesichtes die Farbe (der farbige Gegenstand), nicht das Abbild der Farbe, das im Auge sich findet. Obwohl also jeder Mensch seinen eigenen Verstand hat, so ist doch das, was sie erkennen (denken), eins und dasselbe bei allen, wie auch der farbige Gegenstand ein und derselbe bleibt, mögen auch noch soviele ihn anschauen. 1. q 76. a 2 ad 4. Cg. II, 75 ad 2.

Fürs Zweite sodann liegt kein zwingender Grund vor, dass, weil ein Ding individuell, Einzelwesen ist, dasselbe nur der Möglichkeit, nicht aber der Wirklichkeit nach erkannt (gedacht) sein muss; sondern dies ist nur bei jenen Wesen der Fall, welche durch die Materie individualisiert sind; denn das: was wirklich erkannt ist, muss immateriell (vom Stofflichen abstrahiert, geistig) sein. (Nicht das Einzelsein, die Individualisierung, sondern die Materialität hindert das Erkannt - Gedachtsein). Deshalb werden auch die immateriellen (geistigen Substanzen) obwohl sie für sich bestehende Individuen, Einzelwesen sind, doch der Wirklichkeit nach erkannt (gedacht), brauchen also nicht erst auf dem Weg der Abstraktion, der Herausschälung aus dem Stofflichen, erkennbar gemacht werden). So ist es auch mit den Erkenntnisbildern (den Begriffen) der Fall, die ja immateriell sind. Obwohl der Zahl nach andere in mir und andere in dir sind, so verlieren sie deswegen doch nicht ihren Charakter der wirklichen Erkennbarkeit, sondern der Verstand, der durch sie seinen eigentümlichen Gegenstand (nämlich das Wesen der Dinge) erkennt, wendet sich zu sich selbst zurück und erkennt, (denkt durch diese Reflexion) sein eigenes Erkennen (Denken) sowie das Erkenntnisbild, den Begriff, die Vorstellung, durch welche er erkennt (denkt) 1. q 76 a 2 ad 3.

Angenommen endlich, alle Menschen zusammen hätten nur einen einzigen Verstand, so bliebe immer noch dieselbe Schwierigkeit bestehen. Denn es gibt auch dann noch mehr als einen Verstand, weil es ja viele geistige (von der Materie geschiedene) vernünftige Substanzen (die Engel) gibt; aus ihrer Behauptung würde dann folgen, dass dann bei diesen der Begriff (den sie von ein und derselben Sache haben) der Zahl nach verschieden, und folglich (kein universaler, allgemeingültiger, sondern) ein individueller und nicht wirklich erkannter (gedachter) sei. Man sieht also, dass wenn der von ihnen angegebene Grund zwingende Notwendigkeit besäße, die Vervielfältigung des Verstandes überhaupt, nicht bloß jene bei den Menschen unmöglich wäre. Da dies aber ein falscher Schluss ist, so hat offenbar der angegebene Grund keine zwingende Beweiskraft. 1. q 76. a 2 ad 3.

ad 2. Der zweite Einwand löst sich leicht, wenn man den Unterschied beachtet, der zwischen der vernünftigen Seele und den rein geistigen Substanzen obwaltet. Die vernünftige Seele hat kraft ihrer spezifischen Natur die Eigentümlichkeit, dass sie einem Körper geeint ist als Form (als Wesensbestimmung, so dass sie also diesem Körper seine Wesensbestimmung als einem menschlichen verleiht.) Deshalb muss in die Definition der Seele auch der Körper mitaufgenommen werden, und deshalb werden je nach der Beziehung zu den verschiedenen Körpern die Seelen der Zahl nach vervielfältigt, was bei den rein geistigen Substanzen nicht der Fall ist. Daraus ergibt sich auch die Lösung des dritten Einwandes.

ad 3. Die Seele hat nicht kraft ihrer spezifischen Natur einen Leib als einen ihr gehörigen Teil, sondern nur die Fähigkeit mit ihm eins zu werden; durch diese Fähigkeit mit von einander verschiedenen Körpern eins zu werden, wird sie der Zahl nach vervielfältigt (haec anima differt ab illa numero solo, ex hoc quod ad aliud numero corpus habitudinem habet, et sie individuantur animae humanae. Cg. II, 75) und diese Vervielfältigung und die ihr entsprechende Verschiedenheit bleibt auch in den Seelen, nachdem die Körper aufgelöst sind. Sie behalten nämlich die Fähigkeit mit von einander verschiedenen Körpern eins zu werden, wenn sie auch (augenblicklich) nicht wirklich eins mit ihnen sind. l. q 76. a 2 ad l. Cg. II, 75 ad 1; 1 q 76. Cg. II, 59, 63 u. 75.

86. Kapitel: Auch der tätige Verstand ist nicht Einer in allen Menschen

Es gab nun Andere (wie z. B. Avicenna), welche zwar zugaben, dass jeder einzelne Mensch den rezeptiven Verstand besäße; dagegen behaupteten sie, es gäbe nur einen einzigen tätigen Verstand für alle Menschen zusammen. Obwohl diese Behauptung etwas erträglicher ist, als die eben behandelte, so lässt sie sich doch durch dieselben Gründe widerlegen.

1. Aufgabe des rezeptiven Verstandes ist es, die Erkenntnisgegenstände aufzunehmen und sie zu erkennen (zu denken); Aufgabe des tätigen Verstandes hingegen, die Erkenntnisgegenstände zu wirklich erkannten (gedachten) zu machen vermöge der Abstraktion (dadurch, dass die geistigen Erkenntnisbilder, Begriffe, Vorstellungen aus den Phantasiebildern herausgeschält werden, durch Bildung des Begriffes). Das Eine wie das Andere aber kommt diesem bestimmten Menschen zu, denn dieser bestimmte Mensch, Sokrates oder Plato, nimmt nicht nur den Erkenntnisgegenstand in sich auf, sondern abstrahiert ihn auch von den ihn individualisierenden Eigentümlichkeiten und erkennt (denkt) den also abstrahierten Erkenntnisgegenstand. Es muss also sowohl der rezeptive, als auch der tätige Verstand mit diesem Menschen eins sein als seine Form (seine Wesensbestimmtheit, durch die er eben in den Stand gesetzt ist, diese Tätigkeit zu vollziehen), und so muss derselbe je nach der Zahl der menschlichen Individuen selbst vervielfältigt sein.

2. Das Wirkende und das die Wirkung in sich aufnehmende Prinzip müssen gegenseitig für einander berechnet sein, wie die Materie für die Form und umgekehrt, denn die Materie erhält ihr Wirklichsein durch das wirkende Prinzip, und so kommt es, dass einem jeden passiven Vermögen (Können) ein aktives Vermögen (oder Können) derselben Art entspricht. Denn Akt und Potenz (Wirklichsein und Möglichsein) gehören zusammen. (Jedem Möglichsein, auf was immer für einem Gebiete, entspricht ein Wirklichsein auf demselben Gebiete, welches das Möglichsein zum Wirklichsein hinüberführen, entwickeln kann). Der tätige Verstand aber verhält sich zum rezeptiven, wie die aktive Potenz zur passiven, wie aus dem Gesagten hervorgeht; sie müssen also zu ein und derselben Art gehören (in ein und dasselbe Gebiet fallen). Da nun der rezeptive Verstand von uns dem Sein nach nicht geschieden ist, sondern vielmehr mit uns eins ist als unsere Form (Wesensbestimmtheit) und je nach der Zahl der Menschen vervielfältigt ist, wie gezeigt ward (Kap. 85), so muss auch der tätige Verstand etwas formaliter mit uns Geeintes sein (als Form mit uns Eins) und der Zahl der Menschen entsprechend vervielfältigt sein. 1 q 79 a 5. Cg. II, 76.

  • Die Behauptung, die menschliche Seele sei Eine in allen Menschen ward verworfen von Leo X. auf dem V. Laterannkonzil.

87. Kapitel: Rezeptiver wie tätiger Verstand gründen im Wesen der Seele

Da nun der rezeptive wie der tätige Verstand als Form (Bestimmtheit) mit uns Eins sind, so folgt notwendig, dass sie sich in ein und derselben SeeIenwesenheit beisammen finden.

1. Alles nämlich, was mit einem andern als Form (Bestimmtheit) eins ist, ist dies entweder als substantielle Form (bildet seine Wesensbestimmtheit) oder als akzidentelle Form (eine außerwesentliche Bestimmtheit). Gesetzt nun, der rezeptive und der tätige Verstand sind mit dem Menschen eins als seine Wesensbestimmtheit - so müssen beide, da ein einziges Ding nur eine einzige Wesensbestimmtheit haben kann, sich in der Einen Wesenheit der Wesensbestimmung, welche für den Menschen die Seele ist, beisammen finden. Oder angenommen, beide sind mit dem Menschen eins nur als außerwesentliche Bestimmtheiten, so kann offenbar keiner von beiden eine außerwesentliche Bestimmtheit am Körper des Menschen bilden; sondern daraus, dass ihre Tätigkeit sich ohne körperliches Organ vollzieht, wie oben (Kap. 79) gezeigt ward, folgt, dass jeder von ihnen eine außerwesentliche Bestimmtheit der Seele ist; nun aber findet sich in Einem Menschen nur eine einzige Seele; es müssen also der rezeptive wie der tätige Verstand in der Einen Wesenheit der Seele sich beisammen finden.

2. Jede Tätigkeit, welche einer Spezies (einer bestimmten Rangklasse von Dingen) spezifisch eigentümlich ist, geht hervor aus Prinzipien, welche aus der, die betreffende Spezies (d. h. die bestimmte Eigentümlichkeit in den einzelnen Dingen, wodurch sie alle zu dieser einen Rangklasse z. B. zur Spezies Pferd gehören) begründende Wesensbestimmtheit sich ableiten. Nun ist das Denken eine dem Menschen spezifisch eigentümliche Tätigkeit; es muss also der rezeptive wie der tätige Verstand, welche die Prinzipien dieser Tätigkeit sind, sich aus der menschlichen Seele ableiten, durch welche der Mensch seine spezifische Bestimmtheit hat (unter den Dingen diese bestimmte Rangklasse einnimmt). Sie leiten sich aber aus ihr nicht so ab, dass sie in den Körper übergehen (wie z. B. die Prinzipien der vegetativen und sensitiven Tätigkeit); denn ihre Tätigkeit vollzieht sich ohne körperliches Organ (Kap. 79). Wem aber die Potenz, das Vermögen zu handeln zugehört, dem kommt auch die Handlung, die Tätigkeit selbst zu. Also finden sich der rezeptive wie der tätige Verstand in der einen Seelenwesenheit beisammen.

88. Kapitel: Wie diese beiden Denkvermögen in der Einen Seelenwesenheit beisammen sind

Wie aber ist dies möglich? Die Sache scheint ihre Schwierigkeit zu haben. Der rezeptive Verstand befindet sich nämlich allem Erkennbaren (Denkbaren) gegenüber im Zustand des Möglichseins (es ist ihm möglich, er kann die Dinge erkennen, erkennt sie aber noch nicht eo ipso). Der tätige Verstand aber macht die nur der Möglichkeit nach denkbaren Dinge wirklich denkbar, und so verhält er sich ihnen gegenüber wie das Wirklichsein zum Möglichsein (wie das Wirkende zum verwirklicht Werdenden). Nun scheint es aber unmöglich, dass ein und dasselbe Ding in Bezug auf ein und denselben Gegenstand sich zugleich im Zustand des Möglichseins (als rezeptiver Verstand) und in dem des Wirklichseins (als tätiger Verstand) befindet. Demnach scheint es unmöglich, dass in der Einen Seelenwesenheit der rezeptive und der tätige Verstand eins sind.

Diese Schwierigkeit löst sich indessen leicht, wenn man bedenkt, in welcher Weise der rezeptive (aufnehmende) Verstand im Zustand des Möglichseins den erkennbaren (denkbaren) Gegenständen gegenüber sich befindet, und wie der tätige Verstand dieselben wirklich denkbar macht.

Der rezeptive Verstand befindet sich nämlich im Zustand des Möglichseins den denkbaren Dingen gegenüber insoweit und insofern, als er in seiner Natur nicht irgend eine einzelne Wesensbestimmtheit der sinnlich wahrnehmbaren Dinge hat, analog wie die Pupille durch ihre Farblosigkeit im Zustand des Möglichseins sich allen Farben gegenüber befindet (also, weil sie allen Farben gegenüber sich neutral verhält, alle in sich aufnehmen kann). Insofern also die von den sinnenfälligen Dingen abstrahierten Phantasiebilder das Abbild einzelner bestimmter sinnenfälliger Dinge sind, stellen sie dem rezeptiven Verstand gegenüber im Verhältnis des Wirklichseins zum Möglichsein; aber auch die Phantasiebilder wieder sind im Zustand des Möglichseins etwas anderem gegenüber, was die vernünftige Seele in Wirklichkeit hat, nämlich das Losgelöstsein aus (das Freisein von) dem stofflichen Zustand; und in Bezug auf diesen Punkt verhält sich die vernünftige Seele dem Phantasiebild gegenüber wie das Wirklichsein (das Verwirklichende) zum bloß Möglichsein (zum verwirklicht Werdenden). Darin aber liegt keine Unzukömmlichkeit, dass ein Ding ein und demselben andern Dinge gegenüber sowohl im Zustand des Wirklichseins als des Möglichseins sich befindet, wenn dies nicht nach ein und derselben, sondern nach verschiedenen Beziehungen hin statthat. Dies ist ja auch der Grund des gegenseitigen Aufeinanderwirkens der Naturkörper, weil jeder dem andern gegenüber rezeptiv sich verhält. So liegt auch keine Unzukömmlichkeit darin, dass ein und dieselbe vernünftige Seele im Zustand des Möglichseins (der Rezeptivität) allen Erkenntnisgegenständen gegenüber sich befindet, und insofern legen wir ihr den rezeptiven Verstand bei, sowie dass sie sich eben denselben gegenüber im Zustand der Wirklichkeit (der Aktivität, Tätigkeit) befindet, und insofern legen wir ihr tätigen Verstand bei.

Dies wird noch einleuchtender, wenn wir die Art und Weise betrachten, in welcher der Verstand die Erkenntnisgegenstände wirklich vernünftig erkennbar (denkbar) macht. Dies bewirkt der tätige Verstand nicht etwa in der Art, dass die wirklich denkbaren Dinge von ihm selbst aus in den rezeptiven Verstand einströmen - denn dann bedürften wir ja weder der Phantasiebilder noch der Sinne zur Denktätigkeit sondern er macht sie vielmehr wirklich denkbar dadurch, dass er sie aus den Phantasiebildern loslöst, abstrahiert, analog wie das Licht die Farben zur Wirklichkeit bringt, nicht als hätte es dieselben in sich selbst, sondern insofern es denselben die Möglichkeit gibt, sich dem Auge bemerkbar zu machen (zu reagieren). So also müssen wir es uns vorstellen, dass ein und dieselbe vernünftige Seele es ist, welche einerseits neutral sich verhält der Natur der sinnfälligen Dinge gegenüber (d. h. keine von all den Naturen der sinnfälligen Dinge an sich hat) und eben deshalb sie alle in geistiger (denkbarer) Weise in sich aufnehmen kann; die aber auch andrerseits die Phantasiebilder wirklich denkbar macht (sie zur Denkbarkeit erhebt), indem sie aus denselben herausschält die vernünftigen (geistigen) Erkenntnisbilder (Begriffe, Vorstellungen). Jenes Vermögen der Seele also, durch welches sie die Fähigkeit besitzt, die Erkenntnisbilder in sich aufzunehmen, wird rezeptiver Verstand genannt; das Vermögen aber, kraft dessen sie die vernünftigen Erkenntnisbilder (die Begriffe) aus den Phantasiebildern abstrahiert, wird tätiger Verstand genannt.

Dieser ist gleichsam ein geistiges Licht, an welchem die Seele Teil hat und durch welches sie den höheren geistigen Substanzen nahekommt.

(Der tätige Verstand gießt gleichsam ein Licht aus über das im Phantasiebild dunkel sich findende geistige Erkenntnisbild, den Begriff, so dass er aus dem materiellen zum geistigen, zum Gedankensein erhoben wird und so in den rezeptiven Verstand aufgenommen werden kann. Darum geht die Tätigkeit des tätigen Verstandes jener des rezeptiven voraus.) Cg. II, 77; 1 q 79 a 4.

89. Kapitel: Alle Vermögen wurzeln im Wesen der Seele

Nicht bloß der tätige und der rezeptive Verstand sind eins in der Einen Wesenheit der menschlichen Seele, sondern auch alle übrigen Seelen vermögen, welche Prinzipien der verschiedenen Seelentätigkeiten sind (von denen die verschiedenen Seelentätigkeiten ausgehen). Denn alle diese Vermögen wurzeln gewissermaßen in der Seele. Die einen, wie die Vermögen des vegetativen und sensitiven Teiles der Seele sind in ihr als ihrem Prinzip (als dem Wesen, von dem sie ausgehen), in dem (aus Leib und Seele) zusammengesetzten ganzen Menschen aber als in ihrem Subjekt (d. h. ihr Träger und Inhaber ist nicht die Seele allein für sich und nicht der Körper allein für sich, sondern beide zusammen als Natureinheit, denn ihre Tätigkeiten gehören dem aus beiden zusammengesetzten ganzen Menschen, nicht der Seele allein an). Denn wem die Tätigkeit zukommt, dem gehört auch das Vermögen der Tätigkeit. Andere von den Seelenkräften aber sind in der Seele als ihrem Prinzip und ihrem Subjekt (als dem Wesen, von dem sie ausgehen und in dem sie ruhen, das sie trägt); denn ihre Tätigkeit gehört nur der Seele allein an mit Ausschluss eines körperlichen Organs, und das sind die Vermögen des vernünftigen Teiles der Seele. Nun kann es aber unmöglich mehr als Eine Seele im Menschen geben. Also gehören alle Seelenvermögen ein und derselben Seele zu. 1 q 77 a 5.

90. Kapitel: In jedem Leib ist nur eine einzige Seele

Die Unmöglichkeit, dass in Einem Leib mehr als Eine Seele ist, lässt sich folgendermassen nachweisen.

1. Offenbar ist die Seele Wesensbestimmtheit dessen, der die Seele hat, aus dem Grunde, weil der Beseelte eben durch die Seele Gattung und Art erhält (d. h. durch seine höhere oder niedere, vegetative, sensitive oder vernünftige Seele eine bestimmte Rangklasse im Naturganzen, als Pflanze oder Tier oder Mensch, einnimmt). Nun ist es aber unmöglich, dass ein und dasselbe Ding mehr als Eine Wesensbestimmtheit habe. Denn darin eben liegt der Unterschied zwischen der Wesensbestimmtheit und der bloß außerwesentlichen Bestimmtheit eines Dinges, dass die Wesensbestimmtheit (formaliter nicht effectiv) macht, dass dieses bestimmte Wesen schlechthin sei (das Ding als dieses bestimmte Wesen schlechthin begründet, d. h. dass das Ding eben als dieses bestimmte Naturwesen, als Rose oder Löwe usw. existiere); die außerwesentliche Bestimmtheit aber kommt zu dem, was schon dieses bestimmte Wesen ist, erst noch hinzu, und macht (formaliter nicht effectiv), dass es diese Qualität oder Quantität oder sonst welche Bestimmtheit oder Beziehung erhält. (Est hoc proprium formae substantialis, quod det materiae esse simpliciter; ipsa enim est, per quam res est hoc ipsum quod est. Non autem per formas akzidentales habet esse simpliciter, sed esse secundum quid; puta esse magnum, vel coloratum, vel aliquid tale. De anima a 9).

Gesetzt nun, es gäbe mehrere Wesensbestimmtheiten für ein und dasselbe Ding: so macht entweder die erste derselben es zu diesem bestimmten Wesen oder nicht. Macht sie es nicht zu diesem bestimmten Wesen, so ist sie nicht Wesensbestimmtheit. Macht sie es aber zu diesem bestimmten Wesen, dann bilden alle folgenden Bestimmtheiten nur einen Zuwachs zu dem, was schon dieses bestimmte Wesen ist. Keine der nachfolgenden Bestimmtheiten ist also Wesensbestimmtheit, sondern nur (dem schon vorhandenen Ding zufallende) außerwesentliche Bestimmtheit. So also ergibt sich die Unmöglichkeit, dass ein und dasselbe Ding mehr als Eine Wesensbestimmtheit haben kann; es kann also auch nicht mehr als Eine Seele in ein und demselben Wesen geben. Cg. II, 58 11. 3; 1 q 76 a 4.

2. Ferner, wir nennen die Pflanze lebend, insofern sie eine vegetative Seele hat; das Tier, insofern es eine sensitive Seele hat, den Menschen, insofern er eine vernünftige Seele hat. Gibt es nun drei Seelen im Menschen, eine vegetative, eine sensitive und eine vernünftige, so folgt, dass der Mensch gemäß einer andern Seele (der sensitiven nämlich) unter die Gattung, gemäß einer andern (der vernünftigen) aber unter die Art fiele; das aber ist unmöglich. Denn dann würde aus Gattung und Differenz nicht ein einziges Ding schlechthin entstehen, sondern nur ein zufälliges, gleichsam zusammengewürfeltes Ganze, wie wenn wir vom Musiker sagen, er habe weiße Farbe; denn beide sind nicht schlechthin eins (identisch miteinander, die Begriffe decken sich nicht): nihil est simpliciler unum nisi per formam unam per quam habet res esse; ab eodem enim habet res quod sit ens et quod sit una; et ideo ea, quae denominantur a diversis formis, non sunt unum simpliciter, sicut homo albus. 1 q 76 a 3.) Also muss es im Menschen nur Eine Seele geben. 1 q 76 a 3. Cg. II, 58.

  • Die Behauptung, dass der Mensch mehr als Eine Seele hat, ist von der Kirche verworfen: 8. Ökum. Konzil von Konstantinopel. can. 11.

91. Kapitel: Scheinbare Beweisgründe für die Mehrzahl der Seelen im Menschen

Der eben aufgestellten Behauptung scheint Manches entgegen zu sein.

1. Die Differenz (differentia specifica) verhält sich zur Gattung (zum genus proximum) wie die Form zur Materie ("wie das Bestimmende zum Unbestimmten, zu dem der Bestimmung Fähigen und Bedürftigen; so wird z. B. der allgemeine, unbestimmte Gattungsbegriff "Tier" durch die Differenz "Säugetier" näher bestimmt). Nun ist "sinnliches Lebewesen" der Gattungsbegriff des Menschen (die Gattung, unter welche der Mensch fällt), "vernünftig" aber ist seine konstitutive Differenz (ist jenes Merkmal an ihm, was ihn von allen übrigen sinnlichen Lebewesen unterscheidet und ihn zu einem Wesen dieser bestimmten Art, die wir "Mensch" nennen, macht). Da wir nun unter "sinnlichem Lebewesen" einen von einer sensitiven Seele beseelten Leib verstehen, so scheint es, dass der durch eine sensitive Seele beseelte Leib sich noch im Zustand der Möglichkeit (der näheren Bestimmbarkeit) der vernünftigen Seele gegenüber befindet (dass der schon durch eine sensitive Seele beseelte Leib durch die vernünftige Seele seine spezifische Bestimmtheit und Vollendung, seinen Anschluss finde). Und so würde die vernünftige Seele eine von der sensitiven verschiedene sein.

2. Der Verstand hat für seine Tätigkeit kein körperliches Organ: die sensitiven und vegetativen Seelenvermögen dagegen haben ein körperliches Organ. Nun scheint es aber unmöglich zu sein, dass ein und dieselbe Seele zugleich vernünftig und zugleich sensitiv sei; weil nicht ein und dasselbe Ding einerseits von dem (Körperlichen) losgelöst, (unkörperlich, geistig) und andrerseits nicht losgelöst (mit dem Körper verbunden) sein kann.

3. Die vernünftige Seele ist unsterblich, wie oben (Kap. 86) gezeigt ward; die vegetative wie die sensitive Seele aber ist sterblich (auflöslich), weil sie nichts anderes als das Wirklichsein (die Wirklichkeit) auflösbarer Organe ist (weil sie nichts anderes ist, als der Auflösung unterworfene Organe in ihrem Wirklichsein). Es kann also nicht ein und dieselbe Seele vegetativ, sensitiv und vernünftig sein, weil es eben unmöglich ist, dass ein und dasselbe Ding zugleich auflösbar (zerstörbar, sterblich) und zugleich unauflösbar (unzerstörbar, unsterblich) sei.

4. Bei dem durch die Zeugung begründeten Entwicklungsprozess des Menschen (zeigen sich beim Embryo in aufsteigender Linie immer höhere Lebensäußerungen, so) zeigt sich zuerst die durch die vegetative Seele bewirkte Lebensäußerung (im Gestalten und Bilden von innen heraus, im Wachsen des Embryo), bevor noch der Embryo sich als sinnliches Lebewesen durch Sinnestätigkeit und Bewegung manifestiert; und hinwieder offenbart sich der sich entwickelnde Mensch durch Bewegung und Sinnestätigkeit als ein sinnliches Lebewesen, bevor er den Verstand hat. Wenn nun (durch diesen ganzen Entwicklungsgang hindurch) ein und dieselbe Seele es ist, durch welche der Embryo erstens das Leben der Pflanze, zweitens das des Tieres und drittens das des Menschen lebt, so würde folgen entweder, dass das vegetative und sensitive wie vernünftige Leben durch ein außerhalb des Körperlichen stehendes Prinzip bewirkt wird - oder, dass auch die vernünftige Seele ihr Dasein der im Samen (plastisch) wirkenden Kraft (durch welche die Erzeugung bewirkt wird) verdanke.

Beides aber scheint unzukömmlich zu sein; das erste nicht: denn da die Tätigkeiten der vegetativen und sensitiven Seele sich nicht vollziehen können ohne den Leib (ohne körperliche Organe), so können auch ihre Prinzipien nicht ohne den Leib (außerhalb des Leibes) sein; das zweite nicht, denn die Tätigkeit der vernünftigen Seele findet nicht vermittelst eines körperlichen Organes statt, und so scheint es unmöglich, dass sie durch eine im Leib wurzelnde Kraft ins Dasein gesetzt werde. Demnach scheint es unmöglich zu sein, das ein und dieselbe Seele vegetativen, sensitiven und vernünftigen Charakter an sich trage.

92. Kapitel: Lösung dieser Einwände

Um derartige Bedenken zu lösen, müssen wir uns die Tatsache vor Augen halten, dass analog, wie auf dem Zahlengebiet eine Zahl von der andern dadurch spezifisch verschieden ist, dass die eine zur andern etwas hinzufügt: so auch in der Körperwelt (in aufsteigender Linie) eine Spezies die andere an Vollkommenheit übertrifft. Denn Alles, was an Vollkommenheit sich bei den leblosen Körpern findet, das haben auch die Pflanzen und noch Etwas mehr dazu; und hinwieder Alles, was die Pflanzen haben, das haben auch die Tiere und noch Etwas mehr; und so geht es (in der Tierwelt selbst, durch die verschiedenen Spezies in aufsteigender Linie) bis zum Menschen fort, der unter allen körperlichen Geschöpfen den Gipfelpunkt der Vollkommenheit bildet. Alles Unvollkommene verhält sich nun aber dem Vollkommenen gegenüber in der Weise der Materie (d. h. als das Material. dessen sich das Vollkommenere zu seinem Aufbau bedient), wie dies sich auf den verschiedenen Gebieten zeigt. So bilden die Elemente die Materie für die unorganischen Körper, und diese hinwieder bilden das Material, aus welcher sich die Tierkörper aufbauen. Das Gleiche gilt aber auch von ein und demselben Ding. Was unter den Naturdingen einen höheren Grad der Vollkommenheit besitzt, das hat durch seine Wesensbestimmtheit alle Vollkommenheiten, die den unter ihm stehenden Naturen zukommen, und durch eben dieselbe hat sie auch noch die Vollkommenheit, durch welche sie die unter ihr stehenden Wesen überragt. So hat die Pflanze durch ihre Seele, dass sie Substanz (ein selbständiges, in sich und für sich bestehendes Wesen), sowie, dass sie körperlich, und noch dazu, dass sie ein belebter Körper ist. Das Tier hinwieder hat durch seine Seele all dieses und noch dazu, dass es sinnenbegabt ist; der Mensch aber hat zu all dem Vorausgehenden noch durch seine Seele, dass er vernünftig ist. Richtet man also bei einem Ding sein Augenmerk auf das, was zur Vollkommenheit einer niederen Stufe gehört, so verhält sich dieses als Material, d. h. als etwas der weiteren Bestimmbarkeit und Vervollkommnung Fähiges, zur Vollkommenheit der nächst höheren Stufe. Betrachtet man also z. B. am Tiere die Tatsache, dass es (in seiner vegetativen Tätigkeit) das Leben der Pflanze hat, so verhält sich das gewissermaßen als Materie dem sensitiven Lebensgebiet im Tier gegenüber, was das dem Tier spezifisch Eigentümliche ist. Nun ist aber die Gattung nicht (im eigentlichen Sinn) die Materie; denn sonst könnte sie nicht vom Ganzen (das aus Materie und Form besteht) ausgesagt werden; sondern sie ist etwas der Materie Entlehntes. Die Benennung nämlich, die man dem Ding auf Grund dessen gibt, was in der Weise der Materie (des noch näher Bestimmbaren) in ihm sich findet, ist sein Gattungsbegriff; und analog wird die Differenz hergenommen von der Form (die das Ding näher bestimmt). Deshalb bildet der Begriff "lebendiger" oder "beseelter Leib" den Gattungsbegriff für das sinnliche Lebewesen, der Begriff "sinnlich" aber die dasselbe als Spezies begründende Differenz. (Den Begriff "lebendiger" oder "beseelter Leib" hat das sinnliche Lebewesen, das Tier, mit der Pflanze gemein; dieser, der näheren Bestimmung noch fähige Begriff wird nun durch "sinnlich" näher bestimmt, wie die Materie durch die Form, und so entsteht der Artbegriff "Tier"). Und ebenso ist hinwieder "sinnliches Lebewesen", der Gattungsbegriff für den Menschen, "vernünftig" aber die ihn als Spezies begründende Differenz. Weil nun die Wesensbestimmtheit der höheren Stufe alle Vollkommenheiten der niederen Stufe in sich begreift, so sind die Wesensbestimmtheit, von welcher der Gattungsbegriff, und jene, von welcher der Artunterschied hergenommen wird, nicht etwa zwei der Sache nach verschiedene Bestimmtheiten, sondern von ein und derselben Wesensbestimmtheit wird, insofern sie die Vollkommenheit der niederen Stufe (z. B. sinnliches Lebewesen) in sich schließt, der Gattungsbegriff, und insofern sie die Vollkommenheit der höheren Stufe (z. B. Vernünftigkeit) in sich begreift, der Artunterschied hergenommen. Und so ergibt sich

ad 1. dass, obwohl der Begriff "sinnliches Lebewesen" der Gattungsbegriff des Menschen und "vernünftig" der ihn als Spezies begründende Artunterschied ist, deshalb noch nicht im Menschen die sensitive und die vernünftige Seele der Zahl nach verschieden sein müssen, wie der erste Einwand behauptete.

Daraus ergibt sich auch die Lösung des zweiten Einwandes.

ad 2. Wie gesagt, begreift die Wesensbestimmtheit der höheren Spezies in sich alle Vollkommenheiten der unter ihr stehenden Rangstufen. Nun ist aber zu beachten, dass in der Körperwelt eine Spezies um so höher steht, je weniger sie der Materie (der Stofflichkeit) unterliegt, und so muss eine Wesensbestimmtheit, je höher (edler) sie ist, desto mehr auch über die Materie sich erheben. Weil nun die menschliche Seele die höchste unter allen stofflichen Wesensbestimmtheiten ist, so muss sie auch den höchsten Grad der Erhabenheit (der Souveränität über den Stoff) einnehmen, indem sie eine Tätigkeit entfaltet, an welcher die körperliche Materie gar nicht mehr beteiligt ist; weil sie jedoch auch alle Vollkommenheiten der niederen Rangstufen in sich enthält, so hat sie andrerseits nichts desto weniger auch jene Tätigkeiten, an welchen die körperliche Materie mitbeteiligt ist. Nun geht aber offenbar die Tätigkeit vom Ding aus nach Maßgabe seiner Kraft. Es muss also die menschliche Seele einerseits Kräfte oder Vermögen haben, von welchen jene Tätigkeiten ausgehen, die durch den Leib ausgeübt werden, und diese müssen Akte von bestimmten Teilen des Leibes sein (fordern also bestimmte körperliche Organe) - und derart sind die Vermögen der vegetativen und sensitiven Seite der Seele. Sie hat aber auch Vermögen, von denen jene Tätigkeiten ausgehen, die ohne Körper vollzogen werden (an denen der Leib nicht beteiligt ist); und das sind die Vermögen der vernünftigen Seite der Seele und diese sind nicht Akte bestimmter Organe. Darum wird sowohl der rezeptive als auch der tätige Verstand vom Stoff losgetrennt (stofflos) genannt, weil sie keine Organe haben, deren Akte sie wären, wie dies beim Gesicht und Gehör der Fall ist, sondern sie finden sich einfach nur in der Seele, welche die Wesensbestimmtheit des Leibes ist. Aus dem Umstand also, dass der Verstand als losgetrennt vom Stoff, stofflos bezeichnet wird und kein körperliches Organ besitzt, im Gegensatz zu den Sinnen, folgt nicht, dass die vernünftige Seele im Menschen von der sensitiven real verschieden sei. Daraus ergibt, sich weiter, dass wir auch nicht aus dem Grunde neben der vernünftigen Seele noch eine sensitive im Menschen annehmen müssen, weil die sensitive Seele sterblich, die vernünftige aber unsterblich ist, wie der dritte Einwand behauptet.

ad 3. Die Eigenschaft der Unsterblichkeit kommt nämlich der vernünftigen Seite der Seele insofern zu, als sie stofffrei ist. Wie in ein und derselben Wesenheit der Seele sowohl die stofffreien als auch die nicht stofffreien Vermögen gründen, so steht auch nichts im Weg, dass manche von den Seelenvermögen zugleich mit dem Leib vergehen, andere aber unvergänglich, unsterblich sind. - Aus dem Gesagten ergibt sich endlich die Lösung des vierten Einwandes.

ad 4. Jede natürliche Entwicklung schreitet allmählich vom Unvollkommenen zum Vollkommenen voran. Anders aber findet dieses statt bei der Alteration (bei einer das Wesen des Dinges nicht berührenden, bloß außerwesentlichen Veränderung) und anders bei der Generation (beim Entstehen eines vollständig neuen Wesens, bei einer wesentIichen Veränderung). Denn ein und dieselbe Qualität (Eigenschaft, z. B. Schönheit, Gesundheit) lässt ein Mehr oder Minder zu (es kann ein Ding mehr oder minder schön oder gesund sein; darum sind auch die Adjektive, die Eigenschaftswörter der Steigerung, Comparation, fähig); daher schreitet die Alteration, die eine Entwicklung in Bezug auf die Qualität (der Eigenschaft, Beschaffenheit des Dinges) ist, während sie ununterbrochen ein und dieselbe bleibt, vom Möglichsein zum Wirklich sein, vom Unvollkommenen zum Vollkommenen voran. Die Wesensform dagegen lässt kein Mehr oder Minder zu; denn das substantiale (wesentliche) Sein eines jeden Dinges ist unteilbar (darum sind die Substantiva, welche das Wesen des Dinges ausdrücken, keiner Steigerung fähig. Entweder sind sie, was sie ausdrücken oder etwas wesentlich anderes - nicht aber ein Mehr oder Minder desselben Wesens).

Darum findet bei der natürlichen Generation (wo es sich also nicht um bloße akzidentale Veränderung eines schon bestehenden und fortbestehenden Wesens, sondern um Neubegründung eines Wesens handelt) nicht eine durch viele Mittelstufen ununterbrochen sich fortsetzende Entwicklung vom Unvollkommenen zum Vollkommenen statt (wie die heutige Naturphilosophie dies meistens annimmt), sondern für jede einzelne höhere Stufe der Vollkommenheit ist ein neues Entstehen und Vergehen notwendig. (Es ist also nach der alten Naturlehre nicht möglich, dass ein und dieselbe Wesenheit durch allmäliche immer höhere Steigerung zu einer höheren Seinsweise, auf die Rangstufe einer höheren Wesenheit gehoben werde, eben weil es gegen den Begriff der Wesenheit geht die entweder diese Rangstufe ist oder sie nicht ist, diese Wesenheit ist, oder sie nicht ist - nach dem Gesetz des Widerspruchs).

So lebt beim Erzeugungsprozess des Menschen der Embryo zuerst das Leben der Pflanze durch die vegetative Seele, dann, nachdem diese Wesensbestimmtheit durch Auflösung entfernt ist, erwirbt er durch eine neue Generation die sensitive Seele, und lebt das Leben des Tieres, und nachdem auch diese Seele durch Auflösung verschwunden ist, kommt in ihn als letzte und vollendete Wesensbestimmtheit die vernünftige Seele, die in sich alle Vollkommenheiten der vorausgehenden Wesensbestimmtheiten enthält. 1 q 118 a 2 ad 2.

(Eine sehr eingehende und ausführliche Begründung seiner Ansicht über den Entstehungsprozess des Menschen gibt der hl. Thomas. Cg. II, 89. Die wechselseitige Corruptio und Generatio der verschiedenen Formen ist eben zu fassen als der Übergang der Embryo von einem Zustand in den andern, vom unvollkommeneren in den vollkommeneren. Der betreffende Zustand ist begründet durch die Form. Weil keine Körperform für sich besteht, sondern nur in und mit der Materie, deren Bestimmtheit sie bildet und mit der sie alle Schicksale teilt, mit alleiniger Ausnahme der vernünftigen menschlichen Seele - so ist die corruptio der niederen Form durch die nachfolgende höhere Form - der Pflanzenseele durch die Tierseele, nicht als eine eigentliche Vernichtung zu fassen, sondern so, wie wenn z. B. die Cubusform, welche dem Wachs anhaftet, durch Umbildung des Wachses in die Kugelform übergeht).

93. Kapitel: Die vernünftige Seele entsteht nicht durch Zeugung

Diese letzte und vollendete Wesensbestimmtheit des Menschen die vernünftige Seele - wird ins Dasein gesetzt, nicht etwa eine durch eine im menschlichen Samen (gestaltend wirkende) Kraft, sondern durch eine höhere wirkende Ursache.

1. Die Kraft die im menschlichen Samen wirksam ist, ist die Kraft eines körperlichen Dinges. Die vernünftige Seele reicht aber über alle Natur und Kraft des Körpers hinaus, da nichts körperliches sich zur Höhe ihrer vernünftigen Denktätigkeit zu erheben vermag. Da nun kein Ding imstande ist, eine Wirkung zu erzielen, welche über die Naturstufe, auf der es selbst steht, hinausginge - weil (nach dem Kausalitätsgesetze) das Wirkende höher steht als das die Einwirkung Erleidende, und das Hervorbringende höher als das Hervorgebrachte, so ist es unmöglich, dass je die Kraft eines Körpers die vernünftige Seele hervorbrächte, also auch nicht die Kraft, die im menschlichen Samen wirksam ist. 1. q 118. a 2. Cg. II, 86. n. 4.

2. Genau so, wie ein Ding von Neuem (von vorne an) das Sein hat, so kommt ihm auch sein Werden (Entstehen) von Neuem an zu: denn das Werden, Entstehen gehört eben dem zu, der ist; dazu nämlich wird (entsteht) etwas, damit es sei (existiere). Jenen Dingen also, die in sich und für sich selbst (nicht in einem andern Ding) ihr Dasein haben, kommt auch das Werden, das Entstehen an sich (nicht in und mit einem andern Ding) zu; dies ist der Fall bei allen jenen Dingen, die in sich und für sich selbst bestehen, (Selbststand haben). Jenen Dingen aber, die das Dasein nicht an und für sich (sondern nur in und mit einem andern Ding) haben, kommt es auch nicht zu, an und für sich (sondern nur in und mit einem andern) zu werden (zu entstehen). Dies ist der Fall bei den Akzidentien (die nur in und mit ihrem Subjekte, ihrer Substanz, ihrem Träger und den stofflichen Wesensbestimmtheiten (die nur in und mit dem Stoff existieren und demgemäß entstehen können). Nun hat aber die vernünftige Seele an und für sich (nicht erst etwa in und mit dem Leib) das Dasein, weil sie an und für sich (nicht erst in und mit einem andern) eine Tätigkeit entfaltet, das vernünftige Denken nämlich, das eine rein geistige Tätigkeit ist (Kap. 79). Der Seele kommt es also auch zu, an und für sich (nicht bloß in und mit einem andern Ding) zu entstehen. Da sie nun nicht aus Materie und Form zusammengesetzt ist, wie oben (Kap. 84) gezeigt ward, so kann sie nur auf dem Weg der Schöpfung ins Dasein gesetzt werden. Gott allein aber kommt es zu, schöpferisch tätig zu sein (d. h. ein Ding seinem ganzen Sein nach hervorzubringen Kap. 70). Also wird die vernünftige Seele nur von Gott ins Dasein gesetzt. Cg. II, 87. n. 2. - Dies ist (in der Stufenreihe der Weltdinge) begründet. Wir sehen, wie bei allen Künsten, die in gemeinschaftlicher Wechselwirkung beim Hervorbringen eines Kunstgegenstandes z. B. eines Gebäudes, tätig sind, die höchste von ihnen (z. B. die Baukunst dem Werk) dem Gebäude), die letzte (und höchste) Form oder Bestimmtheit (z. B. dem Gebäude die bestimmte Gestalt) gibt, während die niederen Künste (die der Maurer und Zimmerleute) die Materie (das Material) für diese letzte (und höchste) Form oder Bestimmtheit zurecht richten. Nun ist die vernünftige Seele offenbar die höchste und vollkommenste Wesensbestimmtheit oder Form, welche die Materie der dem Entstehen und Vergehen unterworfenen Körperdinge erlangen kann. Dem ganz entsprechend verursachen also die auf den niederen Gebieten tätigen Naturursachen, die (der vernünftigen Seele) vorausgehenden (und unter ihr stehenden) Dispositionen und Wesensbestimmtheiten oder Formen. Die höchste wirkende Ursache aber - nämlich Gott - bewirkt die letzte und höchste Wesensform auf körperlichem Gebiet und das ist die vernünftige Seele. 1. q. 118. a 2; Cg. II, 86-89.

  • Die Lehre, dass die menschliche Seele durch Schöpfung (Kreatianismus), nicht durch Zeugung (Generationismus oder Tradutianismus) entstehe, ist nicht Dogma; doch darf sie als Sententia fidei proxima bezeichnet werden.

94. Kapitel: Die vernünftige Seele ist nicht ein Ausfluss der göttlichen Wesenheit

Man darf jedoch nicht glauben, dass die vernünftige Seele ein TeiI der Wesenheit Gottes selbst sei, wie Manche (z. B. die Priscillianisten) meinten.

1. Wie oben (Kap. 9) gezeigt ward, ist Gott einfach und unteilbar. Er eint also die vernünftige Seele nicht derart dem Leib, dass er sie etwa von seiner Wesenheit loslöst.

2. Es ward oben (Kap. 17) gezeigt, dass Gott unmöglich die Wesensbestimmtheit eines Körpers sein (und so mit ihm eine Natureinheit bilden) kann. Nun aber ist die vernünftige Seele mit dem Körper eins (bildet mit ihm eine Natureinheit) als dessen Wesensbestimmtheit; also kann sie nicht göttlicher Wesenheit sein.

3. Gott bewegt (verändert) sich weder an sich, direkt, noch auch indirekt, per accidens (d. h. dadurch, dass er durch die Bewegung oder Veränderung eines andern Dinges in Mitleidenschaft gezogen würde). Das Gegenteil hiervon aber sehen wir an der vernünftigen Seele; denn sie ändert sich, indem sie vom Zustand der Unwissenheit in den des Wissens, sowie vom Laster zur Tugend übergeht. Sie ist also nicht göttlichen Wesens. 1. q. 90. a 1. Cg. II, 85.

  • Die priscillianistische Lehre, die Seele sei ein Teil der Gottheit und göttlichen Wesens, ward von Leo d. Gr. ep. 15 ad Turrib. n. 5 sowie vom Konzil von Toledo (a 477) can. 11. als Häresie verworfen.

95. Kapitel: Was durch eine außerhalb der Natur stehende Kraft zum Dasein gebracht wird, ist unmittelbar von Gott

Aus dem oben Angeführten ergibt sich mit Notwendigkeit der Schluss, dass alle jene Dinge, die nur durch die Schöpfung ins Dasein treten können, unmittelbar von Gott sind. Nun können offenbar die Himmelskörper nur durch Schöpfung ins Dasein treten: Denn man kann nicht sagen, sie seien aus einer schon vorhandenen Materie (dem Elementarstoff) gebildet worden; denn in diesem Fall wären sie (wie alle Dinge auf Erden) dem Entstehen und Vergehen unterworfen. Das aber findet bei ihnen (nach der aristotelisch-thomistischen Kosmologie) nicht statt, wie ihre Bewegung beweist. Sie bewegen sich nämlich kreisförmig. Die kreisförmige Bewegung aber hat nichts heterogenes in sich (d. h. sie bewegt sich nicht rückwärts und unterbricht nicht die Kontinuität; aus der Tätigkeit aber schließt man auf das Sein). Also sind die Himmelskörper unmittelbar von Gott hervorgebracht. 1. q 66 a 2; Cg. II, 40 n. 3.

Desgleichen sind auch die Elemente (die Grundstoffe der Körper) ihrem ganzen Umfang nach nicht aus einem etwa schon vorhandenen Stoff, weil dann das, was ihnen voraus existierte, schon irgend eine Wesensbestimmtheit haben würde, und dann müsste ein anderer Körper, als die Elemente, das erste auf dem Gebiet der stofflichen Ursache sein (und also dieser und nicht die Elemente den Grundstoff der Körper bilden, was dem Begriff der Elemente widerspricht). Hätte aber die den Elementen voraus bestehende Materie eine andere Wesensbestimmtheit, so müsste, wenn die ihnen vorangehende Materie die Wesensbestimmtheit des Elementes hätte, eines von ihnen auf demselben Gebiet ihnen vorangehen. Es müssen also auch die Elemente unmittelbar von Gott hervorgebracht sein.

Noch weniger ist es möglich, dass die körperlosen und unsichtbaren, selbständigen Wesen etwas anderem ihr Dasein verdanken, als der Schöpfung durch Gott. Alle diese Wesen sind nämlich immateriell. (Denn sie können nicht eine mit den körperlichen Dingen gemeinsame Materie haben, und dies deshalb nicht, weil es unmöglich ist, dass die geistige Wesensbestimmtheit und die körperliche zugleich in ein und demselben Teile der Materie aufgenommen werden, und dadurch diesem formaliter seine Wirklichkeit und Wesensbestimmtheit geben, weil dann sonst ja ein und dasselbe Ding zugleich ein geistiges und zugleich ein körperliches wäre. Es bleibt also nur übrig, dass ein Teil der Materie durch die körperliche Wesensbestimmtheit zu einem körperlichen, ein anderer Teil aber durch die geistige Wesensbestimmtheit zu einem geistigen Wesen bestimmt werde. (1. q 50. a 2). Nun muss aber die geistige wie körperliche gemeinsame Materie, wenn sie geteilt werden soll, damit eine andere jene sei, welche zu körperlichen, und eine andere jene, welche zu geistigen Wesen bestimmt wird) wenigstens die Eigenschaft der Ausdehnung an sich haben. Die quantitative Ausdehnung aber ist mit der Natur des reinen Geistes unverträglich. Es ist also unmöglich, dass sie aus einer schon ihnen vorausbestehenden Materie verursacht werden. Sie können also bloß von Gott durch einen Schöpferakt zum Dasein gebracht werden. Und deshalb bekennt der katholische Glaube Gott als den Schöpfer Himmels und der Erde, aller sichtbaren und aller unsichtbaren Dinge. 1. q 45. a 4. Cg. I, 22 n. 1.

96. Kapitel: Gott wirkt nicht mit Naturnotwendigkeit, sondern mit freiem Willen

Auf Grund des Gesagten lässt sich weiter zeigen, dass Gott die Dinge nicht mit Naturnotwendigkeit, sondern durch freie Willenstat ins Dasein gebracht hat.

1. Von einem mit Naturnotwendigkeit wirkenden Ding kann unmittelbar immer nur ein und dieselbe Wirkung ausgehen; das mit freiem Willen handelnde Wesen dagegen kann die verschiedenartigsten Dinge hervorbringen. Der Grund hiervon ist der, dass jedes wirkende Wesen auf Grund (in Gemäßheit) seiner Wesensbestimmtheit wirkt. Die Naturbestimmtheit aber, gemäß welcher ein Wesen mit Naturnotwendigkeit wirkt, ist in jedem einzelnen Naturwesen immer nur Eine. (Secundum quod agens naturale est tale - insofern es also gerade diese und nicht jene Wesensbestimmtheit oder Natur hat - agit; unde quamdiu est tale, non facit nisi tale: so bringt der Rosenstrauch immer nur Rosen, der Apfelbaum nur Äpfel hervor; omne enim agens per naturam habet esse determinatum. 1. q 19. a 4). Die Erkenntnisbilder (die Vorstellungen) des Verstandes aber, auf welche hin ein Wesen mit freiem Willen tätig ist, sind mehrere an der Zahl. Da nun von Gott unmittelbar (nicht bloß ein einziges, sondern) mehr als ein Ding ins Dasein gesetzt wurde, wie gezeigt ward (Kap. 95), so ergibt sich, dass Gott die Dinge durch seinen freien Willen (in dessen Natur es liegt, auf Grund der, im vernünftigen Denken vorhandenen Vorstellungen tätig zu sein) und nicht mit Naturnotwendigkeit hervorgebracht hat. 1. q 19. a 4. 2 do. Cg. I, 23 n. 1.

2. Jenem Wesen, welches mit Verstand und Willen handelt, gebührt auf dem Gebiet der wirkenden Ursachen der Vorrang vor jenen Wesen, die mit Naturnotwendigkeit wirken; denn das mit freiem Willen handelnde Wesen bestimmt sich selbst das Ziel seines Wirkens; das mit Naturnotwendigkeit handelnde dagegen verfolgt in seinem Wirken ein ihm von einem andern (höheren Wesen) gestecktes Ziel (sicut sagittae praedeterminatur finis et certus modus a sagittante ibid). Nun ist Gott, wie aus dem Vorausgehenden ersichtlich ist, das erstwirkende Wesen. Er ist also ein nicht mit Naturnotwendigkeit, sondern mit freiem Willen wirkendes Wesen. 1. q 19. a 4. mo. Cg. I, 23 n. 5.

3. Es ward im obigen (Kap. 19) gezeigt, dass Gott unendliche Kraft besitzt; also ist er in seinem Wirken nicht auf diese oder jene Wirkung beschränkt, sondern verhält sich allen gegenüber neutral, unbestimmt (d. h. so dass er sie setzen und auch nicht setzen kann). Was aber weder zu der einen noch zu der andern Wirkung bestimmt ist, das bestimmt sich zur Setzung der einen Handlung im Gegensatz zur andern durch das Verlangen oder (was dasselbe ist) durch seine freie Willensbestimmung. So ist es z. B. beim Menschen, der spazieren gehen und auch nicht spazieren gehen kann, der Fall: er geht eben spazieren (nicht weil er mit Naturnotwendigkeit dazu getrieben wird, sondern) wenn er eben will. Es muss also, was Gott bewirkt, auf Grund seiner freien Willensbestimmung eintreten; er wirkt also nicht mit Naturnotwendigkeit, sondern mit freiem Willen. Cg. I, 22 n. 2. - Darum nennt der katholische Glaube den allmächtigen Gott nicht bloß Schöpfer, sondern auch Hervorbinger, Bildner. Denn Etwas bilden oder machen ist Sache des Künstlers, der mit freiem Willen handelt. (Quamvis nomine factionis, quae in graeco πραξις dicitur, possimus uti in rebus naturalibus, sicut cum dicimus quod calidum et ens actu facit actu esse tale; magis tamen proprie utimur in his quae fiunt per intellectum, in quibus intellectus agentis habet dominium super illud quod facit, ut possit sic vel aliter facere, quod in rebus naturalibus non contingit. Metaph. 1. 7 lectio 6). Und weil ferner jedes mit freiem Willen handelnde Wesen auf Grund der in seinem Verstand befindlichen Vorstellung handelt, die sein geistiges Wort genannt wird (siehe oben Kap. 37): das Wort Gottes aber der Sohn ist; deshalb bekennt der katholische Glaube vom Sohn, dass durch ihn Alles gemacht ist. 1. q. 34. a 3.

  • Es ist Dogma, dass die Weltschöpfung von Gott voluntate ab omni necessitate libera vollzogen sei. I. Vatikanum.

97. Kapitel: Gott erleidet durch sein Wirken keinerlei Veränderung

Aus der Tatsache, dass Gott durch seinen freien Willen die Dinge ins Dasein rief, erhellt, dass er, ohne selbst eine Veränderung zu erleiden, Dinge neu hervorbringen kann. Darin liegt nämlich der Unterschied zwischen dem mit Naturnotwendigkeit und dem mit freiem Willen wirkenden Wesen, dass das mit Naturnotwendigkeit wirkende Wesen immer auf ein und dieselbe Weise wirkt, solange es auf eben diese Weise existiert, denn wie es ist, so wirkt es auch; während das mit freiem Willen wirkende Wesen so wirkt (nicht, wie es ist, sondern) wie es will. Es kann nun aber bei Letzterem, ohne dass es sich zu ändern braucht, der Fall sein, dass es jetzt etwas bewirken will, während es das für früher nicht will. Es steht nämlich nichts im Weg, dass Einer, auch wenn er gerade jetzt die Handlung nicht vollzieht, den Willen hat, später sie zu setzen, ohne dass er sich aber ändert. Und so kann Gott, ohne dass er sich zu ändern braucht, obwohl er ewig ist, die Dinge nicht von Ewigkeit her ins Dasein gerufen haben. 1 q 46 a 1 ad 10m; Cg. II, 35.

98. Kapitel: Beweisgrund für die Ewigkeit der Bewegung und Widerlegung derselben

Wenn nun auch Gott mit ewigem und unveränderlichem Willen eine neue Wirkung hervorbringen kann, so scheint doch dieser neuen Wirkung eine Bewegung (Veränderung) vorausgehen zu müssen. Denn wir nehmen wahr, dass der Wille die Ausführung dessen, was er vorhat, einzig deswegen verzögert, weil Etwas, was jetzt ist, später aufhört, oder weil der Eintritt von Etwas, was jetzt noch nicht ist, in der Zukunft erwartet wird. So kann z. B. der Mensch im Sommer den Willen haben, ein bestimmtes (Winter- )Kleid anzuziehen, das er jetzt aber noch nicht anziehen will, sondern erst später, weil jetzt eben noch die Hitze herrscht, die später mit dem Eintreten der Kälte aufhört. Wenn also Gott von Ewigkeit her Etwas hervorbringen wollte, es aber nicht von Ewigkeit her hervorgebracht hat, so scheint es, dass er noch auf Etwas in der Zukunft wartete, das noch nicht eingetreten war, oder dass er zuerst das Verschwinden von etwas Anderem, was damals noch war, abwarten wollte. Keines von beiden aber konnte geschehen ohne Veränderung. (Sicut, qui vult facere domum cras et non hodie, exspectat aliquid futurum cras, quod hodie non est; et ad minus exspeetat, quod dies hodiernus transeat et crastinus adveniat, quod sine mutatione non est, quia tempus est numerus motus. 1 q 46 a 1 obj. 6). Es scheint also, dass von einem schon vorausgehenden Willensentschluss eine Wirkung für später nur hervorgebracht werden kann auf Grund einer eingetretenen Veränderung. Da nun Gott von Ewigkeit her die Hervorbringung des Weltganzen beschlossen hat - dieses dagegen aber nicht von Ewigkeit her geschaffen ist, so muss dieser Hervorbringung eine Veränderung vorausgehen, und in Folge dessen veränderliche Dinge; sind nun auch diese von Gott hervorgebracht, aber nicht von Ewigkeit her, so müssen diesen wieder andere Veränderungen sowie der Veränderung unterworfene Wesen vorausgehen, und so fort bis ins Unendliche.

Dieser Einwand löst sich leicht, wenn wir den Unterschied beachten, der zwischen der All-Wirkursache (dem Alles bewirkenden Wesen) und einer nur auf ein einzelnes Wirkungsgebiet beschränkten Wirkursache (einer nur partikulären Wirkursache) obwaltet. Die partikuläre Wirkursache entfaltet ihre Tätigkeit nur gemäß der Regel und Richtschnur, welche die auf alles sich erstreckende Wirkursache ihr vorschreibt, analog wie im bürgerlichen Leben der Gesetzgeber das Gesetz als Regel und Richtschnur aufstellt, an welches der einzelne Richter bei seiner Urteilssprechung gebunden ist. Nun ist aber die Zeit das Maß der Tätigkeit, die sich in der Zeit vollzieht. Die beschränkte Wirkursache entfaltet nämlich eine Tätigkeit, welche der Zeit angepasst ist, indem sie nämlich jetzt und nicht früher tätig ist aus einem bestimmten Grunde (a particularibus agentibus producitur effectus in tempore, non autem ipsum tempus. Cg. II: 35 n. 5). Das, seine Tätigkeit auf alle Gebiete erstreckende Wesen aber, - und das ist Gott - hat diese Richtschnur - die Zeit - angeordnet (eingeführt, eingesetzt) und zwar nach seinem freien Willen. Zu den von Gott hervorgebrachten Dingen gehört also auch die Zeit. Besitzt nun jedes Ding genau die Ausdehnung und das Maß, das Gott ihm zuteilen wollte: so hat auch die Zeit ihre Ausdehnung genau so, wie Gott sie ihr zu geben beschlossen hat, dass nämlich die Zeit und die Dinge in der Zeit genau da ihren Anfang hätten, wo Gott es wollte.

Der Einwand aber hat jene Wirkursache im Auge, welche die Zeit voraussetzt und in der Zeit tätig ist, nicht aber die Zeit selbst erst einführt (begründet). Die Frage also, warum ein von Ewigkeit her bestehender Willensentschluss seine Wirkung erst jetzt und nicht früher setzt, setzt eine schon vorausbestehende Zeit voraus; denn "jetzt" und "früher" sind Teile der Zeit. Wenn sich die Frage also um die Hervorbringung aller Dinge in ihrer Gesamtheit dreht, zu denen auch die Zeit gehört, darf man nicht fragen, warum Gott erst jetzt und nicht früher das Weltganze, sondern warum er für diese Zeit ein solches Maß gewollt habe - und das hängt rein vom göttlichen Willen ab, für den kein zwingender Grund vorliegt, der Zeit gerade diese oder jene Ausdehnung (Dauer) zuzuweisen. Es verhält sich ja mit der räumlichen Ausdehnung der Welt geradeso. Denn man fragt nicht, warum Gott die Körperwelt gerade in dieser Lage begründet hat, nicht höher und auch nicht tiefer oder sonst wo immer; denn es gibt ja keinen Raum außerhalb der Welt; aber Werk des göttlichen Willens ist es, dass er der körperlichen Welt gerade diese Ausdehnung verlieh, so dass nichts von ihr, mag es sich wo immer befinden, außerhalb dieser Lage sich befindet. Obwohl es also vor der Welt keine Zeit gab, und obwohl es auch außerhalb der Welt keinen Raum gibt, so gebrauchen wir doch diese Redensart und sagen z. B. "bevor die Welt war, war nichts als Gott" oder "außerhalb des Weltganzen (-raumes) gibt es keinen Körper", verstehen jedoch unter "Zeit" und "Welt" in dieser Verbindung mit "bevor" und "außerhalb" - Zeit oder Welt nur im imaginären Sinn. 1 q 46 a 1 ad 6. Cg. II, 35 ad 5.

99. Kapitel: Gründe für die Präexistenz der Materie vor der Weltschöpfung und ihre Widerlegung

Wenn nun auch die Hervorbringung der (in ihrem Wesen vollendeten) vollkommenen Dinge nicht von Ewigkeit her stattfand, so scheint doch wenigstens, dass die Materie von Ewigkeit her das ein musste.

Denn 1. Alles, was sein Sein erst nach dem Nichtsein hat, geht vom Nichtsein zum Sein über. Wenn also die geschaffenen Dinge, wie Himmel und Erde und die übrigen Dinge, nicht von Ewigkeit her bestanden, sondern angefangen haben zu sein, nachdem sie vorher nicht waren, so müssen sie notwendigerweise vom Nichtsein zum Sein übergegangen sein. Nun hat aber jede Veränderung und Bewegung (jedes Werden oder Entstehen, jeder Übergang) ein Subjekt (Etwas, an dem die Veränderung, das Werden vor sich geht). Denn die Bewegung (Veränderung, das Werden, das Entstehen, die Entwicklung) ist Etwas schon Seiendes, das aber auf dem Wege zu etwas Vollkommenem sich befindet (ein unvollkommenes, der Vollendung entgegengehendes Wirklichsein; ein Wirklichsein, das aber einem Vollkommenen gegenüber noch im Zustand des Möglichseins sich befindet = Übergangsstadium, z. B. von Knaben zum Mann. vgl. 1 q 9 a 1).

Das Subjekt der Veränderung (des Werdens) nun, durch welche ein Ding zum Dasein gebracht wird, ist nicht das hervorgebrachte Ding selbst, denn dieses ist das ZieI der Bewegung (des Werdens); denn ein und dasselbe Ding kann nicht zugleich das Subjekt und das Ziel des Werdens sein (das, an dem die Veränderung, das Werden vor sich geht, und das, was durch diese Veränderung, dieses Werden erst entsteht, kann nicht ein und dasselbe Ding sein), sondern das Subjekt dieser Veränderung (das, woran diese Veränderung, dieses Werden, diese Entwicklung vor sich geht) ist eben das, woraus das vollkommene Ding hervorgebracht wird, und das nennen wir Materie. Wurden also die Dinge zum Dasein gebracht, nachdem sie vorher nicht waren, so muss, wie es scheint, vor ihnen eine Materie bestanden haben; ward auch diese wieder hervorgebracht, nachdem sie vorher nicht war, so muss auch dieser wieder eine andere Materie vorausbestanden haben; nun kann dies aber nicht bis ins Unendliche fortgehen. Es bleibt also nur übrig, dass wir eine ewige Materie annehmen, die nicht hervorgebracht ward, nachdem sie vorher nicht war. Cg. II, 34 obj. 2 und 4.

2. Fing die Welt zu existieren an, nachdem sie vorher nicht war: so war es, bevor die Welt war, entweder möglich, dass sie existierte, oder es war nicht möglich. War es aber nicht möglich, dass sie existierte oder entstand: so war es, was dasselbe besagt, unmöglich, dass die Welt existierte oder entstand; was aber die Unmöglichkeit hat, zu entstehen, hat auch die Notwendigkeit, dass es nicht entstehe. Es war also notwendig, dass die Welt nicht entstand. Da nun dies offenbar falsch ist, so sind wir gezwungen, zu behaupten: wenn die Welt anfing, zu existieren, nachdem sie vorher nicht war, so war es, noch bevor sie existierte, möglich, dass sie existierte und entstand. Es war also etwas im Zustand (der nicht bloß logischen, sondern realen) Möglichkeit zum Werden und Sein der Welt. Was aber im Zustand zum Werden und Sein eines Dinges ist, das ist die Materie (die reale Möglichkeit) dieses Dinges. So steht das Holz (das sich im realen Zustand befindet, eine Bank zu werden und zu sein) der Bank gegenüber (im Verhältnis der Materie). So also existierte, wie es scheint, wenigstens die Materie notwendig immer, auch wenn die WeIt nicht immer bestand. Cg. II, 34 n. 3.

Da aber auch die Materie, wie oben (Kap. 69) gezeigt ward, nur von Gott sein kann, so bekennt der katholische Glaube auch von der Materie, dass sie nicht ewig sei aus eben dem Grunde, aus dem er von der Welt bekennt, dass sie nicht ewig sei. Es musste nämlich die Kausalität Gottes (die Wahrheit, dass Gott der Urheber des Weltganzen ist) in den Dingen selbst (auf die unzweideutigste Weise) dadurch zum Ausdruck gebracht werden, dass das von ihm hervorgebrachte Weltganze zu existieren anfing, nachdem es vorher nicht existierte. Denn gerade dieser zeitliche Anfang der Welt zeigt auf die deutlichste und evidenteste Weise, dass die Welt nicht durch sich selbst begründet ist, sondern nur durch den ewigen Schöpfer.

Die vorstehenden Gründe aber zwingen uns nicht, die Ewigkeit der Materie anzunehmen.

ad 1. Die Hervorbringung der Dinge nach allen ihren Seiten hin kann nicht als eine Veränderung im eigentlichen Sinne betrachtet werden. Bei keiner Veränderung wird nämlich das Subjekt der Veränderung (das, was der Veränderung unterliegt) durch die Veränderung erst hervorgebracht (denn sonst könnte es nicht schon der Veränderung unterliegen); denn das Subjekt der Veränderung und ihr Ziel (ihr Abschluss) sind nicht eins und dasselbe, wie bemerkt ward. Da nun die von Gott vollzogene Hervorbringung der Dinge nach ihrem ganzen Umfang und Inhalt - und dies nennen wir Schöpfung - sich auf alles erstreckt, was im Ding ist (nicht bloß auf die Form, die Wesensbestimmtheit, sondern auch auf die Materie, denn sie ist ja nicht die bloße Umformung von etwas schon Bestehendem, sondern die einfache Insdaseinsetzung des ganzen Dinges), so kann auf ein derartiges Hervorbringen der Begriff der Veränderung im eigentlichen Sinn keine Anwendung finden, wenn auch schon die Dinge ins Dasein gesetzt werden, nachdem sie vorher nicht waren. Denn das Sein nach dem Nichtsein genügt noch nicht zum wahren und eigentlichen Begriff der Veränderung, sondern es gehört noch dazu, dass das Subjekt (des Nichtseins und des Seins) jetzt unter der Privation (dem Mangel), und jetzt unter der Form (Wesensbestimmtheit) sei (d. h. dass das Subjekt jetzt das noch nicht ist, was es wird = Privation vgl. 1 q 66 a 2, und jetzt zu dem gemacht ist - das ist - was es werden kann, also seine Bestimmtheit hat = Wesensbestimmtheit). Darum finden wir Dinge, bei welchen zwar das eine nach dem andern ist, ohne dass aber auf sie der Begriff der Bewegung oder Veränderung im strengen Sinn anwendbar wäre; so wenn wir z. B. sagen: aus dem Tag wird Nacht (denn der Tag wird nicht im eigentlichen Sinn in die Nacht umgewandelt, wohl aber bilden wir uns ein, dass beiden die Zeit zu Grunde liege, die sich in Tag und Nacht umwandelt). Wenn darum die Welt angefangen hat zu sein, nachdem sie vorher nicht war, so muss dies nicht durch eine Veränderung geschehen sein, sondern einfach durch die Schöpfung, die keine Veränderung im wahren Sinne ist, sondern eine (reale) Beziehung, die sich (nicht bloß in unserm denkenden Verstand, sondern auch) im geschaffenen Ding findet, das vom Schöpfer seinem ganzen Sein nach abhängt, verbunden mit dem Umstand, dass ihm das Nichtsein vorausgeht, dass es also neu anfängt. (Creatio importat habitudinem creaturae ad creatorem cum quadam novitate seu inceptione. 1 q 45 a 3 ad 3m.) Denn bei einer jeden Veränderung muss immer ein Ding vorhanden sein, das ein und dasselbe seiend, sich jetzt so und dann wieder anders verhält, welches also jetzt unter dem einen und nachher unter dem andern Extrem sich findet (z. B. jetzt weiß, dann schwarz, jetzt Baum, dann nach dem Verbrennungsprozess, Asche ist). Solch ein gemeinsames Subjekt (für die beiden Extreme von Nichtsein und Sein) findet sich aber bei der Schöpfung der Wirklichkeit nach nicht vor, sondern nur in unserer Vorstellung (Einbildung): wir bilden uns nämlich ein, ein und dasselbe Ding, das vorher nicht existiert habe, existiere nachher. (Das Ding, das ja eben durch die Schöpfung erst Existenz hat, existiere schon vorher als Subjekt des Nichtseins) und in diesem Sinn kann die Schöpfung als eine Veränderung bezeichnet werden. 1 q 45 a 3. Og. II, 17 u. 18.

ad 2. Auch der zweite Einwand hat keine zwingende Kraft. Wenn auch der Satz wahr ist: bevor die Welt war, war es möglich, dass sie existierte oder entstand, so ist doch nicht notwendig, dass dies von ihr auf Grund einer realen Potenz (auf Grund eines, unabhängig von unserem Denken in der Außenwelt vorhandenen Möglichseins = Materie) ausgesagt werde. Denn hier ist die Rede von der logischen Möglichkeit, die eine Modalität der Wahrheit anzeigt, das nämlich, was weder notwendig, noch auch unmöglich (wahr) ist. Das Mögliche in diesem Sinn setzt nicht eine reale Potenz (ein unabhängig von unserm Denken in der Außenwelt vorhandenes Möglichsein) voraus, wie Aristoteles im 5. Buch der Metaphysik lehrt. (Metaph. lib. 5 lectio 17: Cum posse dicatur in ordine ad es se, sicut ens dicitur non solum, quod est in rerum natura (das reale Sein) sed secundum compositionem propositionis, prout est in ea verum et falsum (das logische Sein) ita possibile et impossibile dicitur non solum propter potentiam vel impotentiam rei (das reale Möglichsein), sed propter veritatem vel falsitatem compositionis in propositionibus - das logische Möglichsein). Hat man jedoch eine reale Potenz im Auge, wenn man sagt, es sei möglich, dass die Welt existiere, so ist man nicht gezwungen, dies auf Grund einer (realen) passiven Potenz zu behaupten, sondern auf Grund einer (realen) aktiven Potenz: dass man nämlich den Satz: Die Welt besaß, bevor sie war, die Möglichkeit, zu existieren, in dem Sinne versteht, dass Gott (mit seiner aktiven Schöpfermacht) die Welt ins Dasein setzen konnte, bevor er sie wirklich ins Dasein setzte, und so sind wir keineswegs gezwungen zur Annahme, dass der Welt eine Materie vorausbestanden habe. 1 q 46 a 1 ad 1. Cg. II, 37 n. 3.

So gibt es also nach dem katholischen Glauben nichts Gott gleich ewiges und deshalb bekennt er Gott als Schöpfer und Hervorbringer aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge.

  • Dass die Welt nicht ewig sei, ist Dogma. Later. IV. c. I. Vatikanum, Sessio 3. cap. 1.

100. Kapitel: Gott wirkt Alles um eines Endzweckes willen

1. Es ward oben (Kap. 96) nachgewiesen, dass Gott die Dinge ins Sein gesetzt hat nicht mit Naturnotwendigkeit, sondern mit Verstand und freiem Willen (durch Denken und Wollen). Ein jedes Wesen aber, das so handelt, handelt um eines Endzweckes willen; denn das Prinzip des Verstandes, der sich im Wirken betätigt, ist der Endzweck (vom Endzweck geht die Tätigkeit des praktischen Verstandes aus). Also ist alles, was Gott hervorgebracht hat, um eines Endweckes willen gewirkt. 1. 2. q 1 a 2.

2. Die Hervorbringung der Dinge ward von Gott auf die beste Weise vollzogen; denn dem besten ist es eigen, Alles auf die beste Weise zu wirken. Nun aber ist es besser, dass Etwas um eines Endzweckes willen stattfindet, als dass es ohne Absicht des Endzweckes gewirkt werde; denn von dem Endzweck leitet sich die moralische Güte einer Handlung ab. Also wurden die Dinge von Gott um eines Endzweckes willen hervorgebracht. - Einen Beweis hierfür bietet uns auch das Wirken der Natur, die nicht auf Geradewohl, sondern zweckmäßig in allem ihrem Wirken vorgeht. Es geht aber nicht an, zu behaupten, es herrsche mehr Zweckmäßigkeit in dem Wirken der Natur, als in der Einrichtung der Natur selbst durch die erste wirkende Ursache - denn die ganze in der Natur herrschende Ordnung und Zweckmäßigkeit leitet sich ja von eben daher ab. Offenbar sind also die Dinge von Gott um eines Endzweckes willen hervorgebracht. Cg. III, 2.

101. Kapitel: Der letzte Endzweck aller Dinge ist die göttliche Güte

Der letzte Endzweck aller Dinge nun muss die göttliche Güte sein.

1. Der letzte Endzweck jener Dinge, welche ein mit freiem Willen tätiges Wesen hervorgebracht hat, ist das, was vom wirkenden Wesen in erster Linie, und an sich direkt (nicht erst um eines andern willen) gewollt ist, und das ist auch das Endziel um dessentwillen das tätige Wesen überhaupt alles wirkt, was es wirkt. Nun ist das vom göttlichen Willen in erster Linie Gewollte seine Güte (die innere Vollkommenheit seines Wesens), wie oben (Kap. 45) gezeigt ward. Also ist der letzte Endzweck aller von Gott hervorgebrachten Dinge die göttliche Güte. Cg. III. 17 n. 6.

2. Der Zweck der Erzeugung (des Werdeprozesses) eines jeden erzeugten Dinges ist seine Wesensbestimmtheit; hat es dieselbe erreicht, dann ruht der Werdeprozess, die Erzeugung. Alles Erzeugte, sei es nun ein Kunst = oder ein Naturerzeugnis, ist durch seine (Wesens-)bestimmtheit dem ähnlich, der es hervorgebracht hat (trägt den Stempel seines Erzeugers an sich); denn alles Wirkende bringt sich einigermaßen ähnliches hervor (drückt dem von ihm hervorgebrachten einigermaßen den Stempel seines eigenen Wesens auf). So geht (auf dem Kunstgebiet) das materielle Haus hervor aus dem (idealen) Hause, das im Geist des Künstlers sich findet. Auf dem Naturgebiet ist es ebenso: denn der Mensch erzeugt wieder einen Menschen; und wenn es auf dem Naturgebiet vorkommt, dass ein erzeugtes oder hervorgebrachtes Wesen dem erzeugenden nicht in Bezug auf das spezifische Sein gleicht, so gleicht es doch wenigstens den es bewirkenden Ursachen, wie das Unvollkommene dem Vollkommenen. Der Grund nämlich, dass das erzeugte Wesen dem erzeugenden nicht spezifisch gleich ist, liegt darin, dass ersteres nicht bis zur vollständigen Ähnlichkeit mit dem letzteren kommen konnte, diese vielmehr nur einigermaßen, in unvollkommener Weise an sich trägt. Dies ist z. B. der Fall (nach der alten Naturlehre) bei den Tieren und Pflanzen, welche durch die Kraft der Sonne erzeugt werden (siehe unten Kap. 127). Der Endzweck der Erzeugung oder der der Vervollkommnung von Allem was wird, ist also die Wesensbestimmtheit der Erzeugenden oder Hervorbringenden; dass nämlich das Ding seinem Erzeuger ähnlich werde. Die Wesensbestimmtheit (Natur) des Erstwirkenden aber - und das ist Gott - ist nichts anderes, als seine Güte (die innere Vollkommenheit seines Wesens vgl. 1. q 6 a 1). Der Daseinszweck aller Dinge also ist der, dass sie der göttlichen Güte ähnlich werden (sich verähnlichen , ein Abbild der inneren Vollkommenheit des göttlichen Wesens werden). 1. q 44 a 4; Cg. III, 17 u. 18.

102. Kapitel: Die Verähnlichung mit Gott ist der Grund der Verschiedenheit unter den Dingen

1. Daraus lässt sich auch der Grund der Verschiedenheit und des Unterschiedes entnehmen, den wir unter den Dingen finden. Es kann nämlich die göttliche Güte (die innere Vollkommenheit des göttlichen Wesens) unmöglich vollständig (durch eine einzige Kreatur) zur Darstellung gelangen wegen des unendlichen Abstandes, in welcher sich jegliche Kreatur Gott gegenüber befindet. Sie musste also durch die bunte Mannigfaltigkeit der Geschöpfe zur Darstellung kommen, so dass, was von Seiten des einen Dinges fehlt, durch das andere ergänzt wird. Denn auch bei den logischen Schlussfolgerungen muss man, wenn mit einem einzigen Beweissatz die Schlussfolgerung noch nicht bewiesen werden kann, die Beweissätze vervielfältigen, damit die Schlussfolgerung licht und klar heraustritt, wie dies bei den dialektischen Syllogismen der Fall ist. Aber auch alle Kreaturen in ihrer Gesamtheit sind nicht im Stande, die innere Vollkommenheit des göttlichen Wesens adäquat zur Darstellung zu bringen, sondern nur soweit dies überhaupt der geschöpflichen Vollkommenheit möglich ist. 1. q 47. a 1. Cg. II, 45 n. 1.

2. Was in der Gesamtursache in Einfachheit und Einheit enthalten ist, das findet sich in den Wirkungen in größter Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit. Denn vorzüglicher und vollkommener ist das Sein, das ein Ding in der Ursache hat als jenes, das es in den Wirkungen besitzt. Nun aber ist die Eine und einfache innere Vollkommenheit des göttlichen Wesens Grund und Wurzel aller Güte und Vollkommenheit, die in den Geschöpfen sich findet. Es müssen also die Geschöpfe der inneren Vollkommenheit des göttlichen Wesens in eben der Weise sich verähnlichen, wie die vielen und verschiedenen Dinge sich dem Einen und einfachen Urgrund sich verähnlichen.

So also ist die bunte Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit der Dinge ebenso wenig das Werk des Zufalles oder von ungefähr, als das Hervorbringen der Dinge das Werk des Zufalles oder von ungefähr ist; sondern vielmehr das Werk des Zweckes und der Absicht.

Denn aus ein und demselben Urgrund leitet sich ab das Sein wie die Einheit und Vielheit der Dinge. Es kann demnach die Unterscheidung der Weltdinge nicht verursacht sein durch die Materie; denn die erste Begründung der Dinge (mit welcher die Unterscheidung derselben zusammenfällt) ist das Werk der Schöpfung, und diese fordert keinerlei Materie. (Cg. II, 40 n. 3 u. 4). Zu dem gehören jene Dinge, welche für ihr Dasein keinen andern Grund haben, als die Materie, ins Gebiet des Zufalles. (Cg. II, 39 n. 2; 40 n. 1).

Desgleichen kann die bunte Mannigfaltigkeit der Weltdinge auch nicht das Werk einer geordneten Reihenfolge von Mittelursachen sein, derart, dass etwa von dem ersten und einfachen Wesen (dem höchsten Gott) unmittelbar nur wieder ein einziges Wesen ausgehen konnte, das jedoch von der (absoluten) Einfachheit des ersten Wesens schon soweit entfernt ist, dass aus ihm schon eine Mehrheit auszuströmen vermochte, so dass dann, je mehr in diesem Emanationsprozess die Entfernung von dem ersten einfachen Wesen zunimmt, desto bunter auch die Vervielfältigung der Dinge sich gestaltet, wie manche (die Neuplatoniker und Avicenna vgl. 1. q 47 a 1) annahmen. Denn es ward schon (Kap. 95) gezeigt, dass es verschiedene Dinge gibt, die nur auf dem Weg der Schöpfung ins Dasein treten können; diese aber kommt nur Gott allein zu (Kap. 70) Also ist die Verschiedenheit der Weltdinge von Gott unmittelbar ins Dasein gesetzt. Zudem wäre nach obiger Behauptung offenbar auch die Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit der Weltdinge das Werk des Zufalles, also gegen die Absicht des Erstwirkenden. Nun ist aber eben die Mannigfaltigkeit und die Verschiedenheit in den Dingen vom göttlichen Verstand erdacht und verwirklicht worden zu dem Zweck, dass die innere Vollkommenheit des göttlichen Wesens auf die mannigfaltigste Weise dargestellt werde, sowie dass die Dinge in bunter Mannigfaltigkeit im verschiedensten Grad an ihr Anteil hätten. So soll dann durch diese stufenweise Gliederung der Dinge in ihrer gegenseitigen Verschiedenheit jene wunderbare Schönheit des Universums sich erheben, welche ein Beweis und Lob der göttlichen Weisheit ist. Cg. II, 39-42, 1. q 47 a 1.

103. Kapitel: Die göttliche Güte ist nicht nur die Ursache der Dinge selbst, sondern auch all ihrer Bewegung und Tätigkeit

1. Die innere Vollkommenheit des göttlichen Wesens ist nicht nur die Ursache der Begründung der Dinge, sondern muss notwendig auch der Endzweck jeglicher Tätigkeit sowie der Bewegung jeglicher Kreatur sein. Denn je nach der Beschaffenheit eines Dinges richtet sich auch seine Wirksamkeit; so macht, was warm ist, warm. Jedes geschaffene Wesen nun hat vermöge seiner Wesensbestimmtheit (seiner Natur) eine gewisse Ähnlichkeit mit der inneren Vollkommenheit des göttlichen Wesens (ist ein Abbild Gottes Kap. 102; nun besteht aber die Vollkommenheit des Abbildes eben darin, dass es sein Urbild möglichst gut zur Darstellung bringe; das ist ja der Zweck des Bildes: Cg. III, 19 n. 4) also zweckt alle Tätigkeit und Bewegung jeglicher Kreatur auf die Erreichung der inneren Vollkommenheit des göttlichen Wesens ab (dass es als Abbild dem Urbild nahe komme). Cg. III, 19. n. 4.

2. Das was alle Bewegung und Tätigkeit eines jeden Dinges erstrebt, ist, dass es zu etwas Vollkommenem gelange; das Vollkommene aber ist etwas gutes; denn die Vollkommenheit eines Dinges ist eben seine Güte. Alle Bewegung und Tätigkeit eines jeden Dinges strebt also dem Guten zu (Cg. III, 16). Jegliches Gute aber ist ein Abbild des höchsten Gutes, wie auch jegliches Seiende ein Abbild des Erstseienden ist. Jedes Ding strebt also in seiner Bewegung und Tätigkeit die Verähnlichung mit der göttlichen Güte (der inneren Vollkommenheit des göttlichen Wesens) an. Cg. III, 19 n. 5.

3. Wo es eine Vielheit von wirkenden Dingen gibt, die in einem geordneten Verhältnis zu einander stehen, da ist alle Tätigkeit und Bewegung aller wirkenden Dinge hingeordnet, hat zur Absicht, das Gut des Erstwirkenden als ihren letzten Endzweck. Da nämlich von dem höheren wirkenden Ding die niederer stehenden zur Tätigkeit gebracht und bestimmt werden, und da hinwieder ein jedes Ding, welches ein anderes zur Tätigkeit bringt, es dem ihm eigenen Zweck entgegenführt, so muss die Tätigkeit und Bewegung der niederen wirkenden Wesen zu ihrem Endziel das des Erstwirkenden haben, wie bei dem Heere die Tätigkeit aller einzelnen Heeresabteilungen auf den Sieg als letzten Endzweck abzielt, und dieser ist der Endzweck des Heerführers. - Nun ward aber oben (Kap. 4) gezeigt, dass Gott der Erstbewegende und der Erstwirkende ist: sein Endzweck hinwieder ist nichts anderes als die innere Vollkommenheit seines Wesens, wie auch gezeigt ward (Kap. 33). Also folgt notwendig, dass alle Tätigkeit und Bewegung aller nur denkbaren Geschöpfe um der inneren Vollkommenheit des göttlichen Wesens willen stattfindet: nicht aber etwa um dieselbe erst hervorzubringen, oder auch nur zu vermehren - sondern um dieselbe in ihrer Art zu erreichen (zu erringen, sich anzueignen), indem jedes Geschöpf irgend welche Ähnlichkeit mit ihm erreicht. Cg. III, 19 n. 5.

Die Verähnlichung mit der inneren Vollkommenheit des göttlichen Wesens erreichen nun die geschaffenen Dinge durch ihre Tätigkeit auf verschiedene Weise, wie sie dieselbe ja auch ihrem Sein nach in verschiedener Weise zur Darstellung bringen; denn jedes Wesen wirkt nach Maßgabe seines Seins. Weil nun alle Geschöpfe das mit einander gemeinsam haben, dass sie die innere Vollkommenheit des göttlichen Wesens zur Darstellung bringen insofern sie sind - so haben sie auch alle gemeinsam, dass sie durch ihre Tätigkeit die Verähnlichung mit Gott erlangen, indem sie ihr Sein bewahren und dasselbe wieder andern mitteilen. Denn jedes Geschöpf sucht sich in erster Linie durch seine Tätigkeit im vollkommenen Sein soweit als möglich zu erhalten, und hierdurch strebt es in seiner Weise Verähnlichung mit der immerwährenden Dauer Gottes an. Sodann sucht es durch seine Tätigkeit sein zur Vollkommenheit gediehenes Sein einem andern mitzuteilen je nach seiner Weise, und hierdurch strebt es Verähnlichung mit der göttlichen Kausalität an (Verähnlichung mit Gott, insofern er allen übrigen Dingen Ursache des Seins ist).

Die vernünftige Kreatur aber strebt durch ihre Tätigkeit die Verähnlichung mit Gott in einer von allen übrigen Geschöpfen verschiedenen ganz einzigartigen Weise an, wie sie auch ein von allen übrigen Geschöpfen verschiedenes, höheres Sein hat. Das Sein der übrigen Geschöpfe nämlich ist, weil durch die Materie beschränkt, ein endliches, begrenztes, so dass es weder der Wirklichkeit noch der Möglichkeit nach Unendlichkeit (Unbegrenztheit) besitzt. Jede vernünftige Natur aber besitzt Unendlichkeit entweder der Wirklichkeit oder (wenigstens) der Möglichkeit nach, insofern nämlich der Verstand in sich alle erkennbaren Dinge entweder wirklich enthält oder enthalten kann.

Bei uns nun findet sich die vernünftige Natur, in ihrem ersten Sein betrachtet, im Zustand des Vermögens, alle ihre Erkenntnisgegenstände zu erfassen; da nun deren unendlich viele sind, so besitzt sie eine Unendlichkeit dem Vermögen (der Möglichkeit) nach. Deshalb ist der Verstand die Spezies aller Spezies, weil er nicht eine bloß auf ein bestimmtes Gebiet eingeschränkte spezifische Natur besitzt, wie z. B. der Stein, sondern eine solche, welche alle übrigen spezifischen Naturen in sich aufnehmen kann. Die vernünftige Natur in Gott aber ist unendlich der Wirklichkeit nach, weil sie alle Vollkommenheit des ganzen Universums in sich und zwar als ihre Quelle enthält (Kap. 21). Die übrigen vernünftigen Kreaturen (die reinen Geister) aber stehen zwischen der bloßen Wirklichkeit und bloßen Möglichkeit (bezüglich der Unendlichkeit) in der Mitte (nehmen eine Mittelstellung ein). Es strebt also die vernünftige Kreatur durch ihre Tätigkeit die Verähnlichung mit Gott an, nicht bloß dadurch, dass sie sich in ihrem Sein behauptet, oder ihr Sein im gewissen Sinn vervielfältigt, indem sie es andern mitteilt, sondern auch dadurch, dass sie der Wirklichkeit nach das in sich enthält, was es kraft seiner Natur bloß der Möglichkeit nach besitzt. Der Endzweck der vernünftigen Kreatur, den sie durch ihre Tätigkeit erlangt, ist also der, dass ihr Verstand alle Dinge die er erkennen und denken kann, auch wirklich erkennt (denkt) und hierin wird seine größte Gottähnlichkeit bestehen.

104. Kapitel: Von der zweifachen Möglichkeit und von der ihr entsprechenden zweifachen Erkenntnisweise, sowie vom Ziel der vernünftigen Kreatur

Es kann sich nun ein Ding auf zweifache Weise im Zustand der Möglichkeit befinden. Einmal auf natürliche Weise rücksichtlich dessen, was durch eine natürliche wirkende Ursache an ihm verwirklicht werden kann. So dann auf andere Weise, rücksichtlich dessen, was nicht durch eine natürliche Wirkursache zur Wirklichkeit gebracht werden kann, sondern durch eine andere (über seine Natur hinausgehende) wirkende Ursache. Ein Beispiel hierfür bietet uns das körperliche Gebiet. Dass nämlich aus dem Knaben ein Mann wird, oder aus dem Samen ein Lebewesen, liegt in der natürlichen Möglichkeit (in dem natürlichen Vermögen des betreffenden Wesens). Dass aber aus dem Holz eine Bank werde, oder aus einem (vollständig) Blinden ein Sehender, liegt nicht in der natürlichen Möglichkeit.

