Anna Katharina Emmerich: Palmsonntag bis Pfingsten

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EMMERICK - VISIONEN
Das arme Leben und bittere Leiden unseres Herrn Jesus Christus nach den Visionen der gottseligen Anna Katharina Emmerick

aus den Tagebüchern des Clemens Brentano, Herausgegeben von Pater C. E. Schmöger von der Kongregation des allerheiligsten Erlösers (CSSR), Mit kirchlicher Druckerlaubnis, Immaculata Verlag Reussbühl / Luzern, Band 4: 1973, S. 9-361 (382 Seiten, Erste Auflage).

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Inhaltsverzeichnis

Palmsonntag

1. Die letzten Wochen vor der Passion. Jesu Lehren im Tempel

Nach Bethanien zurückgekehrt, ging Jesus schon tags darauf zum Tempel, um zu lehren. Es begleitete Ihn seine heiligste Mutter ein Stück Weges. Er bereitete sie auf sein nahes Leiden vor und sagte, es nahe die Zeit. dass die Weissagung Simeons, es werde ein Schwert ihr durch die Seele gehen, an ihr erfüllt werde. Man werde Ihn ohne Erbarmen verraten, gefangen nehmen, misshandeln und wie einen Verbrecher hinrichten, und sie werde dies mitansehen müssen. Jesus sprach sehr lange davon, und Maria war sehr betrübt.

Jesus herbergte im Hause der Maria Markus, der Mutter des Johannes Markus, das etwa eine Viertelstunde vom Tempel entfernt und wie vor der Stadt war. Tags darauf lehrte Er, nachdem die Juden den Tempel verlassen hatten, in demselben öffentlich und sehr ernst. Es waren alle Apostel in Jerusalem, gingen aber nur vereinzelt und von verschiedenen Seiten her zum Tempel. Jesus lehrte in der runden Halle, wo Er in seinem zwölften Jahre geredet hatte. Es waren Stühle und Stufen für die Zuhörenden angebracht und sehr viele Leute waren zusammen gekommen.

Es hat für Jesus sein Leiden eigentlich schon begonnen, denn Er ist innerlich wie gemartert von der bittersten Betrübnis über die Verkehrtheit der Menschen. An diesem und dem folgenden Tag herbergte Jesus im Haus vor dem Bethlehemer-Tor, wo Maria eingekehrt war, da sie Ihn als Kind zur Opferung in den Tempel brachte. Es waren dort mehrere Gemächer nebeneinander und ein Mann hatte die Aufsicht. Wenn Jesus zum Tempel ging, begleiteten Ihn nur Petrus, Jakobus der Ältere und Johannes. Die anderen kamen einzeln. Die Apostel und Jünger herbergten in Bethanien bei Lazarus.

Da Jesus an einem folgenden Tage von morgens bis mittag im Tempel gelehrt hatte, wo auch Pharisäer bei der Lehre zugegen waren, ging Er nach Bethanien zurück, wo Er mit seiner Mutter wieder von seinem bevorstehenden Leiden sprach. Sie standen im Hof des Hauses in einer offenen Laube.

Nikodemus, Joseph von Arimathäa, die Söhne Simeons und andere heimliche Jünger erscheinen nicht öffentlich bei den Lehren Jesu im Tempel. Sind keine Pharisäer zugegen, so hören sie, wie versteckt, aus der Ferne zu.

In seinen Lehren sprach Jesus dieser Tage wiederholt in Gleichnissen von einem verwilderten Acker, der behutsam behandelt werden müsse, damit mit dem Unkraut nicht zugleich der gute Weizen, der fortwuchern müsse, ausgerissen werde. Jesus sagte dabei den Pharisäern so treffend die Wahrheit, dass sie bei allem Zorn doch eine heimliche Freude daran hatten.

Bei einer späteren Lehre aber verschlossen sie aus Erbitterung den Zugang zur Lehrhalle, damit nicht noch mehr Zuhörer hinein könnten. Jesus lehrte an diesem Tage bis tief in die Nacht. Er bewegte sich nicht stark, redete sehr einfach und wendete sich bald nach dieser, bald nach jener Seite. Er sagte, dass Er für dreierlei Menschen gekommen sei, wobei Er nach drei Seiten des Tempels, nach drei Weltgegenden hinzeigte, und darin sei alles begriffen. Schon auf dem Weg zum Tempel hatte Er zu den begleitenden Aposteln gesagt, wenn Er von ihnen geschieden sein werde, dann sollten sie Ihn im Mittag suchen. Petrus aber war immer so dreist und fragte, was das heiße «im Mittag»? Da hörte ich Jesus sagen: im Mittag stehe die Sonne über uns und es sei kein Schatten. Im Morgen und Abend sei Schatten bei Licht und in Mitternacht sei Nacht. Sie sollten Ihn im Mittag suchen, sie würden Ihn finden auch in sich, wenn kein Schatten sei. Es hatten diese Worte aber auch eine Bedeutung von Weltgegend; was ich jedoch nicht mehr zu sagen weiß.

Die Juden werden schon trotziger. Sie verschlossen das Gitter um den Lehrstuhl und den Lehrstuhl selber. Als Jesus aber mit den Jüngern wieder in die Halle kam, ergriff Er das Gitter und es öffnete sich. Auch der Stuhl tat sich vor seiner Hand auf. Ich erinnere mich, dass viele Schüler Johannes des Täufers und heimliche Anhänger Jesu zugegen waren, und dass Er anfing, von Johannes zu reden, und fragte, was sie von diesem hielten und von Ihm selbst? Er wollte, dass sie sich öffentlich kund tun sollten. Sie fürchteten sich aber, herauszureden. Er knüpfte daran die Parabel von einem Vater und zwei Söhnen, die einen Acker umbrechen und ausjäten sollten. Der eine Sohn sagte ja, tat es aber nicht. Der andere sagte nein, aber es reute ihn und er tat es doch. Jesus lehrte lange hierüber. Nach seinem späteren feierlichen Einzug in Jerusalem lehrte Er nochmals über diese Parabel.

Als Jesus tags darauf von Bethanien aus wieder zum Tempel ging, wohin Jünger vorausgegangen waren, um die Lehrhalle aufzumachen, da rief Ihn am Weg ein Blinder flehentlich um Heilung an. Er ging aber an ihm vorüber. Die Jünger waren unzufrieden. Jesus sprach aber in seiner Lehre davon, warum Er es nicht getan habe. Der Mann sei an seiner Seele noch blinder, als an den Augen. Er lehrte sehr ernst und sagte, viele seien anwesend, welche nicht an Ihn glaubten und nur der Wunder wegen Ihm nachliefen. Sie würden Ihn in der entscheidenden Stunde verlassen. Sie seien wie jene Leute, welche Ihm gefolgt seien, da Er sie gespeist mit irdischer Speise, die jedoch nachher sich zerstreut hätten. Diese aber sollten sich jetzt ausscheiden. Ich sah, dass unter dieser Rede sehr viele weggingen und wenig über hundert um den Herrn versammelt blieben. Ich sah auch, dass Jesus hierüber weinte, als Er nach Bethanien zurückkehrte.

Am folgenden Tage ging Jesus von Bethanien erst gegen abend in Begleitung von sechs Aposteln, die hinter Ihm folgten, zum Tempel. Er setzte selber die Stühle in der Halle aus dem Weg und in Ordnung, worüber die Jünger sich sehr wunderten. Er lehrte darüber und sagte auch, dass Er sie nun bald verlassen werde.

Am Sabbat darauf lehrte Jesus vom Morgen bis zum Abend im Tempel, teils vor den Aposteln und Jüngern allein in einem besonderen Raum, denen Er in allgemeinen Worten vieles Zukünftige vorhersagte, teils in der Lehrhalle, wo auch die lauernden Pharisäer und andere Juden die Lehre mitanhören konnten. Nur um mittag machte Er eine Pause. Jesus sprach von verfälschten Tugenden, von einer Liebe, worin Selbstliebe und Habsucht, von einer Demut, worin Eitelkeit sei, und wie fein sich das Böse in alles einschleiche. Er wies darauf hin, dass viele glaubten, es sei ein weltliches Reich und in ihm ein Amt zu erwarten und dass sie nun hofften, bei Ihm ohne Leiden etwas zu werden, wie selbst die fromme Mutter der Kinder Zebedäi eine Auszeichnung ihrer Söhne von Ihm verlangt habe. Er sprach auch, dass man sich keine toten Schätze sammeln solle, und vom Geiz; und ich fühlte, dass Er damit auf Judas zielte. Auch redete Er von der Abtötung, vom Fasten und Beten und von der Heuchelei, welche von manchen darin getrieben werde, und erwähnte dabei des Zornes der Pharisäer gegen die Jünger, als sie vor einem Jahr um diese Zeit Ähren abstreiften. Er wiederholte manche früheren Lehren und erklärte überhaupt vieles aus seinem ganzen Wandel.

Er sprach von seiner Abwesenheit. lobte das Verhalten der Jünger während derselben, erwähnte auch seine Begleiter, lobte ihre Verschwiegenheit, ihre Folgsamkeit und in welchem Frieden Er mit ihnen gewandelt sei. Er sprach sehr rührend hiervon. Dann kam Er auf die nahe Erfüllung seiner Sendung, auf sein Leiden und sein baldiges Ende, vor welchem Er aber noch feierlich in Jerusalem einziehen werde. Er berührte, wie erbarmungslos sie mit Ihm umgehen würden: Er müsse aber leiden und unendlich leiden, um genugzutun. Da sprach Er auch von seiner heiligsten Mutter, und was und wie sie mit Ihm leiden werde. Er zeigte die tiefe Verderbtheit und Schuld der Menschen, und dass ohne sein Leiden keiner könne gerechtfertigt werden. Bei den Worten von seinem genugtuenden Leiden tobten und höhnten die Juden. Einzelne gingen hinaus und redeten mit bestelltem Gesindel. Jesus aber sprach zu den Seinen, sie sollten sich nicht darüber beunruhigen, seine Zeit sei noch nicht da, auch dieses gehöre zu seinem Leiden.

Er berührte in seiner Lehre das Abendmahls- und Versammlungshaus, wo sie später den Heiligen Geist empfingen, ohne es jedoch zu nennen. Er sprach von einer Versammlung und dem Genuss einer Stärkung und Erquickung, und wie Er ewig in derselben bei ihnen sein wolle. Auch von seinen heimlichen Jüngern war die Rede, den Söhnen Simeons und andern. Er entschuldigte vor den öffentlichen Jüngern ihre Zurückhaltung, sie sei nützlich: denn sie hätten einen anderen Beruf. Da mehrere Leute von Nazareth aus Neugierde in den Tempel gekommen waren, Ihn zu hören, so sprach Jesus ihnen zu Gehör, dass es ihnen nicht ernst sei.

Als die Apostel und Jünger allein um Ihn standen, berührte Jesus vieles, was nach seinem Hingang zum Vater vorgehen werde. Zu Petrus sagte Er, er werde viel zu leiden haben. Er solle sich aber nicht fürchten und getreu ausharrend der Gemeinde vorstehen, die sich wunderbar mehren werde. Drei Jahre solle er mit Johannes und Jakobus des Jüngeren in Jerusalem bei der Kirche bleiben. Er sprach von dem Jüngling, der zuerst sein Blut für Ihn vergießen werde, doch ohne den Namen des Stephanus zu nennen. Auch von der Bekehrung des Verfolgers, der mehr tun werde, als viele andere, sprach Er, ohne aber den Namen des Paulus auszusprechen. Sie konnten das nicht recht einsehen.

Er deutete auf die Verfolgungen des Lazarus und der heiligen Frauen und sagte den Aposteln, wohin sie nach seinem Tod und im ersten halben Jahre gehen sollten. Petrus, Johannes, Jakobus d.J. sollten in Jerusalem bleiben, Andreas, Zachäus sollten ins Land Galaad, Philippus und Bartholomäus nach Gessur an der syrischen Grenze gehen. Ich sah dabei, wie diese vier Apostel bei Jericho über den Jordan und dann gegen Mitternacht zogen, und wie Philippus in der Stadt Gessur eine Frau heilte und sehr geliebt. später aber verfolgt wurde. Nicht weit von Gessur war Bartholomäus zuhause, der von einem König dieser Stadt. der mit David verwandt war, abstammte. Er war auch so fein gegen die andern Apostel. Diese vier Apostel blieben nicht bei einander, sondern wirkten an verschiedenen Orten der Gegend. Galaad, wohin Andreas und Zachäus gingen, war nicht weit von Pella, wo Judas in seiner Jugend erzogen worden war.

Jakobus der Größere und ein anderer Jünger sollten in die heidnischen Grenzen nördlich von Kapharnaum hinauf. Thomas und Matthäus aber vorerst nach Ephesus, um die Gegend vorzubereiten, wo einst seine Mutter und viele, die an Ihn glaubten, wohnen würden. Sie wunderten sich aber sehr, dass Maria da wohnen sollte. Thaddäus und Simon sollten anfangs nach Samaria gehen. Da wollte keiner gerne hin, lieber wollten sie in ganz heidnische Städte.

Er verkündete ihnen auch, dass sie alle noch zweimal in Jerusalem zusammenkommen würden, ehe sie das Evangelium im fernen Heidentum verkündigen würden. Er erwähnte auch eines Mannes zwischen Samaria und Jericho, der viele Wunder gleich Ihm, aber aus der Macht des Teufels tun werde. Er werde sich bekehren wollen, und sie sollten ihn annehmen, denn auch der Teufel müsse zu seiner Verherrlichung beitragen. Es war Simon Magus gemeint. Unter dieser Lehre fragten Ihn die Apostel wie einen vertrauten Lehrer über das, was sie nicht verstanden, und Er erklärte ihnen so viel, als nötig war. Es ging alles so natürlich her.

Drei Jahre nach der Kreuzigung kamen alle Apostel in Jersualem zusammen. Dann verließen Petrus und Johannes die Stadt und Maria zog mit Johannes nach Ephesus. In Jerusalem erhob sich nun die Verfolgung gegen Lazarus, Martha und Magdalena, welch letztere bis dahin jene Höhle in der Wüste büssend bewohnt hatte, in welche Elisabeth den Johannes bei dem Kindermord geflüchtet hatte. Die Apostel haben in der ersten Zeit alles zusammengebracht, was zum Kirchenkörper gehörte. In der Hälfte der Zeit, welche Maria nach Christi Himmelfahrt noch lebte, ungefähr im sechsten Jahre nach der Himmelfahrt, waren sie in Jerusalem nochmals versammelt, machten das Glaubensbekenntnis, ordneten alles, teilten und veräußerten alles Ihrige und teilten den Kirchenkörper in Diözesen ein, worauf sie zerstreut ins fernere Heidenland zogen. Beim Tod Mariä kamen sie zum letzten Mal zusammen, und verteilten sich dann in weitere Gegenden bis zu ihrem Ende.

Als Jesus nach dieser Lehre den Tempel verließ, lauerten die erbitterten Pharisäer am Ausgang und auf dem Weg auf Ihn und wollten Ihn steinigen. Jesus aber entzog sich ihnen, ging nach Bethanien und kam drei Tage lang nicht mehr zum Tempel. Er wollte den Aposteln und Jüngern Zeit lassen, über das Gehörte ruhig nachzudenken. Sie kamen auch zu Ihm, um sich manches noch mehr erklären zu lassen. Jesus befahl ihnen, das, was Er über die Zukunft gesagt aufzuzeichnen. Ich sah, dass Nathanael. der Bräutigam von Kana, der sehr geschickt zu schreiben war, dies tat und wunderte mich, dass nicht Johannes, sondern ein Jünger die Aufschreibung machte. Nathanael hatte damals noch keinen anderen Namen: er empfing ihn erst in der Taufe.

In diesen Tagen kamen drei junge Männer aus der Chaldäerstadt Sikdor nach Bethanien zu Lazarus, der sie in der Jüngerherberge unterbrachte. Diese Jünglinge waren sehr groß und schlank, sehr fein und behende und viel edler gestaltet, als die Juden. Jesus sprach nur wenig mit ihnen und wies sie an den Hauptmann von Kapharnaum, der ein Heide gewesen, wie sie, und sie belehren solle. Ich sah sie auch bei dem Hauptmann, der ihnen von der Heilung seines Knechtes erzählte und sagte, dass er auch aus Scham über die Götzenbilder in seinem Hause, und weil gerade die heidnische Fastnacht gewesen sei, Jesus den Sohn Gottes gebeten habe, nicht in sein heidnisches Haus einzugehen. Fünf Wochen vor dem jüdischen Osterfeste hatten die Heiden ihre Fastnacht, bei der sie die ärgsten Schändlichkeiten verübten. Der Hauptmann Cornelius hatte nach seiner Bekehrung alle metallenen Götzenbilder zu Tempelgefäßen und Almosen hingegeben. Die drei Chaldäer kehrten von Kapharnaum nach Bethanien und von da nach Sikdor zurück, wo sie die anderen Bekehrten sammelten und mit ihnen und ihren Schätzen zum König Mensor zogen.

Jesus, der bisher nur mit drei Begleitern zum Tempel gegangen war, ging von jetzt an mit der ganzen Schar der Apostel und Jünger dahin. Ich sah die Pharisäer von seinem Lehrstuhl hinweg in die Hallen umher zurückweichen und durch die Bogen herein auf Ihn lauern, da Er zu lehren begann und den Jüngern sein Leiden voraussagte.

In den Mauern eines Vorhofes vorn am Eingang zum Tempel hatten sieben bis acht Krämer ihren Aufenthalt, um Lebensmittel und ein rotes Getränk in kleinen Flaschen zu verkaufen. Sie waren wie Marketender, und ich weiß nicht, ob sie sehr fromm waren. Die Pharisäer aber sah ich oft zu ihnen hinschleichen. Da nun Jesus, der in Jerusalem übernachtet hatte, mit allen den Seinigen des Morgens zum Tempel gehend an die Halle dieser Krämer kam, befahl Er ihnen, augenblicklich mit ihren Waren sich fortzumachen. Da sie zögerten, legte Er selber Hand an, räumte ihre Sachen zusammen und ließ sie wegtragen. Als Er nun in den Tempel kam, war der Lehrstuhl von anderen besetzt: aber sie wichen so rasch, als würden sie von Ihm selbst weggetrieben.

Am Sabbat darauf lehrte Er wieder im Tempel, nachdem die Juden ihre Sabbatsfeier geschlossen hatten, bis spät in die Nacht. Er gab in dieser Lehre wiederholt Andeutungen von seiner Reise zu den Heiden, dass wohl zu verstehen war, wie gut und willig die Heiden seine Lehre aufgenommen hatten. Er berief sich auf die jüngst erfolgte Ankunft der drei Chaldäer, welche Zeugnis davon geben könnten. Diese hatten Jesus bei seiner Anwesenheit in Sikdor nicht gesehen, aber sie hatten von seinen Lehren gehört und waren so davon bewegt, dass sie nach Bethanien reisten, um sich noch mehr zu unterrichten.

Am folgenden Tag ließ Jesus drei Bogen der Lehrhalle absperren, um allein vor seinen Aposteln und Jüngern zu lehren. Er wiederholte hier seine früheren Lehren vom wahren Fasten und dem pharisäischen Fasten und berührte sein eigenes Fasten in der Wüste. Er kam auch auf viele Begebenheiten aus seinem Wandel zu reden, und wozu und wie Er die Apostel berufen habe. Er nahm dabei die Apostel paarweise vor sich. Mit Judas aber sprach Er nur wenig: dieser trug den Verrat schon im Herzen, war erzürnt und hatte bereits mit den Pharisäern gesprochen. Nach den Aposteln wendete sich Jesus an die Jünger und sprach auch von ihrer Berufung.

Alle sehe ich sehr traurig. Das Leiden Jesu muss nahe sein. Die letzte Lehre Jesu im Tempel vor Palmsonntag währte vier Stunden lang. Der Tempel war ganz voll. Alle, die wollten, konnten zuhören. Viele Frauen hörten an einem abgesonderten vergitterten Raum zu. Jesus erklärte wieder vieles aus seinen früheren Lehren und seinen Taten. So sprach Er von der Heilung des Mannes am Teich Bethesda, und warum Er ihn gerade um jene Zeit geheilt habe - von der Erweckung des Sohnes der Witwe von Naim und der Erweckung der Tochter des Jairus - warum jener sogleich Ihm gefolgt sei, diese aber nicht. Dann ging Er auf die nächste Zukunft über und wie Er von den Seinigen werde verlassen sein. Zuvor werde Er öffentlich mit Glanz und wie im Triumph in den Tempel einziehen, und der Mund der Säuglinge, die nie gesprochen, werde Ihn bei diesem Einzug verkünden. Viele würden Zweige von den Bäumen brechen und vor Ihn hinstreuen. Andere würden ihre Kleider vor Ihm ausbreiten. Er erklärte ihnen das so, dass die, welche Zweige vor Ihn streuten, nicht das Ihrige für Ihn geben und Ihm nicht getreu bleiben würden, welche aber die Kleider ausziehen und auf den Weg breiten würden, die sagten sich von dem Ihrigen los und zögen den neuen Menschen an und würden Ihm getreu bleiben. Er sagte nicht, dass Er auf einem Esel einziehen werde. Darum glaubten manche, Er werde in Pracht und Herrlichkeit mit Pferden und Kamelen seinen Einzug halten. Es entstand bei dieser Rede ein großes Geflüster. Sie nahmen auch die «fünfzehn Tage» nicht buchstäblich; sondern verstanden eine längere Zeit darunter. Darum wiederholte Jesus ausdrücklich: «Dreimal fünf Tage.»

Diese Lehre verursachte große Unruhe unter den Schriftgelehrten und Pharisäern. Sie hielten im Haus des Kaiphas eine Versammlung und erließen ein Verbot. Jesus und die Jünger irgendwo aufzunehmen. Sie ließen auch am Tor auf Jesus lauern. Er aber hielt sich in Bethanien bei Lazarus verborgen.

2. Jesu feierlicher Einzug in Jerusalem

Jesus hielt sich mit Petrus, Johannes, Jakobus und Lazarus, die heiligste Jungfrau hielt sich mit sechs der heiligen Frauen im Haus des Lazarus in denselben Kellergemächern verborgen, wo auch Lazarus bei seiner Verfolgung sich verborgen gehalten hatte. Diese Räume lagen unter dem hintern Teil des Hauses und waren ordentlich mit Decken und Sitzen eingerichtet. Jesus befand sich mit den drei Aposteln und Lazarus in einem großen, von einer Säule gestützten Gemach, worin Lampen brannten, die heiligen Frauen aber in einem dreieckigen vergitterten Raum. Die andern Apostel und Jünger waren teils in der bethanischen Jüngerherberge, teils an andern Orten. Jesus verkündete den Aposteln, dass Morgen der Tag seines Einzuges in Jerusalem sei und ließ auch alle andern Apostel herbeirufen, mit denen Er lange redete. Sie wurden sehr traurig. Gegen den Verräter Judas war Er freundlich und gab ihm den Auftrag, auch die Jünger herbeizurufen. Dergleichen Aufträge liebte Judas sehr, denn er war begierig, etwas zu gelten und zu bedeuten.

Darnach trug Jesus den heiligen Frauen und Lazarus eine große Parabel vor und legte sie aus. Er begann seine Lehre mit dem Paradies, dem Fall von Adam und Eva und der Verheißung eines Erlösers, sprach von dem Wuchern des Bösen und der geringen Zahl der treuen Arbeiter im Garten Gottes und knüpfte daran die Parabel von einem König, der einen herrlichen Garten besaß und zu dem eine prächtige Frau kam und ihm den Gewürzgarten eines frommen Mannes zeigte, der hart an den Garten des Königs grenzte. Sie sprach zum König: Da dieser Mann aus dem Land ziehen werde, so soll er ihm den Garten abkaufen und sein Gewürz darin bauen. Der König aber wollte Knoblauch und ähnliches stinkendes Gewürz im Garten des armen Mannes bauen, den dieser sehr heilig hielt und in dem er nur das edelste Gewürz zog. Der König ließ den armen Mann zu sich rufen. Derselbe wollte aber weder wegziehen, noch seinen Garten abtreten. Ich sah auch diesen guten Mann in seinem Garten, wie redlich er ihn bebaute, und dass er ihn selber brauchte. Er wurde aber sehr verfolgt. Man wollte ihn in seinem Garten sogar steinigen, so dass er ganz krank wurde. Endlich aber ging der König mit all seiner Herrlichkeit zugrunde. Der Garten des frommen Mannes aber und er selbst und all das Seine gedieh und nahm zu. Ich sah diesen Segen, gleich einem Baum sich weit ausbreiten und über die ganze Welt sich verteilen. Die ganze Parabel sah ich, während Jesus sie erzählte, in Bildern wie eine wirkliche Geschichte, und das Gedeihen des Gartens des frommen Mannes wie ein Wuchern, Wachsen, ein Sichausbreiten von Gewächsen, aber auch wie ein Bewässern durch sich ausbreitende Ströme und wie sich ergießende Lichtquellen und wie umherziehende und Regen und Tau niedersenkende Wolken. Der Segen löste und verbreitete sich nach allen Seiten bis in die weiteste Ferne. Jesus legte in seiner Lehre diese Parabel aus als vom Paradies, dem Sündenfall und der Erlösung, vom Reich der Welt und dem Weinberg des Herrn in derselben, der vom Fürsten der Welt angefochten wird, und in welchem dieser Fürst der Welt den Sohn Gottes misshandelt, dem der Vater die Pflege des Weinberges übergeben hat. Die Parabel deutete auch an, dass wie die Sünde und der Tod in einem Garten angefangen habe, auch das Leiden dessen, der die Sünden der Welt auf sich genommen, in einem Garten beginnen und die Genugtuung und der Sieg über den Tod durch die Auferstehung in einem Garten werde vollendet werden.

Nach dieser Lehre war ein sehr kurzes Mahl, nach welchem Jesus noch mit den Jüngern redete, welche bei eingetretener Dunkelheit in den Nebengebäuden sich angesammelt hatten.

In der Frühe des folgenden Tages sandte Jesus den Eremenzear und Silas auf den durch eingezäunte Gärten und Feldgüter über Bethphage nach Jerusalem sich hinziehenden Seitenweg, damit sie durch Öffnung der Zäune und Schranken diesen Weg gangbar machen sollten. Er sagte ihnen, dass sie beim Herbergshaus vor Bethphage, durch welches der Weg führte, eine Eselin mit ihrem Fohlen auf der Weide finden würden. Sie sollten die Eselin an den Zaun binden und wenn sie gefragt würden, sagen, der Herr wolle es so haben. Sie sollten den Weg bis an den Tempel räumen und dann zurückkehren.

Ich sah, wie die zwei Jünglinge sich auf den Weg machten, die Zäune öffneten und alles Hindernde aus dem Weg räumten. Das große Herbergshaus, wobei die Esel auf der Weide gingen, hatte einen Hof und Brunnen. Die Esel gehörten Fremden, die zum Tempel ziehend ihre Tiere hier eingestellt hatten. Sie banden die Eselin an, das Fohlen blieb frei. Ich sah sie hierauf ihren Weg bis in den Tempel nehmen und alles Störende beiseite schaffen. Die Esswarenkrämer, welche Jesus neulich herausgeschafft hatte, hatten wieder am Eingang ihre Mauerwinkel besetzt. Die beiden Jünger gingen auf sie zu und sagten, dass sie wegziehen sollten, denn der Herr halte seinen Einzug. Und nachdem alles geschehen war, kehrten sie traßevon der andern Seite des Ölberges auf der geraden Landstraße nach Bethphage zurück.

Jesus hatte indes auch einen Teil der älteren Jünger auf der gewöhnlichen Straße nach Jerusalem vorausgesendet, um, einzeln dahin sich begebend, der Maria Markus, Veronika, dem Nikodemus, den Söhnen Simeons und solchen Freunden seinen Einzug zu melden. Dann machte Er selbst mit allen Aposteln und den übrigen Jüngern sich auf den Weg nach Bethphage. Die heiligen Frauen folgten, unter dem Vortritt der heiligsten Jungfrau, in einiger Entfernung nach. Als der Zug vor einem am Weg liegenden, mit Garten, Hof und Hallen umgebenen Haus anlangte, machte er eine gute Weile halt. Jesus sendete zwei Jünger mit Decken und Mänteln, die sie von Bethanien mit sich genommen, gegen Bethphage, um die Eselin zu rüsten und zu sagen, dass der Herr ihrer bedürfe. Dann sprach Er zu einer großen Menge, die sich herzu drängte, unter der offenen, von glatten Säulen gestützten Halle, zwischen denen auch die heiligen Frauen Ihm zuhörten. Jesus stand erhöht, die Jünger und die übrige Menge im Hof. Die ganze Halle war mit Laubwerk und Kränzen ausgeschmückt. Die Wände waren ganz bedeckt damit und von der Decke hing ein feines zartes Laubwerk nieder. Jesus sprach von der Vorsicht und dem Gebrauch des eigenen Verstandes, denn die Jünger hatten Ihn gefragt, warum Er diesen Seitenweg genommen habe. Er sagte, um unnötige Gefahr zu vermeiden, man müsse auch selbst hüten und sorgen, und nicht alles dem Zufall überlassen, und darum habe Er auch vorher schon die Eselin dort anbinden lassen.

Nun ordnete Jesus seinen Zug. Die Apostel ließ Er paarweise vor sich her schreiten und sagte, dass sie von nun an und nach seinem Tod überall die Gemeinde vertreten müssten. Petrus war der erste. Ihm folgten die, welche nachher das Evangelium am weitesten verbreitet haben. Die letzten vor Jesus waren Johannes und Jakobus der Kleinere. Alle trugen Palmzweige. Als die vor Bethphage harrenden zwei Jünger den Zug herankommen sahen, zogen sie mit den beiden Tieren ihm auf den Weg entgegen. Über die Eselin waren Decken gelegt, welche bis zu den Füßen niederhingen, nur der Kopf und der Schweif des Tieres blieben sichtbar.

Nun legte Jesus das wollweiße, feine Festkleid mit Schleppe um, welches ein Jünger nachgetragen hatte, auch einen breiten Gürtel mit Buchstaben, und um den Nacken eine bis über die Knie herabhängende breite Stola, auf deren beiden Enden etwas, gleich zwei Schildern, mit bräunlicher Farbe gestickt war. Die beiden Jünger halfen Ihm auf den Quersitz der Eselin. Das Tier hatte keinen Zaum, um den Hals aber einen schmalen Streifen Tuch, der niederhing. Ich weiß nicht, ob Jesus auf der Eselin oder dem Fohlen ritt, denn beide waren gleich groß und das leere Tier lief nebenher. Eliud und Silas gingen zu beiden Seiten des Herrn und hinter Ihm Eremenzear. Dann folgten die neusten Jünger, welche Jesus teils von der Reise mitgebracht, teils in der letzten Zeit angenommen hatte. Als der Zug in Ordnung war, schlossen sich die Frauen paarweise an und die heiligste Jungfrau, welche sich sonst immer zurückgezogen und wie die letzte gehalten hatte, ging an ihrer Spitze. Sie begannen weiterziehend zu singen und die Leute aus Bethphage, welche sich um die beiden harrenden Jünger gesammelt hatten, folgten wie ein Schwarm hinten nach. Jesus hatte den Jüngern nochmals gesagt, dass sie auf jene achten sollten, welche die Kleider vor Ihm breiten, welche Zweige abbrechen, und welche beides tun würden. Die letzten seien jene, welche Ihn mit der eigenen Aufopferung und auch mit den Reichtümern der Welt ehren würden.

Bethphage lag, wenn man von Bethanien gegen Jerusalem ging, rechts, mehr zur Seite von Betlehem zu. Der Ölberg trennte beide Wege. Es lag niedrig in feuchtem Boden, wie in Schlamm und war ein armes Örtchen, das aus einer Reihe Häuser an beiden Seiten des Weges bestand. Das Haus, bei welchem die Eselin gestanden, lag vom Wege abseits auf einer schönen Wiese von Bethphage gegen Jerusalem zu. Der Weg stieg von dieser Seite hinan und senkte sich jenseits zum Tal hinab, das zwischen dem Ölberg und Jerusalems Hügeln lag. Jesus hatte zwischen Bethphage und Bethanien verweilt, die zwei Jünger hatten hinter Bethphage gewartet, wo sie die Eselin an den Weg geführt hatten.