Dasselbe ist der Fall auf dem Gebiete unsres Denkvermögens. Unser Verstand besitzt das natürliche Vermögen für ein bestimmtes Gebiet von Erkenntnisgegenständen, nämlich für alle jene, welche zur Denkwirklichkeit erhoben werden können durch den tätigen Verstand, der die uns angeborne Kraft ist, durch welche wir zur Wirklichkeit des Denkens kommen. Nun ist es aber unmöglich, dass wir das letzte Endziel dadurch erreichen, dass unser Verstand auf die genannte Weise zur Denkwirklichkeit kommt; denn die Wirksamkeit des tätigen Verstandes besteht eben darin, dass er die Phantasiebilder, welche dem Vermögen nach denkbar sind, der Wirklichkeit nach denkbar macht, wie aus dem oben (Kap. 83) Gesagten hervorgeht; die Phantasiebilder aber werden hergenommen aus der Sinneswahrnehmung. Durch den tätigen Verstand kommt also unser Denkvermögen zur Denkwirklichkeit nur rücksichtlich jener Erkenntnisgegenstände, zu deren Kenntnis wir auf Grund der Sinnenwelt gelangen können. Nun aber kann unmöglich in einer solchen Erkenntnis das letzte Endziel des Menschen bestehen; denn wenn das letzte Endziel erreicht ist, kommt das natürliche Verlangen zur Ruhe.

Es mag nun Jemand im Erkennen auf diesem Gebiet, auf dem wir unser Wissen aus der Sinneswahrnehmung schöpfen, noch so weit vorankommen, - immer verbleibt noch in ihm das natürliche Verlangen, noch Anderes zu erkennen. Denn es gibt viele Dinge, zu welchen die Sinneswahrnehmung nicht vordringen kann, und von denen wir auf Grund der Sinnenwelt nur eine dürftige Kenntnis erlangen können, indem wir etwa von ihnen wissen können, dass sie sind, nicht aber, was sie sind; eben weil die Wesenheit der geistigen (stofflosen) Substanzen einem ganz andern Gebiet angehört als jene der sinnfälligen Dinge, und weil sie dieselben in einer Weise überragen, die keinen Vergleich zulässt. Aber auch unter den sinnfälligen Dingen gibt es viele, deren innerstes Wesen wir nicht mit voller Gewissheit erkennen können; bei manchen können wir dies gar nicht, bei anderen nur dürftig. Es bleibt uns also immer das natürliche Verlangen nach einer vollkommeneren Erkenntnis. Nun kann aber ein in der Natur begründetes Verlangen unmöglich resultatlos bleiben. Wir erlangen also unser letztes Endziel dadurch, dass unser Verstand zur Denkwirklichkeit durch eine höhere Wirkursache als die uns natürliche (d. i. der tätige Verstand) gebracht wird, und die dann den uns von Natur aus eigenen Wissenstrieb völlig befriedigt. Dieser Wissenstrieb besteht aber eben darin, dass, sobald uns eine Wirkung vor Augen tritt, wir auch deren Ursache zu ergründen suchen; und mögen wir bei einem Ding auch alle möglichen Umstände erkannt haben unser Verlangen kommt solange nicht zur Ruhe, als es nicht das innerste Wesen desselben erkannt hat. Es kann also der natürliche Wissenstrieb in uns erst dann zur Ruhe kommen (befriedigt werden), wenn wir die erste Ursache und zwar nicht irgendwie, sondern ihrem innersten Wesen nach erkannt haben. Die erste Ursache von Allem aber ist Gott, wie aus dem Obigen (Kap. 68) hervorgeht. Es besteht also der letzte Endzweck der vernünftigen Kreatur darin, Gott seinem Wesen nach zu schauen. Cg. III, 50. 1 q 12 a 1; 1. 2. q 3 a 8.

(Dieses "natürliche Verlangen" des Menschen nach der visio beatifica steht nicht im Widerspruch mit der Tatsache, dass letztere etwas absolut Übernatürliches ist. 1 q 75 a 7 ad 1m. Denn desiderium naturale oder appetitus naturalis steht nach Thomas im Gegensatz zu appetitus animalis und rationalis; so ist für den Stein die Schwerkraft, die ihn zum Mittelpunkt der Erde zieht, ein desiderium naturale. De Verit. q 22 a 3 ad 3m; 1. 2. q 5 a 8 ad 3m; q 6 a 5 ad 2m. Dieses natürliche Verlangen ist ohne alles Bewusstsein, ein unbewusster Naturdrang. 1. 2. q 6 a 4.

Die in diesem Kapitel ausgesprochene potentia obedientialis des Menschen für die Anschauung Gottes liegt nach Thomas in der intellektuellen Natur des Menschen, wodurch er für die Anschauung Gottes entfernt angelegt ist, während diese Anlage bei den vernunftlosen Wesen sich nicht findet; vgl. Augustin contra Julianum 1. 4 c. 3: neque enim gratia Dei (deren Vollendung eben die Anschauung Gottes ist), lapidibus aut lignis pecoribusve praestatur; sed quia imago Dei est (durch seine vernünftige Natur) meretur (homo) hanc gratiam. Damit aber diese entfernte Anlage (potentia) Wirklichkeit (actus) werde, ist das Eingreifen des über aller Natur stehenden Urhebers der Natur notwendig, der durch Eingießung der Gnade und der drei göttlichen Tugenden bewirkt, dass der unbewusste Naturdrang (desiderium naturale) zum bewussten, menschlichen Verlangen werde. 1 2 q 62 a 3; vgl. III. Sent. dist. 23 q 1 a 5.

Die Gnade ersetzt eben nicht die Natur, sondern setzt sie vielmehr voraus und zwar als vernünftige. Die Gnade liegt allerdings nicht in dem Sinn keimartig in der Natur, als könnte sie durch günstiges Einwirken geschöpflicher Kräfte zur Entfaltung und Blüte kommen: sie steht aber auch nicht andrerseits unvermittelt neben der Natur als etwas ihr völlig Gleichgültiges und rein Äusserliches, noch weniger als etwas ihr Feindliches, sie etwa verkümmernd oder beeinträchtigend - sondern sie bildet die vom Urheber der Natur unmittelbar bewirkte übernatürliche Vollendung der vernünftigen Kreatur, die eben durch ihre Vernünftigkeit zur Aufnahme eines derartigen göttlichen Wirkens in ihr entfernt veranlagt ist) .

105. Kapitel: Wie die Wesensanschauung Gottes das letzte Endziel der vernünftigen Kreatur ist, und wie dieselbe möglich ist

Wie aber kann diese Wesensanschauung Gottes statthaben? Da unser Verstand nichts erkennt außer auf Grund eines Abbildes (Begriffes der zu erkennenden Sache), so kann er unmöglich durch das Abbild (den Begriff, die Vorstellung) von einem Dinge das Wesen eines andern erkennen; und je weiter das Abbild (der Begriff, die Vorstellung), durch welche der Verstand erkennt, absteht von dem erkannten Ding, desto unvollkommener ist die Erkenntnis, welche unser Verstand von der Wesenheit jenes Dinges hat; wie z. B. wenn er den Ochsen erkennen würde durch den Begriff, die Vorstellung, die er vom Esel hat, so würde er das Wesen des ersteren nur unvollkommen erkennen, nämlich bloß in Bezug auf den Gattungsbegriff (als Säugetier); noch unvollkommener aber, wenn er es z. B. durch den Begriff, den er vom Stein hat, erkennen würde - weil er es dann durch einen noch weiter entfernten Gattungsbegriff (körperliches Ding) erkennen würde. Würde er es aber gar bloß erkennen durch das Abbild (den Begriff, die Vorstellung) eines Dinges, das mit dem Ochsen auf keinem Gebiet überhaupt Etwas gemein hat, so würde er das Wesen des Ochsen überhaupt nicht erkennen.

Nun aber erhellt aus dem oben (Kap. 12) Gesagten, dass kein geschaffenes Ding mit Gott unter einen gemeinsamen Gattungsbegriff fallen kann. Es kann also Gottes Wesenheit durch keine dem geschöpflichen Gebiet entnommene Vorstellung, weder durch eine aus der Körperwelt, noch durch eine aus der Geisterwelt, erkannt werden. Damit nun Gott seinem Wesen nach erkannt werde, muss Gott selbst die Form (die Bestimmtheit) des ihn erkennenden Verstandes werden und mit ihm sich verbinden, nicht etwa, um mit ihm eine einzige Natur zu bilden, sondern derart, wie das Erkenntnisbild sich mit dem Erkennenden verbindet und eint (assimiliert).

Denn wie er sein Sein ist, so ist er auch seine Wahrheit: die Wahrheit aber ist das, was den Verstand zum Erkennen bestimmt (was den Verstand verständig macht). Jedes Ding aber, das eine Form (eine Bestimmtheit) erhält, muss für diese Form (Bestimmtheit) disponiert, zurecht gerichtet werden. Unser Verstand aber besitzt kraft seiner eigenen Natur noch nicht die letzte Disposition für diese Form, welche die Wahrheit ist: weil er andernfalls dann letztere gleich von Anfang an besäße. Er muss also, wenn er sie erhält, durch eine von Neuem ihm verliehene Disposition in die richtige Verfassung für dieselbe erhoben werden; und diese Disposition nennen wir das Licht der Glorie, durch welches Gott unserm Verstand die (zur Anschauung Gottes nötige) Vollendung gibt da nur Er allein kraft seiner Natur diese Form (Vollkommenheit) besitzt, wie ja auch die Wärmedisposition , die bis zum Feuer übergehen soll, nur vom Feuer selbst wieder ausgehen kann.

Darum sagt die Schrift (Ps 35, 10): "In Deinem Licht werden wir schauen das Licht". Cg. III, 51-53. 1 q 12 a 4 u. 5.

  • Es ist Dogma, dass der Akt der Anschauung Gottes nur dadurch möglich ist, dass Gott den menschlichen Geist durch das lumen gloriae dazu erhebt. Konzil von Wien.

106. Kapitel: Das natürliche Verlangen wird befriedigt durch die Wesensanschauung Gottes, in welcher die Seligkeit besteht

Ist nun dieses Ziel einmal erreicht, so muss notwendig das (in der vernünftigen Natur des Menschen begründete) natürliche Verlangen (nach Erkenntnis und Wissen) vollständig zur Ruhe kommen. Denn die göttliche Wesenheit, welche auf vorgenannte Weise sich mit dem Verstand des Gottschauenden verbinden wird, reicht hin, um Alles zu erkennen (zu wissen) und ist (zugleich) die Quelle alles Guten, so dass es nichts mehr geben kann, was der Mensch noch weiter verlangen könnte. Dies ist zugleich auch die vollkommenste Art und Weise, die Gottähnlichkeit zu erlangen, dass wir ihn nämlich auf dieselbe Art erkennen, wie er sich selbst erkennt, nämlich durch seine Wesenheit. Freilich ergründen wir ihn nicht, wie er sich selbst ergründet; nicht, als ob wir etwa einen Teil von ihm nicht erkennten, - denn er hat ja keine Teile - sondern, weil wir ihn nicht so vollkommen erkennen, als er überhaupt erkennbar ist, da die Kraft unseres Verstandes im Erkennen nicht gleich kommen kann seiner Wahrheit, nach der er erkennbar ist. Denn seine Klarheit oder Wahrheit ist unendlich, unser Verstand aber (als Kraft) ist endlich; sein Verstand aber ist unendlich wie seine Wahrheit auch. Deshalb erkennt er sich soweit, als er überhaupt erkennbar ist, ähnlich wie jener eine Schlussfolgerung vollkommen erkennt, der sie auf Grund eines stringenden Beweises einsieht, nicht aber jener, der sie nur auf unvollkommene Weise erkennt, nämlich durch einen bloßen Wahrscheinlichkeitsbeweis. Weil wir nun das letzte Endziel des Menschen Seligkeit nennen, so besteht des Menschen Glück oder Seligkeit darin, dass er Gott seinem innersten Wesen nach schaut. Freilich ist seine Seligkeit weitaus nicht so vollkommen, wie Gottes Seligkeit; denn Gott besitzt sie kraft seiner eigenen Natur, der Mensch aber erlangt sie erst durch das ihm mitgeteilte göttliche Licht (Kap. 105). Cg. III, 63.

107. Kapitel: Der Entwicklungsgang, den der Mensch zur Seligkeit nimmt, gleicht dem natürlichen Entwicklungsgang; und die Seligkeit selbst bestellt in der Erkenntnistätigkeit

Da der Übergang vom Möglichsein zum Wirklichsein nichts anderes ist, als entweder die Bewegung, (Veränderung) selbst, oder etwas der Bewegung Ähnliches, so hat es mit dem Entwicklungsgang, durch welchen die Seligkeit erreicht wird, dieselbe Bewandtnis wie mit der natürlichen Bewegung oder Veränderung. Bei der natürlichen Bewegung (Veränderung) kommt zuerst in Betracht eine Eigenschaft, durch welche das sich bewegende (sich verändernde) Ding zu diesem bestimmten Ziel eine Angemessenheit oder Neigung besitzt; so ist z. B. (nach der alten Naturlehre) die Eigenschaft der Schwere an der Erde der Grund, dass sie nach unten gezogen wird. Denn kein Ding würde auf eine, seiner Natur entsprechende Weise (also nicht gewaltsam) einem bestimmten Ziele sich zubewegen, wenn es nicht eine Angemessenheit zu demselben besäße. Zweitens kommt in Betracht die Bewegung zum Ziel selbst. Drittens die Form, die Bestimmtheit, (welche das Ding durch die Veränderung erhalten soll) oder der Ort (bei der Ortsbewegung). Viertens endlich die Ruhe in der Form (in der durch die Veränderung erhaltenen Bestimmtheit) oder im Ort. - Dem entsprechend ist bei der geistigen Bewegung zum Ziel das Erste die Liebe, welche zu dem Ziel die Hinneigung gibt; das Zweite das Verlangen, gleichsam die Bewegung zum Ziel hin, sowie die aus diesem Verlangen hervorgehende Tätigkeit; das Dritte aber ist die Form (Bestimmtheit) selbst, welche der Verstand erhält; das Vierte endlich ist die daraus sich ergebende selige Freude, die nichts anderes ist, als das zur Ruhekommen des Willens im erreichten Ziel. So ist das Endziel des natürlichen Entstehungsprozesses die Form (die bestimmte Daseinsweise als Resultat des Naturvorganges) jene der Ortsbewegung der (bestimmte) Ort, nicht aber die Ruhe in der Form (in der erlangten Wesensbestimmtheit) oder im Ort; dies ist vielmehr etwas, was der Erreichung des Endzieles erst nachfolgt. Noch weniger kann die Bewegung (Veränderung) selbst das Endziel sein, oder die Angemessenheit, welche das Ding für das Ziel hat. So ist auch der letzte Endzweck der vernünftigen Kreatur, Gott zu schauen, nicht aber der, in Gott sich zu erfreuen, sondern dieses letztere begleitet nur das Endziel und vollendet es gewissermaßen. Noch weniger aber kann das Verlangen oder die Liebe das letzte Endziel sein: da man diese ja schon vor der Erreichung des Zieles haben kann. 1. 2. q 3. a 4. Cg. III, 26.

108. Kapitel: Von dem Irrtum jener, welche die Glückseligkeit in etwas Geschöpfliches verlegen

Darum unterliegt es keinem Zweifel, dass der auf einem falschen Weg ist, welcher die Glückseligkeit in irgend etwas außer Gott sucht. Sie kann nicht bestehen in körperlicher Lust; denn diese haben wir mit den Tieren gemeinsam; nicht im Reichtum, denn dessen eigenster Zweck ist eben nur die Erhaltung dessen, der ihn besitzt; dies aber ist unterschiedlos das Ziel eines jeden geschaffenen Wesens; auch nicht in der Macht und Gewalt, deren Zweck es ist, die eigene Vollkommenheit andern mitzuteilen, was wir gleichfalls als Ziel aller Dinge überhaupt bezeichnet haben (Kap. 103); nicht in Ehre und Ruhm; denn diese gebühren Jemand, insofern er das Ziel schon erreicht hat oder doch in guter Verfassung zu demselben sich befindet; auch nicht endlich in der Erkenntnis, dem Wissen aller möglichen Dinge, selbst nicht jener, welche über die Natur des Menschen hinausgehen; denn nur in der (Wesens-)Erkenntnis Gottes allein kommt das natürliche Verlangen des Menschen nach Seligkeit zur Ruhe. 1. 2. q 2. Cg. III, 27-36.

109. Kapitel: Gott allein ist gut kraft seiner Wesenheit, die Geschöpfe nur durch Mitteilung

Aus dem Gesagten folgt, dass das Verhältnis, in welcher Gott zur Güte und Vollkommenheit steht, ein anderes ist, als das der Geschöpfe, und zwar nach der doppelten Seite der Güte und Vollkommenheit hin, die wir an den Geschöpfen wahrnehmen können. Da nämlich das Gute den Begriff der Vollkommenheit und des Endzieles in sich schließt, so kann je nach der doppelten Vollkommenheit und dem doppelten Endziel des Geschöpfes eine doppelte Güte und Vollkommenheit derselben in Betracht kommen. Die erste ist die Vollkommenheit, welche dem Geschöpfe zukommt, insofern es in seiner Natur Bestand hat, und dies ist das Endziel, der Zweck seiner Erzeugung oder Hervorbringung.

Die andere Vollkommenheit ist jene, welche es erreicht durch seine Bewegung (Entwicklung) oder Tätigkeit, und diese ist das Endziel, der Zweck seiner Bewegung (Entwicklung) oder Tätigkeit. Nach diesen beiden Seiten hin aber steht das Geschöpf weit zurück hinter der göttlichen Güte und Vollkommenheit. Denn die Form (die Wesensbestimmtheit) und das Dasein des Dinges ist das dem Ding eigene Gute und seine Vollkommenheit, insofern es in seiner eigenen Natur Bestand hat; nun aber ist die (aus Materie und Form) zusammengesetzte (d. h. die körperliche) Substanz weder ihre Form (Wesensbestimmtheit) noch ihr Dasein (ist mit beiden nicht identisch); aber auch die geschaffene einfache (d. h. geistige) Substanz ist zwar ihre Form selbst, aber nicht auch ihr Dasein (ist zwar mit ihrer Wesensbestimmtheit, nicht aber auch mit ihrem Dasein identisch); Gott allein aber ist wie seine Wesenheit, so auch sein Dasein (Kap. 11). - Desgleichen erlangen alle Geschöpfe ihre vollkommene Güte durch ein außer ihnen liegendes Endziel. Die Güte nämlich in ihrer Vollkommenheit besteht in der Erreichung des letzten Endzieles. Das letzte Endziel eines jeden Geschöpfes aber liegt außerhalb desselben: und das ist die göttliche Güte und Vollkommenheit, die nicht mehr noch zu einem weiteren Endziel hingeordnet ist. - Also ist Gott nach allen Seiten und Beziehungen hin seine Güte und Vollkommenheit und ist wesentlich (kraft seiner Wesenheit) gut; nicht aber sind dies die einfachen (die geistigen) Geschöpfe, denn fürs erste sind sie nicht ihr Dasein (sondern haben dasselbe nur, sind nicht mit ihm identisch); sodann sind sie auch zu etwas außer ihnen Liegendem hingeordnet als zu ihrem letzten Endziel. Bei den zusammengesetzten (den körperlichen) Substanzen aber leuchtet von selbst ein, dass sie nicht ihre Güte selbst sind, (sondern dieselbe nur haben). Gott allein also ist seine Güte und Vollkommenheit und ist kraft seiner Wesenheit gut; alle andern Dinge aber werden gut genannt, insofern sie an seiner Güte und Vollkommenheit mehr oder minder teil nehmen. 1. q. 6. a 3. u. 4; Cg. I, 38.

110. Kapitel: Gott kann seine Güte nicht verlieren

Daraus ergibt sich, dass Gott in keinerlei Weise von seiner Güte und Vollkommenheit abfallen (an ihr Einbuße erleiden) kann. Denn was einem Ding kraft seiner Wesenheit innewohnt, kann ihm (soll es überhaupt dieses Wesen sein) nicht fehlen; so kann dem Menschen nicht fehlen, dass er ein sinnliches Wesen ist; deshalb ist es auch nicht möglich, dass Gott nicht gut und vollkommen ist. Ja, um uns eines noch passenderen Beispiels zu bedienen - wie es nicht sein kann, dass der Mensch nicht Mensch sei, so kann es auch nicht sein, dass Gott nicht vollkommen gut ist.

111. Kapitel: Das Geschöpf kann von seiner Güte und Vollkommenheit abfallen

Bei den Geschöpfen aber kann ein Abfall von der Güte (und Vollkommenheit ihres Seins wie ihres Wirkens) statthaben. Auf zweifache Weise nun haftet dem Geschöpfe eine Güte und Vollkommenheit unzertrennlich an. Einmal dadurch, dass diese Güte und Vollkommenheit zu seinem Wesen selbst gehört (ihm wesentlich ist); sodann dadurch, dass sie (nicht bald so, bald anders sein, sondern) nur in einer bestimmten Weise existieren kann. Das erstere ist der Fall bei den einfachen (den geistigen) Substanzen, bei welchen die Güte und Vollkommenheit, welche ihre Form (Wesensbestimmtheit) ist, unzertrennlich von ihnen ist, weil sie eben ihrem Wesen nach (wesentlich) nichts anderes als reine Formen (Wesensbestimmtheiten) sind. Auch das letztere ist bei ihnen der Fall, insofern sie jene Güte und Vollkommenheit, die im Dasein besteht, nicht verlieren können. Denn die Form (Bestimmtheit) ist nicht, wie die Materie, die sich (gleichmäßig indifferent) zum Dasein wie zum Nichtdasein verhält; sondern die Form ist mit dem Dasein immer unzertrennlich verbunden, das eine Folge von ihr ist, obwohl sie nicht das Dasein selbst ist (Esse per se consequitur ad formam; per se enim dicimus, quod est secundum ipsum; unumquodque autem habet esse, secundum quod habet formam. Substantiae igitur, quae non sunt ipsae formae, possunt privari esse, secundum quod ammittunt formam; sicut aes privatur rotunditate, secundum quod desinit esse circulare. Substantiae vero, quae sunt ipsae formae, nunquam possunt privari esse, sicut, si aliqua substantia esset circulus, nunquam posset fieri non rotunda; denn das Rundsein gehört zum Wesen des Kreises, nicht aber zum Wesen des Erzes. Cg. II, 55 n. 2.) Also können die geistigen Substanzen die Güte und Vollkommenheit der Natur, in der sie bestehen, nicht verlieren, sondern verbleiben unwandelbar in derselben.

Die zusammengesetzten Substanzen dagegen, die weder ihre Form (ihre Wesensbestimmtheit) noch ihr Dasein sind, besitzen die Güte und Vollkommenheit ihrer Natur so, dass sie dieselbe auch wieder verlieren können - mit Ausnahme jener, bei welchen (nach der alten Kosmologie) die Materie nicht verschiedene Formen annehmen kann, und sich auch nicht gleichmäßig zum Sein wie zum Nichtsein verhält, wie dies bei den Himmelskörpern der Fall ist. 1 q 50 a 5; Cg. II, 5.

112. Kapitel: Wie die Geschöpfe in ihrem Handeln von der Güte und Vollkommenheit abfallen

Die Güte und Vollkommenheit der Kreatur kommt nicht bloß in Betracht, insofern diese in ihrer Natur ihren Bestand hat, sondern die Güte in ihrer Vollkommenheit besteht vielmehr darin, dass sie zum Endziel hingeordnet ist (ihre Richtung - hat). Zu diesem hin aber nimmt sie durch ihre Tätigkeit ihre Richtung. Wir müssen also noch betrachten, wie die Geschöpfe einen Abfall von ihrer Güte und Vollkommenheit erleiden bezüglich ihrer Handlungen, durch welche sie zum Endziel hin ihre Richtung nehmen. Hier ist zuerst zu beachten, dass bezüglich der natürlichen Handlungen dasselbe zu sagen ist, wie bezüglich der Natur selbst, welche das Prinzip derselben ist (von der sie ausgehen). Bei jenen Wesen nun, deren Natur keinerlei Schaden leiden kann, kann auch bei der ihrer Natur entsprechenden Tätigkeit keinerlei Fehler eintreten; bei jenen hingegen, deren Natur selbst einer Schädigung zugänglich ist, kann auch bei der Tätigkeit ein Fehler eintreten. Deshalb kann bei den unzerstörbaren Substanzen, seien dieselben nun unkörperlich oder (wie die Himmelskörper nach der alten Naturlehre) körperlich, kein Fehler eintreten in Bezug auf die ihrer Natur entsprechenden Tätigkeit. Denn bei den Engeln behält immer ihre natürliche Kraft die Tüchtigkeit zur Ausübung ihrer Tätigkeit. Desgleichen findet man, dass die Himmelskörper nie ihre kreisförmige Bewegung ändern (oder verlassen). Dagegen treten bei den irdischen Körpern vielerlei Fehler auch in Bezug auf die ihrer Natur entsprechende Tätigkeit ein, wegen der Zerstörung und der Fehler, der ihre Natur selbst ausgesetzt ist. Denn die Unfruchtbarkeit der Pflanzen, die Monstrositäten auf dem Gebiet der tierischen Erzeugung und andere derartige Unordnungen sind die Folge eines Fehlers, der sich auf Seiten eines natürlichen Prinzipes (dieser irdischen Dinge) findet.

113. Kapitel: Von dem doppelten Prinzip der Tätigkeit; wie und worin ein Fehler eintreten kann

Nun gibt es Tätigkeiten, deren Prinzip nicht die Natur, sondern der Wille ist; der Gegenstand dieses letzteren (das, worauf derselbe gerichtet ist) ist das Gute und zwar das Endziel in erster Linie; in zweiter Linie aber das Mittel zum Ziel. Es besteht also zwischen der vom Willen ausgehenden Tätigkeit und dem Guten dasselbe Verhältnis, wie zwischen der natürlichen (der von der Natur ausgehenden) Tätigkeit und der (Wesens-)bestimmtheit, durch welche das Ding tätig ist (z. B. der Wärme, durch welche das Ding wärmt). - Wie also auf dem Gebiet der (von der Natur ausgehenden) natürlichen Tätigkeit ein Fehler nicht eintreten kann bei allen jenen Dingen, welche in Bezug auf ihre Wesensbestimmtheit einen Fehler nicht zulassen - sondern dies nur bei den der Zerstörung unterworfenen Dingen der Fall ist, deren Wesensbestimmtheit vergehen (oder einen Fehler erleiden) kann, so kann die vom Willen ausgehende Tätigkeit fehlerhaft sein bei jenen Wesen, bei welchen der Wille vom Ziel abweichen (das Ziel verfehlen) kann. Wo aber der Wille vom Ziel nicht abweichen (abfallen) kann, da kann offenbar kein Fehler eintreten bei einer vom Willen ausgehenden Tätigkeit.

Nun kann der Wille keine Abweichung (keinen Abfall) erleiden rücksichtlich jenes Gutes (kann - jenes Gute nicht verfehlen), welches die Natur des Wollenden selbst ist.

Denn jedes Ding erstrebt in seiner Weise die Vollkommenheit seines eigenen Seins, und das ist das jedem einzelnen eigene Gute: wohl aber kann es in Bezug auf das ihm äußerliche, fremde Gute eine Abweichung erleiden (kann es das ihm fremde Gute verfehlen), indem es mit dem zu seiner Natur gehörigen Gute sich begnügt. Bei einem Wollenden nun, bei welchem seine eigene Natur das letzte Ziel seines Willens ist, kann bei der vom Willen ausgehenden Tätigkeit ein Abfall (ein Abweichen, Fehler, Verfehlen) überhaupt nicht eintreten.

Das aber ist nur allein bei Gott der Fall. Denn seine Güte (die innere Vollkommenheit seines Wesens), welche das letzte Endziel aller Dinge ist (Kap. 101), ist nichts anderes als seine Natur. Bei allen übrigen mit Willenstätigkeit ausgerüsteten Wesen ist aber dies nicht der Fall; ihre eigene Natur ist nicht das letzte Endziel ihres Willens. Deshalb kann bei ihrer Willenstätigkeit ein Fehler (ein Abfall vom Guten) dadurch eintreten, dass der Wille an seinem ihm eigenen Guten fest haften bleibt, und nicht noch weiter voranstrebt zum höchsten Gut, welches der letzte Endzweck ist. Deshalb kann bei allen geschaffenen vernünftigen Wesen auf dem Gebiet der Willenstätigkeit ein Fehler (ein Abfall vom Guten) stattfinden. 1 q 63 a 1; Cg. III, 108-110.

114. Kapitel: Was unter dem Namen von gut und bös in den Dingen zu verstehen ist

Wie man unter dem Namen "gut" das (nach allen Seiten hin) vollkommene Sein versteht: so wird unter dem Namen "böse" nichts anderes verstanden als (die Beraubung) der Mangel des vollkommenen Seins.

Weil aber von "Mangel" im eigentlichen und strengen Sinn genommen nur dann die Rede sein kann, wenn etwas fehlt, das vorhanden sein sollte, sowie, wann es und wie es vorhanden sein sollte, - so wird etwas als böse oder als ein Übel deshalb bezeichnet, weil es der Vollkommenheit entbehrt, die es haben sollte. Wenn also z. B. der Mensch des Gesichtes beraubt ist, so ist dies für ihn ein Übel (etwas Böses), nicht aber ist es ein Übel für den Stein, weil er nicht dazu angetan ist, zu sehen. 1 q 48 a 3.

115. Kapitel: Das Übel kann unmöglich ein Naturwesen sein

Das Böse kann unmöglich eine (bestimmte existierende) Natur (ein Naturwesen, etwas Reales) sein (dicitur malum esse in mundo, non quasi essentiam aliquam habent vel res q uaedam existat. Cg. III, 9 ad 6m, vgl. 1 q 48 a 2 ad 2m).

1. Denn ein jedes Naturwesen ist entweder Wirklichkeit oder Möglichkeit (etwas schon wirklich oder erst der Möglichkeit nach Existierendes) oder etwas aus beiden Zusammengesetztes. Was aber Wirklichkeit ist (etwas wirklich Seiendes), das ist Vollkommenheit: und beansprucht deshalb den Begriff des Guten; denn das, was nur der Möglichkeit nach ist, begehrt naturgemäß, der Wirklichkeit nach zu sein; gut aber ist eben das, was das Ziel alles Strebens ist (1 q 5 a 1). Deshalb hat auch das aus Wirklichkeit und Möglichkeit zusammengesetzte - insoweit es an dem Wirklichsein teilnimmt, auch Teil an dem Gutsein. Die (reale) Möglichkeit (das Möglichsein) aber besitzt eben, insoweit und insofern es zum Wirklichsein hingeordnet ist, - Güte (Gutsein). Der Beweis dafür ist, dass man das Vermögen umso mehr lobt und schätzt, je mehr es Fähigkeit zur Aufnahme von Wirklichsein und Vollkommenheit besitzt. Also ist keine Natur an sich (als solche) etwas Böses (ein Übel). Cg. III, 7 n. 7.

2. Ein jedes Ding kommt insofern und insoweit zu seiner Vollendung, als es zum Wirklichsein kommt; denn das Wirklichsein ist die Vollendung des Dinges. Nun aber kommt keines von zwei einander entgegengesetzten Dingen zur Vollendung (Vollkommenheit) dadurch, dass sein Gegenteil zu ihm hinzutritt, sondern es wird dadurch vielmehr vernichtet oder wenigstens verringert; so also wird auch das Übel (das Böse) nicht zur Vollendung gebracht dadurch, dass es am Guten teilnimmt. Nun aber kommt jedes Naturwesen dadurch zur Vollendung, dass es das (Da-)Sein der Wirklichkeit nach hat; da nun das Sein das von allen Wesen erstrebenswerte Gut ist, so kommt jedes Naturwesen zur Vollendung dadurch, dass es am Guten teil hat; also ist kein Naturwesen etwas Böses. Cg. III, 7 n. 2.

3. Ein jedes Naturwesen erstrebt die Erhaltung seines Seins und flieht die Vernichtung, so gut es kann. Da nun das Gute das ist, was alle erstreben, so ist das Böse umgekehrt das, vor dem alles flieht. Es folgt also, dass die Existenz eines jeden Naturwesens an sich etwas Gutes, die Nichtexistenz aber etwas Böses - ein Übel - ist. Die Existenz des Übels (des Bösen) aber ist nicht etwas Gutes, es fällt vielmehr die Nichtexistenz des Bösen (des Übels) unter den Begriff des Guten. Also ist das Böse (das Übel) nicht ein Naturwesen. Cg. III, 7 n. 2. 1 q 48 a 1.

116. Kapitel: In welcher Weise gut und bös Unterscheidungen des Seienden bilden, einander entgegengesetzt und Gattungsbegriffe von entgegengesetzten Gebieten sind

Nun erübrigt uns noch zu betrachten, in welcher Weise gut und bös als einander entgegengesetzt bezeichnet werden können, ferner als Gattungen (Gattungsbegriffe) von einander entgegengesetzten Dingen, sowie als Unterscheidungen, welche bestimmte Arten (Artbegriffe), nämlich moralische Zuständlichkeiten, begründen. Von zwei einander entgegengesetzten Dingen ist jedes ein bestimmtes Naturwesen. Denn das gar nicht Seiende kann weder Gattung noch (spezifische) Differenz sein, denn die Gattung wird ausgesagt vom Ding rücksichtlich dessen, was es ist: die (spezifische) Differenz aber rücksichtlich dessen, wie es ist. Nun ist zu beachten, dass wie die Naturdinge den Umstand, dass sie eine bestimmte Art (Spezies) bilden, ihrer Form (Wesensbestimmtheit) verdanken - so die Dinge auf dem moralischen Gebiet dies dem Ziel (oder Zweck) verdanken; denn dieser ist der Gegenstand des Willens, von dem alle Dinge auf dem moralischen Gebiet abhängen. Wie nun auf dem Naturgebiet mit der Einen Wesensbestimmtheit zugleich verbunden ist der Mangel (das Fehlen) einer anderen - so z. B. wenn nach der alten Naturlehre die materia prima gerade in der Elementarform des Feuers konkret existiert, so ist damit zugleich verbunden der Mangel, das Fehlen der Elementarform, z. B. der Luft usw., in welcher die materia prima ja auch existieren könnte - so auch ist auf dem moralischen Gebiet mit dem einen Endzweck verbunden der Mangel (das Fehlen) eines anderen Endzweckes. Da nun der Mangel (das Fehlen) der gebührenden Vollkommenheit ein Übel (etwas Böses) ist, so ist auf dem Naturgebiet ein Übel (etwas Böses) dann vorhanden, wenn Etwas eine Form (eine Bestimmtheit) erhält, mit welcher der Mangel (das Fehlen) der gebührenden Bestimmtheit verbunden ist - und zwar ist dies ein Übel nicht etwa wegen der Bestimmtheit, sondern wegen des mit ihr verbundenen Mangels (Fehlens der gebührenden Bestimmtheit). So ist z. B. das Durchglühtwerden vom Feuer ein Übel für das Holz. So auch ist auf dem moralischen Gebiet es ein Übel (etwas Böses), wenn Jemand einen Endzweck verfolgt, mit welchem der Mangel (das Fehlen) des gebührenden Endzweckes verbunden ist - ein Übel also nicht etwa wegen des Endzweckes (an sich), sondern wegen des Fehlens (des gebührenden Endzweckes, welches mit dem Verfolgen eines andern Endzweckes notwendig) verbunden ist. So also besteht zwischen zwei Handlungen auf dem moralischen Gebiet, die sich auf einander entgegengesetzte Endzwecke richten, der Unterschied zwischen gut und bös, und folglich werden auch zwei einander entgegengesetzte (moralische) Zuständlichkeiten als gut und bös unterschieden, als wirklich bestehende und einander entgegengesetzte spezifische Differenzen - nicht etwa wegen des Mangels (des Fehlens der gebührenden Vollkommenheit), weshalb man einem Dinge den Namen bös oder Übel beilegt - sondern wegen des Endzweckes, mit welchem der Mangel (das Fehlen der gebührenden Vollkommenheit) verbunden ist.

In diesem Sinne wollen auch Manche den Ausspruch des Aristoteles verstehen, dass nämlich gut und bös die Gattungen (Gattungsbegriffe) von einander entgegengesetzten Dingen seien - nämlich auf dem moralischen Gebiet. Betrachtet man jedoch die Sache genau, so sind gut und bös auch auf dem moralischen Gebiete mehr Differenzen (Unterscheidungen) als Arten (Artbegriffe). Deshalb sagt man besser: gut und bös werden (von Aristoteles) als Gattungen bezeichnet im Sinne des Pythagoras, der alle Dinge auf gut und bös als die zwei höchsten Kategorien (Gattungsbegriffe alles Seienden) zurückführte. In dieser Ansicht liegt etwas Wahrheit insofern, als von allen einander entgegengesetzten Dingen das eine vollkommen (vollendet), das andere aber mehr abgeschwächt ist, wie man das auf dem Farbengebiet (in der Farbenskala) zwischen weiß und schwarz - auf dem Geschmacksgebiet zwischen süss und sauer usw. wahrnehmen kann. Immer aber fällt, was vollkommen ist, unter den Begriff des Guten, was aber abgeschwächt (gemindert) ist, unter den des Bösen. 1 q 48 a 1 ad 1m. Cg. III, 8 u. 9.

117. Kapitel: Nichts kann wesentlich oder gänzlich schlecht sein; sondern das Böse bleibt immer die Zerstörung von etwas Gutem

Nachdem einmal feststeht, dass das Übel (das Böse) der Mangel (das Fehlen) der gebührenden Vollkommenheit ist, so leuchtet schon ein, auf welche Weise das Böse das Gute zerstört (vernichtet) - nämlich insofern, als es der Mangel (das Fehlen) desselben ist - wie man auch von der Blindheit sagt, sie zerstöre, vernichte das Sehen, weil sie eben der Mangel (das Fehlen) des Sehens ist.

Aber das Böse zerstört (vernichtet) nicht das Gute völlig; denn, wie oben (Kap. 115. n. 1) bemerkt, nicht nur die Form (die Wesensbestimmtheit) ist etwas Gutes, sondern auch die (reale) Möglichkeit für die Wesensbestimmtheit - und eben dieses Möglichsein ist das Subjekt (liegt zu Grunde) für den Mangel (das Fehlen) ebenso gut wie für die Form. Also muss das Subjekt des Übels (des Bösen - das was dem Bösen zu Grunde liegt) etwas Gutes sein; nicht zwar jenes Gute, welches dem Bösen entgegengesetzt ist, wohl aber jenes, welches im Zustand des Möglichseins zu diesem (dem Bösen entgegengesetzten Guten) sich befindet. (1. q 48. a 4. Cg. III, 12).

Daraus ist auch ersichtlich, dass nicht jedes Gute Subjekt des Übels (des Bösen) sein kann, sondern nur jenes Gute, welches sich im Zustand des Möglichseins rücksichtlich einer Vollkommenheit befindet, die es verlieren kann. Deshalb kann bei jenen Wesen, die nur Wirklichsein sind, oder bei denen das Wirklichsein vom Möglichsein nicht geschieden werden kann, insoweit und insofern von Übel (oder Bösem) keine Rede sein. 1. q 48. a 2. u. 3. Cg. III, 11.

Daraus geht ferner hervor, dass es nicht etwas geben kann, das seinem ganzen Sein und Wesen nach böse wäre; denn immer muss das Böse sich auf ein anderes, und zwar auf ein gutes Subjekt gründen (stützen) und so kann es kein höchstes Übel oder Böses geben, wie es ein höchstes Gut gibt, das seinem ganzen Sein und Wesen nach gut ist. 1. q 49, a. 3. Cg. III, 15.

Eben daraus folgt ferner, dass das Böse weder Gegenstand des Verlangens, noch auch irgendwie tätig sein kann, außer in Kraft des mit ihm verbundenen Guten. Denn was begehrenswert ist, das ist die Vollkommenheit und das Endziel: Prinzip der Tätigkeit aber ist die Form (das, was dem Ding diese oder jene Bestimmtheit verleiht).

Weil aber mit der einen Vollkommenheit oder Bestimmtheit der Mangel einer andern Vollkommenheit oder Bestimmtheit verbunden ist, so kommt es (nicht zwar an sich direkt, wohl aber) per accidens, indirekt, vor, dass der Mangel oder das Übel (das Böse) begehrt wird, sowie dass es das Prinzip einer Tätigkeit ist, jedoch nicht insoweit oder insofern es ein Übel (etwas Böses) ist, sondern wegen des mit ihm verbundenen Guten. So kommt es ja auch vor, dass ein musikverständiger Mensch ein Haus baut; nicht insofern und insoweit er Musikverständig, sondern insofern und insoweit er Haus-Erbauer ist. Daraus ergibt sich auch die Unmöglichkeit, dass das Böse erstes (und oberstes) Prinzip ist, einfach deswegen, weil, was nur Prinzip nebenbei (indirekt) ist, später ist, als das, was Prinzip an sich und durch sich ist. 1. q 49 a I. u. 3. Cg. III, 10. 14 u. 15.

118. Kapitel: Das Böse gründet im Guten als seinem Subjekte

Man könnte nun gegen das Gesagte einwenden, dass das Gute nicht Subjekt des Bösen sein kann, weil das eine von zwei einander entgegengesetzten (mit einander unvereinbaren) Dingen nicht das Subjekt des andern ist, und bei allen andern einander entgegengesetzten (mit einander unvereinbaren) Dingen es sich nie findet, dass sie zugleich beisammen sind. Dagegen ist jedoch zu beachten, dass alle andern Gegensätze einem bestimmten (abgegrenzten) Gebiete angehören, während die Gegensätze von gut und böse über das ganze Seinsgebiet sich erstrecken. Denn alles, was ist, ist insofern und insoweit es ein Seiendes ist, etwas Gutes; und jeglicher Mangel (jegliches Fehlen oder Beraubtsein) ist insofern und insoweit es dieses (ein Fehlen) ist, etwas Böses, (ein Übel). Wie nun das Subjekt des Mangels (des Fehlens) etwas Seiendes sein muss - so muss es auch etwas Gutes sein (weil ja alles Seiende als solches etwas Gutes ist); nicht aber braucht das Subjekt des Mangels gerade etwas Weißes oder etwas Süßes oder etwas Sehendes zu sein, weil alle diese Bestimmtheiten nicht vom Seienden als solchen ausgesagt werden. Deshalb findet sich das Schwarze nicht im Weißen, noch die Blindheit im Sehenden (als ihrem Subjekt) wohl aber findet sich das Böse im Guten, wie auch die Blindheit sich im Subjekte des Sehens (im Menschen) findet; dass man aber das Subjekt des Sehens nicht (schlechthin) den Sehenden (sondern den Seienden überhaupt) nennt, kommt daher, weil der Begriff des Sehens nicht allem Seienden allgemein zukommt. (caecitas non est non ens universale, sed non ens hoc; non est igitur in visu sicut in subjecto, sed in animali. Cg. III, 11. 1. q 48. a 3).

119. Kapitel: Von der doppelten Gattung des Bösen

Das Böse (das Übel) ist also ein Mangel und ein Fehler: Nun kann aber ein Fehler an einem Ding sich finden, nicht bloß insofern man es in seiner eigenen Natur betrachtet, sondern auch insofern es durch seine Tätigkeit zu einem bestimmten Ziele hingeordnet ist (Kap. 112). Deshalb kann nach diesen zwei Beziehungen hin vom Bösen (Übel) die Rede sein, insofern sich nämlich am Dinge selbst ein Fehler findet, - wie z. B. die Blindheit ein Fehler (Übel) eines Lebewesens ist - sodann insofern seine Tätigkeit mit einem Fehler verbunden ist; so bezeichnet z. B. das Hinken eine Tätigkeit verbunden mit einem Fehler. Das Böse (das Übel) nun das sich bei einer Tätigkeit findet, die auf ein bestimmtes Endziel hingeordnet ist, zu dem sie sich jedoch nicht in gebührender Weise verhält - nennt man Fehler, sowohl auf dem Gebiete der mit freiem Willen als der mit Naturnotwendigkeit sich vollziehenden Tätigkeit. Denn der Arzt begeht einen Fehler in seiner Tätigkeit, wenn er nicht in der (seinem Ziel), der Gesundheit, entsprechenden Weise bei seinem Tun vorangeht; und auch die Natur begeht einen Fehler in ihrer Tätigkeit, wenn sie das von ihr hervorgebrachte Ding nicht in die entsprechende Verfassung und Bestimmtheit versetzt, wie dies z. B. bei der Entstehung von Missgeburten der Fall ist.

120. Kapitel: Von der dreifachen Art der Tätigkeit und von dem Übel der Schuld

Bisweilen nun ist die Tätigkeit in der Gewalt des Tätigen (Handelnden) selbst, wie dies bei allen vom freien Willen ausgehenden Handlungen der Fall ist. Freiwillig aber nenne ich jene Tätigkeit, deren Prinzip im Handelnden selbst ist, der Bewusstsein (Wissen) von dem hat, worin der Handlung besteht (was zur Handlung gehört).

Bisweilen aber sind die Handlungen nicht freiwillig; derart sind die durch eine dem Handelnden äußere Gewalt vollzogene Handlungen, bei denen das Prinzip des HandeIns etwas außerhalb des Handelnden Liegendes ist, wie das der Fall ist bei jener Tätigkeit, die mit Naturnotwendigkeit, oder ohne Bewusstsein (um das, was zu tun ist) vollzogen wird, weil diese Tätigkeit eben nicht von einem (ihrer Tätigkeit) bewussten Prinzip ausgeht.

Tritt nun bei den nicht freiwilligen, zu einem bestimmten Ziel hingeordneten Handlungen ein Fehler ein, so nennt man ihn einfach einen Fehler. Ist das jedoch bei der freiwilligen Tätigkeit der Fall, so nennt man ihn nicht bloß Fehler, sondern auch Schuld, weil eben der mit freiem Willen Tätige Herr seiner Handlung ist und deshalb Tadel und Strafe verdient. Bei gemischten Handlungen aber, das ist bei jenen, welche etwas Freiwilligkeit und auch etwas Unfreiwilligkeit an sich haben, wird die Schuld um so geringer, je mehr Unfreiwilliges sich an der Handlung findet.

Weil nun die mit Naturnotwendigkeit sich vollziehende Tätigkeit sich nach der Natur des Dinges richtet, so leuchtet ein, dass bei den unvergänglichen Wesen, deren Natur der Umwandlung entzogen ist, ein Fehler in Bezug auf ihre mit Naturnotwendigkeit sich vollziehende Tätigkeit nicht eintreten kann. Wohl aber kann der Wille der vernünftigen Kreatur einen Fehler erleiden bei der freiwillig sich vollziehenden Tätigkeit, wie oben (Kap. 113) gezeigt ward. Während es also eine gemeinsame Eigenschaft aller unvergänglichen Wesen ist, bezüglich der Natur vom Übel frei zu sein, ist es nur Gottes Vorrecht allein, auch vom Übel der Schuld, deren nur die vernünftige Natur allein fähig ist, kraft seiner Natur notwendigerweise frei zu sein.

121. Kapitel: Manches Böse trägt den Charakter der Strafe, nicht aber den der Schuld

Wie der Fehler bei einer mit freiem Willen vollzogenen Handlung den Charakter von Sünde und Schuld begründet, so begründet das für die Schuld verhängte Fehlen (die Wegnahme) von irgend etwas Gutem, das gegen den Willen dessen, dem man es entzieht, geschieht - den Charakter der Strafe. Die Strafe wird nämlich verhängt als Arznei gegen die Schuld, sowie als ein Korrektivmittel derselben. Als Arznei, insofern der Mensch um der Strafe willen von der Schuld abgeschreckt wird, indem er um nicht Etwas zu erleiden, was seinem Willen zuwider ist, von der unordentlichen Tätigkeit, die seinem Willen gefallen würde, ablässt. Sie ist aber auch ein Korrektivmittel derselben; denn durch die Schuld übertritt der Mensch die Schranken der von der Natur gesetzten Ordnung, indem er seinem Willen mehr gestattet, als recht ist; darum wird die Ordnung durch die Strafe wieder hergestellt, indem durch sie dem Willen Etwas entzogen wird. Daraus ergibt sich, dass von einer, der Schuld entsprechenden Strafe nur dann die Rede sein kann, wenn dem Willen die Strafe mehr zuwider ist, als ihm die Schuld gefällt. 1. q 48. a. 5.

122. Kapitel: Nicht jede Strafe ist auf gleiche Weise dem Willen zuwider

Nicht jede Strafe aber widerstrebt auf gleiche Weise dem Willen. Es gibt eine Strafe, welche gegen das gerichtet ist, was der Mensch (gerade im Augenblick) wirklich will, und diese Strafe wird am meisten gefühlt. Sodann gibt es eine Strafe, welche nicht dem aktuellen, wohl aber dem habituellen Willen widerstrebt (nicht dem Willensakt wohl aber der Willensrichtung) wenn z. B. Jemand seines Kindes, seines Besitzes beraubt wird, ohne dass er es weiß. Diese Strafe richtet sich nicht gegen seinen tatsächlich widerstrebenden Willen; sie wäre aber gegen seinen tatsächlich widerstrebenden Willen, wenn er um dieselbe wüsste. Dann kommt es noch vor, dass eine Strafe (nicht gegen den aktuellen oder habituellen Willen sondern nur) gegen den Willen gerichtet ist rücksichtlich der Natur des Willensvermögens selbst; denn der Wille ist kraft seiner Natureinrichtung auf das Gute gerichtet. Wenn also z. B. Jemand die Tugend verliert, so ist das bisweilen durchaus nicht gegen seinen aktuellen, tatsächlich vorhandenen Willen, weil er vielleicht sich gar nichts aus der Tugend macht; auch nicht gegen seinen habituellen Willen (seine moralische Willensrichtung), weil er vielleicht in einer solchen Willensfassung und Richtung sich befindet, dass er das der Tugend entgegengesetzte will; nichtsdestoweniger ist dies doch immerhin gegen die natürliche richtige Verfassung des Willens, nach welcher der Mensch von Natur aus die Tugend anstrebt.

Daraus ist ersichtlich, dass es für die Abstufung der Strafe einen doppelten Maßstab gibt; einerseits die Größe des Gutes, dessen man durch die Strafe beraubt wird (das Einem durch die Strafe entzogen wird); und anderseits der Umstand, dass dieselbe dem Willen mehr oder minder widerstrebt. Dem Willen aber widerstrebt es mehr, dass ihm ein größeres, als dass ihm ein geringeres Gut entzogen wird. -

123. Kapitel: Alles wird durch die göttliche Vorsehung regiert

Aus dem Gesagten aber kann man ersehen, dass Alles durch die göttliche Vorsehung gelenkt und geleitet wird. Alle Dinge, die dem Endzweck eines andern untergeordnet sind, werden von eben diesem auch zu diesem Endziel hingelenkt und geleitet; so haben z. B. alle Soldaten im Heer in ihrer Tätigkeit zum Endzweck den des Feldherrn, nämlich den Sieg, und sie werden auch von ihm zu diesem Endziel hingeleitet und geführt. Nun ward aber oben (Kap. 103) gezeigt, dass alle Dinge durch ihre Tätigkeit als Endziel die innere Vollkommenheit des göttlichen Wesens anstreben. Darum werden alle Dinge von Gott, dessen eigenstes Eigentum dieses Endziel ist, zu ihrem Endziel hingelenkt und geleitet. Das eben verstehen wir darunter, wenn wir von vorsehender Lenkung und Leitung sprechen. Alles also wird durch die göttliche Vorsehung geleitet. Cg. III, 64 n. 1.

2. Wir finden, dass jene Dinge, welche einen Fehler (eine Abschwächung, Abweichung von dem Vollbegriff ihres Wesens) erleiden können, und deren Zustand ein wandelbarer ist, von jenen Dingen geordnet und geleitet werden, deren Zustand sich immer gleich bleibt; so steht (nach der alten Kosmologie) alle Entwicklung und Bewegung der irdischen Körperwelt, bei der mancherlei Fehler mit unterlaufen können, unter der Leitung der unwandelbaren Bewegung der Himmelskörper. Nun aber unterliegen alle Kreaturen der Wandelbarkeit und Fehlerhaftigkeit. Denn bei den vernünftigen Kreaturen kann sich, soweit es auf ihre Natur ankommt, auf dem Gebiet des mit freiem Willen vollzogenen Handelns ein Fehler vorfinden. Die andern Kreaturen aber sind der Bewegung und Veränderung unterworfen, sei es nun in Bezug auf Entstehen und Vergehen oder wenigstens in Bezug auf den Ort (bei den Himmelskörpern); Gott allein aber ist es, bei dem kein Fehler statthaben kann: also muss alles Andere von ihm gelenkt und geleitet werden. Cg. III, 64 n. 7.

3. Alle Dinge, die nur dadurch etwas sind, dass sie an der Vollkommenheit eines Andern teilnehmen, müssen zurückgeführt werden als auf ihre Ursache (ihre Quelle) auf jenes Wesen, welches kraft seiner eigenen Wesenheit Etwas ist. So haben alle Dinge, welche feurig sind als Ursache ihres feurigen Charakters in gewissem Sinn das Feuer selbst.

Da nun Gott allein kraft seines eigenen Wesens gut ist, alle übrigen Dinge aber die Vollendung ihres Gutseins nur dadurch erhalten, dass sie mehr oder weniger an Gottes Gutsein teilnehmen - so müssen alle Dinge zur Vollendung ihres Gutseins gebracht werden durch Gott: das aber heißt man gelenkt und regiert (seinem Ziele entgegengeführt) werden. Denn die Lenkung und Regierung der Dinge besteht eben darin, dass sie in die Ordnung des Guten gestellt werden. Alle Dinge also werden von Gott gelenkt und regiert. Cg. III, 64 n. 7. 1. q 22. a 2.

124. Kapitel: Gott lenkt die niederen Kreaturen durch die höheren

Daraus ist ersichtlich, dass die niederen Kreaturen von Gott durch die höher stehenden gelenkt und geleitet werden.

1. Der Grund weshalb wir manche Geschöpfe höherstehend als andere bezeichnen, liegt darin, dass sie vollkommener sind in Bezug auf die innere Vollkommenheit ihres Wesens. Diese Vollkommenheit ihres Wesens aber erlangen die Geschöpfe von Gott, insofern sie von ihm regiert (dem Ziele entgegengeführt und gelenkt) werden. So also haben die höherstehenden Geschöpfe mehr teil an der Ordnung der göttlichen Weltregierung als die niederstehenden. Ein Wesen aber, das mehr teil hat an irgend welcher Vollkommenheit, steht jenem gegenüber, das weniger an ihr teil hat, im Verhältnis des Wirklichseins zum Möglichsein, und wie das wirkende Wesen zu dem die Wirkung in sich aufnehmenden.

Es verhalten sich also auf dem Gebiete der göttlichen Vorsehung die höherstehenden Geschöpfe zu den niederstehenden wie das wirkende zu dem die Wirkung in sich aufnehmenden Wesen. Also werden durch die höherstehenden Geschöpfe die niederstehenden gelenkt und geleitet. Cg. III, 78. n. 2.

2. Der göttlichen Güte kommt es zu, den Geschöpfen die Ähnlichkeit mit sich zu verleihen; denn das will es heißen, wenn man sagt, Gott habe Alles um seiner Güte willen gemacht (Kap. 101). Zum vollen Begriff der göttlichen Güte aber gehört ein zweifaches: einmal, dass er in sich selbst gut ist, so dann, dass er auch Andere dazu bringt, dass sie gut sind. Beides nun teilt er der Kreatur mit: einmal dass sie für sich selbst gut sind, sodann, dass die eine die andere dazu bringt, dass sie gut ist. So lässt er also durch einen Teil der Geschöpfe die andern zum Guten (Gutsein) bringen. Diese ersteren aber müssen höherstehende Geschöpfe sein. Denn ein Ding, das einem wirkenden Wesen dadurch ähnlich wird, dass es von ihm nicht bloß eine Bestimmtheit (Eigenschaft) sondern auch die Kraft der Tätigkeit empfängt, ist vollkommener, als jenes, welches von demselben zwar die betreffende Eigenschaft, nicht aber auch die Kraft, weiter tätig zu sein, erhält; so erhält z. B. der Mond das Licht von der Sonne in vollkommenerer Weise, weil er nicht nur erleuchtet wird, sondern selbst wieder erleuchtend wirkt, als die dunkeln Körper, die nur erleuchtet werden, nicht selbst aber wieder andere erleuchten. (creaturae rationales non solum sunt provisae sed etiam providentes). Also lenkt und leitet Gott durch die höherstehenden Geschöpfe die niederstehenden. Cg. IlI, 78. n. 2.

3. Das Gut, das mehreren Wesen zukommt, ist besser, als jenes, das nur auf ein einziges beschränkt ist - und ersteres ist infolge dessen mehr geeignet, die göttliche Güte zur Darstellung zu bringen, welche ein Gut ist, das (nicht etwa nur einem einzigen Wesen, oder einigen wenigen, sondern vielmehr) dem ganzen Universum zu gute kommt. Würde nun die höher stehende Kreatur, welche ein reichlicheres Maß von Güte von Gott empfangen hat, nichts zum Gutsein der niederstehenden Kreaturen beitragen, so würde diese Fülle von Gutsein nur einem einzigen Wesen zu gute kommen; so aber wird sie das Gemeingut Vieler dadurch, dass jenes höher stehende Wesen selbst wieder vielen anderen dieses Gut verleiht. Es liegt also im Wesen der göttlichen Güte, dass er durch die höherstehenden Kreaturen die niederstehenden regiert (sie ihrer Vollkommenheit entgegengeführt). Cg. III, 77 n. 5. 1. q 22. a 3.

125. Kapitel: Die niederstehenden vernünftigen Wesen werden durch die höherstehenden regiert

Da nun die vernünftigen Kreaturen höher stehen als die übrigen, wie aus dem Vorausgehenden (Kap. 75) hervorgeht, so ergibt sich, dass durch die vernünftigen Kreaturen alle übrigen von Gott regiert (ihrer Vollkommenheit entgegengeführt) werden. Da ferner unter den vernünftigen Kreaturen selbst die Einen höher stehen als die Andern, so werden weiterhin durch die höherstehenden die niederstehenden von Gott regiert. So kommt es, dass die Menschen, welche der Naturordnung nach unter den vernünftigen Wesen die niederste Stufe einnehmen, durch die höheren Geister gelenkt und geleitet werden, die, weil sie den Menschen göttliche Dinge verkünden, Engel, das ist Boten (Verkünder) genannt werden. Unter den Engeln selbst wieder werden die niederen von den höheren regiert, und insofern unterscheidet man bei ihnen verschiedene Hierarchien d. h. heilige Herrschaften, und bei den einzelnen Hierarchien selbst wieder verschiedene Ordnungen (Stufenreihen). Cg. III, 79.

126. Kapitel: Von den Stufenreihe und Ordnung der Engel

Weil nun alle Tätigkeit eines vernünftigen Wesens als solchen vom Verstand ausgeht, so muss je nach der Verschiedenheit (je nach dem höheren oder geringerem Grade) der Erkenntnisweise die Verschiedenheit in Bezug auf Tätigkeit, Vorrang und Rangstufe unter den vernünftigen Wesen sich gliedern. Je höher oder würdiger nun ein Verstand ist, in einer desto höheren und weitreichenderen Ursache vermag er die aus ihr hervorgehenden Wirkungen zu erkennen. So ward auch oben (Kap. 78) bemerkt, dass die höhere Intelligenz über weiter reichende (mehr umfassende) Erkenntnisbilder (Gedanken, Ideen) verfügt.

Die erste, den vernünftigen Wesen entsprechende Erkenntnisweise besteht nun darin, dass sie in der ersten und obersten Ursache selbst - d. i. in Gott - die Gründe (das innerste Wesen) der von ihm ausgehenden Wirkungen (Werke) erkennen (den Weltzweck) und folglich auch das innerste Wesen der ihnen obliegenden Werke, da ja Gott sich ihrer bedient, um die unter ihnen stehenden Werke zu vollbringen - und das ist das Charakteristikum der ersten Hierarchie, die sich wieder in drei Chöre teilt, entsprechend den drei Momenten, die sich bei jeder auf die Ausführung eines Werkes gerichteten Kunst finden; das ist erstens der Zweck, aus welchem der Plan, die Idee der auszuführenden Werke sich ergibt; das zweite sind die Pläne der auszuführenden Werke im Geist des Künstlers; das dritte sind die Ausführungsbestimmungen der Werke. Sache des ersten Chores ist es also, im höchsten Gute selbst, das ja der letzte Endzweck aller Dinge ist, über die auszuführenden Werke Gottes belehrt zu werden. Die Engel dieses Chores werden deshalb von der Glut der Liebe (die ja den Zweck zum Gegenstand hat) Seraphim genannt, also gleichsam glühend oder entzündend; denn Gegenstand der Liebe ist ja eben das Gute (der Zweck). Sache des zweiten Chores ist es, die auszuführenden Werke Gottes in ihren geistigen PIänen, Entwürfen zu Schauen, wie sie in Gott sind, sie werden deshalb Cherubim genannt ob der Fülle ihres Wissens. Sache des dritten Chores ist es, in Gott selbst zu schauen, wie er gewissermaßen in den Geschöpfen ruht durch seinen Weltplan, der in ihnen zur Ausführung kommt; deshalb werden sie wegen des in ihnen ruhenden Gottes Throne genannt.

Die zweite Erkenntnisweise besteht darin, dass die Pläne der auszuführenden Werke (der WeltpIan), insofern sie sich in ihren allumfassenden Ursachen finden, geschaut werden - und das ist das Charakteristikum der zweiten Hierarchie, die wiederum in drei Chöre zerfällt, nach den drei Momenten, die den allumfassenden Ursachen, und besonders jenen, die mit Vernünftigkeit tätig sind, zukommen; nämlich erstens einem jeden die ihm zukommende Arbeit zuzuweisen; deshalb weisen ja auch auf dem Kunstgebiet, die am höchsten stehenden Künste den niederer stehenden ihre Arbeit zu (wie z. B. die Architektur dem Maurer- und Zimmerhandwerk), weshalb erstere auch architektonische (auf dem Kunstgebiet die Herrschaft führende) genannt werden. Deshalb wird der erste Chor dieser Hierarchie Herrschaften genannt; Sache des Herrn ist es nämlich, Vorschriften zu geben, und die Arbeit zuzuweisen.

Das zweite, was auf dem Gebiet der allumfassenden Ursachen sich findet, ist etwas, was in erster Linie zur Ausführung des Werkes bewegt und gleichsam die Vorstandschaft in der Ausführung hat, deshalb wird der zweite Chor dieser Hierarchie Fürstentümer genannt - nach Gregorius - oder Kräfte - nach Dionysius (Areogapita Coelest. hierarch. cap. 8) - was man so nehmen kann, dass in erster Linie das Werk ausführen im höchsten Grade Kraft verlangt. Das dritte endlich auf dem Gebiet der allumfassenden Ursachen ist das Entfernen der Hindernisse, die sich der Ausführung der Werke in den Weg stellen, deshalb ist der dritte Chor dieser Hierarchie jener der Gewalten, deren Aufgabe es ist, Alles, was der Ausführung des göttlichen Befehles im Wege steht, zu entfernen, weshalb man (Gregorius) auch von ihnen sagt, sie hielten die Dämonen in Schranken.

Die dritte Erkenntnisweise endlich besteht darin, dass der Plan (die Idee, das innere Wesen) der auszuführenden Werke in den ausgeführten Werken selbst geschaut wird (die Ausführung des Weltplanes); und dies ist das Charakteristikum der dritten Hierarchie, die unmittelbar über uns steht: wie denn auch wir aus den ausgeführten Werken selbst wieder Kenntnis von (der Idee) der ausgeführten Werke erhalten. Auch diese Hierarchie hat wieder drei Chöre, von denen der niederste der der EngeI (Boten, Verkünder) genannt wird, weil sie den Menschen das verkünden, was zu ihrer Leitung gehört; deshalb werden sie auch Wächter (Schützer) der Menschen genannt (Schutzengel). Über diesem Chor steht jener der Erzengel, durch welchen den Menschen Übervernünftiges verkündet wird, wie die Geheimnisse des Glaubens. Der höchste Chor dieser Hierarchie wird nach Gregorius der der Kräfte genannt, weil sie das wirken, was über die Natur hinausgeht, zum Beweis für die uns verkündeten übervernünftigen Wahrheiten; deshalb sagt man, den Kräften komme es zu, die Wunder zu wirken. (Angeli aliqui dicuntur miracula facere, vel quia ad eorum desiderium Deus miracula facit, sicut et sancti homines dicuntur miracula facere; vel quia aliquod ministerium exhibent in miraculis quae fiunt. 1 q 110 a 4 ad 1m).

Nach Dionysius (Coelest. hierarch. c. 8) dagegen wird als höchster Chor dieser Hierarchie jener der Fürstentümer bezeichnet, wobei man unter Fürsten jene Engel zu verstehen hat, die den einzelnen Völkern leitend beistehen, unter Engeln jene, welche den einzelnen Menschen, unter Erzengeln aber jene, welche einzelnen (bevorzugten) Menschen das verkünden, was auf das Heil Aller Bezug hat.

Weil nun die niedere Gewalt in Kraft der höher stehenden tätig ist, so übt der niedererstehende Chor auch das aus, was dem über ihm stehenden höheren eigen ist, insofern er ja in Kraft dieses letzteren tätig ist, während umgekehrt die höheren auch alles das, was den niederstehenden eigen ist, in höherer und vollkommenerer Weise besitzen. Darum ist ihnen im gewissen Sinn alles (das ganze Tätigkeitsgebiet) gemeinsam, ihre besonderen Bezeichnungen aber erhalten sie auf Grund der Tätigkeit, welche jedem Chor als solchem an sich zukommt. Darum ist dem niedersten Chor der allen gemeinsame Name geblieben, weil er in der Kraft aller andern, die über ihm stehen, tätig ist. Cg. III, 80. 1 q 108 a 1 2 5 6.

Nun ist es Sache des höherstehenden auf den niederstehenden einzuwirken; das Einwirken eines vernünftigen Wesens auf ein anderes besteht aber im Unterrichten oder Lehren; deshalb sagt man von den höheren Engeln, insofern sie die niedererstehenden unterrichten, sie reinigten, erleuchteten und vervollkommneten dieselben. Sie reinigen dieselben, indem sie das Nichtwissen entfernen; sie erleuchten sie, indem sie mit ihrer geistigen Lichtfülle den Verstand der Niederstehenden stärken, so dass sie etwas höheres (etwas über ihren Verstand Hinausgehendes) fassen können; sie vervollkommnen (vollenden) sie, indem sie dieselben auf die Höhe und zur Vollkommenheit ihres eigenen Wissens erheben. Denn diese drei Dinge gehören nach Dionysius zur Aufnahme des Wissens.

Dies schließt jedoch nicht aus, dass alle Engel, auch die niedersten, Gottes Wesenheit unmittelbar schauen. Denn wenn auch jeder der seligen Geister Gott seiner Wesenheit nach unmittelbar schaut, so schaut ihn doch der eine vollkommener ab der andere, wie dies aus dem Gesagten ersichtlich sein dürfte. Je vollkommener man aber eine Ursache erkennt, desto mehr Wirkungen derselben vermag man in ihr zu schauen. Das also, über was die höheren Engel die niederstehenden unterrichten, sind die Wirkungen, die von Gott ausgehen, und welche die höheren Engel besser erkennen als die übrigen, nicht aber die Wesenheit Gottes, welche alle unmittelbar schauen. 1 q 106 a 1. 3. 4; Cg. III, 80.

127. Kapitel: Durch die höherstehenden Körper werden die niederstehenden - nicht aber der menschliche Verstand - beeinflusst

1. Wie in der Geisterwelt bei den vernünftigen Wesen nach Gottes Anordnung das eine durch das andere - das niedere durch das höhere, gelenkt und geleitet wird, so beeinflussen und beherrschen in der Körperwelt die höher stehenden Körper (die Himmelskörper) nach Gottes Anordnung die niederstehenden (die irdischen). Deshalb wird alle Bewegung (alle Entwicklung und Veränderung, aller Wechsel und Wandel, alles Entstehen und Vergehen) auf dem Gebiet der irdischen Körperwelt durch die Bewegung der Himmelskörper verursacht, und so empfangen durch die Kraft der Himmelskörper die irdischen ihre Wesensgestaltung und Bildung, wie ja auch in der Geisterwelt die geistigen Ideen der Dinge den niederen Geistern durch die höheren vermittelt werden. (Vergl. hierzu Cg.III, 82 bes. n. 6. Wie Thomas 1 q 115 a 3 ad 2m bemerkt, muss jede naturwissenschaftliche Theorie, welche sich über den Materialismus erheben und eine Wesensveränderung im eigentlichen Sinn festhalten will, zur Erklärung des Entstehens und Vergehens in der irdischen Körperwelt ein über dieselbe hinausliegendes Prinzip dieser Veränderung annehmen).

Da nun die vernünftigen Wesen im Weltganzen den Vorrang vor allen Körpern haben, so wäre es dem Vorsehungsplan widersprechend, wenn auch nur ein einziges Vernunftwesen durch ein körperliches Wesen von Gott Lenkung und Leitung erhielte. Da nun die menschliche Seele immerhin ein vernünftiges Wesen ist, so kann sie nicht, insofern sie denkend und wollend ist, unter dem leitenden Einfluss der Himmelskörper stehen. Es können also dieselben weder auf den menschlichen Verstand noch auf den Willen einen direkten Einfluss ausüben oder ihnen eine bestimmte Richtung geben. Cg. III, 84 n. 1.

2. Kein Körper übt eine Wirkung aus außer durch Bewegung (im weitesten Sinn gefasst). Was also von einem Körper eine Einwirkung erhält, erhält dieselbe dadurch, dass es von ersterem bewegt wird. Nun kann aber die menschliche Seele nach ihrer vernünftigen Seite hin, in der auch der Wille sich findet, unmöglich bewegt werden in der Weise einer körperlichen Bewegung (Veränderung usw.), da der Verstand ja nicht (wie z. B. das Sehen, Hören) mit einem körperlichen Organe eine Natureinheit bildet an ein körperliches Organ derart gebunden ist, dass er nur in und mit diesem Organ bestehen könnte. Es kann also unmöglich die menschliche Seele in Bezug auf Verstand oder Wille von den Himmelskörpern einen Einfluss erleiden. Cg. III, 84 n. 2 u. 3.

3. Was durch den Einfluss der Himmelskörper in der irdischen Körperwelt sich vollzieht, vollzieht sich mit Naturnotwendigkeit. Würde nun die Tätigkeit von Verstand und Wille aus dem Einfluss der Himmelskörper hervorgehen, so würden sie aus einem mit Naturnotwendigkeit auftretendem Trieb entstehen; es würde sich demnach der Mensch in seinem Handeln von den vernunftlosen Tieren nicht unterscheiden, die durch einen mit Naturnotwendigkeit auftretenden Trieb zu ihrer Tätigkeit gebracht werden, und so wäre es vorbei mit dem freiem Willen, der Überlegung, der Auswahl der Mittel und allem derartigen, was den Vorzug des Menschen vor den Tieren begründet. 1 q 115 a 4. 1. 2. q 9 a 5.

128. Kapitel: Der menschliche Verstand wird vervollkommnet vermittelst der sensitiven Seelenvermögen und stellt so indirekt unter dem Einfluss der Himmelskörper

Nun ist aber zu beachten, dass der menschliche Verstand den Anfang seines Erkennens (Denkens) von den sensitiven Seelenvermögen nimmt; deshalb tritt mit der Verwirrung der Phantasie, der Einbildungskraft, oder auch des Gedächtnisses in der Seele auch Verwirrung in der Denktätigkeit des Verstandes ein, wie umgekehrt, wenn die genannten Seelenvermögen in guter Verfassung sind, auch die Denktätigkeit dem entsprechend besser vor sich geht. Desgleichen trägt die Veränderung, die im sinnlichen Begehren sich vollzieht, zur Umstimmung des Willens, - welcher das Begehren der Vernunft ist - etwas bei rücksichtlich jener Seite, nach welcher das aufgefasste Gute Gegenstand des Willens ist. Denn je nach der verschiedenen Stimmung, die durch sinnliches Begehren, durch Zorn, Furcht oder eine andre Leidenschaft in uns herrscht; erscheint uns etwas bald als gut, bald als böse und umgekehrt. Nun aber sind alle Vermögen des sensitiven Teiles der Seele; mögen sie dem Wahrnehmungsgebiet oder dem Begehrungsgebiet angehören, an bestimmte Teile (Organe) des Körpers gebunden, (und bilden mit ihnen eine Natureinheit), so dass, wenn bei diesen eine Veränderung eintritt, per accidens, indirekt auch diese Seelenvermögen selbst umgestimmt werden müssen. Weil nun die Veränderung, die an den irdischen Körpern vor sich geht der Himmelsbewegung unterliegt (Kap. 127), so untersteht dieser Bewegung auch die Tätigkeit der sensitiven Seelenvermögen, freilich nicht an sich, direkt, sondern nur per accidens, indirekt, und so trägt die Himmelsbewegung etwas zur Verstandes- und Willensbetätigung des Menschen bei, insofern nämlich der Wille durch die Leidenschaften zu etwas eine Hinneigung erhält. Weil aber der Wille den Leidenschaften nicht derart unterworfen ist, dass er ihrem Drängen mit Notwendigkeit folgen müsste, es vielmehr in seiner Gewalt hat, die Leidenschaft durch das Urteil der Vernunft zurückzudrängen, so ist der menschliche Wille demnach auch nicht der Einwirkung der Himmelskörper unterworfen, sondern kann nach freiem Ermessen derselben folgen oder auch Widerstand leisten, wenn dies entsprechend scheint; was freilich nur Sache der Weisen ist; den körperlichen Leidenschaften und Neigungen zu folgen ist hingegen Sache des großen Haufens, welcher der Weisheit und Tugend entbehrt (und hierauf ruht die Berechtigung der so genannten Verbrechenstatistik). 1. q 115. a 4. Cg. III, 85 ctra finem.

129. Kapitel: Gott allein bewegt den Willen des Menschen, und kein geschaffenes Ding sonst

Nun ist alles Veränderliche und Vielfältige auf ein erstes Unveränderliches und Einziges als auf seine Ursache zurückzuführen. Da nun der menschliche Verstand und Wille in seiner Betätigung Veränderlichkeit und Mannigfaltigkeit zeigt (bald so, bald anders denkt und will), so muss diese Erscheinung auf eine höhere Ursache zurückgeführt werden, welche Unveränderlichkeit und Gleichförmigkeit besitzt. Die Himmelskörper können, wie gezeigt ward (Kap. 127) dies nicht sein; also muss man sie auf höhere Ursachen zurückführen. Man muss jedoch hierbei den Unterschied beachten, der zwischen dem Verstand und zwischen dem Willen obwaltet. Die Verstandestätigkeit vollzieht sich nämlich dadurch, dass die gedachten Dinge im Verstand sind; während bei der Willenstätigkeit der Wille eine Hinneigung zu den gewollten Dingen hat (eine Sympathie für dieselben besitzt). Der Verstand ist also dazu angetan, von einem äußern Ding seine Vollendung zu erhalten, das sich zu ihm verhält wie Akt (Bestimmendes) zur Potenz (zum Bestimmbaren). Deshalb kann der Mensch in seiner Denktätigkeit Unterstützung erhalten von jedem äußeren Wesen, das dem vernünftigen Sein nach vollkommener ist, als er selbst, also nicht bloß von Gott, sondern auch vom Engel, ja sogar von einem Menschen, der mehr unterrichtet ist, als er selbst. Aber es waltet hierbei ein Unterschied ob. Wenn der Mensch von einem andern Menschen in der Erkenntnistätigkeit unterstützt wird (z. B. der Schüler vom Lehrer), so geschieht dies dadurch, dass der Eine dem Andern den Denkgegenstand, an den der andere nicht dachte oder den er nicht beachtete, vorführt; nicht aber geschieht dies dadurch, dass das Erkenntnislicht (die Erkenntniskraft) selbst des einen Menschen vom andern vervollkommnet wird, und dies deshalb nicht, weil die natürliche Erkenntniskraft Beider ein und derselben Rangstufe im Naturganzen angehört. (1. q 117 a 1. Cg. II, 75 c. f.)

Weil aber das natürliche Erkenntnislicht des EngeIs schon seiner Natur nach einer höheren Rangstufe angehört, als das des Menschen, so kann der Mensch von Seiten des Engels in seiner Denktätigkeit unterstützt werden nicht bloß von Seiten des Denkgegenstandes, den ihm der Engel vorführt, sondern in seinem Erkenntnislicht, in seiner Denkkraft selbst, die durch das Licht, die Denkkraft des Engels verstärkt wird. Damit soll jedoch nicht gesagt sein, dass das natürliche Erkenntnislicht, die Erkenntniskraft des Menschen vom Engel herstammt; denn die Natur der vernünftigen Seele, die durch die Schöpfung ins Dasein tritt, kann nur von Gott begründet sein. (1. q III, a 1.) Gott aber unterstützt den Menschen in der Erkenntnistätigkeit nicht bloß von Seiten des Denkgegenstandes, der dem Menschen von Gott vorgeführt wird, oder durch bloße Vermehrung des Erkenntnislichtes, sondern schon dadurch, dass das natürliche Licht (die n. Erkenntniskraft) des Menschen, durch die er ein vernünftiges Wesen ist, von Gott stammt, sowie auch dadurch, dass, - da er selbst die erste, oberste Wahrheit ist, aus der alle übrige Wahrheit ihre Gewissheit ableitet, wie in der Wissenschaft die Folgesätze aus den Axiomen - nichts dem Verstand gewiss werden kann, außer durch die göttliche Kraft (als der ersten Wahrheit: nicht als Objekt, als Erkenntnisgegenstand, wie der Ontologismus behauptet - sondern in dem Sinne, dass alle Dinge den letzten und unerschütterlichsten Grund ihrer Wahrheit in Gott als der ersten Wahrheit haben; nämlich im göttlichen Denken, welches das Maß der Dinge und ihrer Wahrheit ist: 1 q 16 a 6 vgl. 1. q 105 a 3.) wie auch auf dem Gebiet der Wissenschaft die Folgesätze Gewissheit erhalten nur durch die Kraft der Axiome.

Anders verhält sich's bei der Willenstätigkeit. Diese ist eine Neigung die von Innen nach Außen geht, analog den natürlichen Neigungen (z. B. der chemischen Affinität). Diese besitzen die Naturdinge bloß durch denjenigen, der ihnen ihre Natur mitgeteilt hat; demnach stammt die Willenstätigkeit bloß von Gott her, der allein die Ursache (der Schöpfer) der vernünftigen Natur ist, welche den Willen besitzt (weil die menschliche Seele nur durch Schöpfung entsteht). Daraus ergibt sich, dass die Tatsache, dass Gott den Willen des Menschen bewegt, nicht mit der Wahlfreiheit desselben im Widerspruch steht, sowenig es für die Naturdinge etwas Widernatürliches ist, wenn Gott in ihnen wirkt. Denn sowohl die natürliche Hinneigung wie die Willensneigung stammt von Gott her, aber sowohl die eine wie die andere entsteht entsprechend der Natur des Dinges, dcm sie angehört; denn Gott bewegt die Dinge so (führt sie vom Zustand des Möglichseins in den des Wirklichseins so über) wie es ihrer Natur entspricht. (Sicut lapidi ratione suae gravitatis inest inclinatio ad locum deorsum; hac autem inclinatione manente, si sursum projiciatur, erit violentia. Si autem Deus auferat a lapide inclinationem gravitatis, et det ei inclinationem levitatis [i. e. sursum], tunc ferri sursum non erit ei violentum; et ita immutatio motus potest esse sine violentia. Et per hunc modum intelligendum est, quod Deus voluntatem immutat sine eo, quod voluntatem cogat. Potest autem Deus voluntatem immutara ex hoc quod ipse in voluntate operatur sicut in natura; unde sicut omnis actio naturalis est a Deo, ita omnis actio voluntatis, in quantum est actio - nicht was an Sünde an ihr sich findet - non solum est a voluntate ut immediate agente, sed a Deo ut a primo agente, qui vehementius imprimit; unde sicut voluntas potest immutare actum suum in aliud ... ita, et multo amplius, Deus. De Verit. q 22. a 8. vgl. 1. q 105. a 4; q III a 2 - 1. 2. q 9. a 4 u. 6. q 10 a 4).

Aus dem Gesagten ergibt sich also, dass auf den menschlichen Leib und seine körperlichen Kräfte die Gestirne einen Einfluss ausüben können, wie auf die übrige Körperwelt überhaupt, nicht aber auf seinen Verstand; wohl aber vermag letzteres die geistige Kreatur (der Engel). Auf den Willen aber vermag Gott allein einen bestimmenden Einfluss auszuüben. Cg. III. 85 u. 88.

  • Von Leo dem Großen wird als Irrtum der Priscmianisten verworfen: fatalibus stellis et animas hominum et corpora obstringi.

130. Kapitel: Gott regiert Alles, lenkt aber dabei Manches durch Mittelursachen

Wie nun die Mittelursachen nur tätig sind in Kraft der Erstursache - wie ja auch auf dem Kunstgebiet die werkzeuglichen Ursachen tätig sind nach der Leitung, die sie durch die Kunst erhalten - so müssen alle übrigen wirkenden Ursachen, durch welche Gott seine Weltregierung zur Ausführung bringt, in der Kraft Gottes selbst tätig seIn. Also ist die Tätigkeit einer jeden derselben von Gott verursacht, wie die aktuelle Bewegung eines bewegten Dinges von der Tätigkeit Dessen herkommt, der es bewegt. Das Bewegte und das Bewegende aber müssen in Verbindung, in Kontakt miteinander stehen, (es gibt keine actio in distans!) Es muss also Gott einem jeden wirkenden Wesen im Innersten gegenwärtig sein, in ihm wirkend, wenn er dasselbe zum Wirken bringt. Cg. III, 67 n. 5.

2. Nicht bloß das Wirken der Mittelursachen wird von Gott verursacht, sondern auch ihr Sein selbst, wie oben (Kap. 68) gezeigt ward. Nun darf man aber nicht meinen, das Sein der Dinge würde von Gott etwa so verursacht, wie das Sein des Hauses vom Baumeister, das fortbestehen bleibt, wenn auch der Baumeister sich entfernt. Der Baumeister nämlich verursacht das Sein des Hauses nur insofern, als er zum Sein des Hauses die notwendige und erforderliche Hinlenkung gibt. Diese Hinlenkung ist die Herstellung des Hauses; daher ist er direkt nur die Ursache des Werdens (nicht des Seins) des Hauses (das Sein des Hauses wird erhalten durch die im Baumaterial vorhandenen Naturkräfte des Schwergewichtes, der Festigkeit und Kohäsion). Das Werden des Hauses aber hört auf, wenn der Baumeister sich entfernt. Gott hingegen ist durch sich selbst die direkte Ursache des Seins, indem er allen Dingen das Sein mitteilt, wie die Sonne der Luft und den übrigen von ihr beleuchteten Gegenständen das Licht mitteilt. Wie nun zur Forterhaltung des Lichtes in der Luft die fortdauernde Erleuchtung durch die Sonne notwendig ist, so ist auch dazu, dass die Dinge im Sein forterhalten werden, erforderlich, dass Gott das Sein unaufhörlich, ohne Unterbrechung den Dingen mitteilt. Es stehen deshalb alle Dinge nicht bloß in Bezug auf den Anfang ihres Seins, sondern auch in Bezug auf den Fortbestand desselben zu Gott im Verhältnis des Werkes zum Werkmeister; der Werkmeister und das Werk aber müssen (während das Werk gemacht wird) beisammen sein, wie das Bewegende und das Bewegte. Es muss also Gott in allen Dingen sein, insofern sie das Sein haben; das Sein aber ist eben das, was allen Dingen am innerlichsten ist, also ist Gott in allen Dingen. Cg. III, 67 n. 3.

3. Wer sich bei der Durchführung seines Vorsehungsplanes der Mittelursachen bedient, muss genau wissen, was diese Mittelursachen bewirken, und diese Wirkungen selbst in seinen Plan aufnehmen (in Berechnung ziehen), sonst würden sie sich seinem Vorsehungsplan entziehen. Die Vorsehung sodann, die Jemand trifft, ist um so vollkommener, je mehr in das Einzelne gehend seine Kenntnis und seine Vorkehrungsmassregeln sind; denn wenn auch nur ein einziges Ding sich der Kenntnis dessen, der Vorsehung trifft, entzieht, so kann er für dieses Einzelne auch keine vorsehende Bestimmung treffen. Nun ward aber oben (Kap. 123) gezeigt, dass Alles der göttlichen Vorsehung unterliegt; anderseits ist offenbar die Vorsehung, die Gott ausübt, die allervollkommenste; denn Alles was man von Gott aussagt, kommt ihm im höchsten Grade zu; also muss sein Vorsehungsplan selbst bis auf das Geringfügigste sich erstrecken. 1. q 22. a 2.

131. Kapitel: Dass Gott für Alles unmittelbar Vorsehung trifft, mindert nicht seine Weisheit

Obwohl also die Regierung aller Dinge von Gott vermittelst der Mittelursachen geschieht, soweit es die Ausführung des Vorsehungsplanes


angeht, so erstreckt sich doch der Vorsehungsplan selbst unmittelbar Alles. Denn Gott trifft (im Vorsehungsgebiet) Vorkehr für das Erste, Oberste, wie für das Letzte, Niederste, nicht etwa derart, dass er das Niederste und die Einzeldinge (die Detailsachen) andern zur Besorgung lässt. Dies geschieht allerdings bei den Menschen, und zwar wegen der Schwäche ihres Denkens, das sich nicht zu gleicher Zeit mit Vielerlei abgeben kann; deshalb treffen jene, welche höher stehen im Regierungsamt, für die höheren Angelegenheiten Vorsorge, und überlassen die niederen der Obsorge anderer. Gott aber kann zugleich auf einmal Vieles erkennen, wie oben (Kap. 29) gezeigt ward; deshalb wird er von der Obsorge für die höchsten Dinge nicht dadurch abgezogen, dass er zugleich die niedersten besorgt. 1 q 22 a 3.

132. Kapitel: Gründe, welche darzutun scheinen, dass sich die Vorsehung Gottes nicht bis auf die Einzeldinge erstreckt

Nun könnte es aber doch Manchem scheinen, als ob die Einzeldinge , der Vorsehung Gottes unterlägen. Denn

1. In seiner Vorsehung trifft jeder nur Vorsorge für das, was er weiß (erkennt). Gott aber scheint kein Wissen von den Einzeldingen zu haben aus dem Grunde, weil das Erkennen des Einzeldinges nicht Sache des Verstandes, sondern der Sinneswahrnehmung ist. In Gott aber, der absolut unkörperlich ist, kann sich keine Sinneswahrnehmung. sondern nur geistiges Erkennen finden. Aus diesem Grund kann vielleicht Mancher meinen, dass die Einzeldinge nicht von der göttlichen Vorsehung geleitet werden.

2. Die Zahl der Einzeldinge ist unbegrenzt; von unendlich vielen Dingen aber kann es kein Wissen geben - denn das unendlich Viele als solches ist nicht Gegenstand des Erkennens (quia infinitum est, cuius quantitatem accipientibus semper est aliquid extra assumere: weil es ja im Begriff des unendlichen Vielen, z. B. einer unendlichen Zahlenreihe, liegt, dass ihm immer noch etwas beigefügt werden kann; es kann also vom Denken nicht umfasst werden. 1 q 14 a 12). Deshalb scheinen sich die Einzeldinge dem göttlichen Wissen und folglich der göttlichen Vorsehung zu entziehen.

3. Unter den Einzeldingen gibt es viele kontingente (also solche die sein und auch nicht sein können); diese aber können nicht den Gegenstand eines sicheren (unzweifelhaften) Wissens bilden. Da nun dem Wissen Gottes die höchste Gewissheit und Sicherheit zukommen muss, so scheint es, dass die Einzeldinge weder der Erkenntnis noch auch der Vorsehung Gottes unterstehen.

4. Die Einzeldinge existieren nicht alle zugleich auf einmal; denn während die einen neu entstehen, vergehen die andern; von dem aber, was nicht existiert, kann es auch kein Wissen geben. Hat nun Gott ein Wissen von den Einzeldingen, so folgt, dass er manches neu zu wissen anfängt und anderes zu wissen aufhört, dass er folglich veränderlich ist. Demnach scheint er nicht Kenner noch Lenker der einzelnen Dinge (oder Ereignisse) zu sein.