In Jerusalem aber hatten dieselben Krämer und Leute, welchen am Morgen Eremenzear und Silas gesagt hatten, den Tempel zu räumen, denn der Herr werde einziehen, gleich freudig begonnen, den Weg zu schmücken: sie rissen das Pflaster auf und pflanzten Bäume, welche oben zu Bogen zusammengebunden und mit allerlei gelben Früchten, wie mit großen Äpfeln. behängt wurden. Die Jünger, welche von Jesus nach Jerusalem gesendet worden waren und unzählige Fremde, welche zu dem nahen Fest nach Jerusalem gezogen waren (es wimmelten alle Wege von Reisenden), und sehr viele Juden, welche Jesu letzte Rede gehört hatten, drängten sich nach jenem Teil der Stadt, durch welchen Jesus hereinziehen sollte. Es waren auch viele Fremde in Jerusalem, welche von der Erweckung des Lazarus gehört hatten und Jesus zu sehen wünschten. Da nun die Nachricht sich verbreitete, dass Er nahe, zogen sie Ihm ebenfalls entgegen.

Der Weg von Bethphage nach Jerusalem führte durch einen Talgrund des Ölberges, der nicht so hoch wie die Lage des Tempels war. Wenn man von Bethphage aus den Ölberg hinauf kam, sah man zwischen den Seiten höhen, durch welche der Weg sich hinzog, den Tempel gegenüber liegen. Der Weg von da bis zu Jerusalem war sehr angenehm voll Gärtchen und Bäumen.

Den unter Gesang heranziehenden Aposteln und Jüngern kamen die aus der Stadt heraus drängenden Scharen entgegen: es traten ihnen aber auch mehrere alte Priester in ihrem Ornat in den Weg und hielten sie an. Sie schwiegen etwas betroffen. Die Priester stellten Jesus zur Rede, was Er für eine Ordnung mit seinen Leuten habe, warum Er ihnen diesen Lärm nicht untersage. Jesus aber erwiderte: wenn diese schwiegen, so sollten die Steine auf dem Weg zu schreien beginnen. Da zogen sie sich zurück.

Die Hohenpriester aber hielten Rat, ließen alle Männer und Verwandten der Frauen und Kinder vorrufen, welche aus Jerusalem Jesus entgegen gezogen waren und hielten sie in dem großen Hof versperrt und schickten Leute aus, um zu lauern.

Aus den Scharen, die mit Jesus zum Tempel zogen, brachen viele Zweige von den Bäumen und streuten sie in den Weg, zogen ihre Oberkleider aus, breiteten sie drüber und sangen und schrieen. Ich sah manche, die ihren Oberleib ganz entkleideten. Die Kinder hatten mit Gewalt alle Schulen verlassen und jubelten mit der Menge. Veronika, die zwei Kinder bei sich hatte, warf ihren Schleier in den Weg und nahm auch dem einen Kinde etwas ab, das sie hinstreute. Sie und die andern Frauen schlossen sich an die heiligen Frauen an, die den Zug beschlossen. Es waren ihrer wohl an siebzehn. Der Weg war mit Zweigen, Kleidern und Teppichen so dicht überstreut, dass der Zug ganz weich durch die vielen grünen Zierbogen hinanging, mit denen er zwischen den Mauern überbaut war.

Jesus weinte. Auch die Apostel weinten, als Er sagte, dass viele, die jetzt so jubelten, Ihn bald verspotten und einer Ihn sogar verraten würde. Er sah die Stadt an und weinte, dass sie bald werde zerstört werde. Da Er aber durch das Tor kam, ward der Jubel immer größer. Viele Kranke aller Art wurden geführt und getragen herangebracht. Jesus hielt oft an, stieg ab und heilte alle ohne Auswahl. Es waren auch viele seiner Feinde da, welche mitschrieen und lärmten.

Näher am Tempel ward die Verzierung des Weges noch schöner. Zu beiden Seiten waren Einzäunungen angebracht, hinter welchen Bäumchen standen und kleine Tiere mit langen Hälsen, Böckchen und Schafe mit Kränzen um den Hals wie in kleinen Gärtchen umhersprangen. Es standen hier immer, besonders gegen die österliche Zeit, ausgewählte reine Opfertiere zum Verkauf. Der Zug vom Tor zum Tempel, etwa eine halbe Stunde Weges, dauerte an drei Stunden.

Die Juden aber hatten nun alle Häuser und auch das Stadttor schließen lassen. Und da Jesus vor dem Tempel abgestiegen war und die Jünger die Eselin zurückführen wollten, mussten sie innerhalb des Tores bis zum Abend warten. Die heiligen Frauen waren auch im Tempel und sehr viel Volk. Alle diese Leute mussten den ganzen Tag ohne Erquickung bleiben, denn man hatte diesen ganzen Teil der Stadt abgesperrt. Magdalena war besonders betrübt, dass Jesus gar keine Erquickung erhalte.

Als gegen Abend das Tor wieder geöffnet wurde, gingen die heiligen Frauen nach Bethanien zurück und Jesus folgte später mit den Aposteln. Magdalena, betrübt, dass Jesus mit den Seinen in Jerusalem keine Erquickung erhalten hatte, bereitete nun selbst eine Speise für sie. Als Jesus, da es schon dunkelte, in den Hof des Hauses des Lazarus eintrat, brachte Magdalena Wasser in einem Becken und wusch Ihm die Füße und trocknete sie mit einem Tuch, das über ihre Schulter hing. Es war keine eigentliche Mahlzeit, nur ein Imbiss bereitet. Magdalena nahte auch unter dem Imbiss dem Herrn und goss Ihm Salbe auf das Haupt. Ich sah, dass Judas an ihr vorübergehend murrte und sie ihm antwortete, sie könne dem Herrn ja nie verdanken, was Er an ihr und ihrem Bruder getan habe. Darnach begab sich Jesus zum Herbergshaus Simon des Aussätzigen, wo mehrere Jünger waren, und lehrte noch eine kleine Zeit. Von da ging Er hinaus in die Jüngerherberge, sprach auch dort eine Zeitlang, worauf Er wieder in das Haus Simon des Aussätzigen zurückkehrte.

Als Jesus am folgenden Tag mit den Aposteln nach Jerusalem ging, hungerte Ihn. Aber mir war es, als hungere Er nach der Bekehrung der Juden und nach seiner Vollendung. Er sehnte sich, sein Leiden möchte überstanden sein, denn Er kannte dessen Größe und bangte davor. Er nahte einem Feigenbaum am Weg und sah hinauf, und da Er keine Frucht und nur Blätter an ihm sah, verfluchte Er ihn, dass er verdorre und niemals mehr Frucht trage. Es werde jenen, die Ihn nicht anerkennen, auch so gehen. Ich erkannte, als bedeute der Feigenbaum das alte, der Weinstock das neue Gesetz. Auf dem Weg zum Tempel sah ich noch einen Haufen der Zweige und Kränze vom gestrigen Fest. In den ersten Hallen vor dem Tempel hatten sich wieder viele Krämer eingefunden. Sie hatten teils Kasten auf dem Rücken, welche man auseinanderschlagen konnte. Sie stellten dieselben auf Stöcke, die sie bei sich trugen und zu Gestellen machen konnten. Ich sah auch auf Tischen Haufen von Cents liegen, welche mit Kettchen und Haken oder Riemen nach verschiedenen Arten zusammengebunden waren. Es waren allerlei Figuren darauf abgebildet, gelb, weiß, braun, auch mehrfarbig. Ich glaube, es waren Cents zum Anhängen. Ich sah auch große Haufen von Körben mit Vögeln übereinander stehen und in einer Halle Kälber und anderes Vieh. Jesus wies alle diese Händler hinweg, und als sie zögerten, drehte Er einen Gürtel zusammen und trieb sie auseinander und hinaus.

Während Jesus lehrte, ließen ansehnliche Fremde aus Griechenland durch ihre aus der Herberge abgesandten Diener den Philippus fragen, wie sie mit dem Herrn reden könnten, da sie sich nicht herandrängen wollten. Philippus sagte es Andreas und dieser dem Herrn, der sie auf den Weg zwischen dem Tor und dem davor liegenden Haus des Johannes Markus beschied, wenn Er aus dem Tempel nach Bethanien zurückgehen werde. Jesus fuhr in seiner Lehre fort. Er war sehr betrübt und da Er mit gefalteten Händen empor blickte, sah ich einen Strahl wie aus lichter Wolke über Ihn kommen und hörte einen Schall. Das Volk schaute erschüttert empor und flüsterte. Jesus redete weiter. Es wiederholte sich dies einige Male. Hierauf sah ich Ihn vom Lehrstuhl herabgehen und unter den Jüngern der Menge sich entziehend den Tempel verlassen.

Wenn Jesus lehrte, legten die Jünger Ihm einen festlichen weißen Mantel um, den sie bei sich trugen, und ging Er vom Lehrstuhl herab, so nahmen sie Ihm den Mantel ab und Er konnte, wie die andern gekleidet, sich leichter vor dem Volk verbergen. Um den Lehrstuhl waren drei Stufenreihen für die Zuhörer mit Geländern, eine höher als die andere. Diese Geländer waren mit Schnitzwerk verziert und, ich glaube, gegossen. Sie hatten allerlei braune Köpfe oder Knöpfe. Ausgeschnitzte Bilder sah ich keine im Tempel, außer allerhand Verzierungen, Weinstöcke, Trauben, Opfertiere und Figuren, wie Wickelkinder, auf die Art, wie ich ein gesticktes bei Maria gesehen habe.

Es war heller Tag, da Jesus sich mit den Seinen in der Gegend von des Johannes Markus Haus zusammenfand. Hier traten die Griechen zu Ihm, mit welchen Er einige Minuten sprach. Es waren auch Frauen bei ihnen, welche zurückstanden. Diese Leute haben sich bekehrt und waren von den ersten, welche auf Pfingsten sich zu den Jüngern gesellten und getauft wurden.

Wiederholte Salbung Magdalenas

Jesus ging voll Betrübnis mit den Aposteln nach Bethanien zum Sabbat. Wenn Er im Tempel lehrte, mussten die Juden ihre Häuser verschlossen halten und es war verboten, Ihm oder den Jüngern eine Erquickung zu reichen. In Bethanien gingen sie in das Herbergshaus Simons des geheilten Aussätzigen, wo ein Mahl bereitet war. Magdalena voll Mitleid mit den Anstrengungen des Herrn nahte Ihm in einem Bußkleid mit Gürtel und mit unter dem schwarzen Schleier aufgelösten Haaren unter den Eingang des Hauses. Sie warf sich zu seinen Füßen und wischte mit ihren Haaren den Staub davon ab, wie man einem die Schuhe putzt. Sie tat es offen vor allen. Manche ärgerten sich daran.

Nachdem sie sich zum Sabbat bereitet, ihre Kleider angelegt und unter der Lampe gebetet hatten, legten sie sich zur Mahlzeit nieder. Gegen Ende derselben erschien die von Liebe, Dank, Reue und Betrübnis getriebene Magdalena nochmals hinter dem Lager des Herrn, zerbrach ein Fläschchen mit Wohlgeruch über seinem Haupt und goss davon auf seine Füße, die sie wieder mit ihren Haaren abtrocknete. Darnach verließ sie den Saal. Mehrere ärgerten sich, besonders Judas, welcher auch Matthäus, Thomas und Johannes Markus zum Unwillen reizte. Jesus aber entschuldigte ihre Liebe. Sie hat Ihn oft so gesalbt, wie überhaupt manches, was nur einmal im Evangelium steht, oft geschehen ist.

Nach dem Mahl und den Gebeten zerstreuten sich die Apostel und Jünger. Judas aber lief voll Ärger noch in der Nacht nach Jerusalem. Ich sah ihn im Dunkeln voll Neid und Gier über den Ölberg laufen, als zöge ein widerliches Licht mit ihm, als leuchte ihm der Teufel. Er lief in das Haus des Kaiphas und führte nur wenige Reden unten im Haus. Er hielt sich nie lange irgendwo auf. Hierauf eilte er in das Haus von Johannes Markus, als komme er, wie sonst die Jünger, wenn sie da herbergten. Es war das sein erster bestimmter Verrätergang.

Als Jesus am folgenden Morgen mit einigen Jüngern von Bethanien nach Jerusalem ging, fanden diese den Feigenbaum verdorrt, den Jesus verflucht hatte, und sie wunderten sich darüber. Ich sah Johannes und Petrus bei dem Baum auf dem Weg verweilen, und wie Jesus, als Petrus seine Verwunderung bezeigte, zu ihnen sagte, wenn sie glaubten, so würden sie noch mehr tun, als dieses, ja Berge würden auf ihr Wort sich ins Meer werfen. Er lehrte noch mehr darüber, auch über die Bedeutung des Feigenbaumes.

In Jerusalem waren sehr viele Fremde; sie hatten Lehre und Gottesdienst am Morgen und Abend im Tempel. Jesus lehrte in der Zwischenzeit. Wer Ihm etwas entgegnete, stand auf und Er setzte sich dann. Beim Lehren aber stand Er.

Unter seiner heutigen Lehre traten Priester und Schriftgelehrte herzu und fragten, aus welcher Macht Er alles dieses tue? Jesus antwortete: «Auch Ich will euch um etwas fragen, und wenn ihr es mir sagt, so werde Ich entgegen euch sagen, aus welcher Vollmacht Ich solche Dinge tue.» Und nun fragte Er sie, aus welcher Vollmacht Johannes getauft habe. Da sie Ihm keine Antwort darauf geben wollten, versetzte Er, so wolle auch Er ihnen nicht sagen, aus welcher Vollmacht Er selber wirke.

In seiner Lehre am Nachmittag trug Jesus das Gleichnis von dem Weingärtner und dem von den Bauleuten verworfenen Eckstein vor, indem Er den ermordeten Weingärtner auf sich selber und die Mörder auf die Pharisäer auslegte. Darüber wurden sie so erzürnt, dass sie Ihn gerne festgenommen hätten, allein sie getrauten sich nicht, weil sie sahen, wie alles Volk Ihm anhing. Sie beschlossen nun, durch fünf den Jüngern verwandte und mit ihnen vertraute Männer lauern und es versuchen zu lassen, Jesus durch verfängliche Fragen zu fangen. Diese fünf waren teils Anhänger der Pharisäer, teils Diener des Herodes.

Als Jesus gegen Abend nach Bethanien zurückkehrte, kamen Leute mitleidig an den Weg und boten Ihm zu trinken an. Er übernachtete in der Jüngerherberge bei Bethanien.

Am folgenden Tag lehrte Jesus an drei Stunden im Tempel über die Parabel vom königlichen Hochzeitsmahl. Es waren die Laurer der Pharisäer zugegen. Jesus ging bald nach Bethanien zurück, wo Er noch lehrte. Als Tags darauf Jesus im Tempel den Lehrstuhl in der runden Halle bestieg, drangen die fünf von den Pharisäern bestellten Männer durch den Weg, welcher vom Eingang her durch die rund um den Lehrstuhl stehenden Gestühle führte, zu Ihm und fragten, ob sie dem Kaiser Zins zahlen dürften. Jesus sagte, sie sollten Ihm den Groschen zeigen, worauf einer eine gelbe Münze, etwa so groß wie ein preussischer Taler, aus der Brusttasche zog und auf ihr das Bild des Kaisers zeigte. Jesus sagte, dass sie dem Kaiser geben sollten, was des Kaisers sei.

Darnach sprach Er vom Reich Gottes, das einem Menschen gleich sei, welcher eine Pflanze pflege, die sich ins Unendliche verbreite. Zu den Juden komme es nicht wieder, jene aber, die sich bekehrten, würden zum Reich Gottes kommen. Es werde das Reich aber zu den Heiden kommen, und eine Zeit werde sein, wo im Aufgang alles verfinstert, im Abend aber leuchtend werde. Er lehrte auch, dass sie das Gute im Geheimen tun sollten, wie Er getan, nun werde Er seinen Lohn am Mittag empfangen. Er sagte auch, dass sie einen Mörder Ihm vorziehen würden.

In einer späteren Stunde traten sieben Sadduzäer zu Jesus und fragten Ihn von der Auferstehung und über eine Frau, die schon sieben Männer gehabt habe. Jesus antwortete, dass nach der Auferstehung kein Geschlecht und kein Freien sei, und dass Gott ein Gott der Lebendigen und nicht der Toten sei. Ich sah, dass alles über seine Lehre erstaunte. Die Pharisäer traten aus ihren Stühlen und sprachen zusammen. Einer, der ein Amt am Tempel hatte: namens Manasse, fragte Jesus sehr bescheiden, welches das höchste Gebot sei. Da Jesus ihm antwortete, lobte Manasse Ihn aufrichtig. Jesus aber erwiderte, das Reich Gottes sei nicht weit von ihm, und sprach dann noch von Christus und David und schloss damit die Lehre.

Alle waren verstummt und konnten nichts antworten. Als Jesus herausging, fragte Ihn ein Jünger: «Was heißt das: du bist nicht ferne vom Reich Gottes, was Du dem Manasse gesagt?» Da sagte ihm der Herr: Manasse werde glauben und ihm nachfolgen. Sie sollten aber davon schweigen. Manasse tat von jener Stunde an nichts mehr gegen Jesus und hielt sich stille bis zu seiner Himmelfahrt, wo er sich für Jesus erklärte und an die Jünger anschloss. Er war zwischen vierzig und fünfzig Jahre alt.

Jesus ging am Abend nach Bethanien, aß mit den Aposteln bei Lazarus, ging dann zur Herberge, wo die Frauen versammelt waren und lehrte diese noch in der Nacht. Er blieb in der Jüngerherberge.

Die heiligen Frauen sah ich, während Jesus in Jerusalem lehrte, öfters in der Laube zusammen beten, wo Magdalena saß, als Martha sie vor Lazarus' Erweckung zu Jesus rief. Sie hatten eine gewisse Ordnung im Gebet. Bald standen sie zusammen, bald knieten oder saßen sie getrennt.

Am nächsten Tage lehrte Jesus wohl an sechs Stunden im Tempel. Die Jünger, durch seine gestrige Rede angeregt, fragten, was es heiße: «Dein Reich komme zu uns?» Jesus sprach viel darüber und auch, dass Er und der Vater eines seien und dass er zum Vater gehe. Sie fragten aber: wenn Er und der Vater eines seien, warum Er denn zu dem Vater zu gehen brauche? Da redete Jesus von seiner Sendung, und dass Er sich von der Menschheit wende, von dem Fleisch, und dass, wer sich von seiner eigenen gefallenen Menschheit wende durch Ihn zu Ihm, sich auch zum Vater wende. Er sprach so rührend davon, dass die Apostel ganz freudig und begeistert aufsprangen und riefen: «Herr! wir wollen dein Reich verbreiten bis ans Ende der Welt!» Jesus antwortete ihnen aber, wer so spreche, der tue nichts! Da wurden sie traurig und Er sprach abermals, sie sollten nie sagen: «Ich habe in deinem Namen Teufel ausgetrieben, und dieses und jenes getan !», auch sollten sie ihre Werke nicht öffentlich tun. Er erwähnte dabei, wie Er in seiner letzten Absonderung im geheimen vieles getan habe, sie aber hätten damals immer gewollt, Er solle in seine Heimat gehen, obwohl die Juden wegen der Erweckung des Lazarus Ihn hätten umbringen wollen! Wie aber dann alles hätte erfüllt werden sollen? Sie fragten auch, wie sein Reich offenbar werden könnte, wenn sie alles geheim halten sollten? Ich weiß seine Antwort nicht mehr. Sie wurden wieder ganz traurig. Gegen Mittag gingen die Jünger aus dem Tempel. Er aber blieb mit den Aposteln. Jünger brachten Ihm zu trinken.

Nach Mittag kamen so viele Schriftgelehrte und Pharisäer, dass sie ganz dicht um Jesus standen und die Jünger etwas ferner. Er sprach sehr streng gegen die Pharisäer und ich hörte, wie Er in dieser Strafrede einmal sagte: «Ihr greift mich jetzt noch nicht, weil meine Stunde noch nicht gekommen ist.»

Lehre bei Lazarus. Petrus erhält einen strengen Verweis

Jesus war heute den ganzen Tag mit den heiligen Frauen und den zwölf Aposteln bei Lazarus. Am Morgen hatte Er in der Jüngerherberge und vor den heiligen Frauen gelehrt. Gegen drei Uhr nachmittags war ein großes Mahl in der unterirdischen Wohnung. Die Frauen dienten zu Tisch und hörten nachher in dem abgegitterten dreieckigen Raum der Lehre zu. Jesus sprach davon, dass sie nicht mehr lange beisammen sein werden, hier bei Lazarus würden sie nicht mehr essen, wohl noch einmal bei Simon, aber dann würden sie nicht so ruhig sein. Er lud sie auch ein, ganz vertraut zu sein und Ihn zu fragen, als seien sie alle gleich. Sie fragten Ihn nun vieles, besonders Thomas, der sehr viele Zweifel hatte, auch Johannes fragte oft, aber sanft und leise.

Als Jesus nach dem Mahl von der Nähe der Zeit sprach, und wie des Menschensohn werde übergeben werden durch Verrat, trat Petrus eifrig vor und sagte, warum Er immer spreche, als ob sie Ihn verraten würden, wenn er auch glauben könne, dass es einer von den andern sei, so stehe er doch für sie Zwölf, dass sie Ihn nicht verraten würden! Petrus sagte dieses ganz keck und wie an seiner Ehre angegriffen. Jesus aber ward so heftig gegen ihn, wie ich Ihn nie gesehen habe. Ja eifriger als damals, da Er zu Petrus sagte: «Weiche von mir Satan!» Er sagte, wenn seine Gnade und Gebete sie nicht erhalte, würden sie alle fallen. Wenn die Stunde komme, würden Ihn alle verlassen. Einer sei unter ihnen, welcher nicht wanke, und auch dieser werde fliehen und wiederkehren. Er meinte damit Johannes, welcher bei der Gefangennahme fliehend sein Gewand zurückließ. Sie wurden sehr betrübt. Judas schien bei diesen Reden ganz freundlich, lächelnd und dienstfertig.

Da sie Jesus auch über sein Reich fragten, das zu ihnen kommen solle, sprach Er unbeschreiblich süß davon und sagte, es werde ein anderer Geist über sie kommen. Dann erst würden sie alles verstehen. Er müsse zum Vater gehen und ihnen den Geist senden, welcher vom Vater und Ihm ausgehe. Ich erinnere mich deutlich, dass Er dieses gesagt hat. Auch sagte Er, was ich nicht recht wiedergeben kann, so viel als, Er sei ins Fleisch gekommen, um den Menschen zu erlösen. Er sei mehr körperlich in seiner Wirkung auf sie, der Körper wirke mehr körperlich und darum könnten sie Ihn nicht verstehen. Er werde aber den Geist senden, welcher den Geist erschließe. Dann sprach Jesus von einer betrübten Zeit, die kommen werde. Allen werde so bange sein und wie einer Frau in Geburtswehen. Auch von der Schönheit der menschlichen Seele, die nach dem Ebenbild Gottes geschaffen sei, und wie herrlich es sei, die Seelen zu retten und heimzuführen. Er wiederholte, dass sie Ihn so oft missverstanden hätten, und wie nachgiebig Er mit ihnen gewesen sei, und dass auch sie nach seinem Hingange ebenso gegen die Sünder sein sollten. Da Ihm Petrus vorhielt. Er sei doch selbst soeben auch sehr eifrig gewesen, lehrte Er vom wahren und falschen Eifer.

Es dauerte bis spät in die Nacht. Da kamen noch Nikodemus und ein Sohn Simeons heimlich zu ihnen. Es war schon Mitternacht vorbei. als sie zu schlafen gingen. Jesus sprach, sie sollten noch einmal ruhig schlafen, es werde bald eine Zeit kommen, wo sie angst und bange und ohne Schlaf sein würden, und dann eine Zeit, wo sie mitten in der Verfolgung, einen Stein unter ihrem Haupt, so ruhig schlafen würden, wie Jakob unter der Himmelsleiter. Als Jesus seine Lehre schloss, sagten alle: «Herr, wie kurz war diese Mahlzeit und dieser Abend!»

Das Opfer der Witwe

Jesus ging am anderen Tag sehr früh zum Tempel, aber nicht an den gewöhnlichen Lehrplatz, sondern zu jener Halle, wo Maria geopfert hatte. Nahe bei dem Eingang stand hier in der Mitte der Opferstock, eine eckige, halbmannshohe Säule mit drei trichterförmigen Öffnungen, in welche die Opfernden Geldstücke einlegten, und mit einem Türchen unterhalb. Der Opferstock war mit einem roten und durchbrochenen weißen Tuch gedeckt. Zu seiner Linken war der Sitz für den Ordnung haltenden Priester und noch ein Tisch, auf welchem Tauben und andere Sachen, die zum Opfer gebracht wurden, gesteilt werden konnten. Rechts und links vom Eingang befanden sich die Gestühle für die Frauen und Männer, nach rückwärts war die Halle durch ein Gitter geschlossen, hinter welchem der Altar aufgeschlagen worden war, da Maria das Jesuskind im Tempel darstellte.

Jesus nahm heute den Sitz beim Opferstock ein. Es war ein Opfertag für alle, die sich zum Osterfest reinigen wollten. Die Pharisäer, welche später kamen, ärgerten sich sehr, Jesus an diesem Platz zu finden, weigerten sich aber, ihn einzunehmen, als Jesus den Platz für sie räumen wollte. Die Apostel standen paarweise neben Ihm. An den Opferstock kamen zuerst die Männer, dann die Frauen. Sie gingen durch eine andere Türe links wieder hinaus. Die Opfernden standen draussen und warteten, bis sie zu fünf und fünf eingelassen wurden. Jesus saß an die drei Stunden hier. Gegen Mittag wurde das Opfer wie gewöhnlich geschlossen. Er aber blieb noch länger sitzen. Die Pharisäer ärgerten sich auch hierüber. Es war dieses die Halle, in welcher Jesus auch die Ehebrecherin losgesprochen hatte. Der Tempel war wie drei Kirchen hinter einander. Es waren drei große Bogen, unter denen man stand. Im ersten war der runde Lehrraum. Der Opferort, wo Jesus jetzt war, lag rechts von diesem Lehrort, mehr gegen das Heilige zu: man musste durch lange Gänge zum Opferstock gehen. Die letzte Opfernde war eine arme, schüchterne Witwe gewesen. Man konnte nicht sehen, was die Opfernden einlegten, aber Jesus wusste, was sie gegeben hatte und sprach zu den Jüngern, dass sie mehr gegeben, als alle. Sie hatte alles gegeben, was sie noch hatte, um sich heute Nahrung zu verschaffen. Jesus ließ ihr sagen, sie solle beim Haus des Johannes Markus auf Ihn warten.

Am Nachmittag lehrte Jesus wieder am gewöhnlichen Lehrplatz in der Vorhalle des Tempels. Der runde Lehrplatz war gerade der Türe gegenüber und links und rechts um ihn herum führten Stufen hinauf in das Heilige und aus diesem wieder Stufen ins Allerheiligste. Als die Pharisäer herbeikamen, sprach Jesus davon, dass sie nicht gewagt hätten, Ihn gestern gefangen zu nehmen, wie sie beabsichtigt hätten, obwohl Er ihnen Zeit dazu gelassen, denn seine Stunde sei noch nicht gekommen und bei ihnen läge es nicht, diese Stunde herbeizuführen. Sie werde kommen. Die Pharisäer aber sollen nicht glauben, so ruhig Ostern zu feiern, wie sonst. Sie würden nicht wissen, wohin sich verbergen, alles Blut der Propheten, die sie ermordet haben, solle auf ihr Haupt kommen. Diese würden aus den Gräbern auferstehen und die Erde würde erbeben. Sie selber aber würden doch verstockt bleiben. Dann sprach Er von dem Opfer der armen Witwe. Als Er gegen Abend aus dem Tempel ging, redete Er unterwegs mit ihr und sagte, dass ihr Sohn zu Ihm kommen solle, worüber sie sehr erfreut war. Dieser kam noch vor der Kreuzigung zu den Jüngern. Die Witwe war sehr fromm und streng jüdisch, aber einfältig und treu.

Jesus redete von der Zerstörung des Tempels

Unterwegs zeigte ein Jünger zum Tempel und sprach zu Jesus von dessen Schönheit. Jesus erwiderte, dass kein Stein auf dem andern bleiben werde, und ging mit ihnen an den Ölberg, dessen aufsteigende Höhe einen Luftplatz mit Lehrstuhl und Rasensitzen enthielt, wo sich die Priester manchmal abends nach langer Arbeit hinzusetzen pflegten, um zu ruhen. Jesus setzte sich auf diesen Stuhl und da einige Apostel fragten, wann die Zerstörung sein werde, sprach Jesus das Wehe. «Selig, wer harrt bis ans Ende», war sein letztes Wort. Er war kaum eine Viertelstunde hier.

Es bot der Tempel von diesem Ort aus einen unbeschreiblich schönen Anblick. Er blitzte in der Abendsonne, dass man kaum die Augen darauf halten konnte: es waren so schöne dunkelrote und gelbe glimmernde Steine in die Tempelwände wie gewürfelt eingemauert. Der Tempel Salomos hatte mehr Gold: dieser aber schimmerte so in den Steinen.

Die Pharisäer waren sehr über Jesus erzürnt und hielten noch in der Nacht einen Rat und sendeten Laurer nach Ihm aus. Sie sagten auch, wenn nur Judas erst wieder zu ihnen käme, sonst könnten sie es nicht gut zustande bringen. Judas war nicht mehr seit jenem Abend bei ihnen gewesen.

In der Frühe des folgenden Tages war Jesus wieder an dieser Stelle des Ölbergs und sprach noch einmal von der Zerstörung Jerusalems in dem Gleichnis von einem Feigenbaum, der da stand. Er sagte auch, dass Er schon verraten sei. Der Verräter aber habe seinen Namen nicht genannt. Er habe Ihn nur angeboten. Die Pharisäer sehnten sich, den Verräter wieder zu sehen. Jesus aber wünschte, dass der Verräter sich bessere, bereue und nicht verzweifle. Er sprach dies, während Judas lächelnd zuhörte, in verhüllten, allgemeinen Worten aus.

Auch ermahnte Er die Apostel, nicht in weltlicher Sorge zu sein, weil Er ihnen gesagt, sie würden zerstreut werden. Sie sollten darüber nicht das Nächste vergessen und sollten nicht eine Empfindung mit der andern umhüllen und bemänteln. Er gebrauchte das Gleichnis von einem Mantel. Auch verwies Er im allgemeinen das Murren einzelner über die Salbung Magdalenas. Er sprach dieses wahrscheinlich in Bezug auf des Judas ersten Schritt zum eigentlichen Verrat, der auf jene Handlung getan ward, und als eine leise Warnung für ihn auf die Zukunft. da er bei der folgenden letzten Salbung Magdalenas den Verrat gänzlich vollendete. Dass auch andere sich an dieser freigebigen Liebe Magdalenas ärgerten, war missverstandene Sittenstrenge und Sparsamkeit. Sie kannten dieses Salben als eine bei weltlichen Festen oft missbrauchte Üppigkeit, übersahen aber, dass diese Handlung an dem Heiligsten der Heiligen höchst würdig war.

Jesus sagte auch, Er werde nur zweimal noch öffentlich lehren. Und vom Ende der Welt und der Zerstörung Jerusalems sprechend, gab Er auch die Zeichen an, an denen sie erkennen sollten, dass die Stunde seines Abschieds nahe sei. Er sagte, es werde ein Streit unter ihnen sein, welcher der Größte sei und das solle ihnen ein Zeichen sein, dass Er sie verlassen werde. Er deutete auch an, dass einer aus ihnen Ihn verleugnen werde. Dies alles sage Er ihnen, damit sie demütig und wachsam auf sich sein möchten. Er redete mit ungemeiner Liebe und Geduld.

Um Mittag lehrte Jesus im Tempel von den zehn Jungfrauen und den anvertrauten Talenten und wieder scharf gegen die Pharisäer, indem Er die Worte von den erschlagenen Propheten wiederholte und ihnen mancherlei sagte, was sie vorhätten. Er belehrte nachher die Apostel und Jünger, dass auch da, wo auf Besserung keine Hoffnung mehr sei, doch die Warnungen wiederholt werden müssen.

Als Er den Tempel verließ, näherte sich eine große Zahl fremder Heiden, die seine Lehren im Tempel zwar nicht gehört hatten, da sie den Tempel nicht betreten durften, die aber durch den Anblick seiner Wunder und seines Einzuges am Palmsonntag und alles andere, was sie sonst gehört hatten, bekehrt worden waren. Auch jene Griechen waren darunter. Jesus wies sie an die Jünger und ging mit wenigen an den Ölberg, wo sie in einer offenen Herberge, wo sonst nur Fremde. einkehrten, die Nacht über verweilten.

Des andern Morgens, da auch die andern Apostel und Jünger herzu kamen, sagte Er ihnen noch manches voraus. Er werde noch zweimal mit ihnen beim Mahl sein. Er sehne sich, das letzte Liebesmahl mit ihnen zu halten, an dem Er alles ihnen geben wolle, was Er ihnen menschlich noch geben könne. Dann ging Er mit ihnen zum Tempel, wo Er von seinem Gang zum Vater sprach und dass Er der Wille des Vaters sei, was ich nicht verstanden habe. Er nannte sich gerade heraus das Heil der Menschen, dass Er es sei, welcher die Gewalt der Sünde über den Menschen wegnehme und erklärte, warum die gefallenen Engel nicht erlöst würden, sondern die Menschen. Die Pharisäer lösten sich paarweise ab, um zu lauern. Jesus sprach, dass Er gekommen sei, um der Herrschaft der Sünde über die Menschen ein Ende zu machen. In einem Garten habe die Sünde angefangen, in einem Garten werde sie auch enden, in einem Garten würden sie die Hände an Ihn legen. Er warf ihnen vor, dass sie Ihn schon nach der Erweckung des Lazarus hätten töten wollen. Er habe sich aber entfernt. damit alles erfüllt werde. Er teilte seine Reiseentfernung in drei Teile, ich weiß nicht mehr, ob in dreimal vier oder fünf oder sechs Wochen. Er sagte auch, wie sie mit Ihm verfahren und Ihn unter Mördern hinrichten werden, doch werde es ihnen nicht gelingen, Ihm nach seinem Tod Schande anzutun. Er sprach nochmals von den ermordeten Gerechten, die auferstehen werden. Ja Er zeigte sogar zu den Plätzen hin, wo sie aufstehen würden. Sie, die Pharisäer, aber würden in Angst und Furcht nicht erreichen, was sie mit Ihm vorhätten.

Er sprach auch von Eva, durch welche die Sünde auf die Erde gekommen sei. Darum seien die Frauen gestraft und dürften nicht ins Heiligtum eingehen. Es sei aber auch durch die Frau die Heilung der Sünde auf die Welt gekommen, und so befreie Er sie von der Sklaverei, nicht aber von der Untertänigkeit.

Jesus blieb wieder in der Herberge unten am Ölberg. Sie hatten eine Lampe und beteten die Sabbatsgebete.

Jesus in Bethanien

Am folgenden Morgen ging Jesus mit den Seinen über den Bach Kidron und dann gegen Mitternacht durch eine Häuserreihe, zwischen welchen kleine Grasplätze waren, worauf Schafe weideten. Hier lag auch des Johannes Markus Haus. Dann wendete Er sich nach Gethsemane, einem Dörfchen so groß als Bethphage, auf beiden Seiten des Baches Kidron gelegen. Das Haus des Johannes Markus lag eine Viertelstunde vor dem Tor, durch welches man das Vieh nach dem Viehmarkt auf der Mitternachtsseite des Tempels brachte, auf einem großen Hügel, der später mit Häusern überbaut worden ist. Von hier war es eine halbe Stunde nach Gethsemane, und von Gethsemane über den Ölberg ein kleines Stündchen nach Bethanien. Dieses lag ungefähr in gerader Richtung gegen Morgen vom Tempel. Auf dem geraden Weg mochte es nur eine Stunde nach Jerusalem sein. Man konnte in Bethanien auf einzelnen Punkten den Tempel und die dahinter liegenden Schlösser sehen. In Bethphage konnte man dies nicht. Es lag tiefer und hatte den ansteigenden Ölberg als Hindernis, bis der Tempel durch eine Bergschlucht des Weges sichtbar wurde. Indem Jesus mit den Jüngern über den Bach Kidron nach Gethsemane ging, sagte Er den Aposteln, auf eine Vertiefung des Ölbergs hinzeigend: hier würden sie Ihn verlassen. Hier werde Er gefangen genommen werden. Er war sehr betrübt. Darnach ging Er nach Bethanien in das Haus des Lazarus, dann in die Herberge der Jünger, mit denen Er in der Umgegend von Bethanien umherwandelte und die Leute tröstete gleich einem, der Abschied nimmt.

Am Abend war ein Mahl bei Lazarus, wo auch die heiligen Frauen in dem abgegitterten Raum zugegen waren. Am Schluss des Mahles sagte Er zu allen, sie sollten noch einmal recht ruhig schlafen.

3. Die letzten Lehren Jesu im Tempel

Jesus ging des Morgens früh mit den Jüngern nach Jerusalem. Als Er dem Tempel gegenüber über den Bach Kidron gekommen war, ging Er außerhalb der Stadt gegen Mittag, dann durch eine kleine Pforte hinein und am Fuße des Berges Sion auf einer gemauerten Brücke über einen tiefen Abgrund. Auch unter dem Tempel sah man Höhlen. Dann von der Mittagsseite durch einen langen gewölbten Gang, der nur von oben etwas Licht hatte, in den Vorhof der Frauen, von da wandte Er sich gegen Morgen und ging durch die Türe, in welche die beschimpften Frauen gestellt wurden, über den Opferplatz in die erste Tempelhalle auf den Lehrstuhl. Diese Türe war immer offen, wenngleich bei seiner Lehre oft alle Eingänge zum Tempel von den Pharisäern versperrt wurden. Sie sagten: «Die Sündentüre bleibe immer für den Sünder offen!»

Jesus lehrte sehr tiefsinnig und wunderbar von Vereinigung und Scheidung. Er brauchte das Gleichnis von Feuer und Wasser, die sich löschten und einander zuwider seien. Wenn das Wasser das Feuer nicht überwältige, so werde die Flamme dadurch nur gewaltiger und wilder. Er sprach von Verfolgung und Marter. Unter dem Feuer verstand Er jene Jünger, welche Ihm getreu blieben, unter dem Wasser aber jene, welche sich von Ihm trennten und die Tiefe suchten. Er erklärte das Wasser als Marter des Feuers. Er sprach auch von der Verbindung der Milch und des Wassers, die Er eine innige Verbindung nannte, welche man nicht trennen könne. Er verstand darunter seine eigene Verbindung mit den Seinen und wies dabei auf die Milde und Nahrung der Milch und kam auch auf die Verbindung der Ehe, da die Jünger über die Wiedervereinigung der Freunde und der Ehegatten nach dem Tod Ihn gefragt hatten. Jesus sagte, es gebe eine zweifache Verbindung der Ehe: eine Verbindung von Fleisch und Blut, welche der Tod auseinander scheide, und die so Verbundenen fänden sich nach dem Tod nicht wieder zusammen, die Ehen des Geistes aber blieben auch dort vereinigt. Sie sollten nicht bange sein, ob sie sich einzeln oder zusammen wieder fänden.

Die in der Ehe des Geistes seien, würden sich in einem Leib finden. Er sprach auch vom Bräutigam und der Kirche als seinem Brautleib. Von der Marter des Leibes sagte Er, sie sollten sie nicht fürchten, die Marter der Seele sei schrecklicher.

Da die Apostel und Jünger nicht alles verstanden, befahl ihnen Jesus, was sie nicht verstünden, gleich aufzuschreiben. Ich sah Johannes, Jakobus der Jüngere und noch einen, Brettchen vor sich auf die Lehne legen und dann und wann ein Zeichen machen. Sie schrieben auf die kleinen Rollen mit Farbe, die sie in einer Art Horn bei sich hatten. Sie zogen die kleinen Rollen aus der Brusttasche und schrieben nur im Anfang der Lehre.

Jesus sprach auch von seiner Verbindung mit ihnen im Abendmahl, welche durch nichts aufgelöst werden solle.

Die Pflicht der vollkommenen Enthaltung trug Er den Aposteln frageweise vor, indem Er sagte: «Könnet ihr das und jenes zugleich?» Es war von einem Opfer die Rede, welches gebracht werden müsse, und der Schluss war die vollkommene Enthaltung. Er führte als Beispiel Abraham und die anderen Altväter an, welche vor dem Opfer sich immer so lange gereinigt und enthalten hätten.

Als Er auf die Taufe und die anderen Sakramente zu reden kam, erwähnte Er die Taufe des Johannes, welche nur äußerlich die Sünden abgewaschen habe, Er werde ihnen aber den Heiligen Geist senden, welcher durch seine Taufe alle zu Kindern der Erlösung machen werde. Sie sollten nach seinem Tod am Teich Bethesda alle taufen, die kommen und es verlangen würden. Wenn viele kommen würden, sollten sie Zwei und Zwei die Hände auf die Schultern legen und sie unter dem Strahl der Pumpe oder Spritze dort taufen. Wie sonst der Engel, werde der Heilige Geist über die Getauften kommen, sobald sein Blut vergossen sei, auch wenn sie selbst den Heiligen Geist noch nicht empfangen hätten.

Petrus, der von Jesus als der Erste über die andern gesetzt war, fragte als solcher, ob sie dann immer so tun sollten, ohne die Leute erst zu prüfen und zu unterrichten? Jesus erwiderte, die Leute seien müde des Harrens am Fest und verschmachteten in Dürre, sie sollten nur so tun. Wenn sie den Heiligen Geist würden empfangen haben, würden sie fortan immer wissen, was sie zu tun hätten. Er sprach auch mit Petrus von der Buße und Lossprechung. Zu allen redete Er vom Ende der Welt und von den Zeichen, die ihm voran gehen werden. Es werde ein Erleuchteter ein Gesicht darüber haben. Er meinte die Offenbarung des Johannes und bediente sich ähnlicher Bilder.

Er sprach von den an der Stirne Bezeichneten und dass der Quell des lebendigen Wassers, das vom Kalvarienberg strömen werde. Am Ende der Zeit werde es ganz wie vergiftet werden, doch werde alles gute Wasser im Tal Josaphat gesammelt. Es war mir auch, als sagte Er: alles Wasser müsse wieder Taufwasser werden. Während dieser ganzen Lehre waren keine Pharisäer zugegen. Jesus ging abends nach Bethanien zu Lazarus.

Auch den ganzen folgenden Tag über lehrte Jesus ungestört im Tempel. Er sprach von der Wahrheit und der Erfüllung dessen, was man lehre. Er wolle es nun erfüllen. Es sei nicht genug, zu glauben. Man müsse auch den Glauben erfüllen. Sie alle, ja selbst die Pharisäer, könnten Ihm nichts vorwerfen, worin Er unrecht gelehrt habe, nun aber wolle Er auch die Wahrheit, die Er gelehrt, erfüllen in seinem Hingang zum Vater. Ehe Er aber gehe, wolle Er ihnen noch alles zurücklassen und geben, was Er habe. Geld und Gut habe Er nicht. Aber Er wolle ihnen seine Gewalt und Kräfte hinterlassen und wolle eine Vereinigung mit ihnen gründen bis an das Ende der Tage, welche inniger noch sein sollte, als seine jetzige. Er wolle sie auch alle unter einander verbinden zu Gliedern eines Leibes. Er sagte so vieles, was Er noch mit ihnen tun wolle, dass Petrus Hoffnung fassend, Er bleibe noch länger, zu Jesus sprach, wenn Er alles dieses mit ihnen tun wolle, so bliebe Er bis ans Ende der Welt mit ihnen. Jesus sprach vom Inhalt und der Wirkung des Abendmahls, ohne das Abendmahl namentlich zu erwähnen. Er sagte auch, Er wolle das letzte Ostern mit ihnen halten. Und da Petrus fragte, wo Er es mit ihnen halten wollte, sagte Jesus, Er werde es zu seiner Zeit sagen. Nach diesem letzten Pascha werde Er zu seinem Vater gehen. Petrus fragte wieder, ob Er seine Mutter, welche sie alle so sehr liebten und ehrten, nicht mitnehmen werde? Jesus antwortete, dass sie eine Zahl Jahre, wobei fünf vorkam, ich glaube fünfzehn Jahre, bei ihnen bleiben werde und sprach noch vieles von seiner Mutter.

In der Lehre von der Kraft und Wirkung seines Abendmahls kam Er auf Noe, der im Wein sich berauscht und das Volk Israel, welchem das Himmelsbrot unschmackhaft geworden, und sprach vom Wermut, womit man es durchbittern müsse. Er wolle nun das Brot des Lebens bereiten in seinem Heimgang, denn noch sei es nicht gebacken oder gekocht.

Dann sagte Jesus auch, Er habe so lange die Wahrheit gelehrt und ihnen mitgeteilt. Sie aber hätten immer gezweifelt und zweifelten noch! Er fühle, dass Er ihnen durch sein körperliches Dasein nicht mehr nützen könne. Er wolle ihnen darum alles geben, was Er habe, und wolle nur soviel behalten, um die Blöße seines Leibes zu bedecken. Das verstanden sie nicht. Sie meinten höchstens, Er werde sterben oder verschwinden. Schon gestern, als Er von der Verfolgung der Juden gegen Ihn redete, hatte Petrus gesagt, Er möge sich doch entfernen. Sie wollten mit Ihm fortgehen, Er sei ja nach des Lazarus Erweckung auch hinweg gegangen.

Als Jesus gegen Abend den Tempel verließ, sprach Er, von demselben Abschied nehmend, Er werde ihn in diesem Leib nicht mehr betreten. Es war dies so rührend, dass alle Apostel und Jünger sich auf die Erde warfen und laut schrieen und weinten. Auch Jesus weinte. Judas weinte nicht. Er war aber in Angst und Unruhe, wie schon die letzten Tage über. Jesus hatte gestern kein Wort von ihm gesprochen.

Auf dem Vorplatz der Heiden harrten viele derselben auf Jesus, um an Ihn sich zu wenden. Sie sahen die Apostel weinen und Jesus sagte ihnen, sie sollten sich nachher an seine Apostel und Jünger wenden, denen Er alle seine Macht gebe. Jetzt sei keine Zeit. Nun ging Er auf dem Palmsonntagsweg zur Stadt hinaus und wendete sich noch oft mit traurigen und ernsten Worten zum Tempel zurück. Er ging in die offene Herberge am Ölberg und im Dunkel nach Bethanien.

Hier lehrte Jesus im Haus des Lazarus noch beim Abendessen, wo die Frauen aufwarteten. Sie waren jetzt weniger getrennt. Auf den folgenden Abend aber bestellte Er ein reichliches Mahl im Herberghaus bei Simon.

An diesem Tag war es sehr stille in Jersusalem gewesen.

Die Pharisäer waren nicht im Tempel, sondern zu einem Rat versammelt und sehr besorgt, dass Judas nicht wieder bei ihnen gewesen war. Viele gute Leute in Jerusalem waren in großer Betrübnis, da sie durch die Jünger von den Worten Jesu Kenntnis hatten. Ich sah Nikodemus, Joseph von Arimathäa, die Söhne Simeons und andere sehr betrübt, aber doch noch mit den Juden vermischt und sich nicht absondernd. Auch Veronika sah ich in ihrer Wohnung traurig umhergehend und die Hände ringend. Ihr Mann stellte sie zur Rede, warum sie so traurig sei. Ihr Haus lag in der Stadt zwischen dem Tempel und dem Kalvarienberg. In den Hallen um das Haus des Abendmahls herbergten bei sechzig und siebzig Jünger.

4. Die letzte Salbung Magdalenas

Am Morgen des folgenden Tages lehrte Jesus im Hof vor dem Haus des Lazarus vor sehr vielen Jüngern. Es waren ihrer mehr als sechzig. Nach Mittag, etwa um drei Uhr, wurden Tische für die Jünger im Hof aufgestellt und Jesus diente ihnen mit den Aposteln beim Mahl. Er ging von Tisch zu Tisch, reichte dieses und er kaufte zu dem bei Simon bestellten Mahl ein. Auch Magdalena war nach Jerusalem gegangen, Salbe zu kaufen. Die heiligste Jungfrau, welcher Jesus in der Frühe seinen nahen Tod angekündigt hatte, war unaussprechlich traurig. Ihre Nichte, Maria Kleophä, war immer um sie, sie zu trösten, und war mit ihr zur Jüngerherberge voll Trauer gewandelt.

Jesus aber redete mit den Jüngern von seinem nahen Tod und dessen Folgen. Es werde Ihn einer, der Ihm vertraut sei und Ihm alles zu verdanken habe, an die Pharisäer verkaufen. Er werde Ihn nicht einmal im Preis halten, sondern nur fragen: «Was wollt ihr mir für Ihn geben?» Wenn die Pharisäer einen Sklaven kauften, so würde ihnen doch der Preis gesagt, dieser aber werde Ihn verkaufen um das, was sie böten. Er werde Ihn schlechter verkaufen, als einen Sklaven. Die Jünger weinten bitterlich und konnten vor Betrübnis nicht mehr essen. Jesus aber nötigte sie freundlich. Ich habe oft die Jünger viel zärtlicher als die Apostel gegen Jesus gesehen. Ich glaube, weil sie nicht so häufig mit Ihm waren, waren sie demütiger.

Auch mit den Aposteln redete Jesus an diesem Morgen noch vieles. Da sie nicht alles verstanden, befahl Er ihnen, was sie nicht verstünden, aufzuzeichnen. Wenn Er ihnen seinen Geist senden werde, werden sie sich daran erinnern und es verstehen. Ich sah, wie Johannes und andere sich vieles bemerkten. Jesus berührte manches von ihrer Flucht, wenn Er werde überantwortet werden. Sie konnten es sich gar nicht denken und taten es doch. Er sagte ihnen vieles, was darnach folgen werde, und wie sie sich verhalten sollten.

Zuletzt sprach Er von seiner heiligsten Mutter, dass sie mit Ihm alle schrecklichen Martern seines Todes werde mitleiden, dass sie mit Ihm seinen bitteren Tod werde mitsterben und doch noch fünfzehn Jahre werde leben müssen.

Den Jüngern sagte Jesus, wohin sie sich begeben sollten: einige nach Arimathäa, andere nach Sichar, andere nach Kedar. Die drei Jünger, die Ihn auf der letzten Reise begleitet hatten, sollten nicht nach Hause gehen. Wenn man sich sehr in seiner Gesinnung verändert habe, solle man nicht in die Heimat gehen, man gebe sonst Ärgernis und laufe durch Widerstand Gefahr, zu fallen. Eliud und Eremenzear gingen, glaub ich, nach Sichar. Silas blieb noch. So belehrte Jesus sie ungemein liebevoll und riet ihnen in allem. Ich sah viele schon gegen Abend sich zerstreuen.

Während dieser Lehren kam Magdalena von Jerusalem mit der gekauften Salbe zurück. Sie war zu Veronika gegangen und hatte in deren Haus verweilt, bis diese für sie den Einkauf der Salbe besorgt hatte. Es war dreierlei und das Köstlichste, was zu haben war. Magdalena hatte, was sie noch besaß, dazu verwendet. Es war dabei eine Flasche mit Nardenöl. Sie kaufte die Gefäße gleich mit, welche von einem weißlichen, hellen, doch nicht durchsichtigen Stoff, schier wie von Perlmutter waren. Es war aber nicht Perlmutter. Sie hatten die Form kleiner Urnen und waren oben zugeschraubt. An dem gewulsteten Fuß waren Knöpfe. Magdalena trug die Gefäße unter dem Mantel nebeneinander in einer Tasche, welche von der einen Schulter quer über die Brust und Rücken hing. Die Mutter des Johannes Markus ging mit ihr nach Bethanien und Veronika begleitete sie ein Stück Weges. Als sie durch Bethanien kamen, begegnete ihnen Judas, der mit Magdalena sprach und innerlich unwillig war. Magdalena hatte von Veronika gehört, dass die Pharisäer beschlossen hätten, Jesus zu fangen und zu töten. Aber jetzt noch nicht wegen der vielen Fremden und besonders wegen der vielen Heiden, welche Jesus anhingen. Sie sagte es den andern Frauen.

Die Frauen waren in Simons Haus und halfen das Mahl zubereiten. Judas hatte alles eingekauft. Er hatte heute den Beutel recht aufgetan und heimlich gedacht, er wolle es am Abend schon wieder kriegen. Bei einem Mann in Bethanien, der Gärten hatte, kaufte er Grünes, zwei Lämmer, Früchte, Fische, Honig und dergleichen. Der Speisesaal bei Simon war heute ein anderer als der, wo sie das vorige Mal, den Tag nach dem Einzug in den Tempel, gespeist hatten. Heute aßen sie in einer offenen geschmückten Halle hinten am Haus, die auf den Hof sah. Sie hatte eine Öffnung in der Decke, die mit einem durchsichtigen Flor wie mit einer Kuppel überspannt war. Zu beiden Seiten dieser Kuppel hingen grüne Pyramiden von einem braungrünen, fetten Kraut nieder mit kleinen runden Blättern. Die Pyramiden waren nach unten auch grün geschlossen und es war mir, als hielten sie das immer so grün. Unter dieser Deckenverzierung war der Sitz Jesu. Die eine Seite der Tafel, wo durch die offene Säulenhalle die Speisen über den Hof gebracht wurden, war unbesetzt, nur Simon, welcher diente, hatte seinen Platz dort. An dieser Seite standen drei hohe platte Wasserkrüge unter dem Tisch an der Erde.

Die Gäste lagen diesmal auf niedrigen Querbänken, welche rückwärts eine anschließende Lehne und voran einen Arm hatten, auf den man sich stützte. Die Bänke standen paarweise und waren so breit, dass immer zwei und zwei einander gegenüber saßen. Nur Jesus ruhte in der Mitte auf einem Sitz allein. Die Frauen aßen diesmal in einer offenen Halle links und konnten schräg über den Hof auf das Mahl der Männer sehen.

Als alles bereitet war, gingen Simon und sein Diener, Jesus, die Apostel und Lazarus abzuholen. Sie trugen Festkleider. Simon ein langes Kleid, einen Gürtel mit Figuren und am Arm eine lange, unten zottige Manipel. Der Diener hatte keine Ärmel im Oberkleid. Simon führte Jesus, der Diener die Apostel. Sie zogen nicht über die Straße durch Simons Haus, sondern gingen in ihren Festkleidern hinten durch den Garten in den Saal. Es waren sehr viele Leute in Bethanien, und durch die vielen Fremden, welche gerne den Lazarus gesehen hätten, war ein großes Getümmel. Auch war es den Leuten aufgefallen, dass Simon, dessen Haus sonst öffentlich war, so viel hatte einkaufen lassen und alles verschlossen hielt. Kurz, man war neugierig und unruhig. Die Leute stiegen während des Mahles schier auf die Mauern. Ich erinnere mich nicht, ein Fußwaschen, sondern nur ein Reinigen vor der Tür gesehen zu haben.

Auf dem Tisch standen mehrere große Becher und immer zwei kleine daneben, mit dreierlei Getränken, grünlichem, rotem und gelbem. Ich meine es war eine Art von Birnsaft dabei. Zuerst wurde ein Lamm aufgetragen. Es lag ausgestreckt mit dem Kopf auf den Vorderfüßen auf einer länglich runden Schüssel und ward mit dem Kopf gegen unsern Herrn gestellt. Er nahm ein weißes Messer, wie von Bein oder Stein, setzte es in den Nacken des Lammes und schnitt erst vom Nacken an der einen Seite des Halses, dann an der andern nieder. Dann machte Er einen langen Schnitt über den ganzen Rücken und Kopf. Ich dachte bei der Linie dieses Schnittes unwillkürlich an das Kreuz. Er legte das Abgeschnittene dem Johannes, Petrus und sich vor. Dann machte Simon der Wirt Querschnitte zu beiden Seiten und legte die Stücke links und rechts nach der Folge den Aposteln und dem Lazarus vor.

Die heiligen Frauen saßen in der Runde um ihren Tisch. Magdalena, die immer weinte, saß der heiligsten Jungfrau gegenüber. Es waren ihrer sieben oder neun. Sie hatten auch ein Lämmchen, aber es war kleiner und lag breiter in der Schüssel und sah sich mit dem Kopf zur Muttergottes um, die es zerlegte.

Nach dem Lamm kamen drei große Fische und kleine dazwischen. Die großen Fische lagen wie schwimmend auf dem Bauch in einer weißen starren Brühe. Dann kam ein Backwerk, Brötchen in Gestalt von Lämmern und Vögeln mit ausgebreiteten Flügeln, dann Honigwaben, grünes Kraut wie Salat, und eine Brühe, worin sie dies Kraut eintauchten, ich meine Öl. Dann kamen Früchte, es schienen Birnen. In Mitten derselben stand eine Frucht, wie ein Kürbis, auf welcher mehrere andere, wie Trauben, mit dem Stiele eingesteckt waren. Die Schüsseln waren teils weiß, teils inwendig gelb, platt und tief nach der Art der Speise.

Jesus lehrte während des ganzen Mahles. Da es schon am Ende war, hörten Ihm die Apostel gespannt, mit offenem Munde zu, auch Simon, der sonst diente, saß ganz starr und hörte zu.

Magdalena aber war still von ihrem Sitze bei den Frauen aufgestanden. Sie hatte einen feinen blauweißen dünnen Mantel um, schier wie das Mantelzeug der heiligen Drei Könige, ihre aufgelösten Haare waren mit einem Schleier bedeckt. Sie trug die Salbe in einer Falte des Mantels, ging durch die Laubgänge hinter Jesus in den Saal, warf sich zu seinen Füßen nieder und weinte heftig, indem sie ihr Angesicht auf seinen Fuß niederbeugte, der auf dem Ruhebett lag, den andern Fuß, der mehr an den Boden gesenkt war, reichte ihr der Herr selbst dar. Sie löste die Sandalen und salbte die Füße oben und an den Sohlen. Dann fasste sie ihre aufgelösten, mit dem Schleier bedeckten Haare in beide Hände und fuhr damit abstreifend über die gesalbten Füße des Herrn, die sie wieder mit den Sandalen bekleidete. Hierdurch entstand eine Unterbrechung in Jesu Rede. Er hatte Magdalenas Kommen wohl bemerkt. Die andern aber waren plötzlich gestört. Jesus sprach: «Ärgert euch nicht an dieser Frau!» und redete dann leise zu ihr. Magdalena aber trat nun hinter Jesus und goss Ihm das köstliche Wasser über das Haupt, dass es in sein Gewand niederrann, und strich Ihm noch Salbe mit der Hand vom Wirbel über das Hinterhaupt nieder. Wohlgeruch erfüllte den Saal. Die Apostel flüsterten und murrten, selbst Petrus war unwillig über die Störung. Magdalena aber ging weinend und verschleiert hinter dem Tisch herum und als sie bei Judas vorüber kam, hielt er ihr die Hand in den Weg, dass sie stehen blieb. Er sprach unwillig von Verschwendung, und man hätte es den Armen geben können. Magdalena schwieg und weinte bitterlich. Jesus aber sagte: sie sollen sie gehen lassen, sie habe Ihn zu seinem Tod gesalbt, sie werde es nachher nicht mehr können, und wo man dieses Evangelium lehren werde, werde ihre Tat und ihr Murren auch erwähnt werden.

Magdalena ging traurig weg. Die ganze Mahlzeit war durch das Murren der Apostel und durch den Verweis Jesu gestört. Es gingen nun alle wieder zu Lazarus. Judas aber voll Wut und Geiz dachte bei sich, es sei diese Wirtschaft nicht länger zu ertragen. Er ließ sich aber nichts merken, legte sein Feierkleid ab und nahm den Schein an, als müsse er sich entfernen, um im Speisehaus die Überreste der Mahlzeit noch für die Armen zu bewahren. Er lief aber spornstreichs nach Jerusalem. Ich sah den Teufel immer mit ihm rot, spitz und dünnleibig. Er war vor und hinter ihm und es war, als leuchte er ihm. Judas sah und lief, ohne sich zu stoßen, ganz sicher im Dunkeln. Ich sah ihn in Jerusalem in das Haus laufen, wo Jesus nachher verspottet wurde. Die Pharisäer und Hohenpriester waren noch versammelt. Er kam nicht in die Versammlung. Zwei sprachen mit ihm unten im Hof. Als er sagte, er wolle Jesus überantworten und was sie ihm dafür geben wollten, waren sie sehr froh und meldeten es den andern. Da kam einer heraus und bot dreißig Silberlinge. Judas wollte sie gleich haben: aber sie wollten sie ihm nicht geben. Er sei schon einmal da gewesen und so lang ausgeblieben, er solle erst das Seinige tun, und dann wollten sie zahlen. Ich sah sie den Akkord mit Handschlag machen, und am Kleid beiderseits etwas zerreißen. Sie wollten, er solle noch bleiben und ihnen sagen, wie oder wann. Er aber drang zu gehen, um keinen Verdacht zu erregen. Er sagte, dass er alles genauer noch erfahren müsse, dann könne es morgen ohne Aufsehen geschehen. Ich sah den Teufel immer dazwischen. Da lief er wieder nach Bethanien, zog sein Kleid an und war bei den andern.

Jesus blieb im Haus des Lazarus, während die anderen nach ihren Herbergen sich begaben. In der Nacht kam noch Nikodemus von Jerusalem zurück und Lazarus geleitete ihn ein Stück Weges.

5. Das letzte Ostermahl

Schon vor Anbruch des Tages berief Jesus den Petrus und Johannes zu sich, und sprach mit ihnen über alles, was sie in Jerusalem für das Mahl des Osterlammes anschaffen und ordnen sollten. Die Jünger hatten Ihn schon gestern gefragt, wo Er mit ihnen das Osterlamm essen wolle. Jesus sagte den beiden Aposteln, sie würden, am Berge Sion hinaufgehend, den Mann mit dem Wasserkrug finden, den sie bereits kannten, da er schon am vorigen Osterfest in Bethanien der Hausvater für Jesus beim Passamahl gewesen war. Diesem sollten sie in das Haus folgen und ihm melden: «Der Meister lässt dir sagen, seine Zeit rücke heran, Er wolle bei dir Ostern halten.» Sie sollten sich den Speisesaal zeigen lassen, der schon eingerichtet sei, und alles Nötige dort vorbereiten.

Ich sah die beiden Apostel zu Jerusalem in einer Schlucht mittäglich vom Tempel an die Mitternachtsseite von Sion hinansteigen. An der Mittagsseite des Tempelberges standen noch Häuserreihen. Diesen gegenüber gingen sie an der Seite eines in der Tiefe fließenden Baches, der sie von diesen Häusern trennte, einen Weg hinauf. Als sie sich auf Sion höher als der Tempelberg befanden und gegen die Mittagsseite von Sion kamen, fanden sie auf einem freien, etwas aufsteigenden Platz in der Nähe eines alten, mit Höfen umgebenen Gebäudes jenen Mann, folgten ihm nach und sagten ihm nahe bei dem Haus, was Jesus ihnen befohlen hatte. Er freute sich sehr, als er sie sah und ihre Botschaft hörte, und sagte ihnen, es sei eine Mahlzeit schon bei ihm bestellt worden (wahrscheinlich durch Nikodemus), er habe jedoch nicht gewusst für wen. Nun freue er sich sehr, dass es für Jesus sei. Es war aber dieser Mann Heli, der Schwager des Zacharias von Hebron, derselbe, in dessen Haus Jesus voriges Jahr in Hebron nach dem Sabbat der Familie den Tod des Johannes bekanntgemacht hatte. Er hatte nur einen Sohn, der Levit und ein Freund des Lukas war, ehe dieser noch zum Herrn kam, und außerdem fünf unverheiratete Töchter. Er ging jährlich mit seinen Knechten zum Fest, mietete einen Ostersaal und bereitete das Ostermahl für Leute, welche keinen Hausvater hatten.