133. Kapitel: Lösung der Einwände

Diese Einwendungen lösen sich leicht, wenn man der Sache auf den Grund geht (die Dinge betrachtet wie sie sind).

Da Gott sich selber vollkommen erkennt, so muss er eben alles erkennen, was sich in ihm, sei es auf was immer für eine Art, findet. Da nun von ihm alle Wesenheit und alle Kraft des geschöpflichen Seins herstammt, - was aber von einem Andern herstammt, ist in diesem der Kraft nach enthalten - so muss er, indem er sich selbst erkennt, zugleich auch die Wesenheit des geschaffenen Seins sowie alles, was der Kraft nach in demselben enthalten ist, erkennen, und so hat er auch ein Wissen von allen einzelnen Dingen (und Ereignissen), die der Kraft nach in ihm (als der ersten Ursache) sowie auch in ihren übrigen Mittel-)Ursachen enthalten sind.

ad 1. Es geht nicht an, das Erkennen des göttlichen Verstandes und das des unsrigen auf gleiche Linie zu stellen, wie dies der erste Einwand tut. Unser Verstand erwirbt sich sein Wissen durch die von den Einzeldingen abstrahierten Erkenntnisbilder, Vorstellungen; diese aber sind Abbilder nur der Formen (der Wesensbestimmtheiten), nicht aber auch zugleich der Materie (also des konkreten Ganzen), noch auch der materiellen Zuständlichkeiten, welche die Individuationsprinzipien den inneren Grund des Einzelseins) bilden. Deshalb vermag unser Verstand die (konkreten, d. i. die aus Materie und Form zusammengesetzten) Einzeldinge nicht zu erkennen, sondern nur die Allgemeinbegriffe. Der göttliche Verstand aber erkennt die Dinge (nicht durch Abstraktion, sondern) durch seine eigene Wesenheit, in welcher, als ihrem Urgrund, nicht bloß die Formen, sondern auch die Materie der Kraft nach enthalten ist. Deshalb hat er ein Wissen nicht nur von den Allgemeinbegriffen (den abstrakten Formen), sondern auch von den (aus Materie und Form zusammengesetzten = konkreten) Einzeldingen. 1 q 14 a 11 ad 1 m. Cg. I, 65 n. 2.

ad 2. Es liegt desgleichen nichts Widersprechendes darin, dass Gott unendlich Vieles erkenne, obwohl unser Verstand unendlich Vieles nicht zu erkennen vermag. Unser Verstand kann nämlich nicht zugleich auf einmal mehreres denken (weil er nicht alles mit einem einzigen Begriff denkt, sondern das verschiedene Einzelne durch entsprechende verschiedene einzelne Begriffe oder Vorstellungen. 1 q 85 a 4). Würde er nun das unendlich Viele erkennen (wissen), indem er es denkt, so müsste er das unendlich Viele, eines nach dem andern zählen (weil er ja nicht alles zugleich auf einmal, sondern nur eins nach dem andern denken kann); das Gezähltwerdenkönnen aber widerspricht dem Begriff des unendlich Vielen (Cg. I, 69 n. 10). Wohl aber vermag unser Verstand der Kraft und dem Vermögen nach das unendlich Viele zu erkennen, wie z. B. alle Arten der Zahlen oder ihrer Proportionen, insofern er (durch seinen Verstand) ein Prinzip (eine Kraft) hat, welche zur (successiven) Erkenntnis aller Dinge hinreicht. Gott aber vermag Vieles zugleich auf einmal zu erkennen, wie oben (Kap. 29) gezeigt ward; und das, wodurch er Alles erkennt, nämlich seine Wesenheit, ist ein Prinzip, das (eine Kraft, die) hinreicht, um Alles zu erkennen, nicht bloß das, was wirklich ist, sondern auch das, was überhaupt sein kann. Wie also unser Verstand (nicht zwar der Wirklichkeit, wohl aber) dem Vermögen und der Kraft nach das unendlich Viele erkennt, zu dessen Erkenntnis er das Prinzip (die Kraft) hat - so denkt Gott alles unendlich Viele der Wirklichkeit nach. l q 14 a 12. Cg. I, 69 n. 9.

ad 3. Wenn auch die Einzeldinge, die körperlichen und die zeitlichen (Ereignisse), nicht zugleich auf einmal existieren, so hat Gott nichts desto weniger zugleich auf einmal Kenntnis (Wissen) von ihnen. Er erkennt sie nämlich in der Weise seines eigenen Seins; dies aber ist ewig und ohne Aufeinanderfolge. Wie er also das Materielle auf immaterielle Weise, sowie das Mannigfaltige in einer einzigen Vorstellung erkennt, so auch schaut er, was nicht zugleich auf einmal ist, doch mit einem einzigen Blicke: und deshalb folgt noch nicht, dass seinem Wissen etwas hinzugefügt oder entzogen werden müsse, dadurch, dass er die Einzeldinge erkennt.

ad 4. Daraus erhellt auch, dass er von den kontingenten Dingen (und Ereignissen) eine unzweifelhaft sichere Kenntnis besitzt; denn auch schon bevor sie werden, schaut er sie schon so, wie sie in Wirklichkeit existieren, nicht bloß als zukünftig seiende, und als solche, die der Kraft nach in ihren Ursachen enthalten sind, wie etwa wir von manchen der zukünftigen Dinge Kenntnis zu haben vermögen. Die kontingenten Dinge haben zwar, insofern sie in ihren Ursachen der Kraft nach ihre zukünftige Existenz besitzen, noch nicht ein bestimmtes Sosein, so dass man von ihnen eine unzweifelhaft sichere Kenntnis haben könnte allein, insofern sie der Wirklichkeit nach (nicht mehr bloß in ihren Ursachen, sondern) in sich selbst existieren (Tatbestand haben), haben sie eben auch schon ein bestimmtes Sosein, und man kann deshalb von ihnen in diesem Fall ein unzweifelhaft sicheres Wissen besitzen. Denn (die an sich kontingente Tatsache), dass Sokrates sitzt, können wir, wenn er wirklich sitzt, mit der unzweifelhaften Gewissheit des Augenscheines erkennen. Und in gleicher Weise erkennt Gott alles, was im ganzen Verlauf der Zeit nacheinander geschieht mit unzweifelhafter Gewissheit in seinem ewigen Sein. Denn seine Ewigkeit steht mit dem ganzen Verlauf der Zeit als stete Gegenwart in Kontakt und geht über dieselbe hinaus; wir müssen uns also Gott, wenn er in seiner Ewigkeit den Lauf der Zeit kennt (und schaut), vorstellen, wie Jemand, der auf hoher Warte steht, und den ganzen Zug vorbei gehender Wanderer zugleich auf einmal (nicht einen nach dem andern) schaut. 1 q 14 a 13. Cg. I, 67 n. 1.

134. Kapitel: Gott allein erkennt die zukünftigen kontingenten Einzeldinge

Die zukünftigen kontingenten Dinge (und Ereignisse) so erkennen, wie sie in ihrer wirklichen Eigen-Existenz sind, sie folglich mit unzweifelhafter Gewissheit erkennen, kann nur Gott allein eigen sein, weil ihm allein im eigentlichen und wahren Sinn die Ewigkeit zukommt. Darum gilt die unzweifelhaft sichere Vorausverkündung zukünftiger Dinge als ein Zeichen der Gottheit nach den Worten bei Isaias (41, 23): "Was kommen wird in der Zukunft, zeiget an, so wollen wir erkennen, dass ihr Götter seid."

Die zukünftigen Ereignisse dagegen bloß in ihren Ursachen erkennen, kann auch Anderen zukommen. Aber dieses Wissen ist nicht ein unzweifelhaft sicheres, sondern mehr ein auf bloßen Vermutungen beruhendes, außer da, wo es sich um Wirkungen handelt, die mit (Natur-) Notwendigkeit aus ihren Ursachen hervorgehen. Auf solche Weise sagt z. B. der Arzt künftige Krankheiten, und der Schiffer Stürme voraus. 1 q 57 a 3; Cg. III, 154.

135. Kapitel: Gott ist bei allen Dingen durch seine Macht, Wesenheit und Gegenwart, und trifft für Alles unmittelbar Vorsorge

So steht nichts im Weg, dass Gott auch alles Einzelne, was geschieht, kennt, und für dasselbe unmittelbar Vorsorge trifft, obwohl er die Ausführung den Mittelursachen überlässt. Aber selbst bei dieser Ausführung seines Vorsehungsplanes durch die Mittelursachen ist sein Verhältnis zu Allem was geschieht, ein unmittelbares, insofern nämlich alle Mittelursachen in Kraft der Erstursache wirken, so dass er gewissermaßen in Allem zu wirken scheint, und so kann Alles, was die Sekundärursachen wirken, ihm zugeschrieben werden, wie ja auch dem Künstler das, was das Werkzeug wirkt, zugeschrieben wird. Ja man sagt sogar noch mit mehr Recht, der Messerschmied mache das Messer, als der Hammer (mache es). Sodann ist sein Verhältnis zu Allem, was bewirkt wird (was geschieht), ein unmittelbares insofern, als er einmal durch sich selbst die Ursache des Seins ist, und sodann, weil Alles durch ihn im Sein erhalten wird. Und nach diesen dreifachen unmittelbaren Beziehungen hin sagt man von Gott, er sei in allen Dingen durch seine Wesenheit, seine Macht und seine Gegenwart. Durch seine Wesenheit, insofern das Sein eines jeden Dinges eine Teilnahme am göttlichen Sein ist, und so ist die göttliche Wesenheit einem jeden tatsächlich existierenden Ding nahe, insofern dieses das Sein hat, eben, wie die Ursache der ihr eigenen Wirkung nahe ist; (er ist also in jedem Ding nicht als Teil seines Wesens, sondern als Ursache desselben). Durch die Macht aber, insofern Alles (nur) in seiner Kraft wirkt; und durch seine Gegenwart endlich, insofern er Alles unmittelbar ordnet und lenkt. 1 q 8 a 3; Cg. I, 68.

136. Kapitel: Gott allein kommt es zu, Wunder zu wirken

Das ganze Reich, die geordnete Gliederung sowie die ganze Wirkungskraft der Sekundärursachen ist also von Gott; dieser selbst aber bringt, was er wirkt, nicht mit Naturnotwendigkeit sondern durch seinen freien Willen hervor, wie oben (Kap. 96) gezeigt ward. Deshalb kann er auch außer (unabhängig von) der Ordnung der Sekundärursachen wirken, wie z. B. dass er Solche heilt, welche durch die Tätigkeit der Natur nicht mehr geheilt werden können, oder dass er anderes dergleichen wirkt; wenn nun dies auch nicht nach dem gewöhnlichen Naturlauf ist, so ist es doch nicht etwas rein Willkürliches und Zweckloses, sondern vollzieht sich immerhin nach der Ordnung der göttlichen Vorsehung, weil eben die Tatsache, dass bisweilen etwas von Gott geschieht außer (unabhängig von) dem Bereich der natürlichen Ursachen, von Gott um eines bestimmten Zweckes willen so geordnet ist.

Was auf diese Weise gegen den Lauf der Sekundärursachen von Gott geschieht, wird "Wunder" genannt, weil uns Verwunderung dann ergreift, wenn wir eine Wirkung sehen, und ihre Ursache nicht kennen. Gott ist nun eine uns schlechthin (absolut) verborgene Ursache, - geschieht nun etwas von ihm gegen den gewöhnlichen Lauf der uns bekannten Sekundärursachen, so wird dies ein Wunder schIechthin genannt. Geschieht aber etwas durch eine andere Ursache, die nur diesem oder jenem (nicht aber absolut oder schlechthin) verborgen ist, so ist es nicht ein Wunder schlechthin, sondern eines nur für den, der die Ursache nicht kennt. So kommt es, dass eine Tatsache dem Einen wunderbar erscheint, was für den Andern gar nichts Wunderbares an sich hat, weil er die Ursache kennt. Auf diese Weise nun, unabhängig von der Ordnung der Sekundärursachen (gegen den gewöhnlichen Lauf der Dinge) zu wirken, kommt nur Gott allein zu; denn er allein ist der Begründer dieser Ordnung, und deshalb an diese Ordnung nicht gebunden (derart, dass er nicht auch unabhängig von ihr wirken könnte). Alle übrigen Dinge aber unterstehen dieser Ordnung; deshalb kommt es Gott allein zu, Wunder zu wirken nach den Worten des Psalmisten (Ps 71, 18): "Er allein tut große Wunderwerke." Wenn also scheinbar durch ein Geschöpf Wunder geschehen, so sind dies entweder keine wirklichen Wunder, weil sie durch - uns allerdings verborgene - Kräfte natürlicher Dinge bewirkt werden, wie dies mit den Wunderwerken der Dämonen auf dem Gebiet der Magie der Fall ist; - oder, wenn sie wirklich wahre Wunder sind, so sind sie bewirkt durch das Gebet des scheinbar Wunderwirkenden, der von Gott erfleht, dass er (Gott) sie wirke. -

Da also derartige Wunder nur göttlichen Ursprung haben können, so dienen sie mit Recht als Beweis für den Glauben, der sich ja auch auf Gott allein stützt. Denn der Beweis dafür, dass das, was ein Mensch behauptet, auf göttliche Autorität sich stützt (dass der Betreffende als Offenbarungsorgan spricht) kann gar nicht passender geführt werden als durch Werke, die Gott allein wirken kann. (Sicut ductu naturalis rationis homo pervenire potest ad aliquam Dei notitiam per effectus naturales (Röm 1, 20) ita per aliquos supernaturales effectus, qui miracula dicuntur, in aliquam supernaturalem cognitionem credendorum homo inducitur. 2. 2, q 178 a 1.)

Obwohl nun diese Wunder gegen den gewöhnlichen Lauf der Sekundärursachen sich vollziehen, so kann man von ihnen doch nicht sagen, sie seien schlechthin wider die Natur (widernatürlich überhaupt), weil es eben wieder auch ein Gesetz der Naturordnung ist, dass die niederen Dinge und Kräfte der Einwirkung der höheren unterstehen. Deshalb werden die Wirkungen, welche in den irdischen Körpern durch die (direkte) Einwirkung der Himmelskörper hervorgerufen werden, nicht als schIechthin widernatürlich bezeichnet, wenn sie gleichwohl etwa bisweilen im Widerspruch mit der betreffenden Einzelnatur (z. B. des Wassers) stehen, wie sich dies z. B. bei der (dem Wasser an sich nicht natürlichen) Bewegung des Meeres in Ebbe und Flut zeigt, die eine Folge der Einwirkung des Mondes ist. So tritt also auch das, was bei den Wundern durch Gottes unmittelbares Einwirken geschieht, - mag es immerhin auch noch so sehr dem betreffenden Sekundärursachengebiet zu widersprechen scheinen - nie in Widerspruch mit der Gesamtnaturordnung. Es sind die Wunder also nicht etwas Widernatürliches (etwas die Naturordnung Aufhebendes.) 1. q 105. a 6 u. 7. Cg. III, 99--102.

137. Kapitel: Es gibt Dinge, die man als Zufall und Glücksache bezeichnen kann

Obwohl nun Alles, auch das Geringste, unter Gottes leitender Anordnung steht (Kap. 131), so hindert dies doch nicht, dass Manches durch Zu fall oder als GI ü c k s ach e eintritt. So kann es vorkommen, dass Etwas rücksichtlich der niederen Ursache unbeabsichtigt oder zufällig ist, indem nämlich ohne deren Absicht Etwas eintritt, - was jedoch nicht etwas Unbeabsichtigtes und Zufälliges von Seiten der höheren Ursache, gegen (ohne) deren Absicht es nicht geschieht. Ein Beispiel hierfür haben wir an einem Herrn, der zwei Diener an einen und denselben Ort schickt, aber so, dass Keiner vom Andern etwas weiß; ihr Zusammentreffen ist für beide etwas Zufälliges, nicht aber ist es dies für den Herrn selbst (denn er hat eben dies für Beide zufällige Zusammentreffen beabsichtigt). Wenn also Manches, ohne von den Sekundärursachen beabsichtigt zu sein, geschieht, so ist es Glücksache oder Zufall, wenn man Rücksicht nimmt auf diese Sekundärursachen; und man kann sie schlechthin als zufällig bezeichnen, weil ja die Wirkungen ihren Charakter erhalten (nicht durch die entfernteren, sondern) durch die nächsten Ursachen. Nimmt man aber Rücksicht auf Gott, so sind sie nicht Zufall, sondern Anordnung (vorhergesehen und angeordnet). Cg. III, 74.

138. Kapitel: Realität und Wesen des Schicksals

Daraus kann man ersehen, was es mit dem Schicksal für eine Bewandtnis hat. Es ist Tatsache, dass viele Dinge (Ereignisse) Werk des Zufalles sind, wenn man Rücksicht nimmt bloß auf die Sekundärursachen. Manche nun (wie z. B. Cicero vgl. Aug. de civ. Dei 1. 5 C. 9) wollen diese Wirkungen nicht auf eine höhere sie ordnende Ursache zurückführen, und so müssen sie in Abrede stellen, dass es überhaupt ein Schicksal gibt. Umgekehrt wollten Andere diese Dinge, die scheinbar zufällig und Glücksache sind, auf eine höhere sie ordnende Ursache zurückführen. Da sie aber über das Gebiet des Körperlichen nicht hinausgingen, so sprachen sie diese ordnende Macht den höchsten Körpern, nämlich den Himmelskörpern, zu, und behaupteten, das Schicksal sei nichts anderes, als die aus der Konstellation der Gestirne resultierende Kraft, durch welche diese Dinge sich ereigneten (Astrologie). Nun ward aber (Kap. 127) nachgewiesen, dass Verstand und Wille, welche die eigentlichen Prinzipien der menschlichen Akte sind, im eigentlichen Sinn nicht unter dem Einfluss der Gestirne stehen; man kann also nicht behaupten, dass, was als Zufall oder als Glücksache im Bereich des menschlichen Lebens sich ereignet, auf die Himmelskörper als ordnende Ursache zurückgeführt werden muss. Von einem SchicksaI aber kann, wie es scheint, nur in den Angelegenheiten des menschlichen Lebens die Rede sein, wie sich auch nur in ihnen das findet, was man "Glück" heißt.

Denn darnach gerade, nach ihrem Schicksal und ihrem Glück, pflegen Jene zu fragen, welche die Zukunft erforschen wollen, und gerade hierauf pflegen sich die Antworten der Wahrsager zu beziehen; deshalb wird auch der (lateinische) Name fatum von fari (reden) abgeleitet (also Schicksal = das Vorausgesagte). In diesem Sinn ein Schicksal annehmen zu wollen, ist glaubenswidrig (wider den Glauben).

Weil aber nicht bloß die Naturdinge, sondern auch die menschlichen Angelegenheiten der göttlichen Vorsehung unterstehen, so muss auch Alles, was zufällig im menschlichen Leben sich zu ereignen scheint, auf die Anordnung der göttlichen Vorsehung zurückgeführt werden. Und in diesem Sinne muss ein Jeder, der annimmt, dass Alles der göttlichen Vorsehung untersteht, auch die Existenz eines Schicksals zugeben. Schicksal in diesem Sinne gefasst, ist eben nichts anderes, als das durch die göttliche Vorsehung Bewirkte (essentialiter fatum est ipsa dispositio seu series (i. e. ordo) causarum secundarum 1 q 116 a 2 ad 1m, also die von Gott geordnete Reihenfolge der ins Leben eingreifenden Wirkursachen). Es ist nämlich der den Dingen applizierte göttliche Vorsehungsplan, wie Boetius (De consol. 1. 4 pros. 6) sagt, es sei "die Disposition, d. h. die unveränderliche den veränderlichen Dingen anhaftende Anordnung" (des göttlichen Vorsehungsplanes, der unveränderlich ist. 1 q 22 a 4 ad 3m q 116 a 3).

Weil wir aber, soweit wir nur können, mit den Ungläubigen auch nicht die gleiche Terminologie haben sollen, damit den Unverständigen nicht Anlass zum Irrtum gegeben werde, so tun die Gläubigen besser daran, wenn sie den Namen (unerbittliches) Schicksal vermeiden, weil dieses Wort (besonders das lateinische fatum, Fatalismus) gewöhnlich der lateinischen Ableitung entsprechend, im ersteren Sinn (eines durch Naturgewalten, die Konstellation der Gestirne bestimmten unerbittlichen Schicksals) genommen wird. Darum sagt Augustin (De Civ. Dei 1. 5 c. 1) wenn Einer an das Schicksal, im zweiten (richtigen) Sinn genommen, glaubt, so soll er seine Ansicht beibehalten, aber einen besseren Ausdruck wählen. 1 q 116.

  • Den Priscmianisten gegenüber hat die Kirche den Glauben an die Astrologie verworfen. Spanisches Plenarkoncil zu Toledo 447 can. 15.

139. Kapitel: Nicht Alles vollzieht sich mit Notwendigkeit

Obwohl nun der den Dingen applizierte göttliche Vorsehungsplan unfehlbar sicher ist, weshalb Boetius (s.o.) sagt, das Schicksal sei "die unwandelbare den wandelbaren Dingen anhaftende Anordnung" - so folgt deshalb noch nicht, dass alles mit unwandeIbarer (unerbittlicher) Notwendigkeit sich vollziehen müsse. Denn die Wirkungen werden als notwendig oder als kontingent bezeichnet je nach dem Charakter der nächsten Ursachen, aus denen sie hervorgehen. Wenn nun die Erstursache eine mit Notwendigkeit wirkende ist, die Sekundärursache aber eine solche, die mit Kontingenz wirkt, so folgt eine kontingente Wirkung (d. h. eine solche, die auch nicht erfolgen könnte). So ist (nach der alten Naturlehre) z. B. die Erstursache des Entstehens der irdischen Körperdinge die kosmische Bewegung (die Bewegung der Himmelskörper). Wenn diese auch mit unwandelbarer Notwendigkeit vor sich geht, so vollzieht sich nichts desto weniger das Entstehen und Vergehen der irdischen Dinge mit Kontingenz, und zwar aus dem Grund, weil die niederen (sublunaren Ursachen) kontingenter Natur sind und so ihre Wirkung (wegen irgend eines dazwischen tretenden Hindernisses) auch nicht setzen können.

Nun ward aber (Kap. 124) nachgewiesen, dass Gott seinen Vorsehungsplan durch die niederen Ursachen ausführt. Es wird also auch Manches von der göttlichen Vorsehung bewirkt, das kontingenter Natur ist, entsprechend dem Charakter der niederen Wirkursachen. 1 q 22 a 4. Cg. III, 72.

140. Kapitel: Trotz der vielen kontingenten Dinge hat die göttliche Vorsehung festen Bestand

Aber all diese Kontingenz im Gebiet der Wirkungen, wie in dem der Ursachen vermag der unfehlbaren Sicherheit der göttlichen Vorsehung keinerlei Eintrag zu tun. Drei Dinge garantieren die unfehlbare Sicherheit der Vorsehung: nämlich die Unfehlbarkeit des göttlichen Vorauswissens, die All-Wirksamkeit des göttlichen Willens und die Weisheit des göttlichen VorsehungspIanes, welche die geeigneten Wege zur Erzielung des Erfolges erdachte; keines von diesen aber steht im Widerspruch mit der Kontingenz der Dinge. Denn ein unfehlbares Wissen hat Gott auch von den zukünftigen kontingenten Dingen, insofern Gott in seinem ewigen Sein die zukünftigen Dinge schon, wie sie in ihrer wirklichen Existenz sind, schaut (Kap. 133).

Auch der Wille Gottes, als die Alles umfassende (auf Alles sich erstreckende) Ursache der Dinge, erstreckt sich nicht bloß darauf, dass Etwas überhaupt geschieht, sondern auch darauf, dass es so, d. h. auf die betreffende Art und Weise, geschieht. Zur All-Wirksamkeit des göttlichen Willen gehört es also, dass nicht bloß geschieht, was Gott will, sondern dass es auch auf die Art und Weise geschieht, wie er will, dass es geschehe. Nun will er aber, dass manches mit (Natur-) Notwendigkeit, und wieder anderes kontingent sich vollziehe; denn beides gehört zur Vollständigkeit des Universums. Damit also auf die eine, wie auf die andere Weise Dinge hervorkommen (oder Ereignisse eintreten), gibt er den einen Ursachen, die mit Notwendigkeit, den andern aber solche, die mit Kontingenz wirken, so dass, indem das Eine mit Notwendigkeit, das andere mit Kontingenz sich vollzieht, der göttliche Wille wirksam (wirkungskräftig) zur Ausführung kommt.

Es erhellt endlich, dass durch die Weisheit die unfehlbare Sicherheit des göttlichen Vorsehungsplanes gewahrt bleibt, ohne dass dabei die Kontingenz der Dinge zu Schaden kommt (aufgehoben wird). Denn wenn schon durch die Vorsehung, die ein Mensch übt, es möglich ist, dass eine Wirkursache, die ihre Wirkung verfehlen kann, derart unterstützt wird, dass bisweilen die Wirkung unfehlbar eintritt - wie wir das bei einem Arzt sehen können, wenn er den Heilprozess leitet (und dabei die Natur unterstüzt), und bei einem Winzer, der gegen die Unfruchtbarkeit eines Weinstockes ein (sicher wirkendes) Mittel anwendet - so kann dies noch viel mehr durch die Anordnung der göttlichen Weisheit geschehen, dass, obwohl die kontingenten Ursachen, soweit es auf sie ankommt, ihre Wirkung auch verfehlen könnten, dennoch durch Anwendung von Hilfsmitteln die Wirkung unfehlbar erfolgt, ohne dass dabei die Kontingenz aufgehoben würde. So ersieht man, dass die Kontingenz der Dinge die unfehlbare Sicherheit der göttlichen Vorsehung nicht ausschließt. Cg. III, 72. 1 q 22 a 4.

141. Kapitel: Die unfehlbare Sicherheit der göttlichen Vorsehung schließt nicht aus, dass es Übel in der Weit gibt

In gleicher Weise kann man ersehen, dass unbeschadet der göttlichen Vorsehung (ohne dass sie aufgehoben wäre) Übel in der Welt eintreten wegen Fehlerhaftigkeit auf dem Gebiet der Sekundärursachen. Wir sehen nämlich, dass da, wo eine Über- und Unterordnung von Wirkursachen besteht, das in der Wirkung sich findende Übel eine Folge der Mangelhaftigkeit der Sekundärursache ist, ohne dass dieser Fehler auch nur irgendwie von der Erstursache verursacht wäre. So ist das Übel, das z. B. im Hinken sich findet, verursacht durch die Schiefheit des Beines, nicht aber auch von der Bewegungskraft der Seele. Was also auch beim Hinken noch an Bewegung sich findet, muss auf die Bewegungskraft als ihre Ursache zurückgeführt werden; was aber bei dieser Bewegung an Schiefheit (Abweichung von der normalen Bewegung) sich findet, ist nicht verursacht durch die Bewegungskraft, sondern durch die Schiefheit des Beines.

Deshalb muss alles Böse, das in den Dingen eintritt, bezüglich dessen, was es an Sein oder an spezifischer Natur hat, auf Gott als seine Ursache zurückgeführt werden. Denn etwas Böses kann es ja nur geben an einem Guten (siehe oben Kap. 118), bezüglich dessen aber, was es an Fehlerhaftigkeit an sich hat, ist es zurückzuführen auf die der Fehlerhaftigkeit unterliegende niedere Ursache.

Und so ist Gott, obwohl die Alles umfassende (auf Alles sich erstreckende) Ursache aller Dinge - nicht aber auch zugleich Ursache des Übels, insofern es Übel ist; jedoch ist, was Gutes an ihm sich findet, von Gott verursacht. 1 q 49 a 2 ad 2m. Cg. In, 71 n. 1.

142. Kapitel: Dass Gott das Böse zulässt, tut seiner Güte keinerlei Eintrag

Der Güte Gottes aber widerstreitet es nicht, dass er bei den von ihm regierten Dingen das Böse zulässt.

Denn fürs Erste ist es nicht Sache der Vorsehung, die Natur der von ihr regierten Dinge zu zerstören, sondern sie vielmehr zu wahren. Nun fordert es die Vollkommenheit des Universums, dass es Dinge gibt, denen gar kein Übel zustoßen kann, und wieder Andere, welche gemäß ihrer Natur das im Übel liegende Mangelhafte erleiden können. Würden nun die Übel ganz von den Dingen ausgeschlossen, so würden von der göttlichen Vorsehung die Dinge nicht ihrer Natur entsprechend regiert werden, und das wäre ein größeres Übel, als alle anderen Einzelmängel, die man dadurch etwa ausschließen wollte. Cg. IIr, 72 n. 2.

Zweitens. Es ist ein Gesetz, dass das, was für das Eine gut ist, nicht eintreten kann, ohne dass für das Andere ein Übel entsteht (denn eben auf diesem Gegensatz des Seins und dem Widerspiel der Kräfte und Interessen beruht die aus der bunten Mannigfaltigkeit des Seins, wie dem ständigen Wechsel und Wandel sich zusammensetzende Schönheit des Kosmos). So sehen wir, dass das Entstehen des einen Dinges sich nicht vollzieht, ohne das Vergehen eines andern; so wäre das Gedeihen und die Entwicklung des Löwen gefährdet, wenn er nicht andere Tiere zum Zweck der Nahrung töten würde; und von einer Geduld des Gerechten könnte nicht die Rede sein, wenn es für ihn nicht eine Verfolgung durch den Ungerechten gäbe. Würde also das Übel ganz aus der Welt ausgeschlossen, so müsste in Folge dessen auch vieles Gute unterbleiben. Sache der göttlichen Vorsehung ist es also nicht, das Übel ganz aus der Welt auszuschließen , wohl aber die eintretenden Übel zu etwas Gutem hinzuordnen. Cg. III, 71 n. 5.

Drittens. Gerade durch den Kontrast der Einzelübel tritt das Gute um so mehr hervor, wie z. B. an einem Gemälde die dunkle Farbe die helle um so mehr hervorhebt. Und so tritt die göttliche Güte eben dadurch, dass sie das Böse in der Welt zulässt, um so klarer und lichtvoller in dem Guten hervor. Die göttliche Weisheit zeigt sich in vollem Glanze in der Hinordnung selbst des Bösen zum Guten. Cg. II, 71 n. 6 u. 7.

143. Kapitel: Gott trifft für den Menschen spezielle Vorsehung durch die Gnade

Die göttliche Vorsehung trifft also für die Einzeldinge die ihrer Natur entsprechende Vorsorge; da nun die vernünftige Kreatur im Gegensatz zu den übrigen Geschöpfen durch den freien Willen Herrin ihres Tuns ist, so muss für sie in spezieller Weise Vorsehung getroffen werden und zwar nach zwei Seiten hin. Erstens bezüglich der Hilfsmittel zum Wirken, die ihr von Gott gegeben werden; zweitens bezüglich dessen, was ihr für ihre Werke gegeben wird. Den unvernünftigen Kreaturen werden von Gott nur solche Hilfsmittel zu ihrem Wirken gegeben, die sie mit Naturnotwendigkeit zum Tun (Wirken) bringen; den vernünftigen Kreaturen aber werden Lebensregeln und Gebote gegeben. Denn ein Gebot (eine Vorschrift) kann nur dem gegeben werden, der Herr über sein Tun ist. Allerdings sagt man auch von den unvernünftigen Geschöpfen, in einem gewissen analogen (Übertragenen) Sinn, Gott gebe ihnen Gebote, wie es (Ps 148, 6) heißt: "Ein Gebot hat er gegeben, und es wird nicht vergehen." - Aber dieses Gebot ist nichts anderes, als der göttliche Vorsehungsplan, der die Naturwesen zu den ihnen eigenen Tätigkeiten bringt. - Sodann werden die Handlungen der vernünftigen Kreaturen ihnen zur Schuld oder zum Lob angerechnet, und das deshalb, weil sie Herrschaft über ihr Tun haben - und zwar wird dies den Menschen angerechnet nicht bloß von einem ihnen vorgesetzten Menschen, sondern von Gott selbst, da die Menschen nicht nur unter der Regierung eines andern Menschen, sondern auch unter der Gottes stehen. Von jenem aber, unter dessen Regierung und Leitung jemand steht, kann ihm auch zugerechnet werden, ob er lobenwert oder tadelswürdig handelt. Weil nun den guten Werken Lohn, der Schuld aber Strafe gebührt, (oben Kap. 120) so werden die vernünftigen Kreaturen der Gerechtigkeit der göttlichen Vorsehung entsprechend gestraft für das Böse, und belohnt für das Gute. Bei den unvernünftigen Kreaturen aber kann weder von Strafe noch Lohn, von Lob oder Tadel (im eigentlichen Sinn!) die Rede sein.

Weil aber das letzte Endziel der vernünftigen Kreatur die Fähigkeit der Natur derselben übersteigt, und weil andrerseits bei einem richtigen Vorsehungsplan die Mittel zum Ziel im Verhältnis zum Ziel stehen müssen, so folgt, dass der vernünftigen Kreatur von Gott Hilfsmittel gegeben wurden, und zwar nicht bloß solche, welche seiner Natur proportioniert sind, sondern auch solche, welche die Fähigkeit seiner Natur übersteigen. Deshalb wird dem Menschen zu der natürlichen Fähigkeit seiner Vernunft von Gott noch hinzugefügt das Licht der Gnade, durch welches er in seinem Inneren vervollkommnet wird auf dem Tugendgebiet: und zwar sowohl auf dem Erkenntnisgebiet , indem der Geist des Menschen durch dieses Licht (der Glaubenstugend) erhoben wird zur Erkenntnis der Dinge, welche die Vernunft übersteigen; - als auch auf dem Gebiet des HandeIns und des Affektes (der Hinneigung), indem durch dieses Licht (der Tugend der Hoffnung und der Liebe) das Begehren des Menschen erhoben wird über alles Geschaffene bis hinauf zu Gott, um ihn zu lieben und auf ihn zu hoffen, und um das zu vollbringen, was eine derartige Liebe fordert. Diese Gaben oder Hilfsmittel, welche auf übernatürliche Weise (über die Natur hinaus) dem Menschen verliehen werden, werden gratuit genannt aus einem doppelten Grund. Einmal weil sie von Gott gratis (ohne dass er dazu verpflichtet wäre und sie dem Menschen schuldete) gegeben werden. Denn es lässt sich nichts an Wert oder Verdienst im Menschen finden, wofür diese Hilfsmittel geschuldet wären, da sie ja die Fähigkeit der menschlichen Natur überhaupt übersteigen. Zweitens sodann, weil durch diese Gaben der Mensch in einer speziellen Weise Gott angenehm wird. Da nämlich die Liebe Gottes die Ursache der Güte in den Dingen ist, nicht aber umgekehrt von einer ihr schon voraus bestehenden Güte in den Dingen hervorgerufen wird, wie dies bei unserer Liebe der Fall ist: so muss bezüglich jener, denen er besondere Wirkungen seiner Güte (die Gnade nämlich) schenkt, eine spezielle göttliche Liebe angenommen werden. Deshalb sagt man, er liebe jene am meisten und schlechthin, denen er solche Wirkungen der Güte verleiht, dass sie durch dieselben zum letzten Endziel gelangen, welches er selbst ist, die Urquell aller Güte. Cg. III, 147. 1. 2. q 109. a 5.

(Es ist hier die Rede v. d. gratia habitualis resp. von den drei göttlichen Tugendhabitus).

144. Kapitel: Gott lässt durch die Gnade die Sünden nach, welche die Gnade vernichten

1. Eine Sünde tritt dadurch ein, dass eine Handlung von der rechten Hinordnung zum Ziel abweicht. Zum Ziel aber wird der Mensch hingeordnet nicht bloß durch die natürlichen Hilfsmittel, sondern auch durch die gratuiten (die Übernatürlichen, durch die Gnade); es stehen also die Sünden der Menschen nicht nur den natürlichen, sondern auch den übernatürlichen Hilfsmitteln, der Gnade, entgegen. Einander entgegengesetzte Dinge aber vertreiben sich gegenseitig. Wie also durch die Sünde diese übernatürlichen Hilfsmittel aus dem Menschen vertrieben werden, so werden umgekehrt durch die gratuiten (übernatürlichen) Gaben (die Gnade) die Sünden nachgelassen; andernfalls wäre die Bosheit des Menschen im Sündigen mächtiger, indem sie die göttliche Gnade vertreibt, als die göttliche Güte im Entfernen der Sünde durch das Geschenk der Gnade. 3. q 86. a 1.

2. Gott trifft für die Dinge Vorsehung entsprechend der Art und Weise, wie sie sind. Nun aber sind die veränderlichen Dinge so beschaffen, dass bei ihnen ein Wechsel der Gegensätze statthaben kann; wie z. B. der Wechsel von Entstehen und Vergehen bei der körperlichen Materie, und der von hell und dunkel an einem farbigen Körper. Nun ist der Mensch wandelbar in seinem Willen, so lang er in diesem Leben lebt. Also erhält der Mensch von Gott die gratuiten Gaben (die Gnade) so, dass er sie durch die Sünde wieder verlieren kann; er begeht aber auch umgekehrt die Sünden so, dass sie durch die gratuiten Gaben (die Gnade) wieder nachgelassen werden können.

3. Auf dem Gebiet des übernatürlichen Wirkens ist der Begriff von Möglich oder Unmöglich zu fassen mit Rücksicht auf die göttliche Macht, nicht aber mit Rücksicht auf eine natürliche Kraft. Dass nämlich ein (der Sehkraft völlig Beraubter, nicht bloß in ihrer Betätigung behindeter) Blinder wieder sehend wird, oder dass ein Toter wieder auflebt, das liegt nicht im Bereich der natürlichen Macht, wohl aber in der Gottes. Nun sind aber die gratuiten Gaben (die Gnade) etwas übernatürliches. Dass also Jemand sie erhalten kann, gehört (nicht einer natürlichen, sondern nur) der göttlichen Macht zu. Behaupten nun, Jemand könne nach der Sünde die Gnade nicht mehr erlangen, heißt die göttliche Macht herabsetzen. Nun können aber die gratuiten Gaben mit der Sünde nicht zugleich (in ein und demselben Subjekt) beisammen sein; denn durch die Gnade wird der Mensch zu seinem Endziel hingeordnet, durch die Sünde aber von ihm abgekehrt (abgelenkt). Die Behauptung also, die Sünden seien nicht nachlassbar, steht im Widerspruch mit der göttlichen Allmacht. 3. q 8G a 1. Cg. III, 156.

145. Kapitel: Die Sünden sind nicht unnachlassbar

Wenn nun Jemand behauptet, der Grund, weshalb die Sünden nicht nachgelassen werden könnten, sei allerdings nicht der, dass Gott dies etwa nicht könnte, wohl aber sei es die göttliche Gerechtigkeit, welche fordere, dass, wer den Gnadenstand verliert, nie wieder zu ihm zurückkehre - so ist dies offenbar falsch.

1. Denn die göttliche Gerechtigkeit fordert nicht, dass, so lange Jemand noch auf dem Weg (in der Entwicklung zum Ziel hin) sich befindet, ihm das gegeben werde, was nur für das Ende, den Abschluss des Weges gehört. Unveränderlich aber sich zu verhalten, sei es auf den Gebiet des Guten, sei es auf dem des Bösen, gehört zum Abschluss des Weges (der Entwicklung); denn die Unveränderlichkeit oder die Ruhe ist der Abschluss der Bewegung. Das ganze gegenwärtige Leben aber ist der Zustand des Weges (der Bewegung, der Entwicklung zum Ziel hin). Der Beweis hierfür ist die Veränderlichkeit, in welcher sich der Mensch in diesem Leben sowohl in Bezug auf Leib, wie auf Seele befindet. Die göttliche Gerechtigkeit fordert also nicht, dass der Mensch nach begangener Sünde unwandelbar in derselben verhalte.

2. Aus den göttlichen Wohltaten erwächst den Menschen keine Gefahr, zumal aus den größten derselben. Es wäre aber höchst gefährlich für den Menschen, der ein der Veränderlichkeit unterworfenes Leben führt, wenn er nach empfangener Gnade zwar noch sündigen, aber nicht wieder in den Gnadenstand zurückkehren könnte; zumal da jene Sünden, die der Gnade (dem Gnadenstand) vorausgehen, durch die Gnade nachgelassen werden, und da dieselben noch dazu bisweilen größer sind, als jene, welche der Mensch nach empfangener Gnade begeht. Man kann also nicht behaupten, dass die Sünden des Menschen nicht nachgelassen werden können, mögen sie nun vor oder nach dem Gnadenstand begangen werden.

  • Denn Novatianern gegenüber ist es Dogma, dass auch die schwersten nach der Taufe begangenen Sünden nachgelassen werden können. Konzil von Trient, sessio 14. Kap. 1.

146. Kapitel: Gott allein kann die Sünden nachlassen

Die Sünden aber kann nur Gott allein nachlassen. Was Jemand gegen einen Andern sich hat zu Schulden kommen lassen, kann nur der nachlassen, gegen den das Unrecht begangen ward. Nun werden die Sünden dem Menschen zur Schuld angerechnet nicht bloß von einem andern Menschen, sondern von Gott selbst (siehe oben Kap. 143). Wir handeln aber jetzt von den Sünden, insofern sie dem Menschen von Gott angerechnet werden. Also kann nur Gott allein die Sünden nachlassen.

2. Da durch die Sünde der Mensch von seinem letzten Ziel sich abwendet, so kann sie ihm nur dann nachgelassen werden, wenn der Mensch sich diesem Ziele wieder zuwendet. Das aber geschieht durch die Gnade, die nur Gott allein geben kann, da sie die Fähigkeit der Natur übersteigt; Gott nur allein also kann die Sünden nachlassen. 1 2 q 113 a 2.

3. Die Sünde wird dem Menschen zur Schuld angerechnet, insofern sie etwas freiwilliges ist; den freien Willen aber kann nur Gott allein umändern; also kann nur er allein die Sünden nachlassen. 1 q 113 a 3.

147. Kapitel: Von den Glaubensartikeln, welche sich auf die Werke der göttlichen Weltregierung beziehen

(Während das erste Werk Gottes das durch die Schöpfung bewirkte Sein der Dinge ist: Kap. 68), so ist sein zweites Werk das der Weltregierung, und besonders die der vernünftigen Kreaturen, denen er die Gnade gibt und die Sünden nachlässt.

Dieses Wirken Gottes wird im Glaubensbekenntnis berührt, sowohl nach der Seite hin, dass Alles zur göttlichen Güte (zur inneren Vollkommenheit des göttlichen Wesens) hingeordnet ist, als zu seinem letzten Endzweck (siehe oben Kap. 101), und deshalb bekennen wir im Glaubensbekenntnis den Hl. Geist (der die persönliche göttliche Güte ist) als Gott; denn Gott ist es eigen, die ihm Untergebenen zu dem ihnen eigenen Ziele hinzuordnen; und sodann nach der Seite hin, dass er Allen das Prinzip der Tätigkeit ist, wird er als "Lebendigmacher" bezeichnet. Wie nämlich die Bewegung, die von der Seele aus auf den Körper übergeht, das Leben des Körpers ist, so ist die Bewegung, durch welche das Universum von Gott bewegt, in Tätigkeit gebracht und erhalten wird, gewissermaßen das Leben des Universums. Und weil der ganze göttliche Weltregierungsplan aus der göttlichen Güte sich ableitet, die dem Hl. Geist zugeeignet wird, der als die (persönliche) Liebe hervorgeht, so wird das, was die göttliche Vorsehung wirkt, passend mit der Person des Hl. Geistes verbunden. Bezüglich der übernatürlichen Erkenntnis aber, die Gott durch den Glauben (die Glaubensgnade) in den Menschen bewirkt, heisst es: "eine heilige katholische Kirche"; denn die Kirche ist die Gemeinde der Gläubigen. Bezüglich der Gnade aber, die er den Menschen gibt, heißt es "Gemeinschaft der Heiligen", und bezüglich der Nachlassung der Schuld: "Nachlass der Sünden".

148. Kapitel: Alles ist um des Menschen willen geschaffen

Alles ist, wie (Kap. 101) gezeigt ward, auf die göttliche Güte (die innere Vollkommenheit des göttlichen Wesens) als auf sein Endziel hingeordnet. Da nun von all den Dingen, die zu diesem Endzweck hingeordnet werden, manche diesem Ziel näher stehen als andere, weil sie mehr an der göttlichen Güte und Vollkommenheit teilnehmen, so folgt, dass jene unter den geschaffenen Dingen, die auf einer niederen Stufe stehen, weil sie weniger an der göttlichen Güte und Vollkommenheit teilnehmen, die höheren in einem gewissen Sinn zu ihrem Endzweck haben. Denn das findet man auf allen Gebieten des Endzweckes, dass jene Endzwecke, welche dem letzten Endzweck näher stehen, zugleich wieder Endzweck für jene sind, welche diesem ferner stehen. So wird z. B. eine Medizin eingenommen, um Purgierung zu bewirken, diese hinwieder wird herbeigeführt, um Magerkeit hervorzurufen, diese letztere aber um die Gesundheit zu fördern oder herzustellen; so ist die Magerkeit im gewissen Sinn der Endzweck der Purgierung, wie hinwieder die Purgierung Endzweck des Einnehmens der Medizin ist. Das hat seinen guten Grund. Wie nämlich auf dem Gebiet der Wirkursachen die Kraft des Erstwirkenden zu den letzten und niedersten Wirkungen durch die Mittelursachen gelangt, so gelangen auf dem Gebiet der Zweckursachen jene, welche weiter vom letzten Endzweck entfernt sind, zu diesem durch jene Zweckursachen, die diesem letzten Endzweck näher stehen; so erreicht z. B. das Nehmen der Medizin ihren letzten Endzweck, die Herstellung der Gesundheit, nur dadurch, dass sie die Purgierung herbeiführt. So erreichen auch im Weltganzen die niederen Dinge zumal den letzten Endzweck dadurch, dass sie zunächst in den höheren ihren Endzweck haben. Cg. In, 17 n. 4.

Das Gleiche ergibt sich, wenn man die Stufenreihe der Dinge betrachtet. Auf dem Naturgebiet nämlich herrscht nicht Willkür, sondern die Dinge werden so behandelt, wie ihre Natur es fordert. Wir sehen nun, dass hier das Unvollkommenere dem Nutzen und Vorteil des Höheren und Vollkommeneren dient; so nähren sich die Pflanzen von der Erde, die Tiere hinwieder von den Pflanzen, die Tiere hinwieder dienen den Menschen zum Nutzen und Vorteil; folglich ist das Unbelebte um des Lebendigen willen, die (lebendigen) Pflanzen der Tiere wegen, die Tiere des Menschen wegen da. Nun ward (Kap. 74) nachgewiesen, dass die vernünftige (geistige) Natur höher steht, als die körperliche; folglich ist die ganze körperliche Natur zur geistigen (vernünftigen, als zu ihrem Endzweck) hingeordnet. Unter den vernünftigen (geistigen) Naturen aber ist die der Körperwelt am nächsten stehende die vernünftige Seele, welche die Wesensbestimmtheit (Form) des Menschen ist.

Also ist gewissermaßen um des Menschen willen, insofern er ein vernünftiges Lebewesen ist, die ganze Körperwelt vorhanden. Es hängt also von der Vollendung des Menschen im gewissen Sinn die Vollendung der ganzen Körperwelt ab. Cg. III, 22.

149. Kapitel: Das letzte Endziel des Menschen

Die Vollendung des Menschen aber besteht in der Erreichung des letzten EndzieIes, welches die wahre Seligkeit oder Glückseligkeit ausmacht und in der Anschauung Gottes besteht (siehe oben Kap. 105 u. 106). Die Anschauung Gottes aber hat zur unmittelbaren Folge die Umwandelbarkeit des Verstandes wie des Willens. Die des Verstandes, weil, wenn man bis zur ersten Ursache vorgedrungen ist, in welcher Alles erkannt werden kann (die Alles erklärt) die forschende Untersuchung des Verstandes aufhört. Die Veränderlichkeit des Willens aber hört deshalb auf, weil, wenn das letzte Endziel erreicht ist, welches die ganze Fülle aller Güte und Vollkommenheit in sich fasst, es nichts mehr darüber herausgibt, was begehrt werden könnte. Die Veränderung im Willen kommt aber eben daher, dass man Etwas begehrt, was man noch nicht hat. Also besteht die letzte Vollendung des Menschen in der vollkommenen Befriedigung oder Umwandelbarkeit auf dem Erkenntnis- und auf dem Willensgebiet (die aber nicht als Erstarrung oder Stillstehenbleiben und tatlose Ruhe des Denkens und Wollens zu denken ist, sondern wie bei Gott, als höchste Aktualität, höchste, intensivste Betätigung des Denkens und Wollens, aber ohne alle Pein des Suchens und Begehrens, sondern als seliges Ruhen in dem Besitz der Wahrheit und des höchsten Gutes).

150. Kapitel: Wie der Mensch zur Ewigkeit gelangt, als zu seiner Vollendung

Oben (Kap. 5) ward nachgewiesen, dass die Ewigkeit ihrem Begriff und Wesen nach eine Folge der Umwandelbarkeit ist. Wie nämlich durch die Bewegung (durch die Veränderung, den Wechsel und Wandel der Dinge) die Zeit, in der sich ein Früher und Später, ein Vorher und Nachher findet, verursacht wird, so muss, wo die Veränderung aufhört, auch das Früher und Später verschwinden, und so bleibt nur das übrig, was zum Begriff und Wesen der Ewigkeit gehört, nämlich das ganz zugleich auf einmal sein. In seiner letzten Vollendung nun erlangt der Mensch die Ewigkeit des Lebens nicht bloß in dem Sinn, dass er unsterblich seiner Seele nach lebt - denn das kommt der vernünftigen Seele ja schon kraft ihrer Natur zu (siehe oben Kap. 84) - sondern auch vor Allem in dem Sinn, dass er zur vollkommenen UmwandeIbarkeit gelangt. Cg. lII, 61.

151. Kapitel: Zur Vollständigkeit der Seligkeit muss die vernünftige Seele wieder mit ihrem Leib vereinigt werden

Nun kann aber eine allseitige Unwandelkarkeit des Willens nur dann eintreten, wenn das natürliche (d. h. in der Einrichtung der Natur selbst begründete, nicht erst durch den freien Willen hervorgerufene siehe oben Kap. 101) Verlangen vollständig befriedigt wird. Was aber kraft seiner Natur zur Vereinigung mit einem Andern bestimmt ist, hat auch einen Naturdrang zur Vereinigung mit diesen; denn jedes Ding strebt das seiner Natur Angemessene an. Da nun die Einigung der menschlichen Seele mit dem Leib (nicht eine willkürliche, aufgezwungene, sondern vielmehr eine) natürliche ist (siehe oben Kap. 82) so hat sie auch einen Naturtrieb zur Vereinigung mit dem Leib. Von einer vollkommenen Befriedigung des Willens kann also nur dann die Rede sein, wenn die Seele wieder mit dem Leib verbunden ist; und das verstehen wir unter der Auferstehung der Toten. Cg. IV, 79 H. 2.

2. Die letzte endgütige Vollkommenheit eines Dinges fordert notwendig die erste, ursprüngliche Vollkommenheit. Die erste, ursprüngliche Vollkommenheit eines Dinges aber besteht darin, dass es in Bezug auf seine Natur vollendet (zum Abschluss gekommen) ist; die letzte, endgültige Vollkommenheit aber besteht in der Erreichung des letzten Endzieles. Damit also die menschliche Seele nach allen Seiten hin zur endgültigen Vollkommenheit gelange, muss sie zuerst in Bezug auf ihre Natur vollendet (vollkommen) sein; das aber kann nur dann der Fall sein, wenn sie mit dem Leib geeint ist. Denn die Natur der Seele besteht eben darin, dass sie (nicht ein einfach für sich bestehender Geist, wie der Engel ist, sondern) einen (Wesens-)Teil des Menschen als dessen Wesensbestimmtheit bildet; ein Teil aber ist in Bezug auf seine Natur nur dann vollkommen, wenn er dem Ganzen, von dem er einen Teil bildet, eingefügt ist. Zur endgültigen Seligkeit des Menschen ist also erforderlich, dass die Seele wieder mit dem Leib geeint wird. Ibid.

3. Was (nicht an sich, sondern nur nebenbei, zufälliger Weise) per accidens und wider die Natur einem Dinge zukommt, kann nicht immer dauern; wenn es nun an sich und kraft ihrer Natur der Seele zukommt, mit dem Körper geeint zu sein, so muss die Trennung der Seele vom Leib per accidens und wider die Natur sein. Also wird die Seele nicht für immer vom Leib getrennt bleiben. Da sie nun ihrem Wesen nach unzerstörbar (unsterblich) ist (siehe oben Kap. 84) so muss sie wieder mit dem Leib vereinigt werden. Cg. IV, 79 n. 1.

152. Kapitel: Die Trennung der Seele vom Leib ist etwas Natürliches und auch wieder etwas Widernatürliches

Es könnte nun scheinen, dass die Trennung der Seele vom Leib nicht etwas ihr akzidentelles, sondern etwas in ihrer Natur begründetes ist. Der Leib des Menschen besteht nämlich aus heterogenen Teilen; alles derartige aber ist seiner Natur nach der Zerstörung (Auflösung) unterworfen; es ist also der menschliche Leib seiner Natur nach der Auflösung unterworfen. Ist aber der Leib zerstört, so muss die Seele von ihm getrennt fortbestehen, wenn sie unsterblich ist, wie oben (Kap. 84) nachgewiesen ward; mithin scheint die Trennung der Seele vom Leib etwas in der Natur begründetes zu sein. - Um in diese Frage Klarheit zu bringen, müssen wir sehen, wie diese Tatsache einerseits der Natur entsprechend, und wie sie hinwieder wider die Natur sein kann. Es ward oben (Kap. 79) nachgewiesen, dass die menschliche Seele im Gegensatz zu allen übrigen (Wesens-)Formen Alles übersteigt, wozu die körperliche Materie erhoben werden kann, wie dies ihre Denktätigkeit beweist, die sich auf unkörperlichem Gebiete vollzieht. Um nun die körperliche Materie mit der Seele dem Überkörperlichen Wesen der letzteren entsprechend in Einklang zu bringen, musste dem Körper eine höhere Zuständlichkeit verliehen werden, die ihn befähigte, die für eine solche Wesensform geeignete Materie zu bilden. Wie nun diese Wesensform nur durch Gott allein ins Dasein tritt auf dem Weg der Schöpfung, so ward auch diese, die körperliche Natur übersteigende Zuständlichkeit (Qualität) nur von Gott allein dem menschlichen Leib gegeben. Sie sollte den Leib vor Auflösung bewahren, damit er zur ewigen Fortdauer der Seele passte.

Diese Zuständlichkeit nun blieb dem menschlichen Leib solange, als die Seele desselben Gott anhing. Nachdem aber die Seele des Menschen durch die Sünde sich von Gott abgewendet hatte, verlor dem entsprechend auch der menschliche Leib diese übernatürliche Zuständlichkeit, durch welche er der Seele umwandelbar (ohne der Zerstörung ausgesetzt zu sein) untergeben war, und so verfiel der Mensch der Notwendigkeit, sterben zu müssen. Nimmt man also Rücksicht auf die Natur des Leibes, so ist der Tod für den Menschen etwas der Naturentsprechendes. Nimmt man aber Rücksicht auf die Natur der Seele, sowie auf die Zuständlichkeit, welche wegen der Seele dem menschlichen Leib auf übernatürliche Weise von Anfang an gegeben ward, so ist der Tod nur etwas zufälliges und widernatürliches, da es ja der Natur entsprechend ist, dass die Seele mit dem Leib geeint ist. 1. q 97. a 1. 1. 2 q 85. a 6; Cg. IV, 81.

  • Pius V. verwarf den (78.) Satz des Bajus: Immortalitas primi hominis non erat gratiae beneficium, sed naturalis conditio.

153. Kapitel: Die Seele nimmt genau denselben Leib wieder an sich und nicht den in einer anderen Natur. (Spezifische und numerische Identität des Auferstehungsleibes)

1. Da die Seele mit dem Leib als Wesensbestimmtheit geeint ist, einer jeden Wesensbestimmtheit aber nicht irgend welche indifferente, sondern nur eine mit der Wesensbestimmtheit im Verhältnis stehende, bestimmte Materie entspricht (oportet enim esse proportionem actus et potentiae. Cg. IV, 84), so muss der Leib, mit dem sich die Seele wieder vereinigt, dieselbe Natur und Wesenheit haben, wie jener, den sie beim Tod ablegt. Denn die Seele nimmt bei der Auferstehung nicht etwa einen Himmelskörper, oder einen ätherischen, oder auch den Leib von sonst irgend einem Lebewesen an sich, wie manche, (die an eine Seelenwanderung glauben) wähnen, sondern einen menschlichen, aus Fleisch und Bein zusammengesetzten, organisierten Leib mit denselben Organen, aus denen er jetzt besteht. Cg. IV, 84.

2. Wie der spezifisch gleichen Form (Wesensbestimmtheit) die spezifisch gleiche Materie gebührt, so gebührt auch der numerisch gleichen Form die numerisch gleiche Materie. Wie nämlich die Ochsenseele über-haupt nicht die Seele eines Pferdeleibes sein kann, (weil ja die Seele eben die Wesensbestimmtheit ist: also die Materie zu dem macht, was sie ist, z. B. zu einem Pferdeleib. So wenig also eine Kunstform, z. B. die Idee einer Uhr in einem Messer realisiert sein kann: so wenig kann eine Naturform, die Idee, die Seele eines Ochsen in einem Pferde realisiert sein); ebenso wenig aber auch kann die Seele dieses Ochsen die Seele eines andern Ochsen sein (nach dem Gesetz des Widerspruchs). Da nun die vernünftige Seele (nicht bloß spezifisch, sondern auch) der Zahl nach dieselbe bleibt, so muss sie auch mit dem Leib, welcher (nicht bloß spezifisch, sondern auch) der Zahl nach derselbe ist, wie während des Lebens, bei der Auferstehung wieder vereinigt werden. Cg. IV, 81. Suppl. q 81 a 1.

154. Kapitel: Die Wiederannahme genau desselben Leibes kann nur durch Gottes Kraft sich vollziehen

Ein Ding nun, das (nicht bloß teilweise, sondern) seinem ganzen Wesen nach zerstört wird (untergeht), kann durch die Tätigkeit der Natur nicht mehr als das der Zahl nach dasselbe Ding wieder hergestellt werden, sondern höchstens nur als eines, das mit dem zerstörten spezifisch, nicht aber auch zugleich numerisch dasselbe ist. Denn die Wolke, welche sich in Regen auflöst - und jene, welche aus der Verdunstung eben dieses Regenwassers sich wieder bildet, sind nicht der Zahl nach ein und dieselbe Wolke.

Da nun der menschliche Leib durch den Tod seinem Wesen nach zerstört wird, so kann seine Wiederherstellung in (nicht bloß spezifischer, sondern auch) numerischer Identität nicht das Werk der (bloßen) Naturtätigkeit sein. Da nun aber, wie (Kap. 153) nachgewiesen ward, Begriff und Wesen der Auferstehung dies (gerade diese numerische Identität) fordern, so erfolgt die Auferstehung der Menschen nicht durch das Wirken der Natur - indem etwa, wie Manche annehmen, nach Umlauf vieler Zeitperioden die Leiber genau unter denselben Umständen und Konstellationen, wie das erstemal, sich wieder bilden und so die der Zahl nach dieselben Menschen wiederkehren (durch die Seelenwanderung, vgl. Aug. de civ. Dei 1. 10 c. 30) - sondern die Wiederherstellung der Auferstehenden ist (nicht ein Naturprozess, sondern) einzig und allein das Werk der göttlichen Allmacht.

2. Es ist Tatsache, dass kein Sinn, der völlig zerstört ist, durch die Tätigkeit der Natur wieder hergestellt werden kann, wie überhaupt nichts vor dem, was ein Ding auf dem Weg der Erzeugung, des Entstehens erhält, weil es eben nicht möglich ist, dass ein der Zahl nach dasselbe Ding mehrmals erzeugt werde (entstehe), (denn das Produkt der zweiten Erzeugung, des zweiten Entstehens, wäre von dem der ersten wenigstens der Zahl nach verschieden). Wenn nun etwas derartiges, z. B. ein verlorenes Auge, eine abgehauene Hand, Jemanden wieder hergestellt wird, so ist dies nur das Werk der göttlichen Allmacht, deren Wirkungsbereich sich über die Naturordnung hinaus erstreckt (siehe oben Kap. 136). Da nun durch den Tod alle Sinne des Menschen und alle seine Glieder untergehen, so kann ein gestorbener Mensch zum Leben einzig nur durch Gottes Allmacht wieder gebracht werden. Cg. IV, 81 ad1m; Suppl. q 77 a 3.

Da wir also die Auferstehung (nicht als einen Naturprozess, sondern) als das Werk der göttlichen Allmacht bezeichnen, so kann man leicht ersehen, wie numerisch derselbe Leib wieder hergestellt werden kann. Wie oben (Kap. 131) gezeigt ward, untersteht Alles bis zum Kleinsten herab der göttlichen Vorsehung; deshalb entzieht sich die Materie dieses bestimmten menschlichen Leibes, mag sie auch nach dem Tod des Menschen was immer für eine neue Form annehmen (unter einer neuen Wesensbestimmtheit existieren) weder der Allmacht noch der Kenntnis Gottes. Diese Materie bleibt aber numerisch dieselbe, insofern sie gedacht ist als unter bestimmten Dimensionen existierend, auf Grund deren sie diese bestimmte Materie genannt werden kann und das Prinzip des Einzelseins (spezifisch gleicher Wesen) bildet. Da also diese bestimmte Materie (die einmal unter den Dimensionen dieses bestimmten menschlichen Leibes sich befand) dieselbe bleibt (nicht untergeht, mag sie auch unter tausend neuen Formen existieren im Kreislauf des Stoffes), so folgt, wenn aus ihr durch die göttliche Allmacht der menschliche Leib (dessen Materie sie früher einmal bildete) wieder hergestellt wird, und wenn die vernünftige Seele, die, weil unsterblich, dieselbe bleibt, eben demselben Körper wieder geeint wird, - der mit dem Verstorbenen auch numerisch identische Mensch wieder hergestellt wird.

Dieser numerischen Identität steht auch nicht als Hindernis im Weg, dass, wie Manche einwenden, die wiederhergestellte Menschheit mit der im Tod untergegangenen nicht mehr der Zahl nach ein und dieselbe ist. Denn (fürs Erste) ist unter "Menschheit", die man als Form (Wesensbestimmtheit) des ganzen Menschen bezeichnet (d. h. als das, wodurch der Mensch Mensch ist), nach Einigen nichts Anderes zu verstehen, als die Wesensbestimmtheit nur eines Teiles des Menschen, nämlich die Seele; diese wird Wesensform des Leibes insofern genannt, als sie dem ganzen Menschen seine spezifische Bestimmtheit gibt (das ganze zu dem macht, was es ist, d. h. zum Menschen). Beruht dies auf Wahrheit, so ist klar, dass die Menschheit als die der Zahl nach ein und dieselbe fortbesteht, weil ja die Seele (welche = Menschheit ist) in numerischer Identität fortbesteht.

Richtiger jedoch ist unter "Menschheit" das zu verstehen, was die Definition (der Wesensbegriff) des Menschen ausdrückt, wie ja überhaupt die Wesenheit eines jeden Dinges das ist, was seine Definition (Wesensbegriff) bezeichnet. Nun bezeichnet aber die Definition (der Wesensbegriff) des Menschen nicht bloß die Form (die Wesensbestimmtheit), sondern auch die Materie - denn in die Definition (in den Wesensbegriff) der materiellen (stofflichen) Dinge muss auch die Materie (als wesentlich) mit aufgenommen werden; deshalb sagt man besser mit Andern, im Begriff und Wesen der "Menschheit" ist (nicht bloß die Seele allein, sondern) sowohl Seele als Leib mit eingeschlossen. Jedoch ist dies in anderer Weise zu fassen, als bei der Definition (beim Wesensbegriff) des Menschen. Denn im Begriff und Wesen von "Menschheit" sind lediglich eingeschlossen die Wesensprinzipien des Menschen mit Ausschluss alles übrigen. Denn unter "Menschheit" verstehen wir (nicht mehr und weniger als) das: wodurch der Mensch Mensch ist; jede Bestimmtheit also, von der nicht mit 'Wahrheit gesagt werden kann, durch sie sei der Mensch Mensch, ist vom Begriff und Wesen der "Menschheit" ausgeschlossen. Unter "Mensch" hingegen verstehen wir jenen, der die Menschheit (d. h. das, wodurch der Mensch Mensch ist) hat. Dadurch aber, dass er die Menschheit hat, ist nicht ausgeschlossen, dass er auch noch Anderes hat (was nicht zur Menschheit als solcher gehört), z. B. die weiße Hautfarbe (denn es gibt ja auch gelbe und braune Menschen) oder sonst etwas dergleichen. Dieser Name "Mensch" bezeichnet also allerdings auch die Wesensprinzipien des Menschen, jedoch nicht mit Ausschluss von noch anderen Dingen, obwohl diese anderen Dinge nicht aktuell in den Begriff "Mensch" mit eingeschlossen sind, wohl aber potentiell. Das Wort "Mensch" bezeichnet also das Ganze; das Wort "Menschheit" nur einen Teil, und kann nicht vom Menschen geradewegs ausgesagt werden (d. h. wir können nicht sagen, der Mensch ist seine Menschheit, sondern er hat seine Menschheit, und außer ihr noch viele individuelle Eigentümlichkeiten, die nicht zum Wesen des Menschen als solchen gehören). Im Einzelmenschen Sokrates oder Plato aber ist diese Materie und diese Form mit eingeschlossen; wie es also im Begriff und Wesen des Menschen überhaupt liegt, dass er ein aus Seele und Leib zusammengesetztes Wesen ist, so würde, wenn man z. B. von Sokrates eine Definition geben wollte, sein Begriff und Wesen darin bestehen, dass er das aus diesem bestimmten Fleisch und diesen bestimmten Knochen und dieser bestimmten Seele zusammengesetzte Wesen ist. Da man also unter "Menschheit" nicht etwa eine von Leib und Seele verschiedene Wesensform zu verstehen hat, sondern nichts anderes als das aus beiden zusammengesetzte Wesen, so haben wir, wenn ein und derselbe Leib wieder hergestellt wird, und ein und dieselbe Seele fortbesteht, auch ein und dieselbe Menschheit in numerischer Identität. Cg. IV, 87 ad 2m. Suppl. q 81 a 2 ad 2.

Dieser numerischen Identität des Auferstehungsleibes steht auch nicht im Weg, dass die numerisch identische Körperlichkeit nicht mehr zurückkehrt, da sie ja mit dem Untergang des Körpers selber untergeht. (Unter "Körperlichkeit" aber kann man ein zweifaches verstehen). Versteht man unter ihr die substantiale Form (die Wesensform, Wesensbestimmtheit), durch welche ein Ding seinen Platz in der Kategorie der körperlichen Substanz einnimmt, so ist diese Körperlichkeit, da jedes Ding nur eine einzige substantiale Form (eine einzige Wesensbestimmtheit) hat - nichts anderes als die Seele. Denn dieses bestimmte Lebewesen mit Sinnestätigkeit ist durch diese bestimmte Seele nicht bloß Lebewesen mit Sinnestätigkeit, sondern auch (überhaupt) belebter Körper, und Körper, und überhaupt dieses bestimmte in der Kategorie der Substanz existierende Ding; andernfalls käme ja die Seele erst zu einem schon wirklich existierenden Körper hinzu, und so wäre sie dann (nicht eine substantiale, sondern nur) eine akzidentale Form (Bestimmtheit). Denn das Subjekt der substantialen Form (das, was die substantiale Form in sich aufnimmt), ist nicht schon der Wirklichkeit nach dieses bestimmte Ding (z. B. dieses Pferd), sondern erst dem Vermögen (der Möglichkeit) nach (d. h. die substantiale Form ist nicht eine zu einem schon bestehenden Ding hinzukommende Bestimmtheit); empfängt also das Subjekt, die Materie, die substantiale Form, so sagt man von ihm nicht, es werde nur nach einer bestimmten Seite hin dies oder jenes, wie man dies bei den akzidentalen Formen sagt (z. B. ein schon bestehendes Pferd wird groß oder krank; beides sind bloß akzidentale Formen, Bestimmtheiten, die nur ein Sosein (Sowerden) oder ein Anderssein (Anderswerden) hervorrufen, nicht das Sein oder Werden schlechthin), sondern man sagt von ihm einfach und schlechthin, es werde, indem es eben (nicht ein das Gewordensein schon voraussetzendes Sosein und Anderssein, eine bestimmte Qualifizierung oder Modifizierung, sondern) das Sein schlechthin empfängt. Fasst man also "Körperlichkeit" in diesem Sinn, so bleibt sie auch im Auferstehungsleib der Zahl nach ein und dieselbe, weil eben die vernünftige Seele ein und dieselbe bleibt.

Versteht man jedoch unter "Körperlichkeit" (nicht die substantiale Form, sondern nur) jene Bestimmtheit, von welcher der Körper benannt wird, insofern er in die Kategorie der Quantität (der Ausdehnung, nach der Kategorientafel des Aristoteles) gehört, dann ist sie nur eine akzidentelle (eine zu etwas schon Vorhandenen hinzukommende - das Vorhandene voraussetzende) Bestimmtheit (eine Modifizierung oder Qualifizierung) von Etwas und bezeichnet nichts anderes, als die dreifache Ausdehnung (nach Höhe, Breite und Tiefe, die dem Körper zukommt, aber nach der alten Naturlehre nicht sein Wesen ausmacht). Kehrt nun auch diese nicht als die der Zahl nach ein und dieselbe zurück, so wird dadurch dennoch die numerische Identität ihres Subjekts (des Körpers, an dem sie sich findet) nicht aufgehoben; denn zur Wahrung der numerischen Identität genügt die Identität der wesentlichen Prinzipien (nicht aber ist notwendig die Wahrung der außerwesentlichen Prinzipien, die bIoß als eine Modifikation zur Substanz hinzukommen = Akzidentien). Dasselbe ist der Fall mit allen Akzidentien, deren Wechsel die numerische Identität des Subjektes, der Substanz, nicht aufhebt (d. h. der Mensch bleibt wesentlich derselbe, ob er nun bleich oder rot, gesund oder krank ist, jetzt klein, später groß ist usw.).

Da nun die Verbindung von Seele und Leib in die Kategorie der Relation (nach der Aristotelischen Kategorientafel) gehört, mithin (bloß) ein Akzidenz, nicht aber etwas Wesentliches ist, so hebt ihre numerische Verschiedenheit (da nämlich bei der Auferstehung eine abermalige Verbindung stattfindet) die numerische Identität des Subjektes (an der sich findet, nämlich des aus der Verbindung von Seele und Leib bestehenden Menschen) nicht auf. Dasselbe vermag auch nicht zu bewirken die numerische Verschiedenheit der Vermögen der sensitiven und vegetativen Seele, falls man überhaupt annehmen wollte, dass diese mit dem Tod untergingen (vgl. Suppl. q 70 a 1). Denn auch die natürlichen Vermögen des aus Leib und Seele zur Natureinheit verbundenen Wesens gehören in die Kategorie des Akzidenzes (des Unwesentlichen, des nicht die innerste Natur und Wesenheit eines Dinges bestimmenden); dann auch die Wesensbestimmung "sinnlich" (d. h. der Sinnesbetätigung, des Sehens, Fühlens etc. fähig), welche in die Definition des Tieres (des Lebewesens mit Sinnestätigkeit) als Wesensbegriff, und zwar als spezifische Differenz, mit aufgenommen ist, wird nicht vom Sinne hergenommen, sondern von der Substanz (der Wesenheit) der sensitiven Seele selbst. Im Menschen aber (gibt es nicht eine sensitive Seele neben der vernünftigen, sondern diese) ist dem Wesen nach eins und dasselbe mit der vernünftigen Seele. Cg. IV, 81 ad 2m; Suppl. q 81 a 2 ad 3.

155. Kapitel: Nach unsrer Auferstehung führen wir nicht mehr dieselbe Lebensweise wie jetzt

1. Es stehen also die Menschen in numerischer Identität wieder auf, aber sie werden nicht mehr dieselbe Lebensweise führen wie jetzt. Denn jetzt führen wir ein vergängliches Leben, dann aber ein unvergängliches, unsterbliches. Denn wenn schon die Natur auf dem Weg (durch das Mittel) der Erzeugung eine ständige Fortdauer des Menschen anstrebt, so tut dies um so mehr Gott bei der Wiederherstellung des Menschen. Denn dass die Natur eine ständige Fortdauer anstrebt, das hat sie davon, dass sie in Gottes Kraft wirkt (welche die erste Wurzel der ständigen Dauer ist Cg. IV, 82 n. 5). Bei der Wiederherstellung des Menschen handelt es sich nicht um die beständige Fortdauer der Menschheit bloß als Spezies, denn dies konnte ja auch auf dem Weg eines fortgesetzten Zeugungsprozesses erreicht werden; also handelt es sich um die beständige Fortdauer des Einzelmenschen. Also werden die Menschen nach der Auferstehung immerfort leben. Cg. IV, 82 n. 5.

2. Gesetzt den Fall die Menschen würden nach der Auferstehung wieder sterben, so bleiben die vom Leib getrennten Seelen doch nicht für immer ohne Leib, denn das ist wider die Natur der Seele (siehe oben Kap. 151). Es muss also eine abermalige Auferstehung erfolgen, und eine dritte, wenn sie nach der zweiten Auferstehung abermals sterben sollten. So würde sich bis ins Unendliche der Kreislauf von Tod und Leben an ein und demselben Menschen wiederholen; das aber ist absurd (denn die Absicht, die Gott mit der Auferstehungstat verfolgt, muss irgend ein Ziel, einen Zweck haben. Der ständige Kreislauf von Tod und Leben ist eine ständige Veränderung; diese aber kann nicht Ziel oder Zweck sein: denn im Wesen der Veränderung - des Wechsels, liegt es eben, dass sie auf etwas anderes abzielt, sie kann nicht Selbstzweck sein Cg. IV, 82 n. 4). Also ist das Vernünftigste, man bleibt gleich beim Ersten stehen, nämlich dass die Menschen gleich bei der ersten Auferstehung zur Unsterblichkeit erstehen. Diese Aufhebung der Sterblichkeit macht den Menschen jedoch nicht zu etwas Anderem weder in spezifischer noch in numerischer Hinsicht. (Dies könnte man deshalb meinen, weil der Mensch oft definiert wird als animal rationale mortale). Denn "sterblich" kann im eigentlichen und strengen Sinn nicht die differentia specifica beim Menschen bilden, da es nicht ein Wesensprinzip, sondern ein dem Menschen zufallendes Leiden bezeichnet. Es wird jedoch an Stelle der spezifischen Differenz in die Definition des Menschen mit aufgenommen, um durch den Ausdruck "sterblich" die Natur (vielleicht: die Materie?) des Menschen auszudrücken, dass er nämlich aus heterogenen (und darum der Auflösung, Sterblichkeit unterliegenden) Teilen besteht, wie durch den Ausdruck "vernünftig" die dem Menschen eigene Wesensbestimmtheit ausgedrückt wird; denn materielle Dinge (zu denen auch der Mensch der leiblichen Seite seines Wesens nach gehört) können nicht ohne die Materie definiert werden. (Denn die Definition muss ja das Wesen des Dinges ausdrücken : bei den materiellen Dingen aber gehört die Materie ebenso zum Wesen des Dinges, wie die Form: also müssen Beide in die Definition mit aufgenommen werden). Nun wird die Sterblichkeit des Menschen nicht etwa dadurch aufgehoben, dass der dem menschlichen Leibe eigentümliche Stoff in einen völlig andern umgeändert wird. Denn die Seele nimmt bei der Auferstehung nicht etwa einen siderischen oder ätherischen Leib an sich (siehe oben Kap. 153 n. 1.), sondern einfach den menschlichen Leib, der aus heterogenen Elementen besteht. Seine Unsterblichkeit aber behält dieser durch die göttliche Allmacht, vermöge deren die Seele über den Leib eine Herrschaft erhält bis zu dem Grade, dass dieser nicht mehr zerstört werden kann. Denn ein Ding bleibt solange im Sein erhalten, solange die Form (Wesensbestimmtheit) ihre Herrschaft über die Materie behauptet. Cg. IV, 82 n. 4.

156. Kapitel: Nach der Auferstehung hört der Gebrauch von Speise und Trank sowie der Geschlechtsverkehr auf

Mit dem Aufhören des Zweckes sind auch die Mittel zum Zweck überflüssig; da nun nach der Auferstehung die Sterblichkeit aufgehoben wird, so nimmt damit auch Alles ein Ende, was nur für den Zustand eines der Sterblichkeit unterworfenen Lebens berechnet ist. Derart sind Speise und Trank; ihre Notwendigkeit zum Unterhalt des sterblichen Lebens liegt darin, dass sie das wieder ersetzen, was durch die natürliche Wärme (durch den Verbrennungsprozess im Leib) sich auflöst. Nach der Auferstehung also wird, (da dieser Verbrennungsprozess nicht mehr stattfindet) weder Speise noch Trank mehr gebraucht werden. Desgleichen wird die Kleidung überflüssig, da diese dem Menschen nötig ist, um ihn vor äußerer Schädigung durch Hitze oder Kälte zu schützen. Auch der geschlechtliche Verkehr wird aufhören, da er auf die Erzeugung von Lebewesen mit Sinnestätigkeit berechnet ist; die Zeugung aber steht im Dienst eines der Sterblichkeit unterliegenden Lebens; er soll, was dem Individuum nach nicht fort erhalten werden kann, wenigstens des Spezies nach forterhalten. Da nun nach der Auferstehung die Menschen (nicht bloß als Spezies, sondern) jeder einzelne für sich in numerischer Identität forterhalten werden, so kann von Erzeugung bei ihnen nicht mehr die Rede sein, und folglich auch nicht mehr vom geschlechtlichen Verkehr. Ferner, da der Same (der zur Erzeugung notwendig ist) aus dem Überschuss der Nahrung (die der Mensch zu sich nimmt), entsteht; so muss, sobald keine Nahrung mehr gebraucht wird, auch die Erzeugung und folglich der fleischliche Geschlechtsverkehr aufhören. Man kann auch nicht sagen, es werde dann eben nur um des Genusses (um der Lust) willen von Speise und Trank und vom Geschlechtsverkehr Gebrauch gemacht. Denn in jenem Endzustand kann sich keinerlei Unordnung finden; dort erhält ja jedes Ding die ihm entsprechende vollkommene Vollendung; die Unordnung aber steht im Widerspruch mit der Vollendung. Da ferner die Wiederherstellung der Menschen durch die Auferstehung (nicht ein Naturprozess, sondern) ein unmittelbares Werk Gottes ist, so kann in jenem durch die Auferstehung herbeigeführten Zustand keinerlei Unordnung sein; denn: "was von Gott ist, ist geordnet (Röm 13, 1: eigentlich: "die Gewalten, welche bestehen, sind von Gott angeordnet). Es ist aber etwas Unordentliches, dass Speise und Geschlechtsverkehr bloß (ausschließlich) um der damit verbundenen Lust willen gesucht werde; deshalb wird dies schon jetzt bei den Menschen als etwas Tadelhaftes angesehen. Also kann der Genuss von Speise und Trank und der Geschlechtsverkehr nach der Auferstehung auch nicht um der bloßen Lust willen statthaben. Cg. IV, 83. Suppl. 83 a 4.

157. Kapitel: Bei der Auferstehung erhält der Mensch alle seine Glieder wieder

1. Obwohl nun von diesen Dingen nach der Auferstehung kein Gebrauch mehr gemacht wird, so fehlt doch den Auferstandenen keines der zu diesen Funktionen bestimmten Glieder, weil ohne sie der Leib des Auferstandenen nicht vollständig wäre. Es ist aber angemessen, dass bei der Wiederherstellung des Menschen durch die Auferstehung, die ein unmittelbares Werk Gottes ist, die Natur vollständig wieder hergestellt werde: denn "Gottes Werke sind vollkommen" (Dtn 32, 4). Es finden sich also diese Glieder (Organe) an den Auferstandenen, aber nur zur Wahrung der Vollständigkeit der Natur, nicht aber auch zum Zweck der Funktionen, für die sie bestimmt sind. Cg. IV, 88.

2. Da die Menschen in jenem Zustand für das, was sie jetzt tun, Strafe oder Lohn empfangen, wie später (Kap. 172) gezeigt wird, so ist es angemessen, dass die Menschen eben dieselben Glieder (Organe) haben, mit welchen sie der Sünde oder der Gerechtigkeit in diesem Leben gedient haben, damit sie an eben dem, womit sie gesündigt oder Verdienst erworben haben, auch bestraft und belohnt werden. Suppl. q 82. a 1.

158. Kapitel: Am Auferstehungsleib findet sich nichts Mangelhaftes

1. Es ist ferner angemessen, dass alle natürlichen Mängel am Auferstehungsleib in Wegfall kommen. Denn alle diese Mängel hindern die Vollständigkeit der Natur. Wenn es nun angemessen ist, dass bei der Auferstehung die menschliche Natur in ihrer Vollständigkeit von Gott wieder hergestellt wird, so folgt, dass auch alle diese Mängel (wie Fehlen von Gliedern und andere Deformitäten) gehoben werden.

2. Diese Mängel sind die Folge der Schwäche der natürlichen Kraft, von welcher der menschliche Zeugungsprozess ausgeht; bei der Auferstehung aber gibt es keine wirkende Kraft außer der göttlichen (denn die Auferstehung ist nicht das Werk der Natur, sondern das der göttlichen Allmacht) diese aber kann nie fehl gehen. Also werden diese Mängel, die sich jetzt an den Menschen auf Grund ihrer Erzeugung finden, bei den Menschen nach ihrer Wiederherstellung durch die Auferstehung nicht mehr vorhanden sein. SuppI. q 82. a 1.

159. Kapitel: Am Auferstehungsleib findet sich bloß was zur menschlichen Natur im wahren und eigentlichen Sinn gehört

Was bezüglich der Vollständigkeit des Auferstehungsleibes gilt, das gilt auch bezüglich dessen, was in ihm zur menschlichen Natur im wahren und eigentlichen Sinn gehört. Was nicht zu diesem letzteren gehört, wird in dem Auferstehungsleib nicht wieder mit aufgenommen. Im entgegengesetzten Fall würde ja sonst der Auferstehungsleib eine ganz unmäßige Ausdehnung erreichen, wenn nämlich Alles, was während des ganzen Verlaufes des Lebens an Speise in Fleisch und Blut übergegangen ist, von den Auferstandenen wieder an sich genommen würde. Die Zugehörigkeit zu einer Natur im wahren und eigentlichen Sinn richtet sich nicht nach der stofflichen, materiellen, sondern nach der formellen, spezifischen Seite der betreffenden Natur. Jene Teile des Menschen also, die zu seinem spezifischen und formellen Sein gehören, werden alle vollständig am Auferstehungsleib sich finden, und zwar nicht bloß die organischen Teile, sondern auch die ihnen affinen, wie Fleisch, Nerven und dergleichen woraus die organischen Glieder sich zusammensetzen. Es werden jedoch nicht alle Stoffteile, die jemals (im Lauf des Lebens) das natürliche Material dieser organischen Teile bildeten, in den Auferstehungsleib wieder aufgenommen, sondern nur soviel, als eben notwendig ist, um diese Teile in ihrem spezifischen Sein wieder herzustellen. Die numerische Identität wie die Integrität des Menschen geht jedoch durch den Umstand nicht verloren, dass nicht alle Stoffteile, die je in ihm (im Verlauf des Lebens) waren, wieder auferstehen. Denn offenbar bleibt der Mensch während des ganzen Verlaufes dieses Lebens von Anfang bis zu Ende numerisch ein und derselbe. Das Stoffliche aber, das seine Körperteile bildet, bleibt nicht dasselbe, sondern ist einem allmächtigen Zu- und Abfluss (Stoffwechsel) unterworfen, ähnlich wie ein Feuer immer ein und dasselbe bleibt, wenn auch das Holzmaterial (welches dasselbe unterhält, wechselt, indem das eine) sich aufzehrt und neues wieder nachgelegt wird. - Die Integrität des Menschen bleibt also immerhin gewahrt, wenn nur das spezifische Sein, sowie die spezifische Quantität des Stoffes gewahrt bleibt. 1. q 82. a 4. u. 5. Cg. IV, 81. n. 4.

160. Kapitel: Gott ergänzt Alles, auch das Stoffliche, am Auferstehungsleib

Wie Gott nun einerseits nicht Alles, was je im Lauf des Lebens stofflich im menschlichen Leib war, zu seiner Wiederherstellung bei der Auferstehung nimmt, so ergänzt er andrerseits aber auch Alles, was dem Leib etwa stofflich fehlt. So ist es schon der Naturtätigkeit möglich, dem Kind, das noch nicht die dem erwachsenen Menschen entsprechende Größe hat, aus fremdem Stoff auf dem Weg der Assimilation von Speise und Trank soviel hinzuzufügen, dass es die vollständige Größe (des vollentwickelten Menschen) besitzt, und es hört dadurch nicht auf, numerisch dasselbe zu sein, das es vorher war. Umso mehr ist es der göttlichen Allmacht möglich, jenen, für welche der ihnen während des Lebens eigene Stoff nicht reicht, durch einen von außen her genommenen zu ergänzen, was ihnen während des gegenwärtigen Lebens mangelte, weil ihnen entweder ein oder mehrere Glieder oder die gehörige Größe (wegen Zwerggestalt oder Kindesalter) fehlte. Wenn also auch Manchen in diesem Leben ein oder das andere Glied fehlte, oder wenn Andere die volle Leibesgröße noch nicht erreicht hattcn (weil sie im Kindesalter starben), so werden sie deshalb, mögen sie nun groß oder klein, verstümmelt oder heil verstorben sein, bei der Auferstehung durch Gottes Allmacht die ihnen zukommende Vollkommenheit erhalten, sowohl in Bezug auf Vollständigkeit der Glieder, als auch auf die Größe.

161. Kapitel: Lösung einiger Schwierigkeiten

Aus dem Gesagten lassen sich die Einwendungen lösen, welche Manche gegen die Auferstehung erheben. Sie sagen nämlich, es wäre möglich, dass ein Mensch (ausschließlich) von Menschenfleisch lebe, und nachdem er sich nur von solcher Nahrung genährt hat, einen Sohn erzeuge, der sich der gleichen Nahrung bediente. Wenn nun (wie dies wirklich der Fall ist: 1. q 119. a 1.), die Nahrung in Fleisch sich umwandelt, so scheint es ganz unmöglich, dass beide (sowohl der, welcher verzehrt ward, als der ihn aufzehrende Kannibale) mit vollständigem Leib auferstehen könnten, da ja das Fleisch des Einen sich (völlig) in das Fleisch des Andern umgewandelt hat; und diese Schwierigkeit vermehrt sich noch, wenn wir bedenken, dass - wenn wie die Philosophen (Physiologen) behaupten, der Same sich aus dem Überschuss der Nahrung bildet (vgl. 1 q 119. a 2) - dann folgt, dass selbst der Same, woraus der Sohn erzeugt ward, aus dem, einem Andern gehörigen Fleische entnommen ward. Demnach scheint es ein Ding der Unmöglichkeit zu sein, dass ein aus einem solchen Samen erzeugtes Kind je auferstehen könnte, wenn jene Menschen, deren Fleisch sein Vater und es selbst gegessen hat, auferstehen sollen, ohne dass ihnen etwas, was zur Vollständigkeit ihres Leibes gehört, fehlt. - Aber selbst dieser Umstand bildet keine Instanz gegen die allgemeine Auferstehung. Es war oben (Kap. 159) bemerkt, es sei nicht notwendig, dass Alles, was nur immer je stofflich in einem Menschen war, in den Auferstehungsleib wieder aufgenommen werde, sondern nur soviel, als eben hinreicht, um dem Leib die ihm gebührende Größe zu geben. Es ward ferner bemerkt (Kap. 160), durch die göttliche Allmacht werde ersetzt, was Einem an dem zur entsprechenden Größe erforderlichen Stoffe fehlt.