Auf das jetzige Osterfest aber hatte er den Saal in einem alten großen Gebäude gemietet, welches dem Nikodemus und Joseph von Arimathäa gehörte. Dasselbe lag an der Südseite des Berges Sion, nicht weit von der Burg Davids und dem von der Morgenseite zu dieser Burg aufsteigenden Markt, in einem geräumigen, mit dicken Mauern umgebenen Hof zwischen schattigen Baumreihen. Rechts und links vom Hoftor standen innerhalb des Hofes ein paar kleinere Gebäude an der Mauer. In einem derselben hielt die heiligste Jungfrau mit den anderen heiligen Frauen das Ostermahl und hat sich mit ihnen auch nach der Kreuzigung öfter daselbst aufgehalten. Das große Hauptgebäude aber mit dem von Heli gemieteten Ostersaal lag in der Mitte des Hofes, doch mehr nach rückwärts. Dasselbe war das Haus, in welchem zu König Davids Zeiten dessen tapfere Helden und Heerführer in den Waffenkünsten sich geübt hatten. Auch war vor Erbauung des Tempels einmal die Bundeslade eine Zeit lang hier gestanden. Es waren noch die Spuren ihres Standortes an einem unterirdischen Ort daselbst. Ich habe auch den Propheten Malachias in diesen Gewölben verborgen gesehen, wo er Prophezeiungen von dem heiligsten Sakrament und dem Opfer des neuen Bundes schrieb. Auch Salomo hielt dieses Haus in Ehren und hatte etwas Vorbildliches damit zu schaffen, was ich vergessen habe. Als ein großer Teil von Jerusalem durch die BabyIonier zerstört wurde, blieb dieses Haus verschont. Jetzt aber war es im Besitz von Nikodemus und Joseph von Arimathäa, welche den Hauptbau zu einem Festhaus für Ostergäste sehr bequem eingerichtet hatten und auf Ostern zu vermieten pflegten. Sonst diente ihnen die ganze Örtlichkeit das Jahr über als Lager von Bau- und Grabsteinen und als Steinhauerwerkstätte, denn Joseph von Arimathäa hatte Steinbrüche von guter Art in seiner Heimat und handelte mit Grabsteinen, Gesimsen und Säulen, welche hier unter seiner Aufsicht bearbeitet wurden. Auch Nikodemus hatte viel mit Bauwerk zu tun und trieb zu seiner Erholung selbst Bildhauerei. Er arbeitete hier außer den Festzeiten oft an Steinbildern im Saal und auch unter demselben in einem Gewölbe und war durch diese Kunst mit Joseph von Arimathäa so in Freundschaft gekommen, dass sie mancherlei zusammen unternahmen.

Das Hauptgebäude, der eigentliche Abendmahlssaal, ist ein längliches Viereck, rings mit einem niedrigeren Säulengang umgeben, welcher sich mit dem inneren hohen Saal zu einem Ganzen vereinigen lässt, denn das ganze Gebäude ist eigentlich durchsichtig, auf Säulen oder Pfeilern ruhend, nur sind alle Öffnungen gewöhnlich mit Stellwänden zugesetzt. Das Licht fällt durch Öffnungen oben an den Mauern herein. Es hat an der vordern schmalen Seite ein Vorgemach, zu dem drei Eingänge führen, dann tritt man in den innern, hohen, schöngeplatteten Saal, von dessen Decke mehrere Lampen niederhängen. Er wird zum Fest an den Wänden in halber Höhe mit schönen Matten oder Teppichen bekleidet, und in der Dekcke wird eine Lucke geöffnet und wie mit einem durchsichtigen, blauschimmernden Flor überzogen. Das hintere Ende dieses Saals ist durch einen ähnlichen Vorhang ebenfalls zu einem eigenen Raum abgesondert. So hat der Abendmahlssaal durch diese Abteilung in drei Räume eine Ähnlichkeit mit dem Tempel. Es hat eine Vorhalle, ein Heiliges und ein Allerheiligstes. Dieser letzte abgeschiedene Raum dient links und rechts zur Niederlage für Kleider und allerlei Geräte, in der Mitte befindet sich eine Art Altar. Es springt aus der Wand über drei Aufgangsstufen eine Steinbank von der Gestalt eines rechtwinkligen Dreiecks hervor, dessen spitze Ecke in der Mitte der beiden Seitenflächen abgestumpft ist. Es muss dieses die obere Seite des Osterlammbratofens sein, denn es waren heute beim Mahle die Stufen umher ganz warm. Es ist an der Seite dieses Raumes ein Ausgang hinaus in die Halle hinter diesem Vorsprung. Da geht man hinab, wo eingeheizt wird, auch sind dort noch andere Gewölbe und Keller unter dem Saal. An jenem Vorsprung oder Altar sind mancherlei Vorrichtungen, wie Kasten oder Schubladen, die man herausziehen kann. Es sind auch Öffnungen wie ein Rost oben und eine Stelle zum Feuer machen, so wie eine, es zu löschen. Ich kann das ganze nicht mehr genau beschreiben. Es scheint eine Art Herd für Osterbrote und anderes Backwerk, oder auch Räucherwerk, auch um beim Fest gewisse Überbleibsel zu verbrennen. Es ist wie eine Osterküche. Über diesem Herd oder Altar ist an der Wand ein sich vorbeugender nischenartiger Kasten von Sparrwerk, und oben eine Öffnung, woran eine Klappe, wahrscheinlich den Rauch hinauszulassen. Vor dieser Nische, oder über ihr herabhängend, sah ich das Bild eines Osterlammes. Es steckte ihm ein Messer in der Kehle, und es war, als tröpfle sein Blut auf den Altar. Ich weiß nicht mehr ganz genau, wie es gemacht war. In der Nische an der Wand sind drei bunte Schränke, die man wie unsere Tabernakel dreht, sie zu öffnen oder zu schließen. Hier sah ich allerlei Ostergefäße und muldenförmige Schalen stehen, und später das heiligste Sakrament. In den Seitenhallen des Abendmahlssaals sind hie und da schräge Lager aufgemauert, worauf zusammengerollte dicke Decken liegen. Es sind dies Schlafstellen. Unter dem ganzen Bau gehen schöne Keller durch. Der Standort der Bundeslade ist einst hinten gewesen, wo nun der Osterherd darüber errichtet worden ist. Es befinden sich unter dem Haus fünf Abflüsse, die alle Unreinigkeit und Ausgüsse den Berg hinabführen, denn das Haus liegt hoch. Ich habe Jesus hier auch schon früher heilen und lehren gesehen. Auch herbergten manchmal Jünger in den Seitenhallen.

Während Petrus und Johannes mit Heli redeten, sah ich den Nikodemus in einem der Nebengebäude im Hof, wohin die Steine aus der Nähe des Speisesaales geräumt wurden. Schon vor acht Tagen habe ich Leute beschäftigt gesehen, den Hof zu reinigen und den Speisesaal zum Osterfeste herzurichten. Es waren selbst einzelne Jünger dabei.

Als Petrus und Johannes mit Heli gesprochen hatten, ging dieser durch den Hof ins Haus zurück. Sie aber wendeten sich rechts, gingen mitternachtwärts durch Sion hinab über eine Brücke und auf grünen Heckenpfaden zur andern Seite der Schlucht vor dem Tempel, zu den Häuserreihen südlich unter dem Tempel. Hier war das Haus des alten Simeons, wo nun seine Söhne, die heimliche Jünger waren, wohnten. Die Apostel sprachen im Haus mit dem ältesten Sohn namens Obed, der am Tempel diente, mit einem langen, schwarzen Mann, der nun mit ihnen östlich vom Tempel durch jenen Teil von Ophel, durch welchen Jesus am Palmsonntag in Jerusalem eingezogen war, und dann an der Mitternachtsseite des Tempels in der Stadt bis zum Viehmarkt wandelte. Hier sah ich an der Mittagsseite des Marktes kleine umzäunte Räume, wo schöne Lämmer auf Rasen, wie in kleinen Gärtchen herumsprangen. Beim Einzug Jesu hatte ich gemeint, es sei dieses zur Festlichkeit so eingerichtet. Es waren aber Osterlämmer, welche man hier verkaufte. Ich sah den Sohn Simeons in einen solchen Raum hineintreten, die Lämmer sprangen auf ihn zu und stießen ihn mit dem Kopf, als würden sie ihn kennen, und er fing vier unter denselben heraus, welche zum Abendmahlssaal gebracht wurden. Ich sah ihn nach Mittag im Abendmahlssaal an der Vorbereitung des Osterlammes teilnehmen.

Petrus und Johannes sah ich noch allerlei Wege in der Stadt machen und manches bestellen. Ich sah sie auch vor einem Tor nördlich vom Kalvarienberg, an der Nordwestseite der Stadt, in einer Herberge, wo sich viele Jünger aufhielten. Es war dieses die rechte Jüngerherberge vor Jerusalem, welche unter der Pflege von Veronika stand, deren eigentlicher Name Seraphia war. Dann gingen sie auch ins Haus der Veronika, bei der sie manches zu bestellen hatten. Ihr Mann, ein Ratsherr, war meistens in seinen Geschäften außer Haus, und wenn er auch zu Hause war, nicht in ihrer Nähe. Sie ist eine Frau wohl im Alter der heiligsten Jungfrau, und der Heiligen Familie früh bekannt. Denn als Jesus als Knabe am Fest in Jerusalem zurückgeblieben war, empfing Er seine Speise durch sie.

Die beiden Apostel erhielten hier mancherlei Geräte, das in bedeckten Körben teils von Jüngern zum Abendmahlssaal getragen wurde. Sie empfingen hier aber auch den Kelch, dessen sich der Herr bei der Einsetzung des heiligen Sakramentes bediente.

Dieser Kelch ist ein sehr wunderbares, geheimnisvolles Gefäß, das seit langer Zeit unter andern alten kostbaren Geräten im Tempel gewesen war, deren Gebrauch und Ursprung ebenso vergessen wurde, wie auch bei uns manches altertümliche, heilige Kleinod durch die Schicksale der Zeit in Vergessenheit kommt. Man hat öfter am Tempel veraltete, unbekannte Gefäße und Kleinodien ausgemustert, verkauft oder neu umarbeiten lassen, und so ist durch Gottes Fügung, dieses heiligste Gefäß, das man seiner unbekannten Materie wegen nicht zum Einschmelzen brauchen konnte, obschon man öfters damit umging, von den jüngeren Priestern in den Schatzkammern des Tempels nebst andern Sachen in einem Kasten als vergessenes altes Geschirr gefunden und an Liebhaber von Altertümern veräußert worden. Der Kelch und alles dazugehörige, von Veronika erkauft, hatte schon öfter bei Festmahlzeiten Jesu gedient, und ist von heute zum steten Besitz der heiligen Gemeinde Jesu Christi gekommen. Im jetzigen Zustand ist dieses Gefäß nicht immer gewesen. Ich entsinne mich nicht mehr, wann und ob nicht aus Veranlassung des Herrn selbst die Zusammenstellung so gemacht worden ist. Es war nämlich jetzt eine ganze tragbare Vorrichtung zur Einsetzung des heiligen Sakramentes mit dem Kelch verbunden.

Auf einer Fläche, aus der man noch ein Täfelchen herausziehen konnte, von dem ich mich nicht entsinne, ob es Heiligtum enthielt, stand der große Kelch und um denselben sechs kleine Becher. Ein kleineres Gefäß stand noch im Kelch selber. Auf dem Kelch lag ein Tellerchen und über diesem ein gewölbter Deckel. Im Fuße des Kelches war ein Löffel bewahrt, den man herausnehmen konnte. Diese Gefäße, mit feinen Tüchlein bedeckt, standen unter einer Kappe, einem Schirm, ich meine von Leder, woran oben ein Knopf war. Der große Kelch selbst besteht aus dem Kelchbecher und dem Fuße, welcher später hinzugefügt worden sein muss, denn der Kelchbecher war von anderem Stoff, als der Fuß, nämlich von bräunlicher spiegelglatter Masse in birnförmiger Gestalt. Er ist aber mit Gold überlegt oder gefasst und hat zwei kleine Henkel, an welchen man ihn anfassen kann, denn er ist ziemlich schwer. Der Fuß ist kunstvoll von dunklem Golderz gearbeitet, unten umher eine Schlange und auch ein Träubchen. Auch mit Edelsteinen ist er verziert: im Fuße befindet sich der kleine Löffel.

Der große Kelch ist bei Jakob dem Kleineren in der Kirche zu Jerusalem geblieben, und ich sehe ihn noch irgendwo fest bewahrt liegen. Er wird auch noch einmal wieder zutage kommen, wie er jetzt hier zutage gekommen ist. In die kleineren ihn umgebenden Becher haben sich andere Kirchen geteilt. Es ist einer nach Antiochien, einer nach Ephesus gekommen. Die Gefäße sind an sieben Kirchen gelangt. Diese kleineren Becher gehörten Patriarchen. Sie tranken das geheimnisvolle Getränk daraus, wenn sie den Segen empfingen und erteilten, wie ich sonst gesehen und erzählt habe.

Der große Kelch war schon bei Abraham. Melchisedek brachte ihn aus dem Land der Semiramis, wo er verkommen war, mit in das Land Kanaan, als er allerhand Plätze in Jerusalem gründete. Er hat ihn bei dem Opfer gebraucht, da er Brot und Wein vor Abraham opferte, und er hat ihn Abraham gelassen. Der Kelch ist schon bei Noe gewesen. Er stand ganz oben in der Arche. Auch Moses besaß ihn. Die Masse des Kelchbechers war dicht wie eine Glocke. Er war wie gewachsen, wie von Natur aus so gestaltet und nicht gehämmert. Ich habe ihn durchgesehen (Es ist unbestimmt, ob sie hier sagen wollte, er sei durchsichtig gewesen, oder sie haben ihn mit ihrem Geiste durchschaut) nur Jesus wusste, wovon er war.

Während die beiden Apostel in Jerusalem die Vorrichtungen zum Osterlamm trafen, nahm Jesus von den heiligen Frauen und Lazarus und seiner Mutter in Bethanien einen rührenden Abschied, lehrte und ermahnte sie im allgemeinen.

Ich sah Ihn mit seiner heiligsten Mutter allein sprechen, und erinnere mich einzelner Reden, unter andern: Er habe Petrus, den Glauben, und Johannes, die Liebe, nach Jerusalem zur Bereitung des Pascha gesendet. Von Magdalena welche ganz sinnlos durch Betrübnis war, sagte Er: sie liebe unausprechlich, aber ihre Liebe sei noch vom Fleische umgeben, und darum werde sie ganz wie von Sinnen aus Schmerz. Er sprach auch von dem verräterischen Zustand des Judas. Die heiligste Jungfrau bat noch für denselben.

Judas war wieder unter dem Vorwand, allerlei zu besorgen und zu bezahlen, von Bethanien nach Jerusalem gelaufen und Jesus hatte die neune nach ihm gefragt, obschon Er wohl wusste, was er trieb. Judas lief den ganzen Tag bei den Pharisäern umher und redete alles mit ihnen ab; es wurden ihm sogar die Kriegsknechte gezeigt, die den Herrn gefangen nehmen sollten. Er berechnete alles genau mit den Wegen hin und her, so dass ihm immer eine Entschuldigung seiner Abwesenheit blieb. Erst kurz vor dem Osterlammessen kam er wieder zum Herrn. Ich habe alle seine Pläne und Gedanken gesehen. Als Jesus mit Maria über ihn sprach, sah ich vieles von seinem Wesen. Er war tätig und dienstfertig, aber voll Geiz, Ehrsucht und Neid, und er kämpfte nicht gegen diese Leidenschaften. Er hat selbst Wunder getan und in Jesu Abwesenheit Kranke geheilt. Als Jesus der heiligsten Jungfrau verkündete, was Ihm bevorstehe, bat sie Ihn so rührend, Er möge sie mit Ihm sterben lassen. Er aber ermahnte sie, in ihrem Schmerz ruhiger zu sein, als die andern Frauen, und sagte ihr auch, dass Er auferstehen, und wo Er ihr erscheinen werde. Sie weinte jetzt nicht viel, aber war gar traurig und von einem erschütternden Ernst. Jesus dankte ihr wie ein frommer Sohn für alle Liebe. Er umfasste sie mit seiner Rechten und drückte sie an seine Brust. Er sagte ihr auch, Er werde im Geiste sein Abendmahl mit ihr halten, und bestimmte die Stunde, da sie es empfangen werde. Er nahm noch von allen einen sehr rührenden Abschied und lehrte über vieles.

Jesus ging gegen Mittag mit den neun Aposteln von Bethanien nach Jerusalem; es folgten Ihm sieben Jünger, welche, außer Nathanael und Silas, meistens aus Jerusalem und der Gegend waren. Ich erinnere mich unter ihnen des Johannes Markus und des vor wenigen Tagen aufgenommenen Sohnes der armen Witwe, welche am vorigen Donnerstag, heute vor acht Tagen, da Jesus am Opferstock im Tempel lehrte, ihr Scherflein geopfert hatte. Die heiligen Frauen folgten später nach.

Jesus ging mit seinen Begleitern verschiedene Wege um den Ölberg und im Tal Josaphat, ja bis zum Kalvarienberg hin und her. Es war ein Wandeln unter stetem Lehren. Er sagte unter anderem zu den Aposteln, bis jetzt habe Er ihnen sein Brot und seinen Wein gegeben, heute wolle Er ihnen sein Fleisch und sein Blut geben, alles wolle Er ihnen schenken und lassen, was Er habe. Dabei sah der Herr so rührend aus, als gieße Er sein Inneres aus, als verschmachte Er aus Liebe, sich hinzugeben. Seine Jünger verstanden Ihn nicht. Sie meinten, Er spreche vom Osterlamm. Es ist unaussprechlich, wie liebevoll und geduldig Er in seinen letzten Reden zu Bethanien und hier gewesen. Die heiligen Frauen kamen später in das Haus der Maria Markus.

Die sieben Jünger, welche dem Herrn nach Jerusalem gefolgt waren, machten diese Wege nicht mit. Sie trugen Pakete von Osterzeremonienkleidern zum Abendmahlssaal, legten sie in die Vorhalle und begaben sich in das Haus der Maria Markus. Als Petrus und Johannes mit dem Abendmahlskelch vom Haus der Seraphia zum Abendmahlssaal kamen, lagen schon alle diese Zeremonienmäntel in der Vorhalle, welche jene und andere Jünger hingetragen hatten. Es waren auch von ihnen die nackten Wände des Saales mit Teppichen behängt und die Luken in der Decke geöffnet worden. Auch wurden drei hängende Lampen zugerüstet. Dann gingen Petrus und Johannes zum Tal Josaphat und riefen den Herrn und die neun Apostel. Die Jünger und Freunde, welche auch das Osterlamm im Abendmahlssaal mitaßen, kamen später.

Jesus und die Seinigen aßen das Osterlamm im Abendmahlssaal in drei getrennten Genossenschaften von Zwölfen, deren jeder einer als Hausvater vorstand. Jesus aß es mit den zwölf Aposteln im Abendmahlssaals. Getrennt in den Seitenhallen aß es Nathanael mit zwölf alten Jüngern, und ebenso mit zwölf andern, Eliachim, ein Sohn des Kleophas und der Maria Heli und Bruder der Maria Kleophä. Er war ein Jünger Johannes des Täufers. In einem der Seitengebäude beim Eingang in den Hof des Abendmahlssaals hatten die heiligen Frauen ihr Mahl.

Drei Osterlämmer waren für sie alle im Tempel geschlachtet und gesprengt worden. Es war aber ein viertes Lamm da, das im Abendmahlssaal geschlachtet und gesprengt wurde. Dieses aß Jesus mit den Zwölfen, jedoch dem Judas unbewusst, da dieser sich allerlei Geschäfte gemacht hatte, bei der Schlachtung nicht zugegen gewesen und schon den Weg zum Verrat gegangen war.

Das Schlachten des Lammes für Jesus und die Apostel war ungemein rührend. Es geschah in der Vorhalle des Abendmahlssaals, und Simeons Sohn, der Levite, half dabei. Die Apostel und Jünger waren zugegen und sangen den 118. Psalm. Jesus lehrte hierauf von einer neu eintretenden Zeit und wie nun das Opfer des Mose und die Bedeutung des Osterlammes werde erfüllt werden. Darum aber müsse das Lamm so geschlachtet werden, wie jenes in Ägypten, aus welchem sie jetzt wirklich ausziehen sollten.

Gefäße und alles Zugehörige war bereit. Es ward ein schönes Lämmchen gebracht, das mit einem Kranz geschmückt war, welcher ihm abgenommen und der heiligsten Jungfrau gesendet ward, die sich abseits bei den andern Frauen befand. Das Lamm ward nun um die Mitte des Leibes mit dem Rücken auf ein Brettchen gebunden, und ich dachte noch dabei an Jesus an der Geißelsäule. Den Kopf des Lammes hielt Simeons Sohn in die Höhe, und Jesus stach ihm mit einem Messer in den Hals und gab dasselbe dann dem Sohn Simeons, der fortfuhr, das Lamm zu bereiten. Jesus schien mit Schüchternheit und Schmerz das Lamm zu verwunden, und tat es sehr schnell und ernst. Das Blut wurde in ein Becken gefasst und ein Ysopzweig gebracht, welchen Jesus in das Blut tauchte. Dann ging Er an die Türe des Saales und bezeichnete die zwei Pfosten und das Schloss mit dem Blut, und steckte den blutigen Zweig über die Oberschwelle der Tür. Dabei redete Er feierlich und sagte unter anderem: es solle der Würgengel hier vorübergehen. Sie sollten sicher und ruhig hier anbeten, wenn Er, das wahre Osterlamm, geschlachtet sei. Es solle hiermit eine neue Zeit und ein neues Opfer beginnen und bis ans Ende der Welt fortdauern.

Dann begaben sie sich an den Osterherd am Ende des Saales, wo einst die Bundeslade gestanden. Es war bereits Feuer dort. Jesus sprengte das Blut an diesen Herd und weihte ihn zu einem Altar. Das übrige Blut und Fett ward unter den Altar ins Feuer gegossen. Jesus wandelte hierauf, Psalmen singend, mit den Aposteln im Abendmahlssaal umher und weihte es zu einem neuen Tempel ein. Alle Türen waren dabei verschlossen.

Indessen hatte Simeons Sohn das Lamm ganz zubereitet. Es steckte an einem Spieß, die Vorderbeine waren an ein Querholz, die Hinterbeine an den Spieß geheftet. Ach! Es sah ganz wie Jesus am Kreuze aus und wurde nun nebst den drei andern Lämmern, die vom Tempelschlachten hergebracht worden, in den Ofen zum Braten gestellt.

Alle anderen Osterlämmer der Juden wurden im Vorhof des Tempels geschlachtet und zwar an drei Orten: für die Vornehmen, die Geringen und die fremden Leute. Das Osterlamm Jesu wurde nicht im Tempel geschlachtet. Alles andere aber tat Er streng nach dem Gesetz. Das Lamm war nur ein Vorbild. Er selbst wollte am morgigen Tag das Osterlamm sein.

Jesus lehrte die Apostel vom Osterlamm und dessen Erfüllung, und als die Zeit herannahte, und Judas nun auch gekommen war, wurden die Tische bereitet. Sie legten die Reisezeremonienkleider an, welche in der Vorhalle lagen: andere Schuhe, einen weißen Rock wie ein Hemd und darüber einen Mantel, vorn kurz und hinten länger. Sie schürzten sich in den Gürteln und hatten auch die weiten Ärmel geschürzt. So ging jede Schar zu ihrem Tisch, die zwei Scharen der Jünger in die Seitenhallen. Jesus aber und die Apostel in den Abendmahlssaal. Sie nahmen Stäbe in die Hand und wandelten paarweise zum Tisch, wo sie an ihren Plätzen standen, die Stäbe im Arm lehnend, mit emporgehobenen Armen. Jesus aber, in der Mitte des Tisches stehend, hatte zwei kleine, oben etwas gekrümmte Stäbe, gleich kurzen Hirtenstäben, von dem Speisemeister empfangen. Sie hatten an einer Seite einen Haken, wie einen abgehauenen Zweig. Jesus steckte sie kreuzweise vor der Brust in den Gürtel und stützte die emporgehobenen Arme im Gebete auf die Haken. Er konnte sich so rührend, auf diese Stäbe gelehnt, bewegen. Es war, als habe Er das Kreuz, dessen Last Er bald auf die Schultern nehmen sollte, noch stützend unter den Schultern. So sangen Sie: «Gebenedeit sei der Herr Gott Israels», so wie: «Gelobt sei der Herr» usw. Nach vollendetem Gebete gab Jesus den einen Stab dem Petrus, den andern dem Johannes, welche sie weglegten, oder von Hand zu Hand an die andern Apostel gehen ließen, an was ich mich nicht mehr recht bestimmt erinnere.

Der Tisch war schmal, ungefähr so hoch, dass er einem stehenden Mann einen halben Fuß hoch über die Knie reichte und in der Form eines Zirkelabschnittes. Jesus gegenüber, in der inneren Seite des Halbkreises, war eine freie Stelle zum Auftragen. Wenn ich mich recht entsinne, standen zur Rechten Jesu Johannes, Jakob der Größere und Jakob der Kleinere. Dann an der rechten schmalen Breite des Tisches Bartholomäus. Neben diesem an der inneren Seite des Kreistisches Thomas und neben diesem Judas Iskarioth. Zur Linken Jesu stand Petrus, dann Andreas, Thaddäus, an der linken schmalen Breite Simon und neben diesem an der innern Tischseite Matthäus und Philippus.

In der Mitte des Tisches stand eine Schüssel mit dem Osterlamm. Sein Kopf ruhte auf den gekreuzten Vorderfüßen, die Hinterfüße waren lang ausgestreckt. Rund umher auf dem Rande der Schüssel lag Knoblauch. Daneben befand sich eine Schüssel mit dem Osterbraten und zu beiden Seiten eine Schale mit grünen Kräutern, welche dichtgedrängt aufrecht wie wachsend standen, und eine andere Schale mit kleinen Bündelchen von bittern Kräutern, gleich Balsamirkräutern, dann noch vor Jesus eine Schale mit gelbgrünem Kraute und eine mit einer bräunlichen Brühe. Die Teller der Essenden waren runde Brotkuchen. Sie bedienten sich beinerner Messer.

Der Speisemeister legte nach dem Gebet das Messer zum Zerlegen des Osterlammes vor Jesus auf den Tisch, setzte einen Becher mit Wein vor Ihn und füllte aus einer Kanne sechs Becher, welche immer zwischen zwei Aposteln standen. Jesus segnete den Wein und trank. Die Apostel tranken zwei und zwei aus einem Becher. Der Herr zerlegte das Osterlamm, und die Apostel reichten nach der Reihe ihre Brotkuchen mit einer Art Klammer hin und empfingen jeder seinen Teil und aßen es sehr geschwind, indem sie das Fleisch mit den beinernen Messern abschabten. Die Knochen wurden nachher verbrannt. Sie aßen auch noch schnell von dem Lauch und grünen Kraut, das sie in die Brühe tauchten. Das Osterlamm genossen sie stehend. Nur lehnten sie etwas auf den Lehnen der Sitze. Jesus brach auch eines der Osterbrote und bedeckte einen Teil davon, den anderen verteilte Er. Sie aßen nun auch die Brotkuchen. Dann wurde wieder ein Becher mit Wein gebracht. Jesus aber dankte und trank nicht davon. Er sprach: «Nehmet den Wein und teilt ihn unter euch, denn Ich werde von nun an keinen Wein mehr trinken, bis das Reich Gottes kommt.» Nachdem sie zwei und zwei getrunken hatten, sangen sie, dann betete oder lehrte Jesus, und es folgte hierauf noch ein Händewaschen, nach welchem sie sich auf die Sitze niederlegten. Alles frühere war stehend, nur zuletzt etwas aufgelehnt und sehr geschwinde geschehen. Jesus hatte auch das Lamm zerlegt, welches zu den heiligen Frauen in das Seitengebäude gebracht wurde, wo sie ihr Mahl hatten. Nun aßen sie die Kräuter, Salat und die Brühe. Jesus war ungemein innig und heiter. Ich habe Ihn nie so gesehen. Er sagte den Aposteln, allen Kummer zu vergessen. Auch die heiligste Jungfrau am Tisch der Frauen war heiter. Es war so rührend, wenn die andern Frauen zu ihr traten und sie am Schleier zogen, mit ihr zu sprechen, wie sie sich dann so einfach wendete.

Jesus redete, während sie von den Kräutern aßen, noch gar lieblich mit ihnen; dann aber wurde Er ernster und traurig. Er sprach: «Einer unter euch wird mich verraten, einer, dessen Hand mit mir auf einem Tisch ist.» Jesus aber teilte eines der Kräuter, nämlich Lattich, von dem nur eine Schüssel da war, auf seiner Seite aus, und dem Judas, der Ihm schräg gegenüber saß, hatte Er befohlen, ihn auf der andern Seite auszuteilen. Da Jesus nun von einem Verräter sprach und alle darüber sehr erschreckt waren, und da Er sagte: Einer, dessen Hand mit mir auf dem Tisch ist oder dessen Hand mit mir in die Schüssel taucht, was so viel heißt als: Einer der Zwölf, die mit mir essen und trinken, einer, mit dem Ich mein Brot teile, so verriet Er Judas dadurch nicht an die andern, denn «mit der Hand in die Schüssel tauchen», war ein allgemeiner Ausdruck für die vertraulichste Gemeinschaft. Doch wollte Er auch Judas dadurch warnen, denn Er tauchte wirklich beim Austeilen des Lattichs die Hand mit ihm in eine Schüssel. Jesus aber sagte weiter: «Nun geht zwar des Menschen Sohn hin, wie von Ihm geschrieben steht. Wehe aber dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird! Es wäre ihm besser, wenn er nicht geboren wäre.»

Da waren die Apostel alle sehr bestürzt und fragten abwechselnd: «Herr. bin ich es?» denn alle wussten wohl, dass sie Ihn nicht ganz verstanden. Petrus aber beugte sich hinter Jesus zu Johannes hin und winkte ihm, den Herrn zu fragen, wer es sei, denn er, der oft Verweise von Jesus erhalten hatte, war ängstlich, Er möchte ihn meinen. Johannes aber lag zur Rechten des Herrn. Und weil alle, auf dem linken Arme lehnend, mit der rechten Hand aßen, so lag Johannes mit dem Haupt der Brust Jesu zunächst. Er näherte sein Haupt daher der Brust Jesu und fragte: «Herr, wer ist es?» Da ward er es inne, dass Jesus den Judas meinte. Ich sah Jesus nicht mit den Lippen sprechen: «der, dem Ich den Bissen eintauche und gebe;» ich weiß auch nicht, ob Er es leise zu Johannes sagte. Johannes aber vernahm es, indem Jesus den Bissen Brot mit Lattich umwunden in die Brühe tauchte und dem Judas mit großer Liebe reichte, welcher eben auch fragte: «Herr, bin ich es?» wobei Jesus ihn gar lieblich ansah und ihm eine allgemeine Antwort gab. Dieses war aber ein gebräuchliches Zeichen der Liebe und Vertraulichkeit, und Jesus tat es mit herzlicher Liebe, ihn zu mahnen und nicht zu verraten vor den andern. Judas war aber innerlich ganz erzürnt. Ich sah während der ganzen Mahlzeit ein kleines Ungeheuer zu seinen Füßen sitzen, das ihm manchmal bis zum Herzen hinaufstieg. Ich sah nicht, dass Johannes dem Petrus das wieder sagte, was er von Jesus vernommen hatte, aber er blickte nach ihm und beruhigte ihn.

6. Die Fußwaschung

Sie standen nun von der Mahlzeit auf, und während sie ihre Kleider wieder so anlegten und ordneten, wie sie es bei feierlichem Gebet zu tun pflegten, trat der Speisemeister mit zwei Dienern herein, den Osterlammstisch abzuräumen und aus der Mitte der umgebenden Lagerstühle beiseite zu schieben. Als dies geschehen war, trug Jesus ihm auf, Wasser in die Vorhalle bringen zu lassen, und er verließ wieder mit den Dienern den Saal.

Jesus stand nun mitten unter den Aposteln und sprach eine ziemliche Weile mit Feierlichkeit zu ihnen. Ich habe aber so vieles gehört und gesehen bis jetzt, dass es mir nicht möglich ist, den Inhalt der Lehre des Herrn sicher anzugeben. Ich erinnere mich, dass Er von seinem Reich, von seinem Hingang zum Vater sprach, und wie Er ihnen vorher noch alles zurücklassen wolle, was Er habe. Dann lehrte Er auch von der Buße, von Erkenntnis und Bekenntnis der Schuld, von der Reue und Reinigung. Ich fühlte aber, dass dieses einen Bezug auf die Fußwaschung hatte, und sah, dass alle ihre Sünden erkannten und bereuten, außer Judas. Diese Rede war lang und feierlich. Nach ihrer Vollendung sendete Jesus den Johannes und Jakob den Kleineren des bestellten Wassers halber in die Vorhalle und befahl den Aposteln, die Lagerstühle in einen halben Kreis zu stellen, worauf Er in die Vorhalle ging, seinen Mantel ablegte, sich schürzte und ein Tuch umband, von welchem das längere nieder hing.

Unterdessen gerieten die Apostel in eine Art von Wortwechsel, wer die erste Stelle unter ihnen haben werde; denn da der Herr so bestimmt ausgesprochen hatte, Er würde sie verlassen und sein Reich sei nahe, bestärkte sich von neuem die Meinung in ihnen, Er habe irgend einen geheimen Hinterhalt. einen irdischen Triumph, der im letzten Moment hervorbrechen werde.

Jesus befahl in der Vorhalle dem Johannes, ein Becken in die Hände zu nehmen, und ließ Jakob den Kleineren einen Schlauch voll Wasser vor der Brust tragen, dessen Röhre sich über den Arm gelehnt ergoss, und nachdem Er Wasser aus dem Schlauche in das Becken gegossen hatte, ließ Er sich die beiden in den Saal folgen, in dessen Mitte der Speisemeister ein größeres, leeres Becken gestellt hatte.

In so demütigem Aufzug in die Tür des Saales tretend, verwies Jesus den Aposteln ihren Streit mit wenigen Worten, unter anderem sprechend: dass Er selbst ihr Diener sei. Sie sollten sich auf die Stühle setzen, auf dass Er ihnen die Füße waschen könne. Da setzten sie sich zu derselben Reihe, in der sie zu Tisch gelegen, auf die Lehnpolster der Stühle, die im Halbkreis standen, und hatten die entblößten Füße auf den Sitzpolstern stehen. Jesus ging von einem zum andern und schöpfte ihnen mit der Hand Wasser aus dem von Johannes untergehaltenen Becken über die nacheinander vorgehaltenen Füße. Dann fasste Er das lange Ende des Tuches, womit Er umgürtet war, in beide Hände und fuhr damit abstreifend und trocknend über die Füße und nahte dann dem zunächst Sitzenden mit Jakobus. Johannes aber leerte jedes Mai das gebrauchte Wasser in das in der Mitte des Saales stehende Gefäß aus und nahte dem Herrn wieder mit dem Becken. Da goss Jesus wieder aus dem Schlauch des Jakobus in das Becken über die Füße des Apostels und tat wie zuvor.

Der Herr aber war, wie bei der ganzen Ostermahlzeit, ungemein rührend und freundlich, auch bei diesem demütigen Fußwaschen ganz voll Liebe, und Er tat es nicht wie eine Zeremonie, sondern wie eine heilige Liebeshandlung ganz von Herzen, so dass Er auch seine Liebe dabei aussprach.

Da Er nun zu Petrus kam, weigerte sich dieser aus Demut und sagte: «Herr, solltest Du mir die Füße waschen?» Und der Herr sagte: «Was Ich tue, weißt du jetzt nicht, nachher sollst du es erfahren.» Und mir war, als spreche Er noch allein zu ihm: «Simon, du hast es verdient, von meinem Vater zu erkennen, wer Ich bin, woher Ich komme und wohin Ich gehe. Du allein hast es erkannt und ausgesprochen, und Ich will meine Kirche auf dich bauen und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Es soll auch meine Kraft bei deinen Nachfolgern bleiben bis ans Ende der Welt.» Jesus zeigte auf ihn und sagte zu den andern: Petrus solle ihnen in Anordnung und Aussendung seine Stelle vertreten, wenn Er selbst von ihnen gegangen sein werde. Petrus aber sprach: «Nimmermehr sollst Du mir die Füße waschen.» Und der Herr erwiderte: «Wenn Ich dich nicht wasche, so hast du keinen Teil an mir.» Da sagte Petrus wieder: «Herr, wasche mir dann nicht nur die Füße, sondern auch die Hände und das Haupt.» Jesus sagte hierauf: «Wer gewaschen ist, der ist ganz rein und braucht nur die Füße zu waschen. Ihr seid auch rein, aber nicht alle», dabei dachte Er an Judas.

Jesus hatte aber in seiner Lehre von der Fußwaschung als von einem Reinigen von täglichen Sünden gesprochen, weil die Füße an der Erde ungeschickt wandelnd sich immer wieder verunreinigen. Es war diese Fußwaschung geistlich und eine Art Absolution. Petrus aber nahm es in seinem Eifer als eine zu große Demütigung seines Meisters. Er wusste nicht, dass dieser, um ihm zu helfen, sich morgen bis zum schmählichen Tod des Kreuzes aus Liebe demütigen werde.

Als Jesus dem Judas die Füße wusch, war Er ungemein rührend und freundlich, drückte sein Angesicht an seine Füße und sagte leise zu ihm, er möge sich bedenken. Schon ein Jahr gehe er mit Verrat und Untreue um! Judas aber schien es nicht bemerken zu wollen und sprach mit Johannes. Da ärgerte sich Petrus über ihn und sagte: «Judas! der Meister spricht mit dir.» Da sagte Judas zum Herrn etwas Allgemeines, Ausweichendes, wie: «Herr, das sei ferne!»

Die andern hatten Jesu Rede zu Judas nicht vernommen, denn Er sprach leise, und dann hörten sie nicht zu, auch waren sie mit Anlegung ihrer Sohlen beschäftigt. Judas Verrat aber schmerzte den Herrn bei seinem ganzen Leiden am meisten. Er wusch auch noch die Füße des Johannes und des Jakobus. Zuerst setzte sich Jakobus, und Petrus hielt den Schlauch, dann setzte sich Johannes, und Jakobus hielt das Becken.

Jesus lehrte nun über die Demütigung und wie der Dienende der Größte sei, wie sie einander auch die Füße künftig in Demut waschen sollten und mancherlei in Bezug auf den Streit, wer der Größte sei, was in den Evangelien steht. Jesus legte nun seine Kleider wieder an, und die Kleider, welche zuerst beim Osterlamm geschürzt gewesen waren, hatten die Apostel jetzt auch wieder weit und lang angelegt.

7. Einsetzung des heiligsten Sakramentes

Auf Befehl des Herrn hatte der Speisemeister den Tisch wieder zugerüstet und ihn etwas erhöht. Er ward mit einem Teppich, worüber eine rote und dann eine durchbrochene weiße Decke lag, bedeckt wieder in die Mitte geschoben. Dann stellte der Speisemeister einen Wasserkrug und einen Weinkrug unter den Tisch.

Petrus und Johannes holten nun aus dem hinteren abgetrennten Raum des Saales, wo der Osterlammsherd war, den Kelch, den sie aus der Wohnung der Veronika dahin gebracht hatten. Sie trugen ihn in seinem Behälter zwischen sich auf den Händen, und es war anzusehen, als trügen sie einen Tabernakel. Sie setzten diesen Behälter vor Jesus auf den Tisch. Daneben stand der Teller mit den dünnen, weißlichen gerippten Osterbroten. Sie waren bedeckt und die andere Hälfte des schon bei dem Mahle gebrochenen Brotes lag auch dabei. Es stand auch ein Wein- und Wassergefäß da und drei Büchsen, eine mit dickem, eine mit flüssigem Öl, eine leere und ein Spatel.

Das Brotbrechen und Austeilen und das Trinken aus einem gemeinsamen Kelch am Schluss des Mahles war aber schon seit alten Zeiten als ein Zeichen der Verbrüderung und Liebe bei Begrüßung und Abschied gebräuchlich. Ich meine, es muss auch in der Schrift davon vorkommen. Jesus aber erhob es heute zum allerheiligsten Sakrament. Es war bis jetzt eine vorbildliche Handlung gewesen. Durch des Judas Verrat kam unter den Beschuldigungen bei Kaiphas auch dieses vor: Er habe zu den Passagebräuchen etwas zugesetzt, das neu sei. Nikodemus bewies aber aus Schriftrollen, dass diese Sitte des Abschiedes eine alte sei.

Jesu Stelle war zwischen Petrus und Johannes. Die Türen waren geschlossen, alles geschah sehr geheim und feierlich. Als nun die Hülle vom Kelch abgenommen und in den abgeteilten Raum des Saales zurückgetragen worden ist, betete Jesus und sprach sehr feierlich. Ich sah, dass Jesus ihnen das Abendmahl und die ganze Handlung auslegte. Ich sah es, als ob ein Priester den andern die Heilige Messe lehre.

Er zog hierauf aus der Platte, worauf die Gefäße standen, einen Schieber heraus, nahm ein weißes Tuch, das über dem Kelch hing, herab und breitete es über die ausgezogene Fläche. Ich sah Ihn dann eine runde Platte vom Kelch herabnehmen und auf die bedeckte Fläche stellen, dann nahm Er die auf dem nebenstehenden Teller liegenden Brote unter ihrer Verhüllung hervor und legte sie auf die Platte vor sich hin. Die viereckig länglichen Brote ragten an beiden Seiten über die Platte, deren Rand in der Breite jedoch hervorsah. Hierauf stellte Er den Kelch sich etwas näher und setzte einen kleineren Becher, der in ihm stand, heraus, und die sechs kleinen Becher, welche den Kelch umgaben, rechts und links zur Seite. Dann segnete Er das Osterbrot und ich meine auch die nahestehenden Öle und hob nun die Platte mit den Osterbroten mit beiden Händen empor, schaute gegen Himmel, betete, opferte, setzte die Platte nieder und deckte sie zu. Hierauf nahm Er den Kelch, ließ sich von Petrus Wein und von Johannes Wasser, das Er segnete, hineingießen, und schöpfte mit dem kleinen Löffel noch ein wenig Wasser hinein. Nun segnete Er den Kelch und hob auch ihn betend und opfernd empor und setzte ihn nieder.

Er ließ sich von Petrus und Johannes Wasser über den Teller, darauf die Osterbrote gelegen hatten, auf die Hände gießen, und mit dem Löffel, den Er aus dem Fuße des Kelches genommen, schöpfte Er von dem Wasser, das über seine Hände gelaufen, auf ihre Hände. Dann wurde diese Schale herumgereicht und sie wuschen alle die Hände darin. Ich weiß nicht, ob alles dies genau so folgte, aber dieses alles und anderes, was mich sehr an die heilige Messe erinnerte, sah ich mit großer Rührung.

Er wurde unter diesen Handlungen immer inniger und inniger, und sagte: Er wolle ihnen nun alles geben, was Er habe, sich selbst. Da war es, als gösse Er sich ganz aus in Liebe, und ich sah Ihn ganz durchsichtig werden. Er war wie ein leuchtender Schatten.

Er brach aber in dieser Innigkeit betend das Brot in die vorgeritzten Bissen und legte sie übereinander auf die Platte. Vom ersten Bissen brach Er mit den Fingerspitzen ein wenig und ließ es in den Kelch fallen, und in demselben Augenblicke, da Er dieses tat, sah ich, als empfange die heiligste Jungfrau das Sakrament, obwohl sie zuvor im Saal hier nicht anwesend gewesen war. Es war mir, als sehe ich sie vom Eingang her dem Herrn gegenüber das Sakrament empfangen, und dann sah ich sie nicht mehr.

Jesus betete und lehrte noch. Alle seine Worte gingen wie Feuer und Licht aus seinem Munde in die Apostel ein, außer in Judas. Nun aber nahm Er die Platte mit den Bissen, von der ich nicht mehr bestimmt weiß, ob Er sie auf den Kelch gestellt hatte, und sprach: «Nehmt hin und esset, das ist mein Leib, der für euch gegeben wird». Dabei bewegte Er seine Rechte wie segnend darüber, und als Er dieses tat, ging ein Glanz von Ihm aus, seine Worte waren leuchtend und ebenso das Brot, das wie ein Lichtkörper in den Mund der Apostel stürzte. Es war, als fließe Er selbst in sie hinein. Ich sah alle wie von Licht durchdrungen, nur Judas sah ich finster. Zuerst reichte Er es Petrus, dann dem Johannes (In der Reihenfolge war sie zu verschiedenen Malen, wo sie das Bild sah, nicht ganz sicher. Einmal kam ihr vor, als habe Johannes das heilige Sakrament zuletzt empfangen). Nun winkte Er dem Judas, der Ihm schräg gegenüber saß, zu nahen. Er war der dritte, welchem Er das heilige Sakrament reichte. Aber es war, als wische sein Wort von dem Munde des Verräters zurück. Ich war so entsetzt, dass ich nicht mehr genau sagen kann, was ich dabei empfand. Jesus aber sagte zu ihm: «Was du tun willst, das tue bald». Jesus fuhr fort, den noch übrigen Aposteln das heilige Sakrament zu reichen. Sie nahten paarweise, und einer hielt dem andern eine kleine steife gesäumte Decke unter, die über dem Kelch gelegen hatte.

Jesus aber hob den Kelch bei den beiden Ringen gegen sein Angesicht empor und sprach die Worte der Einsetzung hinein. Er war in dieser Handlung ganz verklärt und wie durchsichtig. Er war in das übergehend, was Er gab. Er ließ Petrus und Johannes aus dem Kelch, den Er in Händen hielt, trinken und setzte ihn nieder, und Johannes schöpfte mit dem kleinen Löffel von dem heiligen Blut aus dem Kelch in die kleinen Becher, die Petrus den Aposteln hinreichte, welche paarweise aus einem Becher tranken. Auch Judas hat (doch entsinne ich mich dessen nicht gewiss) den Kelch noch genossen. Er ging aber nicht an seinen Ort zurück, sondern verließ gleich den Abendmahlssaal. Die andern meinten, weil Jesus ihm gewinkt hatte, Er habe ihm ein Geschäft aufgetragen. Judas ging weg ohne Gebet und ohne die Danksagung. Da kannst du sehen, wie übel es bestellt ist, wenn man ohne Dankgebet vom täglichen und vom ewigen Brot weggeht. Ich hatte während des ganzen Mahles bei Judas Füßen die Gestalt eines kleinen roten Ungeheuers sitzen sehen, das ihm manchmal bis zum Herzen hinaufkam, ein Fuß war wie ein kahler Knochen. Als Judas vor der Tür war, sah ich drei Teufel um ihn. Einer fuhr ihm in den Mund, einer trieb ihn, einer lief vor ihm her. Es war Nacht. Es war, als leuchteten sie ihm. Er lief wie ein Rasender.

Den Rest des heiligen Blutes, der im Kelch übrig war, goss der Herr in den kleinen Becher, der im Kelch gestanden. Dann hielt Er die Finger über den Kelch und ließ sich von Petrus und Johannes Wasser und Wein darüber gießen. Diese Nachspülung ließ Er die beiden wieder aus dem Kelche trinken und den Rest in die Becher geschöpft an die übrigen Apostel gelangen. Hierauf trocknete Jesus den Kelch aus, setzte den Becher mit dem Rest des heiligen Blutes hinein, stellte die Platte mit dem übrigen konsekrierten Osterbrote darauf und den Deckel darüber, und deckte das Tuch wieder über den Kelch, den Er auf seine Unterlage zwischen die kleinen Becher zurückstellte. Nach der Auferstehung sah ich die Apostel von diesem von Jesus konsekrierten Brot und Wein genießen.

Ich erinnere mich nicht, gesehen zu haben, dass der Herr es selbst genoss. Ich müsste es denn übersehen haben. Als Er es gab, gab Er sich, so dass Er mir wie ausgeleert und in barmherziger Liebe ergossen erschien. Es ist dieses unaussprechlich. Ich habe auch nicht gesehen, dass Melchisedek, als er Brot und Wein opferte, es selbst genoss. Ich habe auch gewusst, warum die Priester es nehmen, da Jesus es nicht nahm.

Während sie dieses sagte, sah sie sich plötzlich um, wie eine Zuhörende. Sie erhielt eine Erklärung hierüber, vermochte aber nur folgendes davon mitzuteilen: «Hätten es Engel gespendet, sie hätten es nicht empfangen. Empfingen es aber die Priester nicht, so wäre es längst verloren gegangen. Dadurch wird es erhalten.»

Alle Verrichtungen Jesu während der Einsetzung des heiligsten Sakramentes gingen sehr geregelt und feierlich, und doch lehrend und unterweisend vor sich. Auch sah ich nachher die Apostel sich einiges mit Zeichen in die kleinen Rollen bemerken, die sie bei sich trugen. Seine Wendungen rechts und links waren feierlich, wie immer in den Gebetshandlungen. Alles zeigte den Keim der Heiligen Messe. Ich sah auch die Apostel beim Heranschreiten und andern Gelegenheiten sich priesterlich gegen einander beugen.

8. Geheimlehren und Weihungen

Nun hielt Jesus noch eine Geheimnislehre. Er sagte ihnen, wie sie das heiligste Sakrament fortsetzen sollten zu seinem Gedächtnis bis ans Ende der Welt, und lehrte sie das Hauptsächliche in der Weise des Gebrauches und der Mitteilung, und auf welche Art sie das Geheimnis desselben nach und nach lehren und aussprechen sollten, und wann sie von dem Übrigen wieder nehmen, wann der heiligsten Jungfrau es reichen, und, so Er ihnen den Tröster gesendet, es selbst konsekrieren sollten.

Dann aber lehrte Er sie vom Priestertum und der Salbung und der Bereitung des Chrisma und der heiligen Öle. (Merkwürdig war es dem Schreiber, einige Jahre nach dieser Mitteilung in dem lateinischen Abdruck des Catechismus Romanus [Mainz bei Müller] S, 231 f. bei Gelegenheit des heiligen Sakraments der Firmung zu lesen, dass nach der Überlieferung des heiligen Papstes Fabian zu lehren sei, Jesus habe bei der Einsetzung des heiligen Abendmahls die Apostel in der Bereitung des Chrisma unterrichtet. Es sagt nämlich jener Papst am 54. Kapitel seiner 2, Epistel an die Bischöfe des Orients: «Wie unsre Vorgänger von den heiligen Aposteln empfangen und uns zurückgelassen haben, hat der Herr Jesus Christus an jenem Tage, nachdem Er mit seinen Jüngern das Abendmahl gehalten und ihnen die Füße gewaschen, das Chrisma zu bereiten gelehrt.» [Vgf. Der Römische Katechismus, deutsch. TB Petrus Verlag, D-5242 Kirchen/Sieg. 1970. S. 153 ff.). Es standen drei Büchsen, zwei mit verschiedenem Balsam und Öl und auch Baumwolle beim Kelchapparat. Man konnte sie aufeinander stellen. Er lehrte sie viele Geheimnisse darüber, wie die Salbe zu mischen, an welchen Stellen des Leibes sie anzuwenden, und bei welchen Gelegenheiten. Ich erinnere mich unter anderem: als habe Er einen Fall erwähnt, wo das heilige Abendmahl nicht mehr anwendbar sei, vielleicht bezog es sich auf die heilige letzte Ölung. Es ist mir jedoch nicht mehr ganz klar bewusst. Er sprach von verschiedenen Salbungen, auch von jener der Könige, und wie selbst ungerechte Könige, welche gesalbt seien, eine innere geheimnisvolle Gewalt vor andern besäßen. Er tat aber von der zähen Salbe und dem Öl in die leere Büchse und mischte beides. Ich weiß nicht mehr bestimmt, ob der Herr erst hier oder schon bei der Opferung der Brote das Öl benedizierte.

Ich sah hierauf, dass Jesus den Petrus und Johannes salbte, welchen Er bei der Einsetzung des heiligen Sakramentes auch vom Wasser, das über seine Hände geflossen war, über die ihrigen gegossen hatte, und die den Kelch, von seiner Hand gehalten, getrunken hatten.

Er schritt aus der Mitte des Tisches etwas zur Seite, legte dem Petrus und Johannes die Hände zuerst auf die Schultern und dann auf das Haupt. Sie mussten hierauf die Hände zusammenlegen und die Daumen kreuzen. Der Herr bestrich ihnen, die vor Ihm sich tief beugten, ich weiß nicht, ob sie knieten, die Daumen und ersten Finger mit der Salbe, und machte ihnen damit ein Kreuz auf das Haupt. Er sagte ihnen auch, dieses solle bis ans Ende der Welt bei ihnen bleiben. Auch Jakobus Minor, Andreas, Jakobus Major und Bartholomäus erhielten Weihen. Ich sah auch, dass der Herr dem Petrus die schmale Zeugbahn, welche sie um den Hals trugen, über der Brust kreuzweise verschlang, und den andern von der rechten Schulter unter dem linken Arm quer über die Brust legte. Doch weiß ich nicht mehr bestimmt, ob dieses schon bei der Einsetzung des heiligen Sakraments oder erst jetzt bei der Salbung geschah.

Ich sah aber - wie, das ist unaussprechlich - dass Jesus ihnen durch diese Salbung etwas Wesentliches und zugleich Übernatürliches gab. Er sagte ihnen auch, nach dem Empfang des Heiligen Geistes würden sie zuerst Brot und Wein selbst konsekrieren und auch die andern Apostel salben. Ich hatte hierbei einen Blick, wie Petrus und Johannes am Pfingstfest vor der großen Taufe den andern Aposteln die Hände auflegten, und dass acht Tage nachher dasselbe mehreren Jüngern geschah. Ich sah auch, dass Johannes nach der Auferstehung der heiligen Jungfrau zum ersten Male das heiligste Sakrament reichte. Es ist dieses Ereignis ein Fest der Apostel gewesen. Die Kirche hat es nicht mehr, aber in der triumphierenden Kirche sehe ich den Tag noch feiern. Auch in den ersten Tagen nach Pfingsten sah ich nur Petrus und Johannes das heiligste Sakrament konsekrieren. Später geschah es auch von andern.

Der Herr weihte ihnen auch Feuer in einem erzenen Kessel. Es glühte immer nachher, auch nach längerer Abwesenheit, und wurde neben dem Standort des heiligsten Sakraments in einem Raum des ehemaligen Osterherdes bewahrt, wo sie es immer zu geistlichem Gebrauch holten.

Alles, was Jesus bei der Einsetzung des heiligen Abendmahles und der Salbung der Apostel tat, geschah sehr geheim und ward auch nur als Geheimnis fortgelehrt, und ist bei der Kirche bis heutzutage wesentlich geblieben, jedoch durch Eingebung des Heiligen Geistes nach ihren Bedürfnissen erweitert worden.

Bei der Bereitung und Weihe des heiligen Chrismas halfen die Apostel und als Jesus sie salbte und ihnen die Hände auflegte, geschah es mit Feierlichkeit.

Ob Petrus und Johannes beide zu Bischöfen (Sie sah nach Pfingsten auch von Johannes die Hände auffegen. Daher scheint das erste am glaubhaftesten), oder nur Petrus zum Bischof und Johannes zum Priester gesalbt wurden, und welchen Grad von Würde die vier andern erhielten, vergaß die Erzählerin zu bemerken. Die verschiedene Art, wie der Herr dem Petrus und den andern die schmale Zeugbahn um den Hals schlang, scheint auf verschiedene Grade der Weihe zu deuten.

Nachdem diese heiligen Handlungen vorüber waren, wurde der Kelch, wobei auch die geweihten Salben standen, mit seinem Übersturz bedeckt und so das heiligste Sakrament von Petrus und Johannes in den hinteren, durch einen in der Mitte sich öffnenden Vorhang abgeschiedenen Raum des Saales getragen, der nun das Allerheiligste war. Das heilige Sakrament stand über dem Rücken des Osterlammofens nicht sehr hoch. Joseph von Arimathäa und Nikodemus bewahrten ihnen das Heiligtum und den Abendmahlssaal immer in ihrer Abwesenheit.

Jesus hielt nun noch eine lange Lehre und mehrere Gebete mit großer Innigkeit. Es war oft, als ob Er mit seinem himmlischen Vater spräche. Er war ganz voll Geist und Liebe. Auch die Apostel waren voll Freude und Eifer, und fragten um verschiedenes, worauf Er ihnen antwortete. Von diesem allem steht, glaube ich, manches in der Heiligen Schrift. Er sprach während dieser Reden einiges zu Petrus und Johannes, die Ihm zunächst saßen, allein, was sie später in Beziehung auf früher Gesagtes, was Er ihnen anführte, den andern Aposteln, und diese den Jüngern und heiligen Frauen nach Maßgabe ihrer Reife zu solcher Erkenntnis mitteilen sollten. Zu Johannes allein aber sprach Er mehreres, wovon ich mich jetzt nur entsinne, dass er länger als die andern leben werde, und etwas von sieben Kirchen, von Kronen, Engeln und solchen tiefsinnigen Bildern, mit welchen Er, wie ich glaube, eine gewisse Zeit bezeichnete. Die andern Apostel fühlten eine leise Eifersucht bei diesem einzelnen Vertrauen.

Er sprach auch einige Mal von seinem Verräter und sagte: jetzt tut er dieses, jetzt tut er jenes, wobei ich immer sah, was Judas eben tat. Und da Petrus sehr eifrig war, er wolle gewiss treu bei Ihm ausharren, sagte Jesus: «Simon. Simon ! den Satan gelüstet es nach euch. Er möchte euch wie Weizen sichten. Ich habe aber für dich gebetet, dass dein Glaube nicht nachlässt und wenn du nun einmal ganz bekehrt bist, dann stärke deine Brüder.» Da aber Jesus sprach, wo Er hingehe, könnten sie Ihm nicht folgen, sagte Petrus: er wolle Ihm bis in den Tod folgen. Und da erwiderte Jesus: «Wahrlich, ehe der Hahn dreimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.» Als Er sie aber auf die harte Zeit aufmerksam machte, die bevorstehe, und sie fragte: «Wenn Ich euch ohne Beutel, Tasche und Schuhe ausschickte, habt ihr je Mangel gehabt?» Da sagten sie: Nein. Er aber sprach: «Jetzt solle jeder, der einen Beutel und eine Tasche habe, sie nehmen, und wer nichts habe, der solle sein Kleid verkaufen und sich ein Schwert anschaffen, denn nun müsse das auch erfüllt werden: Er ist unter die Übeltäter gerechnet worden. Alles, was von Ihm geschrieben stehe, das gehe jetzt zur Vollendung.»

Sie verstanden das aber Leiblicherweise, und Petrus zeigte Ihm zwei Schwerter. Sie waren kurz und breit, wie Hackmesser.

Jesus sagte: «Es ist genug. Lasset uns von dannen gehen!» Da sprachen sie den Lobgesang. Der Tisch ward zur Seite gestellt und sie zogen zur Vorhalle.

Hier traten seine Mutter und Maria Kleophä und Magdalena zu Ihm und baten Ihn gar flehentlich, nicht zum Ölberg zu gehen, denn es gebe ein Gerücht, man wolle Ihn gefangen nehmen. Jesus aber tröstete sie mit wenigen Worten und schritt rasch durch sie hin. Es mochte gegen neun Uhr sein. Sie zogen schnell zum Ölberg, den Weg hinab, den Petrus und Johannes am Morgen zum �Abendmahlssaal heraufgekommen waren.

Ich habe zwar das Ostermahl und die Einsetzung des heiligsten Sakraments immer so gesehen. Ich gab mich aber sonst der Rührung so hin, dass ich nur einzelne Teile klar wusste. Ich habe es jetzt deutlicher gehabt. Es ist eine unbeschreibliche Mühe, denn man sieht in jedes Herz hinein, und sieht die Liebe, die Treue des Herrn, und weiß alles, was noch kommt. Es ist dann ganz unmöglich, alle äußeren Handlungen noch dazu genau zu beobachten. Man ist von Bewunderung, Dank und Liebe ganz aufgelöst, kann das Missverstehen der andern nicht begreifen, fühlt den Undank der ganzen Welt und seine eigene Sünde. - Jesu Osterlammessen war schnell und ganz richtig nach dem Gesetz. Die Pharisäer hatten hie und da einige Weitläufigkeiten mehr.

9. Jesus am Ölberg

Als Jesus das Abendmahlssaal mit den Elfen verließ, war seine Seele schon betrübt und diese Trauer stieg immer mehr. Er führte die Elfe auf einem Umweg in das Tal Josaphat dem Ölberg zu. Als sie vor das Tor kamen, sah ich den Mond, noch nicht ganz voll, über dem Gebirge aufsteigen. Im Tal Josaphat mit ihnen wandelnd, sagte der Herr: hierher werde Er, aber nicht so arm und ohnmächtig wie jetzt, wieder kommen an jenem Tage, die Welt zu richten. Alsdann würden sich andere fürchten und rufen: ihr Berge bedecket uns ! Die Jünger aber verstanden Ihn nicht und meinten, wie oft an diesem Abend, Er rede irre aus Schwäche und Ermattung. Sie gingen manchmal und dann standen sie wieder, mit Ihm sprechend. Er sagte auch: «Ihr werdet euch alle an mir ärgern in dieser Nacht, denn es steht geschrieben: Ich will den Hirten schlagen und die Schafe der Herde sollen zerstreut werden. Wenn Ich aber auferstanden sein werde, will Ich euch voraus nach Galiläa gehen.»

Die Apostel waren durch den Empfang des heiligsten Sakramentes und die liebevolle, feierliche Rede Jesu nachher noch voll Begeisterung und Innigkeit. Sie drängten sich dicht um Ihn und sprachen auf verschiedene Weise ihre Liebe aus, und wie sie Ihn nicht verlassen könnten und würden. Da Jesus aber davon zu sprechen fortfuhr, sagte Petrus: «Und wenn sich alle an Dir ärgern, so will ich mich doch nicht an Dir ärgern.» Hierauf erwiderte der Herr: «Wahrlich, Ich sage dir, gerade du wirst mich dreimal verleugnen in dieser Nacht, ehe der Hahn kräht.» Petrus aber wollte dies auf keine Weise zugestehen und sagte: «Und wenn ich auch mit Dir sterben müsste, will ich Dich doch nicht verleugnen.» So auch sprachen alle andern. Sie wandelten und standen abwechselnd, und Jesus nahte immer mehr seiner Schwermut. Sie aber wollten Ihm die Betrübnis immer wieder Menschlicherweise ausreden und Ihn des Gegenteils versichern. In der Vergeblichkeit und dem Eigensinne dieses Tuns aber ermüdeten sie, begannen zu zweifeln und gingen bereits in Versuchung über.

Sie überschritten den Bach Kidron nicht auf der Brücke, über welche Jesus später gefangen geführt wurde, sondern auf einer andern, denn sie hatten einen Umweg gemacht. Gethsemane am Ölberg, wohin sie gingen, ist gerade eine halbe Stunde vom Abendmahlssaal. Es ist nämlich vom Abendmahlssaal bis vor das Tor in das Tal Josaphat eine Viertelstunde, und von hier bis Gethsemane ebenso weit. Dieser Ort, wo Jesus in den letzten Tagen einige Mal mit den Jüngern übernachtet und sie gelehrt hatte, besteht aus einigen leerstehenden, offenen Herbergshäusern und einem großen, umzäumten Lustgarten, der ganz mit edlen Gesträuchen und vielen Fruchtbäumen angebaut ist. Mehrere Leute und auch die Apostel hatten den Schlüssel zu diesem Garten, welcher ein Erholungs- und Gebetsort ist. Es wurden auch manchmal von Leuten, die keine eigenen Gärten hatten, Feste und Mahlzeiten hier veranstaltet. Es sind mehrere dichte Laubhütten darin. Der Ölgarten liegt vom Garten Gethsemane durch einen Weg getrennt und zieht sich mehr den Ölberg hinan. Er ist offen, nur mit einem Erdwall umzogen, kleiner als der Lustgarten von Gethsemane, ein mit Höhlen und Terrassen und vielen Ölbäumen versehener Bergwinkel. An der einen Seite ist er mehr gepflegt mit unterhaltenen Sitzen und Ruhebänken und größeren, aufgeräumten, kühlen Höhlen. Es kann sich hier, wer will, einen Platz zu Gebet und Betrachtung einrichten. Wo Jesus zu beten hinging, ist die Gegend wilder.

Es war ungefähr neun Uhr, als Jesus mit den Jüngern nach Gethsemane kam. An der Erde war es düster, der Himmel war mondhell. Jesus war sehr traurig und verkündete die Nähe der Gefahr. Die Jünger wurden bestürzt. Jesus sagte zu acht seiner Begleiter im Garten von Gethsemane, wo eine Art Lusthaus von Laubwerk ist: «Bleibet hier, während Ich an meinen Ort zu beten gehe.» Den Petrus, Johannes und Jakobus Major nahm Er mit sich und ging über einen Weg einige Minuten weiter in den Ölgarten am Fuß des Berges hinan. Er war unbeschreiblich traurig. Er fühlte die Ihm nahende Angst und Versuchung. Johannes fragte Ihn, wie Er, der sie sonst immer getröstet, nun so bange sein könne. Da sagte Er: «Meine Seele ist betrübt bis zum Tod.» Er blickte umher und sah sich von allen Seiten Angst und Versuchung, wie Wolken voll schrecklicher Bilder, nahen. Und da war es, wo Er den drei Aposteln sagte: «Bleibt hier und wacht mit mir, betet, auf dass ihr nicht in Versuchung fallt!» Sie blieben an dieser Stelle. Jesus ging noch etwas vorwärts. Aber die Schreckbilder drangen dermaßen zu Ihm heran, dass Er tief geängstigt links von den Aposteln hinabging und sich unter dem Felsenüberhang, über welchem sie rechts in einer Vertiefung geblieben waren, in eine etwa sechs Fuß tiefe Höhle verbarg. Der Boden senkte sich sanft in diese Höhle, und es hing vom überragenden Felsen so vieles Gesträuch über den Eingang nieder, dass man hier nicht bemerkt werden konnte.