Dann muss man noch beachten, dass das Stoffliche im menschlichen Körper (nicht in gleicher Weise, sondern) in verschiedener Abstufung zum spezifischen menschlichen Sein im eigentlichen Sinn gehört. Die erste und grundlegende Bedeutung kommt jenem Stoffe zu, der aus den Eltern selbst genommen ist; in diesem findet sich das spezifische menschliche Sein in seiner reinsten, ungetrübtesten Form in Folge der bildenden Kraft die im Zeugungsakte liegt. An zweiter Stelle (erst) kommt jener Stoff, welcher auf dem Weg (nicht der Zeugung, sondern) der Nahrung sich dem Menschen assimiliert, und der notwendig ist zur Bildung und Ausgestaltung der Glieder. Dieser kommt erst in zweiter Linie deshalb, weil immer die Beifügung von etwas Fremdartigem die Kraft des Dinges schwächt, weshalb auch schließlich das Wachstum aufhört, und der Leib altern und der Auflösung anheim fallen muss, ähnlich wie der Wein durch fortgesetztes Zugießen von Wasser schließlich ganz wässerig wird (seine Weinnatur verliert). (Nicht alles von der Nahrung geht aber auf dem Weg des Assimilationsprozesses in menschliches Fleisch über, sondern) aus der Nahrung bildet sich endlich auch manches Überschüssige im menschlichen Körper; von diesem hat manches einen bestimmten Zweck, wie der Same zum Zweck der Erzeugung sich bildet, und die Haare zur Deckung und zur Zierde des Leibes, Anderes aber ist für den Leib zwecklos und wird deshalb ausgeschieden, wie Schweiß und die übrigen Aussonderungen, oder sie verbleiben auch im Leib und machen dann der Natur Beschwerde. - Bei der Auferstehung nun ordnet es die göttliche Vorsehung so, dass, was in numerischer Identität stofflich in verschiedenen Menschen sich befand, in den Auferstehungsleib dessen aufgenommen wird, in welchem es sich nach oben angeführter Abstufung in vorzüglicher Weise sich vorfand. Befand es sich aber in zweien zugleich auf ein und dieselbe Weise, so wird es in den Auferstehungsleib dessen aufgenommen, in dem es sich zuerst befand; im Andern aber wird es durch die göttliche Allmacht ersetzt. Demnach wird das Fleisch des Menschen, den ein Kannibale verzehrt hat, nicht in den Auferstehungsleib des letzteren, sondern in den aufgenommen, dem es zuerst gehört hat; dagegen wird es in den Auferstehungsleib dessen aufgenommen, der aus diesem (aus dem genossenen Fleisch entstandenen) Samen erzeugt ward, rücksichtlich dessen, was in diesem Fleisch humidum nutrimentale war (vgl. 1. q 119 a 1. ad 3m.). Das Übrige aber wird in den Auferstehungsleib des Ersten (dem das in Samen Übergegangene Fleisch zuerst gehört hat) aufgenommen, wobei Gott bei Beiden ergänzt, was fehlt. Cg. IV, 81 ad 5m.

162. Kapitel: Die Auferstehung der Toten ist ein Glaubensartikel

Um diesen Glauben an die Auferstehung zu bekennen, heißt es im apostolischen Glaubensbekenntnis: "Auferstehung des Fleisches." Nicht ohne Grund ist beigefügt "des Fleisches"; denn es gab selbst zu den Zeiten der Apostel Manche, welche die Auferstehung des Fleisches leugneten und bloß eine Auferstehung im geistigen Sinn annahmen, insofern nämlich der Mensch vom Tod der Sünde aufersteht. Deshalb spricht der Apostel (2 Tim 2, 18) von Manchen, die von der Wahrheit abgewichen seien, indem sie sagten, die Auferstehung sei bereits (durch das Auferstehen aus der Sünde) geschehen, und die auch Andre im Glauben irre machten. Um nun diesen Irrtum abzuweisen und die Auferstehung als eine (nicht bereits vollzogene, sondern) erst zu geschehende zu bezeichnen, heißt es im Glaubensbekenntnis der Väter; "Ich erwarte die Auferstehung der Toten. "

163. Kapitel: Die Beschäftigung der Auferstandenen

Es ist ferner von Interesse, sich darüber klar zu werden, worin eigentlich die Beschäftigung (die Tätigkeit) der Auferstandenen bestehen wird. Denn jedes Lebewesen muss irgend eine Tätigkeit entfalten, der es sich hauptsächlich und in erster Linie widmet - und von dieser Beschäftigung sagen wir dann, in ihr bestünde ihr Leben. So sagen wir von jenen, die in erster Linie und vor allem der Lust und dem Vergnügen nachgehen, sie führten ein Wohlleben, - von jenen die sich in erster Linie der Betrachtung - dem Studium, der Forschung widmen, sie führten ein Gelehrtenleben, (ein Forscherleben); Von jenen endlich, die sich vorzüglich mit Staatsangelegenheiten befassen, sie stünden im Staatsleben, (im Gegensatz z. B. zum Militärleben). Nun ward oben (Kap. 156) nachgewiesen, dass nach der Auferstehung der (zur Erhaltung des Individuums notwendige) Genuss der Speise sowie der des (zur Erhaltung der Spezies erforderlichen) Geschlechtsverkehrs aufhört; auf diese beiden Gebiete aber zielt schließlich alle rein körperliche Tätigkeit ab (im Dienste dieser zwei Zwecke steht schließlich alle rein körperliche Hantierung). Da es nun keine derartige körperliche Hantierung mehr gibt, so bleibt nur noch das Gebiet der geistigen Tätigkeit über, in welcher der letzte Lebenszweck des Menschen besteht (Kap. 103). Diesen Zweck müssen die Auferstandenen erreichen, da sie ja aus dem Zustand der Korruptibilität und der Veränderlichkeit befreit sind (Kap. 155). Der letzte Endzweck des Menschen aber besteht nicht in jeder beliebigen geistigen Beschäftigung, sondern darin, dass Gott seiner Wesenheit nach geschaut wird (Kap. 105). Nun aber ist Gott ewig; also muss der menschliche Verstand (weil er Gott nicht etwa in einem geschaffenen Abbild, in einer Vorstellung, einem Begriff, den er sich von Gott gebildet hat, sondern unmittelbar schaut) mit der Ewigkeit sich verbinden und einigen. Wie wir also von jenen, welche sich der Lust und dem Vergnügen widmen, sagen, sie führten ein Wohlleben - so erhalten jene, welche die Anschauung Gottes gewinnen, das ewige Leben, nach dem Worte (Joh 17,3): "Das aber ist das ewige Leben, dass sie erkennen dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus." Cg. III, 61.

164. Kapitel: Gott wird seiner Wesenheit nach geschaut, nicht in einem Abbild

Gott aber wird vom geschaffenen Geiste seiner Wesenheit nach geschaut werden, nicht in einem Abbild. Bei letzterer Art des Schauens ist es möglich, dass während das Abbild (der Begriff, die Vorstellung) im Verstand ist, das gedachte Ding von ihm ferne weilt; ähnlich wie z. B. (auf körperlichen Gebiet) der Stein nur seinem Abbild nach im Auge sich findet, seinem eigenen Sein und Wesen nach aber nicht in ihm ist. Wie aber oben (Kap. 105) gezeigt ward, verbindet sich Gottes Wesenheit selbst mit dem geschaffenen Verstand in einem gewissen Sinn, so dass Gott (nicht in einem bloßen Abbild, einer Vorstellung, einem bloßen Begriff, sondern) seinem eigenen Sein und Wesen nach geschaut werden kann.

Wie also bei jener letzten Vollendung geschaut wird, was früher von Gott nur geglaubt wurde, so wird dort auch, was als zukünftig erhofft ward, festgehalten werden als gegenwärtig; und dies nennen wir Erfassen nach dem Wort (Phil 3,12): "ich strebe darnach, um es auf irgend eine Weise zu erfassen (zu ergreifen)", nur darf man hier das Wort "erfassen" nicht in dem Sinne verstehen, als solle damit eine vollständige Umfassung (des göttlichen Wesens durch den menschlichen Verstand, also Ergründung Gottes) ausgedrückt werden, sondern nur die Vergegenwärtigung und Festhaltung dessen, was als erfasst bezeichnet wird.

  • Es ist Dogma, dass Gottes Wesenheit von den Seligen unmittelbar "nulla mediante creatura in ratione objecti visi se habente, sed divina essentia immediate se nude, clare et aperte eis ostendente, geschaut wird. Benedict XII. Konstitution "Benedictus Deus." 1336.

165. Kapitel: Gott zu schauen ist die höchste Vollendung sowie der freudigste Genuss

1. Aus der Wahrnehmung und Auffassung des dem Wahrnehmenden entsprechenden Gegenstandes entsteht der freudige Genuss. So erfreut sich das Auge an der Farbenschönheit, der Geschmack am Wohlgeschmack der Speisen. Aber diese Sinnenergötzung kann beeinträchtigt werden dadurch, dass das Sinnesorgan in einer schlechten Verfassung sich befindet; so ist dem kranken Auge das Licht zuwider, während es dem gesunden erwünscht ist. Weil nun der Verstand sich nicht eines körperlichen Organs zum Denken bedient (siehe oben Kap. 79), so ist jenem freudigen Genuss, der in der Erforschung und Betrachtung der Wahrheit bestellt, an sich keine Traurigkeit entgegengesetzt. Es kann allerdings - dies jedoch nur indirekt - auch aus diesem Denken des Verstandes Traurigkeit entstehen; nämlich dann, wenn das, was wir denken, als etwas uns Schädliches aufgefasst wird. Aber selbst auch dann hat der Verstand immerhin noch Freude, weil und insofern er die Wahrheit erkennt; im Willen aber stellt sich andrerseits Missbehagen ein über das Ding, das gedacht wird; nicht jedoch, insofern es gedacht wird (also als Wahrheit), sondern insofern es in seiner Tatsächlichkeit (Wirklichkeit) schädlich ist. Nun aber ist Gottes Tatsächlichkeit eben nichts anderes als Wahrheit. Es kann also der Gott schauende Verstand in diesem Schauen nur freudigen Genuss finden.

2. Gott ist die Güte selbst; diese aber ist der Grund, weshalb man etwas liebt; folglich muss er von Allen geliebt werden, die ihn erfassen. Obschon nämlich selbst Etwas, was gut ist, auch nicht geliebt, ja sogar gehasst werden kann: so geschieht das doch nicht, insofern dieses Ding als etwas Gutes, sondern insofern es als etwas uns Schädliches aufgefasst wird. Beim Schauen Gottes nun, der (nicht bloß etwas Gutes, sondern) die Güte und die Wahrheit selbst ist, muss sich zugleich mit dem Schauen auch Liebe oder freudiger Genuss einstellen nach dem Wort (Jes 66, 14): "Ihr werdet schauen und euer Herz wird sich freuen." - 1. 2. q 4 a 1-3; Cg. III, 63.

166. Kapitel: Alle Wesen, die Gott schauen, sind im Guten befestigt

1. Daraus folgt, dass die Gott schauende Seele, wie überhaupt jede andere geistige Kreatur, mit ihrem Willen sich an ihm so festhält, dass dieser sich fernerhin nicht mehr zu etwas Gott Entgegengesetztem hinwendet. Da nämlich das, was der Wille anstrebt, das Gute ist, so kann der Wille sich nur auf Etwas richten, dem der Begriff des Guten, sei es wie nur immer auch, zukommt. Nun aber kann an jedem Teilgut (im Gegensatz zum Allgut) Etwas fehlen, und es bleibt dem, der dies erkennt, überlassen, dasselbe an einem andern Teilgut zu suchen. Deshalb braucht der Wille dessen, der ein Teilgut schaut, bei diesem nicht stehen zu bleiben, ohne sich über dessen Gebiet hinaus wenden zu können. Bei Gott aber, der das (alle anderen Güter in sich fassende) Allgut, ja die Güte selbst ist, fehlt nichts Gutes, das man anderswo suchen könnte, wie oben (Kap. 21) gezeigt ward. Wer also Gottes Wesenheit schaut, kann seinen Willen nicht von ihm abwenden, und wendet sich allen übrigen Dingen nur so zu, dass er dabei (sich nicht etwa von Gott abwendet, sondern dass er) immer Gott im Auge hat.

2. Eine Analogie hierfür bietet uns auch das Erkenntnisgebiet. Unser Verstand kann zweifelnd so lange hin- und herschwanken, bis er beim obersten, unmittelbar einleuchtenden Axiom angelangt ist; dieses aber gewährt ihm unerschütterliche Festigkeit. Weil nun der Endzweck auf dem Gebiet des Begehrens dasselbe ist, was auf dem Erkenntnisgebiet das Axiom, so kann sich der Wille zu einander entgegengesetzten Dingen hinneigen so lange, bis er bei der Erkenntnis oder dem Genuss des letzten Endzweckes aller Dinge angelangt ist; in diesem aber erhält er notwendig unerschütterliche Festigkeit. - Auch würde es dem Begriff der vollkommenen Seligkeit widerstreiten, wenn der Mensch sich wieder zum Gegenteil wenden könnte; denn dann wäre die Furcht des Verlustes nicht völlig ausgeschlossen, und das Verlangen des Menschen nicht völlig befriedigt. (Die Seligkeit ist eben nicht etwas dem Menschen bloß äußerlich angetanes, sondern auch sein eigenstes Werk!) Deshalb heißt es vom Seligen: "Er wird fürderhin nicht mehr hinausgehen" (Offb 3, 12). Cg. III, 62.

167. Kapitel: Der Leib wird der Seele vollständig gehorchen

Weil nun der Leib um der Seele willen da ist, wie die Materie um der Form, und das Werkzeug um des Künstlers willen, so wird mit der Seele, die ein derartiges Leben erreicht hat, durch göttliche Kraft ein Leib von solcher Beschaffenheit vereint, wie er der Seligkeit der Seele entsprechend ist. Das Mittel muss eben dem Zweck entsprechen. Für die Seele nun, die auf dem höchsten Gipfel der geistigen Tätigkeit angelangt ist, passt nicht ein Leib, durch welchen sie hierin auch nur einigermaßen behindert und beschwert wäre. Nun ist aber die Korruptibilität des menschlichen Leibes der Grund der Behinderung und Beschwerung der Seele, sodass diese weder ununterbrochen der forschenden Betrachtung der Wahrheit sich widmen, noch auch hierin den Gipfelpunkt erreichen kann. Daher die Tatsache, dass der Mensch gerade dadurch, dass bei ihm völlige Sistierung der Sinnestätigkeit eintritt, mehr befähigt wird, göttliche Wahrheiten in sich aufzunehmen. Denn die prophetischen Offenbarungen werden solchen gegeben, die sich im Schlafe oder in einer Entzückung (Entrückung) des Geistes befinden, nach dem Wort der Schrift: "Wenn unter euch Einer Prophet des Herrn ist, so werde ich ihm im Gesichte erscheinen, oder im Traum zu ihm reden" (Num. 12, 6). Deshalb werden die Leiber der Auferstandenen nicht mehr der Korruptibilität unterliegen und der Seele Hemmnis bereiten, wie das jetzt geschieht, sondern sie werden inkorruptibel sein und vollständig der Seele untertan, ohne auch nur den geringsten Widerstand.

168. Kapitel: Von den Eigenschaften der verklärten Leiber

Aus dem Gesagten kann man einen Schluss machen auf die Beschaffenheit der Leiber der Seligen. Die Seele ist für den Leib sowohl Form (Wesensbestimmtheit, Seinsprinzip) als auch Beweger (Tättigkeitsprinzip). Insofern sie Form ist, so ist sie für den Leib nicht nur Prinzip des substantiellen Seins (d. h. dafür, dass der Leib überhaupt als etwas für sich bestehendes existiert), sondern auch Prinzip (Grund) jener besondern Akzidentien, die im Subjekt durch die Vereinigung von Form und Materie verursacht werden. Je stärker nämlich eine Form ist, desto weniger kann das Einprägen derselben in die Materie durch eine äußere, entgegenwirkende Wirkursache gehindert werden. Ein Beispiel bietet uns das Feuer. Seine Form, die man als die höchste und edelste unter allen Elementarformen (Erde, Wasser, Luft) bezeichnet, verleiht dem Feuer (d. h. dem aus Materie und Form zusammengesetzten Subjekt) die Eigenschaft, dass es nicht so leicht eine Umänderung seiner natürlichen Beschaffenheit erleidet durch Einwirkung eines äußeren Organs. Nun befindet sich die beseligte Seele auf dem Gipfelpunkt der Erhabenheit, wie der Kraft - ist sie ja dem ersten Urgrund aller Dinge aufs innigste geeint - sie gibt also dem durch göttliche Kraft mit ihr wieder vereinigten Leib fürs erste das substantielle Sein auf die erhabenste Weise, indem sie ihn nämlich völlig beherrscht und durchdringt; deshalb wird er ein ätherischer und geistiger Leib sein. Sie teilt ihm ferner mit die erhabenste Beschaffenheit, nämlich die Herrlichkeit der Klarheit (Schönheit); sodann wird er wegen der Kraft der Seele von keinem Agens mehr in seinem Zustand eine Veränderung erleiden können, d. h. er wird leidensunfähig sein, und weil er endlich ganz der Seele zu Willen ist, wie das Werkzeug dem, der es in Bewegung setzt, wird er rasch und leicht beweglich sein.

Das werden also die vier Eigenschaften der Leiber der Seligen sein: Die Geistigkeit, die Schönheit, die Leidensunfähigkeit und die leichte Beweglichkeit. Deshalb sagt der Apostel (1 Kor 15,42 ff): "Der Leib, der im Tod gesät wird in der Verweslichkeit, wird auferstehen in der Unverweslichkeit" - das ist die Leidensunfähigkeit; "er wird gesät in der Unehre, er steht auf in der Herrlichkeit" - das ist die Schönheit; "gesäet wird er in Schwachheit, auferstehen wird er in Kraft" - das ist die leichte Beweglichkeit; "gesäet wird ein tierischer Leib, auferstehen wird ein geistiger Leib" - und das ist die Geistigkeit. Cg. IV, 86.

169. Kapitel: Dort wird der Mensch erneuert werden und alle körperliche Kreatur mit ihm

Es müssen bekanntlich die Mittel mit dem Ziel in Verhältnis stehen. Wenn nun ein Ding, für welches verschiedene Mittel bestehen, einer Veränderung vom Unvollkommenen zum Vollkommenen unterliegt, so muss diese Veränderung auch auf die Mittel sich erstrecken, damit sie ihm in dem einen wie dem andern Zustand dienlich sein können; so wird z. B. Nahrung und Kleidung anders zubereitet für das Kind und anders für den Mann. Nun ward oben (Kap. 148) nachgewiesen, dass die gesamte körperliche Kreatur zur vernünftigen Natur hingeordnet ist als ihrem Endziel. Erhält nun der Mensch seine letzte Vollendung durch die Auferstehung, so muss auch die gesamte Körperwelt in einen andern Zustand übergehen, und in diesem Sinne spricht man von einer Welterneuerung bei der Auferstehung des Menschen, wie es in der Schrift (Offb 21,1) heißt: "Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde" - und wiederum (Jes 65, 17): "Siehe, ich schaffe neue Himmel und eine neue Erde".

170. Kapitel: Über Erneuerung und Fortbestand der körperlichen Kreatur

1. Die verschiedenen Reiche der Körperwelt haben zum Menschen nicht ein und dieselbe Beziehung (für den Menschen nicht ein und dieselbe Bedeutung). Die Pflanzen- und Tierwelt dienen dem Menschen, um seiner Schwäche abzuhelfen, indem er aus ihr Nahrung, Kleidung, Mittel zur Fortbewegung und dergleichen mehr bezieht, was zur Abhilfe der menschlichen Schwäche dient. Beim Endzustand aber wird durch die Auferstehung der Mensch allen derartigen Schwachheiten und Gebrechlichkeiten überhoben. Denn die Menschen bedürfen dann nicht weiterhin der Nahrung, da sie ja der Korruptibilität nicht mehr unterliegen (siehe oben Kap. 156); noch auch der Kleidung, da sie bekleidet sein werden durch die Schönheit der Glorie; auch nicht der Tiere zur Fortbewegung, da sie selbst die rasche Beweglichkeit besitzen; auch keine weiteren Mittel zur Erhaltung der Gesundheit, da sie leidensunfähig sein werden. Dieser Teil der Körperwelt also, nämlich Pflanzen und Tiere und überhaupt alle aus den Elementen zusammengesetzten Körper haben in jenem Endzustand der Weltvollendung (weil keinen Zweck, so auch) keinen weiteren Fortbestand. Die vier Elemente aber, nämlich Feuer, Luft, Wasser und Erde haben für den Menschen nicht bloß die Bedeutung, dass sie zum Unterhalt seines leiblichen Lebens dienen, sondern sie dienen zugleich zur Begründung seines Leibes selbst. Denn der menschliche Leib ist begründet aus den Elementen; es besitzen demnach die Elemente eine wesentliche Beziehung und Bedeutung für den menschlichen Leib. Ist also der Mensch an Leib und Seele vollendet, so dürften auch die Elemente Fortbestand haben, aber so, dass sie in einen besseren Zustand umgewandelt sind (indem sie neue, dem Endzustand entsprechende Verbindungen eingehen).

Die Himmelskörper werden ihrem eigenen Sein nach vom Menschen nicht zum Unterhalt des vergänglichen Lebens verwendet (wie die Pflanzen und Tiere); auch dienen sie nicht zum Aufbau des menschlichen Leibes (wie die Elemente); sie haben jedoch für den Menschen insofern Bedeutung, als sie ihm durch ihre Schönheit und Größe die Erhabenheit ihres Schöpfers zeigen. Deshalb wird der Mensch in der Schrift oft aufgefordert, die Sternenwelt zu betrachten, um durch sie zur Ehrfurcht gegen Gott geführt zu werden, wie es heißt (Jes 40, 26): "Richtet eure Augen in die Höhe und sehet, wer dies geschaffen hat." Und obwohl in jenem Zustand der Vollendung der Mensch nicht von den sinnlich wahrnehmbaren Kreaturen zur Kenntnis Gottes emporgeführt zu werden braucht, da er ja Gott in sich selbst schaut, so ist es doch im höchsten Grade angenehm für den, der die Ursache kennt, auch zu schauen, wie ihr Abbild in ihren Wirkungen wieder strahlt. Deshalb wird es auch den Seligen Freude machen, den Wiederschein der göttlichen Güte in der Körperwelt zu schauen, und zumal an den Himmelskörpern, die den Vorrang vor allen Übrigen zu haben scheinen.

Zudem haben die Himmelskörper in gewissem Sinn eine wesentliche Beziehung zum menschlichen Leib; sie sind nämlich im gewissen Sinne seine Wirkursache, wie die Elemente seine Materialursache bilden. Denn die Erzeugung des Menschen ist das Werk des Menschen wie das der Sonne (siehe oben Kap. 127); auch das ist ein Grund für den Fortbestand der Sternenwelt.

2. Die Frage über den Fortbestand oder Nichtfortbestand der einzelnen Teile der Körperwelt lässt sich aber nicht bloß aus dem Verhältnis derselben zum Menschen, sondern auch aus ihrer eigenen Natur (vermutungsweise) lösen. Was nach gar keiner Seite seines Wesens hin unzerstörbar ist, darf in jenem Zustand der (absoluten) Inkorruptibilität nicht mehr verbleiben. Die Himmelskörper nun sind unzerstörbar sowohl ihrer Totalität nach, als auch in Bezug auf alle ihre Teile; die Elemente ihrer Totalität nach, nicht aber in Bezug auf ihre Teile, der Mensch aber nur in Bezug auf Einen Teil seines Wesens, nicht aber seinem Ganzen (Wesen) nach, weil bei ihm das zusammengesetzte Ganze durch den Tod aufgelöst wird. Die Tiere und Pflanzen hingegen sowie überhaupt alle aus den Elementen zusammengesetzten Körper sind weder ihrer Totalität nach noch auch in Bezug auf einen Teil ihres Wesens unzerstörbar. Es entspricht also der Natur der Dinge selbst, dass in jenem Endzustand der (absoluten) Unzerstörbarkeit, Unvergänglichkeit die Menschen, die Elemente und die Himmelskörper fortbestehen, nicht aber die Tiere, die Pflanzen und überhaupt die aus den Elementen zusammengesetzten Körper.

3. Auch aus dem Begriff und Wesen des Universums lässt sich dies nachweisen. Da der Mensch einen Teil des körperlichen Universums bildet, so muss dieses bei der Vollendung des Menschen fortbestehen; denn der Teil ist nur dann vollkommen, wenn er sich an und in dem Ganzen befindet. Das körperliche Universum kann aber nur dadurch als solches Fortbestand haben, wenn seine wesentIichen Teile fortbestehen. Seine wesentlichen Teile aber bilden die Himmelskörper und die Elemente, aus denen ja das ganze Weltall besteht.

Alle übrigen Dinge scheinen nicht zur Vollständigkeit des körperlichen Universums zu gehören, sondern dienen mehr zum Schmuck und zur Zierde desselben, wie sie für den Zustand der Veränderlichkeit desselben passen, in welchem durch die Himmelskörper als tätigem, und die Elemente als stofflichem Prinzip, Tiere, Pflanzen und Mineralien entstehen (Kap. 127). Im Zustand der Endvollendung werden die Elemente einen andern Schmuck als den jetzt in dem Tier-, Pflanzen- und Mineralreich bestehenden erhalten, der für den Zustand der Unvergänglichkeit passt (werden die Elemente andere Kombinationen erhalten zu einem, von der jetzigen Tier- und Pflanzenwelt verschiedenen, dem Wechsel und Wandel überhobenen Zustand entsprechenden Schmuck der Welt). Es verbleiben also in jenem Endzustand die Menschen, die Elemente und die Himmelskörper, nicht aber die Tiere, die Pflanzen und die Mineralien. Suppl. q 94 a 4 u. 5.

171. Kapitel: Die Bewegung der Himmelskörper hört auf

Da die Himmelskörper in unaufhörlicher Bewcgung sind, so könnte man meinen, dass sie, weil sie ja ihrem ganzen Sein nach immer fortbestehen, auch im Zustand der Weltvollendung ihren Kreislauf nicht verlieren würden. Diese Meinung wäre begründet, wenn den Himmelskörpern die Bewegung in eben dem Sinn und in eben der Weise zukäme, wie den Elementen.

Die Elementarbewegung hat sowohl für schwere Körper (nach der alten Naturlehre, jene, welche die Tendenz nach unten, dem Mittelpunkt der Erde zu haben) als für die leichten (jene, welche die Tendenz nach aufwärts haben z. B. das Feuer) den Zweck, ihre Vervollkommnung herbeiführen. Denn sie streben in ihrer naturgemäßen Bewegung den ihnen eigenen, entsprechenden Ort an, wo sie sich besser befinden; deshalb wird im Zustand der Endvollendung jedes Element und jeder Teil desselben den ihnen entsprechenden Ort einnehmen. Das kann man aber von der Bewegung der Himmelskörper nicht sagen, da diese an keinem Ort, den sie erreicht haben, ruhen, sondern, wie sie sich naturgemäß zu jeden beliebigen (Punkt der Kreisperipherie, die sie in ihrem Lauf beschreiben) hinbewegen. so entfernen sie sich auch ebenso (nicht gegen ihre Natur, sondern) naturgemäß wieder von demselben. Es geht also den Himmelskörpern nichts verloren, wenn ihre Bewegung aufhört; weil ja bei ihnen die Bewegung nicht ihre eigene Vervollkommnung zum Zweck hat. Wendet man dagegen ein, dass, wie der leichte Körper sich kraft seiner Natur aufwärts bewegt, so der Himmelskörper kraft seiner Natur als aktivem Prinzip die Kreisbewegung habe - so ist dies lächerlich. Denn es ist ein offenbares Naturgesetz, dass die Natur (im Gegensatz zum denkenden Verstand) immer ein und dasselbe Resultat anstrebt; was also seinem Begriff und Wesen nach der Einheit widerstrebt, kann nicht der letzte Zweck der Natur sein. Die Bewegung aber widerstrebt der Einheit, insofern das, was sich bewegt, bald so, bald anders sich verhält, so lange die Bewegung dauert. Die Natur erzeugt also die Bewegung nicht als Selbstzweck, sondern beabsichtigt bei der Verursachung der Bewegung (der Entwicklung) das Ziel der Bewegung (der Entwicklung), so hat z. B. die Natur im leichten Körper den Ort in der Höhe beim Aufsteigen im Auge usw. Da nun aber gerade die Kreisbewegung der Himmelskörper nicht auf einen bestimmten Ort abzielt, so kann man nicht sagen, das aktive Prinzip des Kreisbewegung der Himmelskörper sei die Natur, wie sie es ist für die Bewegung der schweren und leichten Körper. Es steht also nichts im Wege, dass die Natur der Himmelskörper unversehrt fortbesteht, während sie bewegungslos sind, während es z. B. für das Feuer unmöglich ist - sofern seine Natur überhaupt noch fortbestehen soll dass es außerhalb des ihm zukommenden Ortes seine Bewegung einstelle. Immerhin wird auch die Bewegung der Himmelskörper als eine naturgemäße bezeichnet; dies jedoch nicht wegen des aktiven Prinzipes der Bewegung, sondern wegen des sich bewegenden Körpers, der alle jene Eigenschaften besitzt, dass er sich so bewegen lassen kann. Man muss also schließen, dass die Bewegung der Himmelskörper das Werk irgend eines vernünftigen Wesens ist (das im Gegensatz zur Natur verschiedene Resultate anstreben kann).

Nun erzeugt aber die Vernunft eine Bewegung nur in der Absicht auf ein bestimmtes Ziel; es fragt sich also, worin das Ziel (der Zweck) der Bewegung der Himmelskörper besteht. Nun kann man aber nicht sagen, diese Bewegung selbst sei dieser Zweck. Denn die Bewegung ist nichts anderes als der Weg zur Vollkommenheit; sie ist also ihrem Begriff und Wesen nach nicht Ziel, sondern vielmehr Mittel zum Ziel. Man kann auch nicht sagen, die Widererlangung der früheren Lage sei das Ziel der Bewegung der Himmelskörper, dass nämlich die Himmelskörper sich deshalb bewegen, damit sie jeden Punkt, den sie in ihrer Kreisbewegung erreichen können, auch wirklich erreichen; denn dies geht bis ins Unendliche; das Unbegrenzte aber steht mit dem Begriff und Wesen des Zieles im Widerspruch. - Das Ziel der Himmelsbewegung ist vielmehr folgendes. Jeder Körper der von einem vernünftigen Wesen bewegt wird, trügt diesem gegenüber den Charakter eines Werkzeuges. Der Zweck aber, den die Bewegung des Werkzeuges hat, ist die Idee, welcher der das Werkzeug Gebrauchende sich gedacht hat, und die nun durch die Bewegung des Werkzeuges verwirklicht wird.

Die Idee des göttlichen Geistes aber, die er durch die Himmelsbewegung ausführt, ist, die Dinge auf dem Weg des Entstehens und Vergehens zur Vollkommenheit zu führen. Letzter Zweck all dieses Entstehens und Vergehens ist die edelste aller Naturformen, nämlich die menschliche Seele, deren Endziel das ewige Leben ist, wie oben (Kap. 149 f.) gezeigt ward. Letztes Ziel der Himmelsbewegung ist also die Vermehrung der Menschen: die zum ewigen Leben gelangen sollen; diese Menge der Menschen kann aber nicht bis ins Unendliche gehen; denn jede Vernunft hat bei ihrer Absicht etwas Bestimmtes und Begrenztes im Auge. Ist also die Zahl der Menschen, die zum ewigen Leben gelangen sollen, voll, und sind diese ins ewige Leben eingetreten, so wird die Himmelsbewegung aufhören, wie mit der Vollendung des Werkes auch die Bewegung des Werkzeuges aufhört. Eine Folge des Aufhörens der Himmelsbewegung ist auch der Stillstand der Bewegung in der ganzen sublunaren Körperwelt, mit Ausnahme der Bewegung die im Menschen von der Seele ausgeht, und so wird das ganze körperliche Universum eine andere Gestaltung und Form erhalten, nach dem Worte des Apostels (1 Kor 7, 31): "Die Gestalt dieser Welt geht vorbei." Suppl. q 94 a 2.

172. Kapitel: Vom Lohn und vom Elend des Menschen, je nach seinen Werken

Wenn es nur einen bestimmten Weg gibt, auf welchem man zum Ziel gelangt, so können jene dieses Ziel nicht erlangen, welche einen entgegengesetzten Weg einschlagen, oder vom richtigen Weg abweichen. So kann der Kranke z. B. nicht geheilt werden, wenn er gerade das Gegenteil von dem tut, was der Arzt befiehlt, - es sei denn, dass er durch einen glücklichen Zufall Heilung finde. So gibt es nun einen bestimmten Weg um zur Seligkeit zu gelangen, nämlich den der Tugend. Denn jedes Ding erreicht sein Ziel nur dadurch, dass es das, was ihm zukommt, gut zur Ausführung bringt; so wird die Pflanze nur dann Frucht bringen, wenn in ihr die hierzu erforderliche natürliche Tätigkeit sich vollzieht; und der Wettläufer erreicht nur dann den Siegespreis, und der Soldat nur dann die Siegespalme, wenn sie die ihrem Berufe zukommende Tätigkeit entfalten. Die dem Menschen zukommende Tätigkeit entfaltet er aber in rechter Weise nur dann, wenn er der Tugend entsprechend handelt; denn unter Tugend auf jedem Gebiet verstehen wir das, was den, der sie besitzt, gut macht, und auch seinem Wirken diesen Charakter verleiht, wie es im 2. Buch der Ethik (Ethic. I. 2. lectio 6) heißt. Da nun das letzte Ziel des Menschen das ewige Leben ist, so gelangen nicht Alle zu demselben, sondorn nur jene, welche tugendhaft handeln. 1. 2. q 5 a 7.

2. Es ward oben (Kap. 130 ff.) nachgewiesen, dass in das Gebiet der göttlichen Vorsehung nicht nur die Naturvorgänge, sondern auch die menschlichen Angelegenheiten fallen, und zwar nicht bloß im Allgemeinen, sondern bis ins Einzelnste herab. Jenem aber, der für die Menschen im Einzelnen Vorsorge zu tragen hat, steht es zu, für die Tugend Lohn und für die Sünde Strafe zu erteilen; denn die Strafe ist eine Arznei gegen die Schuld und bringt sie wieder in die Ordnung (siehe oben Kap. 121), der Lohn für die Tugend aber ist die Seligkeit, welche aus Gottes Huld dem Menschen verliehen wird. Es steht also Gott zu, jenen, welche tugendwidrig handeln, nicht die Seligkeit, sondern das Gegenteil als Strafe zu geben, nämlich das äußerste Elend.

173. Kapitel: Wie der Lohn, so tritt auch das Elend des Menschen erst nach diesem Leben ein

1. Einander entgegengesetzte Dinge bringen einander entgegengesetzte Wirkungen hervor. Dem tugendhaften Wirken aber ist das sündhafte entgegengesetzt. Es muss also das Elend, zu dem man durch das sündhafte Wirken gelangt, das gerade das Gegenteil von der Glückseligkeit bilden, welche durch das tugendhafte Wirken verdient wird. Ein Gegensatz aber kann nur bestehen zwischen solchen Dingen, die irgendwie in ein gemeinschaftliches Gebiet fallen.

Da nun die endgültige Seligkeit, zu welcher man durch tugendhaftes Wirken gelangt, nicht in einem Gute dieses Lebens besteht, sondern erst nach diesem Leben eintritt, - wie aus Obigem (Kap. 149 ff) hervorgeht, so folgt, dass auch das endgültige Elend, zu dem die Sündhaftigkeit führt, ein Übel ist, das erst nach diesem Leben eintritt.

2. Alle Güter, wie alle Übel dieses Lebens sind nicht letzter Endzweck, sondern auf einen weiteren Zweck hingeordnet. So dient dem Menschen der äussere Besitz, sowie alles Gute seines leiblichen Seins zur Ausübung der Tugend; und dies ist der direkte Weg, um zur Seligkeit zu gelangen, für alle jene, welche von alledem einen guten Gebrauch machen; wie sie umgekehrt bei jenen, welche einen schlechten Gebrauch von ihnen machen, zu Werkzeugen der Sündhaftigkeit werden, die zum Elend führt. Das gleiche ist der Fall mit den ihnen entgegengesetzten Übeln, wie Krankheit, Armut und dergleichen die den Einen zum Fortschritt in der Tugend, den Andern aber zur Vermehrung der Sündhaftigkeit dienen, je nach dem Gebrauch, den man von ihnen macht. Was aber auf etwas Weiteres als auf seinen Zweck hingeordnet ist, kann nicht das letzte Endziel sein, und folglich weder der endgütige Lohn, noch das endgütige Elend. Also besteht keines von Beiden aus Gütern oder Übeln dieses zeitlichen Lebens. 1. 2. q 2. a 8.

174. Kapitel: Über das Elend des Menschen in der Strafe des Gottesverlustes

Da das Elend, zu welchem die Sündhaftigkeit fährt, der Glückseligkeit, zu welcher man durch die Tugend gelangt, genau entgegengesetzt ist, so lässt sich der Inhalt dieses Elendes am besten dadurch bestimmen, dass man das gerade Gegenteil von dem nimmt, was über die Glückseligkeit gesagt ward. Nun ward oben (Kap. 105 u. 165) gesagt, dass die Glückseligkeit des Menschen auf dem Erkenntnisgebiet in dem vollen und klaren Schauen Gottes besteht; auf dem Gebiet des Begehrens aber besteht sie darin, dass der menschliche Wille in Gott, als dem Erstguten, unwandelbar gefestigt ist (Kap. 166). Demnach wird das äußerste Elend des Menschen darin bestehen, dass sein Verstand des göttlichen Lichtes völlig beraubt ist, und dass sein Begehren und Streben sich hartnäckig von Gottes Güte abwendet; und darin besteht das eigentliche und hauptsächliche Elend der Verdammten, das wir als die Strafe des GottesverIustes bezeichnen. Nun kann aber, wie aus dem oben (Kap. 118) Gesagten hervorgeht, das Böse nie das Gute ganz ausschließen, vielmehr gründet alles Böse in irgend einem Guten. Es muss also selbst auch das äußerste Elend, welches den Gegensatz zur Glückseligkeit bildet, die von allem Übel frei ist, immerhin in irgend einem Gut der Natur gründen. Das Gut der vernünftigen Natur besteht aber darin, dass der Verstand sich auf das Wahre und der Wille sich auf das Gute richtet. Alles Wahre und alles Gute aber leitet sich ab von dem ersten und höchsten Gut, das Gott selbst ist. Deshalb muss der Verstand des Menschen, der sich in jenem äußersten Elend befindet, immerhin noch irgend eine Kenntnis von Gott haben, und auch irgend eine Liebe zu Gott; insofern dieser nämlich der Urgrund der natürlichen Vollkommenheit ist, die sich an den außergöttlichen Dingen findet. Das aber ist nicht eine bewusste und freigewollte, sondern nur eine in der Natur begründete Liebe (die Liebe als dunkler Naturdrang nach dem Guten und seiner ersten Quelle). Nicht aber besitzt er eine Liebe zu Gott, wie er in sich selbst ist (also zu Gott selbst); auch nicht insofern Gott der Urgrund der Tugenden, oder der Gnadengaben und überhaupt alles jenen Guten ist, wodurch die vernünftige Natur (in Übernatürlicher Weise) von ihm vervollkommnet wird, das ist die Vollkommenheit der Tugend (Gnade) und Glorie (1. q 60 a 5 ad 5).

Bei alledem besitzt der Mensch in diesem äußersten Elend noch seine Wahlfreiheit (seine Selbstbestimmung), obwohl er einen im Bösen unwandelbar fest begründeten Willen hat, ebenso wie auch die Seligen, obwohl auch bei ihnen der Wille unwandelbar fest im Guten begründet ist. Denn die Freiheit des Willens erstreckt sich eigentlich und streng genommen nur auf die Wahl; diese aber hat nur da statt, wo es sich um Mittel zum Ziele handelt.

Der letzte Endzweck aber wird von einem Jeden mit Naturnotwendigkeit angestrebt; deshalb streben alle Menschen eben wegen ihrer vernünftigen Natur, mit Naturnotwendigkeit die Glückseligkeit als letztes Endziel an, und das mit solcher Unwandelbarkeit des Willens, dass Keiner elend werden wollen kann. Das steht jedoch mit der Wahlfreiheit keineswegs in Widerspruch; denn diese erstreckt sich eben nicht auf das Ziel selbst, sondern nur auf die Mittel zum Ziel. Dass aber im Einzelnen der eine Mensch seine letzte Glückseligkeit in dieses besondere Gut, der andere aber in jenes setzt, das kommt dem Einen oder dem Andern nicht zu, insofern er Mensch ist (hierin sind ja beide gleich und nicht unterschieden); denn eben in dieser Wertschätzung (Anschauung) und in diesem Verlangen gehen die Menschen die verschiedensten Wege, - sondern das kommt einem Jeden insofern zu, als er in sich selbst irgend eine Verfassung besitzt (also auf Grund einer individuellen Neigung). Darunter verstehe ich, dass er durch eine Leidenschaft oder durch eine bestimmte dauernde Willensrichtung in einer bestimmten Verfassung sich befindet; ändert sich nun diese Leidenschaft oder Willensrichtung, dann erscheint ihm etwas Anderes als das Beste (als letztes Ziel, als höchste Glückseligkeit). Dies tritt am klarsten hervor bei jenen, welche in der Aufwallung der Leidenschaft etwas als das Beste (Begehrenswerteste) anstreben; legt sich aber die leidenschaftliche Aufregung - sei es des Zornes, oder der Wohllust, wieder, dann halten sie die Sache nicht mehr so gut, wie vorher. Die Willensrichtung, der Charakter, ist (im Gegensatz zur Leidenschaft) etwas weniger wandelbares; deshalb bleiben (in der Regel) die Menschen fester bei dem stehen, was sie auf Grund ihrer Charakterrichtung anstreben; immerhin kann aber auch hier, so lange ein Wechsel in der Gemüts- und Willensrichtung eintreten kann, auch ein Wechsel des Strebens, sowie der Anschauung des Menschen bezüglich des letzten Zieles eintreten. Von diesem Wechsel der Gemütsstimmung und Willensrichtung aber kann für den Menschen nur in diesem zeitlichen Leben die Rede sein, wo er sich noch im Zustand der Veränderlichkeit (der Wandelbarkeit) befindet. Denn die Seele ist nach diesem zeitlichen Leben keinem Wechsel und Wandel mehr unterworfen durch irgend welche Alteration, weil diese Art von Veränderung (nämlich der Wechsel der Gemütsstimmung) ihr nicht an sich, sondern nur indirekt, nämlich auf Grund eines Wechsels der im Körper (im leiblichen Organismus) vor sich ging, zu kommt. Nimmt nun zwar auch die Seele bei der Auferstehung den Leib wieder an sich, so ist sie doch nicht mehr abhängig von der Veränderung, die in ihrem leiblichen Sein vor sich geht, sondern es ist vielmehr das Gegenteil der Fall (der Leib richtet sich nach der Seele). Im gegenwärtigen Zustand nämlich wird die Seele dem Körper, der durch den Zeugungsakt schon begründet ist, eingegossen, und deshalb richtet sie sich ganz mit Recht nach den Veränderungen, die im Leib vor sich gehen (da ja diesem die Priorität beim Entstehen zukommt). Dort bei der Auferstehung aber wird der Leib mit einer vorher schon bestehenden Seele vereint, muss sich also ganz nach ihren Bedingungen richten (weil bei diesem zweiten Werden, der Seele die Priorität zukommt). Bei jenem Ziel (Zweck, Gegenstand) nun, den sich die Seele im Augenblick des Todes als letzten gewählt und bestimmt hat, wird sie für immer und ewig beharren, nach dem Wort der Schrift: "Ob nun der Baum nach Süden oder nach Norden gefallen ist, an dem Ort, wohin er gefallen, wird er sich befinden." (Koh 11, 3). Jener also, den der Tod in guter Verfassung antrifft, wird nach diesem zeitlichen Leben seinen Willen für immer und ewig im Guten fest haben; wenn er aber in sündhafter Geistesrichtung antrifft, der wird für immer und ewig im Bösen verstockt sein. Cg. IV, 95; 1 q 64 a 2; Suppl. q 101 a 1.

175. Kapitel: Nicht die Todsünden, wohl aber die lässlichen Sünden werden nach diesem Leben nachgelassen

Daraus ergibt sich, dass die Todsünden nach diesem Leben nicht nachgelassen werden, wohl aber die lässlichen. Denn die Todsünden vollziehen sich durch Abkehr vom letzten Ziel; in Bezug auf dieses aber erhält der Mensch unwandelbare Festigkeit nach dem Tod (so dass ein Wandel nicht mehr eintreten kann), wie soeben (Kap. 174) gesagt ward. Die lässlichen Sünden aber haben mit dem letzten Ziel nichts zu tun, sondern betreffen nur den Weg zum letzten Ziel hin.

Nun könnte man aber meinen, wenn der Wille der Bösen nach dem Tod hartnäckig im Bösen verstockt ist, so werden sie immer das als das Beste (Begehrenswerteste) anstreben, was sie früher, während ihres sündhaften Lebens, begehrten; sie werden also nicht bereuen, gesündigt zu haben. Denn Niemand empfindet Schmerz darüber, dass er Etwas erstrebt hat, was er für das Beste (Begehrenswerteste) hält. - Dem gegenüber ist zu bedenken, dass die zum äußersten Elend Verdammten, das was sie während des Erdenwandels als das beste erstrebten, nach dem Tod nicht mehr haben können: Denn dort ist den Wohllüstigen nicht mehr die Gelegenheit geboten zur Ausübung der Wohllust, noch dem Zornigen oder Neidigen die Gelegenheit, andere zu beleidigen oder ihnen Hindernisse zu bereiten (zu schaden), und so ist es mit jedem Laster der Fall. Auf der andern Seite sehen sie ein, dass jene, welche tugendhaft gelebt haben, das erreichten, was sie als das Beste begehrten. Es schmerzt also die Bösen, dass sie Sünden begangen haben, aber das nicht deshalb, weil etwa die Sünden ihnen missfielen; denn auch dort noch würden sie lieber, wenn es möglich wäre, diese Sünden begehen, als Gott besitzen (da ja ihr Wille von Gott abgekehrt ist); sondern deshalb, weil sie das, was sie erwählt haben, nicht haben können, und weil sie das, was sie nicht haben wollten, haben könnten. So bleibt ihr Wille einerseits für immer und ewig verstockt im Bösen, und doch empfinden sie andrerseits den heftigsten Schmerz über die begangene Schuld und über die verscherzte Glorie. Diesen Schmerz nennen wir die Gewissensbisse, die in der Schrift bildlich als Wurm bezeichnet werden nach dem Worte (Jes 66,24): "Ihr Wurm wird nicht sterben." - Suppl. q 101 a 2.

176. Kapitel: Die Leiber der Verdammten werden leidensfähig, aber unversehrt, jedoch ohne die Gaben der Verklärung sein

Wie sich bei den Heiligen die Seligkeit der Seele in gewissem Sinn auf den Körper überleitet (siehe oben Kap. 167 f.), so wird auch das Elend der Seele bei den Verdammten auf den Körper übergehen, jedoch so, dass das Elend das Gut der Natur vom Leib so wenig ausschließt als von der Seele. Demnach werden die Leiber der Verdammten ihre volle natürliche Integrität besitzen; es werden ihnen aber jene Bedingungen fehlen, die zur Glorie der Seligen gehören. Sie werden nicht durchgeistigt und leidensunfähig werden, sondern in ihrer Dichtigkeit und Leidensfähigkeit verharren, im Gegenteil, diese werden sich noch bei ihnen steigern; auch werden sie nicht leicht und rasch beweglich sein, sondern im Gegenteil von der Seele kaum zu tragen und zu bewegen; sie werden nicht in Schönheit verklärt, sondern hässlich und dunkel sein, so dass die Lichtlosigkeit und Hässlichkeit der Seele sich am Leib zeigt, nach dem Wort der Schrift (Jes 13,8): "Verbranntes Antlitz ist ihr Gesicht."Supp!. q 89.

177. Kapitel: Die Leiber der Verdammten werden zwar leidensfähig, aber unzerstörbar sein

Obwohl die Leiber der Verdammten leidensfähig sein werden, so werden sie doch keineswegs zerstört (vernichtet) werden. Dies scheint allerdings mit allen Erfahrungsgesetzen der Jetztzeit im Widerspruch zu stehen. Denn die Steigerung des Leidens bringt schließlich ein Ding um Sein und Bestand (führt die Vernichtung desselben herbei). Aber dort werden zwei Umstände dies hindern, dass ein für immer und ewig unaufhörlich fortdauerndes Leiden den leidensfähigen Leib doch nicht schließlich zerstört und vernichtet. Der erste ist der, dass mit dem Aufhören der Himmelsbewegung jeglicher Wechsel und Wandel im Naturganzen aufhören muss (siehe oben Kap. 171). Es kann also dort ein Ding nicht mehr eine natürliche Alteration (d. h. eine Einwirkung, welche eine Umänderung herbeiführt) erleiden, sondern nur eine seelische. Unter natürlicher Alteration aber verstehe ich den Umstand, dass ein Ding z. B. aus dem Zustand der Wärme in den der Kälte übergeht oder sonstwie eine wirkliche (tatsächliche) Umänderung seiner Eigenschaften erleidet; unter seelischer Alteration dagegen verstehe ich den Umstand, dass ein Wesen eine Qualität (Eigenschaft) nicht nach ihrem wirklichen (objektiven) Sein in sich aufnimmt, sondern nur nach ihrem geistigen Sein, wie z. B. die Pupille die rote Farbe in sich aufnimmt, nicht um selbst auch farbig (z. B. rot) zu werden (also diese Eigenschaft selbst an sich zu nehmen), sondern nur um die Farbe zu empfinden (wahrzunehmen, zu fühlen.) So werden auch die Leiber der Verdammten vom Feuer oder von was immer für einem körperlichen Agens leiden, nicht um etwa selbst in Feuer oder in einem feuerähnlichen Zustand überzugehen, sondern nur um die überwältigende Kraft seiner Eigenschaften zu empfinden; dies wird ihnen Schmerz bereiten, insofern diese überwältigende Kraft der Harmonie entgegensteht, worin das Angenehme der Sinneswahrnehmung besteht. Dennoch wird es den Leib nicht zerstören, weil die geistige Aufnahme der Eigenschaften eines anderen Körpers die Natur des Körpers selbst nicht umwandelt, außer höchstens zufällig, indirekt. Der zweite Grund liegt auf Seiten der Seele, deren unaufhörlicher Fortdauer auch dem Leib durch die göttliche Allmacht sich mitteilt; deshalb gibt die Seele des Verdammten, insofern sie die Wesensbestimmtheit und Natur dieses Körpers ist, ihm eine beständige Fortdauer; nicht aber gibt sie ihm auch zugleich die andere Eigenschaft, dass er leidensunfähig wird, eben weil sie selbst unvollkommen ist, d. h. nicht zur Vollendung gekommen ist, wie die Seelen der Heiligen. So leiden also diese Leiber fortwährend und werden doch nicht vernichtet. Suppl. q 89 a 2 u. 3.

178. Kapitel: Die Strafe der Verdammten tritt schon vor der Auferstehung ein

Aus dem bisher Gesagten ist ersichtlich, dass sowohl die Glückseligkeit, als auch das äußerste Elend hauptsächlich und in erster Linie in der Seele sich findet; und erst in zweiter Linie, und gewissermaßen aus der Seele sich ergießend, auch im Leib. Es hängt also Glückseligkeit wie Unglückseligkeit der Seele nicht ab von der Glückseligkeit oder Unglückseligkeit des Leibes, sondern es ist vielmehr das Gegenteil der Fall. Da nun die Seelen fortbestehen auch noch bevor sie ihren Leib wieder an sich nehmen, und zwar die einen so, dass sie die Seligkeit, die andern aber so, dass sie die Unglückseligkeit verdienen, so folgt, dass auch schon vor der Wiederannahme des Leibes in der Auferstehung ein Teil der Seelen die Seligkeit schon genießen, nach dem Wort des Apostels (2 Kor 5, 1): "Wir wissen, dass wenn dieses unser irdisches Wohnhaus aufgelöst wird, wir ein Gebäude von Gott empfangen, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, ein ewiges im Himmel"; und weiter unten (v. 8): "Ja festen Vertrauens sind wir, und haben gute Lust, vielmehr abwesend vom Leib und gegenwärtig bei dem Herrn zu sein." Der andere Teil der Seelen aber wird schon in der Unglückseligkeit leben, nach dem Wort der Schrift (Lk 16, 22): "Es starb der Reiche und ward in der Hölle begraben." Cg. IV, 91; Suppl. q 69 a 2.

  • Es ist Dogma, dass die Seligkeit wie die Verdammnis für die Seele sofort nach dem Tod, nicht erst nach der allgemeinen Auferstehung, eintritt. Benedict XII. Konstitution "Benedictus Deus" (1336) und Florentinum, Unionsdekret.

179. Kapitel: Die Strafen der Verdammten bestehen in Übeln sowohl auf geistigem wie auf körperlichem Gebiet

Die Glückseligkeit der heiligen Seelen wird (auch wenn sie im Körper sein werden) nur in geistigen Gütern bestehen (siehe oben Kap. 163); die Strafen der verdammten Seelen werden auch schon vor der Auferstehung nicht bloß in geistigem Elend bestehen, wie Manche meinten, sondern sie werden auch Strafen, die dem körperlichen Gebiet entnommen sind, erleiden. Der Grund dieser Verschiedenheit ist der, dass die Seelen der Heiligen, während sie in dieser Welt mit dem Leib geeint waren, ihre erhabene Stellung wahrten, indem sie sich nicht unter die körperlichen Dinge durch Missbrauch der Kreatur erniedrigten, sondern nur allein Gott sich unterwarfen, in dessen Genuss ihre ganze Seligkeit besteht, nicht aber in irgend welchen körperlichen Dingen. Die Seelen der Bösen aber wahrten nicht die Ordnung der Natur, erniedrigten sich in ihrem Begehren unter die körperlichen Dinge, mit Verachtung der göttlichen und geistigen Dinge. Es ist darum nur konsequent, dass sie bestraft werden, nicht bloß durch Entzug der geistigen Güter, sondern auch dadurch, dass sie unter die körperlichen Dinge erniedrigt werden.

Wenn also in der Hl. Schrift sich Aussprüche finden; welche den heiligen Seelen Wiedervergeltung in körperlichen Gütern verheißen, so sind sie im geistigen Sinne auszulegen, wie es ja überhaupt Schriftgebrauch ist, Geistiges unter dem Bild des Körperlichen zu bezeichnen. Jene Aussprüche hingegen, welche den Seelen der Verdammten körperliche Strafen ankündigen, wie z. B. dass sie vom Höllenfeuer gepeinigt werden, sind im wörtlichen Sinne zu nehmen.

180. Kapitel: Wie die Seele durch körperliches Feuer Schmerz erleiden kann

Es könnte nun Mancher es für widersinnig halten, dass die vom Leib getrennte Seele durch körperliches Feuer Schmerz erleiden könne. Dem gegenüber ist wohl zu bedenken, dass es an sich nicht der Natur eines geistigen Wesens widerstreitet, an einen Körper gebunden zu sein. Dies geschieht sowohl auf dem Gebiet der Natur, wenn sich die Seele mit dem Leib vereinigt, als auch auf dem Gebiete der Magie, durch welche ein Geist in Figuren, Ringe und dergleichen Dinge gebannt wird. Es kann also gewiss durch die göttliche Allmacht geschehen, dass manche geistige Wesen, obwohl sie ihrer Natur nach über alles Körperliche erhaben sind, mit bestimmten Körpern verbunden werden, wie z. B. mit dem Höllenfeuer; allerdings nicht zu dem Zweck, dass sie dieses beleben und beherrschen, sondern nur dazu, dass sie an dasselbe einfach gebannt sind, und schon diese Wahrnehmung des geistigen Wesens, dass es unter eine tief unter ihr stehende Kreatur erniedrigt ist, ist für dasselbe ein großer Schmerz. Insofern also diese Wahrnehmung des geistigen Wesens schmerzt, bewahrheitet sich das Wort, dass die Seele schon einfach dadurch, dass sie wahrnimmt, denkt, sie sei im Feuer, Feuerpein erleide; sowie, dass jenes Feuer geistiger Natur sei; denn das was unmittelbar der Seele Schmerz bereitet, ist das Feuer insofern es wahrgenommen und aufgefasst wird als Bannmittel für die Seele.

Insofern aber andrerseits das Feuer, an welches die Seele gebannt ist, etwas Körperliches ist, bewahrheitet sich das Wort Gregors (d. Gr.), dass die Seele nicht bloß durch Schauen (Denken), sondern auch durch Empfinden Feuerpein leidet. Weil ferner jenes Feuer nicht kraft seiner Natur, sondern kraft der göttlichen Allmacht die Eigenschaft besitzt, dass es ein geistiges Wesen festbannen kann, so sagen Manche mit Recht, jenes Feuer wirke auf die Seele ein als Werkzeug der göttlichen Strafgerechtigkeit; das nicht in dem Sinn, als bestünde das Einwirken auf ein geistiges Wesen in Erhitzen, Austrocknen und Auflösen, wie dies beim Einwirken des Feuers auf körperliche Gegenstände der Fall ist, sondern einfach in dem oben geschilderten Festbannen. Und weil das nächste, was dem geistigem Wesen Schmerz bereitet, die geistige Auffassung des Feuers als Fesselung zur Strafe ist, so kann man leicht einsehen, dass der Schmerz dadurch keineswegs aufhört, dass das geistige Wesen stundenweise nicht an das Feuer gefesselt ist. So fühlt Jemand, der zur ewigen Kettenstrafe verurteilt ist, fortwährend Trauer hierüber, wenn er auch einmal für eine Stunde von der Fessel frei würde. Cg. IV, 90; Suppl. q 70 a 3; q 100 a 5 u. 6.

181. Kapitel: Nach diesem Leben gibt es Reinigungsstrafen, welche nicht ewig dauern, zum Abbüßen der Strafen für die schweren Sünden

Obwohl nun ein Teil der Seelen sogleich, da sie vom Körper scheiden, die ewige Seligkeit erlangen (siehe oben Kap. 178), so wird doch dagegen ein anderer Teil von der Erlangung derselben einige Zeit zurückgehalten. Es kommt nämlich vor, dass Manche für Sünden, die sie begangen, aber schließlich doch bereut haben, die gebührende Buße in diesem zeitlichen Leben nicht verrichtet haben. Weil es nun ein Gesetz der göttlichen Gerechtigkeit ist, dass für die Schuld Strafe eintrete, so muss man behaupten, dass die Seelen nach diesem Leben jene Buße leisten, die sie in dieser Welt nicht geleistet haben; das jedoch nicht in der Art, dass sie hierbei bis in die äußerste Unglückseligkeit der Verdammten kämen; denn sie sind ja durch die Buße wieder in den Stand der Liebe (in den Stand der Gnade) zmückgeführt, durch die sie Gott als dem letzten Endziel anhängen und so das ewige Leben verdient haben. Es muss also nach diesem Leben Reinigungsstrafen geben, durch welche die nicht geleistete Buße nachträglich noch geleistet wird. Suppl. q 72 a 1; Cg. IV, 91.

182. Kapitel: Es gibt Reinigungsstrafen auch für lässliche Sünden

Es kommt auch vor, dass Manche aus diesem Leben scheiden ohne Todsünde, wohl aber mit lässlicher Sünde behaftet. Durch diese sind sie zwar vom letzten Ziel nicht abgewendet, haben aber immerhin dadurch gefehlt, dass sie von den Mitteln zum Ziel in unordentlicher Weise Gebrauch machten (sich ihnen unordentlich zuneigten). Diese Sünden nun werden bei manchen Männern von großer Vollkommenheit durch die Glut und den Eifer der Liebe ausgetilgt. Bei andern aber ist zur Austilgung derselben eine Strafe notwendig; denn das ewige Leben kann nur der erlangen, der von allen Sünden und Fehlern frei ist. Wir müssen also Reinigungsstrafen nach diesem Leben annehmen. Diese Strafen aber haben ihren reinigenden Charakter durch die Seelenverfassung jener, welche sie erdulden; denn diese besitzen die Liebe, durch welche sie ihren Willen dem göttlichen gleichförmig machen, und kraft dieser Liebe gereichen die Strafen die sie erleiden, ihnen zur Reinigung. Deshalb haben umgekehrt die Strafen bei jenen, welche die Liebe nicht besitzen, wie bei den Verdammten, keine reinigende Kraft; sondern bei ihnen bleibt immer das Elend der Sünde zurück und darum dauert auch die Strafe immer fort. Suppl. q 72 a 2. 4 u. 5; Cg. III, 143.

183. Kapitel: Das Erleiden ewiger Strafe für eine zeitliche Schuld widerstreitet nicht der göttlichen Gerechtigkeit

Es steht nun mit dem Begriff und Wesen der göttlichen Gerechtigkeit nicht im Widerspruch, dass jemand eine ewig dauernde Strafe erleide; denn auch die menschlichen Gesetze verlangen nicht, dass das Zeitmaß der Strafe dem der Schuld entspreche. Denn für das Verbrechen des Ehebruches oder Mordes, das in kurzer Zeit sich vollzieht, verhängt das menschliche Gesetz bisweilen die Strafe der Verbannung oder selbst die Todesstrafe, wodurch Jemand für immer aus der staatlichen Gesellschaft ausgeschlossen wird; und wenn die Verbannung nicht ewig fortdauert, so ist das nur zufälliger Weise, weil nämlich auch das diesseitige menschliche Leben nicht ewig dauert; aber die Absicht des Richters ist immerhin darauf gerichtet, dass er ihn soweit es bei ihm steht, für immer straft (ihm eine immerdauernde Strafe auferlegt). Darum ist es auch nicht ungerecht, wenn Gott für eine Sünde, die nur einen Augenblick dauerte, und die etwas Zeitliches ist, eine ewige Strafe verhängt. Sodann muss man wohl beachten, dass nur jenem Sünder eine ewige Strafe auferlegt wird, der seine Sünde nicht bereut, und so in derselben bis zum Tod verharrt. Da er also in der ihm zur Verfügung stehenden Ewigkeit (in seiner Immerfortdauer bis zum Tod) sündigt, so wird er mit Recht von Gott auf ewig bestraft. Zudem besitzt jede gegen Gott begangene Sünde eine gewisse Unendlichkeit von Seiten Gottes, gegen den sie begangen wird. Denn je höher die Person ist, gegen die man sündigt, desto schwerer ist die Sünde; so wird eine Ohrfeige, die man einem Ritter gibt, für schwerer gerechnet, als wenn man sie einem Bauern gäbe, und für noch schwerer, wenn man diese Beleidigung einem Fürsten oder König zufügte. Da nun Gott unendlich erhaben ist, so ist die ihm zugefügte Beleidigung im gewissen Sinn unendlich, also gebührt ihr eine im gewissen Sinn unendliche Strafe. Nun kann die Strafe nicht unendlich sein ihrem InhaIt nach, also in Bezug auf ihre Härte und Schärfe; denn nichts Geschaffenes (- und dazu gehört auch die Strafe) kann in diesem Sinn unendlich sein; also folgt, dass der Todsünde eine Strafe gebührt, die wenigstens der Dauer nach unendlich ist.

Über Jenen ferner, bei welchem noch Aussicht auf Besserung besteht, wird eine zeitliche Strafe verhängt, um ihn zu bessern und zu reinigen; ist aber Jemand unverbesserlich in der Sünde und sein Wille verhärtet im Bösen, wie dies oben (Kap. 174) von den Verdammten behauptet ward, so kann seine Strafe kein Ende nehmen. Suppl. q 102 a 1; Cg. III, 143 u. 144.

184. Kapitel: Das Gesagte gilt, wie von den Seelen, so auch von allen übrigen geistigen Wesen

Nun hat der Mensch mit den Engeln die vernünftige Natur gemein, und es kann auch bei diesen so gut wie bei den Menschen die Sünde eintreten, wie oben (Kap. 112) gezeigt ward; also gilt alles, was von Strafe wie Glorie der Seelen gesagt ward, in gleicher Weise auch von der Glorie der guten, sowie von der Strafe der bösen Engel.

Nur besteht zwischen Mensch und Engel der Unterschied, dass die menschlichen Seelen die Befestigung des Willens im Guten sowie die Verstockung im Bösen erst dann haben, wenn sie sich vom Leib trennen (siehe oben Kap. 174); die Engel hingegen erhielten diese Befestigung sofort im ersten Augenblick, da sie mit überlegtem Willensentschluss entweder Gott als letztes Ziel erfassten, oder etwas Geschaffenes - und von da an trat sofort bei ihnen der Zustand der Seligkeit oder Unglückseligkeit ein. Bei den menschlichen Seelen kann nämlich der Grund der Wandelbarkeit nicht bloß die Freiheit des Willens sein, sondern auch ein Wechsel und Wandel, der auf körperlichem Gebiet vor sich geht; bei den Engeln aber ist der einzige Grund der Wandelbarkeit des Willens eben die Willensfreiheit. Deshalb erreichen die Engel auf Grund ihrer ersten Wahl schon die Unwandelbarkeit, die Seelen aber erst dann, wenn sie vom Leib geschieden sind. Um nun die Belohnung der Guten anzudeuten, heißt es im apostolischen Glaubensbekenntnis: "ein ewiges Leben." Dieses ist als ewig zu fassen nicht so fest wegen der immerwährenden Dauer, sondern vielmehr wegen der Teilnahme und des Genusses der Ewigkeit selbst. Weil jedoch bezüglich dieses Gegenstandes noch manches andere mit dem Glauben festzuhalten ist, wie was wir über die Strafen der Verdammten, über den Endzustand der Welt gesagt haben, so heißt es, um all dies in Eins zusammenzufassen, im Glaubenssymbol der Väter: "ein Leben der zukünftigen Welt." Denn die zukünftige Welt fasst eben all das in sich. -

185. Kapitel: Vom Glauben an die Menschheit Christi

Wie Eingangs bemerkt ward, beschäftigt sich der christliche Glaube vor allem mit zwei Hauptstücken, nämlich mit der Gottheit der Dreieinigkeit und mit der Menschheit Christi. Es erübrigt uns also, nachdem wir das auf die Gottheit und ihre Werke Bezügliche behandelt haben, noch das zu behandeln, was auf die Menschheit Christi Bezug hat. Weil nun, nach dem Wort des Apostels (1 Tim 1, 15); "Christus Jesus in diese Welt kam, um die Sünder zum Heil zu bringen", ist noch kurz vorauszuschicken, wie das menschliche Geschlecht in die Sünde fiel, und so wird sich dann klarer zeigen, wie durch Christi Menschheit die Menschen von der Sünde erlöst werden.

186. Kapitel: Von den Geboten, die dem ersten Menschen gegeben wurden, und von seiner Vollkommenheit in jenem Erstzustand

Wie oben (Kap. 143) bemerkt ward, bestand der ursprüngliche Zustand des Menschen darin, dass der Leib der Seele völlig untertan war; die einzelnen Teile der Seele selbst wieder waren so geordnet, dass die niederen Kräfte ohne Widerstand der Vernunft gehorchten, die Vernunft selbst aber hingegen unter Gott sich beugte. Diese völlige Unterordnung des Leibes unter die Seele aber hatte zur Folge, dass auf dem leiblichen Gebiet des Menschen kein Leiden entstehen konnte, das der Oberherrschaft der Seele über den Leib entgegen war; deshalb konnte weder Tod noch Krankheit beim Menschen Platz greifen. Die Unterordnung der niederen Seelenkräfte unter die Vernunft so dann war die Ursache einer allseitigen Ruhe und Harmonie des Geistes, weil die menschliche Vernunft durch keinerlei ungeordnete Leidenschaft getrübt ward. Die Unterordnung des menschlichen Willens unter Gott endlich bewirkte, dass der Mensch Alles auf Gott als das letzte Ziel hin bezog; und hierin bestand seine Gerechtigkeit und Unschuld. Von dieser dreifachen Unterordnung aber war die letzte die Ursache aller übrigen.

Denn es liegt an sich nicht in der Natur des Körpers, wenn wir Rücksicht nehmen auf die Teile, aus denen er sich zusammensetzt, dass bei ihm keine Auflösung oder überhaupt kein das Leben gefährdendes Leiden eintreten konnte; denn er setzt sich ja aus heterogenen Elementen zusammen (siehe oben Kap. 152). Sodann liegt es auch nicht in der Natur der Seele, dass selbst die Sinneskräfte widerspruchslos der Vernunft gehorchen; denn die Sinneskräfte streben naturgemäß (kraft der Einrichtung ihrer Natur) dem sinnlich Angenehmen zu, dessen Genuss sehr oft dem von der Vernunft gesetzten Maß widerspricht. Diese allseitige Unterordnung war also das Werk einer höheren Kraft, nämlich der Gottes. Wie er die vernünftige Seele mit dem Leib verband, die das ganze körperliche Gebiet, wie alle körperlichen Kräfte, zu denen auch die Sinneskräfte gehören, weit übersteigt: so gab er eben dieser vernünftigen Seele auch die Kraft, dass sie den Körper über seine natürliche Verfassung hinaus im Sein und Leben erhalten konnte, sowie auch die Fähigkeit, dass sie die Sinneskräfte in einer Weise im Zaum hielt, wie es der vernünftigen Seele entspricht. Sollte nun die Vernunft alles unter ihr Stehende fest in ihrer Gewalt behalten, so musste sie selbst hingegen sich unerschütterlich unter Gottes Oberhoheit halten, von dem sie diese Kraft hatte, die ihre Natur überstieg. Der Mensch befand sich also in der Lage, dass, so lange seine Vernunft sich nicht der Herrschaft Gottes entzog, - auch sein Leib sich nicht der Oberherrschaft der Seele entziehen konnte, noch auch seine Sinneskräfte dem vernunftmäßigen Handeln; es bestand also für ihn ein im gewissen Sinn unsterbliches und leidensunfähiges Leben; weil er weder sterben, noch leiden konnte, so lange er nicht sündigte. Sündigen aber konnte er, weil sein Wille noch nicht befestigt war im Guten durch Erreichung des letzten Zieles und insofern bestand für ihn noch die Möglichkeit, sterben und leiden zu können. Hierdurch unterscheidet sich die Leidensunfähigkeit und Unsterblichkeit, welche der erste Mensch besaß, von jener, welche die Heiligen bei der Auferstehung haben werden. Letztere können nie mehr leiden noch sterben, da ihr Wille unwandelbar fest auf Gott gerichtet ist (siehe oben Kap. 166). Es bestand aber auch noch ein anderer Unterschied. Nach der Auferstehung machen die Menschen keinen Gebrauch mehr von Speise und Trank, sowie vom Geschlechtsverkehr (Kap. 156). Der erste Mensch aber befand sich in der Notwendigkeit, sein Leben durch Nahrung fortzuerhalten, sowie die Erzeugungstätigkeit zu pflegen, um das Menschengeschlecht aus dem Einen zu vervielfältigen. Deshalb erhielt er für diesen doppelten Zweck bei seiner Erschaffung zwei Gebote: Auf den ersten Zweck bezieht sich das Wort (Gen 2, 16): "Von allen Bäumen, die im Paradiese sind, iss"; auf den zweiten das Gebot (Gen 1, 28): "Wachst und mehrt euch und erfüllt die Erde." 1. q 94. 95-97. 98.

187. Kapitel: Jener vollendete Zustand heißt ursprüngliche Gerechtigkeit. Vom Ort, an dem der erste Mensch sich befand

Dieser so geordnete Zustand des Menschen wird ursprüngliche (urständliche) Gerechtigkeit genannt. Durch sie war er selbst dem, der über ihm war - Gott - untergeben, während umgekehrt Alles, was unter ihm stand, ihm unterworfen war; so wird denn von ihm gesagt, dass "er herrsche über die Fische des Meeres und über das Geflügel des Himmels" (Gen 1, 26). Von den Teilen seines eigenen Wesens war ebenso der niedere dem höheren ohne Widerstand untergeben. Diesen Zustand hatte der erste Mensch aber nicht etwa als Einzelperson (für sich allein) erhalten, sondern als erstes Prinzip der gesamten menschlichen Natur (als derjenige, von welchem sich die gesamte menschliche Natur als ihrem ersten Anfang auf dem Wege der Zeugung herleiten sollte): so dass derselbe von ihm zugleich mit der menschlichen Natur auf alle Nachkommen wäre übergeleitet worden. - Weil nun jedem Wesen auch der seiner Verfassung entsprechende Ort gebührt, erhält der in solcher Harmonie begründete Mensch zum Aufenthalt einen Ort angewiesen, an dem eine harmonische Temperatur herrschte und der ihm Lust und Freude bereitete. So herrschte nicht nur im Innern des Menschen völlige Ruhe, sondern auch alle Belästigung von außen blieb ihm erspart. 1 q 100 u. 102.

188. Kapitel: Vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen, und von dem ersten Gebote, das dem Menschen gegeben ward

Der genannte Zustand des Menschen hing also von der Bedingung ab, dass der menschliche Wille sich Gott unterwerfe. Damit nun der Mensch gleich von Anfang an sich daran gewöhne, Gottes Willen zu erfüllen, gab Gott dem Menschen Gebote; nämlich dass er von allen übrigen Bäumen des Paradieses essen sollte, verbot ihm aber unter Androhung des Todes, vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen etwas zu genießen. Das Genießen von diesem Baum ward nicht etwa deswegen verboten, weil es etwas in sich und an sich Schlechtes gewesen wäre, sondern nur zu dem Zwecke, dass der Mensch wenigstens in der geringfügigen Sache etwas beobachten sollte, auf den einen Grund hin, dass es eben von Gott befohlen sei. Der Genuss dieses Baums ward also allein deshalb etwas Schlechtes, Sündhaftes, weil er eben verboten, nicht aber, als ob er in sich etwas Böses gewesen wäre. Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen ward aber jener Baum genannt, nicht als hätte er etwa eine Kraft besessen, Erkenntnis zu erzeugen, sondern nur wegen des Ausganges der Prüfung des Menschen, die an diesen Baum sich knüpfte; dass nämlich der Mensch dadurch, dass er von ihm aß, durch eigene Erfahrung kennen lernte, welch ein Unterschied bestehe zwischen dem Gut des Gehorsams und dem Übel des Ungehorsams.

189. Kapitel: Von der Verführung Evas durch den Teufel

Der Teufel, der schon gesündigt hatte, sah nun, dass der Mensch derart gestellt war, dass er zur ewigen Glückseligkeit, die er selbst verloren hatte, gelangen, andrerseits aber auch sündigen konnte. Er machte also den Versuch, ihn von der Gerechtigkeit abzubringen, und richtete zu dem Zweck seinen Angriff auf den schwächeren Teil des Menschen, indem er die Frau versuchte, in welcher die Gabe oder das Licht der Weisheit weniger stark war. Um sie leichter zur Übertretung des Gebotes zu bringen, nahm er ihr durch eine Lüge die Furcht vor dem Tod, und versprach ihr solche Dinge, die der Mensch von Natur aus begehrt, nämlich Überwindung des Nichtwissens, mit den Worten: "Eure Augen werden sich auftun"; sodann hohe Würde, indem er sagte: "Ihr werdet sein wie die Götter"; und endlich vollkommenes Wissen, mit den Worten: "Erkennend Gutes wie Böses" (Gen 3, 5). Denn der Mensch hat was seinen Verstand betrifft - von Natur aus einen Widerwillen gegen das Nichtwissen (die Unwissenheit) und verlangt nach Wissen; was aber seinen Willen betrifft, der von Natur aus frei ist, so verlangt er nach Hoheit und Vollkommenheit, um Niemand, oder wenigstens so Wenigen als möglich, unterworfen zu sein.

190. Kapitel: Wodurch die Frau verführt ward

Die Frau erhielt nun ein Verlangen nach der versprochenen Hoheit wie zugleich nach der Vollkommenheit des Wissens. Hinzu kam noch die Schönheit und Lieblichkeit der Frucht, die zum Genuss einlud, und so machte sie sich nichts aus der Furcht des Todes, übertrat das Gesetz Gottes und aß von dem verbotenen Baum. So findet sich in ihrer Übertretung eine mehrfache Sünde. Erstens die des Hochmutes, indem sie Hoheit in ungeordneter Weise anstrebte, zweitens die der Neugierde, indem sie nach einem Wissen über die ihr gesteckten Grenzen hinaus verlangte; drittens die der Unmäßigkeit, indem sie durch die Lieblichkeit der Speise sich zum Genuss hinreißen ließ; viertens die des Unglaubens durch eine falsche Vorstellung von Gott, indem sie den Worten des Teufels, der gegen Gott sprach, Glauben schenkte; fünftens endlich die des Ungehorsams, indem sie das Gebot Gottes übertrat. 2. 2. q 163 a 1.

191. Kapitel: Wie die Sünde auf den Mann überging

Auf die Überredung der Frau hin ging die Sünde auch auf den Mann über, der aber, wie der Apostel (1 Tim 2, 14) sagt, "nicht verführt ward" wie die Frau, in der Hinsicht nämlich, dass er den Worten des Teufels, der gegen Gott sprach, etwa Glauben geschenkt hätte. Denn das konnte ihm nicht in den Sinn kommen, dass Gott etwas lügenhaft angedroht habe, noch auch, dass er etwas, was nützlich ist, ohne irgend welchen Grund einfach verboten habe. Aber er ließ sich immerhin durch das Versprechen des Teufels ködern, indem er Hoheit und Wissen in ungeordneter Weise begehrte. Da auf diese Weise sein Wille sich von der Gerechtigkeit abwandte, folgte er, um seiner Frau zu willen zu sein, diesem in der Übertretung des göttlichen Gebotes nach, und aß von der Frucht des verbotenen Baumes. 2. 2. q 163 a 4.

192. Kapitel: Von der Empörung der niederen Seelenkräfte gegen die Vernunft als Folge der Sünde

Weil nun die so harmonische Unversehrtheit dieses Zustandes einzig und ganz abhing von der Unterordnung des menschlichen Willens unter Gott, so war die unmittelbare Folge, dass, sobald der menschliche Wille sich der Unterordnung unter Gott entzog, auch jene vollkommene Unterwerfung der niederen Seelenkräfte unter die Vernunft, sowie die des Leibes unter die Seele überhaupt verloren ging. So kam es dann, dass der Mensch in seinem niederen sinnlichen Begehrungsvermögen ungeordnete Regungen der Lust, des Zornes und der übrigen Leidenschaften fühlte, die nicht der Vernunft entsprechend, sondern ihr vielmehr entgegen waren, und sie großenteils (trübten) verdunkelten und gewissermaßen verwirrten; und das ist jener Widerstreit des Fleisches gegen den Geist, von dem die Schrift (Gal 5, 17) spricht. Weil nämlich das sinnliche Begehrungsvermögen, wie überhaupt alle übrigen Sinneskräfte durch ein körperliches Organ ihre Funktionen ausüben, die Vernunft hingegen ohne ein solches, so wird, was ins Gebiet des sinnlichen Begehrungsvermögens fällt, dem Fleisch, was aber in das der Vernunft fällt, dem Geist zugeschrieben; wie man ja als geistige Wesen jene bezeichnet, die von allem Leiblichen frei und los sind. 1. 2. q 83 a 3.

193. Kapitel: Die Notwendigkeit zu sterben als Strafe der Sünde

Eine weitere Folge war, dass auch der Leib das Verderben fühlte, und so kam der Mensch in die Notwendigkeit, zu sterben, da die Seele nicht mehr im Stand war, den Leib für immer unter ihrer Botmäßigkeit zu halten und ihm das Leben zu spenden. So ward der Mensch leidensfähig und sterblich, nicht aber in dem Sinn, wie früher, dass er bloß die Möglichkeit besaß, zu leiden und zu sterben, sondern dass er in die Notwendigkeit hierzu versetzt ward. 1. 2. q 85 a 5.

194. Kapitel: Die übrigen Mängel auf dem Gebiet des Verstandes und Willens

Noch viele andere Mängel ergaben sich für den Menschen. Da einerseits im niederen Begehrungsvermögen die ungeordneten Regungen der Leidenschaften überhand nahmen, andrerseits zugleich in der Vernunft das Licht der Weisheit abnahm, wodurch der Wille, so lange er Gott untergeben war, von Gott erleuchtet wurde - so erniedrigte der Mensch sein Begehren unter die sinnfälligen Dinge, und verfiel so, von Gott abirrend, in viele Sünden. Weiterhin unterwarf er sich auch den unreinen Geistern, da er glaubte, diese würden ihm in diesem sündhaften Tun, wie im Erwerb der irdischen, hinfälligen Dinge Hilfe und Beistand gewähren; und aus dieser Quelle ging für das Menschengeschlecht die Abgötterei und die verschiedensten Arten von Sünden hervor. Je mehr der Mensch in dieses Verderben sich hineinziehen ließ, desto mehr entfernte er sich von der Erkenntnis und dem Verlangen nach den geistigen und göttlichen Gütern.

195. Kapitel: Vererbung dieser Mängel auf die Nachkommen

Dieses Gut der ursprünglichen Gerechtigkeit war dem Menschengeschlecht im ersten Menschen in der Weise verliehen, dass es durch ihn auf die Nachkommen vererbt werden sollte. Da nun mit der Ursache zugleich auch die Wirkung fällt, so wurden, nachdem der erste Mensch dieses Gutes durch seine eigene Sünde beraubt war, auch alle seine Nachkommen desselben verlustig und so traten forthin, nämlich nach der Sünde des Stammvaters, alle ohne die ursprüngliche Gerechtigkeit, sowie mit den (aus ihrer Abwesenheit sich ergebenden) Mängeln ins Dasein. Dies verstößt nicht gegen Gerechtigkeit, als wenn Gott etwa an den Kindern strafen würde, was der Stammvater sich zu Schulden kommen ließ. Denn diese Strafe besteht eben in nichts Anderem, als in der Entziehung dessen, was über die Ansprüche seiner Natur hinaus durch Gottes freie Huld dem ersten Menschen verliehen war und zwar so, dass er es auf die andern überleiten (vererben) sollte. Die Andern also hatten darauf keinen Anspruch, als nur insofern, als es durch den Stammvater auf sie übergehen sollte (nicht aber so, als ob es zu ihrer eigenen Natur und Persönlichkeit gehörte).

Das ist ähnlich, wie wenn der König einem Ritter ein Lehen gibt, das durch ihn auf seine Erben übergehen soll; verfehlt sich nun der Ritter gegen den König derart, dass er nach dem Recht das Lehen verliert, so kann es nicht mehr auf seine Erben übergehen; es erleiden so die Nachkommen nicht mit Unrecht, sondern nach dem Rechte einen Verlust durch die Schuld ihres Stammvaters. Cg. IV, 52 ad 1 m.

196. Kapitel: Über den Schuldcharakter des Mangels der ursprünglichen Gerechtigkeit bei den Nachkommen Adams

Es bleibt nun die noch schwierigere Frage zu lösen, ob nämlich der Mangel der ursprünglichen Gerechtigkeit bei jenen, die vom ersten Menschen abstammen, den Charakter der Schuld haben kann. Zum Begriff und Wesen der Schuld gehört nun, wie oben (Kap. 120) gesagt ward, dass das Böse (das Übel), das als schuldbar bezeichnet wird, in der Gewalt dessen stehe, dem es zur Schuld angerechnet wird. Denn Niemanden rechnet man Etwas als Schuld an, dessen Tun oder Unterlassen nicht bei ihm steht. Nun steht es nicht in der Gewalt dessen, der geboren wird, ob er mit der ursprünglichen Gerechtigkeit geboren werde, oder ohne dieselbe; also scheint es, dass dieser Mangel nicht den Charakter der Schuld für den Betreffenden an sich tragen könne.

Diese Schwierigkeit löst sich leicht, wenn man unterscheidet zwischen Person und Natur. Wie an ein und derselben Person es viele Glieder gibt, so gibt es in ein und derselben menschlichen Natur viele Personen; es kann also die Vielzahl der Menschen, eben weil sie alle an ein und derselben Natur Teilhaben, als ein einziger Mensch betrachtet und angesehen werden, wie Porphyrius (de Specie) sagt. Bei der Sünde des einzelnen Menschen nun werden durch verschiedene Glieder verschiedene Sünden ausgeübt, und es ist nicht, um diesem Tun den Schuldcharakter zu verleihen, erforderlich, dass die einzelnen Sünden freiwillig seien durch den freien Willen der Glieder, mit denen sie ausgeübt werden, sondern nur durch den Willen dessen, was im Menschen das Vorzüglichste und Erste ist, nämlich des vernünftigen Teiles in ihm. Denn die Hand kann nicht (humano modo) zuschlagen und der Fuß nicht voranschreiten, außer der Wille befiehlt es. So ist es nun bei der Erbsünde zu denken. Der Mangel der ursprünglichen Gerechtigkeit ist eine Sünde (nicht der Einzelperson als solcher, sondern) der Natur, insofern die Sünde sich ableitet aus dem ungeordneten (bösen, verkehrten) Willen des ersten (grundlegenden) Prinzips in der gesamten menschlichen Natur (also dessen, aus dem die gesamte menschliche Natur herauswächst als ihrer Wurzel), nämlich des Stammvaters des Menschengeschlechtes; und so trägt dieser Mangel den Charakter der Freiwilligkeit (und folglich der Schuld) an sich, wenn man Rücksicht nimmt auf die Natur; es ist nämlich freigewollt durch den Willen des ersten Prinzips (der Wurzel) der Menschennatur; und so geht dieser schuldbare Mangel auf alle jene über, die von ihm die menschliche Natur (auf dem Weg der Abstammung durch Zeugung) empfangen, gerade so, als wenn diese Nachkommen seine Glieder wären (alle Menschen sind GIieder ein und desselben Menschengeschlechtes, in welchem Adam das Prinzip, die Wurzel ist, wie alle Blätter eines Baumes aus der Wurzel sich ableiten).

Deshalb wird diese Schuld auch Ursprungssünde (Erbsünde) genannt, weil sie (nicht durch eine Tat des Einzelnen, sondern einfach) durch den Ursprung vom Stammvater auf die Nachkommen übergeleitet (vererbt) wird. Während also alle anderen Sünden, nämlich die persönlich vom Einzelnen begangenen, unmittelbar die sündigende Person berühren, berührt diese Sünde unmittelbar die Natur (und erst hierdurch die Person). Der Stammvater nämlich verdarb durch seine Sünde die Natur, und die so verdorbene Natur verdirbt dann auch die Person der Kinder, die vom Stammvater diese (verdorbene) Natur erhalten.

(Dieser Vergleich des hl. Thomas ist bloß verständlich unter der Voraussetzung eines realen Unterschiedes von Person und Natur.) 1. 2. q 81 a 1. Cg. IV, 52.

197. Kapitel: Nicht alle Sünden gehen auf die Nachkommen über

Daraus folgt aber noch nicht, dass auch alle übrigen Sünden des Stammvaters oder der andern Menschen auf die Nachkommen übergehen. Die erste Sünde des Stammvaters nahm ein für allemal hinweg das ganze Gut, das über die Natur hinaus (als Übernatürliche Gabe) in die menschliche Natur hineingelegt und der Person des Stammvaters verliehen war; und in diesem Sinne sagt man von ihm, er habe die Natur verdorben oder krank gemacht. Alle folgenden Sünden nun finden nichts mehr vor, was sie der menschlichen Natur in ihrer Gesamtheit entziehen könnten, sondern sie nehmen oder vermindern dem Menschen (nicht ein Gesamtgut der ganzen Menschennatur, sondern) nur ein Einzelgut, nämlich etwas seiner Person (im Gegensatz zur Natur) zugehörendes, und verderben die Natur (nicht an sich und in ihrer Gesamtheit, als Ganzes, sondern) nur insofern und insoweit sie dieser oder jener Einzelperson angehört. Der Mensch aber erzeugt nicht Einen, der ihm ähnlich (oder gleich) ist in der Person (im persönlichen Sein, - denn dadurch ist ja eben der Eine von dem Andern unterschieden), sondern in der Natur (homo generat sibi idem in specie, non autem secundum individuum. 12 q 81 a 2). Deshalb wird vom Vater auf den Sohn nicht jene Sünde vererbt, die nur die Person schädigt, sondern nur die erste Sünde, welche die Natur als solche geschädigt hat. 1. 2. q 81 a 2. Cg. IV, 52 ad 13.