Als Jesus sich von den Aposteln trennte, sah ich rings einen weiten Kreis von Schreckbildern heranziehen und sich immer mehr um Ihn verengen. Seine Trauer und Angst wuchs. Er zog sich zagend in die Höhle zurück, gleich einem, der, von einem furchtbaren Ungewitter verfolgt, ein Obdach sucht, um zu beten. Ich sah aber alle die drohenden Bilder Ihm in die Höhle nachfolgen und immer deutlicher und deutlicher werden. Ach! es war, als umfasse diese enge Höhle die Gräuel- und Angstbilder aller Sünden und ihrer Lust und ihrer Strafe vom Fall der ersten Menschen bis zum Ende der Welt, denn hier am Ölberge waren auch Adam und Eva, aus dem Paradiese vertrieben, zuerst auf die unwirtbare Erde herabgekommen, und hier in dieser Höhle hatten sie getrauert und gezagt. Ich fühlte deutlich, dass Jesus, sich seinem bevorstehenden Leiden hingebend und sich der göttlichen Gerechtigkeit zur Genugtuung für die Sünden der Welt aufopfernd, gewissermaßen seine Gottheit mehr in die Heiligste Dreifaltigkeit zurückzog, um sich aus unendlicher Liebe in seiner reinsten, fühlendsten, wahrhaftigen, unschuldigen Menschheit, bloß mit der Liebe seines menschlichen Herzens gerüstet, der Wut aller Angst und Leiden hinzugeben für die Sünden der Welt. Für die Wurzel und Entfaltung aller Sünden und bösen Lust genug zu tun, nahm der barmherzigste Jesus aus Liebe zu uns Sündern die Wurzel aller reinigenden Sühnung und heilenden Peinen in sein Herz auf und ließ dies unendliche Leiden zur Genugtuung für unendliche Sünde, wie einen tausendarmigen Baum von Schmerzen, alle Glieder seines heiligen Leibes, alle Sinne seiner heiligen Seele durchdringen und durchwachsen. Also ganz seiner Menschheit hingegeben, fiel Er, in unendlicher Trauer und Angst zu Gott flehend, auf sein Angesicht nieder. Er sah alle Sünden der Welt und ihre innere Scheusslichkeit in unzähligen Bildern und nahm sie alle auf sich und erbot sich in seinem Gebete, der Gerechtigkeit seines himmlischen Vaters für alle diese Schuld leidend genugzutun. Der Satan aber, der sich in furchtbarer Gestalt zwischen allem diesem Gräuel mit wütigem Hohn bewegte, erbitterte immer heftiger gegen Jesus und rief, immer schrecklichere Sündenbilder der Welt vor seiner Seele vorüberführend, wiederholt der Menschheit Jesu zu: Wie! auch dies willst Du auf Dich nehmen? auch hierfür willst Du die Strafe erleiden? Wie kannst Du für dieses genug tun?»

Von der Weltgegend zwischen 10 und 11 Uhr morgens her, strahlte aber vom Himmel eine schmale Lichtbahn zu Jesus, in welcher ich eine Reihe von Engeln zu Ihm nieder erscheinen sah, von welchen Ihm Kraft und Stärkung zuströmte. Der übrige Raum der Höhle war ganz von den Schreckens- und Gräuelbildern der Sünde und von dem Hohn und der Anfechtung der bösen Geister erfüllt. Jesus nahm alles dieses auf sich. Er fühlte, als das einzige, Gott und die Menschen vollkommen liebende Herz, mitten in dieser Wüste des Abscheulichen den Gräuel und die Last aller dieser Sünden mit Entsetzen und zerreissender Trauer. Ach! Ich sah da so vieles! Ein Jahr würde nicht zureichen, es auszusprechen.

Als nun die ganze Masse der Schuld und Sünden in einem Meere von Gräuelbildern an der Seele Jesu vorübergegangen war, und Er sich für alles als Sühnopfer dargeboten und alle Pein und Strafe auf sich herab gefleht hatte, brachte der Satan, wie damals in der Wüste, unendliche Versuchungen über Ihn. Ja er erhob eine Reihe von Beschuldigungen gegen den reinsten Heiland selbst. Wie?» sagte er zu Ihm, «Du willst dieses alles auf Dich nehmen, und bist doch selbst nicht rein? Sieh! Hier und hier und hier!» Und nun rollte er allerlei erdichtete Schuldbriefe vor Ihm auf und hielt sie Ihm mit höllischer Frechheit unter die Augen. Er beschuldigte Ihn aller Fehler seiner Jünger, aller Ärgernisse, die sie gegeben, aller Verwirrung und Unordnung, die Er durch die Trennung von den alten Gebräuchen in die Welt gebracht habe. Der Satan tat wie der feinste, arglistigste Pharisäer: er beschuldigte Ihn der Veranlassung des Kindermordes des Herodes, der Not und Gefahr seiner Eltern in Ägypten, der Nichtrettung Johannes' des Täufers vom Tod, der Auflösung vieler Familien, des Schutzes verworfener Menschen, der nicht erfolgten Heilung mancher Kranken, der Beschädigung der Gergesener, weil Er den Besessenen gestattet, ihre Getränkkufe umzustürzen, und den Untergang ihrer Schweineherde im See veranlasst habe. Er beschuldigte Ihn der Schuld Maria Magdalenas, weil Er ihren Rückfall in Sünde nicht verhinderte, der Vernachlässigung seiner Familie und des Vergeudens von fremden Gütern. Kurz alles, was der Versucher einem gewöhnlichen Menschen, der ohne höhere Veranlassung solche äußerliche Handlungen vollbracht hätte, in der Sterbestunde vorwerfen könnte, brachte der Satan hier vor die zagende Seele Jesu, um Ihn zu erschüttern, denn es war ihm verborgen, dass Jesus der Sohn Gottes war, und er versuchte Ihn als einen unbegreiflich gerechtesten Menschen. Ja es gab sich unser göttlicher Erlöser dermaßen seiner heiligsten Menschheit hin, dass Er auch jene Versuchung über sich zuließ, welche heiligsterbende Menschen in Bezug auf den innern Wert ihrer guten Werke anzufechten vermag. Er ließ es zu, um den Kelch des Vorleidens ganz zu erschöpfen, dass der Versucher, dem seine Gottheit verborgen war, Ihm alle Werke seiner Wohltätigkeit als eben so viele der Gnade Gottes noch nicht getilgte Verschuldungen zeigte. Der Versucher warf Ihm vor, wie Er für andere Schulden tilgen wolle, da Er Selbst verdienstlos, Gott für die Gnade von mancherlei sogenannten guten Werken noch genugzutun habe. Die Gottheit Jesu ließ es zu, dass der böse Feind seine heiligste Menschheit so versuchte, wie er einen Menschen versuchen könnte, der seinen guten Werken einen eigenen Wert, außer dem alleinigen, den sie aus ihrer Vereinigung mit den Verdiensten des Erlösungstodes unseres Herrn und Heilandes gewinnen können, zuschreiben möchte. So stellte Ihm dann der Versucher alle Werke seiner Liebe als verdienstlos und als Schulden gegen Gott vor, und als sei deren Wert gewissermassen auf die Verdienste seines noch nicht vollendeten Leidens, dessen Würde der Versucher noch nicht kannte, vorausgenommen, und daher noch nicht für die Gnade zu diesen Werken genuggetan. Er zeigte Ihm für alle seine guten Werke Schuldbriefe vor und sagte auf diese hindeutend: «Auch für dieses und dieses Werk bist Du noch verschuldet.» Endlich rollte er auch noch einen Schuldbrief vor Jesus auf, dass Er die Verkaufssumme für Maria Magdalenas Gut in Magdalum von Lazarus empfangen und ausgegeben habe, und sagte zu Ihm: «Wie durftest Du fremdes Eigentum vergeuden und die Familie dadurch schädigen?» Ich habe die Vorstellungen von allem gesehen, zu dessen Sühnung der Herr sich erbot und die Last vieler Beschuldigungen, die der Versucher Ihm machte, mitgefühlt. Denn unter den Bildern der Sünden der Welt, die der Heiland auf sich genommen, sah ich auch meine eigenen vielen Sünden, und aus dem Kreis der Versuchungen floss auch ein Strom auf mich, in welchem mir alle Mängel meines Tuns und Lassens beängstigend vorgerückt wurden. Ich blickte jedoch in dieser Teilnahme immer auf meinen himmlischen Bräutigam, ich rang und betete mit Ihm und wandte mich mit Ihm zu den tröstenden Engeln. Ach! Der Herr krümmte sich gleich einem Wurm unter der Last seiner Trauer und Angst!

Während aller dieser Beschuldigungen des reinsten Erlösers musste ich mich immer mit der größten Anstrengung zurückhalten. Ich war so erzürnt gegen den Satan. Als er aber den Schuldbrief wegen der Verwendung der Verkaufssumme von Magdalenas Gut vorbrachte, vermochte ich meinen Eifer nicht mehr zu bändigen und fuhr ihn an: wie er die Verkaufssumme von Magdalenas Gut in Magdalum Jesus als eine Schuld vorrücken könne? Ich selbst hätte ja gesehen, wie der Herr mit dieser ihm von Lazarus zu Werken der Barmherzigkeit übergebenen Summe siebenundzwanzig arme, Schulden halber gefangene, ganz verlassene Leute aus den Gefängnissen zu Thirza ausgelöst habe.

Anfangs kniete Jesus ruhig in betender Stellung, später aber erschrak seine Seele vor der Menge und Abscheulichkeit der Sünden und des menschlichen Undanks gegen Gott, und es überfiel Ihn eine so zermalmende Trauer und Herzensangst, dass Er zitternd und zagend flehte:

«Abba Vater! Ist es möglich, so gehe dieser Kelch vor mir vorüber! Mein Vater! Dir ist alles möglich. Nimm diesen Kelch von mir!» Dann fasste Er sich wieder und sagte: «Doch nicht. was Ich will, sondern was Du willst.» Aber sein Wille und des Vaters Wille war eins. Er jedoch, den Schwächen der Menschheit aus Liebe hingegeben, erbebte vor dem Tod.

Die Höhle um Ihn her sah ich von Schreckgestalten erfüllt, alle Sünde, alle Bosheit, alle Laster, alle Pein, aller Undank, die Ihn beängstigten. Und die Schrecken des Todes, die menschliche Furcht vor der Größe der sühnenden Pein sah ich Ihn in den schauderhaftesten Gespensterbildern umdrängen und anfahren. Er fiel hin und her und rang die Hände. Angstschweiß bedeckte Ihn. Er zitterte und bebte. Er richtete sich auf, seine Knie schwankten und trugen Ihn kaum. Er war ganz entstellt und schier unkenntlich, seine Lippen waren bleich, seine Haare stiegen empor. Es war etwa halb elf Uhr, als Er sich erhob und schwankend und öfters niederfallend von Schweiß gebadet zu den drei Jüngern mehr hinwankte als ging. Er begab sich links von der Höhle hinauf und über derselben weg zu einer Terrasse, an welcher sie nebeneinander auf den Arm gelehnt, den Rücken des einen gegen die Brust des andern gekehrt, vor Müdigkeit, Kummer und Angst in Versuchung entschlafen waren. Jesus kam zu ihnen teils wie ein schwer Beängstigter, den der Schrecken zu seinen Freunden treibt, teils wie ein treuer Hirte, der, selbst aufs Äußerste erschüttert, nach seiner Herde sieht, die er in Gefahr weiß, denn Er wusste, dass auch sie in Angst und Versuchung waren. Ich sah aber die Schreckgestalten Ihn auch auf diesem kurzen Weg umgeben. Als Er sie schlafend fand, rang Er die Hände und sank vor Trauer und Ermattung auf sie nieder und sagte: «Simon, schläfst du?» Da erwachten sie und richteten Ihn auf, und Er sagte in seiner Verlassenheit: «Also konntet ihr nicht einmal eine Stunde mit mir wachen?» Als sie Ihn so ganz entsetzt und entstellt, bleich, schwankend, von Schweiß durchnässt, zitternd und bebend und mit matter Stimme jammernd fanden, wussten sie gänzlich nicht, was sie denken sollten. Und wäre Er ihnen nicht mit einem ihnen wohlbekannten Licht umgeben erschienen, sie hätten Jesus nicht in Ihm erkannt. Johannes sagte da zu Ihm: «Meister! was geschieht Dir? soll ich die andern Jünger rufen, sollen wir fliehen?» Jesus aber erwiderte: «Wenn Ich auch nochmal dreiunddreißig Jahre lebte, lehrte und heilte, reichte es nicht hin, zu tun, was Ich bis morgen erfüllen muss. Rufe die Achte nicht! Ich habe sie dort entlassen, weil sie nicht vermögen, mich in diesem Elende zu sehen, ohne sich zu ärgern an mir. Sie würden in Versuchung fallen, vieles vergessen und zweifeln an mir. Ihr aber habt den Menschensohn verklärt gesehen, so mögt ihr Ihn auch sehen in seiner Verfinsterung und ganzen Verlassenheit. Aber wacht und betet, auf dass ihr nicht in Versuchung fallt: der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach!» Er sagte dieses von ihnen und von sich. Er wollte sie zur Ausdauer ermahnen, und ihnen den Kampf seiner menschlichen Natur gegen den Tod und die Ursache seiner Schwäche verkünden. Er sprach in großer Betrübnis noch mehreres, und war etwa eine Viertelstunde bei ihnen, ehe Er sie verließ.

Jesus kehrte mit wachsender Angst in die Höhle zurück. Sie aber streckten Ihm die Hände zu, weinten, sanken sich in die Arme, fragten sich: «Was ist das? Was geht mit Ihm vor? Er ist ganz verlassen!» Und dann begannen sie zu beten mit verhülltem Haupt in großer Betrübnis. Alles Vorhergehende füllte etwa anderthalb Stunden seit seinem Eingang in den Ölgarten aus. In der Schrift sagt Jesus zwar: «Konntet ihr nicht eine Stunde mit mir wachen?» Dieses ist aber nicht nach unserem Zeitmaß zu nehmen. Die drei Apostel, welche bei Jesus waren, hatten anfangs gebetet, waren dann eingeschlafen, denn sie waren durch misstrauendes Gerede in Versuchung gefallen. Die Achte aber, welche am Eingang zurückgeblieben waren, schliefen indessen nicht. Die Angst Jesu in allen seinen letzten Äußerungen an diesem Abend machte sie höchst unruhig, und sie strichen am Ölberg umher, um sich Schlupfwinkel aufzusuchen.

In Jerusalem war wenig Lärm an diesem Abend. Die Juden waren in ihren Häusern mit Zubereitungen zum Feste beschäftigt. Die Lager der Ostergäste waren nicht in der Nähe des Ölberges. Ich sah, indem ich die Wege hin und her machte, hie und da Jünger und Freunde Jesu miteinander gehen und reden. Sie schienen beunruhigt und erwartungsvoll. Vom Abendmahlssaal war die Mutter des Herrn mit Magdalena, Martha, Maria Kleophä, Maria Salome und Salome zum Haus der Maria Markus und dann, von Gerüchten beunruhigt, mit den Freundinnen vor die Stadt gegangen, um Nachricht von Jesus zu erhalten. Hier nun kamen Lazarus, Nikodemus, Joseph von Arimathäa und einige Verwandte von Hebron zu ihnen und suchten sie in ihrer großen Angst zu beruhigen, denn, obschon diese Freunde von den ernsten Reden Jesu im Abendmahlssaal teils durch die persönliche Gegenwart einiger aus ihnen in den Seitengebäuden, teils durch die Jünger unterrichtet waren, so hatten sie sich doch bei bekannten Pharisäern befragt, aber von näheren Schritten gegen unsern Herrn nichts gehört. Sie sagten daher, die Gefahr sei noch nicht so groß. So nahe vor dem Fest werde man sich wohl nicht an dem Herrn vergreifen. Sie wussten noch nichts vom Verrat des Judas. Maria aber sagte ihnen von dessen Verwirrung in den letzten Tagen und seinem Verlassen des Abendmahlssaals. Er sei gewiss zum Verrat gegangen, sie habe ihn oft ermahnt, er sei ein Sohn des Verderbens. Die heiligen Frauen kehrten hierauf nach Mariä Markus Haus zurück.

Als Jesus in die Höhle zurückgekommen war und alle seine Trauer mit Ihm, warf Er sich mit ausgebreiteten Armen auf sein Angesicht nieder und betete zu seinem himmlischen Vater. Nun ging aber ein neuer Kampf vor seiner Seele vorüber, welcher drei Viertelstunden währte. Es traten Engel zu Ihm und zeigten Ihm die Aufgabe und den Umfang des genugtuenden Leidens in einer großen Reihe von Anschauungen. Sie zeigten die ganze Herrlichkeit des Menschen als des Ebenbildes Gottes vor dem Sündenfall und seine ganze Entstellung und Versunkenheit nach dem Sündenfall. Sie zeigten die Abkunft jeder Sünde aus der ersten Sünde, und Bedeutung und Wesen aller Sündenlust und deren schrecklichen Bezug auf die Seelenkräfte und die Glieder der Menschen, und ebenso Wesen und Bedeutung aller der Sündenlust entgegengesetzten strafenden Peinen. Sie zeigten im genugtuenden Leiden erstens ein Leiden an Leib und Seele, hinreichend, die Strafe der göttlichen Gerechtigkeit für alle Sündenlust der ganzen Menschheit durch Pein zu vollziehen, und zweitens ein Leiden, welches, um genugtuend zu sein, die Schuld der ganzen Menschheit an der einzigen unschuldigen Menschheit, der heiligsten Menschheit des Sohnes Gottes, strafte, der, um aller Menschen Schuld und Strafe aus Liebe zu sich zu nehmen, auch den Sieg über den menschlichen Widerwillen gegen Leiden und Sterben erkämpfen musste. Alles dieses zeigten die Engel bald in ganzen Chören mit Reihen von Bildern, bald einzeln mit Hauptvorstellungen erscheinend. Ich sah ihre Gestalten immer mit emporgehobenem Finger zu den erscheinenden Bildern hindeuten und vernahm, was sie sagten, ohne ihre Stimme zu hören.

Keine Zunge vermag auszusprechen, welche Schrecken und Schmerzen die Seele Jesu durch diese Bilder des genugtuenden Leidens inne ward. Denn Er erkannte nicht nur die Bedeutung aller der Sündenlust entgegengesetzten Sühnungspein, sondern auch den Inhalt aller darauf bezüglichen Marterwerkzeuge, so dass Ihn nicht nur die Pein des Werkzeuges allein entsetzte, sondern auch der sündhafte Zorn derer, die es erdacht, und die Wut und Bosheit aller, die es von jeher gebraucht und die Ungeduld aller, die damit schuldig oder unschuldig gepeinigt worden waren, denn Er trug und fühlte die Sünden der ganzen Welt. Alle diese Peinigungen und Qualen erkannte Er in einer inneren Anschauung mit solchem Entsetzen, dass der blutige Schweiß von Ihm drang.

Als in diesem Übermaß der Leiden die heiligste Menschheit Christi trauerte und zagte, sah ich in den Engeln ein Mitleid. Es erschien ein kleiner Stillstand, und es war, als sehnten sie sich, Ihm Trost zu geben und ich sah, als flehten sie vor dem Thron Gottes. Es war gleichsam wie ein augenblickliches Ringen zwischen der Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Gottes und der Liebe, die sich opferte. Ich hatte auch ein Bild von Gott, doch nicht, wie sonst auf einem Thron, sondern in einer weniger bestimmten Lichtgestalt. Ich sah die göttliche Natur des Sohnes in die Person des Vaters, gleichsam wie in dessen Brust eindringend, und die Person des Heiligen Geistes aus ihnen und zwischen ihnen, und doch war nur ein Gott. Wer kann solches aussprechen? Ich hatte mehr ein Innewerden durch Formen, als ein Schauen menschlicher Gestalten, in welchem mir gezeigt ward, als ziehe sich der göttliche Wille Christi mehr in den Vater zurück, um seine heiligste Menschheit das alles leiden zu lassen, um dessen Milderung und Anwendung der menschliche Wille Christi geängstigt rang und flehte, so dass die Gottheit Christi, eins mit dem Vater, eben das über seine Menschheit verhängte, um dessen Abwendung seine Menschheit zum Vater flehte. Ich sah dieses in dem Augenblick der Rührung der Engel, da diese Jesus zu trösten verlangten. Er empfing auch in diesem Momente einige Erleichterung. Nun aber erloschen diese Vorstellungen, und die Engel mit der Erquickung ihres Mitleides verließen den Herrn, dessen Seele ein neuer heftiger Angstkreis nahte.

Als der Erlöser am Ölberg sich als wahren und wirklichen Menschen der Versuchung des menschlichen Widerwillens gegen Leiden und Tod hingab, als Er die Überwindung dieses Widerwillens, zu leiden, welcher ein Teil eines jeden Leidens ist, auch auf sich nahm, ward dem Versucher zugelassen, an Ihm zu tun, wie er an jedem Menschen tut, der sich für Heiliges zum Opfer bringen will. In der ersten Angst stellte der Satan mit wütigem Hohn unserem Herrn die Größe der Sündenschuld vor, die Er auf sich nehmen wollte, und trieb die Anfechtung bis dahin, den Wandel des Erlösers selbst als nicht schuldfrei vorzustellen. Sodann war dem Erlöser nach der ganzen inneren bitteren Wahrheit in seiner zweiten Angst die Größe des genugtuenden Leidens vorgestellt und dieses geschah durch den Engel. Denn es ist nicht des Satans, zu zeigen, dass gesühnt werden kann. Der Vater der Lüge und Verzweiflung zeigt nicht auf die Werke der göttlichen Barmherzigkeit. Als aber Jesus alle diese Kämpfe mit herzlicher Hingebung in den Willen seines himmlischen Vaters siegreich bestanden, ward ein neuer Kreis von furchtbaren Angstbildern vor seiner Seele vorüber geführt. Die Sorge nämlich, die in jedem menschlichen Herzen dem Opfer vorangeht, die fragende Sorge: was wird der Gewinn, der Ertrag dieses Opfers sein, erwachte in der Seele des Herrn, und die Vorstellungen der schrecklichsten Zukunft bedrängten sein liebendes Herz.

Über den ersten Adam senkte Gott einen Schlaf nieder, eröffnete seine Seite, nahm ihm eine seiner Rippen, baute Eva, die Frau, die Mutter aller Lebendigen, daraus und führte sie zu Adam. Da sprach dieser: «Das ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch, der Mann wird Vater und Mutter verlassen und seiner Frau anhangen und sie werden zwei in einem Fleisch sein.» - Dieses war die Ehe, von der geschrieben steht: «Dieses Sakrament ist groß, ich sage aber in Christus und der Kirche», denn Christus, der neue Adam, wollte auch einen Schlaf, den Schlaf des Todes, an dem Kreuze über sich kommen lassen, wollte auch seine Seite eröffnen lassen, auf dass die neue Eva, seine jungfräuliche Braut, die Kirche, die Mutter aller Lebendigen, aus ihr erbaut würde. Er wollte ihr das Blut der Erlösung, das Wasser der Reinigung und seinen Geist geben, die drei, welche Zeugnis geben auf Erden. Er wollte ihr die heiligen Sakramente geben, auf dass sie eine reine, unbefleckte, heilige Braut sei. Er wollte ihr Haupt, wir alle sollten ihre Glieder und dem Haupt untertan sein, wir sollten Bein von seinem Bein, Fleisch von seinem Fleische sein. Er hatte, die Menschheit annehmend und den Tod für uns sterben wollend, auch Vater und Mutter verlassen und seiner Braut, der Kirche, angehangen und ist mit ihr ein Fleisch geworden, sie nährend mit dem heiligsten Sakramente des Altares, in welchem Er sich uns vermählt fort und fort. Und Er wollte mit seiner Braut. der Kirche, auf Erden sein, bis wir alle in ihr bei Ihm im Himmel sein würden. Und Er hat gesagt: «Die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen.» Alle diese unermessliche Liebe an den Sündern zu üben, war der Herr Mensch und ein Bruder der Sünde geworden, um die Strafe aller ihrer Schuld auf sich zu nehmen. Er hatte die Größe dieser Schuld und die Größe des genugtuenden Leidens mit großer Betrübnis gesehen und sich dennoch freudig dem Willen seines Himmlischen Vaters als ein Sühnopfer hingegeben. Jetzt aber sah Er die Leiden, Anfechtungen und Verletzungen der künftigen Kirche, seiner Braut, die Er so teuer mit seinem Blute erkaufen wollte. Er sah den Undank der Menschen.

Vor die Seele des Herrn traten alle künftigen Leiden seiner Apostel. Jünger und Freunde, die kleine Zahl der ersten Kirche, dann die mit ihrem Wachsen eintretenden Ketzereien und Abtrennungen mit der ganzen Wiederholung des Sündenfalles durch Hoffart und Ungehorsam in allen Formen der Eitelkeit und täuschenden Selbstrechtfertigung. Es erschien ihm die Lauheit, Verkehrtheit und Bosheit unzählbarer Christen, die mannigfaltige Lüge und trügerische Spitzfindigkeit aller hoffärtigen Lehrer, die gottesschänderischen Verbrechen aller lasterhaften Priester und die schrecklichen Folgen von diesem allem, die Gräuel der Verwüstung im Reiche Gottes auf Erden, im Heiligtum der undankbaren Menschheit, welches Er mit seinem Blute und Leben unter unaussprechlichen Leiden zu erkaufen und zu gründen im Begriffe stand.

Ich sah alle diese Ärgernisse in unermesslichen Bilderreihen aus allen Jahrhunderten bis auf unsere Zeit und weiter bis zum Ende der Welt in allen Formen des kranken Irrwahns, des hoffärtigen Truges, der fanatischen Schwärmerei, des falschen Prophetentums, der ketzerischen Hartnäckigkeit und Bosheit an der Seele des armen Jesus vorüberziehen. Alle Abtrünnige, Selbstrechtfertiger, Irrlehrer und scheinheilige Besserer, Verführer und Verführte höhnten und peinigten Ihn, als sei Er ihnen nicht recht gekreuzigt, nicht bequem ans Kreuz geschlagen nach ihren Gelüsten und der Auslegung ihres Dünkels; und sie zerrissen und zerteilten den ungenähten Rock seiner Kirche. Jeder wollte den Erlöser anders haben, als Er sich aus Liebe gegeben. Unzählige misshandelten Ihn, höhnten Ihn, leugneten Ihn. Unzählige sah Er, die mit stolzem Achselzucken und Kopfschütteln an Ihm, der die rettenden Arme nach ihnen ausbreitete, vorüberzogen, dem Abgrund entgegen, der sie verschlang. Unzählige andere sah Er, sie wagten nicht offenbar, Ihn zu verleugnen, aber weichlich geekelt zogen sie vor den Wunden seiner Kirche, die sie doch selbst zu schlagen geholfen, vorüber, wie der Levit an dem Armen, der unter die Mörder gefallen. Er sah, wie sie sich von seiner verwundeten Braut trennten, wie feige, treulose Kinder ihre Mutter verlassen zur Nachtzeit, wenn Räuber und Mörder einbrechen, denen unordentlicher Wandel den Eingang geöffnet hat. Er sah sie der Beute nachziehen, welche in die Wüste getragen war, den goldenen Gefäßen und dem zerrissenen Halsschmuck. Er sah sie vom wahren Weinstock getrennt lagern unter den wilden Reben. Er sah sie als irrende Schafe, den Wölfen preisgegeben, auf schlechter Weide von Mietlingen umgetrieben; und sie wollten in den Schafstall des guten Hirten nicht eingehen, der das Leben für seine Schafe hingegeben. Er sah sie heimatlos umherschweifen und sie wollten seine Stadt, hoch auf dem Berge liegend, die nicht verborgen bleiben konnte, nicht sehen. Er sah sie auf den Sandwogen der Wüste von wechselnden Winden hin und wieder getrieben und ohne Einheit. Aber sie wollten das Haus seiner Braut, seine Kirche, auf den Fels gebaut, bei der Er zu sein versprochen bis ans Ende der Tage und welche die Pforten der Hölle nicht überwältigen sollen, nicht sehen. Sie wollten nicht eingehen durch die enge Pforte, um den Nacken nicht zu beugen. Er sah sie jenen folgen, die anderswo und nicht zur Tür eingegangen waren. Sie bauten wandelbare, verschiedenartige Hütten auf den Sand, ohne Altar und Opfer, und hatten Windfahnen auf den Dächern. Nach diesen drehte sich ihre Lehre. Aber sie widersprachen einander und verstanden sich nicht und hatten keine bleibende Stätte. Er sah, wie sie oft ihre Hütten abbrachen und die Trümmer gegen den Eckstein der Kirche schleuderten, der unverrückt lag. Viele aus ihnen sah Er, da Finsternis herrschte in ihren Hütten, nicht zum Licht gehen, das auf den Leuchter gestellt war im Haus der Braut, sondern sie schweiften draussen mit geschlossenen Augen um den beschlossenen Garten der Kirche, von dessen Wohlgerüchen allein sie noch lebten. Sie streckten die Arme nach Nebelbildern und folgten Irrsternen, die sie zu Brunnen ohne Wasser führten, und hörten am Rand der Gruben nicht auf die Stimme der rufenden Braut und lächelten hungernd mit stolzem Mitleid der Diener und Boten, welche sie zum hochzeitlichen Mahl einluden. Sie wollten nicht eingehen in den Garten, - denn sie scheuten die Dornen des Zaunes, und der Herr sah sie von sich selbst berauscht ohne Wein, - und erblindet vom Eigenlichte nannten sie die Kirche des Fleisch gewordenen Wortes unsichtbar. Jesus aber sah sie alle und trauerte und wollte leiden für alle, die Ihn nicht sehen, Ihm ihr Kreuz nicht nachtragen wollten in seiner Braut, der Er sich selbst im heiligsten Sakrament gegeben, in seiner Stadt, auf dem Berge erbaut, die nicht verborgen bleiben kann, in seiner Kirche, auf den Fels gegründet, welche die Pforten der Hölle nicht überwältigen sollen.

Alle diese unzähligen Bilder des Undankes und Missbrauches an dem bittern Versöhnungstode meines himmlischen Bräutigams sah ich bald in wandelnder Abwechslung, bald in gleich schmerzhafter Wiederholung vor der betrübten Seele des Herrn vorüberziehen. Ich sah, wie der Satan in mancherlei Schreckgestalten die durch sein Blut erlösten, ja selbst die durch sein Sakrament gesalbten Menschen vor seinen Augen wegriss und erwürgte. Jesus sah und betrauerte allen Undank, alles Verderben der ersten, der späteren, der jetzigen und zukünftigen Christenheit. Alle diese Erscheinungen, zwischen welchen immer die Stimme des Versuchers seiner Menschheit zuflüsterte: «Sieh! für solchen Undank willst Du leiden?» drangen mit solchem Gräuel und Hohn und mit solchem Ungestüm auf Jesus zu, und in so steter Wiederholung an Ihm vorüber, dass eine unaussprechliche Angst seine heiligste menschliche Natur bedrängte. Christus, des Menschen Sohn, rang und wand die Hände. Er stürzte wie gedrängt hin und wieder auf die Knie, und sein menschlicher Wille kämpfte einen so schweren Kampf gegen den Widerwillen, für ein so undankbares Geschlecht so Unaussprechliches zu leiden, dass der Schweiß wie dicke Blutstropfen in Strömen von Ihm nieder zur Erde rann. Ja, Er war so bedrängt, dass Er wie hilfesuchend umherblickte, und Himmel und Erde und die Lichter des Firmamentes als Zeugen seiner Leiden anzusprechen schien. Es war mir, als hörte ich Ihn ausrufen: «Ach! ist es denn möglich, solchen Undank zu erleiden? Gebt Zeugnis meiner Not !»