198. Kapitel: Das Verdienst Adams konnte den Nachkommen die ursprüngliche Heiligkeit nicht wiederherstellen

Obwohl nun die Sünde des Stammvaters (nicht nur seine persönliche Einzelnatur, sondern auch) die menschliche Natur in ihrer Gesamtheit geschädigt hatte, so konnte doch nicht durch seine Buße oder ein anderes verdienstliches Werk von ihm die ganze menschliche Natur (die gesamte Menschheit) wieder in den früheren besseren Zustand zurückversetzt werden. Denn die Buße Adams oder ein anderes verdienstliches Werk von ihm war die Tat einer Einzelperson; ein Einzelwesen aber kann nicht eine die Gesamtnatur einer Spezies bestimmende (resp. ändernde) Wirksamkeit entfalten. Denn jene Wirkursachen, welche (nicht auf das eine oder andere Individuum, sondern) auf die gesamte Spezies als solche einen bestimmenden (resp. ändernden) Einfluss auszuüben vermögen, sind Ursachen, die nicht in dieselbe Spezies, dieselbe Natur, auf die sie bestimmend einwirken, gehören, sondern solche, die einer andern, höheren Spezies, Natur angehören. So ist (nach der alten Physik) z. B. die Sonne die Ursache der Erzeugung für die gesamte menschliche Spezies (für die Erzeugungstätigkeit, die in der gesamten Menschheit stattfindet), der Einzelmensch aber nur die Ursache der Erzeugung wieder dieses Einzelmenschen. Das Einzelverdienst Adams oder überhaupt das eines bloßen Menschen konnte deshalb nicht hinreichen, um die ganze Natur wieder in den früheren Zustand zu versetzen.

Damit steht nicht in Widerspruch, dass durch eine einzelne Tat des ersten Menschen die gesamte menschliche Natur (das ganze Menschengeschlecht) ins Verderben kam. Denn dies erfolgte durch diese Tat nicht direkt und an sich, sondern nur indirekt, indem er den Stand der Unschuld verlor, so dass dieser durch ihn nicht mehr auf die Nachkommenschaft vererbt werden konnte; und obwohl er (für seine Person) durch seine Buße wieder in den Gnadenstand kam, so konnte er doch nicht mehr in den früheren Unschuldszustand zurück gelangen, dem durch Gottes freie Huld diese Gabe der ursprünglichen Gerechtigkeit verliehen war. - Sodann war dieser Zustand der ursprünglichen Gerechtigkeit ein besonderes Geschenk der Gnade; die Gnade aber kann (ihrem Begriff und Wesen nach) nicht durch verdienstliche Werke erworben werden, sondern ist das Geschenk von Gottes freier Huld. Wie also der erste Mensch von Anfang an die ursprüngliche Gerechtigkeit nicht auf Grund seiner Verdienste besaß, sondern als Geschenk Gottes; so konnte er auch nicht, und das noch viel weniger nach begangener Sünde dieselbe wieder verdienen durch Buße, oder durch irgend ein anderes (gutes) Werk. 3 q 1 a 2 ad 2m. Cg. IV, 54 n. 8.

199. Kapitel: Von der Wiederherstellung der menschlichen Natur in den früheren Zustand durch Christus

1. Es war aber der göttlichen Vorsehung angemessen, dass die menschliche Natur, welche auf die genannte Weise verdorben war, wieder in den früheren Zustand zurückversetzt wurde. Denn zur vollendeten Glückseligkeit konnte der Mensch nur dann gelangen, wenn dieses Verderben wieder beseitigt war; weil die Seligkeit, als vollkommenes Gut, unverträglich ist mit einem Mangel, und vor allem mit einem Mangel, wie es die Sünde ist; denn diese steht in gewissem Gegensatz zur Tugend, welche, wie (Kap. 172) bemerkt, den Weg zur Glückseligkeit bildet. Es würde also, da der Mensch um die Glückseligkeit willen geschaffen ist - denn diese bildet ja sein letztes Endziel - Gottes Werk in einem solch erhabenen und vornehmen Geschöpf vereitelt; das aber hält der Psalmist für etwas Unzukömmliches, indem er (Ps 88, 48) sagt: "Hast Du denn umsonst all die Menschenkinder geschaffen?" Es war demnach angemessen, dass die menschliche Natur wieder aus dem Verderben hergestellt werde.

2. Die göttliche Güte überragt bei weitem das Vermögen, das die Kreatur zum Guten besitzt. Aus dem oben (Kap. 171) Gesagten geht nun hervor, dass der Mensch, solange er in diesem sterblichen Leben sich befindet, so geartet ist, dass er weder im Guten unwandelbar fest, noch auch im Bösen unwandelbar verstockt ist.

Die menschliche Natur ist also so geartet, dass sie von dem Verderben der Sünde gereinigt werden kann. Es wäre demnach der göttlichen Güte nicht angemessen gewesen, wenn sie dieses Vermögen (der menschlichen Natur zum Guten, zur Wiederherstellung) völlig unbenützt gelassen hätte. Das aber wäre der Fall gewesen, wenn er ihr nicht ein Mittel zur Wiederherstellung geboten hätte. Cg. IV, 55 ad 4.

200. Kapitel: Durch Gott allein, und zwar durch den fleischgewordenen Gott, musste die menschliche Natur wieder hergestellt werden

Es ward also gezeigt (Kap. 198), dass weder durch Adam noch durch einen andern bloßen Menschen die menschliche Natur wieder hergestellt werden konnte; einmal weil ein einzelner Mensch nicht das ganze Menschengeschlecht (für welches Genugtuung zu leisten war) aufwiegen kann; sodann weil kein bloßer Mensch Ursache der Gnade sein kann. Aus demselben Grunde konnte sie auch nicht durch einen Engel wieder hergestellt werden; denn auch der Engel kann nicht Ursache der Gnade sein, noch auch der Lohn des Menschen in der letzten, vollkommenen Glückseligkeit, zu welcher der Mensch wieder zurückgeführt werden sollte; denn hierin sind beide gleich (majus homine, quantum ad ordinem beatitudinis nihil est, nisi solus Deus; nam angeli, licet sint superiores quantum ad conditionem naturae, non tamen quantum ad ordinem finis, quia eodem beatificantur. Cg. IV, 54 n. 8). Es konnte also nur durch Gott allein diese Wiederherstellung geschehen. (Es ist hier die Rede von der causa efficiens der Wiederherstellung im eigentlichen Sinn, nicht von der causa meritoria.) "Würde nun Gott aber den Menschen einfach durch seinen Willen und seine Kraft (ohne Genugtuung von Seiten des Menschen) wieder hergestellt haben, so würde die Ordnung der göttlichen Gerechtigkeit, welche für die Sünde Genugtuung fordert, nicht gewahrt. (Dies ist nicht im absoluten Sinne zu verstehen, sondern nur im bedingten: in der Voraussetzung, dass Gott den Menschen nicht einfach erlösen (wiederherstellen), sondern auf dem Weg der vollwertigen Genugtuung wiederherstellen wollte: 3 q 1 a 2 ad 2m, wäre es im Widerspruch gegen seine Gerechtigkeit gewesen. Dagegen sagt Thomas 3 q 46 a 2 ad 3m: si volllisset (Deus) absque omni satisfactione hominem a peccato liberare, contra justitiam non fecisset; weil eben sein Wille nicht unter der Gerechtigkeit steht, wie der des geschöpflichen Wesens; denn er als der Beleidigte kann die Sünde einfach erlassen). Gott aber kann weder Genugtuung leisten, noch auch ein Verdienst erwerben; denn das findet sich nur bei jenen (die unter der Herrschaft und Gewalt eines Andern stehen, die also) noch einen Höheren über sich haben (der ihnen das Verdienst lohnt und die Genugtuung akzeptiert). So also stand es Gott nicht zu, Genugtuung zu leisten für die Sünde des ganzen Menschengeschlechtes. Ein bloßer Mensch hinwieder konnte dies nicht. Darum war es im höchsten Grade entsprechend, (- aber nicht absolut notwendig. 3 q 1 a 2 ad 2m), dass Gott Mensch ward, so dass ein und derselbe es war, der die Wiederherstellung (als eigentliche causa efficiens) und zugleich die Genugtuung (als causa meritoria) leisten konnte: und diesen Grund der Menschwerdung Gottes gibt der Apostel an, wenn er (1 Tim 1, 15) sagt: "Christus Jesus kam in diese Welt, um die Sünder selig zu machen." 3 q 1 a 2 ad 2m. Cg. IV, 54 n. 8.

201. Kapitel: Andere Gründe der Menschwerdung des Sohnes Gottes

Es gibt jedoch noch andere Gründe für die Menschwerdung Gottes. 1. Weil der Mensch vom Geistigen abgewichen und ganz in die Sinnenwelt versunken war, aus der er durch sich selbst nicht mehr zu Gott zurückkehren konnte, so suchte die göttliche Weisheit, die den Menschen geschaffen hatte, in der angenommenen körperlichen Natur den in die Sinnenwelt versunkenen Menschen heim, um ihn durch die Geheimnisse, die in seinem leiblichen Sein sich vollzogen, zum Geistigen zurückzuführen (vgl. Praef. de Nativitate: ut dum visibiliter Deum cognoscimus, per hunc in invisibilium amorem rapiamur).

2. Sodann war es dem Menschengeschlecht notwendig, dass Gott Mensch wurde, zu dem Zweck, dass er die Würde der menschlichen Natur erkenne (indem ja Gott selbst dieselbe annahm), sodass der Mensch künftig nicht mehr unter die bösen Geister (durch Götzendienst und Mantik) sowie unter die Sinnenwelt (durch Naturvergötterung) sich erniedrige.

3. Zugleich zeigte Gott dadurch, dass er Mensch werden wollte, aufs klarste die Unermesslichkeit seiner Liebe zu den Menschen (indem er eine persönliche Vereinigung mit der Menschheit einging, und sich ihnen gleich stellte), so dass von nun an die Menschen sich Gott unterwerfen, nicht aus Furcht vor dem Tode - den ja der erste Mensch verachtet hat - sondern durch die Neigung und den Zug der Liebe.

4. Weiterhin wird hierdurch dem Menschen ein Abbild und Vorbild jener seligen Einigung geboten, in welcher (bei der visio beatifica) der geschaffene Verstand mit dem ungeschaffenen Geist sich einigen wird. Denn nachdem Gott selbst mit dem Menschen sich geeint hat, indem er dessen Natur annahm, bleibt es nicht mehr unglaublich, dass der Verstand der Kreatur mit Gott (unmittelbar) geeint werden kann, indem er seine Wesenheit schaut.

5. Es kommt endlich durch die Menschwerdung die ganze Schöpfung Gottes zum AbschIuss, indem der Mensch, der zuletzt geschaffen ward, gleichsam den Kreislauf schließend zu seinem Ursprung zurückkehrt, indem er sich - das letzte Werk der Schöpfung - mit dem Urgrund aller Dinge im Werk der Menschwerdung eint. 3 q 1 a 2. Cg. IV, 54.

202. Kapitel: Irrtum des Photinus bezüglich der Menschwerdung des Sohnes Gottes

Dieses Geheimnis der Menschwerdung Gottes nun entleerte Photinus, soweit es bei ihm stand, seines Inhaltes. Nach dem Vorgang von Ebion, Cerinthus und Paul von Samosata behauptete er, Jesus Christus der Herr sei ein bloßer Mensch gewesen und habe nicht vor Maria existiert; jedoch habe er sich durch das Verdienst seines heiligen Lebens, sowie durch den geduldig ertragenen Tod die Glorie der Gottheit verdient, so dass er also Gott genannt werde, nicht als wäre er dies etwa kraft seiner Natur, sondern nur deshalb, weil er es durch die Gnade der Adoption geworden sei. Es hätte also nach ihm nicht eine Einigung Gottes und des Menschen stattgefunden, sondern der Mensch (Jesus) wäre durch die Gnade vergöttlicht (gottähnlich) geworden. - Das aber ist nicht etwas, was nur Christus allein eigen ist, sondern eine Eigenschaft, die alle Heiligen insgesamt besitzen; wenn es auch in dieser Gnadenstellung verschiedene Grade gibt, (die Einen höher als die Andern stehen). - Dieser Irrtum widerspricht auch den Aussprüchen der Hl. Schrift. Dort heißt es (Joh 1,1): "Im Anfang war das Wort"; und dann folgt (1, 14): "Das Wort ist Fleisch geworden". Das Wort also, das im Anfang bei Gott war, nahm Fleisch an, nicht aber ward umgekehrt ein Mensch, der vorher nicht war, durch die Adoptionsgnade vergöttlicht. Desgleichen sagt der Herr (Joh 6,38): "Ich bin vom Himmel herabgestiegen, nicht um meinen Willen zu tun, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat". Nach der Irrlehre des Photinus aber könnte bei Christus nicht von einem Herabsteigen, sondern nur von einem Hinaufsteigen die Rede sein, während doch der Apostel (Eph 4, 9) sagt: "Dass er aber hinaufgestiegen, was ist es anders, als dass er auch zuerst hinabgestiegen in die unteren Orte der Erde?" Hier wird offenkundig zu verstehen gegeben, dass bei Christus von einem Hinaufsteigen nicht die Rede sein kann, wenn nicht ein Herabsteigen (vom Himmel) vorausgegangen wäre. (Nach dem Wortlaut ist aber nicht einfach vom Herabsteigen Christi auf die Erde, sondern in die Unterwelt die Rede; es kann jedoch auch von seinem Herabsteigen vom Himmel, d. h. von der Annahme der menschlichen Natur gedeutet werden. vgl. Joh. 3, 13). Cg. IV, 28.

203. Kapitel: Irrlehre des Nestorius bezüglich der Menschwerdung, und deren Widerlegung

Den genannten Irrtum nun wollte Nestorius vermeiden; so entfernte er sich der auf der einen Seite vom Irrtum des Photinus, indem er behauptete, dass Christus Gottes Sohn sei, nicht etwa bloß durch die Gnade der Adoption, sondern kraft der ihm eigenen göttlichen Natur, in der er gleich ewig ist mit dem Vater; andrerseits aber kommt doch wieder mit Photinus darin überein, dass er behauptet, der Sohn Gottes sei mit den Menschen (Jesus) nicht so geeint, dass Gott und Mensch eine einzige Person bildeten, sondern nur so, dass Gott in dem Menschen wohnte. Wie nun nach Photinus dieser Mensch (Jesus) Gott (nicht kraft seiner Natur sondern) nur aus Gnade genannt wird, so wird er auch nach Nestorius Gottes Sohn genannt, nicht als ob er in Wirklichkeit Gott wäre, sondern nur wegen der Einwohnung Gottes in ihm, die das Werk der Gnade ist. -

Diese Irrlehre aber steht in Widerspruch mit der Hl. Schrift. Diese Vereinigung Gottes und des Menschen bezeichnet der Apostel als eine Entäußerung, indem er (Phil 2, 6) vom Sohn Gottes sagt: "Da er in Gottes Gestalt (Natur) war, hielt er es für keinen Raub, Gott gleich zu sein; aber er entäußerte sich selbst indem er die Gestalt (Natur) des Knechtes annahm." Nun aber ist das nicht eine Selbstentäußerung Gottes, wenn er der vernünftigen Kreatur innewohnt durch die Gnade (sondern vielmehr eine Verherrlichung Gottes nach Aussen); sonst müsste es auch vom Vater und vom Heiligen Geist (und nicht bloß vom Sohn) gelten, dass sie sich selbst entäußerten, denn auch sie beide wohnen in der vernünftigen Kreatur durch die Gnade, wie der Herr von sich und vom Vater sagt (Joh 14, 23): "wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen," und der Apostel (1 Kor 3, 16) vom Hl. Geist versichert: "der Geist Gottes wohnt in euch." - Sodann könnte jener Mensch (Jesus), wenn er nicht persönlich Gott wäre, nicht von sich Dinge behaupten, die nur Gott zukommen. Wäre er dieses nicht, so wäre es von ihn doch gewiss die höchste Verwegenheit gewesen, wenn er sagte (Joh 10, 30): "Ich und der Vater sind Eins"; sowie (Joh 8, 58): "Bevor Abraham war, bin ich."

"Ich" bezeichnet die Person, welche spricht; der aber, welcher so sprach, war ein Mensch; also ist hier (da der Sprechende nur Gott allein zukommende Eigenschaften von sich aussagt) Gott und Mensch ein und dieselbe Person. - Um die genannten Irrtümer auszuschließen, wird sowohl im apostolischen Glaubensbekenntnis als in dem der Väter (dem Nicänischeonstantinopolitanischen) sofort, nachdem der Person des Sohnes (Gottes) Erwähnung geschehen, beigefügt: "Der empfangen ist vom Hl. Geist, geboren ist, gelitten hat, gestorben und auferstanden ist." Es würde eben, was nur dem Menschen zukommt, nicht auch vom Sohn Gottes ausgesagt, wenn nicht der Sohn Gottes und der Mensch ein und dieselbe Person wäre. Denn was der einen Person zukommt, wird nicht schon eben deswegen von einer andern ausgesagt; so wird nicht, was dem Paulus zukommt, schon eben deswegen ohne Weiteres auch vom Petrus ausgesagt. Cg. IV, 34.

204. Kapitel: Irrlehre des Arius bezüglich der Menschwerdung und ihre Widerlegung

Indem nun andere Irrlehrer die Einheit von Gott und Mensch bei Christus festhalten wollten, kamen sie in das andere Extrem, indem sie behaupteten. Gott und Mensch bildeten bei Christus nicht nur eine einzige Person, sondern auch nur eine einzige Natur. Der Urheber dieser Irrlehre war Arius. Er wollte die Aussprüche der Schrift, in welchen Christus geringer als der Vater bezeichnet wird (nicht auf die menschliche Natur Christi, sondern) nur einzig und allein auf den Sohn Gottes selbst bezogen wissen (da ja nach ihm der Sohn Gottes nicht gleichwesentlich mit dem Vater war). Er behauptete also von Christus, er besitze in der angenommenen menschlichen Natur keine andere Seele, als das Wort Gottes (den Logos) selbst. Dieser vertrat nach ihm für den Leib Christi die Stelle der Seele, (bildete also mit diesem eine Natureinheit). Wenn also Christus sagt (Joh 14, 28): "der Vater ist größer als ich," oder wenn es von ihm heißt, er habe gebetet, oder er sei traurig geworden, so müsse dies auf die Natur des Sohnes Gottes selbst bezogen werden. - Aus dieser Behauptung folgt, dass die Einigung des Sohnes Gottes mit dem Menschen nicht nur in der Person, sondern auch in der Natur stattgefunden hat. Denn aus Seele und Leib wird bekanntlich die Einheit der menschlichen Natur (die Natureinheit des Menschen) begründet. - Die Falschheit dieser Behauptung, so weit sie sich auf das Subordinationsverhältnis des Sohnes zum Vater bezieht, ward oben (Kap. 41-43) dargelegt, wo wir nachwiesen, dass der Sohn dem Vater (wesens-) gleich ist.

1. Die andere Behauptung aber, der Logos sei in Christus an Stelle der Seele getreten, lässt sich auf Grund des Vorausgehenden als falsch nachweisen. Es ward oben (Kap. 90-92) dargelegt, dass die Seele sich mit dem Leib als dessen Form (Wesensbestimmtheit) einigt; Gott aber kann unmöglich Form (oder Wesensbestimmtheit) eines Körpers sein, wie oben (Kap. 17) gezeigt ward. Damit aber nicht etwa Arius die Ausflucht gebrauche, dies sei nur vom obersten Gott, d. i. dem Vater, zu verstehen, so lässt sich diese Unmöglichkeit selbst bezüglich der Engel nachweisen. Denn auch diese können, wie ihre Natur nun einmal ist, sich nicht mit einem Körper als Wesensbestimmtheit desselben vereinigen (so dass also aus ihnen als Form und dem Körper eine einzige Natur entstünde); denn eben ihre Natur (als rein geistige) fordert Trennung vom Körper (dass sie nichts körperliches als Wesensbestandteil in sich habe - weil sie ja sonst nicht mehr eine rein geistige Natur wäre). Noch viel weniger kann also der Sohn Gottes, durch den die Engel geschaffen sind, was ja auch Arius zugibt, Form eines Körpers sein.

2. Zugegeben auch, wie Arius behauptet, der Sohn Gottes sei ein Geschöpf, so übertrifft doch auch nach ihm seine Seligkeit die aller geschaffenen Geister. Die Seligkeit der Engel aber ist derart, dass sie überhaupt keine Traurigkeit haben können. Denn von einer wahren und vollen Seligkeit kann dann keine Rede mehr sein, wenn auch nur etwas ihnen zu wünschen übrig bleibt. Denn zum Begriff und Wesen der Seligkeit gehört es, dass sie das letzte und vollkommene Gut ist, welches das Verlangen vollständig sättigt und befriedigt. Noch weniger also kann nun Gottes Sohn seiner Natur nach Trauer oder Furcht empfinden. Nun lesen wir aber von ihm, dass er traurig ward (Mk 14, 33): "Jesus fing an, zu zittern und sich zu entsetzen" und (Mt 26, 37), "traurig zu sein"; und er selbst bekannte seine Traurigkeit, indem er sagte (Mk 14, 34): "Betrübt ist meine Seele bis zum Tod." Nun aber ist die Traurigkeit nicht eine Eigenschaft eines bloßen (unbeseelten) Körpers, sondern die eines empfindenden Wesens. Es muss also außer dem Logos und dem Leib in Christus noch irgend etwas gewesen sein, das Trauer erleiden konnte, und solch ein Wesen nennen wir Seele.

3. Wenn Christus zu dem Zweck alles was wir haben, an sich genommen hat, um uns von den Sünden zu reinigen - so war uns notwendiger, dass wir der Seele nach gereinigt wurden; denn von dieser ging die Sünde aus, und nur sie ist Subjekt der Sünde (nur in der Seele kann sich im eigentlichen Sinne die Sünde finden): er hat also nicht den Leib ohne die Seele an sich genommen, sondern eben weil er vor allem und in erster Linie die Seele an sich nahm, nahm er mit ihr auch den Leib an sich. Cg. IV, 32; 3 q 5 a 3.

205. Kapitel: Irrlehre des Äpollinaris bezüglich der Menschwerdung und ihre Widerlegung

Hiermit widerlegt sich zugleich die Irrlehre des Apollinaris, der anfänglich an Arius sich anschloss mit der Behauptung, in Christus sei keine andere Seele, als das Wort Gottes (der Logos). Weil er jedoch die Irrlehre des Arius, der Sohn Gottes sei ein bloßes Geschöpf, nicht teilte, andrerseits aber Vieles in der Schrift von Christus ausgesagt wird, was man nicht dem Körper zuteilen, das aber auch andrerseits Gott nicht zukommen kann, wie Traurigkeit, Furcht und dergleichen, so war er schließlich gezwungen, eine Seele in Christus anzunehmen, die dem Leib Empfindung verleihen und Subjekt dieser Gefühle (Empfindungen) sein könnte, die aber nach ihm ohne Verstand und Vernunft war, indem im Menschen Christus der Logos die Stelle von Verstand und Vernunft vertrat.

Dass aber diese Annahme falsch ist, lässt sich mehrfach nachweisen. 1. Erstens ist es etwas Widernatürliches, dass eine unvernünftige Seele die Wesensbestimmtheit des Menschen bilden soll, während er doch die Form eines menschlichen Leibes hat (denn die sensitive Seele fordert einen spezifisch tierischen Leib, nicht den des Menschen, der eben durch eine vernünftige, nicht bloß eine sensitive Seele, informiert ist vgl. Cg. IV, 33 n. 2 u. 3). Nun darf man nicht annehmen, dass bei der Menschwerdung Christi etwas Monströses oder Widernatürliches (das aber wäre nach thomistischer Ansicht eine Tierseele im Menschenleib) statthabe.

2. Es wäre dies auch gegen den Zweck der Menschwerdung. Dieser ist die Wiederherstellung der menschlichen Natur. Diese aber nimmt ihren Anfang im vernünftigen Teil des Menschen, der auch allein (im eigentlichen und strengen Sinn) sündhaft (Subjekt der Sünde) sein kann. Also war es vor Allem angemessen, dass der Sohn Gottes den vernünftigen Teil des Menschen an sich nahm (um ihn zu heilen).

3. Es heißt sodann von Christus auch, er habe sich verwundert; die Seelentätigkeit der Verwunderung aber kann sich nur bei einer vernünftigen Seele finden. (Denn Verwunderung tritt dann ein, wenn wir Etwas sehen, dessen Ursache uns unbekannt ist; nach der Ursache eines Dinges aber zu forschen, ist nur Sache des vernünftigen Geistes). Gott andrerseits kann dieses Gefühl überhaupt nicht zukommen. Wie also die Traurigkeit, die Christus nach der Schrift fühlte, uns nötigt, eine sensitive Seele in Christus anzunehmen, so nötigt uns die Verwunderung, die er empfand, bei ihm auch den -vernünftigen Teil der Seele anzunehmen. Cg. IV, 33. 3 q 15 a 8.

206. Kapitel: Irrlehre des Eutyches, der eine Einheit der Natur in Christus behauptete

An die beiden Vorgenannten schloss sich im gewissen Sinn Eutyches an. Er behauptete, nach der Menschwerdung habe Gott und Mensch eine einzige Natur gebildet, nahm jedoch nicht (was die Vorgenannten getan) an, dass Christus die Seele oder der Verstand oder sonst Etwas, was zur Vollständigkeit der menschlichen Natur gehört, gefehlt habe. Die Falschheit auch dieser Meinung liegt offen am Tage.

Denn 1. die göttliche Natur ist in sich abgeschlossen und unveränderlich. Eine in sich vollendete (abgeschlossene) Natur kann mit einer andern sich nicht (nach der alten Naturlehre) zu einer Natureinheit verbinden, außer sie würde entweder in die andere Natur umgewandelt, wie z. B. die Speise sich in den umwandelt, der die Speise genießt, - oder die andere Natur würde in sie umgewandelt, wie z. B. das Holz (beim Verbrennungsprozess) sich (nach der alten Naturlehre) in Feuer umwandelt; oder endlich beide Naturen wandeln sich in eine dritte um, wie z. B. die Elemente in einen gemischten Körper (Sauerstoff und Wasserstoff z. B. in Wasser). Alle diese Umwandlungen aber werden durch die göttliche Unveränderlichkeit ausgeschlossen. Denn unwandelbar ist weder, was sich in etwas Anderes umwandelt, noch auch das, in welches etwas Anderes umgewandelt werden kann. Da nun die göttliche Natur in sich vollendet (abgeschlossen, nicht ein Teil ist, der sich mit einem anderen erst zu einer vollen Natur eint), so ist auf keine Weise möglich, dass sie mit einer (weiteren) anderen Natur eine Natureinheit bildet. 3 q 2 a 1.

2. Wenn wir die Stufenreihe der Wesen betrachten, so sehen wir, dass jedes Hinzukommen einer höheren Vollkommenheit (in der Seinsstufe) das spezifische Sein der Dinge ändert. Auf einer andern Stufe des spezifischen Seins steht jenes Wesen, welches Sein und Leben besitzt, wie die Pflanze, und auf einer andern jenes, welches nur das Sein allein hat. Was aber hingegen Sein, Leben und Empfindung besitzt, wie das Tier, steht auf einer andren Stufe des spezifischen Seins, als jenes, das nur Sein und Leben hat, wie die Pflanze. Was aber Sein, Leben, Empfindung und vernünftiges Denken besitzt, wie der Mensch, steht auf einer andern spezifischen Seinsstufe, als jenes Wesen, das bloß Sein, Leben und Empfindung hat, wie das Tier. Wenn nun jene Eine Natur, die Eutyches als die Natur Christi bezeichnet, noch das spezifisch göttliche Sein besaß, so folgt, dass diese Natur Christi ein anderes spezifisches Sein besaß, als die menschliche Natur; ebenso wie die menschliche Natur wieder spezifisch verschieden ist von der Natur des Tieres. Es wäre also Christus nicht ein uns spezifisch gleicher Mensch gewesen; die Falschheit dieser Behauptung aber ergibt sich daraus, dass er von Menschen dem Fleisch nach erzeugt ward, wie dies Matthäus (1, 1) am Anfang seines Evangeliums zeigt, wenn er sagt: "Geschlechtsregister Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abraham." Cg. IV, 35.

207. Kapitel: Irrlehre der Manichäer, nach welchen Christus nicht einen wahren, sondern nur einen Scheinleib besessen haben soll

Wie Photinus das Geheimnis der Menschwerdung dadurch aufhob, dass er Christus die göttliche Natur absprach, so taten es umgekehrt die Manichäer, indem sie seine menschliche Natur leugneten. Nach ihrer Ansicht war nämlich die ganze körperliche Schöpfung ein Werk des Teufels; es ging also nach ihnen nicht an, dass der Sohn des guten Gottes (wie sie das gute Prinzip im Gegensatz zum bösen nannten) ein Geschöpf des Teufels an sich nahm. Sie behaupteten also, Christus habe nicht wahres, wirkliches Fleisch, sondern nur einen Scheinleib gehabt, und Alles was im Evangelium von Christus bezüglich seiner menschlichen Natur erzählt wird, war nach ihnen nur zum Scheine, nicht in Wahrheit und Wirklichkeit geschehen.

1. Diese Behauptung aber widerspricht offenbar der Hl. Schrift, die von Christus erzählt, er sei von der Jungfrau geboren, sei beschnitten worden, er habe gehungert und gegessen, und Sonstiges ertragen und erfahren, was in den Bereich der Natur des menschlichen Fleisches fällt. Es wäre also der Bericht der Evangelien, die solches von Christus erzählten, falsch.

2. Christus sagt selbst von sich (Joh 18, 37): "dazu bin ich geboren und dazu bin ich in die Welt gekommen, um Zeugnis abzulegen von der Wahrheit." Er wäre aber nicht ein Zeuge der Wahrheit, sondern vielmehr der Falschheit (der Lüge) gewesen, wenn er an sich etwas gezeigt hätte, was nicht wirklich war; zumal, da er voraussagte, er würde Dinge erleiden, die er ohne wahres und wirkliches Fleisch nicht hätte erleiden können; nämlich, dass er in die Gewalt der Menschen werde gegeben, angespieen, gegeißelt und gekreuzigt werden (Lk 18, 31 ff). Behaupten also, Christus habe kein wahres und wirkliches Fleisch gehabt und er habe all das nicht in Wirklichkeit, sondern nur scheinbar erduldet, heißt Christus der Falschheit (Lüge) zeihen.

3. Eine Meinung, die wahr ist, den Menschen aus dem Herzen nehmen, ist Sache eines Menschen, der mit Trug umgeht. Nun hat aber Christus eben diese Meinung (der Manichäer, der Doketen) seinen Jüngern aus dem Herzen genommen. Als er nämlich nach seiner Auferstehung seinen Jüngern erschien, hielten ihn diese für einen Geist oder ein Gespenst; um ihnen nun diesen Glauben zu nehmen, sagte er (Lk 24, 39): "Rührt mich an und seht, dass ein Geist nicht Fleisch und Knochen hat, wie ihr seht, dass ich sie habe." Und ein anderes Mal, da er auf dem Meere wandelte, und seine Jünger ihn für ein Gespenst hielten, weshalb sie sich fürchteten, sagte der Herr zu ihnen (Mt 14, 27): "Ich bin es, fürchtet euch nicht." Wäre also diese Meinung (der Manichäer) wahr, so müsste man von Christus sagen, er ginge mit Trug und Täuschung um; nun ist aber Christus die Wahrheit, wie er selbst von sich sagt (Joh 14, 6) also ist diese Meinung der Manichäer falsch. Cg. IV, 29; 3 q 5 a 1.

208. Kapitel: Christus hatte einen wirklichen menschlichen Leib, nicht einen vom Himmel herab gebrachten, wie Valentinus behauptet

(Der Gnostiker) Valentinus nahm bei Christus einen wirklichen Leib an, behauptete jedoch, er habe nicht Fleisch angenommen aus der Jungfrau, sondern er habe einen aus dem (nach des Aristoteles Ansicht von aller irdischen Materie verschiedenen, keine der irdischen Elemente in seiner Zusammensetzung enthaltenden) Stoffe der Himmelskörper gebildeten Leib mitgebracht, und sei mit ihm durch die Jungfrau, ohne etwas aus ihr anzunehmen, hindurch gegangen, wie etwa das Wasser durch eine Röhre hindurch geht. - Auch diese Behauptung widerspricht 1. der Hl. Schrift. Denn der Apostel sagt (Röm 1, 3): "Er ist ihm geworden aus dem Samen Davids dem Fleisch nach"; und wiederum (Gal 4, 4): "Gott sandte seinen eingebornen Sohn, gebildet aus der Frau". Matthäus (1, 16) aber sagt: "Jakob aber zeugte den Josef, den Mann Mariä, von der geboren ist Jesus, welcher genannt wird der Christus"; und später nennt er sie seine Mutter, indem er beifügt (Mt 1, 18): "Als seine Mutter Maria dem Josef verlobt war." Das wäre aber Alles nicht wahr, wenn Christus nicht aus der Jungfrau sein Fleisch angenommen hätte.

Es ist also falsch, dass er einen aus dem Stoff der Himmelskörper gebildeten Leib mitgebracht habe. Das Wort des Apostels (1 Kor 15,47): "Der zweite Mensch vom Himmel ist ein himmlischer (kein irdischer) Mensch", ist in dem Sinn zu verstehen, dass er seiner Gottheit nach vom Himmel herabstieg (dicitur filius Dei descendisse de coelo secundum hoc, quod terenam substantiam sibi copulavit. Cg. IV, c. 30 fin. vgl. 3 q 5 a 2 ad 1 m), nicht aber auch seiner Körpersubstanz nach.

2. Es wäre absolut kein Grund vorhanden, warum der Sohn Gottes, der einen Leib vom Himmel mitbrachte, in den Schoss der Jungfrau eintrat, wenn er nichts aus ihr annehmen wollte. Im Gegenteil, es liefe auf eine Täuschung hinaus, wenn er durch sein Hervorgehen aus dem Schoß der Mutter zeigen wollte, er habe aus ihr Fleisch angenommen, wenn dies gar nicht der Fall gewesen wäre. Aller Trug und alle Täuschung liegt nun Christus fern; wir müssen also sagen, Christus ging ans dem Schoß der Jungfrau hervor, indem er sein Fleisch aus ihr annahm. Cg. IV, 30. 3 q 5 a 2.

  • Dass Christus einen wirklichen menschlichen Leib aus demselben Stoff, wie jeder andere menschliche Leib, besitzt, spricht aus das Athanasisches Glaubensbekenntnis und das Plenarkonzil von Toledo 447.

209. Kapitel: Was der katholische Glaube über die Menschwerduug lehrt

Fassen wir das Gesagte kurz zusammen, so befindet sich in Christus nach dem wahren katholischen Glauben ein wirklicher Leib von derselben Natur, wie wir ihn haben, sowie eine wirkliche vernünftige Seele und zugleich mit diesen die volle und ganze Gottheit. Diese drei Substanzen finden sich zusammen in einer einzigen Person, bilden aber nicht zusammen eine einzige Natur. - Um diese (als Glaubenssatz feststehende) Wahrheit näher zu erklären, schlagen Manche (Theologen, Magistri: 3 q 2 a 6) irrige Wege ein. Vom Gedanken geleitet, dass Alles, was zum vollendeten (in sich abgeschlossenen) Sein eines Dinges noch hinzukommt (nicht eine wesentliche, sondern) nur eine akzidentelle (nebensächliche) Verbindung mit dem Ding eingeht, wie z. B. das Kleid mit dem Menschen nicht eine Wesensverbindung, sondern nur eine akzidentelle Verbindung hat - stellten Einige die Behauptung auf, die Menschheit (menschliche Natur) habe in der Person des Sohnes Gottes mit der Gottheit nur eine akzidentelle Verbindung eingegangen, derart nämlich, dass die an- und aufgenommene menschliche Natur zur Person des Sohnes Gottes in demselben (bloß äußerlichen, akzidentellen) Verhältnis stünde, wie das Kleid zum Menschen. Zur Stütze für ihre Behauptung beriefen sie sich auf das, was der Apostel (Phil 2, 7) von Christus sagt, dass er nämlich "in seinem Äußern (habitu, gleichsam in seiner äußern Umhüllung, nicht aber auch in seinem inneren Wesen) als Mensch erfunden ward." Andrerseits aber sahen sie, dass durch die Verbindung von Seele und Leib ein Einzelwesen der vernünftigen Natur (ein einzeln für sich bestehendes vernünftiges Wesen) entsteht, das man als "Person" bezeichnet.

Wäre also bei Christus die Seele mit dem Leib (unmittelbar) geeint gewesen, so schien ihnen die Konsequenz unabwendbar, dass dann aus einer solchen Vereinigung von Seele und Leib sofort eine Person begründet wurde. Die Folge hiervon wäre also, dass in Christus zwei Personen wären; einmal die (die menschliche Natur) annehmende (göttliche Person), sodann die (von der göttlichen Person) angenommene (menschliche Person). Dass bei einem bekleideten Menschen Kleid und Mensch nicht zwei Personen bilden, kommt eben daher, dass dem Kleide nie der Begriff von Person zukommen kann; wäre aber das Kleid etwas Persönliches, so müssten auch in einem bekleideten Menschen sich zwei Personen vorfinden. - Um nun diesen Konsequenzen auszuweichen, nahmen diese (Theologen) an, die Seele Christi sei nie mit dem Leib geeint gewesen, sondern die Person des Sohnes Gottes habe Seele und Leib (nicht als etwas Geeintes, sondern) jede für sich, angenommen.

Während aber diese Meinung einer Unzukömmlichkeit auszuweichen sucht, verfällt sie in eine noch größere. 1. Denn ihre notwendige Konsequenz ist, dass Christus nicht wahrer Mensch war. Wenn eine wirkliche menschliche Natur vorhanden sein soll, so müssen Seele und Leib eine (Natur-)Einheit bilden; denn Mensch ist (weder die Seele allein für sich, noch auch der Leib allein für sich, sondern) eben das Kompositum aus Beiden. Eine weitere Konsequenz ist, dass Christus kein wahres und wirkliches menschliches Fleisch hatte, so dass keines seiner Glieder ein wirkliches (menschliches) Glied war. Denn ohne Seele (welche als die Wesensform dem mit ihr geeinten Leib sein spezifisches menschliches oder tierisches Sein verleiht) kann (nach dem hl. Thomas) von einem Auge oder einer Hand, oder von Fleisch und Knochen (nicht mehr im eigentlichen, sondern) nur im uneigentlichen Sinn die Rede sein, wie man etwa auch ein gemaltes oder aus Steinmasse gefertigtes Auge noch Auge heißt. (Denn nur die Seele als Wesensform macht das Ding zu dem, was es ist, zu einem menschlichen oder tierischen Leib, und gibt allen Teilen ihr spezifisches Sein).

Eine weitere Konsequenz dieser Meinung wäre ferner, dass Christus nicht in Wirklichkeit gestorben wäre. Der Tod ist der Verlust des Lebens. Nun kann offenbar die Gottheit das Leben nicht durch den Tod verlieren; der Leib aber hinwieder konnte gar nicht lebendig sein, wenn die Seele nicht mit ihm verbunden war. Weiterhin würde aus dieser Meinung folgen, dass der Leib Christi keinerlei Empfindung haben konnte; denn der Leib hat Empfindung nur vermittelst der mit ihm zur Natureinheit verbundenen Seele. Zu alledem fällt diese Meinung in den Irrtum des Nestorius zurück, dem sie gerade ausweichen wollte. Der Irrtum des Nestorius lag nämlich darin, dass er behauptete, das Wort Gottes sei dem Menschen Christus (nur) geeint gewesen vermöge der durch die Gnade bewirkten Einwohnung, so dass das Wort Gottes in jenem Menschen (Christus) wohnte, wie in seinem Tempel. Für die uns vorliegende Frage aber kommt es auf dasselbe hinaus, ob das Wort Gottes im Menschen wie in seinem Tempel wohnt, oder ob die menschliche Natur zum Worte Gottes hinzukommt, wie das Kleid zu dem, der damit bekleidet ist, nur mit dem Unterschied, dass diese Meinung noch schlimmer ist, als die des Nestorius, weil nach ihr Christus nicht einmal als wahrer Mensch gelten kann. Diese Meinung ward deshalb nicht mit Unrecht (nach Thomas auf dem Konzil von Tours unter Alexander III. vgl. de Unione Verbi a 1) verworfen.

2. Ein bekleideter Mensch kann nicht Person des Kleides oder Anzuges sein; noch kann man überhaupt sagen, er besitze die Natur des Kleides. Hätte also der Sohn Gottes die menschliche Natur (nur) wie ein Kleid an sich genommen, so könnte er in keiner Weise Person der menschlichen Natur genannt werden, noch auch könnte man behaupten, der Sohn Gottes habe dasselbe spezifische Sein (gehöre zu derselben Spezies) wie die andern Menschen, während doch der Apostel (Phil 2, 7) sagt, "er sei den Menschen gleich geworden". Also ist diese Meinung völlig zu meiden (3 q 2 a 5 u. 6 bezeichnet sie Thomas als häretisch). 3 q 2 a 5 u. 6. Cg. IV. 4 n. 37.

(Dies ist die dritte der von Petrus Lombardus Sent. In. dist. 6 aufgeführten drei theologischen Meinungen über die Art und Weise, wie man sich die persönliche Einigung in Christus zu denken habe. Auf diese Meinungen kommt Thomas überall wieder zurück, wo er näher auf das Wesen der hypostatischen Union eingeht (vgl. 3 q 2 a 3, 5 u. 6; Cg. IV, 37 u. 38). Der Lombarde referiert einfach die drei Meinungen mit ihren Begründungen, ohne für die eine oder die andere derselben Stellung zu nehmen, - als theologische Lösungsversuche, die Einheit der zwei Naturen in Christus zu erklären, die weder als eine Wesenseinigung, als Einigung zu Einer Natur und Wesenheit - im Sinne des Monophysitismus -, noch als eine bloß akzidentelle - im Sinne des Nestorianismus - gefasst werden darf. - Die im vorstehenden Kapitel widerlegte Behauptung ist der sogen. Nihilismus, den Alexander III. in seinem Breve an den E. B. von Rheims verwarf, indem er den dem Lombarden zugeschriebenen Satz anathematisierte: "Christus non est aliquid secundum quod homo." Denn nach der in obigem Kapitel behandelten Meinung nahm Christus Seele und Leib nicht miteinander verbunden, sondern von einander getrennt an sich; nun aber bildet weder die Seele für sich, noch auch der Leib für sich, noch auch beide bloß nebeneinander, sondern nur als miteinander zu Einer Natur geeint - den Menschen -; Christus könnte also nicht wahrer Mensch genannt werden, wenn Seele und Leib nicht mit einander geeint, sondern jeder Teil für sich vom Logos aufgenommen worden wäre. 3 q 2 a 5.)

210. Kapitel: In Christus sind nicht zwei Supposita

Diese Konsequenzen nun wollten andere (Theologen bei der spekulativen Erörterung, wie Gottheit, Seele und Leib bei Christus eine Einheit bilden) vermeiden, und behaupteten deshalb (im Gegensatz zu der vorigen Meinung) bei Christus sei die Seele mit dem Leib (zu einer Einheit) verbunden gewesen, und durch diese Einigung sei ein Mensch (im Dasein) begründet worden, der vom Sohn Gottes zur Einheit mit seiner Person an- und aufgenommen ward; und diese An- und Aufnahme ist nach ihnen der Grund, weshalb dieser Mensch der Sohn Gottes, und der Sohn Gottes dieser Mensch ist. Weil nun nach ihnen diese An- und Aufnahme zur Einheit in der Person abzielt, so nehmen sie in Christus nur Eine Person für Gott und Mensch an; weil aber dieser Mensch (Jesus), der nach ihnen aus Seele und Leib (im Dasein) begründet ist, ein Suppositum oder eine Hypostase (ein für sich bestehendes Einzelding) der menschlichen Natur ist, so nehmen sie in Christus zwei Supposita oder zwei Hypostasen an; eine für die menschliche Natur, die geschaffen und zeitlich ist, und eine für die göttliche Natur, die ungeschaffen und ewig ist.

"1. Obwohl nun diese Meinung von dem Irrtum des Nestorius sich dem Wortlaut nach zu entfernen scheint, so kommt sie doch, wenn man der Sache näher auf den Grund sieht, mit dem Nestorianismus auf eins und dasselbe hinaus. Es ist klar, dass "Person" nichts anderes ist, als die einzeln für sich bestehende Substanz der vernünftigen Natur (das vernünftige Einzelwesen); nun ist aber die menschliche Natur etwas Vernünftiges; einfach dadurch also schon, dass in Christus eine zeitliche und geschaffene Hypostase oder ein derartiges Suppositum angenommen wird, wird in Christus zugleich eine zeitliche, geschaffene Person angenommen: Denn das ist es ja eben, was man durch den Namen Suppositum oder Hypostase bezeichnet, nämlich die individuelle Substanz (ein einzeln für sich bestehendes Wesen). Wenn also jene, welche in Christus zwei Supposita oder zwei Hypostasen annehmen, verstehen, was sie sagen, so müssen sie notwendig zwei Personen in Christus annehmen. Cg. IV, 38 n. 1.

2. Bei allen Dingen, die dem Suppositum nach verschieden sind, besteht das Gesetz, dass das, was dem Einen allein eigentümlich ist, dem Andern nicht zukommen kann. Ist also der Sohn Gottes und der Sohn des Menschen nicht ein und dasselbe Suppositum (ein und dasselbe Einzelding, das beiden Naturen zu Grund liegt), so folgt, dass, was dem Menschensohn zukommt, nicht auch dem Gottessohn zugesprochen werden kann, noch auch umgekehrt. Man könnte also nicht sagen, Gott sei gekreuzigt worden oder sei geboren von der Jungfrau - wie dies Nestorius in seiner Gottlosigkeit auch leugnete. - Wollte man aber trotzdem behaupten, das, was jenem Menschen zukommt, werde von dem Sohn Gottes ausgesagt und umgekehrt - wegen der Einheit der Person, obschon zwei verschiedene Supposita vorhanden seien: so kann dies absolut nicht aufrecht erhalten werden. Denn wenigstens das ewige Suppositum des Sohnes Gottes ist nichts anderes als seine Person.

Was also vom Sohn Gottes rücksichtlich seiner Person ausgesagt wird, das gilt auch von ihm rücksichtlich seines Suppositums; aber das Menschliche, das von ihm ausgesagt wird, gilt (nach dieser Ansicht) nicht rücksichtlich des Suppositums, weil man ja eben behauptet, dass der Sohn Gottes sich vom Menschensohn in Bezug auf das Suppositum unterscheide (weil der Menschensohn ein eigenes geschaffenes Suppositum haben soll). Es kann also auch nicht in Bezug auf die Person vom Sohn Gottes ausgesagt werden, was dem Menschensohn eigentümlich ist, wie z. B. geboren werden von der Jungfrau, sterben und dergleichen. Cg. IV, 38 n. 2.

3. Wenn von einem zeitlichen Suppositum (Einzelwesen) der Name "Gott" ausgesagt wird, so ist das etwas Frisches und Neues; Alles aber, was erst von jetzt an und von Neuem (also nicht immer und von jeher) als "Gott" bezeichnet wird, das ist nicht Gott, oder es ist eben nur insofern Gott, als es zu Gott (göttlich) geworden ist; was aber zu Gott (göttlich) erst geworden ist, das ist nicht von Natur aus Gott, sondern einzig nur durch die Gnade der Adoption. Folglich wäre jener Mensch (Jesus) nicht wahrhaft und von Natur aus Gott, sondern er wäre dies nur durch die Gnade der Adoption; auch dies aber gehört zur Irrlehre des Nestorius. 3 q 2 a 3 u. 6. Cg. IV, 38.

(Dies ist die erste der von Petrus Lombardus Sent. III. dist. 6 aufgeführten drei Meinungen; siehe Kap. 209. Walter von Montagne, der wegen der dritten Meinung - siehe Kap. 209 - den Lombarden heftig bekämpft, und ihn mit Abaelard, Peter v. Poitiers und Gilbert de la Porrée zu den "vier Labyrinthen Frankreichs" rechnet, bezeichnet die vorliegende erste Meinung als Ansicht Solcher, "qui nec haeretici nec catholici dici possunt". Thomas nimmt in seinem Kommentar zum Sentenzenbuch diese Meinung gegen den Vorwurf der Häresie noch in Schutz, und erklärt sie nur als nicht recht verständlich (Sent. IlI. dist. 6 q 1 a 2). In seinen späteren Schriften aber, wie z. B. hier im Compendium und in der Summa theologica wie philosophica bedient er sich schärferer Ausdrücke; wie dass sie in den Nestorianismus zurückfalle: Cg. IV, 38; er nennt sie einen Irrtum: 3 q 4 a 3; ja geradezu eine Häresie, gleich der dritten Meinung: 3 q 2 a 6.

211. Kapitel: In Christus ist nur Ein Suppositum, wie er auch nur Eine Person ist

In Christus aber bildet Gott und Mensch nicht nur Eine Person, sondern auch nur Ein Suppositum und Eine Hypostase; dagegen gibt es in ihm nicht eine einzige, sondern zwei Naturen. - Um dieses zu verstehen, muss man beachten, dass die Namen "Person", "Hypostase" und "Suppositum" etwas Vollständiges bezeichnen. Man kann also z. B. nicht sagen, die Hand, das Fleisch oder sonst ein Teil des Menschen sei Person oder Hypostase oder Suppositum; sondern dies kann man nur vom Ganzen sagen, was eben dieser bestimmte Mensch ist. Dagegen können jene Namen, welche den Individuen (den Einzelwesen) sowohl in der Kategorie der Substanzen, als auch in der der Akzidentien unterschiedslos beigelegt werden, wie die Namen "Individuum" oder "Einzelding", sowohl vom ganzen Ding (also dem Menschen) als auch von seinen einzelnen Teilen (also seiner Hand, seinem Fuß) ausgesagt werden. Denn die Teile haben mit den Akzidentien etwas gemein, nämlich das, dass sie nicht in sich und durch sich selbst Sein und Bestand haben, sondern nur in einem existieren; allerdings nicht auf dieselbe Weise, wie die Akzidentien. Man kann also z. B. von der Hand des Sokrates oder Plato sagen, sie sei etwas Individuelles, oder ein Einzelding, obwohl sie weder Hypostase oder Suppositum oder Person ist. Weiterhin ist zu beachten, dass die Verbindung mehrerer Dinge mit einander unter Umständen ein einziges, einheitliches Ding begründet, während sie unter andern Umständen, weil nämlich noch etwas Weiteres hinzukommt, nicht ein einziges einheitlich in sich abgeschlossenes Ding bewirkt. So begründet z. B. im Stein die Verbindung der (nach der alten Naturlehre) vier Elemente ein einziges einheitliches Ding - den Stein - deshalb kann beim Stein das aus den Elementen begründete ein Suppositum oder eine Hypostase - dieser bestimmte Stein nämlich - genannt werden; nicht aber eine Person, weil es eben nicht die Hypostase (das konkret existierende Einzelding) einer vernünftigen Natur (kein vernünftiges Einzelwesen) ist. Dagegen begründet z. B. beim Tier die Verbindung der Elemente noch nicht ein Ganzes (ein in sich abgeschlossenes Ding) sondern nur einen Teil nämlich den Körper; denn zum vollständigen Sein (Abschluss) des Tieres muss noch etwas anderes hinzukommen, nämlich die Seele. Deshalb begründet die Verbindung der Elemente beim Tier noch nicht das Suppositum oder die Hypostase, sondern dieses ganze (aus Körper und Seele bestehende) Tier ist erst die Hypostase oder das Suppositum (das konkret existierende Einzelding). Deswegen ist jedoch die Verbindung der Elemente beim Tier nicht weniger kräftig und wirksam als etwa beim Stein; im Gegenteil, sie ist dies noch viel mehr, weil sie eben auf ein viel höheres Ding abzielt. -

So nun begründet bei den übrigen Menschen (außer Christus) die Verbindung von Seele und Leib ohne Weiteres die Hypostase, weil es eben nichts Weiteres gibt als diese zwei, (und weil die Hypostase oder das Suppositum eben nichts anderes ist, als diese zwei in ihrer konkreten Existenz). Bei Jesus Christus, dem Herrn aber kommt außer Seele und Leib noch eine dritte Substanz hinzu, nämlich die Gottheit. Es ist also bei ihm das aus Seele und Leib Begründete nicht einzeln für sich Suppositum oder Hypostase, so wenig als es für sich Person ist, sondern Suppositum, Hypostase oder Person ist das, was aus den drei Substanzen, Leib, Seele und Gottheit besteht (konkret existiert). So gibt es in Christus, wie nur Eine Person, so auch nur Ein Suppositum und Eine Hypostase. In andrer Weise aber verbindet sich die Seele mit dem Leib, und in andrer die Gottheit mit Beiden. Die Seele verbindet sich mit dem Leib als dessen (Wesens-)Form (Wesensbestimmtheit); es wird also durch diese Beide (wie überhaupt aus Form und Materie) eine einzige Natur (eine Natureinheit) begründet, die man die Menschennatur nennt. Die Gottheit aber verbindet sich mit Seele und Leib nicht als deren (Wesens-)Form, noch auch in der Weise eines Teiles, (als Teil mit ihnen ein Ganzes bildend); denn das widerspricht dem Begriff und Wesen der göttlichen Vollkommenheit. Es wird also aus Gottheit, Seele und Leib nicht eine einzige Natur (eine Natureinheit) begründet, sondern während die göttliche Natur in sich selbst unversehrt und rein (ohne mit Seele und Leib zu einer Natureinheit sich zu vermischen) bleibt, hat sie auf ein unbegreifliche und unaussprechliche Weise die aus Seele und Leib begründete Menschennatur zu sich an- und aufgenommen. Diese Annahme aber ist das Werk ihrer unendlichen Macht. Wir sehen nämlich, dass eine Wirkursache, je mächtiger und kräftiger sie ist, sich auch desto mehr und inniger verbindet und einigt mit dem Werkzeug, mit dem sie Etwas vollbringt. Wie nun die göttliche Macht wegen ihrer Unendlichkeit unbegrenzt und unbegreiflich ist, so ist auch die Art und Weise, in welcher sich Christus die menschliche Natur geeint hat als das Organ (das Werkzeug), mit dem er das Heil der Welt erwirken wollte, - für uns etwas Unaussprechliches, und weit hinausgehend über jede andere Art der Verbindung, welche Gott mit der Kreatur eingeht. ("Diese Einigung ist eine ganz einzigartige, weit erhaben über alle andern Arten der Einigungen, die uns bekannt sind. Wie nämlich Gott die Güte selbst ist und sein eigenes Sein: so ist er auch die Einheit selbst durch seine Wesenheit. Wie also seine Macht und Kraft auf diese Arten von Güte und Sein, die in den geschaffenen Dingen sich finden, keineswegs beschränkt ist, sondern immer wieder neue Arten von Gutem und vom Sein schaffen kann, die uns unbekannt sind: so kann er auch durch seine unendliche Kraft eine neue Art der Einigung bewirken (die weder eine Natureinheit, noch eine bloße akzidentelle Einheit ist, sondern) der zufolge die menschliche Natur dem Logos persönlich, nicht aber akzidentell geeint ist." De Unione Verbi incarn. a 1). Wie schon bemerkt, bezeichnet nun "Person", "Hypostase" und "Suppositum" etwas Ganzes; würde nun die göttliche Natur in Christus sich vorfinden nur als Teil (des ganzen Christus, als wenn sich dieser etwa aus Gottheit + Seele + Leib zusammensetzen würde) und nicht als etwas (in sich abgeschlossenes) Ganzes, wie ersteres z. B. mit der Seele bei der Zusammensetzung des Menschen der Fall ist (wo also die Seele nur einen Teil des Ganzen, des aus Seele und Leib sich zusammensetzenden Menschen bildet): so würde die Eine Person Christi sich nicht ausschließlich auf Seiten der göttlichen Natur finden, sondern sie wäre etwas durch die drei Substanzen: Gottheit, Seele und Leib Begründetes (die Resultante dieser drei Substanzen) wie ja auch beim Menschen Person, Hypostase und Suppositum das aus der Zusammensetzung von Seele und Leib begründete Ding ist. Weil nun aber die göttliche Natur (bei Christus nicht etwa ein Teil Christi, sondern) ein in sich und für sich abgeschlossenes Ganze ist, das in einer für uns einfach unaussprechlichen Einigung die menschliche Natur in sich auf- und annahm, so liegt die Person bei Christus einzig auf Seiten der göttlichen Natur - desgleichen auch die Hypostase und das Suppositum. Seele aber und Leib werden in die Persönlichkeit der göttlichen Person hineingezogen, so dass diese die Person des Sohnes Gottes, wie auch die Person des Menschensohnes bildet, und ebenso die Hypostase und das Suppositum dieses Letzteren.

Ein schwaches Bild hierfür finden wir im Gebiet des Geschöpflichen. Subjekt und Akzidenz (z. B. der Mensch und die weiße Farbe, die sich an ihm findet) einigen sich nicht derart, dass aus ihnen ein drittes Ding entstünde; deshalb trägt das Subjekt bei einer solchen Einigung nicht den Charakter des Teiles, sondern ist und bleibt das in sich abgeschlossene Ganze, ist also Person, Hypostase und Suppositum. Das Akzidenz aber wird in die Persönlichkeit des Subjektes der Art hineingezogen, dass der Mensch und der Weissfarbige (nicht zwei verschiedene, sondern) nur ein und dieselbe Person bilden, wie nicht minder ein und dieselbe Hypostase und ein und dasselbe Suppositum (ein und dasselbe konkret existierende Ding). So ist - allerdings nur in ähnlicher Weise - die Person, die Hypostase und das Suppositum des Sohnes Gottes, die Person, die Hypostase und das Suppositum der menschlichen Natur in Christus (das, was der menschlichen Natur in Christus zu Grunde liegt, sie im Dasein hält und trägt). Eben diese Ähnlichkeit war der Grund, weshalb Manche (Theologen) soweit gingen, zu behaupten, die menschliche Natur sinke bei Christus zu einem bloßen Akzidenz herab und sie sei dem Sohn Gottes nur in akzidenteller Weise (in der Art, wie ein Akzidenz mit seinem Subjekt, die weiße Farbe mit dem Menschen) geeint. Dies kam daher, weil sie das bloße Bild und die Ähnlichkeit (die immer hinkt, d. h. nicht nach allen Seiten hin zutreffend ist) für die Wirklichkeit nahmen (dies tat die Kap. 209 aufgeführte dritte Meinung).

Aus dem Gesagten also ergibt sich, dass in Christus keine andere Person ist, als die ewige, die da ist die Person des Sohnes Gottes, sowie auch keine andere Hypostase und kein anderes Suppositum, als das Ewige. Wenn man also, auf Christus hinweisend, sagt: dieser Mensch da: so ist damit das ewige Suppositum (des Sohnes Gottes) gemeint (das der menschlichen Natur zu Grunde liegend, dieser Sein und Bestand verleiht, cum non possit (natura humana) in rerum natura esse nisi in atomo, id est in suo supposito. Sent. III. dist. 8 q 1 a 2). Deshalb wird jedoch keineswegs der Name "Mensch" von Christus in einem andern Sinn und in einer andern Bedeutung ausgesagt, als von den übrigen Menschen; denn die Äquivokation (der Gebrauch ein und desselben Wortes für von einander verschiedene Begriffe und Dinge, z. B. das Wort "Widder" für ein Tier, ein Gestirn, ein Belagerungswerkzeug. usw.) kommt nicht in Betracht nach der Verschiedenheit der Supposition (der Einzelwesen die unter diesen Namen fallen) sondern nach der Verschiedenheit der Bedeutung (in welcher ein und dasselbe Wort, wie in den Beispielen gezeigt ward, genommen werden kann). Der Name "Mensch" aber, Petrus wie Christus beigelegt, bezeichnet und bedeutet bei Beiden ganz dasselbe, nämlich die menschliche Natur: supponiert aber nicht dasselbe; denn in letzterem Fall supponiert es das ewige Suppositum des Sohnes Gottes, (das bei Christus der menschlichen Natur zugrunde liegt als ihr Träger und Inhaber) im ersten Fall, bei Petrus, nur ein geschaffenes Suppositum. Nun kann man von jedem Suppositum einer Natur (von dem Einzelwesen, das einer bestimmten Natur, Spezies z. B. des Pferdes angehört) Alles das aussagen, was jener Natur zukommt, deren Suppositum es ist; in Christus aber besteht für die menschliche und göttliche Natur ein und dasselbe Suppositum: es können also von diesem Suppositum beider Naturen - mag es nun supponiert werden durch einen Namen, welcher die menschliche Natur ausdrückt, oder auch durch einen Namen, welcher die göttliche Natur und Person bezeichnet (denn beide sind real identisch) - unterschiedslos Dinge ausgesagt werden, ob sie nun der göttlichen oder menschlichen Natur zukommen. So z. B. kann man sagen, der Sohn Gottes ist ewig, und der Sohn Gottes ist geboren von der Jungfrau; und andrerseits ebenso, dieser Mensch (Jesus) ist Gott, ist Schöpfer der Sternenwelt, so wie auch, er ward geboren, ist gestorben, ward begraben. (Dies ist die sogen. communicatio idiomatum).

Das nun aber, was von einem Suppositum ausgesagt wird, wird von diesem ausgesagt auf Grund einer Form (einer Bestimmtheit, die dasselbe an sich hat) oder auf Grund des Stofflichen (das an ihm sich findet); so wird Sokrates weißfarbig genannt auf Grund seiner weißen Hautfarbe, vernünftig aber auf Grund seiner Seele. Nun ward oben gesagt, dass in Christus zwei Naturen und Ein Suppositum ist. Bezieht man die Aussagen auf das Suppositum, so kann man von Christus, ohne ein Unterschied zu machen, Menschliches und Göttliches aussagen; dagegen muss man einen Unterschied machen bezüglich des Grundes, auf den hin, oder der Richtung, nach welcher hin, Beides ausgesagt wird; denn das Göttliche wird von Christus ausgesagt auf Grund seiner göttlichen Natur (seiner göttlichen Natur nach) das Menschliche auf Grund seiner menschlichen Natur (seiner menschlichen Natur nach). Cg. IV, 39 u. 41. 3 q 2 a 6.

  • Der IV. Anathematismus des Konzil von Ephesos verbietet, die Einheit des Suppositums in Christus aufzuheben, dadurch dass man die Wort der Schrift über Christus teilt, indem man die einen einem von Logos getrennt gedachten Menschen zuteilt, die andern, als Gottes würdig, nur dem Logos zuschreibt.

212. Kapitel: Was in Christus als nur Eines und was als Mehreres bezeichnet wird

In Christus also gibt es Eine Person und zwei Naturen. Daraus kann man ermessen, was man bei Christus als Eines und was man als Mehreres bezeichnen kann. Von Allem nämlich, was auf Grund der Verschiedenheit der Naturen mehrfach ist, müssen wir behaupten, dass es als Mehrfaches in Christus sich findet.

1. Hiebei kommt zuerst in Betracht, dass, weil die Erzeugung oder Geburt der Weg ist, auf dem man die Natur erhält, es notwendig wie es bei Christus zwei Naturen gibt - so auch, zwei Erzeugungen oder Geburten geben muss: eine ewige, auf Grund deren er die göttliche Natur vom Vater, und eine zeitIiche, durch welche er die menschliche Natur von der Mutter erhält. 3 q 35 a 2.

2. Ferner muss das als mehrfach bei Christus bezeichnet werden, was man sowohl Gott als dem Menschen zuspricht, als etwas zur betreffenden Natur Gehöriges. Nun aber bildet ein Attribut Gottes Intellekt und Wille, sowie auch alle Vollkommenheiten derselben, wie z. B. Wissen oder Weisheit, Liebe oder Gerechtigkeit. Dasselbe wird aber auch dem Menschen zugesprochen als Etwas, das zur menschlichen Natur gehört. Denn Wille und Intellekt sind Teile der Seele; ihre Vollkommenheiten aber sind Weisheit und Gerechtigkeit und dergleichen. Man muss also in Christus zwei Intellekte annehmen, den menschlichen und den göttlichen, und desgleichen auch, zwei Willen, wie nicht minder eine doppelte Weisheit und Liebe, eine geschaffene und eine ungeschaffene. Cg. IV, 36. 3 q 9 a 1; q 18 a 1.

3. Was dagegen zum Suppositum oder zur Hypostase gehört, darf man nur als Eines in Christus bezeichnen. Nimmt man also das Sein (nicht insofern es der Natur zukommt, also das spezifische Sein, das bei Christus, den zwei Naturen entsprechend, ein doppeltes ist: 3 q 17 a 2, sondern) insofern ein einziges Suppositum nur ein einziges Sein hat (illud esse, quod pertinet ad ipsam hypostasim vel personam, secundum se impossibile est in una hypostasi vel persona multiplicari; quia impossibile est, quod unius rei non sit unum esse; 3 q 17 a 2), so muss man sagen, dass in Christus nur ein einziges Sein ist. Denn es haben zwar die Teile, wenn sie getrennt sind, jeder für sich sein eigenes Sein; insofern man sie aber im Ganzen betrachtet, so hat nicht jeder sein eigenes Sein für sich, sondern alle sind (existieren) durch das Sein des Ganzen. Betrachten wir also Christus als ein in sich abgeschlossenes Suppositum der zwei Naturen, so hat er nur Ein Sein, wie er auch nur Ein Suppositum hat (d. h. er ist ein einziges konkret existierendes Ding: 3 q 17 a 1).

4. Weil nun die Tätigkeit Sache des Suppositums ist, so glaubten Manche (Sergius v. Ct.), dass in Christus, wie nur Ein Suppositum, so auch nur eine einzige Tätigkeit (Wirkungsweise) sei. Allein hierin täuschten sie sich; denn in jedem Einzelwesen finden sich vielerlei Tätigkeiten oder Wirkungsweisen, wenn es in ihm verschiedene Tätigkeitsprinzipien gibt. So ist z. B. beim Menschen etwas Anderes die Tätigkeit des Erkennens, und etwas Anderes die des Empfindens, eben weil Sinn und Verstand (von denen diese Tätigkeiten ausgehen) etwas Verschiedenes sind; so ist beim Feuer etwas Anderes die Tätigkeit (Wirkungsweise), vermöge der es Wärme verbreitet, und etwas anderes jene, vermöge der es in die Höhe strebt, eben weil (in ihm die Tätigkeits- oder Wirkungsprinzipien, nämlich) Wärme und (nach der alten Naturlehre) Leichtigkeit von einander verschieden sind.

Nun aber ist die Natur das Prinzip der Tätigkeit oder Wirkungsweise. Deshalb haben wir bei Christus nicht etwa Eine Tätigkeit oder Wirkungsweise wegen des Einen Suppositums, sondern vielmehr Zwei, wegen der zwei Naturen, wie es umgekehrt bei der Hl. Dreifaltigkeit nur Eine Wirkungsweise gibt, wegen der allen drei Personen gemeinsamen Einen göttlichen Natur. - Immerhin nimmt jedoch die menschliche Tätigkeit bei Christus etwas teil an der Wirkungsweise der göttlichen Allmacht. Bei allen Dingen nämlich, die in einem einzigen Suppositum zusammen kommen, besteht das Verhältnis, dass jenem, welches das erste und oberste ist, alle Übrigen wie Werkzeuge dienstbar sind; so sind z. B. alle Teile des Menschen Werkzeuge des Verstandes (der sich ihrer zu seinen Zwecken bedient). So muss also auch bei Christus die Menschheit (menschliche Natur) als Organ (Werkzeug) der Gottheit betrachtet werden. Nun wirkt aber offenbar das Werkzeug in Kraft der ersten und obersten Wirkursache (der Prinzipalursache). Deshalb findet sich in der Tätigkeit (Wirkungsweise) des Werkzeuges nicht nur die Kraft des Werkzeuges (z. B. beim Beil das Einschneiden), sondern auch die der Prinzipalursache (dass durch das Einschneiden ein Kasten entsteht). So entsteht z. B. durch die Tätigkeit des Beiles ein Kasten, aber dies nur insofern das Beil vom Künstler seine Lenkung und Leitung erhält. So nun hatte auch die menschliche Natur in Christus eine Kraft und Wirkung, die von der Gottheit herstammte und über die menschliche Kraft hinausging. So war, wenn er einen Aussätzigen berührte, dies allerdings eine Tätigkeit seiner Menschheit; dass aber diese Berührung vom Aussatz heilte, kam von der Allmacht der Gottheit her. Auf diese Weise nun werden alle menschlichen Tätigkeiten wie Leiden Christi durch die Kraft der Gottheit heilbringend; und deshalb nennt Dionysius (der Areopagite, nach der neueren Kritik: Pseudo-Dionysius, De divin. nom. c. 2) Christi Tätigkeit eine gottmenschliche, weil sie nämlich zwar von der Menschheit ausging, aber so, dass in ihr die Allmacht der Gottheit wirksam war. Cg. IV, 41. 3 q 29 a 1.

5. Ein Zweifel besteht jedoch noch bei Manchen (Theologen) bezüglich der Sohnschaft: ob diese nämlich bei Christus nur eine einzige sei wegen der Einheit des Suppositums, oder ob es zwei seien wegen der doppelten Geburt Christi. Nun scheint aber das letztere der Fall zu sein; denn mit der Vermehrung der Ursachen vermehren sich auch die Wirkungen; Ursache der Sohnschaft aber ist die Geburt.

Da es nun bei Christus zwei Geburten gibt (s. n. 1), so scheint zu folgen, dass es auch zwei Sohnschaften bei ihm geben müsse. Dem steht auch nicht im Weg, dass die Sohnschaft eine die Person betreffende Beziehung ist, d. h. die Person begründet; denn das ist wahr bei der göttlichen Sohnschaft Christi; die menschliche Sohnschaft aber begründet nicht erst die Person Christi, sondern kommt zur schon (durch die ewige Geburt aus dem Vater) begründeten Person hinzu. Desgleichen steht nicht entgegen, dass ein Mensch durch eine einzige Sohnschaft sowohl zum Vater als auch zur Mutter seine Beziehung hat (nicht also eine besondere Sohnschaft dem Vater, und eine besondere Sohnschaft der Mutter gegenüber hat), denn er entsteht durch eine einzige Geburt von Beiden. Wo aber für die Beziehung (zu Mehreren, z. B. Vater und Mutter) eine und dieselbe Ursache (die Eine Geburt) vorhanden ist, ist die Beziehung real, (der Sache nach) nur eine einzige, wiewohl sie sich ideal (im Denken) vervielfältigen kann. Denn es steht nichts im Weg, dass ein Ding zu einem andern eine Beziehung hat, ohne dass diese Beziehung real (der Sache und Wirklichkeit nach) in ihm sei; so steht der Wissensgegenstand (z. B. der Pythagoräische Lehrsatz) zum Wissen desselben in einer Beziehung, die nicht (real) im ersteren ist. (Wenn jemand den Pythagoräischen Lehrsatz kennen gelernt hat, so hat er eine reale Beziehung zu diesem Lehrsatz; denn er hat in seinem Wissen eine Erkenntnis, die vorher nicht in ihm war; nicht aber hat umgekehrt der Pyth. Lehrsatz etwas Neues erhalten in sich selbst dadurch, dass ein Anderer ihn erkannt hat; seine Beziehung zu dem ihn erkennenden ist eine ihm äußerliche, eine rein ideale). So hindert also auch nicht, dass eine reale Relation mehrere ideale Beziehungen hat. Wie nämlich die Relation es ihrer Ursache verdankt, dass sie etwas Reales ist, so verdankt sie es ihr auch, dass sie nur eine einzige, oder dass sie eine mehrfache ist. Da nun Christus nicht durch dieselbe Geburt (aus dem ewigen) Vater und aus der (zeitlichen, geschöpflichen) Mutter geboren wird, so scheinen in ihm zwei reale Sohnschaften zu sein, eben wegen der zwei Geburten. -

Der Grund nun, weshalb trotzdem nicht eine Mehrzahl von Sohnschaften in Christus sein können, liegt in etwas Anderem. Nicht Alles nämlich, was aus einem andern entsteht, kann als Sohn desselben bezeichnet werden, sondern dies kommt nur dem vollständigen Suppositum (dem in sich abgeschlossenen und vollendeten Einzelding) zu. Denn wir bezeichnen nicht etwa die Hand (für sich) als die Tochter dieses Menschen, und den Fuß als seinen Sohn; sondern das ganze (und vollständige) Einzelding, also den Petrus oder Johannes (nicht aber bloß die Hand oder den Fuß derselben). Das eigentliche Subjekt der Sohnschaft ist also das Suppositum. Nun ward aber oben (Kap. 210) gezeigt, dass es in Christus kein anderes Suppositum gibt, als das ungeschaffene des Logos; zu diesem kann nicht in der Zeit (durch etwas Zeitliches) eine reale Relation hinzukommen, sondern, wie wir oben (Kap. 99) gesagt haben, ist alle Relation, die Gott zur Kreatur hat (und haben kann), nur eine ideale (nicht eine solche, die in Gott selbst etwas hineinlegt, vgl. 1 q 13 a 7). Die Sohnschaft also, durch welche das ewige Suppositum des Sohnes zu seiner jungfräulichen Mutter in Beziehung steht, ist nicht eine reale Relation (im ewigen Logos), sondern nur eine ideale. Das hindert jedoch nicht, dass Christus wahrhaft und wirklich der Sohn der jungfräulichen Mutter ist, weil er in Wirklichkeit von ihr geboren ist. So ist auch Gott in Wahrheit und Wirklichkeit der Herr der Schöpfung, weil er eine reale (nicht bloß gedachte) Kraft hat, die Schöpfung zu beherrschen, und doch wird die Beziehung, die Gott als Herrscher der Schöpfung gegenüber hat, nur als eine ideale (nicht als eine reale Relation) Gott beigelegt (weil andernfalls sonst in Gott seit der Schöpfung etwas hineingekommen wäre, nämlich die Herrscherwürde, was er vorher nicht gehabt hätte; dies aber widerspricht der absoluten Vollkommenheit und der Unveränderlichkeit Gottes 1 q 13 a 7). Wäre allerdings in Christus, wie manche (Theologen) behauptet hatten, mehr als ein Suppositum (siehe oben Kap. 210), dann stünde nichts im Weg, in Christus zwei Sohnschaften anzunehmen, weil (dann) der zeitlichen Sohnschaft das zeitliche Suppositum unterstünde. 3 q 35 a 5.

  • Ad n. 4. Das Laterankonzil unter Martin I (649) nahm can. 15. den Ausdruck operatio deivirilis (éνεργεία θεανδρική) in dem Sinne an, dass damit nicht im monophysitischen Sinn eine einzige Wirkungsweise in Christus behauptet, - sondern nur die wunderbare Einigung des unvermischt bleibenden göttlichen und menschlichen Handelns Christi damit ausgedrückt werden will.

213. Kapitel: Christus musste vollkommen sein in der Gnade und in der Weisheit der Wahrheit

Die Menschheit Christi bildet also im gewissen Sinn das Organ seiner Gottheit. Die Einrichtung und Beschaffenheit eines Organes aber richtet sich hauptsächlich nach dem Zweck dessen, der sich des Organes bedient, sowie nach der Angemessenheit, welche es zu demselben hat.

Diese beiden Momente sind also bestimmend für die Beschaffenheit der vom Wort Gottes angenommenen menschlichen Natur. Der Zweck der Annahme der menschlichen Natur durch das Wort Gottes aber ist das Heil und die Wiederherstellung der menschlichen Natur. Christus musste also seiner menschlichen Natur nach derart beschaffen sein, dass er in entsprechender Weise das Heil derselben (und zwar nicht bloß als causa meritoria, sondern auch als causa efficiens instrumentalis) wirken konnte. Das Heil der Menschen aber besteht im Genuss Gottes, durch welche die Seligkeit des Menschen zustande kommt.

Deshalb musste Christus seiner menschlichen Natur nach im vollen Genuss Gottes sich befinden. Denn (nach dem Kausalitätsgesetz) muss auf jedem Gebiete immer das Prinzip etwas Vollkommenes sein. (Was für alles Andere auf irgend einem Gebiete des Seins Grund und Ursache ist, muss das, was alle diese übrigen Dinge haben, in vollkommenster Weise besitzen: so muss auf dem Gebiet des Lichtes die Sonne als die Quelle desselben das vollkommenste Licht sein). Der Genuss Gottes aber stützt sich auf etwas doppeltes: auf den Willen und auf den Verstand; auf den Willen, insofern dieser Gott sich durch die Liebe völlig anschließt; auf den Verstand aber, insofern dieser Gott vollkommen erkennt. Der vollkommene Anschluss des Willens an Gott durch die Liebe vollzieht sich vermittelst der Gnade, durch welche der Mensch gerechtfertigt wird, nach dem Wort des Apostels (Röm 3, 24): "Gerechtfertigt aus freier Huld durch seine Gnade." Dadurch nämlich ist der Mensch gerecht, dass er Gott anhängt durch die Liebe. Die vollkommene Erkenntnis Gottes aber vollzieht sich durch das Licht der Weisheit, welche in der Erkenntnis der göttlichen Wahrheit besteht. - Das fleischgewordene Wort Gottes musste also die höchste Vollkommenheit besitzen in der Gnade und in der Weisheit (im Wissen) der Wahrheit. Deshalb heißt es bei Johannes (1, 14): "Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit geschaut, die Herrlichkeit des Eingeborenen vom Vater, voll der Gnade und Wahrheit." 3 q 9 a 2.

214. Kapitel: Von der Gnadenfülle Christi

Wir handeln zuerst von der Fülle der Gnade in Christus. Für das lateinische Wort gratia (Gnade) können wir zweierlei Ableitung haben. Einmal können wir es herleiten vom Begriff und Ausdruck "gratum esse" = Jemandem angenehm sein. Wir sagen nämlich, dieser steht bei jenem in Gnade, (oder er besitzt seine Gnade), eben weil er ihm angenehm ist. Andrerseits davon, dass Jemanden etwas gratis (ohne sein Verdienst, umsonst, aus reiner Huld) gegeben wird. So sagen wir, es erweist Jemand einem Andern eine Gnade, wenn er ihm nämlich eine Wohltat gratis, aus freier Huld, erweist. Diese beiden Bedeutungen in welchen man das Wort Gnade gebrauchen kann, stehen Übrigens auch in einem gewissen Zusammenhang miteinander. Der Grund nämlich, weshalb Einer einem andern Etwas gratis, (ohne dass er es verdient) gibt, ist der, dass jener, welchem Etwas gegeben wird, dem Geber angenehm ist, sei es nun schlechthin, oder nur nach einer bestimmten Seite hin. Schlechthin dann, wenn der Empfänger dem Geber zu dem Zweck angenehm oder erwünscht ist, dass er mit ihm irgend welche Verbindung eingehe. Jene nämlich, die uns angenehm sind, ziehen wir nach Möglichkeit an uns heran, je nach dem Maße, (mehr oder weniger), nach dem sie uns angenehm sind. Nur nach einer bestimmten Seite hin dagegen ist Jemand einem Andern dann angenehm, wenn der Empfänger dem Geber nur dazu angenehm (erwünscht) ist, dass Ersterer etwas von ihm empfange; nicht aber auch weiter dazu, dass der Empfänger von ihm an- und aufgenommen werde. Daraus ergibt sich, dass jeder, welcher Gnade hat, Etwas besitzt, was gratis (aus freier Huld) gegeben wird; nicht aber ist auch zugleich Jeder, der eine gratis verliehene Gabe besitzt "eo ipso" schon dem Geber angenehm; und deshalb pflegt man eine doppelte Gnade zu unterscheiden; eine nämlich, die einfach (nichts anderes an sich hat, als dass sie) gratis gegeben ist; (die gratia gratis data); die andere aber, welche außerdem noch (die Eigenschaft an sich hat, dass sie dem Empfänger dem Geber) angenehm macht, (die gratia gratum faciens vgl. 1. 2. q III a 1 ad 3).

Die Eigenschaft aber, dass es gratis (aus freier Huld) gegeben werde, spricht man dann einem Ding zu, wenn es in keiner Weise geschuldet ist. Nun kann Etwas auf zweifache Weise geschuldet sein: einmal auf Grund der Natur, und das andere mal auf Grund der Tätigkeit. Auf Grund der Natur ist einem Ding das geschuldet, was Begriff und Wesen dieses Dinges verlangt; so fordert die Natur des Menschen, ist ihm also geschuldet, dass er Vernunft besitze, sowie Hände und Füße (= debitum naturae). Auf Grund der Tätigkeit ist das geschuldet, was als Lohn für die Arbeit gegeben wird (= debitum meriti seu personae). Jene Gaben also sind den Menschen von Gott gratis (aus freier Huld) gegeben (tragen den Charakter der Gratuität an sich), welche die Naturordnung (die Forderung der Natur) übersteigen, und die nicht durch Verdienste erworben werden (nicht auf Grund der Verdienste gegeben werden). Indessen verliert selbst das, was Gott (den Menschen) auf Grund der Verdienste verleiht, bisweilen noch nicht den Namen und auch nicht den Begriff des Verdienstes; einmal weil das Prinzip des Verdienstes das Werk der Gnade ist; so dann auch weil diese Gaben bei weitem größer sind, als es das Verdienst der Menschen beanspruchen könnte (1 q 21 a 4 Verit. q 27 a 5 ad 6m). Deshalb heißt es (Röm 6, 23): "Gnade Gottes ist das ewige Leben" (obwohl es durch die guten Werke verdient wird).

Unter diesen Gnadengaben nun sind solche, die sowohl alle Fähigkeit der menschlichen Natur übersteigen, als auch nicht auf Grund der Verdienste gegeben werden; nichtsdestoweniger aber wird jener, der sie besitzt, nicht einfach schon durch die bloße Tatsache des Besitzes, Gott angenehm. Derart ist die Gabe der Profetie, die Gabe Wunder zu wirken, das Charisma der übernatürlich verliehenen Wissenschaft und der Lehrgabe und was es sonst noch für derartige, von Gott auf übernatürliche Weise verliehene Gaben (Charismen) geben mag. Durch diese und ähnliche Gaben wird nämlich der Mensch mit Gott nicht (im eigentlichen Sinn) verbunden, außer höchstens dadurch, dass er eine Ähnlichkeit mit Gott erhält, insofern er nämlich etwas von Gottes Vollkommenheit und Güte hat; dies ist aber eine Gottähnlichkeit, welche alle Dinge ohne Unterschied besitzen (indem, sie durch ihr Sein und Wirken am göttlichen Sein und Wirken teilnehmen siehe oben Kap. 101-103).

Dann gibt es aber auch Gnadengaben , welche den Menschen Gott angenehm machen und ihn mit Gott verbinden. Diese Gaben nun besitzen den Namen "Gnade", gratia nicht bloß deswegen, weil sie gratis gegeben werden, sondern auch darum, weil sie den Menschen Gott lieb und angenehm machen.

Nun gibt es eine doppelte Verbindung des Menschen mit Gott. Die eine vollzieht sich durch das Begehren und Verlangen (durch Hinneigung), also durch die Liebe, und diese macht eben durch diese Hinneigung den Menschen gewissermaßen eins mit Gott, nach dem Wort des Apostels (1 Kor 6, 17): " Wer Gott anhängt, ist ein Geist mit ihm." Durch sie wohnt auch Gott im Menschen, wie es heißt (Joh 14, 23): "Wenn Jemand mich liebt, so wird er mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen." Sie bewirkt auch, dass der Mensch in Gott ist, nach dem Wort des Apostels (1 Joh 4, 16): "Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott, und Gott in ihm. " Jener also wird durch die Gabe, die er gratis, ohne sein Verdienst empfangen hat, Gott lieb und angenehm, der dahin kommt, dass er durch die Hinneigung der Liebe Ein Geist wird mit Gott, so dass er in Gott ist, und Gott in ihm. Deshalb betont der Apostel (1 Kor 13, 1 ff), dass ohne die Liebe alle übrigen Gaben dem Menschen nichts nützen; denn sie können ihn Gott nicht lieb und angenehm machen, wenn die Liebe nicht dabei ist. Diese Gnade jedoch ist etwas allen Heiligen Gemeinsames; darum hat Christus als Mensch diese Gnade seinen Jüngern im Gebet erlangt, da er sprach (Joh 17, 21): "Auf dass sie eins seien", nämlich durch das Band der Liebe, - "wie auch wir eins sind" (nicht aber bloß durch das Band der Liebe, sondern auch durch das der Einen göttlichen Natur). -

Die andere Verbindung, die es noch zwischen Gott und Menschen gibt, ist jene, die sich nicht bloß durch die Hinneigung und durch die Einwohnung vollzieht, sondern durch die Einheit der Hypostase oder Person, dass nämlich Gott und Mensch eins sind in der Hypostase oder Person. Und diese Verbindung des Menschen mit Gott ist die Jesus Christus allein eigentümliche, die wir eben im Vorausgehenden behandelt haben. Das ist nämlich die dem Menschen Christus ganz einzigartige Gnade, dass er Gott geeint ist in der Einheit der Person; es ist dies eine gratis, aus freier Huld verliehene Gabe: einmal weil sie die Fähigkeit der Natur absolut übersteigt, und dann, weil dieser Gabe keinerlei Verdienst vorausgeht (3 q 2 a 10 u. 11). Es macht ihn aber auch im höchsten Grade Gott lieb und angenehm; deshalb heißt es von ihm in einzigartiger Weise (Mt 3, 17): "Das ist mein viel geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe."

Zwischen der ersteren und der letzteren Gnade besteht aber der Unterschied, dass jene Gnade, durch welche der Mensch Gott nur durch die Hinneigung, die Liebe geeint ist, in der Weise eines (zur Natur und ihren Kräften noch hinzugefügten) Habitus in der Seele existiert, (einer Zuständlichkeit, welche eine gewisse Fertigkeit zu bestimmten Akten verleiht, wie z. B. ein im Klavierspiel Geübter den Habitus des Klavierspielens hat, so dass er leicht und gut spielt). Denn da diese Verbindung des Menschen mit Gott durch den Akt der Liebe sich vollzieht, ein in seiner Art vollkommener Akt aber eben aus einem Habitus (einer Fertigkeit) hervorgeht, so folgt, dass zu diesem allervollkommensten Habitus, durch welche die Seele mit Gott in der Liebe vereinigt ist, der Seele eine habitelle (eine auf die Dauer berechnete und ihr zu den Akten der Gottesliebe eine gewisse Fertigkeit verleihende) Gnade eingegossen wird. - Das persönliche oder hypostatische Sein hingegen ist nicht Sache eines Habitus, sondern der Naturen selbst, denen die Hypostasen oder Personen angehören. Die Einigung der menschlichen Natur mit Gott in der Einheit der Person bei Christus vollzieht sich also nicht etwa auf Grund einer habituellen Gnade, sondern einfach und unmittelbar durch die Vereinigung der beiden Naturen in einer Person.

Je mehr nun ein Geschöpf sich Gott nähert, desto mehr nimmt es Teil all seiner Vollkommenheit und Güte, und desto reichlichere Gaben ergießen sich in dasselbe; so erhält ja auch jener mehr Wärme vom Feuer, der näher an dasselbe herantritt. Nun gibt es aber keine Art des Anschlusses der Kreatur all Gott, oder ist auch nur denkbar, die inniger und enger wäre, als jene, durch welche sie persönlich mit Gott eins wird. Die Verbindung der menschlichen Natur mit Gott in der Einheit der Person hat also (ohne weiteres) zur Folge, dass die Seele Christi mehr als alle übrigen Seelen voll der habituellen Gnadengaben war. Demnach bildet die habituelle Gnade bei Christus nicht etwa die Disposition (Befähigung) zur Einigung, sondern vielmehr umgekehrt eine Wirkung und Folge derselben. Dies ergibt sich schon klar und bestimmt aus der Ausdrucksweise, deren sich der Evangelist (Joh 1, 14) hierfür bedient, wenn er sagt: "Wir haben ihn geschaut als den Eingeborenen vom Vater, voll der Gnade und Wahrheit." Der Eingeborene vom Vater aber ist der Mensch Christus insofern, als das Wort Fleisch geworden ist. Einfach also die Tatsache, dass das Wort Fleisch geworden ist, hat (ohne weiteres) zur Folge, dass der Mensch Christus voll der Gnade und Wahrheit ist). 3 q 2 a 10; q 6 a 6; q 7 a 1.

Bei allen Dingen aber, die mit einer bestimmten Art von Güte oder Vollkommenheit erfüllt sind, besitzt jenes am meisten von dieser Vollkommenheit, von dem sich dieselbe auch auf Andere ergießt; so besitzt unter den Lichtkörpern jener am meisten Leuchtkraft, der (wie z. B. die Sonne) auch die übrigen zu erleuchten vermag. Weil nun der Mensch Christus die höchste Fülle der Gnade erhielt als der Eingeborene vom Vater (d. h. eben durch die hypostatische Union), so folgt, dass von ihm aus diese Fülle auf alle Übrigen überströmt, so dass der Sohn Gottes, Mensch geworden, die Menschen zu Göttern und Kindern Gottes machte, nach dem Wort des Apostels (Gal 4, 4 f): "Gott sandte seinen Sohn, gebildet aus der Frau, untertan dem Gesetz, damit er die, welche unter dem Gesetz standen, erlöste, damit wir an Kindesstatt angenommen würden." Deshalb nun, weil von Christus aus sich die Gnade und Wahrheit auf alle übrigen Menschen überleitet, kommt es ihm zu, Haupt der Kirche zu sein. Denn vom Haupt leitet sich in die Glieder, die mit ihm dieselbe Natur haben, im gewissen Sinn Empfindung und Bewegung über; so geht auch von Christus Gnade und Wahrheit auf die anderen Menschen über. Deshalb heißt es (Eph 1, 22): "Er hat ihn zum Haupt über die ganze Kirche gesetzt, welche sein Leib ist." (3 q 8 a 1 ff). Er darf aber auch als das Haupt, nicht bloß der Menschen, sondern auch der EngeI bezeichnet werden, nämlich wegen seiner Erhabenheit über sie, und wegen seines Einflusses auf sie; wenn er es auch nicht sein kann in der Gleichförmigkeit mit ihnen in derselben spezifischen Natur. Deshalb hat der Apostel dem vorerwähnten Ausspruch vorausgeschickt (Eph 1,20 f) dass Gott "ihn" nämlich Christus, "gesetzt hat zu seiner Rechten im Himmel, über jedes Fürstentum und jede Kraft, und Gewalt und Herrschaft." (3 q 8 a 4).

Dem Gesagten entsprechend pflegt man deshalb eine dreifache Gnade in Christus anzunehmen. Erstens die Gnade der Einigung, vermöge der die menschliche Natur ohne irgend ein vorausgehendes Verdienst das Gnadengeschenk erhielt, dass sie dem Sohn Gottes geeint ward in der Person. Zweitens die Gnade Christi als Einzelperson, vermöge welcher seine Seele vor allen Andern voll war von Gnade und Wahrheit. Drittens die Gnade Christi als Haupt (der Kirche), insofern von ihm auf die Übrigen die Gnade überströmt.

Diese dreifache Einteilung hält auch der Evangelist (Joh 1, 14. 16) ein, und zwar in entsprechender Reihenfolge. Die Gnade der Union spricht er aus mit dem Wort: "Das Wort ist Fleisch geworden"; die Gnade des Einzelmenschen mit dem Wort: "Wir haben ihn geschaut als den Eingeborenen vom Vater, voll der Gnade und Wahrheit"; die Gnade des Hauptes endlich mit dem Wort: "Und von seiner Fülle haben wir alle empfangen." -

215. Kapitel: Von der Unendlichkeit der Gnade Christi

Christus nun ist es allein eigen, dass die Gnade, die er besitzt, eine unendliche ist; denn nach dem Zeugnis Johannes des Täufers (Joh 3,34) "gibt Gott den Hl. Geist nicht nach einem (bestimmten) Maße" dem Menschen Christus, während er den Übrigen nach einem bestimmten Maße gegeben wird, nach dem Worte des Apostels (Eph 4, 7): "Einem Jeden von uns ist Gnade verliehen nach dem Maße, wie Christus sie gegeben hat." Bezieht man das Gesagte auf die Gnade der hynostatischen Union, so steht es außer allem Zweifel. Denn den übrigen Heiligen ward gegeben, Götter oder Kinder Gottes zu sein (nicht im eigentlichen und vollen Sinn, sondern nur) durch Teilnahme, nämlich durch den Einfluss einer Gabe (der heiligmachenden Gnade nämlich) die, weil etwas Geschaffenes, notwendigerweise wie alle übrigen Geschöpfe endlich (begrenzt) sein muss. Christus in seiner menschlichen Natur aber wurde es gegeben, dass er Sohn Gottes sei nicht durch bloße Teilnahme, sondern von Natur aus. (Es ist den Adoptianern gegenüber Dogma, dass Christus auch als Mensch nicht Adoptivsohn, sondern Gottes natürlicher das heißt nicht aus Gnade angenommener, sondern wirklicher Sohn ist). Nun ist aber die natürliche (wirkliche) Gottheit (im Gegensatz zu der durch die Gnade bewirkten bloßen Teilnahme an der Gottheit, der bloßen Vergöttlichung) etwas Unendliches. Eben auf Grund seiner (persönlichen) Einigung erhielt also Christus eine unendliche Gabe (nämlich das persönliche Geeintsein mit dem Logos); deshalb ist die Gnade der (hypostatischen) Union zweifellos etwas Unendliches. 3 q 6 a 6.

Bezüglich der habituellen Gnade jedoch kann man im Zweifel sein, ob sie bei Christus eine unendliche sei. Denn diese ist eine geschaffene Gabe (wie bei den Heiligen), also muss man sagen, dass sie eine begrenzte Wesenheit hat. Immerhin kann man sie jedoch auch (in einem gewissen Sinne) unendlich nennen aus einem dreifachen Grunde.

Erstens wegen dessen, der sie empfängt. Die Auffassungsfähigkeit jeder geschaffenen Natur ist begrenzt (beschränkt); denn, obwohl die vernünftige Natur ein unendliches Gut durch die Tätigkeit des Erkennens und Genießens in sich aufnehmen kann, so kann sie dies doch nicht in unendlicher Weise. Es besitzt also jede Kreatur ein ihrer spezifischen Natur entsprechendes bestimmtes Maß von Aufnahmefähigkeit; was jedoch die göttliche Allmacht nicht hindern kann, eine andere Kreatur von noch höherer Aufnahmefähigkeit zu schaffen. Aber dann besäße diese neugeschaffene eben nicht mehr die spezifisch gleiche Natur, wie die früher gedachte; wie wenn man der Dreizahl noch eine Einheit beifügt, sofort eine spezifisch andere Zahl, die Vierzahl nämlich entsteht. Wenn nun Jemanden von der göttlichen Güte und Vollkommenheit nicht bis zu dem Grad mitgeteilt wird, wie es die natürliche Aufnahmefähigkeit seiner Spezies zulässt, so kann man sagen, es werde ihm nach einem bestimmten, abgemessenen Maße gegeben. Wenn er aber soviel erhält, als die ganze Aufnahmefähigkeit seiner Natur überhaupt entgegennehmen kann, dann dürfte man sagen, es würde ihm nicht nach einem bestimmten abgegrenzten Maße gegeben; denn wenn auch von Seiten dessen, der empfängt, ein (durch die Aufnahmefähigkeit seiner Natur begrenztes) Maß vorhanden ist, so ist doch kein Maß auf Seiten des Gebenden, weil er bereit ist, alles zu geben; wie wenn Jemand mit einem Gefäß zum Fluss kommt, und Wasser ohne Maß und Ziel vorhanden findet, obwohl er gleichwohl wegen der bestimmten Größe des Gefäßes das Wasser nur in einem bestimmten und begrenzten Maße erhält. So ist die habituelle Gnade Christi allerdings begrenzt ihrer (weil geschöpflichen) Wesenheit nach; aber man kann von ihr sagen, sie werde in unbegrenzter Weise und nicht nach einem bestimmten, abgegrenzten Maße verliehen, weil eben soviel gegeben wird, als die menschliche Natur überhaupt in sich aufnehmen kann. -

Zweitens kann die heiligmachende Gnade Christi unendlich genannt werden, in Bezug auf die empfangene Gabe selbst. Denn es steht nichts im Weg, dass ein Ding seiner Wesenheit nach zwar endlich ist, während es auf einem bestimmten Gebiet eine gewisse Unendlichkeit (Unbegrenztheit) besitzt. Unendlich (unbegrenzt) seiner Wesenheit nach nämlich ist das, was die ganze Fülle des Seins in sich beschließt; dies kommt nur Gott allein zu, welcher das Sein selbst ist. Setzen wir aber nun den Fall, eine bestimmte Form (eine Seinsbestimmtheit, Eigenschaft, Qualität, wie z. B. die Schönheit oder die Wärme) existieren nicht in einem bestimmten Subjekt der Schönheit oder der Wärme), so besäße sie zwar keine unbegrenzte (unendliche) Wesenheit, weil ja ihre Wesenheit auf eine bestimmte Gattung oder Art (des Seins, das des Schönseins oder Warmseins) beschränkt ist; nichts desto weniger aber würde sie, ohne Subjekt, Träger gedacht, die ganze Fülle jenes Seinsgebietes (des Schönseins oder Warmseins) besitzen. Sie wäre also dem spezifischen Begriff nach, (als Wärme gedacht), ohne Grenze oder ohne Maß (weil sie eben nicht eine, in ein bestimmtes Subjekt z. B. das Eisen oder Holz, aufgenommene, hierdurch modifizierte und abgegrenzte Wärme wäre), sie hätte eben alles in sich, was nur immer zu diesem bestimmten Seinsgebiet (der Schönheit oder Wärme) gehören kann. Wird aber Röte (Schönheit) oder Wärme in einem Subjekt aufgenommen, so hat sie, (weil eben durch das sie aufnehmende Subjekt modifiziert und begrenzt) nicht immer alles das, was zum Begriff und Wesen dieser Form (Bestimmtheit, Qualität, Röte, Schönheit oder Wärme) notwendig und immer gehört; sondern dies hat sie nur dann, wenn sie vom Subjekt so vollkommen gehabt wird, als sie überhaupt nur gehabt werden kann; so nämlich, dass Besitzweise und Inhalt wie Wert der Sache sich ausgleichen. So war nun die Gnade Christi allerdings begrenzt (endlich) ihrer Wesenheit nach; nichts desto weniger bezeichnet man sie als eine ohne Grenze und Maß; weil Christus Alles, was nur überhaupt unter den Begriff der Gnade fallen kann, besaß. Die übrigen Menschen aber erhalten nicht Alles, was auf dem ganzen Gebiet der Gnade sich nur finden kann, sondern der Eine empfängt die Gnade in dieser, der andere in jener Weise; "denn es gibt verschiedene Gnadengaben" (1 Kor 12, 4).

Drittens ist die habituelle Gnade Christi im gewissen Sinn unendlich von Seiten der Ursache derselben. In der Ursache hat man nämlich auch schon im gewissen Sinn die Wirkung. Wem eine Ursache zur Verfügung steht, welche unendliche Kraft besitzt, um ihm irgend etwas einzuflössen, der besitzt auch das, was eingeflösst wird, ohne Maß und gewissermaßen ohne Grenze (unendlich); so wenn z. B. Jemand eine Quelle besäße, die bis ins Unendliche fort Wasser ausströmen könnte, so würde man von ihm sagen, er besitze Wasser ohne Maß, und gewissermaßen unendlich viel. So besitzt also die Seele Christi Gnade unendlich und ohne Maß einfach dadurch, dass der Logos mit ihr geeint ist, welcher der unerschöpfliche und unendliche Urgrund alles durch die Schöpfung bewirkten Hervorgehens der Kreaturen ist. 3 q 7 a 9-12.

Daraus nun, dass die Gnade der Seele Christi, die ihr als Einzelperson zukommt, auf die oben genannte Weise unendlich ist, ergibt sich klar, dass die Gnade, nach welcher er Haupt der Kirche ist, gleichfalls unendlich ist. Aus dem nämlich, was er hat, gießt er Gnade aus. Weil er nun die Gaben des Geistes ohne Maß empfing, so hat er die Kraft, ohne Maß Gnade auszugießen. Das gehört ja eben zur Gnade des Hauptes (zur Gnade, die er als Haupt der Menschen besitzt), dass seine Gnade eben nicht bloß hinreicht zum Heil eines Teiles der Menschen, sondern der gesamten Welt, nach dem Wort des Apostels (1 Joh 2, 2): "Und er ist die Versöhnung für unsere Sünden, und nicht bloß für die unsrigen, sondern auch für die der ganzen Welt"; ja sogar für mehr als Eine Welt, wenn es deren gäbe, darf man dazu setzen. 3 q 8 a 5.

216. Kapitel: Von der Weisheitsfülle Christi

Weiterhin haben wir zu handeln von der Weisheitsfülle Christi. Hier ist zunächst zu beachten, dass, weil es in Christus zwei Naturen gibt, die göttliche und die menschliche, Alles was auf die beiderseitige Natur sich bezieht, bei Christus verdoppelt werden muss (siehe oben Kap. 212).

Die Weisheit ist aber etwas, was sowohl der göttlichen als der menschlichen Natur zukommt. So wird von Gott gesagt (Job 9, 4): "Er ist weise im Herzen und stark an Kraft." Aber auch die Menschen nennt die Schrift bisweilen weise, sei es nun in Bezug auf die weltliche (durch natürliche Kräfte erworbene) Weisheit, wie es heißt (Jer 9,23): "nicht rühme sich der Weise in seiner Weisheit"; oder bezüglich der göttlichen (von Gott übernatürlich verliehenen) Weisheit, nach den Worten (Mt 23, 34): "Siehe ich sende zu euch Propheten und Weise und Schriftgelehrte." Also müssen wir in Christus eine doppelte Weisheit annehmen, entsprechend den zwei Naturen, nämlich die ungeschaffene Weisheit, die ihm als Gott, und die geschaffene Weisheit, die ihm als Mensch zukommt.

Insofern er Gott ist, und das Wort Gottes, ist er die erzeugte Weisheit des Vaters, nach dem Wort des Apostels (1 Kor 1, 24): "Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit." Denn das innere Wort ist bei Jedem, der denkt, nichts anderes, als der Gedanke seiner Weisheit (das was seine Weisheit, sein Wissen denkt).

Weil nun, wie oben (Kap. 43 u. 56) bemerkt, das Wort Gottes absolut vollkommen und ein einheitliches, (nur ein einziges) ist, so muss das Wort Gottes der absolut vollkommene Gedanke (die im Gedanken sich vollziehende geistige Auffassung und Erfassung) der Weisheit Gott des Vaters sein, so dass Alles, was in der Weisheit Gott des Vaters enthalten ist als etwas Ungezeugtes - Alles das im Wort enthalten ist als etwas Gezeugtes und Gedachtes (geistig Erfasstes). Deshalb heißt es (Kol 2, 3), dass "in ihm" nämlich in Christus, "alle Schätze der Weisheit und Wissenschaft verborgen sind." (Die Stelle bezieht sich zunächst auf das Erlösungswerk, nicht auf die Person Christi).

Der Mensch Christus aber besitzt ein doppeltes Erkennen. Ein Gott ähnliches, in welchem er Gott seinem Wesen nach und alle übrigen Dinge (nicht zunächst in ihrem eigenen Sein, sondern) in Gott (als ihrem Urgrund) schaut, wie ja auch Gott sich selbst schauend, alle übrigen Dinge sieht. Dieses Schauen bildet sowohl die Seligkeit Gottes, als auch die einer jeden vernünftigen Kreatur, welche Gott vollkommen genießt. Weil wir nun Christus als Urheber des menschlichen Heiles bezeichnen (nicht bloß als causa meritoria, sondern auch als causa efficiens instrumentalis siehe oben Kap. 213), so müssen wir behaupten, dass die Seele Christi ein solches Erkennen und Wissen besitzen muss, wie es sich für den gebührt, der Urheber, Begründer des Heiles ist. Das Prinzip, (der Urgrund und Urheber eines Dinges) muss aber (nach dem Kausalitätsgesetz) etwas Festes und Unwandelbares (nicht Etwas noch selbst erst in der Entwicklung zum Ziel hin Begriffenes) sein; (so kann z. B. Prinzip, Urheber eines anderen Menschen nicht ein erst in der Entwicklung zur Geschlechtsreife begriffener, sondern nur ein in dieser Entwicklung zum Abschluss gekommener Mensch sein), sowie in Bezug auf die Kraft das Vorzüglichste. Es war also angemessen, dass Christus das Schauen Gottes, worin die Seligkeit der Menschen, sowie ihr ewiges Heil besteht, in einer höheren Weise als die übrigen besaß, und zwar, dass er es als unwandelbares Prinzip (Urheber für alle übrigen Menschen) besaß. Zwischen jenen Dingen aber, welche der Bewegung (Entwicklung) unterworfen sind, und jenen, welche dem Entwicklungsgang überhoben, also unwandelbar sind, besteht der Unterschied, dass die der Entwicklung (dem Werden) unterworfenen Dinge die ihnen eigene Vollkommenheit nicht sogleich von Anfang an haben, insofern und insoweit sie dem Werden oder der Entwicklung unterliegen, sondern dieselbe erst allmälich, im Lauf der Zeit erhalten; die unveränderlichen (die der Entwicklung überhobenen) Dinge hingegen haben, insoweit sie dieses sind, ihre Vollkommenheiten immer schon vom ersten Augenblick ihres Eintrittes in das Dasein an. Also war es angemessen, dass Christus als Urheber des menschlichen Heiles vom ersten Augenblick seiner Inkarnation an die volle selige Anschauung Gottes besaß, und dieselbe nicht erst im Laufe der Zeit erreichte, wie dies bei den übrigen Heiligen der Fall ist. 3 q 9 a 2.

Auch war es angemessen, dass vor allen übrigen Kreaturen jene Seele durch die Anschauung Gottes beseligt ward, welche inniger und enger als alle übrigen mit Gott verbunden war. In dieser Anschauung nun gibt es Abstufungen, je nach dem der Eine den Urgrund aller Dinge, Gott, klarer schaut als der Andere. Je vollkommener und erschöpfender man nun eine Ursache erkennt, desto umfangreicher ist auch die Kenntnis von dem, was dieselbe bewirkt hat und bewirken kann. Denn eine Wirkursache wird erst dann recht erkannt, wenn ihre Kraft richtig erkannt ist; diese Kenntnis der Kraft hinwider aber ist nur möglich dadurch, dass man ihre Wirkungen kennt. Denn die Größe einer Kraft pflegt man aus ihren Wirkungen zu bemessen. Daher kommt es, dass von Jenen, welche die Wesenheit Gottes schauen, die Einen mehr Wirkungen und Pläne der Werke Gottes in ihm schauen, als die Andern, welche weniger klar schauen; und das ist der Grund, weshalb die niederen Engel von den höheren (und deshalb klarer schauenden), Aufklärung und Unterricht empfangen, wie oben (Kap. 125 f) schon bemerkt ward. Nun steht die Seele Christi unter allen Kreaturen auf der höchsten Stufe der Anschauung Gottes und hat deshalb von allen Werken Gottes und ihren Gründen, seien sie nun gegenwärtig, vergangen oder zukünftig, ein vollkommenes Wissen in ihrer Anschauung Gottes, so dass sie nicht nur die Menschen, sondern selbst die Höchsten unter den Engeln erleuchtet. Auch deshalb sagt der Apostel (Kol 2, 3), dass "in ihm alle Schätze der Weisheit und Wissenschaft Gottes verborgen sind", und (Hebr 4, 13), "dass vor seinen Augen Alles unverhüllt und offen ist." 3 q 10 a 2-4.

Jedoch bis zur Ergründung der Gottheit vermag die Seele Christi nicht vorzudringen. Wie oben (Kap. 164) bemerkt: ergründet im Erkennen (Denken) wird das, was soweit erkannt wird, als es überhaupt erkennbar ist. Erkennbar aber ist jedes Ding, insofern es etwas Seiendes und etwas Wahres ist. Nun ist aber das göttliche Sein etwas Unendliches, und das gleiche ist mit seiner Wahrheit der Fall. Also ist Gott (bis ins Unendliche fort) auf unendliche Weise erkennbar. Kein Geschöpf aber kann auf unendliche Weise erkennen, wenn auch das, was es erkennt, etwas Unendliches ist. Deshalb ist kein Geschöpf im Stande, bei seiner Anschauung Gottes Gott je zu ergründen. Nun ist und bleibt aber die Seele Christi ein Geschöpf, wie überhaupt Alles, was bei Christus zur menschlichen Natur gehört, geschöpflich ist: sonst wäre ja in Christus kein Unterschied zwischen der menschlichen und der göttlichen Natur; nur letztere ist etwas Ungeschaffenes. Dagegen ist die Hypostase oder Person des Wortes Gottes etwas Ungeschaffenes, und nur Eine in den zwei Naturen, und deswegen nennen wir Christus nicht "Geschöpf" wenn wir einfach, ohne Vorbehalt und Einschränkung, von ihm sprechen, weil mit dem Namen Christus die Person gemeint ist; hingegen sagen wir, die Seele Christi oder der Leib Christi sei ein Geschöpf. 3 q 16 a 8 u. 10 Cg. IV, 48.

Die Seele Christi ergründet also Gott nicht; wohl aber ergründet Christus Gott durch seine ungeschaffene Weisheit, und hiervon gilt das Wort des Herrn (Mt 11, 27): "Niemand kennt den Sohn, außer der Vater; und auch den Vater kennt Niemand außer der Sohn"; wo er von der in der Ergründung bestehenden Kenntnis spricht. 3 q 10 a 1.

Nun ist zu beachten, dass es auf dasselbe hinaus kommt, ob man das Wesen eines Dinges ergründet, oder seine Kraft. Denn jedes Ding ist dadurch und insoweit in den Stand gesetzt, tätig zu sein (Kraft zu entfalten), als es im Zustand des Wirklichseins (ein wirklich seiendes Ding) ist. Da nun die Seele, wie eben gezeigt, die Wesenheit Gottes nicht zu ergründen vermag, so ist es ihr auch unmöglich, die göttliche Kraft (Allmacht) zu ergründen; seine Allmacht aber würde sie dann ergründen, wenn sie Alles wüsste, was Gott vollbringen, sowie die Art und Weise wie er, was er bewirkt, zustande bringen kann; das aber ist ein Ding der Unmöglichkeit. Also weiß die Seele Christi nicht Alles, was Gott hervorbringen, noch auch kennt sie die Art und Weise, in welcher er überhaupt wirken kann. Weil nun Christus jedoch auch als Mensch vom Vater die Oberhoheit über alles Geschaffene erhalten hat, so ist es angemessen, dass er in seiner Anschauung des göttlichen Wesens von Allem, was Gott je vollbracht hat, ein vollkommenes Wissen besitzt. Und in diesem Sinne spricht man von einer Allwissenheit der Seele Christi, weil sie nämlich von allem Gegenwärtigen, Zukünftigen und Vergangenen ein vollkommenes Wissen hat. Von den übrigen Geschöpfen hingegen, die Gott schauen, haben Manche bei ihrer Anschauung Gottes eine vollkommenere, Andere wieder eine unvollkommenere Kenntnis dessen, was Gott bewirkt. 3 q 10 a 4.

Außer dieser Erkenntnis der Dinge, in welcher dieselben vom geschaffenen Verstand eben in und durch die Anschauung der göttlichen Wesenheit erkannt werden, gibt es noch andere Erkenntnisweisen für die Geschöpfe, in welchen sie von den Dingen ein Wissen haben können. So besitzen die Engel außer der so genannten Morgenerkenntnis, durch welche sie alle Dinge im göttlichen Wort (im Logos, als dem ewigen Weltplan Gottes, dem Vorbild, der Idee alles Geschaffenen) erkennen, noch die so genannten Abenderkenntnis, durch welche sie die Dinge in ihrer eigenen Natur (nicht in ihrer Idee, sondern in ihrer Ausführung, ihrer Wirklichkeit) erkennen.(1 q 58 a 6). Diese letztere Erkenntnis aber besitzt, je seiner Natur entsprechend, in andrer Weise der Mensch, und in andrer Weise der Engel. Die Menschen sammeln, ganz ihrer (sinnlich vernünftigen) Natur entsprechend, sich die geistige (übersinnliche, vernünftige) Wahrheit der Dinge aus der Sinnenwelt zusammen, wie (Pseudo-) Dionysius sagt, so nämlich, dass in ihrem Geiste durch die Tätigkeit des aktiven Verstandes die Gedankenbilder (die Begriffe) aus den Fantasiebildern abstrahiert (herausgeschält) werden (siehe oben Kap. 83). Die Engel hingegen erwerben sich ein Wissen von den Dingen durch den Einfluss des göttlichen Lichtes; nämlich so, wie die Dinge selbst durch die Schöpfung von Gott ins Dasein gesetzt werden (ihr objektives Wirklichsein in der Außenwelt erhalten), so werden auch ihre Begriffe oder Abbilder von Gott dem Engelsverstand eingeflösst (so erhalten sie ihr subjektives Dasein als Begriffe in der Innenwelt des Engelsverstandes; wie also die Ideen der Dinge im göttlichen Verstand, wie beim Künstler, die schöpferischen Vorbilder der Dinge; beim Menschen die Ideen die bloßen Nachbilder derselben sind: so sind sie bei den Engeln nicht zwar schöpferische, aber immerhin von den Dingen unabhängige Bilder derselben. 1 q 55 a 2; Cg. II, 96).

Bei Beiden, beim Menschen wie beim Engel, gibt es jedoch noch außer der natürlichen Erkenntnis noch eine höhere, nämlich die übernatürliche Erkenntnis der göttlichen Geheimnisse, über welche ein Engel von dem andern Erleuchtung erhält, während auch die Menschen über sie durch die Offenbarung, die durch das Organ der Profetie sich vollzieht, unterrichtet werden.

Weil nun keine der den Geschöpfen verliehenen Vollkommenheiten der Seele Christi, als der erhabensten unter allen Kreaturen, fehlen darf, muss ihm außer der Erkenntnis, in welcher er Gottes Wesenheit, und alles Andere in ihr schaut, (also außer der visio beatifica) noch eine dreifache andere Erkenntnis zugeschrieben werden. Erstens die Erfahrungserkenntnis, wie sie sonst auch alle übrigen Menschen besitzen, insofern er nämlich auf dem Weg der Sinneswahrnehmung Kenntnis erhielt, wie dies der (sinnlich-vernünftigen) menschlichen Natur zukommt. 3 q 9 a 4; q 12. Zweitens eine von Gott eingegossene (unmittelbar verliehene) Erkenntnis, um alles jene zu wissen, worauf sich überhaupt das menschliche Erkennen erstreckt oder erstrecken kann. Denn es war angemessen, dass die vom Wort Gottes angenommene menschliche Natur in keinem Punkt der Vollkommenheit entbehrte, und dies zwar aus dem Grund, weil durch sie (und zwar als causa efficiens instrumentalis) die ganze menschliche Natur wieder hergestellt werden sollte. (Nach dem Kausalitätsgesetz aber muss in der Ursache alles das enthalten sein, was in der Wirkung sich zeigen soll). Nun befindet sich aber der Mensch bezüglich der Wissensgegenstände, die er mit natürlichen Kräften erkennen kann, im Zustand der Möglichkeit (d. h. er kennt sie noch nicht alle wirklich, sondern besitzt vorläufig nur die Möglichkeit, sie nach und nach wirklich kennen zu lernen). Das Wissen aller dieser Dinge nun erhielt die Seele Christi unmittelbar von Gott durch eingegossene Ideen, also so, dass das ganze Vermögen des menschlichen Verstandes auf dem Erkenntnisgebiet zur Wirklichkeit gebracht ward (alles, wozu der menschliche Verstand das Vermögen besitzt, es nach und nach auf dem Weg der Ideenbildung durch Abstraktion aus der Sinnenwelt und aus dem Erfahrungsgebiet wirklich zu erkennen, - erkannte Christus sofort wirklich vermöge dieses eingegossenen Wissens). 3 q 9 a 3; q 11.

Weil nun aber Christus seiner menschlichen Natur nach (diese als Organ der Gottheit gedacht Kap. 213) nicht bloß Wiederhersteller der Natur (also alles dessen, wozu die Natur das Vermögen und die Fähigkeit besitzt, z. B. des natürlichen Wissens) sondern auch der Vermittler der (über die Kräfte und Ansprüche der Natur hinausgehenden) Gnade ist, so besaß er noch eine dritte Erkenntnisweise, durch welche er auf die vollkommenste Weise alles das erkannte, was zu den Geheimnissen des Reiches der Gnade gehört. Dies übersteigt die natürliche Erkenntnis des Menschen (ist absolut übernatürlich), wird jedoch von ihm erkannt durch die übernatürliche Gabe der Weisheit, oder den Geist der Profetie (3 q 7 a 7 u. 8). Es besitzt zwar der menschliche Geist zur Erkenntnis dieser die Vernunft übersteigenden Geheimnisse ein Vermögen (die potentia obedientialis siehe oben Kap. 104); muss jedoch durch eine höhere Wirkursache (und zwar ist diese nur Gott allein) zur Wirklichkeit des Erkennens gebracht werden. (Der menschliche Geist hat durch seine Vernünftigkeit eine entfernte Anlage zur Erkenntnis der übervernünftigen Wahrheit; er kann aber durch keine geschaffene Kraft, sondern nur allein durch Gottes Kraft in der Gnade zur wirklichen Erkenntnis derselben gebracht werden). Denn in Bezug auf die Erkenntnis der Dinge auf dem natürlichen Gebiet (der Wahrheiten der natürlichen Ordnung) kommt der menschliche Geist zur Wirklichkeit des Erkennens und Wissens (die natürlichen Wahrheiten, die er erkennen kann, lernt er wirklich erkennen) durch das Licht des aktiven Verstandes (siehe oben Kap. 183); die Erkenntnis der Geheimnisse aber (die absolut übervernünftigen Wahrheiten) erlangt er nur durch das göttliche Licht (der Gnade des Glaubens oder der Gabe der Profetie).

Aus dem Gesagten geht hervor, dass die Seele Christi den höchsten Grad der Erkenntnis (des Wissens) unter allen übrigen Geschöpfen erhielt; und dies einmal in der Anschauung Gottes, in welcher Gottes Wesenheit geschaut wird und alle Dinge in ihr; sodann in der Erkenntnis der Geheimnisse des Gnadengebietes (der übervernünftigen Wahrheiten), sowie in der Erkenntnis der Wahrheiten auf dem natürlichen Gebiet; es kann deshalb auf keinem dieser drei Erkenntnisgebiete von einem Fortschritt Christi die Rede sein. Dagegen steht fest, dass er die sinnenfälligen Dinge im Lauf der Zeit mehr und mehr auf dem Weg der Erfahrung durch die Betätigung der Sinne des Körpers kennen lernte. Deshalb konnte bloß in der Erfahrungserkenntnis bei Christus ein Fortschritt stattfinden, nach dem Wort der Schrift (Lk 2, 52): "Der Knabe nahm zu an Weisheit und Alter." Indess kann man diese Stelle auch in anderem Sinne verstehen; dass man nämlich unter dem Fortschritt der Weisheit Christi nicht sein eigenes Fortschreiten in der Weisheit, sondern den Fortschritt der Weisheit in Andern verseht: dass nämlich diese durch seine Weisheit mehr und mehr unterrichtet wurden. Dieses Fortschreiten in der Weisheit war aber nicht etwas absolut und innerlich Notwendiges, sondern war mehr eine Veranstaltung im Dienste des Heilsplanes, vermöge der er sich den übrigen Menschen gleich zeigte; sonst hätte ja, wenn er schon im Knabenalter ein nach allen Seiten hin vollendetes Wissen an den Tag gelegt hätte, (wegen dieses Mangels des jedem Menschen natürlichen Entwicklungsganges im Wissen) das Geheimnis der Menschwerdung als bIoßer Schein betrachtet werden können (3 q 12 a 2 nimmt Thomas unter ausdrücklicher Verwerfung seiner früheren Meinung: Sent. III. dist. 14 q 1 a 3 sol. 5, einen nicht bloß nach außenhin sich betätigenden, sondern einen wirklichen inneren Fortschritt der Erfahrungserkenntnis, bestehend in Bildung von Ideen aus den Fantasiebildern, in Christus an, da sonst seine wirkliche Menschheit nicht ganz gewahrt sei).

217. Kapitel: Vom Stoff des Leibes Christi

1. Aus dem soeben Gesagten ergibt sich nun auch, wie die Bildung des Leibes Christi vor sich gehen musste. Gott konnte den Leib Christi aus dem Lehm der Erde bilden oder aus irgend einem anderen Stoff, wie er den Leib des Stammvaters gebildet hat. Dies wäre jedoch dem Wiederherstellungswerke des Menschengeschlechtes, um dessentwillen der Sohn Gottes, wie gesagt, Fleisch annahm, nicht entsprechend gewesen. Die vom Stammvater sich herleitende Natur des Menschengeschlechtes, die geheilt werden sollte, hätte nicht in entsprechender Weise ihre frühere ehrenvolle Stellung wieder erhalten, wenn der Überwinder des Teufels und der Sieger über den Tod, unter denen das Menschengeschlecht wegen der Sünde des Stammvaters gefangen gehalten ward - seinen Leib anderswoher genommen hätte (als aus eben diesem Menschengeschlecht, das durch den Teufel überwunden war). Gottes Werke aber sind vollkommen, und er führt auch zur Vollendung, was er wieder herzustellen gedenkt; im Gegenteil, er gibt bei der Wiederherstellung noch mehr, als (durch die Sünde dem Menschengeschlechte) entzogen ward, nach dem Wort des Apostels (Röm 5, 20), dass die Gnade Gottes durch Christus "noch überschwänglicher war", als die Sünde Adams. Es entsprach also dem Erlösungsplan, dass der Sohn Gottes seinen Leib annahm aus der von Adam fortgepflanzten Natur.

2. Das Geheimnis der Menschwerdung gereicht den Menschen nur dadurch zum Heil, dass sie an dasselbe glauben. Würden nämlich die Menschen nicht daran glauben, dass derjenige, der ihnen als Mensch erschien, Gottes Sohn sei, so würden sich die Menschen ihm nicht als dem Urheber ihres Heiles anschließen; wie dies die Juden getan, denen aus dem Geheimnis der Menschwerdung, eben wegen ihres Unglaubens, vielmehr die Verdammnis als das Heil erwuchs. Damit nun der Glaube an dieses unaussprechliche Geheimnis erleichtert wurde, ordnete der Sohn Gottes alles so, dass er sich als wahren und wirklichen Menschen zeigte; hätte er aber die Natur seines Leibes anderswoher genommen, als aus der menschlichen Natur, so würde der Schein dagegen (gegen sein wirkliches Menschsein) sprechen. Es war also angemessen, dass er einen vom Stammvater herstammenden Leib annahm.

3. Der menschgewordene Gottessohn brachte dem Menschengeschlecht das Heil nicht nur durch die Arznei der Gnade, sondern auch durch das Tugend - Beispiel, das er gab, und zwar war dies ein derartiges, dass man es nicht zurückweisen kann. Bei jedem andern Menschen kann man sowohl Lehre als Leben in Zweifel ziehen, eben weil die menschliche Erkenntnis und Tugend der Fehlerhaftigkeit unterliegt. Wie aber, was der Sohn Gottes lehrt, unzweifelhaft für wahr gehalten wird: so wird auch das, was er tut, unzweifelhaft für gut gehalten. Wir mussten also an ihm ein Beispiel haben sowohl für die Herrlichkeit, die wir hoffen, als auch für die Tugend, durch welche wir sie uns verdienen (siehe oben Kap. 172). Sein Beispiel wäre nun nach der einen wie nach der anderen Seite hin weniger wirksam, wenn er die Natur seines Körpers anderswoher genommen hätte, als woher die übrigen Menschen sie nehmen. Sonst könnte jemand, den man ermahnte, die Leiden zu ertragen, wie Christus sie ertragen hat, und seine Auferstehung zu hoffen, wie auch Christus auferstanden ist - sich damit hinausreden: Christus habe einen Leib von ganz anderer Beschaffenheit als der unserige gehabt. Damit also das Beispiel Christi kräftiger wirke, war es angezeigt, dass er die Natur seines Leibes nur aus der vom Stammvater sich herleitenden Natur nehme. 3 q 5 a 1; q 31 a 1.

218. Kapitel: Von der Bildung des Leibes Christi, die nicht Werk des Samens ist

Dagegen war es dem Erlösungszweck nicht entsprechend, dass der Leib Christi auf dieselbe Weise in der menschlichen Natur gebildet ward, wie die Leiber der übrigen Menschen gebildet werden. Da er nämlich die Natur zu dem Zweck annahm, um sie von der Sünde zu reinigen, musste die Annahme derselben in einer Weise vor sich gehen, dass er dabei nicht selbst mit der Sünde behaftet ward. Die Menschen aber kommen dadurch in die Ursprungs- oder die Erbsünde, dass sie durch die menschliche aktive Kraft, die sich im männlichen Samen findet, erzeugt werden (während die Frau mehr passiv sich verhält und nur die für die Erzeugung, Befruchtung vorbereitete Materie darbietet); und in diesem Sinne sagt man (Augustin), alle Menschen seien in dem sündigenden Adam (nicht der Materie nach, wohl aber) keimartig enthalten gewesen (nämlich vermöge der treibenden Kraft, die, von Adam ausgehend, Menschen um Menschen dem Menschengeschlecht beifügt, wie die im Samenkorn enthaltene Trieb- und Bildungskraft Blatt für Blatt dem Baume zufügt; die also alle keimartig, nicht aber der Materie nach im Samenkorn enthalten sind). Wie nämlich der erste Mensch die ursprüngliche Gerechtigkeit auf alle Nachkommen zugleich mit der Fortpflanzung der Natur fortgepflanzt hätte, so hat er nun auch die Ursprungs- oder Erbsünde fortgepflanzt eben dadurch, dass er die Natur fortpflanzte, was das Werk der aktiven Kraft des männlichen Samens ist. Damit nun Christus nicht in der Erbsünde empfangen werde, war es angemessen, dass der Leib Christi ohne (die treibende und bildende) Kraft des männlichen Samens gebildet werde.

2. Die aktive Kraft des männlichen Samens wirkt in der Weise, wie die Natur wirkt; darum kommt der Mensch, der durch den männlichen Samen erzeugt wird, nicht sofort zum vollkommenen (menschlichen) Sein, sondern in einem bestimmten Entwicklungsgang (den der Embryo durchlaufen muss). Denn Alles, was die Natur hervorbringt, kommt durch bestimmte Mittel(-Stufen) zum bestimmten Ziel. Es musste also der Leib Christi im ersten Augenblick, wo er vom Logos an- und aufgenommen wurde, schon im vollkommenen menschlichen Zustand und durch die vernünftige Seele informiert sein - denn der Leib kann vom Wort Gottes (nicht absolut, sondern nur in kongruenter Weise) nur an- und aufgenommen werden, insofern er mit der vernünftigen Seele geeint ist, wenn ihm auch bei dieser Annahme noch die gebührende vollkommene Größe fehlt (3 q 6 a 1 ff). Es durfte also der Leib Christi nicht durch die Kraft des männlichen Samens gebildet werden. (Es will hier eine bloße Kongruenz, nicht eine absolute Notwendigkeit behauptet werden.) Cg. IV, 44.

219. Kapitel: Ursache der Bildung des Leibes Christi

Da nun die auf naturgemäße Weise sich vollziehende Bildung des menschlichen Leibes sich durch den männlichen Samen vollzieht, so war jede andere Bildung des Leibes Christi, mag sie nun geschehen sein wie immer, etwas Übernatürliches. Gott allein aber ist der Urheber der Natur, und kann deshalb (auch nur allein, weil außer und über der ganzen Natur stehend, im strengen Sinn) übernatürliche Wirkungen in den Naturdingen hervorbringen. Also hat Gott allein jenen Leib auf wunderbare Weise aus der Materie der menschlichen Natur gebildet. Obwohl nun alles Wirken Gottes in der Kreatur den drei Personen gemeinsam ist, so wird doch in gewisser entsprechender Weise die Bildung des Leibes Christi dem Hl. Geist besonders zugeschrieben aus folgenden Gründen.

1. Es ist nämlich der Hl. Geist die Liebe des Vaters und des Sohnes, in der sie sich gegenseitig, sowie auch uns lieben. Gott aber hat, wie der Apostel (Eph 2, 4) sagt, "um der überaus großen Liebe willen, mit der er uns liebte", seinen Sohn Mensch werden lassen. Es wird also in passender Weise die Bildung des Fleisches (des menschlichen Leibes Christi) dem Hl. Geiste zugeschrieben. Cg. IV, 46 n. 3.

2. Der Hl. Geist ist der Urheber aller Gnaden; denn er ist (als die Liebe) das erste Geschenk, in dem alle übrigen Gaben aus freier Huld gegeben werden (1 q 38 a 2); das aber war das Werk einer ganz überfließenden Huld und Gnade, dass die menschliche Natur zur Einheit der göttlichen Person an- und aufgenommen ward, wie dies aus dem Obigen (Kap. 214) hervorgeht. Um diese Gnade anzuzeigen, wird die Bildung des Leibes Christi dem Hl. Geiste zugeschrieben. Cg. IV, 46 n. 4.

3. Auch die Analogie, welche das Verhältnis von Wort und Hauch (Geist) beim Menschen bilden, berechtigen dazu, die Bildung des Leibes Christi dem Hl. Geiste zuzuschreiben. Das menschliche Wort (der Gedanke), das im Herzen (im Innern, im Geiste) sich befindet, ist ein Bild des ewigen Wortes, insofern es im Vater ist. Wie aber das menschlich.: Wort die Sprache annimmt (sich in Laute kleidet), um sich den Menschen sinnfällig bemerkbar zu machen, so hat auch das Wort Gottes Fleisch angenommen, um sichtbar den Menschen zu erscheinen. Die menschliche Stimme aber wird durch den Hauch (Geist) des Menschen gebildet; also musste auch das Fleisch des Wortes Gottes durch den göttlichen Hauch (den Geist) des göttlichen Wortes gebildet werden. Cg. IV, 46 n. 1. 3 q 32 a 1.

220. Kapitel: Auslegung des Glaubensartikels von der Empfängnis und Geburt Christi

Um nun die Irrlehre des Ebion und Cerinthus auszuschließen, nach welchen der Leib Christi aus dem männlichen Samen gebildet ward, heißt es im apostolischen Glaubensbekenntnis: "der empfangen ist vom Hl. Geiste"; statt dessen heißt es im Glaubensbekenntnis der Väter: "und er ist Fleisch geworden vom Hl. Geiste", damit man nicht mit den Manichäern glaube, er habe einen bloßen Scheinleib, nicht aber wahres und wirkliches Fleisch angenommen.

Im Glaubensbekenntnis der Väter aber ward auch noch beigefügt: "wegen uns Menschen", um den Irrtum des Origenes auszuschließen, der behauptete, durch die Kraft des Leidens Christi würden auch die Teufel erlöst. Ferner ward eben daselbst beigefügt: "um unseres Heiles willen", um zu zeigen, dass das Geheimnis der Menschwerdung Christi hinreicht zum menschlichen Heile, gegen die Häresie der Nazaräer (Judenchristen), nach welchen der Glaube an Christus ohne die Werke des Mosaischen Gesetzes nicht hinreichen sollte zum menschlichen Heil. Ferner ward beigefügt: "Herabgestiegen vom Himmel," um den Irrtum des Photinus auszuschließen, der Christus für einen bloßen Menschen erklärte, indem er sagte, er habe aus Maria seinen Anfang genommen; als wäre er durch das Verdienst eines tugendhaften Lebens, irdisch in seinem Ursprung, zum Himmel aufgestiegen, statt dass er umgekehrt, himmlisch in seinem Ursprung, durch Annahme des Fleisches auf die Erde herabgestiegen ist. Endlich ist durch den Beisatz: "und er ist Mensch geworden", der Irrtum des Nestorius ausgeschlossen, nach dessen Behauptung der Sohn Gottes, von dem das Glaubensbekenntnis spricht, der Inwohner eines Menschen, nicht aber selbst Mensch genannt werden müsste.

221. Kapitel: Angemessenlleit der Geburt Christi aus einer Jungfrau

Es war also, wie dargelegt ward, (dem Erlösungszweck) entsprechend, dass der Sohn Gottes aus der Materie der menschlichen Natur Fleisch annahm. Nun ist aber bei der menschlichen Erzeugung die Darbietung der Materie Sache der Frau; also war es weiterhin angemessen, dass Christus aus einer Frau Fleisch annahm, nach dem Wort des Apostels (Gal 4, 4): "Gott sandte seinen Sohn, gebildet aus einer Frau." Die Frau aber bedarf der geschlechtlichen Vereinigung mit dem Mann zu dem Zweck, dass die Materie, die sie darbietet, zu einem menschlichen Leib gebildet werde. (Konvenienter Weise) nun durfte es aber, wie oben (Kap. 218) bemerkt, die Bildung des Leibes Christi nicht durch die Kraft des männlichen Samens vor sich gehen; deshalb empfing jene Frau, aus welchem der Sohn Gottes Fleisch annahm, ohne dass zu dieser Empfängnis der Leibesfrucht ein männlicher Same etwas beigetragen hätte. Nun wird aber Jemand um so reicher an geistigen Gaben, je mehr er sich dem Gebiet des Fleischlichen (des Sinnlichen) entzieht. Denn durch die geistigen Dinge wird der Mensch nach oben gezogen, durch die fleischlichen aber nach unten. Da nun die Bildung des Leibes Christi durch den Hl. Geist geschehen sollte, so musste jene Frau, aus der Christus seinen Leib annahm, am reichsten mit geistigen Gaben und Gütern ausgestattet sein, und zwar bis zu dem Grade, dass durch den Hl. Geist nicht nur ihre Seele mit Tugenden, sondern sogar ihr Leib mit dem göttlichen Kinde befruchtet wurde. Deshalb musste nicht nur ihr Geist frei von der Sünde, sondern auch ihr Leib aller Verderblichkeit der fleischlichen Begierde überhoben sein. Deshalb fand bei ihr eine geschlechtliche Vereinigung mit einem Mann überhaupt nicht statt; weder zum Zweck der Empfängnis Christi, noch überhaupt je; weder vorher, noch nachher. - Dies war ferner auch Dem angemessen, der aus ihr geboren ward. Dazu nämlich kam Gottes Sohn in dem angenommenen Fleisch in die Welt, um uns dem Zustand der Auferstehung entgegenzuführen, "in welchem die Menschen weder heiraten, noch geheiratet werden, sondern sein werden, wie die Engel im Himmel" (Mt 22, 30). Deshalb brachte er auch die (mit Bezug auf den Auferstehungszustand, nicht aber aus anderen Gründen, wie z. B. bei den Heiden verstandene) Lehre von der Enthaltsamkeit und der jungfräulichen Unversehrtheit des Fleisches auf; damit im Leben der Gläubigen schon gewissermaßen das Bild der künftigen Herrlichkeit sich widerspiegele. Deshalb war es ganz entsprechend, dass er schon durch die Art und Weise, wie er seinen menschlichen Ursprung nahm, die jungfräuliche Reinheit des Lebens empfahl, indem er aus einer Jungfrau geboren ward. Deshalb heißt es im apostolischen Glaubensbekenntnis: "Geboren aus der Jungfrau Maria." Im Glaubensbekenntnis der Väter aber heißt es von ihm, er sei "aus der Jungfrau Maria Fleisch geworden" wodurch der Irrtum des Valentinus und aller Jener ausgeschlossen wird, die vom Leibe Christi behaupteten, er sei ein bloßer Scheinleib, oder von einer andern Natur als der menschlichen, sowie, er sei nicht aus dem Leib der Jungfrau genommen und gebildet. 3 q 28 a 1 ff. Cg. IV, 45.

222. Kapitel: Die allerseligste Jungfrau ist die Mutter Christi

(nach dem Sinne des Kapitels: Mutter Gottes)

Hierdurch wird der Irrtum des Nestorius ausgeschlossen, der Maria nicht als Mutter Gottes bekennen wollte. In dem einen wie in dem andern Glaubensbekenntnis heißt es jedoch, der Sohn Gottes sei geboren oder Fleisch geworden aus der Jungfrau Maria. Die Frau aber, aus dem ein Mensch geboren wird, heißt Mutter desselben deshalb, weil sie die Materie darbietet für die menschliche Erzeugung. Darum muss die allerseligste Jungfrau Maria, eben weil sie die Materie dargeboten hat für die menschliche Empfängnis des Sohnes Gottes, als wahre und wirkliche Mutter des Sohnes Gottes bezeichnet werden. Denn für Begriff und Wesen der Mutter ist es an sich gleichgültig, durch welche Kraft die von ihrer Seite dargebotene Materie zum Menschen geformt werde. Denn jene ist nicht weniger Mutter, welche die Materie darbietet, die durch den Hl. Geist gebildet werden soll, als jene, welche eine Materie darbietet, die durch die Kraft des männlichen Samens ihre Bildung- und Ausgestaltung erhalten soll. Wollte aber Jemand einwenden, die allerseligste Jungfrau könne deshalb nicht Mutter Gottes genannt werden, weil aus ihr nicht die Gottheit, sondern nur das Fleisch genommen ist - wie dies Nestorius behauptete, - so weiß er offenbar nicht, was er sagt. Denn nicht deshalb wird eine Frau die Mutter von Jemand genannt, als ob Alles, was an diesem sich findet, aus der Mutter genommen sein müsste. Denn der Mensch besteht ja aus Seele und Leib, und das menschliche Sein liegt mehr auf Seiten der Seele, als auf der des Leibes. Nun wird aber bei keinem Menschen die Seele aus der Mutter genommen, sondern von Gott unmittelbar geschaffen - wie das die Wahrheit ist; oder gesetzt auch, sie entstünde auf dem Weg der Fortpflanzung, - wie dies Manche annahmen, so würde sie trotzdem nicht von der Mutter, sondern vielmehr vom Vater hergenommen, weil bei der Erzeugung in der Tierwelt, nach der Lehre der Philosophen (der alten Physiologie) das männliche Tier die Seele, das weibliche aber den Leib gibt. Wie also Mutter eines Menschen eine Frau aus dem Grunde genannt wird, weil von ihr der Leib desselben genommen wird, so muss auch die allerseligste Jungfrau Mutter Gottes genannt werden, wenn aus ihr der Leib Gottes genommen ward. Es muss aber der aus Maria genommene Leib, Leib Gottes genannt werden, wenn er zur persönlichen Einheit des Sohnes Gottes, der wahrer Gott ist, aufgenommen ward. Wer also bekennt, dass die menschliche Natur vom Sohn Gottes in die Einheit seiner Person aufgenommen worden ist, der muss auch behaupten, dass die allerseligste Jungfrau Maria Mutter Gottes ist. Aber eben weil Nestorius leugnete, dass Gott und Mensch bei Jesus Christus eine einzige Person bilden, so leugete er auch konsequenterweise, dass Maria, die Jungfrau, Mutter Gottes sei. 3 q 35 a 4. Cg. IV, 34

223. Kapitel: Der Hl. Geist ist nicht der Vater Christi

Obwohl es nun vom Sohn Gottes heißt, er sei vom Hl. Geist und aus Maria der Jungfrau Fleisch geworden und empfangen, so darf man doch nicht sagen, der Hl. Geist sei der Vater des Menschen Christus; während dagegen die allerseligste Jungfrau mit vollem Recht als seine Mutter bezeichnet wird.

1. Dies erstens deswegen, weil auf Seiten der allerseligsten Jungfrau Maria sich Alles das findet, was zum Begriff und Wesen einer Mutter gehört. Denn sie gab für die Empfängnis Christi die Materie her, die durch den Hl. Geist gebildet werden sollte, und so findet sich auf ihrer Seite alles das, was zum Begriff und Wesen einer wahren Mutter gehört. Nicht aber findet sich auch in gleicher Weise auf Seiten des Hl. Geistes alles das, was dazu gehört, dass Jemand wirklich Vater sei. Hierzu gehört nämlich vor allem, dass er aus seiner Natur einen sich wesensgleichen Sohn erzeuge. Wenn darum Jemand Etwas nicht aus seiner eigenen Substanz, noch auch in der ihm gleichen Natur hervorbringt, so können wir ihn nicht Vater dieses Erzeugnisses nennen. Darum nennen wir einen Menschen nicht Vater seiner Kunsterzeugnisse, außer höchstens im metaphorischen Sinn. Nun ist der Hl. Geist zwar Christus gleichwesentlich (gleicher Natur mit ihm) der göttlichen Natur nach; aber in dieser ist er nicht der Vater Christi, sondern geht vielmehr von ihm aus. Der menschlichen Natur nach dagegen ist er mit Christus nicht gleichwesentlich. Denn die menschliche Natur ist von der göttlichen in Christus verschieden, wie oben (Kap. 206) gesagt ward; auch ward nicht, wie gleichfalls (Kap. 206) bemerkt ward, etwas von der göttlichen Natur in die menschliche umgewandelt (so dass also eine Gleichwesentlichkeit entstanden wäre). Also kann der Hl. Geist nicht als Vater des Menschen Christus bezeichnet werden.

2. Sodann stammt in einem jeden Sohn das Vorzüglichste, was an ihm ist, vom Vater her; während das mehr sekundäre sich von der Mutter herleitet. Dies zeigt sich klar in der Tierwelt; hier stammt nämlich die Seele vom Vater, der Leib aber von der Mutter. Beim Menschen stammt nun allerdings die Seele nicht vom Vater, sondern wird von Gott geschaffen; immerhin aber ist es die Kraft des väterlichen Samens, welche die Disposition zur Aufnahme der vernünftigen Seele als Form (Wesensbestimmtheit des Leibes) bewirkt, (also auf die Seele gleichsam hinarbeitet). Das nun, was in Christus das Vorzüglichste ist, ist die Person des Wortes (welcher selbst die Seele untergeordnet ist und der sie angehört). Die Person des Logos aber kommt in keiner Weise vom Hl. Geiste; (dieser geht vielmehr von ihr aus). Also kann der Hl. Geist nicht als Vater Christi bezeichnet werden. 3 q 32 a 3. Cg. IV, 47.

224. Kapitel: Die Heiligung der Mutter Christi

Es ward also, wie aus dem Gesagten hervorgeht, die allerseligste Jungfrau, indem sie vom Hl. Geiste empfing, Mutter des Sohnes Gottes. Dem entsprechend erhielt sie eine Alles überragende Reinheit, damit sie (soweit dies überhaupt möglich, eine Mutter sei, die) einem solchen Sohn entspräche. Deshalb müssen wir glauben, dass sie von aller Makel einer persönlich begangenen Sünde völlig frei gewesen sei, und das nicht bloß von Todsünden, sondern sogar auch von jeder lässlichen Sünde, was außer Christus bei keinem Heiligen je der Fall sein kann; denn es heißt ja (1 Joh 1, 8): "Wenn wir sagen, wir hätten keine Sünde, so betrügen wir uns selbst und die Wahrheit ist nicht in uns." Auf die allerseligste Jungfrau, die Mutter Gottes, hingegen kann angewendet werden das Wort des Hohenliedes (4, 7): "Ganz schön bist du, meine Freundin, und eine Makel ist nicht an dir." - Aber sie war nicht bloß frei von jeder persönlich begangenen Sünde, sondern sie ward auch von der Erbsünde durch ein besonderes Privilegium gereinigt. Zwar musste sie in der Erbsünde empfangen werden, denn ihre Empfängnis war das Werk geschlechtlicher Vereinigung (durch welche die Erbsünde übergeleitet und mit der Natur fortgepflanzt wird: vgl. Kap. 218). Denn dies Privilegium ward nur ihr allein (nicht auch ihrer Mutter) vorbehalten, dass sie, Jungfrau bleibend, den Sohn Gottes empfing. Die geschlechtliche Vereinigung aber, die nach der Sünde des Stammvaters nun einmal ohne wilde (nicht durch die Vernunft geregelte) Lust nicht stattfinden kann, leitet die Erbsünde in das Kind über. (Libido actualis non est causa, quod transmittatur originale peccatum, sed signum causae. . . . Causa autem quod aliquis transmittat orig. pece. in prolem, est id quod remanct in eo de peccato originali etiam post baptismum ... scilicet concupiscentia vel fomes. De malo q 4 a 6 ad 16. Die aktuelle wilde Lust beim Zeugungsakt ist nicht persönliche Sünde, sondern ein Fehler der auch durch die Gnade noch nicht vollständig geheilten, sondern erst durch die Glorie ganz zu heilenden menschlichen Natur als solcher; der Zeugungsakt aber, wenn auch vom Individuum vollzogen, ist doch als Akt des vegetativen Lebens mehr Naturakt als persönlicher Akt und steht im Dienst der Natur, nicht in dem des Individuums Cg. IV, 52 ad 8m.

Desgleichen würde sie, wenn sie ohne Erbsünde empfangen worden wäre, nicht der Erlösung durch Christus bedurft haben, und so wäre dann Christus nicht der Erlöser aller Menschen, was die Würde Christi schmälert. (Dagegen ist zu sagen, dass nach der Definition der Kirche die allerseligste Jungfrau, wenn auch ohne Erbsünde empfangen, dennoch der Erlösungsgnade Christi bedurfte, nicht etwa, um von der Erbsünde gereinigt zu werden, sondern um vor derselben überhaupt bewahrt zu bleiben; so ist sie sublimiori modo redempta.) Es ist also festzuhalten, dass sie zwar in der Erbsünde empfangen, aber von derselben auf eine ganz spezielle Weise gereinigt ward. 3 q 27 a 2. (Dies ist durch den Wortlaut des Dogma, dass die allerseligste Jungfrau im ersten Augenblick ihrer Empfängnis ab omni originalis culpae labe praeservatam fuisse immunem (nicht purgatam) verworfen. DH Nr. 2602).

Manche nun werden von der Erbsünde gereinigt nach der Geburt aus dem Mutterleib; das sind alle jene, die durch die Taufe geheiligt werden. Einige aber wurden, wie uns die Schrift lehrt, im Mutterleib schon geheiligt, wie es von Jeremias (1, 5) heißt: "Bevor ich dich bildete im Mutterleib, kannte ich dich, und bevor du hervorgingst aus dem Mutterschoß, heiligte ich dich." Und von Johannes dem Täufer sagt der Engel (Lk 1, 15): "In seiner Mutter Leib noch wird er mit dem Hl. Geiste erfüllt werden." Was aber dem Vorläufer und dem Propheten Christi gegeben ward, das ward, wie man wohl glauben darf, seiner Mutter nicht verweigert (im Gegenteil, ihr ward mehr gegeben: die Bewahrung vor der Erbsünde). Deshalb glaubt man von ihr, dass sie im Mutterschoß geheiligt ward, noch bevor sie geboren wurde. Jedoch ging diese Heiligung nicht der Eingießung der Seele voraus (fand jedoch nach der Lehre der Kirche im ersten Augenblick der Schöpfung und Eingießung der Seele in den Leib statt). Denn sonst wäre sie nie der Erbsünde unterlegen (was auch wahr ist) und hätte der Erlösung nicht bedurft (diese Folgerung ist falsch, da sie der Erlösungsgnade auch dazu bedurfte, um vor der Sünde bewahrt zu bleiben). Subjekt der Sünde kann nämlich nur eine vernünftige Kreatur sein; desgleichen fasst die Heiligungsgnade in erster Linie in der (vernünftigen) Seele Wurzel und geht auf den Leib über (und kommt ihm überhaupt nur zu) vermittelst der Seele; deshalb muss man annehmen, dass sie erst nach Eingießung der (vernünftigen) Seele geheiligt ward.

(Nach dem Dogma ward sie im Augenblick der Schaffung und Eingießung der Seele geheiligt. Thomas betont vor allem, und mit Recht, dass nicht das Fleisch, sondern nur die vernünftige Seele Subjekt von Sünde wie Gnade sein kann. Da nun nach der alten Ansicht nicht sofort bei der Empfängnis, sondern erst nach Verlauf einer bestimmten Zeit die vernünftige Seele an Stelle der seitherigen bloß vegetativen resp. sensitiven tritt, siehe oben Kap. 92, so konnte erst von diesem Augenblick an von einer Heiligung die Rede sein. Sodann prämiert Thomas den Ausdruck redimere; eine redemptio, ein Loskaufen, ist ihm nur denkbar, wenn die Seele einmal wirklich verkauft war unter die Sünde. Es ist aber ein Loskauf immerhin denkbar, auch wenn kein wirkliches Verkauftsein vorausging. So wenn z. B. jemand für ein Sklavenkind, das noch gar nicht geboren resp. empfangen ist, im Vornherein das Lösegeld erlegt, so tritt das Kind sogleich im Zustand der Freiheit ins Dasein, ohne vorher im Zustand der Knechtschaft sich befunden zu haben: und doch kann man mit vollem Recht sagen, es sei losgekauft, redemptus).

Ihre Heiligung war aber eine noch weitreichendere, als die jener, welche schon im Mutterleibe geheiligt wurden. Diese Letzteren wurden zwar von der Erbsünde gereinigt, aber sie erhielten nicht auch die weitere Gnade, dass sie nachher (unbeschadet ihrer Freiheit, die ja durch die Gnade nicht aufgehoben wird) keine persönlichen Sünden, nicht einmal keine lässlichen mehr, begehen konnten. Der allerseligsten Jungfrau Maria aber ward bei ihrer Heiligung eine solche Fülle der Gnade verliehen, dass sie von aller Sünde frei blieb, nicht bloß von der Todsünde, sondern auch von lässlichen Sünden. Weil nun die lässliche Sünde auch bisweilen in der Übereilung ihren Grund hat, nämlich darin, dass eine ungeordnete Regung des niederen Begehrungsvermögens oder einer andern Leidenschaft entsteht, die der Vernunft zuvorkommt - und dies (dieser Mangel der Vernunftgemäßheit) ist ja der Grund, weshalb man diese ersten Regungen auch als sündhaft bezeichnet (1. 2. q 24 a 1) - so folgt, dass die allerseligste Jungfrau Maria niemals auch nur eine lässliche Sünde begangen hat, eben weil sie keine ungeordneten Regungen der Leidenschaften empfand (3 q 27 a 4). Diese ungeordneten Regungen kommen aber eben daher, dass das sinnliche Begehrungsvermögen, welches das Subjekt dieser Leidenschaften ist (in dem diese Leidenschaften wurzeln), der Vernunft nicht bis zu dem Grad unterworfen ist, dass es nicht bisweilen Etwas unvernünftig oder direkt widervernünftig verlangt; und hierin besteht eben das Sündhafte des Begehrens. Es war also bei der allerseligsten Jungfrau das sinnliche Begehrungsvermögen durch die Kraft der sie heiligenden Gnade derart der Vernunft unterworfen, dass es sich nie in widervernünftiger, sondern nur in vernunftgemäßiger Weise regte. (Wenn nun auch die allerseligste Jungfrau tatsächlich nie eine ungeordnete, sündhafte Regung empfand, so) war für sie doch immerhin die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, solch plötzlich auftauchende und von der Vernunft nicht geregelte Regungen zu empfinden. - Bei Christus dem Herrn hingegen fand sich diese Freiheit von der Sünde in einem noch höheren Grad. Bei ihm war nämlich die Unterwerfung des niederen Begehrungsvermögens unter die Vernunft eine derartig vollständige, dass sich alle Regung desselben nur unter der Direktive der Vernunft vollzog, so dass also (die Vernunft das niedere Begehrungsvermögen derart in der Gewalt hatte, dass) sich dasselbe nur in der Weise regte, und zwar selbsttätig auf die seiner Natur entsprechende Art, - wie es die Vernunft ordnete oder zuließ. (Es stand also das niedere Begehrungsvermögen - oder was dasselbe ist - das Gefühlsleben Christi völlig unter der Herrschaft des Geistes, nicht als ob die Gefühle Christi, jeder Selbsttätigkeit bar, sich gleichsam nur mechanisch regten auf Befehl und nach Berechnung des Verstandes - solch eine Gefühlsbetätigung wäre etwas Gekünsteltes und Widernatürliches - sondern so, dass der Geist, die Vernünftigkeit, das ganze Gefühlsleben durchdrang, es in die reinere, lichtere Sphäre der Vernünftigkeit erhob und adelte, ohne dass hierbei die Selbsttätigkeit - proprius motus - des Gefühlslebens aufgehoben oder auch nur irgendwie alteriert worden wäre. Es ist eben ein Unterschied zwischen vernunftmäßiger und zwischen verstandesmäßiger Betätigung der Gefühle). Das dürfte nur dem Urzustand zukommen, dass die niederen Kräfte völlig der Herrschaft der Vernunft unterworfen sind. Diese Unterordnung ward durch die Sünde des Stammvaters aufgehoben, nicht bloß in ihm selbst, sondern auch in allen Andern, die von ihm die Erbsünde (sei es nun in Wirklichkeit, wie die übrigen Menschen, sei es nur dem "debitum" nach, wie die allerseligste Jungfrau) erhalten. Bei ihnen bleibt, auch wenn sie von der Erbsünde gereinigt werden durch das Sakrament der Gnade, die Empörung oder der Ungehorsam der niederen Kräfte gegen die Vernunft - und dies nennt man den Zunder der Sünde. In Christus nun war dieser, dem Gesagten zufolge, in keinerlei Weise. - Weil nun bei der allerseligsten Jungfrau Maria einerseits die niederen Kräfte nicht bis zu dem Grad der Vernunft unterworfen waren, dass jede der Vernunft zuvorkommende Regung derselben von vorne herein absolut ausgeschlossen war, - diese aber hinwieder andrerseits derart durch die Kraft der Gnade gehalten wurden, dass sie tatsächlich in keiner Weise sich gegen die Stimme der Vernunft betätigten: so pflegt man zu sagen, in der allerseligsten Jungfrau sei nach ihrer Heiligung (Befreiung von der Erbsünde) der Zunder der Sünde zwar seinem Sein nach geblieben, aber im gebundenen Zustand. (Nach Thomas 3 q 27 a 3 besaß die allerseligste Jungfrau den "fomes peccati", allerdings im gebundenen Zustand bis zum Augenblick, da sie Christus empfing. Ihre Freiheit vom "fomes" ist übrigens nicht eine einfache Konsequenz ihrer unbefleckten Empfängnis; letztere ist etwas ihrer Person anhaftendes, denn die Heiligmachende Gnade, durch die sie von der Erbsünde bewahrt blieb, wie Andere durch sie aus ihr befreit werden, heilt die Person, lässt aber noch die Wunde der Natur. 3 q 69 a 3 ad 3m).

(Es ward und wird viel darüber gestritten, ob der hl. Thomas die unbefleckte Empfängnis Mariä gelehrt oder bekämpft habe. Näheres über diese Kontroverse bietet Morgott, die Mariplogie des hl. Thomas von Aquin. Sind die in vorliegendem Kapitel enthaltenen Stellen echt - und es ist kein Grund vorhanden, dieselben für spätere Zusätze zu halten, stimmen sie ja mit den von Thomas 3 q 27 a 1. u. 2, sowie Quodlibet VI a 7 entwickelten Anschauungen vollkommen überein - so lässt sich wohl kaum in Abrede stellen, dass der Heilige die unbefleckte Empfängnis bekämpfte; und zwar einmal, um das Dogma der Erlösungsbedürftigkeit aller Menschen durch Christus zu wahren, sodann, um die irrige Meinung abzuweisen, als könnte der Leib ohne die vernünftige Seele Subjekt von Sünde und Gnade sein. Beiden Gedanken ward denn auch in der Formulierung des Dogma's Rechnung getragen).

  • Es ist Dogma, dass Maria in primo instanti suae conceptionis (i. e. creationis et infusionis animae in corpus) durch ein besonderes Gnadenprivileg intuitu meritorum Christi, Salvatoris humani generis vor der Erbsünde bewahrt blieb. Pius IX. Konstitution "Ineffabilis Deus", 10. Dez. 1854.

225. Kapitel: Von der immerwährenden Jungfräulichkeit der Mutter Christi

Wenn nun (die allerseligste Jungfrau) schon bei ihrer ersten Heiligung (durch ihre Reinigung von, oder vielmehr durch ihre Bewahrung vor der Erbsünde) derartig gegen alle Regungen der Sünde gefestigt ward, so erhielt in ihr die Gnade noch ein höheres Wachstum, und der Zunder der Sünde ward in ihr geschwächt oder auch ganz aufgehoben, als der Hl. Geist nach dem Wort des Engels über sie herabkam, um den Leib Christi aus ihr zu bilden. Nachdem sie nun so das Heiligtum des Hl. Geistes und die Wohnung des Sohnes Gottes geworden war, so wäre es unrecht zu glauben, nicht nur, dass eine Regung der Sünde in ihr gewesen wäre, sondern dass sie auch überhaupt nur die fleischliche Lust (in der in der Ehe erlaubten Weise) empfunden habe. Deshalb ist Helvidius mit seinem Irrtum abzuweisen, der, wenn er auch zugibt, dass Christus aus der Jungfrau empfangen und geboren ist, doch behauptet, sie habe nachher mit Josef andere Kinder erzeugt. Zum Beweis für seine irrige Behauptung kann er sich nicht auf die Stelle berufen, wo es heißt (Mt 1, 25); dass "Josef ihr - nämlich Maria - nicht beiwohnte, bis sie ihren erstgeborenen Sohn gebar", als wenn er ihr beigewohnt hätte, nachdem sie Christus geboren hatte; denn der Ausdruck "bis" bezeichnet an dieser Stelle nicht eine bestimmte Zeit (also etwa bis nach der Geburt des Erstgeborenen) sondern eine unbestimmte. Es ist nämlich Gewohnheit der Schrift, das Eintreten der Nichteintreten einer Tatsache bis dorthin speziell hervorzuheben, bis wohin es noch etwa in Zweifel gezogen werden könnte (nicht aber auch dann noch, wenn dasselbe außer allem Zweifel steht). So heißt es im Psalm (109, 1): "Setze dich zu meiner Rechten, bis dass ich deine Feinde zum Schemel deiner Füsse lege." Ein Zweifel konnte nämlich darüber entstehen, ob Christus (auch dann schon) zur Rechten Gottes sitze, solange seine Feinde ihm noch nicht unterworfen scheinen; ist aber dies letztere einmal offenkundig, dann kann man es überhaupt nicht mehr in Zweifel ziehen. So konnte es auch wohl zweifelhaft sein, ob nicht etwa Josef Mariä vor der Geburt des Sohnes Gottes beigewohnt hätte. Diesen Zweifel vor Allem aber will der Evangelist beseitigen, während er als zweifellos (als selbstverständlich) voraussetzt, dass ihr nach der Geburt (überhaupt nicht) beigewohnt ward. - Auch kann er nicht für seine Behauptung in Anspruch nehmen, dass Christus der "Erstgeborene" Mariä (Mt 1, 25; Lk 2, 7) genannt wird, als wenn sie nach ihm noch andere Kinder geboren hätte. Denn in der Schrift pflegt als Erstgeborener jener bezeichnet zu werden, vor welchem überhaupt kein anderer geboren ward; gleichgültig, ob auf ihn noch ein anderer folgt oder nicht. Dies ersieht man aus dem Gesetz für die Erstgeburten, die sofort dem Herrn geweiht und den Priestern dargestellt wurden (Ex 13, 2 ff; ohne dass man darauf wartete, ob noch andere Kinder ihm nachfolgten, damit ihm der Name Erstgeborener zukommen könne.) - Endlich hilft es ihm auch nichts, dass im Evangelium (Mt 13, 55 u. a.) :Manche als "Brüder" Christi bezeichnet werden, als wenn seine Mutter noch andere Kinder gehabt hätte. Denn die Schrift pflegt alle jene als "Brüder" zu bezeichnen, die zu Einer Verwandtschaft gehören; so nannte Abraham den Lot seinen Bruder, während dieser doch sein Neffe war. Dem entsprechend werden auch die Neffen oder andere Verwandte Mariä als Brüder Christi bezeichnet, auch die Verwandten Josefs, der für den Vater Christi galt. Deshalb heißt es im Glaubensbekenntnis: "der geboren ist von Maria der Jungfrau", und zwar ist dies zu verstehen von einer Jungfrau im absoluten Sinn, indem sie sowohl vor der Geburt, als bei der Geburt, als auch nach der Geburt Jungfrau blieb. Dass sowohl vor der Geburt, als auch nach der Geburt ihre Jungfräulichkeit keinen Schaden erlitt, ward schon zur Genüge bemerkt. Aber auch selbst bei der Geburt ward ihre Jungfrauschaft nicht verletzt. Denn der Leib Christi, der zu seinen Jüngern (nach der Auferstehung) durch verschlossene Türen kam, konnte auch durch dieselbe Macht aus dem geschlossen bleibenden Schoß der Mutter hervorgehen. Denn es war nicht angemessen, dass jener durch seine Geburt die jungfräuliche Unversehrtheit raube, der (ja gerade) zu dem Zweck geboren ward, dass er was verdorben war, wiederherstellte in den Zustand der Unversehrtheit (auch des Fleisches nach der Auferstehung) 3 q 28 a 1-3.

Dass Maria Jungfrau vor, in und nach der Geburt war, ist Dogma: Laterankonzil ao. 649 unter Martin I. Can. 3. DH 404 vgl. Paul IV. Konstitution "Cum quorundam" ao. 1555. DH 1646-1647.

226. Kapitel: Von den Mängeln, die Christus an sich genommen hat

Wie es nun einerseits dem Erlösungszweck entsprechend war, dass der Sohn Gottes, indem er um des Heiles der Menschen willen die menschliche Natur annahm, in dieser das Endziel des menschlichen Heiles durch die höchste Vollendung auf dem Gebiete der Gnade und der Weisheit zur Darstellung brachte: so mussten aber auch andrerseits wieder in der vom Wort Gottes angenommenen Natur sich solche Eigenschaften finden, welche die Erlösung des Menschengeschlechtes auf die am meisten entsprechende Weise ermöglichten. Diese aber bestand eben darin, dass der Mensch, der durch seine Ungerechtigkeit verloren ging, durch die Gerechtigkeit wieder hergestellt wurde. Die Gerechtigkeit aber verlangt, dass wer durch Sünde sich einer Strafe schuldig gemacht hat, nur durch Erstehung derselben wieder frei werde. Nun ist aber, was wir durch Freunde tun, oder (in ihnen) erleiden, im gewissen Sinn gerade so, als wenn wir es selbst täten oder erlitten - denn die Liebe ist ja eine auf Gegenseitigkeit beruhende Tugend, und macht aus zwei Liebenden gleichsam ein einziges Wesen; es widerspricht demnach nicht der Gerechtigkeit, wenn jemand dadurch frei wird, dass sein Freund für ihn Genugtuung leistet. Durch die Sünde des Stammvaters war nun das Verderben über das ganze Menschengeschlecht gekommen; und es konnte auch nicht die Strafe, die ein einzelner Mensch erduldete, hinreichen zur Erlösung des ganzen Menschengeschlechtes; denn es besteht kein vollwertiger Ausgleich zwischen der Genugtuung, die ein einziger, bloßer Mensch leitet, und der dadurch bewirkten Erlösung aller Menschen. Desgleichen genügte es der Forderung der Gerechtigkeit nicht, wenn ein Engel aus Liebe zum menschlichen Geschlecht für dasselbe Genugtuung hätte leisten wollen; denn auch der Engel hat keine unendliche Würde, so dass seine Genugtuung hinreichend sein könnte für Sünden, die (im gewissen Sinn) unendlich sind und von unendlich Vielen begangen werden (3 q 1 a 2 ad 2). - Gott allein nun besitzt unendliche Würde; er allein also konnte, indem er Fleisch annahm für den Menschen hinreichende Genugtuung leisten, wie wir schon oben (Kap. 200) bemerkt haben. Er musste also die menschliche Natur in einem Zustand annehmen, der ihm die Erduldung dessen ermöglichte, was der Mensch durch seine Sünde verdient hatte, um an Stelle des Menschen Genugtuung zu leisten. - Nicht jede Strafe aber, die der Mensch durch die Sünde sich zuzieht, ist geeignet zum Genugtuungswerk. Die Sünde kommt daher, dass der Mensch von Gott sich abwendet und den vergänglichen Gütern sich zuwendet. Nach diesen beiden Seiten hin nun wird der Mensch für die Sünde gestraft; denn er wird einerseits der Gnade sowie der übrigen Gaben, durch die er in Verbindung mit Gott steht, beraubt; und dann verdient er andrerseits, dass er auch Beschwerde und Verlust in den Dingen erleide, um derentwillen er sich von Gott abgewendet hat. Die Genugtuung fordert nun, dass der Sünder durch jene Strafen, die er in den vergänglichen (geschaffenen) Gütern erduldet, zu Gott zurückgeführt werde; dagegen stehen dieser Zurückführung zu Gott jene Strafen entgegen, welche in der Trennung des Menschen von Gott bestehen. Niemand also leistet Gott dadurch Genugtuung, dass er der Gnade beraubt ist, oder dass er Gott nicht kennt, oder dass er eine (in Begierden und Leidenschaften) ungeordnete Seele hat, obwohl all dies eine Strafe für die Sünde ist; wohl aber dadurch, dass er in sich selbst Schmerz empfindet, und Verlust an äußern Gütern erleidet. Christus durfte also nicht jene Mängel an sich nehmen, durch die der Mensch von Gott getrennt wird, obwohl sie Strafen der Sünde sind, als da ist Mangel der Gnade, Unwissenheit und dergleichen; hierdurch würde er nämlich zum Genugtuungswerk weniger geeignet werden; im Gegenteil war für ihn, um Urheber des menschlichen Heiles sein zu können, der Besitz von Gnade und Weisheit in reichster Fülle erforderlich, wie schon (Kap. 213) bemerkt ward.

Nun ward der Mensch durch die Sünde in die Notwendigkeit versetzt, zu sterben, sowie nach Leib und Seele der Leidensfähigkeit zu unterliegen; es wollte also Christus diese Mängel auf sich nehmen, um für die Menschen den Tod zu erdulden und so das Menschengeschlecht zu erlösen.

Es sind nun zwar diese Mängel Christus mit uns gemeinsam. Sie finden sich aber, was wohl zu beachten ist, in anderer Weise bei ihm als bei uns. Diese Mängel sind, wie gesagt (Kap. 193 i1") die Strafe der ersten Sünde. Weil nun wir durch unseren mit einem Fehler behafteten Ursprung die Erbsünde uns zuziehen, (kontrahieren), so sagt man dementsprechend auch dass wir diese Mängel kontrahiert (uns mit zugezogen) hätten. Christus aber hat sich bei seinem Ursprung (als Mensch, schon durch die Art und Weise desselben siehe oben Kap. 218 n. 1) keinerlei Makel der Sünde zugezogen, diese Mängel hingegen aus freiem Willen an sich genommen. Man kann von ihm also nicht sagen, er habe diese Mängel kontrahiert (sich mit zugezogen) sondern vielmehr dieselben einfach auf sich genommen; denn von kontrahieren kann bei einem Ding nur dann die Rede sein, wenn man es mit einem andern notwendig sich mit zuzieht. Christus aber konnte nun die menschliche Natur annehmen ohne diese Mängel, wie er sie denn ja auch tatsächlich ohne Befleckung durch die Schuld an sich nahm; und die Konsequenz schien zu fordern, dass wer frei von Schuld war, auch frei von Strafe sei. Es bestand also keinerlei Notwendigkeit für das Vorhandensein dieser Mängel in ihm. Kein mit einem Fehler behafteter Ursprung, noch auch die Gerechtigkeit forderten dieselben; als fanden sie sich in ihm vor, nicht als kontrahierte, sondern als freiwillig angenommene.

Unser Leib nun unterliegt diesen Mängeln zur Strafe für die Sünde; denn vor derselben waren wir frei von ihnen; deshalb wird von Christus, insofern er diese Mängel in seinem Fleisch angenommen hat, gesagt, er habe die Ähnlichkeit (das Bild) der Sünde an sich getragen, nach dem Wort des Apostels (Röm 8, 3): "Gott sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündigen Fleisches." Darum wird selbst die Leidensfähigkeit Christi oder auch sein Leiden vom Apostel "Sünde" genannt, indem er eben daselbst beifügt: "und durch die Sünde verurteilte er die Sünde im Fleisch" (so fasst Thomas die Stelle ad Rom. cap. 8 lectio 1: damnavit peccatum in carne i. e. debilitavit fomitem peccati in carne nostra ,de peccato' i. e. ex virtute passionis suae et mortis quae dicitur peccatum, propter similitudineffi peccati … vel quia per hoc factus est hostia pro peccato, quae in sacra scriptura dicitur peccatum Oseae 4,8) sowie (Röm 6,10): "Denn da er der Sünde gestorben, ist er einmal gestorben" (Thomas ad Rom Kap. 6 lectio 2: "peccato" kann in doppeltem Sinn gefasst werden: uno modo, quia mortuus est pro peccato tollendo; ... alio modo, quia mortuus est similitudini carnis peccati, i. c. vitae passibili et mortali). .Ja was noch mehr zu verwundern ist, aus eben diesem Grunde sagt der Apostel (Gal 3,13) dass er "für uns zum Fluch geworden" (Thomas ad Gal. c. 31. 5: Christus liberavit nos a poena, sustinendo poenam et mortem nostram, quae quidem in nos provenit ex ipsa maledictione peccati. Inquantum ergo hanc maledictionem peccati suscepit pro nobis moriendo, dicitur esse factus pro nobis maledictum). Daher heißt es auch von ihm, er habe den einen Teil unsrer Not auf sich genommen, nämlich die der Strafe, um unser Doppelteil zu zerstören, nämlich die der Schuld und der Strafe. 3 q 14 a 3.

Nun ist ferner zu beachten, dass es zwei Arten dieser, zur Strafe verhängten Mängel am menschlichen Leib gibt. Die einen finden sich gemeinsam bei allen Menschen, wie Hunger, Durst, Müdigkeit nach der Arbeit, Schmerz, Tod und dergleichen. Andere dagegen finden sich nicht bei Allen, sondern nur bei EinzeInen, wie z. B. Blindheit, Aussatz, Fieber, Verstümmelung der Glieder und dergleichen. Zwischen diesen beiden Klassen nun besteht der Unterschied, dass die Allen gemeinsamen Mängel von einem Andern sich herleiten, nämlich vom Stammvater, der durch die Sünde in dieselbe kam; dagegen verdanken jene Mängel, die nur dem Einen oder dem Anderen eigen sind (nicht einer allen gemeinsamen Quelle, dem Stammvater, sondern) besondern Einzelursachen in den einzelnen Menschen ihr Entstehen und Vorhandensein. Nun hatte Christus in sich selbst keinen Grund zu Mängeln und Fehlern; weder von Seiten seiner Seele, welche voll der Gnade und Weisheit, sowie dem Wort Gottes persönlich geeint war; noch auch von Seiten seines Leibes, der als Werk der Allmacht des Hl. Geistes die beste Organisation und Verfassung besaß; er nahm nur freiwillig zur Durchführung unserer Erlösung manche Mängel an sich. Von diesen nun musste er jene an sich nehmen, die von einem Anderen auf Andere übergeleitet werden, nämlich die allen gemeinsame; nicht aber auch jene, die in den Einzelnen ihr Vorhandensein (nicht einer gemeinsamen, sondern) Einzelursachen verdanken. Ferner, weil er in erster Linie dazu gekommen war, um die menschliche Natur (als solche, nicht zunächst diese oder jene Einzelperson) wieder herzustellen, so musste er nur jene Mängel an sich nehmen, die in der gesamten menschlichen Natur sich finden. Daraus ergibt sich, dass Christus, wie Johannes von Damaskus (de fide orth. 1. 3 c. 20) sagt, unsere untadelhaften Mängel (άδιάβλητα πάθη) an sich genommen hat, d. h. jene, die (an der Einzelperson) einem Tadel nicht unterliegen (weil sie eben ihren Grund nicht in der Einzelperson haben. Würde er nämlich Mängel auf dem Wissens- oder Gnadengebiet an sich genommen haben, oder auch Aussatz, Blindheit oder ähnliche Körpergebrechen , so dürfte dies die Würde Christi schmälern, und könnte den Menschen Anlass geben ihn zu tadeln - was bei jenen Gebrechen, welche der ganzen Natur als solcher anhaften, nicht der Fall ist. 3 q 14 a 4.

227. Kapitel: Gründe, weshalb Christus sterben wollte

Aus dem Gesagten geht hervor, dass Christus einen Teil unserer Gebrechen an sich nahm, nicht weil er der Notwendigkeit hierzu unterlag, sondern (aus freiem Willen), um einen bestimmten Zweck, unser Heil nämlich, zu erreichen .

Jedes Vermögen, jeder Habitus oder jede Fertigkeit (besteht nicht um ihrer selbstwillen, sondern) zweckt ab auf ihre Betätigung als ihr Ziel; darum genügt die bloße Leidensfähigkeit noch nicht zum Genugtuungs- oder Verdienstwerk, sondern es muss das Leiden in Wirklichkeit eintreten. Denn wir nennen jemand gut oder böse nicht deshalb, weil er gut oder böse handeln kann, sondern deshalb, weil er wirklich so handelt; und Lob oder Tadel gebühren nicht dem Vermögen zu handeln, sondern der wirklichen Tat. Deshalb hat Christus zu unserem Heil nicht bloß unsere Leidensfähigkeit an sich genommen, sondern er wollte auch zur Genugtuung für unsere Sünden wirklich leiden. - Erduldet aber hat er für uns jene Leiden, die wir in Folge der Sünde des Stammvaters verdient haben; unter diesen ist der Tod das hauptsächlichste; denn alle übrigen Leiden des Menschen finden in ihm ihren Ziel- und Höhepunkt; denn "der Sünde Sold ist der Tod", sagt der Apostel (Röm 6, 23). Darum wollte Christus für unsere Sünden den Tod erleiden, um uns, indem er die uns gebührende Strafe schuldlos auf sich nahm, von der Strafpflichtigkeit des Todes zu befreien; wie ja sonst auch jemand von der Strafpflichtigkeit frei wird, wenn ein anderer für ihn die Strafe erleidet. (Es kann nicht Einer für den Andern gestraft werden - denn das wäre Ungerechtigkeit - wohl aber kann Einer für einen Andern, mit dem er durch gegenseitige freundschaftliche Liebe verbunden ist, freiwillig die Strafe auf sich nehmen und so durch objektiven Ausgleich von Schuld und Strafe Genugtuung leisten; weil ja auch der Andere, der physisch oder moralisch zu schwach ist, die Strafe auszustehen, durch das Mitleid mit dem Freund das Leid und die Strafe desselben als seine eigene empfindet. Cg. III, 159 ; IV, 55 ad 20).

Aber nicht bloß leiden, sondern auch sterben wollte er, damit sein Tod uns nicht bloß das Heilmittel der Genugtuung, sondern auch das Sakrament des Heiles werde; damit wir seinen Tod gleichsam abbildend dem fleischlichen Leben absterben und zum geistigen Leben übergehen, nach dem Wort der Schrift (1 Petr 3, 18): "Christus ist einmal für unsere Sünden gestorben, der Gerechte für Ungerechte, damit er uns vor Gott brächte; getötet zwar dem Fleisch nach; aber lebendig gemacht dem Geist nach." - Ferner wollte er sterben, um uns durch seinen Tod ein Beispiel vollkommener Tugend zu geben. So vor Allem das der Liebe, denn eine größere Liebe hat Niemand, als dass er sein Leben gibt für seine Freunde" heißt es (Joh 15, 13). Denn die Liebe zeigt sich um so größer, je mehr Leiden und je schwerere man für den Freund auf sich nimmt. Das schwerste unter allen menschlichen Übeln aber ist der Tod, der das menschliche Leben wegnimmt; darum kann es kein größeres Zeichen der Liebe geben, als dass der Mensch für seinen Freund sich dem Tod aussetzt. - Ferner wollte er uns geben das Beispiel des Starkmutes, der darin besteht, dass man durch entgegenstehende Hindernisse sich von der Gerechtigkeit nicht abwendig machen lässt; denn ein Hauptzeichen des Starkmutes ist es eben, dass selbst nicht die Furcht vor dem Tod im Stande ist, uns von der Tugend abzubringen. Deshalb sagt der Apostel (Hebr 2, 14 f) wo er vom Leiden Christi spricht: "damit er durch den Tod dem die Macht nehme, der des Todes Gewalt hatte, das ist, dem Teufel, und diejenigen erlöste, welche in der Furcht des Todes durch das ganze Leben der Knechtschaft unterworfen waren." Da er sich nämlich nicht weigerte, für die Wahrheit zu sterben, verbannte er die Furcht vor dem Tod, um derentwillen meistens die Menschen sich der Sünde ergeben. - Sodann wollte er auch das Beispiel der Geduld geben, welche den Menschen in widrigen Zufällen in der Traurigkeit nicht ganz untergehen lässt; im Gegenteil, je größer die Widerwärtigkeiten werden, in desto hellerem Licht zeigt sich die Geduld in Ertragung derselben; deshalb zeigt sich beim höchsten aller Übel, - und das ist der Tod - das Beispiel vollkommener Geduld dann, wenn er, ohne dass der Geist dabei in Verwirrung kommt, ertragen wird; dies aber sagte von Christus der Profet (Jes 53, 7) voraus mit den Worten: "Er verstummt wie ein Lamm vor dem, der es schert, und tut seinen Mund nicht auf." - Endlich das Beispiel des Gehorsams; denn dieser ist um so lobenswürdiger, je härter das ist, dem man sich im Gehorsam unterwirft; das härteste von Allem aber ist der Tod; darum sagt der Apostel (Phil 2, 8) um den Gehorsam Christi hervorzuheben, dass er "gehorsam geworden ist" dem Vater "bis zum Tod." 3 q 50 a 1.