Da war es, als träten der Mond und die Sterne mit einem Ruck näher heran. Ich fühlte im Augenblick, dass es heller ward. Ich achtete auf den Mond, was ich früher nicht getan, und sah ihn ganz anders als sonst. Er war noch nicht ganz voll, erschien mir jedoch größer, als bei uns. In seiner Mitte sah ich einen dunkeln Fleck, wie eine flache vor ihm liegende Scheibe, und in dieser schien inmitten eine Öffnung, durch welche Licht gegen die nicht volle Seite des Mondes strahlte. Der dunkle Fleck war wie ein Berg, und rund um den Mond war noch ein lichter Kreis wie ein Regenbogen.

Jesus erhob in dieser Bedrängnis einige Augenblicke seine Stimme mit lautem Jammer, und ich sah, dass die drei Apostel aufsprangen und erschreckt mit gehobenen Händen zu Ihm hinhorchten und hineilen wollten. Aber Petrus schob Jakobus und Johannes zurück und sagte: «Bleibt! Ich will zu Ihm gehen.» und ich sah ihn hineilen und in die Höhle treten. «Meister», sagte er, «was geschieht Dir?» und er stand zagend, als er Ihn so ganz voll Blut und Schrecken sah. Jesus aber antwortete nicht und schien ihn nicht zu bemerken. Da kehrte Petrus zu den beiden zurück und sagte, wie Er ihm nicht geantwortet und nur wimmere und seufze. Da wuchs ihre Trauer. Sie verhüllten das Haupt und saßen und beteten unter Tränen.

Ich aber wendete mich wieder zu meinem himmlischen Bräutigam in seiner bittern Angst. Die Gräuelbilder des Undankes und des Missbrauches der künftigen Menschen, deren Schuld Er auf sich genommen, deren Strafe Er zu dulden sich hingab, strömten immer grässlicher und stürzender auf Ihn zu. Sein Kampf mit dem menschlichen Widerwillen gegen das Leiden währte fort. Mehrmals hörte ich Ihn ausrufen: «Vater, ist es möglich, für diese alle zu leiden? O Vater, kann dieser Kelch nicht an mir vorübergehen, so geschehe dein Wille!»

Bei und in diesen gedrängten Erscheinungen der missbrauchten göttlichen Barmherzigkeit sah ich den Satan nach der Art der Missetaten in verschiedenen Gestalten des Abscheulichen. Bald erschien er als ein großer dunkler Mensch, bald als ein Tiger, bald als ein Fuchs, bald als ein Wolf, ein Drache, eine Schlange. Doch waren es solche Tiergestalten nicht ganz selbst, sondern nur das Hervorstechende ihres Wesens, mit anderen abscheulichen Formen vermischt. Nichts war da einem vollkommenen Geschöpf ähnlich. Es waren Formen des Zerfalles, des Gräuels, des Entsetzens, des Widerspruches, der Sünde, Formen des Teufels. Und durch diese Teufelsbilder sah nun Jesus unzählige Scharen von Menschen antreiben, verführen, erwürgen und zerreissen, für deren Erlösung aus der Gewalt des Satans Er den Weg zum bittern Kreuzestod angetreten hatte. Die Schlange sah ich anfangs nicht so häufig, zuletzt aber sah ich sie mit einer Krone auf dem Haupt riesenhaft mit entsetzlicher Gewalt hervor stürzen und mit ihr von allen Seiten große Heerscharen jedes Standes und Geschlechtes auf Jesus heran dringen. Mit allen möglichen Misshandlungsmitteln, Instrumenten und Waffen versehen, kämpften sie teils in einzelnen Momenten selbst untereinander, dann aber alle wieder mit furchtbarer Wut gegen den Herrn. Es war ein entsetzliches Schauspiel. Sie höhnten, spieen, fluchten, warfen großen Unrat, schleuderten, stachen und hieben gegen Jesus. Ihre Waffen, Schwerter und Spieße hoben und senkten sich wie die Dreschflegel einer unabsehbaren Tenne, und sie wüteten alle gegen das himmlische Weizenkörnlein, das zur Erde gekommen und in ihr gestorben, um alle ewiglich mit dem Brot des Lebens in unzähliger Frucht zu nähren.

Ich sah Jesus inmitten dieser erzürnten Scharen, unter welchen mir auch viele blind schienen, so erschüttert. als würde Er wirklich von ihren Waffen getroffen. Ich sah Ihn von einer Seite zur andern wanken. Bald richtete Er sich auf, bald sank Er nieder. Die Schlange sah ich mitten unter diesen Heeren, welche sie stets von Neuem heran trieb, mit ihrem Schweife hin- und herschlagen, und alle, die sie niederschlug oder umschlang, erwürgen, zerreissen und verschlingen. Dabei erhielt ich die Erkenntnis, dass die Menge der Jesus zerfleischenden Heerscharen die unermessliche Zahl jener sei, welche Ihn, den mit Gottheit und Menschheit, Leib und Seele, Fleisch und Blut unter den Gestalten des Brotes und Weines im heiligsten Sakrament wesentlich gegenwärtigen Erlöser in diesem Geheimnis auf die mannigfaltigste Weise misshandeln. Ich erkannte unter diesen Feinden Jesu alle Arten von Beleidigern des heiligsten Sakramentes, dieses lebendigen Unterpfandes seiner ununterbrochenen persönlichen Gegenwart in der Katholischen Kirche. Ich sah mit Entsetzen alle diese Misshandlungen von der Vernachlässigung, Nichtachtung, Verlassen an bis zur Verachtung, bis zum Missbrauch und bis zur gräulichsten Gottesschänderei, von der Abwendung zu den Götzen der Welt, zu dem Dünkel und zum falschen Wissen an bis zur Irrlehre und zum Unglauben, bis zur Schwärmerei, zum Hass und zur blutigen Verfolgung. Alle Arten von Menschen sah ich unter diesen Feinden, ja sogar Blinde und Lahme, Taube und Stumme und selbst Kinder. Blinde, welche die Wahrheit nicht sehen wollten. Lahme durch Faulheit, die ihr nicht folgen wollten. Taube, welche seine Warnungen und seinen Weheruf nicht hören wollten. Stumme, welche nicht einmal mit dem Schwerte des Wortes für Ihn kämpfen wollten. Kinder im Gefolge weltgesinnter und darum gottvergessener Eltern und Lehrer, mit weltlicher Lust verfüttert, mit eitlem Wissen berauscht, an göttlichen Dingen geekelt oder ohne sie verkommen und zu ihnen auf immer verdorben. Unter den Kindern, welche mich überhaupt sehr bedauerten, weil Jesus die Kinder so liebte, sah ich auch besonders viele schlechtbelehrte, übelgezogene, unehrerbietige Messdiener, die Christus in der heiligsten Handlung nicht ehren. Ihre Schuld fiel teils auf die Lehrer und die bedachtlosen Kirchenvorsteher. Mit Schrecken aber sah ich, dass selbst viele Priester, hohen und niederen Ranges, ja selbst solche, die sich für gläubig und fromm hielten, zur Misshandlung Jesu im heiligsten Sakrament beitrugen. Ich will von den vielen, die ich so unglücklich sah, nur eine Art erwähnen. Ich sah da sehr viele, welche die Gegenwart des lebendigen Gottes im allerheiligsten Sakramente glaubten, anbeteten und lehrten, sich dieselbe aber doch nicht besonders angelegen sein ließen. Denn den Palast, den Thron, das Zelt, den Sitz und königlichen Schmuck des Königs Himmels und der Erde, nämlich die Kirche, den Altar, den Tabernakel, den Kelch, die Monstranz des lebendigen Gottes und alle Gefäße, Geräte, Zierden, Festgewänder und allen Schmuck und Dienst seines Hauses ließen sie ohne Pflege und Sorgfalt. Alles war schmählich in Staub, Rost, Moder und vieljährigem Unrat verkommen und verfallen, und der Dienst des lebendigen Gottes ward nachlässig hingeschleudert und, wo nicht innerlich entweiht, doch äußerlich entwürdigt. Alles dieses aber war nie die Schuld der wirklichen Armut, sondern immer jene der Gefühllosigkeit, der Trägheit, des Schlendrians, der Hinwendung zu eitlen weltlichen Nebensachen, oft auch der Selbstsucht und des inneren Todes. Denn auch in wohlhabenden oder genug habenden Kirchen sah ich solche Vernachlässigung. Ja ich sah viele, in welchen weltliche Prachtliebe die herrlichsten und ehrwürdigsten Zierden frömmerer Zeit verdrängt und mit falscher Festkleidung mit Flitter, ersetzt hatte. Was die Reichen in prahlerischem Übermute taten, ahmten die Armen aus Mangel an Einfalt unverständig nach. Ich musste an unsere arme Klosterkirche denken, wo man auch den schönen alten, aus Stein gehauenen Altar mit einem hölzernen, marmorierten überbaut hatte, was mich immer sehr betrübte.

Diese Unbilden gegen Jesus im heiligsten Sakrament sah ich durch unzählige Kirchenvorsteher vermehrt, welchen das Gefühl für die Billigkeit fehlte, mit dem auf dem Altar gegenwärtigen Erlöser wenigstens das Ihrige zu teilen, der doch sich selbst ganz für sie in den Tod gegeben, sich selbst ganz für sie im Sakramente zurückgelassen. Ja auch bei den Ärmsten sah es oft besser aus, als bei dem Herrn Himmels und der Erde in seiner Kirche. Ach, wie bitter betrübte Jesus, der sich selbst ihnen zur Speise gegeben, die schlechte Gastfreiheit! Es braucht ja keines Reichtums, den zu bewirten, der auch den Becher kalten Wassers dem Dürstenden gereicht, tausendfältig belohnt. Und wie dürstet Er selbst nach uns? Soll Er nicht wehklagen, wenn der Becher verunreinigt und das Wasser voll Würmer ist? Durch solche Nachlässigkeit sah ich Schwache geärgert, das Heiligtum entweiht, die Kirchen verlassen, die Priester verachtet und bald ging die Unreinigkeit und Vernachlässigung auch auf die Seelen der Gemeinden über: sie hielten den Tabernakel ihres Herzens nicht reiner, den lebendigen Gott darin aufzunehmen, als sein Tabernakel auf dem Altar gehalten wurde. Für den schmeichelnden Augendienst der Fürsten und Herren der Welt und für die Befriedigung der Launen und weltlichen Absichten derselben sah ich alles bei solchen unverständigen Kirchenvorständen in treibender, sorgender Tätigkeit. Der König des Himmels und der Erde aber lag wie ein Lazarus vor der Tür und sehnte sich vergebens nach Brosamen der Liebe, die Er nicht empfing. Er hatte nichts als seine Wunden, die wir Ihm geschlagen und welche die Hunde Ihm leckten, nämlich die immer rückfälligen Sünder, die gleich Hunden speien und zum Fraß zurückkehren.

Wenn ich ein Jahr lang erzählte, würde ich nicht fertig werden, alle die verschiedenen Misshandlungen Jesu Christi im heiligsten Sakramente zu sagen, welche ich in solcher Weise erkannte. Alle diese Beleidiget sah ich nach Art ihrer Schuld mit verschiedenen Waffen in großen Scharen auf den Herrn eindringen und niederschlagen, Ich sah aus allen Jahrhunderten ehrfurchtslose Kirchendiener, leichtsinnige, sündhafte, unwürdige Priester bei dem heiligen Messopfer und der Spendung des heiligsten Sakramentes, und Scharen von lauen und unwürdigen Empfängern desselben. Ich sah Unzählige, welchen der Quell alles Segens, das Geheimnis des lebendigen Gottes, ein Schwur- und Fluchwort des Zorns geworden war, wütende Kriegsleute und Teufelsdiener, welche die heiligen Gefäße verunreinigten und das hochwürdige Gut verschütteten, gräulich misshandelten oder gar in schrecklichem, höllischem Götzendienste schändeten. Neben diesen grässlichen, rohen Misshandlungen sah ich unzählige feinere Gottlosigkeit, die eben so abscheulich erschienen. Ich sah viele durch schlechtes Beispiel und treulose Lehre vom Glauben an die Verheißung seiner Gegenwart im heiligsten Sakramente abfallen, und ihren Heiland nicht mehr in demselben demütig anbeten. Ich sah in diesen Scharen eine große Menge sündhafter Lehrer, die Irrlehrer geworden. Sie kämpften anfangs untereinander selbst und wüteten dann vereint gegen Jesus im heiligsten Sakrament seiner Kirche. Ich sah eine große Schar dieser abtrünnigen Sektenhäupter das Priestertum der Kirche verschmähen, und die Gegenwart Jesu Christi im Geheimnis des heiligsten Sakramentes, so wie Er dieses Geheimnis der Kirche selbst übergeben und sie es treu bewahrt hat, bestreiten und verleugnen, und durch ihre Verführung unzählige Menschen von seinem Herzen reissen, für die Er sein Blut vergossen hatte. Ach ! Es war schrecklich, dieses anzusehen, denn ich sah die Kirche als den Leib Jesu, dessen einzelne zerstreute Glieder Er alle mit seinem bitteren Leiden verbunden hatte, und ich sah, als würden alle jene Gemeinden oder Familien und all deren Nachkommen, die von der Kirche getrennt wurden, wie ganze Stücke von seinem lebendigen Leibe schmerzlich verwundend und zerfleischend losgerissen. Ach! Und Er blickte und jammerte ihnen so rührend nach! Er, der, um die unendliche Zertrennung und Zerstreuung der Menschen zu dem einen Leibe der Kirche, zum Leibe seiner Braut zu sammeln, sich selbst im heiligsten Sakramente zur Speise hingegeben hatte, sah sich in diesem seinem Brautleibe durch die bösen Früchte des Baumes der Spaltung zerreissen und zerspalten. Der Tisch der Vereinigung im heiligen Sakrament, sein höchstes Liebeswerk, in dem Er ewig bei den Menschen bleiben wollte, ward durch die falschen Lehrer zum Markstein der Trennung. Und wo es allein würdig und heilsam ist, dass viele eins werden, am heiligen Tisch, wo der lebendige Gott selbst die Speise ist, da mussten seine Kinder sich scheiden von den Ungläubigen und Irrgläubigen, um sich nicht fremder Sünde schuldig zu machen. Ich sah auf diese Weise ganze Völker von seinem Herzen losreissen und teillos werden an dem ganzen Schatz aller seiner Kirche zurückgelassenen Gnaden. Es war schrecklich zu sehen, wie anfangs wenige sich trennten, und wie sie dann als ganze Völker wiederkehrten und sich feindlich, im Heiligsten geschieden, einander gegenüber standen. Zuletzt aber sah ich alle von der Kirche Getrennte, in Unglauben, Aberglauben, Irrglauben, Dünkel und falscher Weltwissenschaft verwildert und erzürnt, in großen Kriegsheeren verbunden gegen die Kirche stürmen und wüten und die Schlange mitten unter ihnen treibend und würgend. Ach! Es war, als sehe und fühle Jesus sich selbst in unzählige feine Fasern zerreissen. - Der Herr sah und fühlte in dieser Bedrängnis den ganzen Giftbaum der Spaltung mit allen Zweigen und Früchten, die sich fort und fort spalten bis ans Ende der Tage, wo der Weizen in die Scheune gesammelt und die Spreu ins Feuer geworfen wird.

Das Entsetzliche, das ich alles gesehen, war so ungeheuer und schauderhaft, dass eine Erscheinung meines himmlischen Bräutigams mir barmherzig die Hand dabei gegen die Brust legte, mit den Worten: «Niemand hat dieses noch gesehen, und dein Herz würde vor Schrecken zerspalten, wenn ich es nicht hielte!»

Ich sah aber nun das Blut in dicken, dunklen Tropfen über das bleiche Angesicht des Herrn herab träufeln, seine sonst glatt gescheitelten Haare waren von Blut zusammenklebend, empor gesträubt und verworren, sein Bart war blutig und wie zerrauft. Es war nach dem letzten Bild, da die Kriegsheere ihn zerfleischten, dass Er sich wie fliehend aus der Höhle wendete und wieder zu seinen Jüngern hinging. Aber es war kein sicheres Gehen. Er wandelte wie einer, der unter einer großen Last gebeugt schwankt und mit Wunden bedeckt in jedem Augenblick niederzusinken droht. Als Er zu den drei Aposteln kam, lagen sie nicht wie das erste Mal auf der Seite in schlafender Stellung. Sie hatten das verhüllte Haupt auf die Knie gesenkt, wie ich dort im Land die Leute in Trauer und Gebet oft sitzen sehe. Sie waren, von Betrübnis, Angst und Müdigkeit angefochten, eingeschlummert. Als Jesus aber zitternd und ächzend ihnen nahte, fuhren sie auf, und da sie Ihn im Mondlicht mit eingezogener Brust, das blutige, bleiche Antlitz mit verwirrtem Haare niedergebeugt und gegen sie hingestreckt vor sich stehen sahen, erkannten sie Ihn nicht gleich mit ihren müden Augen, denn Er war unbeschreiblich entstellt. Er aber rang die Hände. Da sprangen sie auf und fassten Ihn unter die Arme und stützten Ihn, wie Liebende. Er sprach in großer Betrübnis: morgen werde Er getötet werden, in einer Stunde werde man Ihn fangen, vor Gericht schleppen, misshandeln, verhöhnen, geißeln und töten auf eine grausame Weise. Er bat sie auch, seine Mutter zu trösten. Er sagte ihnen in großer Betrübnis alles, was Er bis morgenabend leiden müsse, und bat sie, seine Mutter und Magdalena zu trösten. Er hatte einige Minuten so gestanden und gesprochen. Sie antworteten aber nicht, denn sie wussten nicht, was sie sagen sollten vor Trauer und Bestürzung über sein Aussehen und seine Worte. Ja sie glaubten schier, Er sei von Sinnen. Da Er aber zur Höhle zurückkehren wollte, vermochte Er nicht zu gehen und ich sah, dass Johannes und Jakobus Ihn führten, und als Er in die Höhle getreten, zurückkehrten. Es war um ein Viertel über 11 Uhr.

Während dieser Angst Jesu, sah ich die heiligste Jungfrau große Angst und Trauer im Haus der Maria Markus erleiden. Sie war mit Magdalena und Maria Markus in einem Garten am Haus und war auf einer Steinplatte in die Knie gesunken. Sie war ganz innerlich und abgewendet von allem, was sie äußerlich umgab. Sie sah und fühlte nur die Leiden ihres göttlichen Sohnes. Sie hatte Boten um Nachricht von Ihm ausgesendet. Aber sie konnte sie nicht erwarten und ging in ihrer Angst mit Magdalena und Salome hinaus in das Tal Josaphat. Ich sah sie verhüllt gehen und die Hände oft gegen den Ölberg zu ausstrecken, denn sie sah im Geist Jesus vor Angst Blut schwitzen. Es war, als wolle sie mit ihren ausgestreckten Händen Jesu Angesicht abtrocknen. Durch diese ihre heftige Seelenbewegung zu ihrem Sohn hin, sah ich auch Jesus vom Andenken an sie gerührt und wie Hilfe suchend nach ihr hinschauen. Ich sah diese Teilnahme aneinander in Gestalt von Strahlen erscheinen, welche sie gegenseitig zu einander hinsendeten. Auch an Magdalena gedachte der Herr, und fühlte ihren Schmerz, und blickte nach ihr, und wurde von ihr gerührt, darum befahl Er auch den Jüngern, sie zu trösten, denn Er wusste, dass ihre Liebe nach der Liebe seiner Mutter die größte war. Er hatte auch gesehen, was sie noch künftig leiden, und wie sie Ihn bis zu ihrem Tod nicht mehr beleidigen würde.

Um diese Zeit, etwa ein Viertel nach 11 Uhr, waren die acht Apostel wieder in der Laubhütte im Garten Gethsemane und sprachen und schliefen dann. Sie waren ungemein erschüttert und zaghaft in schwerer Versuchung. Jeder hatte sich nach einem Schlupfwinkel umgesehen, und es plagte sie die Sorge: «Was sollen wir nun anfangen, wenn Er getötet wird? Alles das Unsre haben wir verlassen und aufgegeben und sind nun arm und ein Spott der Welt. Wir haben uns ganz auf Ihn verlassen, und wie ist Er nun so ganz ohnmächtig und zerschlagen, dass kein Trost an Ihm zu finden ist!» Die andern Jünger aber waren erst herumgeirrt und hatten, nachdem sie mancherlei Erkundigungen von den letzten drohenden Äußerungen Jesu eingezogen, sich dann meistens nach Bethphage begeben.

Ich sah Jesus wieder in der Höhle betend. Er besiegte den dem Menschen natürlichen Widerwillen, zu leiden. Er war müde und zagend, und sagte: «Mein Vater, ist es Dein Wille, so nimm diesen Kelch von mir, doch nicht mein, sondern Dein Wille geschehe.»

Nun aber öffnete sich die Tiefe vor Ihm, und wie auf einer lichten Bahn sah Er viele Stufen in die Vorhölle hinab. Da sah er Adam und Eva, alle Altväter, Propheten und Gerechte, die Eltern seiner Mutter und Johannes den Täufer so sehnsüchtig seiner Ankunft in der Unterwelt harrend, dass sein liebendes Herz gestärkt und ermutigt ward. Diesen schmachtenden Gefangenen sollte sein Tod den Himmel erschließen. Er sollte sie selbst aus dem Kerker ihrer Sehnsucht herausführen.

Nachdem Jesus diese Himmelsbürger der Vorwählt mit inniger Rührung angeschaut hatte, führten Ihm die zeigenden Engel alle Scharen der künftigen Seligen vorüber, die, ihre Kämpfe mit den Verdiensten seines Lebens vereinigend, durch Ihn sich mit dem himmlischen Vater vereinigen sollten. Es war dieses ein unbeschreiblich schönes, erquickendes Bild. Alle zogen sie in ihrer Zahl, Gattung und Würde, mit ihrem Leiden und Wirken geschmückt, an dem Herrn vorüber. Er sah das innerste unerschöpfliche Heil und Heiligen seines bevorstehenden Erlösungstodes. Es zogen die Apostel, die Jünger, die Jungfrauen und Frauen, alle Märtyrer, Einsiedler und Bekenner, alle Kirchenhäupter und Bischöfe, alle künftigen Scharen der Klosterleute, ja alle Heere der Seligen an Ihm vorüber. Alle waren geschmückt mit Siegeskronen ihrer Leiden und Überwindungen, und die Verschiedenheit der Blumen in ihren Kronen nach Gestalt, Farbe, Geruch und Kraft wuchs gleichsam aus der Verschiedenheit der Leiden, Kämpfe und Siege hervor, in welchen sie die Glorie errungen hatten. Alles ihr Leben und Wirken, die einzige Würde und Kraft ihres Kampfes und Sieges, und alles Licht und alle Farbe ihres Triumphes hatten sie allein aus der Vereinigung mit den Verdiensten Jesu Christi. Das gegenseitige Wirken und Beziehen aller dieser Heiligen auf- und untereinander und ihr Schöpfen aus einem einzigen Brunnen, aus dem heiligsten Sakramente und dem Leiden des Herrn, war eine unaussprechlich wunderbar rührende Erscheinung. Nichts erschien zufällig an ihnen. Tun und Lassen, Marter und Sieg, Erscheinung und Kleidung, alles so Verschiedene spielte in unendlicher Harmonie und Einheit ineinander, und diese ganze Einheit der größten Mannigfaltigkeit kam aus den Strahlen und Lichtfarben einer einzigen Sonne, aus dem Leiden des Herrn, des Fleisch gewordenen Wortes, in dem das Leben war, welches das Licht der Menschen war, das in die Finsternis geschienen, welche es nicht gefasst hat.

Es war die Gemeinschaft der künftigen Heiligen, welche vor der Seele des Herrn vorübergeführt wurde. Und so stand der Herr und Heiland zwischen der Sehnsucht der Altväter und dem Siegeszug der künftigen Seligen, welche, sich gegenseitig erfüllend und ersättigend, wie eine große Siegeskrone das liebende Herz des Erlösers umgaben. Dieser unaussprechlich rührende Anblick gab der Seele des Herrn, der alles menschliche Leid über sich ergehen ließ, einige Stärkung und Erquickung. Ach! Er liebte ja seine Brüder und Geschöpfe so sehr, dass Er auch um den Preis einer einzigen Seele alles gern erlitten hätte! - Diese Bilder erschienen, als künftige, über der Erde schwebend.

Jetzt aber verschwand dieses tröstende Bild, und die zeigenden Engel führten nun dicht an der Erde, weil ganz nahe bevorstehend, sein ganzes Leiden vor seinen Augen vorüber. Es waren viele Engel dabei in Tätigkeit. Die Bilder sah ich dicht vor Ihm und deutlich, vom Kuss des Judas bis zu seinem letzten Worte am Kreuz. Alles, alles sah ich da wieder, was ich bei den Betrachtungen der Passion sehe, der Verrat des Judas, die Flucht der Jünger, Hohn und Leiden vor Annas und Kaiphas, die Verleugnung des Petrus, das Gericht durch Pilatus, die Verspottung des Herodes, die Geißelung und Dornenkrönung, das Todesurteil, das Sinken unter der Kreuzeslast, die Begegnung der heiligsten Jungfrau, ihr Hinsinken, der Hohn der Schergen gegen sie, Veronikas Schweißtuch, die grausame Annagelung und Aufrichtung am Kreuz, den Hohn der Pharisäer und die Schmerzen Marias, Magdalenas und des Johannes, und die Eröffnung seiner Seite.

Kurz alles, alles wurde vor seiner Seele deutlich und klar, mit allen Umständen, vorübergeführt. Alle Gebärden, alle Empfindungen und Worte der Menschen sah und hörte ich den erschütterten, geängstigten Herrn sehen und hören. Alles nahm Er gerne an, allem unterwarf Er sich gerne aus Liebe zu den Menschen. Am schmerzlichsten betrübte ihn seine schamlose Entblößung am Kreuz, um die Unkeuschheit der Menschen zu sühnen, und Er flehte, doch einen Gürtel am Kreuz zu haben, dieses möge doch von Ihm abgewendet werden. Ich sah Ihm zwar nicht von den Kreuzigern, aber von einem guten Menschen Hilfe bevorstehen.

Jesus sah und empfand auch die Betrübnis und den Schmerz seiner heiligsten Mutter, welche in stetem innerlichem Mitleiden seiner Angst und Trauer am Ölberg in Begleitung der zwei heiligen Frauen im Tal Josaphat verweilte.

Am Schluss der Leidensbilder sank Jesus wie ein Sterbender auf sein Angesicht. Die Engel und Bilder verschwanden, der Blutschweiß rann heftiger als vorher von Ihm. Ich sah Ihn durch die anliegenden Stellen seines gelblichen Gewandes dringen. Es war nun dunkel in der Höhle.

Nun sah ich einen Engel zu Jesus herabschweben, der größer und bestimmter und mehr in der Natürlichkeit eines Menschen als die früheren erschien. Er erschien in langem, fliegendem, mit Quasten verziertem Gewande pristerlich gekleidet, und trug in seinen Händen vor der Brust ein kleines Gefäß von der Form eines Abendmahlkelches. Es schwebte aber in der Öffnung dieses Kelches ein kleiner, dünner, rötlich leuchtender Bissen von länglich runder Gestalt und etwa von der Größe einer Bohne. In schwebend liegender Stellung streckte der Engel die rechte Hand aufrichtend gegen Jesus aus, und als Er sich aufgerichtet, gab er Ihm den leuchtenden Bissen in den Mund und ließ Ihn aus dem kleinen Lichtkelch trinken. Dann verschwand er wieder.

Jesus hatte nun den Kelch seiner Leiden freiwillig angenommen und Stärkung empfangen. Er verweilte noch einige Minuten still und dankend in der Höhle. Er war zwar noch traurig, aber dermaßen übernatürlich gestärkt, dass Er ohne Bangigkeit und Unruhe mit sicheren Schritten zu den Jüngern gehen konnte. Er sah noch elend und bleich aus, aber Er ging aufrecht und entschlossen. Sein Angesicht hatte Er mit dem Schweißtuch getrocknet und seine Haare damit niedergestrichen. Sie hingen feucht von Blut und Angstschweiß in Strängen zusammen.

Als Er hinaustrat aus der Höhle, sah ich den Mond noch mit dem wunderlichen Flecken und Kreis wie vorher: aber ich sah den Schein des Mondes und der Sterne anders, als früher bei den großen Ängsten des Herrn. Das Licht erschien jetzt natürlicher.

Als Jesus zu den Jüngern kam, lagen sie, wie das erste Mal, an der Terrassenwand, auf der Seite mit verhülltem Haupt und schliefen. Der Herr sagte zu ihnen: es sei keine Zeit zu schlafen, sie sollten aufstehen und beten: «Denn seht, die Stunde ist da, dass der Menschensohn in die Hände der Sünder überliefert werden wird. Steht auf, lasset uns vorangehen! Seht, der Verräter ist nahe. O es wäre ihm besser, wenn er nicht geboren wäre!» Die Apostel sprangen mit großem Schrecken auf und schauten bang umher. Kaum aber besannen sie sich, als Petrus auch ungestüm sagte: «Meister, ich will die andern rufen, dass wir Dich verteidigen !» Jesus aber zeigte ihnen in einiger Entfernung im Tal, noch jenseits des Baches Kidron, eine mit Fackeln nahende Schar Bewaffneter und sagte, dass einer aus ihnen Ihn verraten habe. Sie hielten dies aber für unmöglich. Er sprach noch mehreres mit ruhiger Fassung, empfahl ihnen nochmals, seine Mutter zu trösten und sagte dann: «Lasst uns ihnen begegnen ! Ich will ohne Widerstand mich in die Hände der Feinde geben.» Er ging aber mit den drei Aposteln den Häschern entgegen, aus dem Ölgarten hinaus, auf den Weg, der ihn vom Garten Gethsemane absonderte.

Vom Tal Josaphat begab sich die heiligste Jungfrau mit Magdalena und Salome, von einigen herzugekommenen Jüngern geleitet, welche den Zug der Kriegsknechte nahen sahen, in das Haus der Maria Markus zurück. Der Zug der Feinde nahte auf einem kürzeren Weg, als jener, den Jesus vom Abendmahlssaal herabgekommen war.

Die Höhle, in welcher Jesus heute betete, war nicht sein gewöhnlicher Gebetsort am Ölberg. Dieser war eine etwas entferntere Höhle des Berges, wo Er auch an dem Tag, da Er den Feigenbaum verfluchte, in großer Trauer, mit ausgebreiteten Armen über einen Felsen sich hin lehnend, gebetet hat. Die Spuren seiner Gestalt und Hände sind in den Stein eingedrückt geblieben und später verehrt worden. Man wusste jedoch nicht mehr recht, bei welcher Gelegenheit dieses Zeichen entstanden war. Von Propheten des alten Testamentes, von Jesus, Maria, einzelnen Aposteln, dem Leibe der heiligen Katharina von Alexandrien auf dem Berge Sinai und einigen anderen Heiligen habe ich mehrfach solche Eindrücke in Stein entstehen gesehen. Sie erscheinen nicht tief, sondern stumpf, etwa so, als wenn man auf einen festen Teig drückt.

10. Judas und seine Schar. Das Holz des Kreuzes

Judas hatte eigentlich den Ausgang seines Verrates anders erwartet, als er erfolgte. Er wollte den Verräterlohn verdienen und sich den Pharisäern gefällig machen, indem er ihnen Jesus in die Hände spielte. An das Verurteilen und Kreuzigen Jesu aber dachte er nicht, dahin zielte seine Absicht nicht. Das Geld allein lag ihm im Sinne und er hatte sich schon seit längerer Zeit mit einigen schleichenden, spionierenden Pharisäern und Sadduzäern eingelassen, welche ihn mit Schmeichelei zum Verrat anlockten. Er war den mühsamen, herumziehenden, verfolgten Lebens müde. Er hatte bereits in den letzten Monaten mit Bestehlen der Almosen sein Verbrechen begonnen und sein Geiz, durch die Freigebigkeit Magdalenas bei Jesu Salbung sehr geärgert, trieb ihn nun zum Äußersten. Er hatte immer auf ein zeitliches Reich Jesu und ein einträgliches glänzendes Amt in demselben gehofft. Als dieses aber nicht erscheinen wollte, suchte er sich ein Vermögen zu sammeln. Er sah die Beschwerden und Verfolgungen wachsen, und so gedachte er, sich vor dem Ende mit den mächtigen vornehmen Feinden Jesu gut zu setzen, denn Jesus sah er nicht König werden. Der Hohepriester und die vornehmen Männer am Tempel aber waren Leute, die ihm sehr in die Augen leuchteten, und so ließ er sich immer näher mit jenen Unterhändlern ein, welche ihm auf alle Weise schmeichelten und ihm wohl auch mit großer Zuversicht sagten: «Es wird in jedem Fall mit Jesus nicht mehr lange dauern.» Auch in den letzten Tagen waren sie wieder in Bethanien hinter ihm her, und so ließ er sich immer tiefer in sein Verderben ein. Er lief sich in den letzten Tagen schier die Beine ab, die Hohenpriester zu der Tat zu bewegen. Sie wollten aber noch nicht eingehen und behandelten ihn mit ausnehmender Verachtung. Sie sagten, die Zeit vor dem Fest sei zu kurz, sie würden dadurch nur Störung und Tumult am Fest haben. Das Synedrium allein nahm noch einige Rücksicht auf den Vorschlag des Judas. Nach dem gottlos empfangenen Sakrament nahm der Satan ihn ganz in Besitz, und so ging er dann hin, das Gräuliche zu tun. Zuerst suchte er jene Unterhändler auf, die ihm bisher stets geschmeichelt hatten und ihn auch jetzt mit heuchlerischer Freundlichkeit empfingen. Es kamen noch andere hinzu, auch Kaiphas und Annas, welcher letztere ihn jedoch sehr schnöde und spöttisch behandelte. Man war unentschlossen und misstraute dem Erfolg, indem man Judas nicht zu trauen schien.