228. Kapitel: Vom Kreuztod

Aus denselben Gründen erklärt sich auch, warum Christus gerade den Kreuztod erleiden wollte. Dies erstens deshalb, weil dies die entsprechendste Genugtuungsweise war; denn mit Recht wird der Mensch in dem und mit dem gestraft, worin und womit er gesündigt hat; denn "womit Jemand sündigt, damit wird er auch gestraft (Weish 11, 17). Die erste Sünde des Menschen aber bestand darin, dass er von der Frucht des Baumes der Erkenntnis des Guten und des Bösen wider Gottes Gebot aß: dafür ließ Christus sich am Kreuzesbaum anheften, damit er dort "bezahle, was er selbst nicht geraubt", wie von ihm der Psalmist (Ps 68, 5) sagt. - Der Kreuztod entspricht auch dem Sakrament (der symbolischen Bedeutung des Todes Christi). Christus wollte durch diese Todesart zeigen, dass wir dem fleischlichen Leben so absterben sollen, dass unser Geist sich zum Höheren aufschwingt: darum sagt er selbst (Joh. 12, 32): "Wenn ich von der Erde erhöht bin, werde ich Alles an mich ziehen."

Endlich war gerade diese Todesart am entsprechendsten, um uns ein Beispiel vollendeter Tugend zu geben. Denn die Menschen schrecken oft vor einer schmachvollen Todesart nicht weniger zurück, als vor der Bitterkeit, die im Tod überhaupt liegt. Sache der vollendeten Tugend also ist es, vor dem Erdulden selbst eines schmachvollen Todes nicht zurückzuschrecken, wenn es gilt, für die Tugend einzutreten. Deshalb fügt der Apostel, um den vollkommenen Gehorsam Christi hervorzuheben, seinem Ausspruch, Christus sei gehorsam geworden bis zum Tod, noch bei: "ja bis zum Kreuztod" (Phil 2, 8). Dieser aber galt für die schmählichste Todesart, wie es heißt (Weish 2, 20): "Zum schimpflichsten Tod wollen wir ihn verdammen." 3 q 46 a 4.

229. Kapitel: Vom Sterben Christi

Bei Christus nun finden sich in Einer Person drei Substanzen, nämlich Leib, Seele und die Gottheit des Wortes beisammen, von denen zwei, nämlich Seele und Leib zu einer Natureinheit geeint sind. Beim Tod Christi nun fand eine Trennung der Vereinigung von Seele und Leib statt, andernfalls wäre der Leib nicht wirklich tot gewesen; denn der Tod des Körpers ist eben nichts anderes als die Trennung der Seele von ihm. Keines von beiden jedoch ward getrennt vom Wort Gottes rücksichtlich der persönlichen Einigung. Aus der Verbindung von Seele und Leib resultiert die Menschheit; (denn weder die Seele für sich allein, noch auch der Leib für sich allein, sondern erst das Vereinigtsein von Seele und Leib zu einer Natureinheit verleiht einem Dinge den Charakter des menschlichen Seins). Da nun die Seele vom Leib Christi durch den Tod geschieden war, so konnte Christus während der dreitätigen Dauer seines Todeszustandes nicht als Mensch bezeichnet werden; (denn "Mensch" bezeichnet eben etwas aus Leib und Seele Zusammengesetztes). Nun ward oben (Kap. 211) bemerkt, dass wegen der persönlichen Einigung der menschlichen Natur mit dem Wort Gottes alles, was von Christus als Mensch ausgesagt wird, auch vom Sohn Gottes ausgesagt werden kann. Da nun auch im Tod die persönliche Einigung des Sohnes Gottes sowohl mit der Seele, als auch mit dem Leib Christi verblieb, so kann auch alles was von der einen, wie von dem andern gilt, vom Sohn Gottes ausgesagt werden. Deshalb heißt es im Glaubensbekenntnis vom Sohn Gottes, er sei "begraben worden", weil der ihm geeinte Leib im Grab lag, sowie andrerseits dass er "abgestiegen ist zur Hölle", da seine Seele hinabstieg.

Nun ist aber zu beachten, dass das männliche Geschlecht die Person, das sächliche aber die Natur bezeichnet; deshalb sagen wir in der Trinität, der Sohn sei ein Anderer als der Vater, nicht aber etwas Anderes (denn in der Trinität ist nur ein Unterschied in der Person, nicht aber auch in der Natur). Deshalb war bei dem dreitätigen Todeszustand der ganze Christus im Grab, der ganze Christus in der Vorhölle, der ganze Christus im Himmel, wegen der Person, die geeint war sowohl mit dem Leib, der im Grab lag, als mit der Seele, die der Hölle ihren Raub entriss, und die zugleich der göttlichen Natur, die im Himmel regiert, subsistierte; dagegen kann man nicht sagen, dass das Ganze von Christus im Grab, oder in der Vorhölle war, weil nicht die ganze menschliche Natur, sondern nur ein Teil derselben im Grab oder in der Vorhölle war. 3 q 50 a 4.

230. Kapitel: Der Tod Christi war freiwillig

Christi Tod war unserem Tod gleichförmig bezüglich alles dessen, was zum Begriff und Wesen des Todes gehört, - und das ist Scheidung der Seele vom Leib. Nach einer Seite hin jedoch unterscheidet sich Christi Tod von unserm Tod. Wir sterben nämlich, weil der Tod für uns ein Gesetz der Notwendigkeit ist; sei es nun, dass die Natur (von Innen) ihn herbeiführt, oder dass er uns gewaltsam (von Außen) angetan wird. Christus aber starb, nicht weil er einem Gesetz der Notwendigkeit hierzu unterlag, sondern nach freiem Verfügen und eigenem Willen; deshalb sagte er selbst (Joh 10, 18): "Ich habe die Gewalt, meine Seele von mir zu geben, und sie wieder an mich zu nehmen."

Der Grund dieses Unterschiedes liegt darin, dass, was Sache der Natur ist (die Naturgesetze) unserem Willen nicht unterliegt; nun aber ist die Verbindung mit dem Leib Sache der Natur (ein Naturgesetz); deshalb steht es nicht im Bereich unseres Willens, dass die Seele mit dem Leib vereint bleibt, oder von ihm getrennt wird, sondern es kann dies nur durch das Einwirken eines (Natur) Agens geschehen. (Dass es nicht im freien Belieben des Menschen steht, die Trennung der Seele vom Leib beim Tod zu verhindern, ist einleuchtend; aber er kann auch nicht einfach durch seinen Willen diese Trennung herbeiführen; denn auch dem Selbstmörder z. B. genügt nicht der einfache Wille, sondern er muss ein Naturagens herbeiführen, kraft dessen die Auflösung eintritt, und wäre es auch einfach nur das Aushungern). Was nun aber bei Christus auf dem Gebiet der menschlichen Natur dem Naturgesetz unterlag, das alles unterstand dem freien Belieben seines Willens wegen der Allmacht der Gottheit (es ist hier, wie man sieht, vom göttlichen Willen Christi die Rede), der die ganze Natur (mit allen ihren Gesetzen) unterworfen ist. Es stand also in der Gewalt Christi, dass seine Seele, so lange er wollte, mit dem Leib vereinigt blieb, und sofort, da es ihm beliebte, von ihm getrennt ward. Das Anzeichen dieser göttlichen Allmacht fühlte der Hauptmann, der beim Kreuze Christi stand, da er ihn unter lautem Ruf seinen Geist aufgeben sah; dies zeigte klar, dass er nicht wie die übrigen Menschen in Folge der Schwächung der Natur starb; denn die Menschen sind nicht im Stande, unter lautem Rufen ihren Geist aufzugeben, da sie im Augenblick des Todes kaum noch die Zunge rühren können (deren Bewegung zu einem artikulierten Laut - um diesen handelt es sich hier vgl. Lk 23, 46; Joh 19, 30 - notwendig ist). Dass also Christus unter lautem Ruf seinen Geist aufgab, offenbarte die göttliche Allmacht in ihm; deshalb sagt der Hauptmann (Mt 27, 54): "Wahrhaftig Gottes Sohn war dieser."

Daraus folgt aber nicht, dass etwa die Juden Christus nicht getötet hätten, oder gar, dass er sich selbst getötet hätte. Als Mörder bezeichnet man eben jenen, der einem Andern die Todesursache beibringt; der Tod selbst aber tritt nur dann ein, wenn die Todesursache die Natur, welche das Leben hält, überwältigt. Nun stand es aber im freien Belieben Christi, ob und in welchem Maße die Natur der Ursache, die auf ihren Untergang berechnet war, nachgab, oder ihr Widerstand leistete. So ist also Christus selbst freiwillig (d. h. nach freiem Ermessen und Belieben) gestorben, und doch sind die Juden seine Mörder. 3 q 47 a 1.

231. Kapitel: Vom Leiden Christi auf körperlichem Gebiete

Christus nun wollte nicht den Tod allein erdulden, sondern auch alle übrigen Leiden, die der Sünde des Stammvaters entspringen, um durch volle und ganze Übernahme der Sündenstrafe uns vollkommen von der Sünde auf dem Weg der Genugtuung zu befreien. Von diesen Leiden nun gehen manche dem Tod voraus, andere folgen ihm nach. Dem Tod voraus gehen einmal natürliche Körperleiden, wie Hunger, Durst, Müdigkeit und ähnliches, sodann solche die gewaltsam beigebracht werden, wie Verwundung, Geißelung und ähnliches; alles das wollte Christus erdulden, weil es aus der Sünde seinen Ursprung nahm. Würde der Mensch nämlich nicht gesündigt haben, so würde er die Belästigung durch Hunger oder Durst, oder Müdigkeit, oder Kälte nicht empfunden haben, und es würde ihm auch von außen her nicht gewaltsam ein Leiden zugefügt worden sein. - Mit der Erduldung dieser Leiden aber hatte es bei Christus eine andere Bewandtnis als dies bei den übrigen Menschen der Fall ist.

Bei den anderen Menschen findet sich nämlich nicht Etwas, was mit diesen Leiden in Widerspruch stehen könnte; in Christus aber war Etwas, was diesen Leiden entgegenwirkte, nämlich nicht bloß die ungeschaffene göttliche (All)-Macht (die mit der menschlichen Natur in der Person geeint war), sondern auch die Seligkeit (visio beatifica siehe oben Kap. 216) der Seele; die Kraft dieser letzteren ist derart stark, dass ihre Seligkeit nach dem Worte des hl. Augustin in gewissem Sinn selbst auf den Körper überströmt. So bewirkt ja nach der Auferstehung der Umstand, dass die Seele durch die Anschauung Gottes und durch den noch unverhüllten und vollen Genuss desselben verklärt ist, sofort auch die Verherrlichung, Leidensunfähigkeit und Unsterblichkeit des mit der verklärten Seele vereinigten Leibes (siehe oben Kap. 167 f.) Nun besaß die Seele Christi den vollen Genuss der Anschauung Gottes; die Folge hiervon musste sein, dass kraft derselben sein Leib leidensunfähig und unsterblich wurde durch das Überströmen der Herrlichkeit von der Seele auf den Leib. Aber zum Zweck der Erlösung geschah es, dass, während die Seele die Anschauung Gottes genoss, nichts desto weniger der Leib dem Leiden unterworfen war, so dass kein Überströmen der Verherrlichung von der Seele aus auf den Leib statthatte. Es unterstand nämlich, wie (Kap. 230) bemerkt ward, was in der menschlichen Natur Christi Sache der Natur war, seinem (göttlichen) Willen. Darum konnte er das an sich natürliche Überströmen (der Freude, Seligkeit) von der höheren Seite seines Wesens in die niedere, (sinnliche und leibliche) Seite desselben nach Belieben hindern, indem er jede Seite seines Wesens leiden und tätig sein ließ auf dem ihr eigenen Gebiet, ohne Beeinträchtigung der anderen. Das kann bei den übrigen Menschen (eben weil sie bloße Menschen sind) nicht der Fall sein.

Daher kam es, dass Christus bei seinem Leiden den denkbar höchsten leiblichen Schmerz erduldete, weil bei ihm der leibliche Schmerz in keinerlei Weise gemildert wurde durch die höhere Freude im vernünftigen Teile (seines Wesens), während umgekehrt aber auch der Schmerz des Leibes die Freude der Vernunft keineswegs beeinträchtigte.

Daraus folgt, dass Christus allein (die scheinbar sich widersprechende) Eigenschaft an sich hatte, dass er einerseits noch auf dem Weg zum Ziel sich befand, andrerseits schon am Ziel angelangt, Erdenpilger und Himmelsbürger zugleich war. Er befand sich nämlich im Genuss der Anschauung Gottes - und hierdurch und insoweit war er schon am Ziel angelangt - andrerseits aber verblieb sein Leib noch leidensfähig - und dies ist die Eigenschaft jener, welche erst auf dem Weg zum Ziel sich befinden (Kap. 168). Eben diesen kommt es auch zu, dass sie durch die guten Werke, die sie aus Liebe verrichten, entweder sich oder Andern Verdienste erwerben; darum hat auch Christus, obwohl er schon am Ziel angelangt war (nach der einen Seite seines Wesens) durch das, was er tat und erlitt, sowohl sich als uns etwas verdient. Sich verdiente er - nicht zwar die Herrlichkeit (Seligkeit) der Seele; denn diese besaß er schon vom ersten Augenblick seiner Empfängnis an, - wohl aber die Verherrlichung (die Seligkeit) des Leibes (die Seligkeit nach der leiblichen Seite seines Wesens hin), indem er auf dem Weg des Leidens zu derselben gelangte. Uns aber waren seine einzelnen Leiden und Handlungen förderlich zum Heil, nicht bloß als Beispiel, sondern auch als Verdienst; denn wegen der Überfülle von Liebe und Gnade, die er besaß, konnte er uns Gnade verdienen (1. 2. q 104 a 6) sodass aus der Fülle des Hauptes die Glieder Gnade erhielten (3 q 8 a 1 u. 6). Es war nämlich jedes, auch das geringste Leiden von ihm hinreichend zur Erlösung des Menschengeschlechtes, wenn man Rücksicht nimmt auf die Würde dessen, der litt. Je höher nämlich die Person steht, der ein Leiden zugefügt wird, desto größer ist die darin liegende Kränkung und Beleidigung; so wenn z. B. Jemand einen Fürsten misshandelt, so ist dies eine größere Beleidigung, als wenn er dies Einem aus der gewöhnlichen Volksmasse gegenüber tun würde. Da nun Christus (wegen seiner göttlichen Persönlichkeit) eine unendliche Würde besitzt, so kommt jedem ihm zugefügten Leiden eine unendliche Bedeutung zu, und es wäre in Folge dessen hinreichend zur Tilgung von unendlich vielen Sünden. Jedoch wurde nicht durch jedes Leiden, sondern nur durch seinen Tod die Erlösung des Menschengeschlechts vollzogen. Diesen wollte er aus den oben (Kap. 227 und 228) angegebenen Gründen zu dem Zweck erdulden, um das Menschengeschlecht von den Sünden (nicht einfachhin zu befreien sondern) loszukaufen. Bei jedem Kauf aber ist nicht nur erforderlich, dass einfach ein gleicher Wert vorhanden sei, sondern auch noch, dass dieser eben auch (eigens) als Kaufpreis bestimmt werde.

232. Kapitel: Von der Leidensfähigkeit der Seele Christi

Weil nun die Seele die Form des Leibes ist (und als solche mit ihm Eine Natur und Wesenheit bildet) so folgt, dass sobald der Körper leidet, auch die Seele in gewissem Sinne leidet; deshalb war in jenem Zustand, in welchem Christus einen leidensfähigen Leib hatte, auch seine Seele Ieidensfähig. Nun kann die Seele nach zwei Seiten hin leiden. Einmal von Seiten des Körpers, sodann auch von Seiten eines äußeren Gegenstandes. Dies können wir (der Veranschaulichung wegen) an einer einzelnen Seelenkraft uns vorstellig machen; denn die ganze Seele steht in eben demselben Verhältnis zum ganzen Körper, wie ein Teil der Seele zu einem Teil des Körpers. Die Sehkraft z. B. (die ein potentieller Teil der Seele, eine Seelenpotenz ist) leidet einerseits vom äußern Gegenstand, wenn z. B. durch allzugrellen Lichtschein der Gesichtsinn geblendet wird; andrerseits von Seiten des Organs (also des Körperteiles) wenn z. B. durch Verletzung der Pupille die Sehkraft geschwächt wird. Nimmt man also beim Seelenleiden Christi Rücksicht auf den Körper, so litt die ganze Seele mit dem leidenden Körper; denn die Seele ist (nicht etwa bloß durch die eine oder die andere ihrer Kräfte, sondern) ihrem Wesen nach die Form des Leibes; nun wurzeln aber im Wesen der Seele alle ihre Kräfte; folglich muss, sobald der Körper leidet, auch jede Seelenkraft in gewissem Sinne mitleiden. - Nimmt man hingegen beim Seelenleiden Christi Rücksicht auf den Gegenstand (der auf die Seele und ihre Kräfte einwirkend das Leiden verursachen konnte), so waren nicht alle Seelenkräfte ohne Ausnahme dem Leiden unterworfen, wenn wir unter Leiden, (nicht jede beliebige Einwirkung von außen auf die Seelenkräfte, wie z. B. die des beleuchteten Gegenstandes auf das Gesicht usw., sondern nur) jene verstehen, welche einen schädigenden Einfluss ausübt. Denn nicht bei allen Seelenkräften ohne Ausnahme übte der Gegenstand derselben eine schädigende Einwirkung aus; denn wie oben (Kap. 216) bemerkt ward, genoss die Seele Christi die volle Anschauung Gottes. Die höhere Verstandesseite der Seele Christi, welche (im Gegensatz zur niederen Verstandesseite) mit der Betrachtung und Erwägung der ewigen (der Veränderlichkeit und Wandelbarkeit entzogenen) Dinge sich beschäftigt, während die niederen sich mit den zeitlichen, vergänglichen Dingen abgibt (über die Augustin de Trin XII, Kap. 4 entlehnte, Unterscheidung des menschlichen Verstandes in eine "ratio superior" und "inferior", welche nicht verschiedene Seelenvermögen, noch auch verschiedene Objekte, sondern nur die verschiedenen Mittel und Wege, durch welche der menschliche Verstand sich Wissen und Urteil verschafft, ausdrücken will, vergleiche 1 q 79 a 9) hatte (bezüglich ihres Gegenstandes) nichts Widriges oder ihr Widerstrebendes, so dass kein sie schädigender, schmerzlicher Eindruck auf sie statthaben konnte. Dagegen konnten die Sinnesvermögen (Sehen, Gefühl etc.), deren Gegenstand die körperlichen Dinge sind, einen schädigenden (schmerzenden) Einfluss in Folge der körperlichen Verletzung erhalten; deshalb war in Christus, als sein Körper litt, ein sinnlicher Schmerz vorhanden. Wie nun die Verletzung des Leibes vom Sinnesvermögen als etwas Schädigendes (und Schmerzendes) empfunden wird, so fasst auch im Innern die Phantasie dieselbe als etwas Schädigendes auf; daraus folgt im Innern das Gefühl der Traurigkeit, auch selbst dann, wenn der Schmerz im Leib noch nicht (wie z. B. bei der Todesangst), wirklich empfunden wird. Auch dieses Schmerzgefühl der Traurigkeit fand sich in der Seele Christi. Aber nicht bloß die Phantasie, sondern auch die niedere (dem Irdischen zugekehrte) Verstandesseite fasst im Denken die den Körper schädigenden Einwirkungen auf. Deshalb konnte auch in Folge der (denkenden) Auffassung der niederen Verstandesseite, die sich mit dem Zeitlichen abgibt, das Schmerzgefühl der Traurigkeit in Christus Platz greifen, insofern nämlich die niedere Verstandesseite den Tod und sonstige körperliche Verletzungen als etwas Schädigendes und dem natürlichen Verlangen (nach Selbsterhaltung) Widerstrebendes auffasste. Die Liebe nun, die aus zwei Menschen gleichsam einen einzigen macht, bewirkt, dass man Traurigkeit empfindet nicht bloß wegen jener Dinge, die man mit der Phantasie und der niederen Verstandesseite als für sich selbst schädlich erfasst, sondern auch wegen jener, die man als schädlich auffasst für Andere, die man liebt. Deshalb erlitt Christus fernerhin Traurigkeit insofern er für Andere, die ihm lieb und wert waren, die Gefahr vorhanden sah, in Schuld oder Strafe zu kommen; und so empfand er nicht bloß Schmerz für sich, sondern auch für Andere. Obwohl nun die Nächstenliebe im gewissen Sinn auch in das Gebiet der höheren Verstandesseite gehört, insofern nämlich der Nächste aus übernatürlichem Motiv um Gottes willen geliebt wird: so konnte doch bei Christus die höhere Verstandesseite keinerlei Traurigkeit empfinden über das, was dem Nächsten Übles begegnet, wie das bei uns der Fall sein kann. Weil nämlich die höhere Verstandesseite Christi die volle Anschauung Gottes genoss, so fasste sie Alles das, was in das Gebiet von Schuld und Strafe in Bezug auf den Nächsten fällt, so auf, wie es in der göttlichen Weisheit (in der alle Rätsel und scheinbaren Disharmonien ihre Lösung finden) enthalten ist; in dieser aber findet sich in entsprechender Weise geordnet, sowohl die Zulassung, dass jemand sündigt, als auch die Strafe hierfür (unbeschadet der geschöpflichen Freiheit). Dies ist der Grund, weshalb weder die Seele Christi, noch auch die irgend eines Seligen, der Gott schaut, wegen der Übel (von Sünde und Strafe), in der die Nächsten sich befinden, Traurigkeit empfinden kann. Weil sie in der göttlichen Weisheit die Lösung der scheinbaren Disharmonie durch Einblick in den göttlichen Welt- und Heilsplan finden). Anders ist dies während des Erdenwandels hienieden der Fall, wo wir noch nicht einen Einblick in den (Vorsehungs-)Plan der göttlichen Weisheit haben. Hier empfindet man Trauer über das Übel (von Sünde und Strafe) auch in der höheren Verstandesseite; man kann da nämlich der Meinung sein, es gereiche zur Ehre Gottes und zur Erhöhung des Glaubens, dass dieser oder jener zum Heil komme, während er doch verloren geht. - So fand sich bei Christus (der ganz eigentümliche psychologische Zustand), dass er über eben dasselbe, um dessentwillen er auf dem Gebiete der Sinnesempfindung, der Phantasie und der niederen Verstandesseite Schmerz empfand, zugleich nach der höheren Verstandesseite hin sich freute, insofern er nämlich Alles dies (an sich Schmerzliche) mit dem (Vorsehungs- und Welt-)Plan der göttlichen Weisheit (den er schaute und in dem er alle Rätsel gelöst sah) in Einklang und Verbindung brachte. Weil nun das miteinander in Verhältnis und Verbindung setzen, das Herstellen der Beziehung des Einen zum Andern das der Vernunft (dem Verstand) eigene Werk ist - so sagt man, der Geist Christi widerstrebte dem Tod, insofern man den Verstand als Naturvermögen auffasst; denn naturgemäß (vom Standpunkt der Natur aus, ohne weitere Reflexion) ist der Tod etwas Hassenswertes; er wollte aber auch andrerseits wieder den Tod erleiden, wenn man den Geist, den Verstand als Verstand (d. h. als das Vermögen fasst, das die Beziehungen des einen Dinges zu dem andern erfasst, z. B. als die des Mittels zum Zweck, der Arznei zur Gesundheit, seines Todes als Mittel zum Heil der Welt vgl. hierzu 3 q 18 a 3 u. 5).

Wie nun in Christus sich Traurigkeit vorfand, so auch alle andere Gemütsbewegungen, die aus der Traurigkeit entstehen, wie Furcht, Zorn und dergleichen. Die Übel (und Widerwärtigkeiten) nämlich, die wenn sie gegenwärtig sind, Traurigkeit verursachen, rufen, wenn man sie als künftig betrachtet, das Gefühl der Furcht in uns wach; und wenn uns Etwas verletzt, so empfinden wir gegen dasselbe das Gefühl des Zornes. Jedoch fanden sich diese Gemütsbewegungen (Leidenschaften) anders in Christus, als sie sich bei uns finden. In uns nämlich kommen sie meistens dem Urteil der Vernunft zuvor, und gehen bisweilen über das vernünftige Maß hinaus. Bei Christus aber war weder das Eine noch das Andere der Fall, sondern das niedere Begehrungsvermögen, in welchem diese Gemütsbewegungen ihren Sitz haben, regte sich nur soweit als die Vernunft dies leitend und regelnd zuließ. So konnte es vorkommen, dass die Seele Christi in ihrem niederen Teile etwas verabscheute, was sie ihrem höheren nach wollte; dabei war jedoch keineswegs ein eigentliches Widerspiel des Verlangens in ihm (3 q 18 a 6), oder eine Auflehnung des Fleisches gegen den Geist, wie sie bei uns stattfindet, und die darin ihren Grund hat, dass das niedere Begehren über Urteil und Maß der Vernunft sich hinaussetzt. (3 q 15 a 6 7. 9.) In Christus aber regte sich dasselbe nur nach dem Urteil (und der Regel) der Vernunft, indem er nämlich alle niederen Kräfte in der ihnen zukommenden und zustehenden Weise sich bewegen ließ, soweit es sich ihm gebührte.

Aus all dem Vorgesagten ist ersichtlich, dass die höhere Verstandesseite Christi voll und ganz des seligen Genusses der Anschauung Gottes sich erfreute - wenn man Rücksicht nimmt auf ihren Gegenstand, - denn von dieser Seite her konnte ihr nicht etwas entgegentreten, das ihr Anlass zur Traurigkeit hätte geben können; sie litt aber auch hinwieder voll und ganz, wenn man Rücksicht nimmt auf ihr Subjekt (die Seele, deren Potenz sie ist) wie oben bemerkt. Sodann minderte dieser selige Genuss nicht das Leiden, noch auch minderte das Leiden den seligen Genuss; denn es erfolgte nicht ein Überströmen von einer Seelenkraft auf die andere, sondern jede Seelenkraft ward der ihr eigenen Tätigkeit und dem ihr eigenen Tätigkeitsgebiet überlassen, wie schon oben (Kap. 231) bemerkt worden ist. 3 q 46 a 7 u. 8.

  • Der Satz Fenelons: "Inferior Christi pars in cruce non communicavit superiori suas in voluntarias perturbationes" ward von Papst Innozenz XII. Breve "Cum alias" vom 12. März 1699 verworfen. Diese communicatio des niederen Seelenlebens mit dem höheren beim Leiden Christi hält, wie aus dem vorstehenden Kap. hervorgeht, Thomas fest "ratione subjecti", nämlich wegen der allen Seelenkräften zu Grunde liegenden Wesenheit der Seele, die mit dem Leib als dessen Form eine Natureinheit bildet - nicht aber "ratione objecti".

233. Kapitel: Vom Gebet Christi

Weil nun das Gebet der Ausdruck des Verlangens ist, so kann man aus der Verschiedenheit des Verlangens, das sich in Christus fand, die Erklärung (das richtige Verständnis) für das Gebet entnehmen, das Christus beim Herannahen seines Leidens verrichtete, indem er sprach: "Mein Vater, wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht wie ich will, sondern wie du willst" (Mt 26, 39). Mit dem Wort: "es gehe an mir vorüber dieser Kelch", drückt er aus die Gemütsbewegung des niederen (sinnlichen), sowie des natürlichen Begehrens, vermöge dessen jeder von Natur aus (durch den Selbsterhaltungstrieb) den Tod flieht und zu leben verlangt. Mit dem Wort jedoch: "doch nicht wie ich will, sondern wie du willst", drückt er die Regung der höheren Vernunftseite aus, die alles im Licht des göttlichen Weisheitsplanes, der alles ordnet, betrachtet. Auf dieses letztere bezieht sich auch das weitere Wort "wenn es nicht möglich ist" (Mt 26, 42). Hiermit spricht er aus, dass nur das geschehen könne, was in Gemäßheit des göttlichen Willensratsschlusses eintreten soll (3 q 18 a 5 u. 6).

Obwohl nun der Leidenskelch nicht an ihm vorüberging, ohne dass er ihn getrunken hätte, so kann man doch nicht sagen, er sei nicht erhört worden; denn nach dem Wort des Apostels (Hebr 5, 7) ist er in Allem "erhört worden wegen seiner Ehrerbietigkeit". Da nämlich, wie bemerkt, das Gebet (das Flehen) Ausdruck des Verlangens ist, so erbitten (erflehen) wir nur das (nicht bloß bedingnisweise, sondern) schlechthin, was wir (nicht bloß bedingnisweise, sondern) schlechthin wollen; deshalb besitzt das Verlangen der Gerechten Erflehungskraft bei Gott nach dem Psalmwort (10, 17): "Das Verlangen der Armen erhört der Herr." Das nun verlangen wir (nicht bloß bedingungsweise, sondern) schIechthin, was wir mit unserer höheren Verstandesseite verlangen; denn nur dieser allein kommt es zu, ihre Zustimmung zum Werk zu geben (weil sie eben nach Erwägung der Umstände den Entschluss fasst). Um das allein aber hat Christus schlechthin gebetet, dass der Wille des Vaters geschehe, weil er auch dies allein nur schlechthin gewollt hat; nicht aber (hat er schlechthin und ohne Vorbehalt, bedingungslos, gewollt), dass der Kelch an ihm vorübergehe; denn dies hat er nicht schlechthin gewollt, sondern nur mit seiner niederen Verstandsseite, wie schon bemerkt ward. 3 q 21 a 4.

234. Kapitel: Vom Begräbnis Christi

Für den Menschen ergeben sich in Folge der Sünde (auch) nach dem Tod noch andere Mängel (und Übel), und zwar auf dem Gebiet des Leibes wie auf dem der Seele. Auf dem Gebiet des Leibes, dass dieser der Erde wiedergegeben wird, aus der er genommen ist. Dieses Übel für den Leib zeigt sich bei uns nach zwei Richtungen hin; nämlich in Bezug auf die Lage (in die er gebracht wird) und in Bezug auf die Verwesung (der er an heimfällt).

In ersterer Beziehung wird der Leib (aus der Gemeinschaft der Lebendigen ausgesondert und) in die Erde zum Begräbnis gebracht; in letzterer Beziehung löst sich der Leib in die Elemente auf, aus denen er zusammengesetzt ist. Von diesen beiden Mängeln und Übeln wollte Christus nur dem ersteren sich unterziehen, indem sein Leib (durch das Begräbnis) unter die Erde gebracht wurde; nicht aber ebenso dem zweiten, dass nämlich sein Leib sich in Erde auflöse; deshalb sagt von ihm der Psalm (16, 10): "Du wirst deinen Heiligen nicht schauen lassen die Verwesung", d. h. das Verfaulen des Leibes. - Der Grund hierfür liegt darin, dass der Leib Christi zwar einerseits seinen Stoff aus der menschlichen Natur nahm, seine Gestaltung aber nicht durch menschliche Kraft (wie bei den übrigen Menschen 1 q 119 a 2) erhielt, sondern durch die Kraft des Hl. Geistes; Christus wollte also wegen der Natur des Stoffes (seines Leibes) es über sich ergehen lassen, dass sein Leib seinen Platz unter der Erde, den man den gestorbenen Leibern anzuweisen pflegt, finde; - denn die örtliche Lage gebührt einem Körper (nach der alten Naturlehre) entsprechend der Natur des in ihm vorherrschenden Elementes (und dieses ist nach Thomas de Anima a 8 ad 1 m beim menschlichen Leib Erde und Wasser). Dagegen wollte er die Auflösung des durch den Hl. Geist gebildeten Leibes nicht über sich ergehen lassen, weil er in dieser Hinsicht sich eben von den übrigen Menschen unterschied. 3 q 51 a 3.

  • Das Begräbnis Christi ist Glaubensartikel. Glaubensbekenntnis Apostolum und Nicaenum.

235. Kapitel: Vom Hinabsteigen Christi in die Unterwelt (Hölle)

Die Folge, welche die Sünde für den Menschen nach dem Tod auf dem Gebiet der Seele nach sich zieht, besteht darin, dass diese in die UnterweIt (Hölle) hinabsteigt, nicht bloß dem Ort nach, sondern auch zur Strafe. Wie aber der Leib Christi zwar örtlich unter der Erde sich befand, nicht aber das allen übrigen gemeinsame Schicksal der Verwesung teilte: so auch stieg die Seele Christi zwar dem Ort nach in die Unterwelt hinab, nicht aber um dort Strafe (Peinen) zu erdulden, sondern um vielmehr die Andern von der Strafe zu befreien, welche wegen der Sünde des Stammvaters dort zurückgehalten wurden, für die er durch Erduldung des Todes schon vollkommen Genugtuung geleistet hatte. Darum blieb ihm nach dem Tode nichts mehr zu leiden übrig, sondern ohne alle Strafe und alles Leiden stieg er in die Unterwelt hinab, um sich als Befreier der Lebendigen und der Toten zu zeigen. Daher heißt es auch von ihm, dass er allein "frei war unter den Toten" (Ps 88, 6; nach dem Literalsinn = verlassen); denn seine Seele war in der Unterwelt nicht der Strafe, und sein Leib im Grab nicht der Verwesung unterworfen. Obwohl nun Christus bei seinem Hinabsteigen in die Unterwelt jene befreite, welche wegen der Sünde des Stammvaters (der Erbsünde) dort zurückgehalten wurden, so ließ er doch jene dort zurück, die wegen ihrer eigenen Sünden daselbst der Strafe verfallen waren; deshalb heißt es von ihm, er habe die Unterwelt (an-)gebissen (Hos 13, 14: morsus tuus ero inferne), nicht aber sie verschlungen; weil er einen Teil befreit, den andern aber in der Strafe ließ. Diese Mängel und Übel, die Christus auf sich nahm, spricht das apostolische Glaubensbekenntnis aus mit den Worten: "Gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben, begraben, abgestiegen zu der Hölle. " 3 q 52.

236. Kapitel: Von der Auferstehung Christi und der Zeit derselben

Das Menschengeschlecht ist also durch Christus befreit worden von den Übeln, die sich aus der Sünde des Stammvaters herleiten; er musste also einerseits unsre Übel erdulden, um uns von ihnen zu befreien, und andrerseits musste auch an ihm die Erstlingsfrucht der von ihm bewirkten Wiederherstellung der Menschheit sich zeigen, so dass Christus nach beiden Seiten hin als Zeichen des Heils uns vorschwebte; indem wir aus seinem Leiden ersehen, was wir für unsere Sünden verdient haben und was wir leiden müssen, um von denselben frei zu werden; und aus seiner Erhöhung lernen, was für ein Ziel unserer Hoffnung uns durch ihn gesetzt ist. - Nach Überwindung des Todes, welcher die Folge der Sünde des Stammvaters war, erstand er als der Erste zum unsterblichen Leben; damit so, wie nach Adams Sünde zum ersten Mal das sterbliche Leben in die Erscheinung trat, so nach Christi Genugtuung für die Sünde, zum ersten Mal das unsterbliche Leben an Christus sich zeigte. Zwar sind vor Christus schon manche andere, sei es von ihm selbst, oder von den Propheten von den Toten auferweckt, zum Leben wieder erwacht, aber nur, um aufs Neue wieder zu sterben; aber "Christus, von den Toten auferstanden …" stirbt nicht mehr" (Röm 6, 9). "Weil er also der Erste war, welcher der Notwendigkeit, zu sterben, entging, heißt er "Fürst der Toten", und "Erstling der Entschlafenen" (1 Kor 15, 20; Kol 1, 18; Offb 1, 5), weil er zuerst aus dem Todesschlaf auferstand und das Joch des Todes brach. -

Seine Auferstehung selbst aber durfte sich weder zu lang hinausziehen, noch auch sofort nach dem Tod eintreten. Würde er sofort nach dem Tod wieder zum Leben zurückgekehrt sein, so wäre der Beweis für das wirkliche Eintreten des Todes nicht geliefert gewesen; hätte sich aber andrerseits die Auferstehung allzu lang verzögert, so wäre das Zeichen der Überwindung des Todes an ihm nicht zur Erscheinung getreten, und infolge dessen hätte sich den Menschen keine Hoffnung gezeigt, durch ihn vom Tod befreit zu werden. So verschob er seine Auferstehung bis zum dritten Tag; denn dieser Zeitraum reichte hin, um das wirkliche Eintreten des Todes zu beweisen, und war auf der anderen Seite auch nicht wieder so lang, dass er die Hoffnung auf die erlangte Befreiung geraubt hätte. Wäre sie länger hinausgeschoben worden, so wäre die Hoffnung der Gläubigen von Zweifeln angefochten worden. Beweis dafür sind jene zwei Jünger, welche die Hoffnung schon aufgaben, da sie, als der dritte Tag schon herangekommen war, sagten (Lk 24, 21): "Wir hatten gehofft, dass er Israel erlösen werde." - Indess blieb Christus nicht drei volle Tage tot; wenn es jedoch nichtsdestoweniger heißt, er sei drei Tage und drei Nächte im Innern der Erde gewesen (Mt 12, 40), so ist dies in bildlichem Sinn zu verstehen, in welchem der Teil für das Ganze gesetzt wird. Da Tag und Nacht zusammen einen einzigen natürlichen Tag bilden, so heißt es von Christus, mag er auch nur einen Teil des Tages oder der Nacht sich im Tode befunden haben, er sei den ganzen Tag oder die ganze Nacht im Tode gewesen. Nach dem Gebrauch der Schrift aber wird (bei der Zählung) die Nacht mit dem kommenden Tage verbunden, weil die Hebräer ihre Zeit nach dem Lauf des Mondes berechnen, der erst am Abend (leuchtend) zu erscheinen beginnt. Nun befand sich Christus am letzten Teil des Freitags im Grab; verbindet man diesen letzten Teil (nach jüdischer Zeitrechnung) mit der vorausgehenden Nacht, so haben wir Einen natürlichen Tag. So dann befand er sich die ganze auf den Freitag folgende Nacht sowie den ganzen Samstag im Grab; und so haben wir zwei Tage. Endlich lag er noch tot in der dem Sonntag vorausgehenden Nacht; am Sonntag aber stand er auf; entweder um Mitternacht nach Gregor (d. Gr.) oder gegen Morgen, nach Andern. Zählt man also die ganze Nacht oder einen Teil derselben mit dem folgenden Sonntag zusammen, so haben wir den dritten natürlichen Tag. -

Übrigens hat das Auferstehen Christi am dritten Tag auch eine geheimnisvolle, symbolische Bedeutung; es zeigt an, dass er durch die Kraft der ganzen Dreifaltigkeit auferstand; deshalb heißt es bald, der Vater habe ihn auferweckt, bald auch, er sei durch eigene Kraft auferstanden. Das ist kein Widerspruch, da die Kraft des Vaters, wie des Sohnes und des Hl. Geistes ein und dieselbe ist. Weiterhin deutet sein Auferstehen am dritten Tag an, dass die Wiederherstellung des (übernatürlichen, des Gnaden-)Lebens nicht am ersten Tag der Welt, d. i. unter der Herrschaft des Naturgesetzes sich vollzog, auch nicht am zweiten Tag, d. i. unter dem Mosaischen Gesetze, sondern erst am dritten, d. i. zur Zeit der (Erlösungs-)Gnade. - Auch der Umstand, dass Christus einen vollen Tag und zwei volle Nächte im Grabe lag, hat seinen Grund: nämlich den, dass Christus durch die eine (infolge der Sünde) von Altersher auf der Menschheit ruhende Last, nämlich die der Strafe, die beiden auf uns ruhenden Lasten, vernichtete, nämlich die der Schuld und der Strafe, welche durch die zwei Nächte angedeutet werden. 3 q 53.

237. Kapitel: Die Beschaffenheit des auferstandenen Christus

Christus hat aber nicht bloß dem Menschengeschlecht das wieder erworben, was Adam durch die Sünde verloren hatte, sondern er hat ihm auch noch das dazu gewonnen, was Adam erst auf dem Weg des Verdienstes erhalten konnte. Denn die Verdienstkraft , die Christus besaß, war viel stärker, als jene, welche der Mensch vor der Sünde hatte. Durch die Sünde zog sich Adam die Notwendigkeit des Todes zu, und verlor die Möglichkeit, auch nicht zu sterben, die ihm zu Gebote stand, falls er nicht sündigte.

Christus aber schloss nicht bloß die Notwendigkeit des Todes aus, sondern erwarb noch die Unmöglichkeit des Todes. Deshalb erhielt der Leib Christi nach der Auferstehung die Eigenschaft der Leidensunfähigkeit und Unsterblichkeit, nicht in dem Sinn, wie sie der erste Mensch hatte, der die Fähigkeit besaß, auch nicht zu sterben; sondern derart, dass es für ihn überhaupt unmöglich war, zu sterben; eine Eigenschaft, die auch wir in der Zukunft für uns erwarten. Weil so dann die Seele Christi vor dem Tod mit dem Leiden des Leibes das Schicksal der Leidensfähigkeit teilte, so hatte die Leidesunfähigkeit des Leibes eben auch die Leidensunfähigkeit der Seele zur (unmittelbaren) Folge. Es war ferner das Geheimnis der Erlösung der Menschen der Grund, weshalb die Glorie der seligen Anschauung Gottes im höheren Teile der Seele so zurückgehalten wurde, dass kein Überströmen derselben in die niederen Seelenkräfte und auf den Leib erfolgte - so dass jeder Teil sich selbst und dem ihm entsprechenden Tun oder Leiden überlassen blieb; eine weitere Folge des vollbrachten Erlösungswerkes war es demnach, dass durch das Überströmen der Glorie aus dem höheren Teil der Seele der Leib und die niederen Seelenkräfte völlig beseligt wurden. Während also Christus vor seinem Leiden am Ziel (der Anschauung Gottes) schon angelangt war seiner Seele nach, hingegen wegen der Leidensfähigkeit seines Leibes noch auf dem Weg zum Ziel sich befand: so war er nach seiner Auferstehung nicht mehr fernerhin Erdenpilger, sondern nur mehr seliger Himmelsbürger. 3 q 5 4 a 3.

238. Kapitel: Die Auferstehung Christi ward entsprechend bewiesen

Christus hat, wie oben (Kap. 236) bemerkt ward, seine Auferstehung deshalb (nicht bis zum Ende der Welt verschoben, sondern) früher eintreten lassen, damit die Hoffnung auf unsere künftige Auferstehung durch seine bereits vollzogene Auferstehung einen festen Stützpunkt habe; es musste also zur Befestigung unserer Auferstehungshoffnung seine Auferstehung, sowie die Beschaffenheit des Auferstandenen durch entsprechende Beweise dargelegt werden. Er machte aber, nicht - wie seine Menschheit und sein Leiden - so auch seine Auferstehung Allen unterschiedslos kund, sondern nur "den von Gott hierzu vorbestimmten Zeugen" (Apg 10, 41), nämlich seinen Jüngern, die er sich erwählt hatte, um das Heil der Menschen zu vollbringen. Der Zustand der Auferstehung gehört ja, wie (Kap. 237) bemerkt ward, zur Glorie des seligen Himmelsbürgers; die Kenntnis hiervon gebührt aber eben nicht allen, sondern nur jenen, die sich derselben würdig machen (3 q 55 a 1). Christus nun tat ihnen kund sowohl 1. die WirkIichkeit seiner Auferstehung, als auch 2. die Glorie des Auferstandenen.

1. Die Wirklichkeit seiner Auferstehung zeigte er ihnen dadurch, dass er ihnen die Identität dessen, der gestorben war, mit jenem, der auferstand, nachwies in Bezug auf die Natur, wie das Individuum. Die Identität der Natur bewies er, indem er zeigte, dass er einen wirklichen menschlichen Leib habe, und ihn seinen Jüngern zum Berühren und Anschauen darbot, indem er sagte (Lk 24, 39): "Rührt mich an und seht; denn ein Geist hat nicht Fleisch und Bein, wie ihr sehet, dass ich sie habe." Ferner bewies er dieselbe dadurch, dass er Tätigkeiten ausübte, die der menschlichen Natur zukommen, wie dass er mit seinen Jüngern aß und trank, mit ihnen oft sprach und wandelte lauter Tätigkeiten, wie sie dem lebenden Menschen zukommen. Freilich war jenes Essen für ihn nicht etwas Notwendiges (wie es das für uns ist). Denn die unsterblichen Leiber der Auferstandenen bedürfen nicht mehr der Speise; bei ihnen tritt nämlich keinerlei Verlust durch Stoffwechsel mehr ein, der durch Zuführung von Speise ergänzt werden müsste. Daher diente auch die Speise, die Christus nach seiner Auferstehung zu sich nahm, nicht zur Nährung seines Leibes, sondern löste sich in Materie in anderem (etwa luftförmigem) Zustand auf. Aber eben durch die Tatsache, dass er aß und trank, bewies er sich als wahren Menschen. - Die individuelle Identität aber - dass er nämlich mit dem Gestorbenen (dem Gekreuzigten) identisch sei - bewies er seinen Jüngern dadurch, dass er ihnen die Zeichen seines Todes, nämlich die Wundmale, an seinem Körper zeigte; deshalb sagt er zu Thomas (Joh 20, 27): "Lege deinen Finger herein und sich meine Hände, und reiche her deine Hand, und lege sie in meine Seite"; sowie (Lk 24, 39): "Seht meine Hände und meine Füße; ich bin es selbst." Dass er übrigens die Wundmale an seinem Leib beibehielt, geschah eben absichtlich zu dem Zweck, die Wirklichkeit seiner Auferstehung nachzuweisen; denn an sich gebührt dem Leib, der unzerstörbar aufersteht, volle Unversehrtheit (also auch das Verschwinden aller Narben). Übrigens kann man ja auch annehmen, dass an den verklärten Leibern der Martyrer sich Zeichen früherer "Wunden finden mögen, verbunden mit einem gewissen Glanze zum Zeugnis ihres Bekennermutes. Die individuelle Identität bewies er auch durch die Art, wie er sprach, sowie überhaupt durch die individuell bestimmte Art und Weise seines gewohnten Tuns und Handelns, woran man ja überhaupt die einzelne Persönlichkeit erkennt; so erkannten ihn die Jünger z. B. am Brechen des Brotes (Lk 24, 35). Er selbst aber zeigte sich ihnen offen in Galliläa, wo er mit ihnen gewöhnlich verkehrte.

2. Die Glorie des Auferstandenen aber tat er ihnen kund, als er durch verschlossene Türen zu ihnen hereintrat (Joh 20, 19) und da er vor ihren Augen (plötzlich) verschwand (Lk 24, 31). Denn das gehört zur Herrlichkeit des Auferstandenen, dass er dem noch nicht verklärten Auge je nach seinem Belieben sichtbar und auch wieder nicht sichtbar sein kann. Weil jedoch der Glaube an die Auferstehung immerhin seine große Schwierigkeiten hat, so brachte er mehr als ein Beweismittel vor, um sowohl einerseits die Wirklichkeit der Auferstehung als auch andrerseits die Herrlichkeit des auferstandenen Leibes darzutun. Denn hätte er den für unseren Vorstellungskreis ganz ungewöhnlichen Zustand des verklärten Leibes ganz, ohne irgend welche Einschränkung gezeigt, so hätte dadurch der Glaube an die Auferstehung Schaden gelitten, weil man wegen der unermesslichen Herrlichkeit desselben hätte denken können, er sei kein wirklich menschlicher Leib.

Aber nicht bloß durch äußere, sichtbare Zeichen, sondern auch auf dem Weg der Belehrung durch geistige Gründe offenbarte er seine Auferstehung, indem er seinen Jüngern den Sinn aufschloss, dass sie die Schrift verstanden, und so wies er ihnen aus den Profeten seine Auferstehung als längst vorausgesagt nach (Lk 24, 45 f). 1 q 55 a 5 u. 6.

239. Kapitel: Vom doppelten Leben, das im Menschen durch Christus erneuert ward

Wie nun Christus "durch seinen Tod unsern Tod vernichtet hat, so hat er auch durch seine Auferstehung unser Leben wieder hergestellt." (Osterpräfation). Nun gibt es für den Menschen einen doppelten Tod und ein doppeltes Leben. Der eine Tod ist der des Leibes, durch die Trennung der Seele von ihm; der andere (der der Seele), durch die Trennung von Gott. Christus nun, bei dem der zweite Tod keinen Platz hatte, hat durch den ersten Tod, den leiblichen, dem er sich unterzog, für uns den doppelten Tod, den leiblichen wie den geistigen vernichtet. Dementsprechend redet man nun auch von einem doppelten Leben; von einem, das der Leib durch die Seele hat, und dies nennen wir das Leben der Natur (das natürliche Leben); sowie von einem, das der Mensch durch Gott hat, und dies nennen wir das Leben der Gerechtigkeit oder das Leben der Gnade (das übernatürliche Leben). Dies letztere ist begründet durch den (durch die Liebe belebten) Glauben (die fides caritate formata: 1. 2. q 113 a 4 ad 1; 2. 2. q 4 a 5) durch welchen Gott in uns wohnt, nach dem Wort der Schrift (Hab 2, 4; resp. Hebr 10, 38): "Mein Gerechter aber lebt in seinem Glauben." Dem entsprechend gibt es eine doppelte Auferstehung: eine leibIiche, bei welcher die Seele wieder mit dem Leibe vereinigt wird; und eine geistige, bei welcher sie wieder mit Gott vereint wird. Von dieser zweiten Auferstehung kann bei Christus keine Rede sein, denn seine Seele war nie durch die Sünde von Gott getrennt. Er ist also durch seine leibliche Auferstehung allein uns die Ursache für unsere doppelte Auferstehung, für die leibliche wie für die geistige. Nun ist aber zu beachten, dass, wie Augustin (Tract. 19 in Joann. n. 16) bemerkt, das Wort Gottes die Seelen, das fleischgewordene Wort aber die Leiber auferweckt. Die Seele nämlich (durch die Gnade) beleben kann ausschließlich nur Gott allein. Weil jedoch (beim Werk der Erlösung) das Fleisch (die menschliche Natur Christi) als Werkzeug (als Organ) der Gottheit dient, das Werkzeug aber in Kraft der Prinzipalursache tätig ist: so wird sowohl unsre leibliche als auch unsre geistige Auferstehung auf die leibliche Auferstehung Christi als ihre (vorbildliche wie Instrumental-)Ursache zurückgeführt vgl. 3 q 56 a 2. Denn alle Tatsachen, die sich im Fleisch (in der menschlichen Natur) Christi vollzogen, alles menschliche Tun und Leiden Christi, war uns heilsam kraft der mit dem Fleisch (mit der menschlichen Natur) Christi verbundenen Gottheit. Darum bezeichnet auch der Apostel die Auferstehung Christi als die Ursache unserer geistigen Auferstehung, wenn er (Röm 4, 25) sagt: "er ist dem Tod überantwortet worden wegen unsrer Sünden, und er ist auferstanden um unserer Rechtfertigung willen." Dass aber Christi Auferstehung die Ursache unsrer leiblichen Auferstehung ist, spricht er (1 Kor 15, 12) folgendermaßen aus: "Da nun verkündigt wird, dass Christus auferstanden ist: wie mögen da Einige unter euch behaupten, es gäbe keine Auferstehung?"

In ganz entsprechender Weise spricht der Apostel die Nachlassung unsrer Sünden dem Tod Christi zu, unsere Rechtfertigung aber seiner Auferstehung, indem er die Harmonie, die zwischen Wirkung und Ursache besteht, zum Ausdruck bringt. Wie nämlich die Nachlassung der Sünde darin besteht, dass sie abgelegt wird: so legte Christus durch seinen Tod das dem Leiden unterliegende Leben ab - in dem sich die Wirkung der Sünde zeigt (deren Folge eben das Leiden ist). Wird aber Jemand gerechtfertigt, so erlangt er ein neues Leben; ebenso erlangte Christus in seiner Auferstehung das neue Leben der Glorie. Christi Tod ist also die Ursache der Nachlassung unsrer Sünden und zwar in der Form einer Instrumentalwirkursache, sowie einer symbolischen, geheimnisvollen vorbildlichen Ursache, und endlich als Verdienstursache (3 q 50 a 6). Die Auferstehung Christi dagegen ist die Ursache unsrer Auferstehung in den beiden erstgenannten Formen, nicht aber als Verdienstursache; und dies letztere deshalb nicht, einmal weil Christus bei der Auferstehung nicht mehr Erdenpilger war, so dass er noch etwa hätte verdienstvolle Werke verrichten können; sodann auch deshalb, weil die Herrlichkeit der Auferstehung selbst ein Lohn für das Leiden war, nach der Versicherung des Apostels (Phil 2, 9 ff.)

Daraus ergibt sich, dass Christus als der "Erstgeborene unter den vom Tod Erstandenen" (Kol 1, 18) bezeichnet werden kann, und das nicht bloß wegen der Priorität der Zeit, weil er nämlich wie gesagt zuerst zum unvergänglichen Leben auferstand, sondern auch wegen des Kausalitätsverhältnisses, weil nämlich seine Auferstehung die Ursache der Auferstehung aller übrigen ist, sowie endlich wegen der Würde; denn er stand glorreicher auf als alle Übrigen. Diesen Glauben an die Auferstehung Christi spricht das apostolische Glaubensbekenntnis aus mit den Worten: "am dritten Tage stand er wieder auf von den Toten."

240. Kapitel: Von der Auferstehung und der Himmelfahrt Christi, als dem doppelten Lohn seiner Verdemütigung

Weil nach dem Apostel (Phil 2, 9) die Erhöhung Christi der Lohn seiner Verdemütignng war, so muss seiner doppelten Verdemütigung eine doppelte Erhöhung entsprechen. Nun verdemütigte sich Christus erstens durch sein Todesleiden im angenommenen leidensfähigen Fleisch; zweitens aber auch örtlich, indem sein Leib (unter die Erde) ins Grab gelegt ward, und seine Seele in die Unterwelt hinabstieg. Seiner ersten Verdemütigung nun entspricht seine Erhöhung durch die Auferstehung, in welcher er vom Tod zum unsterblichen Leben zurückkehrte. Der zweiten Verdemütigung hingegen entspricht seine Erhöhung durch die Himmelfahrt; darum sagt der Apostel (Eph 4,10): "Der hinabstieg, ist derselbe, welcher auch hinauffuhr über alle Himmel." Wie nun vom Sohn Gottes gesagt wird, er sei geboren worden, habe gelitten, sei begraben worden und sei auferstanden - nicht seiner göttlichen, sondern seiner menschlichen Natur nach: so wird auch vom Sohn Gottes gesagt, er sei zum Himmel aufgestiegen nicht seiner göttlichen, sondern seiner menschlichen Natur nach. Denn der göttlichen Natur nach verließ er nie den Himmel, da er ja (als Gott) allgegenwärtig ist; deshalb sagt er selbst: "Niemand steigt in den Himmel hinauf, als der von dem Himmel herabgestiegen ist, nämlich der Menschensohn, der im Himmel ist" (Joh 3, 13). Dadurch gibt er zu verstehen, dass er den Himmel zwar verlassen hat, insofern er eine irdische Natur annahm, aber trotzdem immer im Himmel verblieb. Es ist ferner zu beachten, dass Christus allein aus eigener Kraft in den Himmel aufstieg. Denn dieser Ort gebührt ihm, da er ja vom Himmel herabgestiegen war (im eben genannten Sinn!) wegen seines Ursprunges (1 Kor 15, 47). Die andern Menschen aber können nicht aus eigener Kraft aufsteigen, sondern nur durch ihn, indem sie Glieder seines Leibes wurden (3 q 57 a 1-3).

Während die Himmelfahrt dem Sohn Gottes seiner menschlichen Natur nach zukommt, so kommt das Andere, nämlich das Sitzen zur Rechten des Vaters, ihm seiner göttlichen Natur nach zu. Man darf dabei nämlich nicht an eine rechte Seite, oder an ein körperliches Sitzen denken - sondern, weil eben beim Lebewesen die rechte Seite die vorzüglichere ist, so will damit gesagt sein, dass der Sohn keinerlei Einbuße an seiner göttlichen Natur erlitten hat, sondern dem Vater völlig gleich ist. - Übrigens kann man dies auch auf den Sohn Gottes seiner menschlichen Natur nach beziehen, indem wir uns den Sohn der göttlichen Natur nach als im Vater seiend denken kraft der Einheit der Wesenheit, so dass er mit ihm (als der Eine wahre Gott) einen einzigen Herrschersitz einnimmt, d. h. ein und dieselbe Gewalt mit ihm hat. Nun pflegt der königliche Thron immer mit solchen umgeben zu sein, denen der König einen Teil der königlichen Gewalt mitteilt; das meiste von dieser Gewalt aber pflegt der zu besitzen, dem der König den Platz zu seiner Rechten anweist; darum sagt man mit Recht vom Sohne Gottes, er sitze auch seiner menschlichen Natur nach zur Rechten des Vaters, weil er über alles Geschaffene durch seine Würde im Himmelreich erhoben ist.

Es ist also Christus allein eigen, auf die eine, wie auf die andere Weise zur Rechten des Vaters zu sitzen; deshalb sagt der Apostel (Hebr 1, 13): "Zu welchem Engel sprach er jemals: setze dich zu meiner Rechten?" Diese Himmelfahrt Christi bekennen wir im Glaubensbekenntnis: "er ist aufgefahren in den Himmel und sitzet zur Rechten Gottes des Vaters" 3 q 57.

241. Kapitel: Christus wird in seiner menschlichen Natur das Gericht halten

Wir wurden also, wie aus dem Gesagten sich ergibt, durch Christi Leiden und Tod, sowie durch die Glorie seiner Auferstehung und Himmelfahrt von Sünde und Tod befreit und haben die Gerechtigkeit und die Glorie der Unsterblichkeit, erstere in Wirklichkeit, letztere der Aussicht nach, erlangt. Alles das, nämlich Leiden, Tod, Auferstehung und Himmelfahrt vollzog sich an Christus seiner menschlichen Natur nach. Wir müssen also behaupten, dass Christus uns durch das, was er in der menschlichen Natur erlitten oder vollbracht hat, uns von den geistigen wie leiblichen Übeln befreit und uns zu den geistigen und ewigen Gütern gebracht hat. Wer aber Andern Güter erwirbt, der hat auch das Recht, dieselben ihnen aus- und zu zuteilen. Die Verteilung von Gütern aber unter eine großen Masse erfordert Urteil und Verstand, damit jedem das ihm Entsprechende und Gebührende zugewiesen werde. Es ist also nur entsprechend, dass Christus, nachdem er in seiner menschlichen Natur die Geheimnisse der menschlichen Erlösung vollbracht hat, als Mensch von Gott zum Richter bestellt wird über die Menschen, die er erlöst hat. Deshalb heißt es (Joh 5, 27): "Die Macht hat er ihm gegeben, das Gericht zu halten", - nämlich der Vater dem Sohn - "weil er der Menschensohn ist." - Jedoch besteht hierfür auch noch ein anderer Grund. Jene, über welche Gericht gehalten wird, sollen den Richter sehen; Gott nun, in dem die ganze Richtergewalt ruht, in seiner eigenen Natur zu schauen, so wie er ist, gehört schon zur Belohnung; diese aber soll ja erst durch das Gericht gegeben werden. Also musste Gott als Richter nicht in seiner eigenen Natur, sondern in der von ihm angenommenen Natur von den Menschen, über die er Gericht hält, geschaut werden, sowohl von den Guten als von den Bösen. Würden nämlich die Bösen Gott in der ihm eigenen göttlichen Natur schauen, so hätten sie schon den Lohn, dessen sie sich unwürdig gemacht haben. - Zudem besteht auch eine innere Harmonie zwischen diesem Lohn der Erhöhung Christi und seiner Verdemütigung; indem er sich so tief erniedrigte, dass er von einem menschlichen Richter sich ungerecht verurteilen ließ; deshalb bekennen wir, um diese Verdemütigung zu kennzeichnen, im Glaubensbekenntnis, er habe "gelitten unter Pontius Pilatus." Darum gebührte ihm als Lohn diese Erhöhung, dass er in seiner menschlichen Natur von Gott als Richter bestellt wurde über alle Menschen, die Toten wie die Lebendigen, nach dem Wort der Schrift (Job 36, 17): "Deine Sache ward gerichtet als wärest du ein Gottloser: dafür wirst nun du Handel und Gericht erhalten." - Weil nun die Richtergewalt gleich der Auferstehungsglorie zur Erhöhung Christi gehört, so wird er beim Gericht nicht in der demütigen (Knechts-)Gestalt erscheinen, die dem Zustand angemessen war, in welchem er Verdienst sammelte, sondern in glorreicher Gestalt, die dem Zustand der Belohnung entspricht; deshalb heißt es im Evangelium (Lk 21, 27) dass sie "den Menschensohn kommen sehen auf der Wolke mit großer Macht und Herrlichkeit." Der Anblick seiner Herrlichkeit wird den Auserwählten, die ihn liebten, Freude machen; denn ihnen wird versprochen (Jes 33, 17): "Den König werden sie in seiner Herrlichkeit schauen." Den Gottlosen hingegen wird sein Anblick Bestürzung und Trauer bereiten; denn jenen, die Verdammung fürchten, bereitet des Richters Herrlichkeit und Macht Trauer und Furcht; darum heißt es (Jes 26, 11): "Sehen sollen sie (ihn) und beschämt sollen werden die Eiferer gegen dein Volk; und Feuer soll fressen deine Feinde." Trotz seines Erscheinens in verherrlichter Gestalt werden an ihm die Zeichen seines Leidens sichtbar werden, ohne ihn jedoch zu entstellen, sondern vielmehr leuchtend in Schönheit und Herrlichkeit. Ihr Anblick wird den Auserwählten Freude machen, die sich durch das Leiden Christi erlöst fühlen; den Sündern hingegen aber Trauer bereiten, dass sie eine so große Wohltat verachtet haben; darum heißt es (Offb 1, 7): "Es wird ihn jedes Auge sehen, und die ihn durchstochen haben; und es werden seinetwegen alle Geschlechter der Erde wehklagen." 3 q 59 a 2.

242. Kapitel: Gott hat alles Gericht seinem Sohn übergeben, der auch die Stunde des Gerichtes kennt

"Der Vater hat alles Gericht dem Sohn übergeben" (Joh 5, 22); da nun schon in der Gegenwart das menschliche Leben unter dem Walten von Gottes gerechtem Gericht steht, - er ist es ja, der, wie Abraham sagt (Gen 18, 25), "alles Fleisch richtet": so gehört unzweifelhaft auch das Gericht, welches jetzt schon in der Welt über die Menschen waltet, zu Christi Richtergewalt; deshalb beziehen sich auf ihn (auch nach dieser Seite hin), die Worte des Vaters (Ps 109, 1): "Sitze zu meiner Rechten, bis dass ich deine Feinde mache zum Schemel deiner Füße." Er sitzt nämlich zur Rechten Gottes in seiner menschlichen Natur, insofern er von ihm die Richtergewalt erhält, die er auch jetzt schon (im Laufe der Weltgeschichte) ausübt, noch bevor offen und klar hervortritt, dass alle Feinde ihm zu Füßen liegen; deshalb sagte er selbst sofort nach seiner Auferstehung (Mt 28, 18): "Alle Gewalt im Himmel und auf Erden ist mir gegeben."

Nun gibt es noch ein anderes Gericht Gottes, in welchem Jedem sogleich nach dem Tod der Seele nach vergolten wird, was er verdient hat (das besondere Gericht). Denn die Gerechten verbleiben nach ihrer Auflösung bei Christus, wie Paulus (Phil 1, 23) ersehnt. Die Sünder aber werden (gleich) nach ihrem Tod in der Hölle begraben (Lk 16,22). Diese Ausscheidung von Lohn und Strafe kann nicht ohne Gottes Gericht geschehen, und dieses Gericht muss zur Richtergewalt Christi gehören, da er ja selbst seinen Jüngern sagt (Joh 14,3): "Wenn ich werde hingegangen sein und einen Ort für euch bereitet haben: so will ich wieder kommen, und euch zu mir nehmen, damit auch ihr seid, wo ich bin." Unter diesem Hinweggenommenwerden ist nichts anderes zu verstehen, als die Auflösung, die es uns erst ermöglicht, bei Christus zu sein; denn "solange wir noch in diesem Leib sind, weilen wir fern vom Herrn" (2 Kor 5, 6).

Weil nun die Vergeltung, welche der Mensch empfängt, nicht bloß in Gütern der Seele besteht, sondern auch in solchen, welche der Leib dadurch erhält, dass er durch die Auferstehung wieder zur Seele an- und aufgenommen wird, und da jede Vergeltung ein Urteil fordert: so muss es ein Gericht geben, in welchen den Menschen vergolten wird, nicht bloß, was sie mit der Seele, sondern auch, was sie mit dem Leib getan haben. Auch dieses Gericht gehört Christus zu, dass er, wie er nach dem für uns erduldeten Tod in Herrlichkeit auferstanden und in den Himmel aufgefahren ist, so auch durch seine Kraft "den Leib unserer Niedrigkeit auferwecken wird, umgestaltet nach dem Bilde seines verklärten Leibes" (Phil 3, 21) und dass er ihn in den Himmel bringt, wohin er selbst durch seine Auffahrt vorangegangen ist und "uns den Weg gebahnt hat", wie durch Micha (2, 13) voraus verkündet ward. Die allgemeine Auferstehung aller Menschen aber wird am Ende dieser Weltzeit eintreten, wie oben (Kap. 151) bemerkt ward; deshalb wird dieses Gericht den Charakter des allgemeinen und des Endgerichtes an sich tragen, zu dessen Abhaltung Christus nach unserm Glauben zum zweiten Mal kommen wird, und zwar in Herrlichkeit. Weil es aber (Ps 35, 7) heißt: "Deine Gerichte sind ein tiefer Abgrund", und der Apostel (Röm 11, 33) sagt: "wie unergründlich sind seine Gerichte" - so ist zu beachten, dass bei jedem der genannten (drei) Gerichte etwas Tiefes und für das menschliche Denken Unergründliches sich findet. Beim ersten Gerichte Gottes, das während des gegenwärtigen Lebens der Menschen statthat, ist die Zeit des Gerichtes den Menschen zwar etwas Bekanntes - der Grund der Vergeltung aber unbekannt; das umso mehr, als den Guten meistens Schlimmes in dieser Welt widerfährt, den Bösen aber Gutes. Bei den zwei andern Gerichten Gottes wird umgekehrt der Grund der Vergeltung offen und klar sein, dagegen bleibt die Zeit für dieselben unbekannt; denn der Mensch kennt weder die Zeit seines Todes, nach dem Wort der Schrift (Koh 9, 12): "Der Mensch kennt nicht seinen Ausgang"; noch auch kann Jemand wissen, wann das Ende dieser Welt eintritt. Denn die zukünftigen Ereignisse kennen wir nur insoweit und insofern, als wir ihre Gründe oder Ursachen erkennen. Nun aber ist der einzige Grund des Endes der Welt einfach der Wille Gottes; der aber ist uns unbekannt.

Darum kann das Ende der Welt kein einziges Geschöpf voraus wissen, sondern nur Gott allein, nach dem Wort (Christi, Mt 24, 36): "Jenen Tag aber und die Stunde weiß Niemand, auch die Engel des Himmels nicht, sondern nur der Vater allein." Weil nun bei Markus (12,31) diesem Ausspruch beigefügt ist; "auch nicht der Sohn" - stützten manche (z. B. die Arianer) darauf die irrtümliche Behauptung, der Sohn sei geringer als der Vater, weil er das nicht wisse, was der Vater weiß. Dieser Schwierigkeit könnte man dadurch ausweichen, dass man sagt, der Sohn wisse dies nicht der angenommenen menschlichen Natur nach, nicht aber der göttlichen Natur nach, in der er ein und dieselbe Weisheit mit dem Vater besitzt, oder, um es noch genauer zu sagen, in der ja die im Herzen Gottes (des Vaters) empfangene Weisheit ist. Allein auch das scheint nicht anzugehen, dass der Sohn, selbst in der angenommenen Natur kein Wissen von dem Gerichtstag habe, da ja seine Seele, nach dem Zeugnis des Evangelisten (Joh 1, 14) voll der Gnade und Wahrheit Gottes ist, wie oben (Kap. 216) gezeigt ward.

Es scheint auch gar keinen Grund dafür zu geben, warum Christus, nachdem er einmal die Richtergewalt erhalten hat, weil er der Menschensohn ist (Joh 5, 27), in seiner menschlichen Natur gerade den Zeitpunkt des Gerichtes nicht wissen soll. Denn der Vater hätte ihm das Gericht nicht ganz und voll übergeben, wenn ihm die Bestimmung über die Zeit. seiner Ankunft zum Gericht wäre entzogen worden. Man muss also diese Schriftstelle in jenem Sinn auffassen, in welchem dieser Ausdruck in der Schrift häufig gebraucht wird; dass es nämlich dann von Gott heißt, er wisse oder erfahre jetzt etwas, wenn er die betreffende Sache kundtut. So sagt er zu Abraham (Gen 22, 17): "Nun habe ich erkannt, dass du Gott fürchtest" - nicht als ob er dies erst dort erfahren habe, - weiß er doch Alles von Ewigkeit her - sondern, weil er die fromme Ergebenheit des Abraham durch diese Tatsache (seiner Gehorsamstat) nach außenhin kundgetan hatte. In diesem Sinn also heißt es auch vom Sohn, er wisse den Gerichtstag nicht: weil er eben die Kenntnis hiervon seinen Jüngern nicht mitteilte, sondern ihnen antwortete (Apg 1, 7): "Es ist nicht eure Sache, Tag und Stunde zu wissen, welche der Vater in seiner Macht festgesetzt hat." Vom Vater jedoch kann man ein Nichtwissen auch nicht einmal in diesem Sinn behaupten, weil er nämlich wenigstens seinem Sohn dieses Wissen mitteilte durch die ewige Zeugung (durch welche er Alles erhielt, was im Vater ist, also auch das Wissen des Gerichtstages). Andere helfen sich so, dass sie sagen, die Stelle gelte (nicht von Christus, dem wahren Sohn Gottes, sondern nur) vom Adoptivsohn (oder von der Gesamtzahl der Gläubigen: also der Kirche, als dem mystischen Christus; vgl. in Mt 24, 3). vgl. 3 q 10 a 2 ad 1 m.

Der Grund aber, weshalb der Herr den Zeitpunkt des Gerichtes verborgen halten wollte, ist der, dass die Menschen um so mehr auf ihrer Hut seien, damit sie der Gerichtstag nicht unvorbereitet trifft. Aus eben diesem Grunde wollte er auch, dass die Zeit des Todes uns unbekannt sei. Genau in der Verfassung nämlich wird jeder beim Gerichte erscheinen, in der er beim Scheiden aus dieser Welt durch den Tod sich befand; darum sagt der Herr (Mt 24, 42): "Wacht, denn ihr wisst nicht, wann euer Herr kommen wird" 3 q 59 a 4 u. 5.

243. Kapitel: Ob alle gerichtet werden

Christus hat also die Richtergewalt über die Lebendigen und über die Toten. Denn er übt sein Gericht aus über jene, welche noch in dieser Welt leben, wie über jene, welche aus dieser Welt durch den Tod abscheiden. Beim Endgericht aber wird er zugleich auf einmal Lebendige und Tote richten. Unter den "Lebendigen" kann man nun die Gerechten verstehen, welche das Gnadenleben haben; unter den "Toten" aber die Sünder, welche das Gnadenleben verloren haben. Unter "Lebendigen" kann man aber auch hinwieder jene meinen, welche bei der Ankunft des Herrn sich noch am Leben befinden, unter Toten folglich jene, welche vorher gestorben sind. Nun darf man aber nicht glauben, dass diese Lebendigen ins Gericht kämen, ohne vorher den leiblichen Tod gekostet zu haben, wie dies Manche annahmen. Denn der Apostel (1 Kor 15, 51) sagt klar und bestimmt: "Alle werden wir auferstehen" (müssen also vorher Alle entschlafen sein); eine andere Lesart hat sogar: "Alle werden wir entschlafen", d. h. sterben. Mag es nun auch in manchen (den griechischen) Handschriften heißen: "Nicht wir alle werden entschlafen", wie dies Hieronymus in seinem Brief über die Auferstehung an Minerius bemerkt; denn dies vermag die Festigkeit und Sicherheit der von uns aufgestellten Meinung nicht zu erschüttern.

Denn kurz vorher hatte der Apostel vorausgeschickt: "Wie in Adam Alle sterben, so werden auch in Christus Alle wieder zum Leben erweckt werden (1. c. o. 22). Darum kann die Stelle: "nicht wir alle werden entschlafen", nicht auf den leiblichen Tod bezogen werden, der auf Alle überging durch die Sünde des Stammvaters, sondern muss verstanden werden vom Sündenschlafe, von dem es heißt (Eph 5, 14): "Wache auf, der du schläfst, und stehe auf von den Toten, und Christus wird dich erleuchten." Es sind also jene, welche bei der Ankunft Christi noch am Leben sind, von denen, welche vorher starben, nicht dadurch unterschieden, dass erstere nie sterben, sondern dadurch, dass sie eben bei der Entrückung, wo sie entrückt werden in Wolken, Christus entgegen in die Luft (1 Thess 4, 16) - sterben, und sofort wieder auferstehen, wie Angustin (De civ. Dei l. 20 c. 20 n. 2) sagt.

Zum Gericht nun gehören drei Dinge. Erstens, dass man vor dem Richter erscheint; zweitens, dass über Verdienst und Missverdienst verhandelt wird; drittens endlich der Urteilsspruch. Was nun den ersten Punkt betrifft, so müssen alle Menschen, die guten wie die bösen, vom ersten Menschen angefangen bis zum letzten, sich dem Gerichte Christi stellen; denn "wir Alle müssen erscheinen vor dem Richterstuhl Christi" (2 Kor 5, 10). Von dieser Gesamtheit der vor dem Gericht Erscheinenden sind selbst die Kinder nicht ausgenommen, mögen sie nun ohne Taufe oder nach Empfang derselben gestorben sein, wie die Glosse zu dieser Stelle bemerkt.

Was den zweiten Punkt, die Untersuchung von Verdienst oder Missverdienst, anbelangt, so werden nicht Alle gerichtet werden, und zwar nicht alle Guten wie nicht alle Bösen. Denn eine nach Verdienst und Missverdienst ausscheidende Untersuchung ist nur da notwendig, wo sich Gutes mit Bösem beisammen findet. Wo sich aber nur Gutes ohne irgend etwas Böses findet, oder nur Böses ohne auch nur das geringste Gute, da hat eine Untersuchung keinen Zweck mehr. Nun gibt es unter den Guten solche, welche die zeitlichen Güter gänzlich verachtet haben, indem sie sich ganz Gott und den göttlichen Dingen widmeten. Weil nun die (Tod-)Sünde dadurch begangen wird, dass man mit Verachtung des unveränderlichen Gutes den veränderlichen Gütern anhängt, so dürfte bei diesen sich nicht Gutes mit Bösem gemischt vorfinden. Das ist aber nicht so zu verstehen, als ob sie ohne alle Sünde lebten, denn in ihrer Person heißt es (1 Joh 1, 8): "Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst"; sondern weil die kleinen (lässlichen) Sünden, die in ihnen sich finden, durch die Glut der Liebe gleichsam aufgezehrt werden, sodass sie wie nichts erscheinen. Diese also kommen nicht ins Gericht in dem Sinn, dass ihre Werke einer Untersuchung unterworfen würden. Jene Guten dagegen, welche ein weltliches Leben führen und sich auf die zeitlichen Dinge verlegen, missbrauchen dieselben allerdings nicht gegen Gott (indem sie nicht, wie die Todsünder, in sie ihr letztes Ziel setzen), hängen aber mehr, als es sich gebührt, an ihnen; und so findet sich bei ihnen etwas Böses dem Gut des Glaubens und der Liebe beigemischt, und dies zwar in bedeutender Menge, so dass bei ihnen nicht so leicht hervortritt, was bei ihnen vorwiegt. Diese kommen deshalb in das Gericht auch in dem Sinne, dass ihre Werke einer Untersuchung unterworfen werden. Was nun die Bösen betrifft, so ist zu beachten, dass der Anfang überhaupt aller Bewegung zu Gott hin der Glaube ist, nach dem Wort der Schrift (Hebr 11, 6): "Wer zu Gott kommen will, muss glauben." Wer also nicht einmal den Glauben hat (als Grund und Wurzel alles übernatürlich, d. h. schlechthin Guten, vgl. 2. 2. q 10 a 4) bei dem findet sich überhaupt nichts Gutes, dessen Vermischung mit dem Bösen seine Verdammung noch in Zweifel stellen könnte; und deshalb wird ein solcher ohne alle weitere Untersuchung seiner Werke kurzwegs verdammt (vgl. Joh 3, 18). Jener Böse aber, welcher zwar den Glauben, nicht aber auch die Liebe und gute Werke besitzt, hat noch Etwas, was ihn mit Gott verbindet. Deshalb ist bei ihm eine Untersuchung seiner Werke notwendig, damit klar hervortrete, was bei ihm vorwiegt, das Gute oder das Böse.

Darum wird ein solcher erst nach Prüfung seiner Werke auf Verdienst oder Missverdienst verurteilt; wie es ja ein irdischer König auch so macht, indem er einen Bürger (einen Staatsangehörigen), wenn er ein Verbrechen begangen hat, erst nach vorausgegangenem Verhör verurteilt, während er den Gegner im Kriegsfall ohne weiteres Verhör straft (wie dies zu verstehen, siehe folgendes Kap. 244). - Was endlich den dritten Punkt - den Richterspruch - betrifft, so kommen in diesem Sinne Alle ins Gericht, weil Alle durch das Urteil des Richters entweder Herrlichkeit oder Strafe erhalten; darum heißt es (2 Kor 5, 10): "Auf dass ein Jeder, je nachdem er in seinem Leibe Gutes oder Böses getan hat, darnach empfange" Suppl. q 92 a 5-7.

244. Kapitel: Der Grund der Prüfung beim Gericht ist nicht die Unwissenheit des Richters; von der Art und dem Orte des Gerichtes

Nun darf man aber nicht glauben, diese Untersuchung und Prüfung der Werke beim Gericht sei deshalb notwendig, damit etwa der Richter sich über den Tatbestand unterrichte, wie dies beim menschlichen Gericht der Fall ist; denn "Alles ist ja offen und unverhüllt vor seinen Augen" (Hebr 4, 13). Diese Untersuchung und Prüfung ist also nicht für Christus notwendig, wohl aber dazu, dass jeder Einzelne klar werde sowohl über sich als auch über alle Anderen, ob und weshalb sie der Strafe oder der Verherrlichung würdig sind; damit so die Guten nach allen Seiten hin über Gottes Gerechtigkeit sich freuen, die Bösen aber gegen sich selbst zürnen. Doch muss man nicht glauben, dass diese Prüfung und Untersuchung von Verdienst und Missverdienst in der Weise eines Verhöres vor sich gehe. Denn dazu bräuchte man eine unendliche Zeit, wenn man alle Gedanken, Worte und Werke jedes Einzelnen, die guten, wie die bösen, im Einzelnen aufzählen wollte. Von dieser irrigen Anschauung ließ sich Lactantius leiten bei seiner Ansicht, der Gerichtstag dauere tausend Jahre; aber nicht einmal ein solch langer Zeitraum würde hinreichen. Denn wollte man auf vorbezeichnete Weise das Leben auch nur eines einzigen Menschen richten, so wäre hierzu mehr als ein Tag erforderlich. - Die göttliche Allmacht wird vielmehr bewirken, dass einem Jeden sofort und auf einmal alles Gute wie Böse, was er getan hat, und wofür er Lohn oder Strafe verdient, vor die Seele tritt, und zwar so, dass Jeder nicht bloß sein eigenes Leben, sondern auch das aller Übrigen zugleich auf einmal schaut. Bei Jenen nun, bei welchen das Gute derart vorwiegt, dass das Böse dagegen gleichsam verschwindet, oder wo das Umgekehrte der Fall ist, da ist nach menschlicher Auffassung gar kein Widerstreit von Gut und Bös - und in diesem Sinne sagt man, es würden Manche ohne weitere Prüfung belohnt oder bestraft. Suppl. q 91 a 2; q 90.

Obwohl nun bei jenem Gericht Alle vor Christus erscheinen werden, so besteht doch zwischen Guten und Bösen nicht bloß ein Unterschied in Bezug auf Verdienst und Missverdienst, sondern auch ein solcher in Bezug auf den Ort. Denn die Bösen, die aus Liebe zum Irdischen sich von Christus trennten, werden auf der Erde bleiben; die Guten hingegen, die an Christus sich angeschlossen haben, werden Christus entgegen eilen in die Luft erhoben (1 Thess 4, 16), um Christus gleichförmig zu werden, nicht bloß gleichgestaltet seiner Herrlichkeit und Schönheit, sondern auch dem Ort nach mit ihm geeint, nach dem Wort der Schrift (Mt 24, 28): "Wo immer ein Leib ist, da sammeln sich die Adler"; unter diesen aber sind die Heiligen zu verstehen. Sehr bezeichnend heißt es statt "Leib" nach Hieronymus im Hebräischen "Joathan", was "Leichnam" bedeutet - (die Stelle ist offenbar unrichtig, und nach der Ansicht von De Rubeis, Dissert. crit. 17 in S. Thomam Aqu. cap. 4 n. 4, durch Unkenntnis der Abschreiber so entstellt worden. Thomas, der Hieronymus vor sich hatte, schrieb wohl: "in Gr. ptoma" (πτωμα), woraus man dann "in Hebr. Joathan" oder "Jotham", wie eine Handschrift hat, machte).

Hierdurch soll an Christi Leiden erinnert werden, durch welches sowohl er sich die Richtergewalt verdiente, und durch welches auch die Menschen, die im Leiden ihm gleich wurden, zur Teilnahme an seiner Herrlichkeit gelangten, nach dem Wort des Apostels (2 Tim 2, 12):

"Wenn wir mit ihm dulden, so werden wir auch mit ihm herrschen." - Deshalb nimmt man auch an, dass Christus am Ort seines Leidens zum Gericht erscheinen wird, nach dem Wort der Schrift (JoeI 3, 2): "Ich werde versammeln alle Völker und sie führen in das TaI Josaphat, und dort werde ich rechten mit ihnen"; dieses TaI aber liegt beim Ölberg, von dem aus Christus in den Himmel auffuhr. - Darum wird auch, wenn der Herr zum Gericht kommt, das Zeichen des Kreuzes und die andern Leidenszeichen erscheinen, wie es heißt (Mt 24, 30): "Und dann wird das Zeichen des Menschensohnes am Himmel erscheinen", damit die Gottlosen beim Anblick dessen, den sie durchbohrt haben, Schmerz und Qual empfinden, die Erlösten dagegen sich freuen über die Herrlichkeit des Erlösers. Und wie es von Christus heißt, er sitze zur Rechten des Vaters der menschlichen Natur nach, weil er an den vornehmsten Gütern des Vaters in seiner Erhöhung teilnimmt (siehe oben Kap. 240): so heißt es auch von den Gerechten, sie würden im Gericht zu seiner Rechten stehen, weil sie den ehrenvollsten Platz bei ihm haben. Suppl. q 91 a 4.

245. Kapitel: Die Heiligen werden mit zu Gericht sitzen

Bei diesem Endgerichte aber wird nicht bloß Christus zu Gericht sitzen, sondern auch Andere mit ihm. Manche derselben nun werden eine Richtertätigkeit ausüben einfach durch Zusammenstellung und Vergleichung (die sie provozieren). In diesem Sinne richten die Guten die weniger Guten, und die Schlechten die noch Schlechteren; wie es in der Schrift (Mt 12, 41) heißt: "Die Männer von Ninive werden am Gerichtstag mit diesem Geschlecht auftreten und es verdammen." Andere üben das Gericht dadurch mit aus, dass sie den Richterspruch billigen und gut heißen; und in diesem Sinne richten alle Gerechten nach dem Schriftwort (Weish 3, 8): "Es werden die Heiligen die Völker richten." Andere endlich richten (im eigentlichen Sinn), indem sie wirkliche Richtergewalt von Christus empfangen, nach dem Wort (Ps 149, 6): "Zweischneidige Schwerter sind in ihren Händen." Diese letztere Richtergewalt versprach der Herr seinen Aposteln mit den Worten (Mt 19, 28): "Ihr, die ihr mir nachgefolgt seid, werdet bei der Wiedergeburt, wenn der Menschensohn auf dem Thron seiner Herrlichkeit sitzen wird, auch auf zwölf Thronen sitzen, und richten die zwölf Stämme Israels." Nun darf man aber nicht meinen, dass nur die Juden, welche zu den zwölf Stämmen Israels gehören, durch die Apostel gerichtet werden; sondern unter den zwölf Stämmen Israels ist die Gesamtzahl der Gläubigen zu verstehen, die in die Glaubensgemeinschaft der Patriarchen aufgenommen worden sind (vgl. Gal. 3, 7). Denn die Ungläubigen werden ja überhaupt nicht gerichtet, sondern sind schon gerichtet (Joh 3, 18). Es werden aber mit Christus nicht bloß die zwölf Apostel, zu denen er diese Worte sprach, zu Gericht sitzen. Denn einerseits wird Judas (der Verräter) nicht zu Gericht sitzen; und andrerseits Paulus, der mehr als die andern gearbeitet· hat, auch der Richtergewalt nicht entbehren, zumal er selbst (1 Kor 6, 3) sagt: "Wisset ihr nicht, dass wir Engel richten werden?"

Diese Richterwürde kommt vielmehr allen jenen im eigentlichen Sinn zu, die Alles verlassen haben und Christus nachgefolgt sind. Denn die oben angeführte Verheißung der Richtergewalt ward Petrus als Antwort auf seine Frage (Mt 19, 27): "Siehe wir haben Alles verlassen und sind dir nachgefolgt; was wird uns wohl dafür werden?" Er wird also "den Armen das Gericht verleihen" (Job 36, 6: eigentlich den Armen Recht schaffen); und das mit vollem Recht. Wie bemerkt ward, bezieht sich Prüfung und Untersuchung auf die Handlungen der Menschen, je nachdem sie von den irdischen Dingen einen guten oder schlechten Gebrauch gemacht haben. Zur Richtigkeit des Urteils nun ist erforderlich, dass der Geist des Richters von den Dingen, über die er zu urteilen hat, selbst frei sei (dass er sich über dieselben erhebe, nicht in dieselben mit hineingezogen sei, so dass sein Urteil dadurch getrübt würde). Dadurch also, dass Manche ihren Geist vollständig von den irdischen Dingen abziehen (und dadurch über dieselben sich erhebend ein richtiges, unbefangenes Urteil gewinnen können) verdienen sie die Richterwürde.

[Zu dieser Richterwürde bahnt ferner auch den Weg die Verkündigung der göttlichen Gebote; darum heißt es (Mt 25, 31) von Christus, er werde zum Gericht kommen mit den Engeln, worunter die Verkündiger des Wortes Gottes zu verstehen sind nach Augustin im Buch über die Buße. (Ist wohl das, von der Kritik dem hl. Augustin abgesprochene Werkchen "de vera et falsa poenitentia", Migne, S. L. XL, 1113 sqq. gemeint). Denn in ganz entsprechender Weise prüfen jene die Handlungen der Menschen in Bezug auf die Beobachtung der göttlichen Gebote, welche die Vorschriften des Lebens verkündet haben.]

(Die vorstehende Stelle, in welcher auch den Predigern Teilnahme an der Richtergewalt zugesprochen wird, scheint mir ein späteres Einschiebsel zu sein; denn Thomas spricht in seinem Commentar zum Sentenzenbuch - Sent. IV. dist. 47 q 1 a 2; vgl. Suppl. q 92 a 2 ad 3m. nur den freiwillig Armen im Sinn von Mt 19, 28 die Richtergewalt zu, und erklärt die Stelle Mt 25, 31 nicht in dem hier angeführten Sinn, sondern von den wirklichen Engeln, die nicht als Richter, sondern als Zeugen mit zum Gericht erscheinen: Suppl. q 92 a 3 ad 1m). Dies ihr Richteramt üben nun die Genannten dadurch aus, dass sie dazu beihelfen, dass jedem der Grund seines Heiles oder seiner Verdammung klar wird, ähnlich wie man von den höheren Engeln sagt, dass sie die niederen oder auch die Menschen erleuchten. Diese Richtergewalt also sprechen wir Christus zu, wenn wir im apostolischen Glaubensbekenntnis bekennen: "Von dort wird er kommen, zu richten die Lebendigen und die Toten." Suppl. q 92 a 1-3; Cg. IV, 96.

246. Kapitel: Unterscheidung der Glaubensartikel in Bezug auf das bisher Behandelte

Der Gesamtinhalt der christlichen Glaubenswahrheit, die wir im Vorausgehenden behandelt haben, lässt sich auf einige Glaubensartikel zurückführen. Deren sind es nach Einigen zwölf, nach Andern aber vierzehn. Da den Gegenstand des Glaubens das bildet, was für die Vernunft unbegreiflich ist, so muss man überall da einen neuen Artikel annehmen, wo der Vernunft eine neue unbegreifliche Wahrheit entgegentritt. Die Einheit der Gottheit bildet nun einen Artikel. Obwohl es nämlich durch die Vernunft bewiesen werden kann, dass es nur Einen Gott gibt, so bildet doch immerhin die Wahrheit, dass er unmittelbar alle Dinge lenkt, oder dass er in einer einzigartigen Weise zu verehren sei, einen Gegenstand des Glaubens. Bezüglich der drei Personen werden drei Artikel aufgestellt. Drei weitere Artikel beziehen sich auf die drei Werke Gottes: die Schöpfung - das Reich der Natur; die Rechtfertigung - das Reich der Gnade; und die Belohnung, das Reich der Glorie; so werden also im ganzen sieben Artikel aufgestellt bezüglich der Gottheit. - Sieben weitere Artikel beziehen sich auf die Menschheit Christi, und zwar der erste auf die Menschwerdung und Empfängnis; der zweite auf die Geburt, die für unsere Vernunft eine besondere Schwierigkeit bietet, weil Christus aus dem geschlossenen Schoß der Jungfrau hervorging; der dritte hat zum Gegenstand Leiden, Tod und Begräbnis; der vierte das Hinabsteigen in die Hölle; der fünfte die Auferstehung; der sechste die Himmelfahrt, und der siebende die Ankunft zum Gericht. Nach dieser Einteilung sind es also im Ganzen vierzehn Artikel.

Andere aber fassen - und das mit Recht - den Glauben an die drei Personen in einen einzigen Artikel zusammen, weil man ja nicht an den Vater glauben kann, ohne zugleich auch an den Sohn, und an die beide miteinander verbindende Liebe, den Hl. Geist - zu glauben; dagegen trennen sie als eigenen Artikel die Auferstehung von dem Artikel der Belohnung. So gibt es nach ihnen zwei Artikel von Gott, nämlich seine Einheit und seine Dreifaltigkeit; vier von seinen Werken, der eine von der Schöpfung, der andere von der Rechtfertigung; der dritte von der allgemeinen Auferstehung; der vierte endlich von der Belohnung. - Beim Glauben an die Menschheit Christi ziehen sie Empfängnis und Geburt in einen einzigen Artikel zusammen, wie Leiden und Tod. Nach dieser Zählung also gibt es im Ganzen zwölf Artikel. 2. 2. q 1 a 6 u. 8.

So viel über den Glauben.

247. Kapitel: Zur Vollkommenheit des christlichen Lebens gehört notwendig die Tugend der Hoffnung

Weil wir nach der Mahnung des Apostelfürsten nicht nur Rechenschaft geben sollen über den Glauben, sondern auch über die Hoffnung, die in uns ist (1 Petr 3, 15): so erübrigt noch, dass ich Dir, nachdem im Vorausgehenden die christliche Glaubenslehre behandelt worden ist, eine kurz zusammengefasste Auslegung gebe über das, was bezüglich der Hoffnung wissenswert ist.

Es gibt für das menschliche Sehnen einmal einen Ruhepunkt in irgend einer Erkenntnis; denn der Mensch verlangt von Natur aus die Wahrheit zu erkennen und zu wissen; ist diese erkannt und gewusst, so kommt das Sehnen zur Ruhe. Bei der Erkenntnis jedoch, wie sie uns der Glaube bietet, kann dies nicht der Fall sein. Denn der Glaube ist nur ein unvollkommenes Erkennen oder Wissen; denn Gegenstand des Glaubens ist das, was man nicht schaut (oder weiß); deshalb nennt ihn der Apostel (Hebr 11, 1): "die feste Überzeugung von dem, was man (körperlich oder geistig) nicht sieht." Wenn man also auch schon den Glauben besitzt, so kommt doch dadurch die Seele noch nicht zur Ruhe, sondern verlangt noch nach etwas Weiterem, nämlich nach dem vollkommenen Schauen der Wahrheit, - die sie glaubt, sowie nach der Erreichung alles dessen, wodurch sie in den Besitz dieser Wahrheit gelangen kann. (Cg. III, 40). Weil nun zu den Glaubenswahrheiten vor Allem die gehört, dass Gott für die menschlichen Angelegenheiten Fürsorge trifft, so entsteht durch diesen Gedanken im Geiste des Glaubenden die Regung der Hoffnung, dass er nämlich all das Gute, nach dem seine Natur (im unbewussten, dunklen Drang) sich sehnt (siehe oben Kap. 104), nun durch den Glauben belehrt, durch Gottes Beistand (Gnade) erlange. Deshalb ist es zu einem vollkommenen christlichen Leben nach dem Glauben auch die Hoffnung notwendig, wie wir bereits im Eingang (Kap. 1) bemerkt haben. 2. 2. q 17 a 7.

248. Kapitel: Angemessenheit der Gebetspflicht für den Menschen, sowie Unterschied der an Gott und der an die Menschen sich richtenden Bitte

Die göttliche Vorsehung nun weist einem jeden Wesen die seiner Natur entsprechende Art und Weise zu, durch welche es sein Ziel erreichen soll. Darum ist auch dem Menschen die seiner Natur und Stellung entsprechende Art und Weise bestimmt worden, auf welche er das, was er von Gott hofft, erreichen soll. Nun bringt es die Stellung des Menschen mit sich, dass er auf dem Weg des Bittens und Flehens das erlange, was er von einem Andern, zumal von einem über ihm Stehenden erhofft. - In andrer Weise aber ist das Bitten und Flehen notwendig, wenn man Etwas von einem Menschen erlangen will, und anders bei Gott. Dem Menschen trägt man die Bitte vor, einmal, damit ihm das Verlangen des Hilfesuchenden sowie seine Bedürftigkeit überhaupt bekannt werde; zweitens sodann, damit der Geist der Angeflehten zur Gewährung der Bitte bestimmt werde. Davon aber kann beim Bitten und Flehen, das wir an Gott richten, nicht die Rede sein. Denn wenn wir beten, kann (vernünftiger Weise) unsere Absicht nicht die sein, unsere Anliegen oder unser Verlangen Gott erst kund zu geben; denn er weiß ja schon Alles; deshalb wird zu ihm gesagt (Ps 37, 10): "Vor dir liegt klar all mein Sehnen"; und im Evangelium (Mt 6, 32), heißt es: "Euer Vater weiß schon, dass ihr dieses Alles braucht." Auch wird der göttliche Wille nicht durch menschliche Worte umgestimmt, dass er etwa nun Etwas wollte, was er früher nicht wollte; denn, wie es (Num 23, 19) heißt: "Gott ist nicht, wie ein Mensch, dass er lüge, oder wie eines Menschensohn, dass er sich ändere"; und (1 Sam 15, 29): "er ändert sich nicht, indem er Etwas bereut."

Das Bittgebet zu Gott ist dem Betenden vielmehr um seiner selbst willen notwendig, damit er nämlich seiner Mängel und Hilfsbedürftigkeit recht bewusst werde, und seinen Geist dazu stimme, dass er ein glühendes und frommes Verlangen nach dem erhalte, was er durch sein Gebet zu erlangen hofft: dadurch nämlich versetzt er sich in die richtige Verfassung, um Etwas von Gott zu erhalten. - Noch ein anderer Unterschied besteht zwischen der Bitte, die man an Gott und jener, die man an einen Menschen richtet. Denn für die Bitte, die man an einen Menschen richtet, ist Vorbedingung eine gewisse Vertraulichkeit, durch die uns der Weg zur Bittstellung gebahnt wird; das Gebet aber, das wir an Gott richten, bewirkt erst diese Vertraulichkeit, indem unser Geist sich zu ihm erhebt und in geistigen Verkehr mit ihm tritt, ihn im Geiste und in der Wahrheit anbetend; und auf diese Weise durch das Gebet mit Gott vertraut geworden, bahnen wir uns den Weg zu immer vertrauensvollerem Gebet. Deshalb heißt es (Ps 17, 6): "Ich rief" - nämlich vertrauensvoll betend - "denn du hast mich erhört" - weil der Betende durch das erste Gebet mit Gott vertraulicher geworden, zum zweiten Mal um so vertrauensvoller ruft. Darum ist beim Gebet zu Gott die Unablässigkeit oder die oftmalige Wiederholung des Flehens nicht etwas, was Gott etwa Überdruss bereitet, sondern vielmehr etwas ihm Angenehmes. "Denn man soll immer beten, und nicht ablassen" (Lk 18, 1). Deshalb ladet der Herr auch selbst zum Bitten ein mit den Worten (Mt 7, 7): "Bittet, und ihr werdet empfangen .... klopft an, und es wird euch aufgetan werden." Bei der Bitte aber, die man an Menschen richtet, erregt die allzu oftmalige Wiederholung derselben Überdruss. - 2. 2. q 83. a 2.

249. Kapitel: Zur Vollendung unserer Hoffnung war es entsprechend, dass uns Christus eine bestimmte Form des Gebetes gab

Zu unserm Heil ist nach dem Glauben auch die Hoffnung notwendig; es war also ganz am Platz, dass unser Heiland, wie er uns der Urheber und Vollender des Glaubens (Hebr 12, 2) geworden ist durch Erschließung der himmlischen Geheimnisse: so auch uns zur lebendigen Hoffnung brachte, indem er uns selbst die Form des Gebetes angab; denn dadurch wird unser Vertrauen auf Gott auf die denkbar höchste Weise bestärkt, dass Gott uns selbst darüber belehrt, was wir uns von ihm erbitten sollen. Denn er würde uns doch gewiss nicht zum Bitten veranlassen, wenn er nicht die Absicht hätte, uns zu erhören; und andrerseits fleht Jeder nur um das, was er überhaupt erhoffen kann; und bittet wieder eben um das, was er hofft. Indem uns also Christus anleitet, überhaupt Gott um Etwas zu bitten, mahnt er uns überhaupt zur vertrauensvollen Hoffnung auf Gott; was wir aber von ihm hoffen sollen, das zeigt er uns dadurch, dass er uns lehrt, um was wir bitten sollen. Im Anschluss an das Gebet des Herrn (das er uns selbst gelehrt hat) werden wir also Alles, was auf die christliche Hoffnung Bezug hat, behandeln, und zeigen 1. worauf wir unsere Hoffnung gründen sollen, 2. weshalb, und 3. was wir von ihm hoffen sollen. - Unsere Hoffnung aber gründet sich auf Gott, zu dem wir auch beten müssen, nach dem Wort der Schrift (Ps 61, 9): "Vertrau auf ihn", nämlich auf Gott, "du ganze Volksgemeinde; schüttet vor ihm aus", nämlich im Gebet, "eure Herzen."

250. Kapitel: Grund, warum wir das, was wir hoffen, im Gebet von Gott verlangen müssen

Der Hauptgrund, warum wir auf Gott unsre Hoffnung setzen sollen und müssen, ist der, dass wir ihm angehören, wie die Wirkung ihrer Ursache (als das Werk, das er hervorgebracht hat). Nun aber ist es ein allgemeines Gesetz, dass Nichts aufs Geratewohl tätig ist, wirkt, sondern immer wegen eines bestimmten Endzweckes. (Cg. III, 2; 1. 2. q 1 a 2). Darum ist es Sache eines jeden Wirkenden, dass dem von ihm hervorgebrachten Werk jene Erfordernisse nicht fehlen, durch die es seinen Endzweck erreichen kann. Daher kommt es, dass die Natur den Naturerzeugnissen das ihnen Notwendige nicht versagt, sondern einem jeden Naturprodukt das mitteilt, was es nötig hat zu seinem Sein und Bestand, sowie zur Entfaltung seiner Tätigkeit, durch welche es seinen Endzweck erreichen soll; und es ist nur ein Ausnahmefall, wenn durch die mangelnde Kraft der Wirkursache das Eine oder Andere nicht geleistet wird. Im Gegensatz zum Naturwesen nun teilt das mit Vernunft tätige Wesen seinem Werke bei der Hervorbringung desselben nicht nur Alles mit, was zur Erreichung des angestrebten Zweckes notwendig ist, sondern es verfügt außerdem, auch nachdem das Werk schon vollendet ist, noch weiterhin über den Gebrauch, die Verwendung desselben, die ja der Endzweck des Werkes ist (z. B. für das Messer, dass es zum Schneiden verwendet wird). So fertigt der Messerschmied nicht bloß einfach das Messer an (wie die Naturwesen die Naturprodukte erzeugen), sondern er verfügt auch über den Gebrauch desselben, nämlich das Schneiden. Nun aber ist der Mensch von Gott hervorgebracht, wie das Kunstwerk vom Künstler Darum heißt es (Jes 64, 8): "Und nun, Herr, unser Bildner bist du; wir aber sind Ton" (wörtlich: "unser Vater bist du, wir aber sind Ton; du bist unser Bildner, und Werke deiner Hände sind wir Alle.") Wie deshalb das Topfgefäß, wenn es Sinn und Verstand hätte, seine Hoffnung auf den Töpfer setzen dürfte, dass er gut mit ihm verfahren werde; so soll auch der Mensch die Hoffnung auf Gott setzen, dass er gute Verfügung über ihn treffen werde; darum heißt es (Jer 18, 6): "Wie der Ton in des Töpfers Hand, also seid auch ihr, Haus Israel, in meiner Hand." - Dies Vertrauen nun, das der Mensch auf Gott hat, muss unerschütterliche Festigkeit besitzen. Wie vorhin bemerkt ward, tritt eine mangelhafte Fürsorge für das Werk von Seiten einer Wirkursache nur dann ein, wenn bei dieser ein Fehler sich findet. Nun aber kann bei Gott kein Fehler eintreten: nicht Unwissenheit; "denn Alles ist offen und unverhüllt vor seinen Augen" (Hebr 4, 13); auch nicht Machtlosigkeit; denn "seine Hand ist nicht verkürzt, dass er nicht helfen könnte" (Jes 59, 1); auch fehlt es ihm nicht am guten Willen, denn "gut ist der Herr denen, die auf ihn hoffen, der Seele die ihn sucht" (Klgl 3, 25); darum macht "die Hoffnung", mit der man auf Gott vertraut, den Hoffenden "nicht zu Schanden" (Röm 5, 5) 2. 2. q 17 a 2 u. 5.

Weiterhin ist zu beachten, dass die all waltende Vorsehung zwar über alle Geschöpfe wacht; in einer besonderen Weise jedoch sorgt dieselbe für die vernünftigen Wesen; denn diese sind durch die Würde des göttlichen Ebenbildes ausgezeichnet; sie können dazu gelangen, Gott zu erkennen und zu lieben, und besitzen die Herrschaft über ihre Akte, indem sie zwischen gut und böse unterscheiden können. Darum dürfen sie zu Gott das Vertrauen haben, nicht bloß dass sie ihrer Natur entsprechend im Sein erhalten werden - dies kommt ja auch allen übrigen Geschöpfen zu - sondern auch, dass sie dadurch, dass sie das Böse meiden und das Gute tun, sich Verdienst bei Gott erwerben. Deshalb heißt es beim Psalmisten (Ps 36, 7): "Menschen und Vieh errettest du, o Herr" - indem er nämlich den Menschen zugleich mit den unvernünftigen Geschöpfen das gibt, was zum Unterhalt des Lebens dient; dann aber fährt der Psalmist weiter: "die Menschenkinder aber hegen Zuversicht unter dem Schutze deiner Flügel", weil diese eben eines besonderen Schutzes sich erfreuen. - Endlich ist noch zu beachten, dass mit dem Zuwachs einer Vollkommenheit immer auch wieder die Fähigkeit, Etwas zu tun oder zu erreichen, wächst; so hat z. B. die durch die Sonne erleuchtete Luft die (ihr an und für sich nicht eigene) Fähigkeit, Mittel des Sehens zu sein, und das durch das Feuer erhitzte Wasser besitzt die Fähigkeit, Speisen zu kochen; und wenn es Sinn und Verstand hätte, dürfte es sich diese Fähigkeit erhoffen. Nun aber wird dem Menschen über die Natur seiner (vernünftigen) Seele hinaus noch eine durch die Gnade bewirkte (übernatürliche) Vollendung gegeben, durch die er "der göttlichen Natur teilhaftig wird" (2 Petr 1, 4). Demgemäß heißt es von uns, wir würden zu Kindern Gottes wieder geboren, nach dem Wort der Schrift (Joh 1, 12): "Er gab ihnen die Gewalt, Kinder Gottes zu werden." Wer aber Kind geworden ist, kann mit Recht die Erbschaft erwarten, nach dem Wort des Apostels (Röm 8, 17): "Wenn aber Kinder, dann auch Erben."

Auf Grund dieser geistigen Wiedergeburt nun darf der Mensch noch etwas Höheres von Gott erhoffen: nämlich die Erlangung der ewigen Erbschaft, nach dem Wort (1 Petr 1, 3 f): "Er hat uns wieder geboren zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten, zu einem unvergänglichen, unbefleckten und unverwelklichen Erbe, welches euch im Himmel aufbewahrt wird." Und weil wir durch "den Geist der Kindschaft", den wir empfangen haben, "rufen: Abba, Vater", darum begann der Herr um uns zu zeigen, dass wir aus dieser Hoffnung heraus beten sollen, sein Gebet (das er uns lehrte) mit der Anrufung des Vaternamens, indem er dasselbe beginnt mit dem Wort: "Vater." - Auch wird dadurch, dass wir das Gebet mit dem Wort "Vater" beginnen, das Herz des Menschen in die richtige Verfassung gesetzt, um rein zu beten und um zu erlangen, was er hofft. - Da ferner die Kinder die Eltern nachahmen sollen, so muss derjenige, welcher Gott (beim Gebet) als seinen Vater bekennt, versuchen, Gott nachzuahmen, indem er das meidet, was ihn Gott unähnlich macht, und auf das sich verlegt, was uns Ähnlichkeit mit Gott verleiht; darum heißt es (Jer 3, 19): "Du wirst mich Vater nennen, und nicht unterlassen, mir nachzufolgen." "Wenn du also", wie Gregor von Nyssa (in or. dom. sermo 2) sagt, "deinen Blick auf zeitliche Dinge richtest, oder nach Ruhm vor den Menschen strebst oder nach dem Schmutz der leidenschaftlichen Begierde: wie magst du dann, da du selbst ein verdorbenes Leben führst, den Urheber des unvergänglichen Lebens deinen Vater nennen?"

251. Kapitel: Gott, von dem wir im Gebet das Erhoffte verlangen, muss vom Betenden "unser Vater", nicht "mein Vater", genannt "werden

Vor Allem aber muss, wer sich als Kind Gottes erkennt, den Herrn in der Liebe nachahmen, nach dem Wort (Eph 5, 1 f): "Seid also Nachahmer Gottes als seine vielgeliebten Kinder, und wandelt in der Liebe." Die Liebe Gottes aber ist nicht eine Privatliebe (die sich nur auf den Einen oder den Andern erstreckt), sondern eine Alle insgesamt umfassende Liebe; denn "er liebt Alles, was da ist" (Weish 11, 25), ganz besonders aber die Menschen, nach dem Wort der Schrift (Dtn 33, 3): "Er liebt die Völker." Deshalb trägt nach Cyprians Bemerkung (De oratione domin.) "unser Gebet den Charakter der Öffentlichkeit und Gemeinsamkeit; und wenn wir beten, beten wir nicht bloß für Einen allein, sondern für das ganze Volk, weil ja das ganze Volk und wir ein einziges Ganze bilden." "Für sich also allein zu beten, dazu zwingt uns", wie Chrysostomus (resp. d. Verf. d. op. imperf. in Mt homo 14.) sagt, "die Not; für den Andern aber zu beten, dazu mahnt uns die Liebe der Brüderlichkeit." Deshalb sagen wir also nicht: "mein Vater", sondern: "unser Vater".

Weiterhin ist zu beachten, dass wir - wenn auch unsere Hoffnung sich hauptsächlich auf den göttlichen Beistand stützt - uns gegenseitig dazu helfen können, dass wir leichter erlangen, um was wir bitten; deshalb heißt es (2 Kor 1, 10 f): "Er wird uns erretten, indem auch ihr durch Euer Gebet für uns dazu mitbehilflieh seid"; sowie (Jak 5, 16): "Betet für einander, damit ihr das Heil erlangt." Es werden nämlich, wie Ambrosius (in ep. ad Rom. 15,30) bemerkt, "Viele, die zerstreut für sich ohne alle Bedeutung sind, wenn sie sich zusammentun und eines Sinnes werden, eine Macht von höchster Bedeutung", und es ist unmöglich, dass das vereinte Gebet ohne Erfolg bleibe, nach dem Wort des Herrn (Mt 18, 19): "Wenn zwei aus euch auf Erden einstimmig sein werden über was immer für eine Sache, um die sie bitten wollen, so wird es ihnen gegeben werden von meinem Vater, der im Himmel ist." Darum bringen wir unser Gebet Gott nicht in der Einzahl (vereinzelt von einander) dar, sondern wie aus einem Herz und Sinn sagen wir: "Vater unser." Endlich ist noch in Betracht zu ziehen, dass unsre Hoffnung auf Gott durch Christus vermittelt ist, nach dem Wort des Apostels (Röm 5, 1 f): "Aus dem Glauben gerechtfertigt lasst uns Friede haben mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus, durch welchen wir mittelst des Glaubens auch Zutritt haben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und uns rühmen der Hoffnung auf die Herrlichkeit der Kinder Gottes." Durch ihn nämlich, welcher der eingeborene Sohn Gottes von Natur aus ist, werden wir Kinder Gottes durch die Gnade der Adoption, wie es heißt (Gal 4, 4 f): "Gott sandte seinen Sohn ... damit wir die Annahme an Sohnesstatt erhielten." Nun müssen wir Gott zwar allerdings unsern Vater nennen, aber so, dass dabei dem auszeichnenden Vorzug des eingeborenen Gottessohnes keinerlei Eintrag geschieht; deshalb sagt Augustin (sermo 84 inter suppos.): "Nimm dir nicht für dich allein Etwas heraus; nur für Christus allein ist Gott in einem ganz speziellen Sinne Vater; uns allen Andern gegenüber aber ist er Vater im gemeinsamen Sinn; denn jenen allein hat er erzeugt; uns aber hat er erschaffen" - und auch deshalb sagen wir nicht "mein Vater", sondern "Vater unser."

252. Kapitel: Durch das "Wort: "der du bist in den Himmeln" drücken wir die Macht Gottes, unseres Vaters, aus, zu dem wir um die Verleihung des Gehofften beten

Ein Grund ferner, der unsere Hoffnung ins Wanken bringen kann, ist die Machtlosigkeit dessen, von dem wir Hilfe hoffen. Denn, um eine vertrauensvolle Hoffnung hegen zu können, genügt es nicht, dass jener, auf den man seine Hoffnung stützt, einfach bloß den guten Willen habe, zu helfen, - wenn es ihm an Macht dazu fehlt. Die Bereitwilligkeit des göttlichen Willens nun, uns zu helfen, wird durch das Wort "Vater", als den wir ihn bekennen, ganz entsprechend ausgedrückt: damit uns aber auch kein Zweifel komme an seiner absoluten Macht, wird beigefügt: "der du bist in den Himmeln". Nun ist aber dieses "in den Himmelnsein" nicht so zu denken, als wäre Gott etwa von den Himmeln umfasst und in ihnen enthalten (wie der Körper vom Raum, in dem er sich befindet), sondern umgekehrt, dass er die Himmel durch seine Kraft umfasst und hält, nach dem Wort der Schrift (Sir 24, 8): "Den Umkreis des Himmels umschreite ich allein"; denn über die ganze (unermessliche) Größe der Himmelswelt ist seine Macht erhaben, nach dem Wort (Ps 8,2): "Deine Herrlichkeit, o Gott, geht weit über alle Himmel." Um uns also in der vertrauensvollen Hoffnung zu bestärken, bekennen wir seine Allmacht, welche die Himmel hält und trägt und über sie hinausragt. - Zugleich wird auch durch diesen Beisatz ein Hindernis, das dem vertrauensvollen Gebete im Weg steht, entfernt. Es gibt nämlich Manche, welche der Ansicht sind, die menschlichen Angelegenheiten würden durch ein in den Sternen liegendes unerbittliches Schicksal bestimmt und geleitet (siehe oben Kap. 138). Gegen diese Astrologie richtet sich das Wort der Schrift (Jer 10, 2): "Vor den Zeichen des Himmels fürchtet euch nicht, wie die Heiden sich fürchten."

Nach dieser irrigen Anschauung ist das Gebet überhaupt fruchtlos und nutzlos; denn wenn unser Leben unter dem unerbittlichen Walten der Sternenwelt steht, dann kann an ihm nichts geändert werden. Es wäre also ganz vergeblich, um Etwas zu beten; sei es nun Erlangung von etwas Gutem, oder Entfernung eines Übels. Um auch hierzu uns im vertrauensvollen Gebet zu befestigen, sagen wir: "der du bist in den Himmeln", d. h. du bist derjenige, der auch über der Sternenwelt steht als ihr Lenker und Leiter; und darum kann durch den Einfluss der Sternenwelt der Hilfe, die wir von Gott hoffen, keinerlei Eintrag geschehen.

Fernerhin müssen wir, soll unser Gebet wirksam bei Gott sein, um das bitten, was man als Gottes würdig erhoffen kann; denn es heißt von Manchen (Jak 4, 3): "Ihr bittet, und erlangt es nicht, weil ihr eben in übler Gesinnung bittet." Das aber erbitten wir in übler Gesinnung, was uns die irdische Weisheit einflößt, nicht die himmlische (vgl. Jak 3, 15 ff). Deshalb sagt Chrysostomus (Hom. 19 in Mt): "Wenn wir sagen, der du bist in den Himmeln - so wollen wir dadurch Gott nicht in den Himmel einschließen , sondern es soll dadurch der Geist des Betenden von dem Irdischen abgezogen und in die erhabenen Regionen des Himmels emporgerichtet werden."

Ein weiteres Hindernis des Gebetes und Vertrauens zu Gott liegt in der Anschauung, als liege das menschliche Leben außerhalb des Bereiches der göttlichen Vorsehung, eine Anschauung, welcher die Schrift in der Person der Gottlosen Ausdruck leiht mit den Worten (Job 22, 14): "Wolken sind sein verborgener Ort, und er achtet nicht auf unsere Angelegenheiten, und durchwandelt die äußersten Enden des Himmels"; sowie (Ez 8, 12): "der Herr sieht uns nicht, der Herr hat das Land verlassen." Das gerade Gegenteil hiervon aber behauptet der Apostel Paulus in seiner Predigt an die Athener, wenn er sagt (Apg 17. 27 ff.): "Er ist nicht fern von jedem aus uns; denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir"; denn durch ihn wird unser Sein erhalten, unser Leben regiert und unsere Bewegung (unser Lebensgang) geleitet, nach dem Wort (Weish 14, 3): "Deine Vorsehung aber, o Vater, regiert" von Anfang an Alles, und zwar bis zu dem Grad, dass seiner vorsehenden Sorgfalt auch nicht das geringste Tier entzogen ist, nach dem Wort Christi (Mt 10, 29 ff): "Kauft man nicht zwei Sperlinge um einen Pfennig? und doch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne eueren Vater. Euch aber sind alle Haare eures Hauptes gezählt." Die Menschen stehen aber in einer ohne allen Vergleich höheren Weise unter der göttlichen Vorsehung, so dass im Vergleich damit der Apostel sagen kann (1 Kor 9, 9): "Gott sorgt nicht für die Ochsen" (wörtlich: "Sorgt Gott etwa für die Ochsen ?") Nicht als ob er überhaupt nicht für dieselben Sorge trüge, sondern weil er ihnen nicht jene Sorgfalt zuwendet, wie den Menschen; denn diese belohnt und straft er für das Gute oder Böse, und bestimmt sie für die Ewigkeit (für immerwährende Dauer, die den Tieren nicht zukommt); darum fügt der Herr den oben angeführten Worten noch bei: "Euch aber sind alle Haare eures Hauptes gezählt"; weil alles, was am Menschen ist, bei der Auferstehung wiederhergestellt wird. Auf diesen Grund hin muss alles Misstrauen bei uns ausgeschlossen sein; deshalb fährt er daselbst weiter: "Habt also keine Furcht; ihr seid doch besser, als viele Sperlinge." Darum auch heißt es, wie oben (Kap. 250) bemerkt, im Psalm (36, 8): "Die Menschenkinder werden unter dem Schutze deiner Flügel hoffen."

Obschon nun Gott wegen der besonderen Sorgfalt, die er den Menschen zuwendet, als allen nahe bezeichnet wird: so heißt es doch von ihm noch, dass er in einem ganz besonderen Sinne den Guten nahe sei, welche durch Glaube und Liebe sich ihm zu nähern suchen, nach dem Wort (Jak 4, 8): "Naht euch Gott, so wird er auch euch nahen." Darum heißt es beim Psalmisten (Ps 145, 18): "Nahe ist der Herr allen, die ihn anrufen, allen, die ihn anrufen in Wahrheit". Aber er nähert sich nicht bloß ihnen, sondern er nimmt sogar Wohnung in ihnen durch die Gnade, wie es heißt (Jer 14, 9): "Du bist ja bei (in) uns, o Herr!"

Um also die Hoffnung der Heiligen zu mehren, heißt es: "Der du bist in den Himmeln", d. h. in den Heiligen, nach der Auslegung Augustins (de sermone Dom. in monte 1. 2 c. 5 n. 17 u. 18). Zwischen den Gerechten und den Sündern ist ja nach ihm auf geistigem Gebiet ein ebenso großer Abstand, wie auf körperlichem zwischen Himmel und Erde. Um dies anzuzeigen, wenden wir uns ja auch beim Gebet nach Osten, von wo aus (nach der alten Kosmologie bei der kosmischen Bewegung) der Himmel emporsteigt (wodurch wir gemahnt werden, uns vom Irdischen zu Gott zu erheben). Einen Grund, um die Hoffnung und das Vertrauen im Gebet bei den Heiligen zu vermehren, bildet also nicht bloß die Nähe Gottes, sondern auch die Würde, die sie von Gott erlangt haben, da er sie durch Christus zu Himmeln gemacht hat, nach dem Wort der Schrift (Jes 51, 16): "Auf dass du die Himmel pflanzest und die Erde gründest"; denn der sie zu Himmeln (d. h. zur Wohnung Gottes) gemacht hat, wird ihnen gewiss die himmlischen Güter nicht versagen.

253. Kapitel: Gegenstand und Wesen der Hoffnung

Nachdem wir die Gründe vorausgeschickt haben, auf welche sich unsre Hoffnung stützt, müssen wir nun sehen, was wir eigentlich von Gott hoffen sollen. Nun ist zu beachten, dass die Hoffnung Sehnsucht und Verlangen voraussetzt. Wonach man nämlich keine Sehnsucht und kein Verlangen hat, von dem sagt man nicht, man hoffe es, sondern im Gegenteil, man fürchte es, oder man verachte es (man mache sich nichts aus ihm). Dazu, dass Etwas als Gegenstand der Hoffnung bezeichnet werden kann, ist zweitens noch erforderlich, dass man glaubt, es auch wirklich erlangen zu können; und das fügt die Hoffnung zum bloßen Verlangen noch hinzu. Denn verlangen oder ersehnen kann der Mensch auch das, von dem er glaubt, es nie erlangen zu können; nicht aber kann etwas Derartiges den Gegenstand der Hoffnung bilden. Drittens ist erforderlich, dass der Gegenstand der Hoffnung etwas Hohes und zugleich schwer zu Erreichendes ist. Denn das, was von geringer Bedeutung ist, verachten wir mehr, als dass wir es erhoffen; oder wenn wir auch auf etwas Derartiges hoffen, so erhoffen wir es, weil wir es ja leicht zur Hand haben können, nicht als etwas Zukünftiges, sondern wir betrachten es schon als etwas gewissermaßen schon Vorhandenes. 1. 2. q 40 a 2.

Von dem Hohen und schwer zu Erreichenden, das man zu erlangen hofft, kann man Manches durch einen Andern, und wieder Manches durch sich selbst zu erlangen hoffen. Zwischen diesen Beiden besteht der Unterschied, dass der Mensch, um das zu erreichen, was er durch sich selbst zu erlangen hofft, seine eigene Kraft anwendet: zur Erreichung dessen hingegen, was er nur durch die Vermittlung eines Andern erhalten kann, wendet er dies Bitten und Flehen an. Hofft er es durch einen Menschen zu erhalten, so nennt man dieses Flehen einfach Bitte; hofft er es aber von Gott, so nennt man es Gebet; denn dieses ist das Flehen um das, was Gottes würdig ist (was nur Gott geben kann), wie Johannes von Damaskus sagt (vgl. 2. 2. q 83 a 1).

Zur Tugend der Hoffnung gehört nun weder die Hoffnung, die jemand auf sich selbst, noch auch die, welche er auf einen andern Menschen setzt, sondern nur jene Hoffnung, die er auf Gott setzt; deshalb heißt es (Jer 17, 5): "Verflucht der Mensch, der sein Vertrauen auf Menschen setzt, und Fleisch zu seinem Arme wählt"; und dann wird beigefügt: "Gesegnet der Mensch, der sein Vertrauen auf den Herrn setzt, und dessen Zuversicht der Herr ist." Auf diese Weise wird dem Menschen das, um was der Herr in seinem Gebet uns bitten lehrte, als etwas vorgestellt, was einerseits zu erreichen möglich - das aber auch andrerseits etwas so Hohes und Schwieriges ist, dass man zu ihm nicht durch menschliche Kraft, sondern einzig und allein nur durch Gottes Hilfe gelangen kann. 2. 2. q 17 a 1 u. 4.

254. Kapitel: Die erste Bitte lehrt uns verlangen, dass die Erkenntnis Gottes, die in uns ihren Anfang genommen hat, zur Vollendung komme; was auch möglich ist

Die Ordnung und Reihenfolge der Gegenstände, die wir in der Liebe einhalten, muss auch den Maßstab bilden, nach welchem wir Etwas von Gott erhoffen und verlangen sollen. Die Liebe aber setzt Gott an die erste Stelle, indem sie ihn über alles liebt. Deshalb lenkt in uns die Liebe unser Verlangen in erster Linie auf das, was Gott zugehört. Nun aber ist der Gegenstand unsres Verlangens das Gute in der Zukunft; Gott aber in sich betrachtet kann nichts Zukünftiges mehr erhalten, sondern er befindet sich von Ewigkeit zu Ewigkeit immer in ein und demselben Zustand (siehe oben Kap. 8). Wir können also Gott das ihm eigentümliche Gute nicht so wünschen und ersehnen, wie es in sich selbst ist, - dass nämlich Gott noch manches Gute erhalte, was er etwa bis jetzt noch nicht hätte. Dagegen richtet sich unsre Liebe so auf das Gott eigene Gute, dass es dasselbe als etwas Vorhandenes, schon Gegenwärtiges, liebt. Nur das können wir also für Gott erwünschen und ersehnen, dass er herrlich und groß werde (nicht in sich, sondern) in der Anschauung und in der Verehrung, die alle ihm entgegen bringen - denn in sich selbst ist er ja schon immer groß und herrlich. - Dass aber diese Verherrlichung Gottes verwirklicht werde, ist nicht etwas UnmögIiches (und kann deshalb einen Gegenstand der Hoffnung bilden siehe Kap. 253).

Denn da der Lebenszweck des Menschen darin besteht, dass er Gottes Größe und Herrlichkeit (theoretisch wie praktisch) erkennt (siehe oben Kap. 149), so würde er, wenn er dazu nicht gelangen könnte, ein zweckloses Dasein haben; dies aber wird verneint durch das Wort der Schrift (Ps 88, 48): "Hast du denn umsonst all die Menschenkinder erschaffen?" Etwas Zweckloses wäre dann auch das Naturverlangen (siehe oben Kap. 104), vermöge dessen alle Menschen ein natürliches Verlangen tragen, etwas vom Göttlichen zu erkennen. Darum gibt es keinen Menschen, der ohne alle und jede Kenntnis Gottes wäre, nach dem Wort der Schrift (Job 36, 25): "Alle Menschen sehen ihn." - Immerhin aber ist die (richtige und volle) Erkenntnis Gottes etwas Hohes und Schwieriges (und auch wegen dieser Eigenschaft Gegenstand der Hoffnung siehe Kap. 253) und übersteigt alle Fähigkeit der menschlichen Natur, nach dem Schriftwort (Job 36, 26): "Siehe Gott ist groß und überwältigt unser Wissen."

Darum kann die (volle und richtige) Erkenntnis der göttlichen Größe und Güte den Menschen nur durch die Gnade der göttlichen Offenbarung zuteil werden, nach dem Wort Christi (Mt 11, 27): "Niemand kennt den Sohn außer der Vater; und auch den Vater kennt niemand außer der Sohn und wem der Sohn es offenbaren will." Deshalb sagt Augustin (tract. 26 in Joann.): "Gott kennt niemand, wenn nicht der, welcher ihn kennt (und das ist eben nur er selbst wieder) sich ihm ankündet." - Es kündet sich allerdings Gott den Menschen schon einigermaßen dadurch an, dass sie durch die Kraft ihres natürlichen Erkenntnisvermögens einiges Wissen von ihm erhalten können, indem er einerseits ihnen das Licht der Vernunft eingoss - und andrerseits die sichtbare Schöpfung ins Dasein rief, aus welcher die Spuren seiner Güte (Vollkommenheit) und Weisheit einigermaßen hervorleuchten, nach dem Wort des Apostels (Röm 1, 19 f): "Was von Gott kennbar ist", d. h. was die natürliche Vernunft von Gott wissen kann, "das ist ihnen bekannt", nämlich den Heiden (die außerhalb des Offenbarungskreises stehen); "denn Gott hat es ihnen geoffenbart", nämlich durch das Licht der Vernunft und die von ihm ins Dasein gerufene Schöpfung; deshalb fährt er fort: "denn das Unsichtbare an ihm ist seit Erschaffung der Welt in den erschaffenen Dingen kennbar und sichtbar, nämlich seine ewige Kraft und Gottheit." Diese Erkenntnis ist aber immerhin eine sehr unvollkommene; denn es kann nicht einmal die Schöpfung vollkommen vom Menschen durchforscht und erkannt werden; und auch wenn dies der Fall wäre, so ist sie doch nicht im Stande, Gott vollkommen zur Darstellung zu bringen; denn sie ist eine solche Wirkung (als endliches und beschränktes Werk), die von der Kraft der Ursache (die unendlich ist) unendlich absteht; darum heißt es in der Schrift (Job 11, 7): "Fassest du etwa die Fussstapfen Gottes und findest du auf vollständige Weise den Allmächtigen?" Und dem (oben angeführten) Wort� (Job 36, 25): "Alle Menschen sehen ihn", folgt sogleich: "ein Jeglicher schaut ihn (nur) von ferne."

Aber eben die Unvollkommenheit dieser Gotteserkenntnis war der Grund, dass die Menschen vielfach von der Wahrheit abwichen, und in die verschiedensten Irrtümer auf dem Gebiet der Gotteserkenntnis verfielen, bis zu dem Grad, dass, nach dem Wort des Apostels (Röm 1,21 ff): "Manche eitel wurden in ihren Gedanken, und ihr unverständiges Herz verfinstert ward; sie gaben sich für Weise aus, sind aber zu Toren geworden. Sie vertauschten die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes mit dem Gleichnis und Bilde des vergänglichen Menschen, auch der Vögel, und vierfüssigen und kriechenden Tiere."

Um nun die Menschen von diesem Irrtum zu befreien, tat Gott sich den Menschen genauer kund im alten Gesetz, durch welches die Menschen zur Verehrung des Einen Gottes gebracht werden, nach dem Schriftwort (Dtn 6, 4): "Höre Israel, der Herr dein Gott ist ein einziger Gott." - Aber auch diese Gotteserkenntnis war eingehüllt in dunkle Symbole, und auf die Grenzen des Einen Judenvolkes beschränkt, wie es heißt (Ps 75, 1); "Bekannt ist im Land Juda Gott, in Israel groß sein Name."

Damit nun dem ganzen Menschengeschlecht die wahre Gotteserkenntnis zuteil werde, sandte Gott der Vater das Wort seiner Kraft, den Eingeborenen, in die Welt, damit durch ihn die ganze Welt zur wahren Erkenntnis des Namens Gottes käme. Dieses Werk nun begann der Herr selbst bei seinen Jüngern, wie er sagt (Joh 17, 6): "Ich habe deinen Namen den Menschen geoffenbart, die du mir von der Welt gegeben hast." Aber seine Absicht beschränkte sich nicht darauf, dass nur diese allein die Kenntnis der Gottheit haben sollten, sondern dass sie durch sie über die ganze Welt verbreitet werden sollte; darum fügt er später (ebendort v. 21) bei: "damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast." Das tut er durch die Apostel und ihre Nachfolger noch fortwährend, indem er durch sie die Menschen zur Gotteserkenntnis führt, bis einmal über die ganze Welt hin der Name Gottes heilig und gelobt gehalten werden wird, wie dies vorausgesagt ist (Mal 1, 11): "Vom Aufgang der Sonne bis zum Untergang ist groß mein Name unter den Völkern, und aller Orten wird geopfert und meinem Namen ein reines Opfer dargebracht."

(Aus dem ganzen Zusammenhang geht hervor, dass Thomas auch hier in Übereinstimmung mit seinen in der Summa theol. 1 q 1 a 1; Cg. I, 4 aufgestellten Grundsätzen, nicht eine absolute, sondern eine moralische Notwendigkeit der Offenbarung behauptet, um zur Erkenntnis Gottes zu gelangen: vgl. oben Kap. 36.)

Damit nun diese schon begonnene Gotteserkenntnis zur Vollendung komme, beten wir: "Geheiligt werde dein Name." Darum bitten wir nicht deshalb, wie Augustin (sermo 56) bemerkt, als ob etwa der Name Gottes nicht schon heilig wäre, sondern damit er von allen heilig gehalten werde, d. h. dass Gott so bekannt werde, dass man nichts für heiliger hält, als ihn. - Unter allen Zeichen aber, durch die Gottes Heiligkeit sich den Menschen kund gibt, ist das allerklarste und sicherste die Heiligkeit der Menschen, die durch Gottes Einwohnung geheiligt werden. So bemerkt Gregor von Nyssa (in orat. dom. sermo 3): "Wer ist so sinnlich und tierisch, dass er nicht, wenn er an den Gläubigen ein reines Leben schaut, den Namen verherrlichte, der in einem solch reinen Leben angerufen wird?" Darauf weist auch schon der Apostel hin, wenn er (1 Kor 14, 24 f) sagt: "Wenn aber alle weissagten, und es käme ein Ungläubiger hinein, oder ein Unkundiger, so würde er überwiesen von Allen" (im Sinne des hl. Thomas: wenn alle Christen durch die Einwohnung Gottes sich als heilig bewiesen, würden die Ungläubigen bald bekehrt), und dann fügt er bei: "und so würde er niederfallend auf sein Angesicht Gott anbeten, und verkündigen, dass Gott wahrhaft in euch ist." Deshalb befiehlt dem Betenden der Herr, nach der Bemerkung des hl. Chrysostomus (super Mt homo 20), dadurch, dass er ihn beten lässt: "Geheiligt werde dein Name", zugleich auch darum zu beten, dass Gott durch unser Leben verherrlicht werde; als wenn er sagen wollte: Gib uns, dass wir so leben, dass durch uns zugleich alle Andern dich verherrlichen. Durch uns aber wird Gott in den Herzen des Andern geheiligt dadurch, dass wir selbst von ihm geheiligt werden.

Wenn wir also sagen: "Geheiligt werde dein Name", so wünschen wir, wie Cyprian (de orat. dom.) sagt, dass sein Name in uns geheiligt werde; weil nämlich er sagt: "Ihr sollt heilig sein, denn auch ich bin heilig" (dies spricht Gott Lev 11, 44; es ist also ipse statt Xps (Christus) zu lesen), so bitten wir darum, dass wir, in der Taufe geheiligt, auch fortan bleiben, was wir zu sein begonnen haben. Und zwar bitten wir täglich darum, dass wir geheiligt werden, weil wir eben täglich sündigen, und uns durch fortwährende Heiligung von unsern Fehlern reinigen müssen."

Diese Bitte aber wird nach Chrystostomus (Hom. 19 in Mt) deshalb an die erste Stelle gesetzt, "weil es der Würde des Gebetes, das sich an Gott wendet, entspricht, des Vaters Ehre als erstes zu erbitten und alles übrige seinem Lobe hintanzusetzen."

255. Kapitel: Die zweite Bitte: Gott möge uns der Herrlichkeit teilhaftig machen

Nach der Verherrlichung Gottes, welche den ersten Gegenstand der Sehnsucht wie des Gebetes der Menschen bilden muss, soll der Mensch sich sehnen und darnach streben, an dieser göttlichen Herrlichkeit teil zu erhalten. Deshalb kommt an zweiter Stelle die Bitte: "Dein Reich komme." Wie bei der vorausgehenden Bitte müssen wir auch hier erstens die Angemessenheit der Sehnsucht nach dem Reiche Gottes betrachten. Zweitens sodann, dass der Mensch in den Besitz desselben gelangen kann. Drittens, dass das Erlangen desselben nicht das Werk seiner eigenen Kraft, sondern das der göttlichen Gnadenhilfe ist. Und endlich viertens:, in welchem Sinn wir um die Ankunft des Reiches Gottes bitten. (Nur die zwei ersten Punkte behandelt noch der hl. Thomas).

Was den ersten Punkt betrifft, so ist zu beachten, dass jedes Ding von Natur aus das ihm entsprechende Gute anstrebt; daher definiert man ja auch das Gute als das, wonach alles strebt (gut ist das Seiende insofern es begehrenswert ist: 1 q 5 a 1). Das einem jeden Ding eigene Gute aber ist das, wodurch es seine Vollkommenheit tat; denn ein jedes Ding nennen wir dann gut, wenn es die ihm entsprechende Vollkommen-heit erreicht hat; und umgekehrt fehlt ihm die Güte insoweit, und insofern, als es der ihm entsprechenden Vollkommenheit entbehrt. Also verlangt, wie überhaupt ein jedes Ding die ihm entsprechende Vollkommenheit, so auch der Mensch von Natur darnach, seine Vollkommenheit und Vollendung zu erhalten. Nun gibt es auf dem Gebiete der menschlichen Vollkommenheit viele Grade und Stufen; von all dem bildet naturgemäß in erster Linie und hauptsächlich den Gegenstand des menschlichen Verlangens das, was zu seiner letzten und höchsten Vollendung gehört. Dieses letzte und höchste Gut aber wird daran erkannt, dass in ihm das natürliche Verlangen (siehe oben Kap. 104 Anm.) des Menschen seine Ruhe und volle Befriedigung findet. Da nämlich das natürliche Verlangen des Menschen nur auf das ihm entsprechende und eigene Gute sich richtet, das in seiner Vollkommenheit besteht: so ergibt sich, dass der Mensch, solange ihm überhaupt noch etwas zu wünschen und zu verlangen übrig bleibt, noch nicht seine letzte und höchste Vollkommenheit erreicht hat. - Nun kann es einen doppelten Grund dafür geben, dass noch etwas weiteres zu wünschen und zu verlangen bleibt. Einmal, wenn man das, was man verlangt, nur um eines andern Dinges willen verlangt; hat man es also auch wirklich erlangt, so kommt das Verlangen doch noch nicht zur Ruhe und zum Abschluss, sondern richtet sich noch auf etwas Weiteres; zweitens dann, wenn das Ersehnte nicht hinreicht, das Verlangen des Menschen zu befriedigen; so reicht z. B. eine Speise, die nur in ungenügender Menge vorhanden ist, nicht hin, um die Natur zu unterstützen, und so bleibt das natürliche Verlangen in diesem Fall unbefriedigt. Das Gut also, das der Mensch in erster Linie und hauptsächlich ersehnt, muss die zwei Eigenschaften besitzen, dass es erstens nicht bloß um eines Andern willen verlangt wird, und dass es zweitens dem Menschen genüge leistet. Dieses Gut nun nennt man gemeinhin "GIückseIigkeit", insofern es das hauptsächliche Gut des Menschen ist; denn als glücklich bezeichnen wir einen Menschen dann, wenn wir glauben, es gehe ihm gut. Man nennt es auch "beatitudo", Seligkeit (wir haben im Deutschen kein Wort, das den Unterschied zwischen felicitas und beatitudo zum Ausdruck bringt) - insofern es eine gewisse Hoheit bezeichnet; man kann es auch "Frieden" nennen, insofern es die Sehnsucht befriedigt; denn die Ruhe des Verlangens ist der innere Friede; darum heißt es (Ps 147, 14): "Er gab als Grenzen Dir den Frieden"; (so fasst es wohl Thomas; wörtlich heißt es: "er machte sicher (friedlich) deine Grenzen").

Daraus ergibt sich, dass des Menschen Glückseligkeit nicht in Gütern auf körperlichem Gebiet bestehen kann.

Erstens, weil sie nicht um ihrer selbst willen gesucht werden, sondern weil sie naturgemäß nur wünschenswert sind um etwas Anderen willen; sie haben nämlich für den Menschen einen Zweck nur deshalb, weil sie dem Wohlbefinden seines Leibes dienen. Der Leib des Menschen aber steht der Seele gegenüber im Verhältnis des Mittels zum Zweck; denn fürs erste steht der Leib als Organ (Werkzeug) im Dienst der Seele bei Entfaltung ihrer Tätigkeit; jedes Werkzeug aber ist eben um der Kunst (und des Künstlers) willen da, der sich desselben bedient. Sodann verhält sich der Leib zur Seele wie die Materie zur Form (das Bestimmbare zum Bestimmenden); die Form aber ist der (Daseins- )Zweck der Materie, wie das Wirklichsein jener des (realen) Möglichseins (die wirkliche Tat der Zweck des Vermögens zur Tätigkeit) ist. Daraus folgt, dass weder in Reichtum noch in Ehren, noch in Gesundheit oder Schönheit, noch auch in irgend etwas Anderem auf dem gleichen Gebiet die höchste und letzte Glückseligkeit des Menschen bestehen kann.

Zweitens, weil es unmöglich ist, dass die Güter auf körperlichem Gebiet dem Menschen genügen können. Dies lässt sich auf mehr als eine Weise nachweisen. 1. gibt es im Menschen ein doppeltes Begehrungsvermögen, das vernünftige (der Wille) und das sinnliche; folglich auch ein dem entsprechendes doppeltes Begehren und Verlangen; das Verlangen des vernünftigen Begehrens richtet sich nun in erster Linie auf geistige Güter; zu diesen aber können die Güter auf körperlichem Gebiet nicht hinanreichen (und folglich auch das Verlangen des Menschen nicht ersättigen). 2. Die körperlichen Güter nehmen die niederste Rangstufe im Weltganzen ein, und haben deshalb das Gute nicht konzentriert, sondern zerstreut und verteilt, nämlich so, dass das eine Ding nur diese Seite des Guten, z. B. das Lustgefühl, das andere aber wieder eine andere, z. B. das Wohlbefinden des Leibes, an sich hat usw. Darum kann das menschliche Begehren und Verlangen, das seiner Natur entsprechend das nach allen Seiten hin Gute anstrebt, an diesen Dingen kein Genügen finden; nicht einmal dann, wenn man sie alle zusammennimmt, und sie noch so sehr vervielfältigt; denn sie können nie dem Allgut, das etwas Unendliches ist, gleich kommen. Darum heißt es (Koh 5, 9): "Der Geizige wird des Geldes nicht satt." 3. Der Mensch erfasst mit seinem Geiste das Allgut, das über Raum und Zeit erhaben ist; darum richtet sich dieser Auffassung des Geistes entsprechend das Verlangen des Menschen auf ein Gut, das nicht von der Zeit umschlossen und begrenzt ist. Darum liegt es in der Natur des Menschen, sich nach Etwas zu sehnen, was Dauer und Bestand hat. (Cg. III, 48 n. 3). Das aber kann man in den körperlichen Dingen nicht finden, denn diese unterliegen der Vergänglichkeit sowie einem ständigen Wechsel und Wandel. Darum findet das Verlangen des Menschen in den körperlichen Gütern nicht die Sättigung die er sucht; und deshalb kann in ihnen unmöglich die höchste und letzte Glückseligkeit des Menschen bestehen. (1. 2. q 2 a 1-5. Cg. III, 27-32.

Sie kann aber auch ebenso wenig bestehen in der Tätigkeit der sinnlichen Seite des Menschen, also in der Sinnenlust: denn auch die Sinneskräfte entfalten ihre Tätigkeit auf dem Gebiete des Körperlichen; sie bedienen sich ja zu ihrer Tätigkeit körperlicher Organe; das Tätigkeitsgebiet dieser aber erstreckt sich eben nur wieder auf die Körperwelt. (1. 2. q 2 a 6; q 3 a; Cg. III, 33).

Mit der Körperwelt endlich befasst sich zum Teil auch der Geist des Menschen; denn mit seinem spekulativen (theoretischen) Verstand durchforscht und erfasst er die Körperwelt, und mit seinem praktischen Verstand trifft er Verfügung über die Dinge in der Körperwelt (greift er in die Körperwelt, dieselbe im gewissen Sinne verändernd und umgestaltend, ein). Deshalb kann auch nicht in der eigensten Tätigkeit des spekulativen wie praktischen Verstandes (vgl. hierüber: 1 q 79 a 11), insoweit und insofern sich dieselbe auf die Körperwelt bezieht, die letzte und höchste Glückseligkeit und Vollendung des Menschen bestehen. (Weil die Körperwelt eben auch nicht als Gegenstand dem menschlichen Denken genügen kann). Cg. III, 35 u. 36.

Die Seligkeit besteht endlich auch nicht in jener Tätigkeit des menschlichen Geistes, in welcher die Seele durch Reflexion sich selbst zum Gegenstand ihrer Betrachtung macht. Dies aus einem doppelten Grunde: Erstens ist die Seele an sich und in sich betrachtet noch nicht selig; sonst müsste sie sich ja nicht erst Mühe geben, die Seligkeit zu erlangen; also erwirbt sie auch nicht die Seligkeit einfach und allein dadurch, dass sie sich selbst zum Gegenstand ihrer Betrachtung macht. Zweitens, die Glückseligkeit bildet, wie gesagt, die letzte und höchste Vollendung des Menschen. Die Vollendung und Vollkommenheit der Seele aber besteht in der ihr eigenen Tätigkeit; (denn jedes Ding ist ja um seiner Tätigkeit willen da, findet also in ihr seine Vollendung); also muss ihre letzte und höchste Vollkommenheit in ihrer besten und höchsten Tätigkeit bestehen; diese aber wiederum ist jene, welche das Beste und Höchste zum Gegenstand hat; denn das Objekt ist es ja, welches der Tätigkeit ihren spezifischen Charakter verleiht (1. 2. q 18 a 2). Nun aber ist die Seele noch nicht das Beste und Höehste, auf das sich ihre Tätigkeit richten kann. Denn sie sieht wohl ein, dass es noch Etwas gibt, das besser und höher ist als sie. Darum kann unmöglich die letzte und höchste Seligkeit des Menschen in jener Geistestätigkeit bestehen, in der sie ihr eigenes Wesen betrachtet, oder auch noch andere Wesen, die höher sind als sie, so lange es noch etwas Besseres und Höheres als diese gibt, auf das sich die menschliche Geistestätigkeit richten kann. Die (Geistes-)Tätigkeit des Menschen aber richtet sich auf alles Gute ohne Ausnahme; denn, was der Mensch sehnend verlangt, ist das Allgute (das nach allen Seiten hin Gute), da er ja auch mit seinem Geiste (nicht wie der Sinn irgend ein Teilgut, sondern das) Allgut erfasst. Soweit sich also das Gute erstreckt, und sei es bis zum höchsten Grade, soweit erstreckt sich auch die Denktätigkeit des menschlichen Geistes, und in Folge dessen auch das Verlangen des menschlichen Willens. Das Gute aber in seinem höchsten Grad und Gipfel findet sich in Gott; denn dieser ist (nicht bloß nach dieser oder jener Seite seines Wesens, sondern einfach schlechthin) seinem ganzen Wesen nach gut, sowie der Urgrund alles Guten. Darum besteht die letzte und höchste Vollendung des Menschen, und sein höchstes Gut darin, dass er an Gott sich anschließt, nach dem Wort der Schrift (Ps 73, 28): "Mir aber ist gut, Gott anzuhangen."

Dies kann man klar erkennen, wenn man sieht, wie sich die Teilnahme an etwas Gemeinsamen auf den übrigen Gebieten vollzieht. So sind wir z. B. berechtigt, allen Einzelmenschen in Wirklichkeit und Wahrheit den Begriff Mensch beizulegen, weil eben alle an der allen gemeinsamen spezifischen menschlichen Wesenheit Teil haben. Dagegen wird keiner Mensch genannt (bloß) auf den Grund hin, dass er einem andern Einzelmenschen ähnlich ist (in außerwesentlichen Eigenschaften), sondern nur einzig deswegen, dass er an der (allen gemeinsamen) spezifischen Wesenheit Teil hat, obwohl der eine Mensch den andern, der Vater den Sohn, zur Teilnahme an dieser spezifischen Wesenheit bringt dadurch, dass er ihn erzeugt. - Nun ist die GIüekseligkeit eben nichts anderes, als das (nach allen Seiten hin) vollkommene Gut. Alle Seligen können also einzig nur dadurch, (wahrhaft und wirklich) selig sein, dass sie an der göttlichen Seligkeit, in der die wesentliche Güte (Gutsein) des Menschen besteht, teilhaben (nicht aber an der irgend welchen Geschöpfes). Dies hindert jedoch nicht, dass der Eine durch den Andern im Streben nach dieser Glückseligkeit unterstützt und gefördert wird. Darum sagt Augustin (de vera velig. c. 55 n. 110) dass "auch wir nicht dadurch glücklich sind, dass wir die Engel schauen, sondern nur dadurch, dass wir die (göttliche) Wahrheit schauen, in der wir auch die Engel selbst lieben, und ihnen Glück wünschen (zu der mit uns gleichen Seligkeit 1. 2. q 3 a 7; Cg. III, 44. Thomas will sagen: die Glückseligkeit des Menschen kann nur in dem bestehen, was kraft seiner eigenen Wesenheit gut und wahr ist; das ist aber nur Gott allein: wie er allein aus und durch sich selbst existiert, so ist auch er allein die selbstwirkliche Wahrheit und Güte; alle andern Wesen, auch die Engel sind, wie durch etwas Anderes im Dasein, so auch wahr und gut nur durch etwas Anderes, nämlich durch Gott, an dessen Sein, Wahrheit und Güte sie teilnehmen).

Nun kann aber der menschliche Geist in doppelter Weise sich auf Gott richten; einmal unmittelbar; sodann durch die Vermittlung von etwas Anderem. Unmittelbar richtet sich der Geist des Menschen auf Gott, wenn Gott in sich selbst geschaut und geliebt wird; mittelbar hingegen, wenn aus den Geschöpfen Gottes der Geist zu ihm sich erhebt, nach dem Wort der Schrift (Röm 1, 20): "Das Unsichtbare an Gott wird durch die geschaffene Dinge kennbar und sichtbar." Nun kann aber unmöglich die vollkommene Glückseligkeit darin bestehen, dass sich der menschliche Geist erst durch Vermittlung eines andern Dinges auf Gott richtet.

Erstens, verstehen wir unter Seligkeit das Ziel und den Abschluss alles menschlichen Tuns und Wirkens; es kann also die wahre und vollkommene Seligkeit nicht in Etwas bestehen, das nicht Ziel, sondern vielmehr erst Veränderung und Bewegung zum Ziel hin ist. Wenn nun Gott erst durch Vermittlung von etwas Anderem erkannt und geliebt wird, so vollzieht sich dies durch eine Bewegung des menschlichen Geistes, in welcher er vom Einen zum Andern fortschreitet. Also kann hierin nicht die wahre und vollkommene Glückseligkeit bestehen (die Unwandelbarkeit fordert).

Zweitens, besteht die Glückseligkeit des Menschen darin, dass sein Geist Gott anhängt (sich an ihn anschließt): so verlangt die vollkommene Seligkeit einen vollkommenen Anschluss des Geistes an Gott. Nun kann aber der menschliche Geist unmöglich durch Dazwischentreten eines Geschöpfes einen vollkommenen Anschluss an Gott finden, weder im Erkennen, noch im Lieben. Denn kein geschöpfliches Gedankenbild kann, eben wegen seines unendlichen Abstandes dem göttlichen Wesen gegenüber - dieses zur Vorstellung bringen. Wie es also unmöglich ist, dass durch das Bild (die Vorstellung, den Begriff) eines Dinges, das einem niederen Seinsgebiet angehört, die einem höheren Seinsgebiet angehörigen Dinge erkannt werden - z. B. durch ein körperliches Wesen eine rein geistige Substanz, oder durch ein irdisches Element die Natur der Himmelskörper (nach der Aristotelischen Auffassung) - so, - und noch viel weniger ist es möglich, dass durch irgend ein geschaffenes Erkenntnisbild Gottes Wesenseit erkannt werde (siehe oben Kap. 105). Durch die Betrachtung der niederen (irdischen) Körperwelt erhalten wir vielmehr nur eine negative Kenntnis von der Natur der Himmelskörper, nämlich nur die, dass sie weder schwer noch leicht sind (nach der Aristotelischen Auffassung sich neutral der Schwere und Leichtigkeit gegenüber verhalten) und indem wir die Körperwelt überhaupt betrachten, können wir für die Erkenntnis der Geisterwelt nur negative Schlüsse ziehen, dass die Engel nämlich stofflos oder körperlos seien; ebenso erkennen wir auf Grund der Geschöpfe von Gott nicht, was er ist, sondern vielmehr, was er nicht ist. - Desgleichen ist alle Güte und Vollkommenheit der Geschöpfe etwas verschwindend Kleines gegenüber der göttlichen Güte und Vollkommenheit, die etwas Unendliches ist; deshalb kann die Güte und Vollkommenheit, die als Wirkung und Gabe Gottes in den Dingen sich findet, den Geist nicht zur vollkommenen Liebe Gottes emporheben. Cg. III, 49 n. 2 u. 3.

Drittens. Ordnungsgemäß wird das weniger Bekannte durch das und in dem, was (uns) mehr bekannt ist, erkannt; und desgleichen wird auch das weniger Gute durch das und in dem, was mehr gut ist, geliebt. Da nun Gott die erste und oberste Wahrheit und die höchste Güte und Vollkommenheit ist, so ist er an sich im höchsten Grade erkennbar, sowie im höchsten Grade liebenswürdig: also verlangt die natürliche Ordnung, dass alles Andere durch ihn (und in ihm) erkannt und geliebt werde. Wenn nun aber dennoch ein Geist (- und dies ist bei allen Geistern außer Gott der Fall -) zur Kenntnis und Liebe Gottes erst auf Grund der Geschöpfe gelangen kann, so hat dies eben in der Unvollkommenheit des Geistes seinen Grund; es hat also ein solcher Geist die vollkommene Seligkeit noch nicht erlangt; denn diese schließt (ihrem Begriffe nach) alle Unvollkommenheit aus.

Es besteht demnach die vollkommene Glückseligkeit des Menschen darin, dass sein Geist an Gott unmittelbar sich anschließt im Erkennen wie im Lieben. - Weil es nun Sache des Herrschers ist, die Untergebenen zu leiten und zu regieren, so sagt man, das führe im Menschen die Herrschaft, in dessen Dienst alles übrige steht. Darum mahnt der Apostel (Röm 6, 12): "Lasst die Sünde nicht in euerem sterblichen Leib herrschen." Weil es nun zur vollkommenen Seligkeit gehört, dass Gott (von uns) unmittelbar, durch sich selbst (nicht in einem geschöpflichen Abbild), erkannt und geliebt werde, und dass dann erst von ihm aus unser Geist zur Erkenntnis und Liebe der übrigen Dinge gelangt, so herrscht Gott im wahren und eigentlichen Sinn und in vollkommener Weise in den Guten; darum heißt es (Jes 49, 10): "Ihr Erbarmer wird sie regieren, und sie tränken an den Wasserquellen", d. h. sie werden durch ihn (indem sie ihn unmittelbar erkennen und lieben) durch alle Güter erquickt.

Während nun der Geist Alles, was er geistig schaut, durch ein Bild oder eine Form (eine Bestimmtheit, die ihn afficiert), erkennt (denkt), wie man auch beim äußeren Schauen den Stein durch das Abbild des Steines (auf der Netzhaut) sieht - so ist es andrerseits unmöglich, dass der Geist ebenso auch Gott in seinem eigenen Sein und Wesen durch ein, Gottes Wesenheit etwa darstellendes, geschaffenes Abbild schaut. Denn durch ein Bild oder eine Vorstellnng, die einem niederen Seinsgebiet entnommen ist, kann nicht ein Ding, das einem höheren Gebiet des Seins angehört, seinem eigentlichen Sein und Wesen nach zur Darstellung gebracht werden. So kann durch kein der Körperwelt entnommenes Bild eine rein geistige Substanz ihrem eigentlichen Sein und Wesen nach zur Vorstellung gebracht (gedacht, erkannt) werden. Da nun Gott das ganze Gebiet des Geschöpftichen noch ungleich mehr überragt, als eine geistige Substanz (der Engel) das der Körperwelt: so ist es ganz unmöglich, dass Gott durch ein der Körperwelt entnommenes Bild seinem eigenen Sein und Wesen nach geschaut werde. (Soll wohl dem ganzen Zusammenhang nach heißen: durch ein geschöpfliches Abbild).

Dies wird auch klar einleuchten, wenn man beachtet, was es eigentlich heißt, ein Ding seinem eigentlichen Sein und Wesen nach schauen. Jener z. B. schaut noch nicht das eigentliche Sein und Wesen des Menschen, der nur Etwas von dem, was wesentlich dem Menschen angehört, erfasst; wie auch der das Wesen des Menschen noch nicht erkennt, der bloß einen Begriff von einem sinnbegabten Lebewesen (einem Tier) hat, ohne den der Vernünftigkeit mit einzuschließen. Nun kommt alles, was man von Gott aussagen kann, ihm wesentlich zu (bildet sein eigenstes Sein und Wesen). Es kann nun aber unmöglich durch eine einzige geschöpfliche Vorstellung Gott nach allen Seiten hin, die man von ihm aussagen kann, zur Vorstellung gebracht (gedacht) werden. Denn im geschöpflichen Geist ist die Vorstellung, durch welche z. B. das Leben gedacht wird, eine andere als jene, durch welche die Weisheit, die Gerechtigkeit und überhaupt alles, was Gottes Sein und Wesen bildet, aufgefasst wird. Es ist also unmöglich, dass der geschaffene Geist durch ein einziges Erkenntnisbild informiert werde (einen einzigen Gedanken, eine einzige Vorstellung erhalte), welche die göttliche Wesenheit derart darstellt, dass Gott in ihr seinem eigensten Sein und Wesen nach geschaut werden könnte. Braucht man aber hierzu mehr als ein Erkenntnisbild (als eine einzige Vorstellung), so fehlt schon die Einheit, die identisch ist mit Gottes Wesenheit. Es ist also ganz unmöglich, dass der geschaffene Geist, sei es durch eine einzige, sei es durch mehrere geschaffene Vorstellungen sich dazu aufschwingen kann, Gott in sich selbst, also seinem eigensten Sein und Wesen nach zu schauen.

Soll also Gott seinem eigensten Sein und Wesen nach vom geschaffenen Geist geschaut werden, so bleibt nur übrig, dass die göttliche Wesenheit durch sich selbst und in sich selbst, nicht aber durch ein Abbild von ihr, (in einem Abbild) geschaut wird, und dies ist nur dadurch möglich, dass der geschaffene Geist mit Gott eine Einigung eingeht. Darum sagt (Pseudo) Dionysius (De divin. nomin. e. 1), dass, wenn wir unser seliges Endziel erreichen, indem Gott uns erscheint, wir mit einer über allen geschaffenen Verstand hinausgehenden Erkenntnis Gottes erfüllt werden. - Nun ist das eine ganz einzigartige Vollkommenheit der göttlichen Wesenheit, dass sie mit dem Verstand (eines sie Erkennenden oder Schauenden) eins werden kann, ohne dass hierzu ein Abbild von ihr nötig wäre. Der Grund hiervon liegt darin, dass die göttliche Wesenheit ihr Dasein selbst ist; was außer ihr keiner andern Form (keiner andern Wesenheit) mehr zukommt (siehe oben Kap. 11; Cg. III, 51: cum verum sequatur ad esse, illud tantum sua veritas est, quod est suum esse; quod est proprium soli Deo. Alia igitur intelligibilia subsistentia - die Engel - sunt non ut pura forma in genere intelligibilium - sind also, wenn auch auf geistigem Gebiet stehend, doch nicht absolute Geistigkeit -, sed ut formam in subjecto aliquo habentes - sie sind also nicht absolut abstrakt, sondern noch in einem gewissen Sinn konkret = zusammengesetzt (concrescere), nämlich aus ihrer Wesenheit, die nicht absolut existiert, sondern in einem Subjekt - und aus ihrem Dasein, das nicht schrankenlos ist, sondern eben durch ihre Wesenheit auf ein bestimmtes Gebiet restringiert wird. - Est enim unumquodque eorum verum, non veritas, sicut et est ens, non autem ipsum esse. Manifestum est igitur, quod essentia divina potest comparari ad intellectum creatum ut species intelligibilis, qua intelligit; und dies eben deshalb, weil sie nicht bloß etwas Wahres, sondern eben die absolut abstrakte Wahrheit selbst ist, die sich ohne Weiteres mit dem Verstand einigen kann, während alle Dinge, auch die geistigen, die bloß wahr sind, nur durch ein Abbild mit dem Verstand eins werden können; vergl. hierzu: Cg. II, 52; 1 q 50 a 2 ad 3m). Nun muss (soll ein Ding erkannt oder geistig geschaut werden) seine Form im denkenden Verstand sein. Soll nun eine Form (eine Wesenheit), selbst eine solche, die (im Gegensatz zu den Körperformen) in sich selbst existiert, wie z. B. ein Engel, von dem Verstand eines Andern erkannt, geistig geschaut werden, so kann sie in dieser ihrer Existenz nicht selbst den Verstand des Andern informieren (als Erkenntnisform sich mit ihm verbinden, weil sie eben nicht rein abstrakt, sondern immerhin konkret existierend ist); es muss also diese Informierung des Verstandes durch ein Abbild von ihr geschehen. Dies aber ist bei der göttlichen Wesenheit nicht notwendig, denn diese ist ihr Sein selbst (und darum auch ihre Wahrheit selbst, und als solche geeignet, den Verstand zu informieren). So also wird bei der Anschauung Gottes der Geist des Seligen in der Erkenntnis eins mit Gott. - Da nun der Erkennende und das Erkannte im gewissen Sinn eins sind; so werden, da Gott in den Heiligen herrscht, auch diese wiederum mit ihm herrschen; deshalb heißt es in ihrer Person (Offb 5, 10): "Du hast uns unserem Gott zu einem Königreich und zu Priestern gemacht, und wir werden herrschen auf Erden." Dieses Reich nun, in welchem Gott in den Heiligen herrscht und die Heiligen mit Gott herrschen, wird das Himmelreich genannt, nach dem Wort der Schrift (Mt 3, 2): "Tut Buße Buße, denn das Himmelreich ist nahe." Dieser Ausdruck "Himmelreich", will dasselbe sagen, wie wenn es heißt, Gott sei im Himmel: nicht als wäre er im Himmel im körperlichen Sinn enthalten und von ihm umschlossen, sondern um Gottes unendliche Erhabenheit über alle Kreatur zum Ausdruck zu bringen, die alles Geschaffene ebenso überragt, wie die Himmel die übrige Körperwelt; so heißt es in der Schrift (Ps 113, 4): "Hoch erhaben über alle Völker ist der Herr, und über die Himmel seine Herrlichkeit." Darum wird auch die Seligkeit der Heiligen als Himmelreich bezeichnet, nicht als vollzöge sich etwa ihre Belohnung im körperlichen Himmel, sondern weil sie in der Betrachtung der über alle Himmel erhabenen Natur Gottes besteht; deshalb heißt es von den Engeln (Mt 18, 10): "Ihre Engel im Himmel schauen immerdar das Angesicht meines Vaters, der im Himmel ist." Darum sagt Augustin (de sermone Dom. in monte lib. I c. 5 n. 15) indem er das Wort Christi auslegt: "Euer Lohn ist groß im Himmel" (Mt 5, 12): "Unter "Himmel" sind hier, wie ich glaube, nicht die oberen Teile dieser sichtbaren Welt zu verstehen; denn unser Lohn darf nicht in wandelbare Dinge verlegt werden; sondern unter den Himmeln wollen wohl geistige Grundfesten, in denen die ewige Gerechtigkeit wohnt, verstanden werden."

Dieses letzte und höchste Gut des Menschen, das in Gott besteht, wird auch "ewiges Leben" genannt, in dem Sinn, in welchem man die Tätigkeit der belebenden Seele "Leben" nennt; weshalb man ja auch ebenso viele Arten oder Stufen des Lebens unterscheidet, als es Arten derartiger Seelentätigkeiten gibt (also entsprechend der vegetativen Seelentätigkeit das vegetative Leben, der sensitiven Tätigkeit, das sensitive Leben usw.); unter diesen ist die höchste die Vernunfttätigkeit; darum ist nach Aristoteles die Tätigkeit der Vernunft Leben. Weil nun die Tätigkeit durch ihr Objekt ihre spezifische Bestimmtheit erhält, so wird die Anschauung der Gottheit das ewige Leben genannt, nach dem Wort Christi (Joh 17, 3): "Das aber ist das ewige Leben, dass sie dich, den allein wahren Gott erkennen." Siehe oben Kap. 149 u. 150.

Dieses letzte und höchste Gut wird auch Erreichung des Zieles (ein Ergreifen und Begreifen) genannt, nach dem Wort (Phil 3, 12): "Ich strebe darnach, um es auf irgend eine Weise zu ergreifen." Dieses Begreifen ist nicht im Sinne von Umschließen zu fassen; denn das, was von einem andern umschlossen wird, ist ganz in diesem enthalten. Nun aber kann der geschaffene Verstand Gottes Wesenheit unmöglich ihrem ganzen Inhalt und Umfang nach schauen, also so, dass er die nach allen Seiten hin vollendete und vollkommene Art der Anschauung Gottes besäße: dass er nämlich Gott soweit schaut, als dieser überhaupt geschaut werden kann. Nun aber ist Gott erkennbar und kann geschaut werden, soweit die Klarheit seiner Wahrheit reicht; diese aber ist unendlich, ohne Grenzen und Schranken, also kann er bis ins Unendliche fort, grenzenlos und schrankenlos erkannt und geschaut werden; eine solche Tätigkeit aber kann ein geschaffener Geist nicht entfalten; denn seine Erkenntniskraft ist eben eine endliche, eine begrenzte und beschränkte. Gott allein erkennt und schaut sich durch die unendliche Kraft seines Geistes in grenzen- und schrankenloser Weise, er erkennt sich also nach seinem ganzen Inhalt und Umfang, und begreift oder ergründet sich also im eigentlichen Sinn. Den Heiligen aber wird ein Begreifen Gottes im Sinne eines Ergreifens und Festhaltens versprochen. Wenn nämlich jemand einem andern nachgeht, so sagt man, er ergreife (begreife) ihn, wenn er ihn mit der Hand festhalten kann. -"So lange wir nun im Leib sind, pilgern wir", wie es (2 Kor 5, 6) heißt, "entfernt vom Herrn; denn im Glauben wandeln wir, nicht im Schauen." Und so streben wir auf ihn zu, wie zu Etwas, das von uns entfernt ist. Wenn wir ihn aber im Schauen (in der Anschauung Gottes) gegenwärtig sehen, halten wir ihn (durch dieses Schauen) in uns fest. Darum sagt die Braut, die den sucht, den ihre Seele liebt (Hld 3, 4): "Ich halte ihn fest, und will ihn nimmer lassen."

Dieses letzte und höchste Gut des Menschen ist aber auch verbunden mit ewiger und voller Freude; darum sagt der Herr (Joh 16, 24): "Bittet, und ihr werdet empfangen, damit eure Freude voll sei." Nun aber ist kein Geschöpf imstande, uns eine absolut volle Freude zu gewähren; dies kann nur Gott allein; denn nur in ihm allein ist die ganze Fülle der Güte und Vollkommenheit; darum sagt der Herr zum getreuen Knecht (Mt 25, 21): "Gehe ein in die Freude deines Herrn" - d. h. habe deine Freude an deinem Herrn, wie es abermals heißt (Job 22, 26): "Du wirst ob des Allmächtigen überfließen von Lust." Weil nun der hauptsächliche Gegenstand, über den Gott Freude empfindet, er selbst ist, so heißt es vom getreuen Knecht, er gehe hinein in die Freude seines Herrn, weil er nämlich in die Freude selbst eintritt, in der sich sein Herr freut (nämlich der göttlichen Wesenheit, mit der er sich in der visio beatinca eint). So verspricht auch der Herr anderswo seinen Jüngern (Lk 22, 29 f): "Ich bereite euch das Reich, wie mir es mein Vater bereitet hat, dass ihr esst und trinkt an meinem Tische in meinem Reich." Das ist nicht so zu denken, als wenn bei der Erreichung des letzten und höchsten Gutes die Heiligen sich etwa leiblicher Nahrung bedienen würden - sind sie ja schon im Zustand der Unvergänglichkeit - sondern unter dem Tisch ist der freudenreiche Genuss zu verstehen, den Gott an seinem eigenen Wesen findet, wie diesen auch die Heiligen an ihm finden. Diese Fülle der Freude bemisst sich aber nicht bloß nach dem Gegenstand, über den man sich freut, sondern auch nach der Verfassung und dem Zustand dessen, der sich freut; dass er nämlich die Sache, an der er sich erfreut, gegenwärtig hat, sowie dass das ganze Fühlen und Begehren dessen, der sich freut, durch die Liebe sich auf die Ursache der Freude richtet.

Nun ward schon nachgewiesen, dass bei der Anschauung der göttlichen Wesenheit der geschaffene Geist Gott selbst gegenwärtig hat und festhält: und das Anschauen Gottes selbst entflammt das ganze Fühlen und Begehren des Menschen zur Liebe zu Gott. Wenn nämlich ein jedes Ding dadurch und insoweit liebenswürdig ist, als es schön und gut ist, wie (Pseudo) Dionysius (de divin. nomin. c. 4) bemerkt - so kann unmöglich Gott - welcher (nicht bloß etwas Schönes und Gutes) sondern die wesenhafte Schönheit und Güte selbst, ist, nicht geschaut werden, ohne geliebt zu werden. Aus der vollkommenen Anschauung seines Wesens ergibt sich also die vollkommene Liebe desselben. Darum sagt Gregor (d. Gr. super Ezech). "Das Feuer der Liebe, das hier zu brennen beginnL, entflammt in höherer Liebe, wenn es den, den es liebt, selbst schaut." Die Freude nun, die wir über etwas haben, was wir als gegenwärtig besitzen, ist um so größer, je größer unsere Liebe zu demselben ist; darum ist jene Freude eine absolut volle, nicht bloß wegen des Gegenstandes, über den man sich freut, sondern auch von Seiten dessen, der die Freude empfindet. Und in dieser Freude besteht (nicht zwar das Wesen, wohl aber) die Vollendung der menschlichen Glückseligkeit; darum sagt Augustin (Confessiones 1. 10 c. 23): "die Seligkeit ist die Freude an der Wahrheit". (Die Seligkeit ist nach dem hl. Thomas nicht wesentlich Genuss, sondern ihrem innersten Wesen nach Tätigkeit, und zwar die höchste Tätigkeit des Menschen, die Vernunfttätigkeit, durch welche Gott in der visio beatifica der Seele gegenwärtig wird und diese mit ihm als ihrem letzten Ziel sich eint; in diesem erreichten Ziel ruht der Wille freudig und selig. 1. 2. q 3 vgl. q 4 a 1 u. 2. f. oben Kap. 106).

Weil nun Gott die wesenhafte Güte und Vollkommenheit selbst ist, so ist er das Gut, durch welches jedes andere Gute gut ist; darum schaut, wer ihn schaut, alles Gute, wie der Herr selbst sagt, (da er sich Moses zeigte, Ex 33, 19): "Ich will dir alles Gute zeigen." Wer also ihn besitzt, der hat alles Gute, nach dem Wort der Schrift (Weish 7, 11): "Es kam mir alles gute zugleich mit ihr (d. h. mit der göttlichen Weisheit, also mit Gott selbst). In jenem letzten und höchsten Gute, der Anschauung Gottes nämlich, werden wir also alles Gute voll und ganz haben; darum verspricht der Herr dem getreuen Knecht (Mt 24,,47), "dass er ihn über alle seine Güter setzen will."

Da nun das Böse dem Guten gerade entgegengesetzt ist, so muss, wenn alles Gute in seiner ganzen Fülle vorhanden ist, das Böse völlig ausgeschlossen sein (da es ja eben in dem teilweisen Mangel des Guten besteht siehe oben Kap. 114). Denn die Gerechtigkeit hat keine Gemeinschaft mit der Ungerechtigkeit, noch auch gesellt sich das Licht zur Finsternis (2 Kor 6, 14).

In jenem seligen Endzustand werden also die Seligen nicht nur den Vollbesitz des Guten haben, sondern auch volle Ruhe und Sicherheit durch den Ausschluss aller Übel; in diesem Sinne heißt es (Spr 1, 33); "Wer auf mich hört, wird ruhen ohne Schrecken, wird genießen die Fülle, und alle Furcht vor Übeln ist ausgeschlossen."

Daraus ergibt sich weiterhin, dass dort allseitiger Friede herrschen wird. Der Friede des Menschen wird gestört von Innen durch die Unruhe, welche Begierde und Verlangen nach Etwas was man nicht hat, erregen, und von Außen durch Belästigung, welche Übel verursachen, die man wirklich erleidet, oder wenigstens zu erleiden fürchtet. Dort aber wird es keine Furcht mehr geben; denn die Unruhe des Verlangens schwindet wegen des Vollbesitzes aller Güter; auch alle Belästigung von Außen wird verschwinden, da alles Übel fern ist: es herrscht also dort vollständige friedliche Ruhe. Darum heißt es (Jes 32, 18): "Mein Volk wohnt in der Schönheit des Friedens", d. i. im vollkommenen Frieden; auch der Grund und die Ursache dieses Friedens wird angegeben mit den Worten: "in Hütten, die Sicherheit gewähren", denn diese tritt ein, wenn die Furcht vor dem Übel aufgehoben ist; und endlich "in übersehwänglicher, reichlicher Ruhe", um das Zusammenströmen alles Guten auszudrücken.

Diese Vollkommenheit des seligen Endzustandes aber wird immer fortdauern. Denn er kann nicht aufhören durch das Schwinden der Güter, die der Mensch genießt; denn diese sind ewig und unvergänglich; darum heißt es (Jes 33, 20 f.): "Deine Augen schauen Jerusalem als reiche Wohnung, als Zelt, das man nimmermehr wegrücken kann"; und als Grund wird beigefügt: "denn da ist unser Herr allein in seiner Herrlichkeit." Denn die ganze Vollkommenheit jenes Zustandes besteht eben im Genuss der Ewigkeit Gottes. - Jener Zustand kann ferner nicht aufhören etwa dadurch, dass jene vergehen, die sich in ihm befinden. Denn entweder sind sie von Natur aus unvergänglich, wie die Engel; oder sie werden in den Zustand der Unsterblichkeit versetzt (auch dem Leib nach), wie die Menschen: "es muss nämlich dieses Verwesliche die Unverweslichkeit anziehen" (1 Kor 15, 53). Deshalb heißt es in der Geheimen Offenbarung (3,12): "Wer den Sieg gewinnt, den mache ich zu einem Pfeiler im Tempel meines Gottes, und er wird nicht mehr hinauskommen." - Es kann jener Zustand auch kein Ende nehmen dadurch, dass etwa der menschliche Wille an ihm Überdruss bekommt und sich (von Gott, in dessen Anschauung eben dieser Zustand besteht), abwendet. Denn je mehr Gott, der ja die wesenhafte Güte selbst ist, geschaut wird, desto mehr wird sein Genuss ersehnt, nach dem Schriftwort (Sir 24, 29): "Die mich essen, haben immer wieder Hunger, und die mich trinken, haben immer wieder Durst." Darum heißt es auch von den Engeln, die Gott schauen (1 Petr 1, 12): "nach seinem Anblick sehnen sich die Engel." - Jener Zustand nimmt ferner kein Ende etwa durch Bekämpfung von Seiten der Feinde; denn dort hört überhaupt jede Belästigung auf, nach dem Wort der Schrift (Jes 35, 9): "Dort wird kein Löwe sein", d. h. der Teufel mit seiner Anfechtung (vgl. 1 Petr 5, 8) "und kein böses Tier", d. h. kein böser Mensch, "darauf hinanziehen und daselbst gefunden werden." Darum sagt der Herr von seinen Schafen (Joh 10, 28), dass "sie in alle Ewigkeit nicht verloren gehen, und dass sie niemand seiner Hand zu entreißen vermag." - Dieser Zustand kann endlich auch dadurch kein Ende nehmen, dass etwa der Eine oder der Andere davon wieder ausgeschlossen würde. Denn es kann zu diesem Ausschluss nicht eine etwaige SchuId den Anlass geben; denn von einer solchen kann dort überhaupt keine Rede mehr sein, wo es überhaupt nichts Böses mehr gibt; in diesem Sinn heißt es (Jes 60, 21): "Dein Volk werden lauter Gerechte sein." Den Grund hierzu kann sodann auch nicht der Zweck abgeben, dass der Mensch etwa dadurch zu einem höheren Gut befördert werde, wie dies auf dieser Welt der Fall ist, wo Gott bisweilen auch den Gerechten den geistigen Trost, sowie andere Beweise seines Wohlwollens entzieht. damit sie dann darnach um so eifriger begehren, und ihre Nachlässigkeit erkennen; jener Endzustand aber ist eben nicht mehr der Zustand, in welchem etwa noch Etwas verbessert werden oder Etwas noch weiter fortschreiten könnte: sondern es ist eben einfach der Zustand der zum endgültigen Abschluss gekommenen Vollkommenheit; darum sagt der Herr (Joh 6, 37): "Den, der zu mir kommt, werde ich nicht hinausstoßen." Also wird jener Zustand alle vorgenannten Güter auf immer und ewig haben, nach dem Schriftwort (Ps 5, 12): "In alle Ewigkeit werden sie frohlocken, und wirst du in ihnen wohnen."

Dieses Reich also ist die vollkommene Seligkeit, denn es ist der unwandelbare Vollbesitz alles Guten. Weil nun die Seligkeit von allen Menschen von Natur aus im dunklen Drang (siehe oben Kap. 104) ersehnt wird, so wird eben das Reich Gottes von Allen ersehnt.

256. Kapitel: Die Erlangung dieses Reiches ist möglich

Nun ist weiter nachzuweisen, dass der Mensch auch zu diesem Reich gelangen kann; andernfalls würde es ja umsonst gehofft und erfleht. - Diese Möglichkeit ergibt sich erstens daraus, dass Gott es versprochen hat. Denn der Herr sagt (Lk 12, 32): "Fürchte dich nicht, du kleine Herde; denn es hat euerm Vater gefallen, euch das Reich zu geben." Der göttliche Ratschluss aber hat die Kraft, alles zu erfüllen, was er sich vornimmt, nach dem Wort (Jes 46, 10): "Mein Ratschluss hat Bestand, und all mein Wille geschieht"; denn: "wer kann seinem Willen Widerstand leisten ?" (Röm 9, 19). - Zweitens erweist sich diese Möglichkeit aus einem offenkundigen Beispiele ...

(Soweit kam der hl. Thomas in der Abfassung dieses Werkes; vom Tod überrascht, ließ er es leider unvollendet zurück).

Literatur