Ich sah das Reich der Hölle gleichsam uneinig. Der Satan wollte das Verbrechen der Juden durch den Tod des Unschuldigsten, er wollte den Tod Jesu, des Bekehrers der Sünder, des heiligen Lehrers, des Heilenden, des Gerechten, den er hasste. Dann aber fühlte er wieder vor dem unschuldigen Tod Jesu, der sich nicht entzog, sich nicht retten wollte, einen inneren Schrecken, er beneidete Ihn, unschuldig zu leiden und so sah ich den Widersacher auf der einen Seite den Wut und Hass der hier um den Verräter versammelten Feinde Jesu anblasen, und auf der andern Seite einigen aus ihnen die Gedanken einflößen, Judas sei ein Schuft, ein Schurke, man werde vor dem Fest mit dem Gerichtshandel nicht zustande kommen und die gehörige Anzahl der Zeugen gegen Jesus nicht zusammenbringen können.

Sie bestritten ihre gegenseitigen Ansichten über den zu ergreifenden Beschluss und fragten unter anderem den Judas: «Werden wir Ihn auch fangen können? Hat Er nicht bewaffnete Scharen um sich?» Der schändliche Verräter erwiderte: «Nein ! Er ist mit den elf Jüngern allein, selbst ganz mutlos, und die Elfe sind ganz feig.» Auch sagte er zu ihnen, jetzt müssten sie Jesus greifen oder nie, denn ein anderes Mal könne er Ihn nicht mehr überliefern, indem er fortan nicht zu Ihm zurückkehren werde. Die letzten Tage schon und heute bis aufs äußerste hätten die andern Jünger und Jesus selbst auf ihn mit Worten gezielt, sie schienen seine Wege zu ahnen, und wenn er wieder zu ihnen zurückkehre, würden sie ihn unfehlbar ermorden. Er sagte auch, wenn sie Jesus jetzt nicht gefangen nähmen, so werde Er entweichen und, mit einem großen Heere seiner Anhänger zurückkehrend, sich als König ausrufen lassen. Durch diese Drohungen drang Judas endlich durch. Man ging auf seinen Vorschlag ein, Jesus nach seiner Anleitung gefangen zu nehmen. Und er empfing den Verräterlohn, die dreißig Silberlinge. Es waren dies dreißig Stück Silberblech von der Gestalt einer Zunge, an dem halbrunden Ende durchlöchert und mit Ringen an einer Art Kette zu einem Bündel zusammengekettet. Es waren Zeichen in diese Bleche geschlagen.

Jetzt schon, da Judas ihr fortgesetztes verachtungsvolles Misstrauen fühlte, trieb ihn Hoffart und Prahlerei, um vor ihnen der rechte uneigennützige Mann zu scheinen, ihnen das Geld als Opfer in den Tempel anzubieten. Sie wiesen es aber als Blutgeld, das nicht in den Tempel gehöre, zurück. Judas, die tiefe Verachtung fühlend, ward von tiefem Zorn erfüllt. Er hatte dies nicht erwartet. Die Früchte seines Verrates traten ihm schon entgegen, ehe er ganz vollzogen war. Aber er hatte sich schon zu sehr mit ihnen verwickelt. Er war in ihren Händen und konnte sich nicht mehr loswinden. Sie beobachteten ihn scharf und ließen ihn nicht mehr aus den Augen, bis er den ganzen Plan zur Gefangennahme Jesu entworfen hatte. Nun begleiteten drei Pharisäer den Verräter hinab in eine Halle zu den Tempelsoldaten, welche nicht aus lauter Juden, sondern auch aus anderem gemischten Volk bestanden. Als alles verabredet und die gehörige Anzahl von Soldaten versammelt war, lief Judas, von einem Diener der Pharisäer begleitet, zuerst zum Abendmahlssaal, um ihnen zu melden, ob Jesus noch dort sei, wo sie Ihn leicht durch Besetzung der Tore gefangen nehmen könnten. Er wollte ihnen dieses durch den Boten sagen lassen.

Schon früher, gleich nachdem Judas den Verräterlohn empfangen hatte, war einer hinabgegangen und hatte sieben Sklaven weggesendet, das Holz zum Kreuz Christi zu holen, und dieses einstweilen zu bereiten, für den Fall, dass Er gerichtet würde, weil morgen wegen des eintretenden Paschas keine Zeit mehr dazu blieb. Sie holten das Holz wohl eine Viertelstunde weit her, wo es mit vielem andern zum Tempelbau gehörigen Holz an einer langen hohen Mauer auf einem Baurüstplatz lag, und schleppten es hinter dem Richthaus des Kaiphas auf einen Platz, es zu bearbeiten. Der Stamm des Kreuzes hatte als lebendiger Baum einst im Tal Josaphat am Bach Kidron gestanden und später, hinüber gefallen, eine Brücke gebildet. Als Nehemias das heilige Feuer und die heiligen Gefäße im Teich Bethesda verbarg, war es mit anderem Holz darüber gedeckt, nachher aber wieder hervorgeräumt und zu anderem Rüstholz an die Seite geworfen worden. Teils um Jesus als einen König zu verhöhnen, teils aus scheinbarem Zufall. Allein nach den Absichten Gottes ward das Kreuz auf eine besondere Art bereitet. Es bestand nebst der Überschrift aus fünferlei Holz. Ich habe noch vielerlei Begebenheiten und Bedeutungen in Bezug auf das Kreuz gesehen, aber bis auf das Erzählte wieder vergessen.

Judas zurückkehrend sagte, dass Jesus nicht mehr im Abendmahlssaal, aber nun gewiss an seinem gewöhnlichem Betort am Ölberg sei. Er drang nun darauf, nur eine kleine Schar mit ihm gehen zu lassen, damit die Jünger, welche überall lauerten, nicht aufmerksam würden und etwa Aufstand erregen möchten. Dreihundert Mann aber sollten die Tore und Straßen von Ophel, einem Stadtteil südlich vom Tempel, und das Tal Millo bis zu Annas Haus auf Sion besetzen, um dem zurückkehrenden Zug Verstärkung senden zu können, so er es verlange, denn in Ophel hänge Ihm alles Gesindel an. Auch sprach der schändliche Verräter davon, wie sehr sie sich vorsehen müssten, damit Er ihnen nicht entwische, wobei er erwähnte, wie Er oft durch seine geheimen Künste im Gebirge plötzlich seinen Begleitern entgangen und unsichtbar geworden sei. Auch schlug er ihnen vor, ihn mit einer Kette zu binden und sich dabei gewisser magischer Mittel zu bedienen, damit Jesus die Bande nicht zerbreche. Die Juden aber lehnten dieses verächtlich ab und sagten: «Wir lassen uns nichts von dir aufbinden, und wollen Ihn schon fest halten, wenn wir Ihn haben.»

Judas verabredete mit der Schar, er wolle vor ihnen in den Garten hineingehen und Jesus küssen und grüßen, als komme er von seinem Geschäfte zu Ihm als Freund und Jünger zurück. Dann sollten die Kriegsknechte herandringen und Jesus gefangen nehmen. Er aber wolle sich dann betragen, als wären diese zufällig dazu gekommen, und wolle, wie die andern Jünger tun, fliehen und der Niemand gewesen sein. Er dachte endlich auch wohl, es könne vielleicht noch ein Getümmel entstehen, die Apostel sich wehren und Jesus entwischen, wie Er sich schon öfter entzogen hatte. Dieses dachte er in Zwischenräumen, wenn ihn die Verachtung und das Misstrauen der Feinde Jesu ärgerte, nicht aber, weil seine Tat ihn reute, oder Jesus ihn rührte, denn er hatte sich ganz dem Satan übergeben.

Er wollte auch nicht, dass die, welche hinter ihm eintreten würden, Fesseln und Stricke bei sich führen, oder dass überhaupt ehrlose Schergen mitgehen sollten. Man ließ ihm scheinbar seinen Willen, und tat doch, was man bei einem ehrlosen Verräter für nötig hielt, dem man nicht traut, den man wegwirft, wenn man ihn gebraucht hat. Man unterrichtete die Soldaten besonders, Judas wohl zu beobachten und nicht aus den Augen und Händen zu lassen, bis man Jesus gebunden habe, denn man habe ihn dafür bezahlt, und es sei zu fürchten, dass der Schurke mit dem Geld davonlaufe und man in der Nacht Jesus gar nicht oder einen andern statt Seiner fange, so dass nachher aus dem ganzen Unternehmen nichts als Störung oder Aufwiegelung am Paschafest hervorgehe. Die Schar, die man zur Gefangennahme Jesu ausgewählt hatte, bestand aus zwanzig Kriegsknechten, teils von der Tempelwache, teils aus den Kriegsknechten des Annas und Kaiphas. Sie waren beinahe ganz auf Art der römischen Kriegsleute gekleidet, trugen Pickelhauben und hatten von ihren Wämsern Riemen gleich den Römern um die Lenden herabhängen. Sie unterschieden sich hauptsächlich von diesen durch ihre Bärte, da die Römer in Jerusalem nur Backenbärte, Kinn und Mund aber glatt trugen. Alle zwanzig waren mit Schwertern, nur einige mit Spießen bewaffnet. Sie hatten Stangen mit Feuerkörben und Pechfackeln bei sich, aber, da sie ankamen, nur eine der Leuchtpfannen angezündet. Man hatte eine größere Schar mit Judas ziehen lassen wollen, gab aber seiner Einwendung nach, dass diese, da man vom Ölberg aus das Tal überschaue, zu leicht bemerkt werden würde. Es blieb also der größte Teil in Ophel zurück. Auch hatte man Wachtposten hie und da an Seitenwegen und in der Stadt aufgestellt, um Aufläufen und Rettungsversuchen zu begegnen.

Judas zog mit den zwanzig Kriegsknechten voraus. Man ließ diesen aber in einiger Entfernung vier ehrlose Schergen, niedrige Gerichtsdiener folgen, welche Stricke und Fesseln trugen. Einige Schritte hinter diesen aber zogen jene sechs Beamten her, mit welchen sich Judas seit längerer Zeit eingelassen hatte. Es waren dieses ein vornehmer Priester und Vertrauter des Annas und einer des Kaiphas, außerdem zwei pharisäische und zwei sadduzäische Beamte, die zugleich Herodianer waren. Alle waren Laurer, Schleicher und speichelleckende Augendiener des Annas und Kaiphas und die boshaftesten heimlichen Feinde des Heilandes. Die zwanzig Soldaten gingen ganz vertraut mit Judas bis an die Stelle, wo der Weg zwischen dem Garten Gethsemane und dem Ölgarten hineinläuft. Hier wollten sie ihn nicht allein vorauslassen, stimmten einen andern Ton gegen ihn an und stritten frech und keck mit ihm.

11. Die Gefangennahme des Herrn

Als Jesus mit den drei Aposteln auf den Weg zwischen Gethsemane und dem Ölgarten herausgetreten war, erschien am Eingang dieses Weges, etwa 20 Schritte von Ihm, Judas mit den Kriegsleuten. Diese hatten dort ein Gezänk miteinander. Judas nämlich wollte, getrennt von den Kriegsknechten, allein und wie ein angehöriger Freund zu Jesus hineingehen und sollten dann, als ihm ganz unbewusst, dazu gekommen scheinen. Sie aber hielten ihn fest und sagten: «Nicht so, Geselle, du sollst uns nicht entlaufen, bis wir den Galiläer haben!» Und da sie die acht Apostel, welche auf das Geräusch aus dem Garten Gethsemane herannahten, bemerkten, riefen sie die vier nachfolgenden Schergen heran, um sich zu verstärken. Diese aber wollten Judas gar nicht dabei haben und stritten lebhaft mit ihnen. Als Jesus und die drei Apostel diese zankende Menge mit Waffen bei dem Fackelschein erkannten, wollte Petrus mit Gewalt auf sie los und sagte: «Herr, die Achte aus Gethsemane sind auch dort vorn, wir wollen auf die Schergen drein schlagen!» Jesus aber sagte ihm, zu ruhen, und trat mit ihnen wieder einige Schritte über den Weg auf einen Rasenplatz zurück. Judas, mit seinem Plan ganz in Verwirrung, war voll Wut und Bosheit. Vier Jünger waren vom Garten Gethsemane herausgetreten und fragten, was es hier geben solle? Judas kam mit ihnen ins Gerede und wollte sich gerne herauslügen. Die Wachen aber ließen ihn nicht weg. Diese viere waren Jakob der Kleinere, Philippus, Thomas und Nathanael, denn dieser und einer der Söhne des alten Simeon und mehrere andere waren teils als Boten von den Freunden Jesu zu den acht Aposteln in den Garten Gethsemane gesendet worden, teils aus Angst und Neugierde zu ihnen gekommen. Außer diesen vieren schweiften die übrigen fluchtbereit in der Ferne lauernd umher.

Jesus aber nahte der Menge einige Schritte und sagte laut und vernehmlich: «Wen suchet ihr?» Da sagten die Anführer der Soldaten: «Jesus von Nazareth», und Jesus antwortete: «Ich bin's.» Kaum aber hatte Er dieses Wort gesagt, als sie wie von einem Krampf befallen zurückdrängten und gegeneinander hinsanken. Judas, der noch in ihrer Nähe stand, ward hierdurch in seinem Vorhaben noch verwirrter. Er schien sich Jesus nahen zu wollen. Der Herr aber hob die Hand und sagte: «Freund, wozu bist du gekommen?» worauf Judas in Bestürzung etwas von vollzogenem Geschäfte sprach. Jesus aber sprach solche Worte wie: «O wohl besser wäre dir, nicht geboren zu sein.» Doch erinnere ich mich dieser Worte nicht mehr ganz bestimmt. Währenddessen hatten die Kriegsknechte sich wieder aufgerichtet und waren, das Zeichen des Verräters, den Kuss, erwartend, dem Herrn und den Seinen genaht. Petrus und die andern Jünger aber umringten Judas und nannten ihn einen Dieb und Verräter. Er aber wollte sich von ihnen mit Lügen loswinden, was ihm jedoch nicht gelang, indem die Kriegsknechte ihn gegen sie zu schützen suchten und dadurch gegen ihn zeugten.

Jesus aber sagte nochmals: «Wen suchet ihr?» und sie wendeten sich und sagten wieder: «Jesus von Nazareth!» Da sprach Er: «Ich bin's! Ich habe es euch schon gesagt, dass Ich es bin. Sucht ihr mich, so lasset jene gehen.» Auf sein Wort, Ich bin's, fielen die Kriegsknechte abermals und zwar ganz verdreht, wie Leute, die die fallende Sucht haben, nieder, und Judas wurde von neuem von den andern Aposteln umringt, denn sie waren in äußerster Erbitterung gegen ihn. Jesus sprach nun zu den Kriegsknechten: «Steht auf!» Da standen sie auf und waren voll Schrecken. Und da Judas noch mit den Aposteln sich herumstritt und diese die Wachen drängten, wendeten die Wachen sich gegen die Apostel, wodurch Judas frei wurde, den sie nun drohend antrieben, ihnen das verabredete Zeichen zu geben, denn sie hatten Befehl, keinen zu greifen als den, welchen er küssen würde. Jetzt aber ging Judas auf Jesus zu, umfing Ihn und küsste Ihn mit den Worten: «Meister, sei gegrüsst!» Jesus sagte: «Judas, mit einem Kuss verrätst du den Menschensohn?» Und nun traten die Kriegsknechte um Jesus in einen Kreis, und die herangenahten Schergen legten Hand an Ihn. Judas wollte jetzt fliehen. Die Apostel aber hielten ihn auf, drängten auf die Soldaten, und schrieen: «Herr, sollen wir mit dem Schwerte dreinschlagen?» Petrus aber eifriger, griff zum Schwert und hieb nach Malchus, dem Knecht des Hohenpriesters, der sie zurückdrängen wollte, und hieb ihm ein Stück vom Ohr ab, so dass er zu Boden niederstürzte, wodurch die Verwirrung noch größer wurde.

Im Augenblick dieser eifrigen Tat des Petrus befand sich alles in folgendem Zustand. Jesus wurde eben von den Gerichtsdienern angefasst, die Ihn binden wollten. In einem weiteren Kreise umgaben Ihn die Kriegsknechte, aus denen Malchus von Petrus niedergehauen wurde. Andere Soldaten hatten zu tun, die nahenden und wieder fliehenden Jünger abzuhalten und zu verfolgen. Vier der Jünger aber streiften umher und ließen sich nur hie und da in der Ferne blicken. Die Kriegsknechte waren teils durch das Niederstürzen zaghaft, teils durften sie kein ernsteres Nachsetzen wagen, um den Kreis, der Jesus umgab, nicht zu sehr zu schwächen. Judas, der gleich nach dem Verräterkuss entfliehen wollte, wurde von einigen fernstehenden Jüngern aufgehalten und mit Schmähworten überhäuft. Die aber nun herantretenden sechs Beamten machten ihn wieder los, und die vier Gerichtsdiener um Jesus waren eben mit ihren Stricken und Banden beschäftigt. Der Herr war von ihnen angefasst, im Begriffe, gebunden zu werden.

So war alles umher, eben als Petrus den Malchus niedergehauen hatte und Jesus zugleich sagte: «Petrus, stecke dein Schwert ein, denn wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkommen oder meinst du, dass Ich nicht meinen Vater bitten könnte, dass er mir mehr als zwölf Legionen Engel schicke? Soll Ich den Kelch nicht trinken, den mir mein Vater gegeben hat? Wie würde die Schrift erfüllt werden, wenn es nicht so geschehen müsste?» Er sagte aber auch: «Lasset mich, dass Ich den Menschen heile!» Und Er nahte dem Malchus, rührte ihm das Ohr an und betete. Da war es heil. Es waren aber die Wache um Ihn und die Schergen und die sechs Beamten. Diese höhnten Ihn, zu der Schar sprechend: «Er hat mit dem Teufel zu tun. Durch Zauberei schien das Ohr verletzt und durch Zauberei ist es heil.»

Da sprach Jesus zu ihnen: «Ihr seid gekommen mit Spießen und Stangen, mich wie einen Mörder zu fangen. Ich habe täglich bei euch im Tempel gelehrt, da habt ihr nicht gewagt, die Hand an mich zu legen. Aber jetzt ist eure Stunde, die Zeit der Finsternis.» Sie befahlen, Ihn zu fesseln, und höhnten Ihn, sprechend: «Uns hast Du nicht niederwerfen können mit deiner Zauberei!» Und so sagten auch die Gerichtsdiener: «Wir wollen Dir deine Künste austreiben!» Jesus antwortete noch einiges, was ich nicht mehr weiß. Die Jünger aber flohen von allen Seiten. Die vier Schergen und die sechs Pharisäer waren nicht gefallen und daher auch nicht wieder aufgestanden. Dieses zwar, wie mir eröffnet war, weil sie ganz in den Banden des Satans und in einem Rang mit Judas gewesen, der auch nicht fiel, obschon er bei den Kriegsleuten stand, denn es seien auch alle diejenigen, die gefallen und wieder aufgestanden, nachher bekehrt und Christen geworden. Das Fallen und Wiederaufstehen sei das Vorbild ihrer Bekehrung. Diese Kriegsknechte haben auch Jesus nicht berührt, sondern nur umgeben. Malchus war nach seiner Heilung schon dermaßen bekehrt, dass er nur der Ordnung wegen seine Dienste noch fort tat und schon in den folgenden Stunden des Leidens Christi zu Maria und andern Freunden als Bote ab- und zulief, Nachricht zu bringen, was alles geschehe.

Die Schergen banden Jesus unter steten frechen und höhnischen Reden der Pharisäer mit großer Rohheit und einer henkermäßigen Brutalität. Diese Menschen waren Heiden von der niederträchtigsten Gattung. Sie waren an den Beinen, den Armen und dem Halse unbekleidet. Um die Mitte des Leibes trugen sie eine Binde und über den Oberleib kurze Wämser ohne Ärmel, an den Seiten mit Riemen geheftet. Sie waren klein, stark, sehr behendig und von einer bräunlichen, fuchsigen Hautfarbe, wie ägyptische Sklaven.

Sie banden Jesus die Hände vor der Brust auf eine grausame Weise, indem sie Ihm das Gelenk der rechten Hand an den linken Vorderarm unterhalb dem Ellbogen, und das Gelenk der linken Hand ebenso unterhalb dem Ellbogen des rechten Vorderarms mit neuen scharfschneidenden Stricken unbarmherzig festknebelten. Sie legten Ihm einen breiten Fesselgürtel, in welchem Stacheln waren, um die Mitte des Leibes, und schnürten Ihm die Hände nochmals an Bast- oder Weidenringen fest, die an diesem Gürtel angebracht waren. Um den Hals legten sie Ihm ein Halsband, in welchem Stacheln oder andere verwundende Körper angebracht waren, und von diesem Halsband liefen zwei, gleich einer Stola über der Brust gekreuzte Riemen nieder, welche ohne Spielraum scharf angezogen wieder an den Gürtel befestigt waren. An vier Punkten dieses Gürtels befestigten sie vier lange Stricke, vermittelst welcher sie unsern Herrn nach ihrem bösen Willen hin und her reißen konnten. Alle diese Fesseln waren ganz neu und schienen, seit man mit dem Plan umging, Jesus gefangen zu nehmen, besonders zu diesem Zweck bereitet zu sein.

Nun setzte sich der grausame Zug in Bewegung, nachdem sie noch mehrere Fackeln angezündet hatten. Voraus gingen zehn Mann von der Wache, dann folgten die Schergen, Jesus an den Stricken zerrend, dann die höhnenden Pharisäer und zuletzt schlossen die zehn übrigen Kriegsknechte den Zug. Die Jünger schweiften noch wehklagend und wie von Sinnen hie und da umher. Johannes aber folgte etwas näher hinter den letzten Wachen nach, und die Pharisäer befahlen ihnen, diesen Menschen zu greifen. Es wendeten sich daher einige zurück und eilten auf ihn zu. Er aber floh vor ihnen, und da sie ihn im Nacken an seinem Schweißtuch fassten, ließ er es los und entkam. Er hatte seinen Mantel abgelegt und nichts als ein geschürztes Unterkleid ohne Ärmel an, um leichter entfliehen zu können. Oben aber um den Hals, das Haupt und die Arme hatte er jene lange schmale Zeugbahn gehüllt, welche von den Juden getragen wird.

Die Schergen zerrten und misshandelten Jesus auf die grausamste Weise und übten allen Mutwillen an Ihm aus, und zwar hauptsächlich aus einer niederträchtigen Gefälligkeit und Augendienerei gegen die sechs Beamten, welche voll Bosheit und Wut gegen Jesus waren. Sie führten Ihn auf dem unbequemen Weg durch alle Geleise, über Steine und Kot. Sie hielten die langen Stricke gespannt und suchten sich selbst gute Pfade. Dadurch musste Jesus immer gehen, wo es die Stricke zuließen. Sie hatten in den Händen knotige Stricke, womit sie Ihn, wie ein Fleischer das Vieh, das er zur Schlachtbank führt, antrieben, und alles dieses unter so niedrigem Hohn und Spott, dass es empörend wäre, ihre Reden zu wiederholen.

Jesus war barfuss. Er hatte außer der gewöhnlichen nächsten Leibesbedeckung ein wollenes gewirktes Hemd ohne Naht und ein Übergewand an. Auf bloßem Leib trugen die Jünger, wie die Juden überhaupt, über Brust und Rücken ein Skapulier. aus zwei Zeugstücken bestehend, welche über den Schultern durch Riemen zusammenhingen, an den Seiten aber offen waren. Den Unterleib bedeckten sie mit einem Gürtel, von welchem vier Lappen niedergingen, die, um die Lenden gewickelt, ein Beinkleid bildeten. Ich muss noch sagen, dass ich dem Herrn bei seiner Gefangennahme keinen Befehl, keine Schrift vorzeigen sah. Sie gingen zu Werke, als sei Er vogelfrei und außer allem Recht.

Der Zug ging mit eilenden Schritten und wendete sich, da er den Weg zwischen dem Ölgarten und dem Lustgarten von Gethsemane verlassen hatte, rechts eine Strecke an der Abendseite dieses Lustgartens hin und eine Brücke, welche dort über den Bach Kidron führt. Über diese Brücke war Jesus, mit den Aposteln zum Ölberg gehend, nicht gekommen. Er hatte auf Umwegen durch das Tal Josaphat wandelnd den Kidron auf einer südlicher gelegenen Brücke überschritten. Die Brücke, über welche Er jetzt gefangen geführt wurde, war sehr lang, indem sie nicht nur den Kidron, der hier dichter am Ölberg hinflog, sondern auch eine Strecke der ungleichen Talhöhen als ein fahrbarer Steinweg überschritt. Schon ehe der Zug an die Brücke kam, sah ich Jesus zweimal durch das unbarmherzige Führen und das Zerren der Schergen an den Stricken zur Erde niederfallen. Als sie aber auf die Mitte der Brücke gekommen waren, übten sie ihre niederträchtigen Handlungen mit größerer Bosheit an Ihm aus. Die Schergen stießen den armen gefesselten Jesus, den sie an den Stricken hielten, über mannshoch von der Brücke in den Bach Kidron nieder, wobei sie mit Schimpfworten sprachen: da könne Er sich satt trinken. Nur durch göttlichen Beistand beschädigte Er sich nicht tödlich. Er fiel auf die Knie und dann auf das Angesicht nieder, das Er auf dem mit wenig Wasser bedeckten Felsenboden schwer würde verletzt haben, wenn Er seine zusammengeschnürten Hände nicht unterstützend vorgehalten hätte. Sie waren vom Gürtelband los. Ich weiß nicht, ob durch göttliche Hilfe oder ob die Schergen sie Ihm erst aufgelöst hatten. Die Spuren seiner Knie, Füße, Ellbogen und Finger drückten sich durch Gottes Willen auf der Stelle, die Er berührte, im Felsengrund ein und wurden später verehrt. Man glaubt solche Wirkungen nicht mehr. Mir sind aber solche Eindrücke in Stein durch die Füße, Knie und Hände der Patriarchen und Propheten, von Jesus, der heiligsten Jungfrau und einigen Heiligen oft in historischen Gesichten gezeigt worden. Die Felsen waren weicher und gläubiger als die Herzen der Menschen und gaben Zeugnis in gewaltigen Augenblicken, dass die Wahrheit Eindrücke auf sie mache.

Ich hatte Jesus nach seiner schweren Angst am Ölberg in seinem heftigen Durst nicht trinken gesehen. Nun aber in den Kidron gestoßen, sah ich Ihn mühsam trinken und hörte Ihn dabei die Erfüllung einer prophetischen PsalmensteIle vom Trinken aus dem Bach am Weg aussprechen. (Psalm 109, 7).

Die Schergen hielten unsern Herrn von der Brücke herab fortwährend an den langen Stricken fest. Und da es ihnen zu mühsam war, Ihn wieder heraufzuziehen, und ein Mauerwerk jenseits am Ufer es verhinderte, Jesus durch den Bach waten zu lassen, so zerrten sie Ihn mit den Stricken durch den Kidron zurück, gingen dann hinab und schleiften Ihn rückwärts über das hohe Ufer wieder heraus. Nun trieben diese Elenden den armen Jesus unter Höhnen, Fluchen, Stossen und Schlagen an den Stricken vorwärtsreissend, zum zweiten Mal über die lange Brücke. Sein langes, wollenes Gewand, schwer vom Wasser, lag fest an seinen Gliedern. Er vermochte kaum zu gehen und sank jenseits der Brücke abermals zur Erde nieder. Sie rissen Ihn mit den Stricken schlagend wieder empor und schürzten Ihm nun unter den schändlichsten Spottreden das nasse Gewand im Gürtelband auf. Sie sprachen z.B. vom Schürzen zum Osterlamm und ähnliche Spottreden.

Es war noch nicht Mitternacht, als ich sah, wie die vier Gerichtsdiener Jesus auf der andern Seite des Kidrons auf bösem, zerrissenem Weg, der wenig Raum bot, wo nur Fußpfade bald tiefer, bald höher nebenher liefen, über scharfe Steine und Felsentrümmer, durch Distel und Dorn unmenschlich fortrissen und fluchend und schlagend hintrieben. Die boshaften sechs Beamten waren, wo es der Weg erlaubte, immer in seiner Nähe. Jeder hatte eine andere Art von Marterstäbchen in der Hand, womit er Ihn stieß, stachelte oder schlug. An den Stellen, wo Jesus auf seinen blutenden nackten Füßen über die scharfen Steine durch Nesseln und Dornen von den Schergen fortgerissen ward, welche auf den besseren Pfaden nebenher gingen, da trafen die Spott- und Stachelreden der sechs Pharisäer das liebende Herz des armen Jesus. Da sprachen sie solche Hohnworte, wie z.B.: «Hier hat Ihm sein Vorläufer, der Täufer, keinen guten Weg bereitet!» oder: «Hier trifft das Wort des Malachits nicht ein: «Ich sende meinen Engel vor Dir her, deinen Weg zu bereiten», oder: «Warum erweckt Er sich nicht den Johannes von den Toten auf, dass er Ihm den Weg bereite?» Solche Hohnworte dieser schändlichen Menschen, worüber sie gegenseitig in freches Lachen ausbrachen, wurden Stichworte für die Schergen, irgend eine neue Misshandlung an dem armen Jesus auszuüben.

Nachdem sie aber den Herrn noch eine Weile fortgetrieben hatten, bemerkten sie, dass sich mehrere Personen hie und da in einiger Entfernung herumschweifend zeigten, denn es hatten sich viele Jünger auf das Gerücht, Jesus werde gefangengenommen, aus Bethphage und von andern Schlupfwinkeln herangezogen, um zu spähen, wie es ihrem Meister ergehe. Es wurden nun die Feinde Jesu besorgt, sie möchten überfallen und der Gefangene ihnen entrissen werden. Daher gaben sie mit Rufen zur Vorstadt Ophel hin Signale, dass die verabredete Verstärkung zu ihnen stoßen solle.

Der Zug war etwa noch einige Minuten von der Pforte entfernt, die, südlicher als der Tempel, durch einen kleinen Stadtteil, Ophel genannt, auf den Berg Sion führte, auf welchem Kaiphas und Annas wohnten, als ich aus dieser Pforte eine Schar von fünfzig Kriegsleuten herauskommen sah, um seine Begleitung zu verstärken. Sie zogen in drei Scharen, die erste war zehn, die letzte fünfzehn Mann stark, ich habe sie gezählt, und die mittlere also fünfundzwanzig. Sie hatten mehrere Fackeln bei sich, waren sehr frech und mutwillig, und schrieen und jauchzten, als wollten sie den Nahenden ihre Ankunft melden und ihnen zu ihrem Siege Glück wünschen. Sie nahten mit großem Lärm, und in dem Augenblick, da die vorderste Schar sich mit der Bedeckung Jesu vereinigte, sah ich während der hierdurch entstehenden Bewegung den Malchus und mehrere andere aus den Hinterhergehenden sich heimlich entfernen und zum Ölberg hin entweichen.

Als diese Schar mit Jauchzen unter Fackelschein aus Ophel dem ankommenden Zeuge entgegeneilte, zerstreuten sich die umherschweifenden Jünger. Ich sah aber, dass die heiligste Jungfrau in ihrer Angst und Betrübnis sich mit Martha, Magdalena, Maria Kleophä, Maria Salome, Maria Markus, Susanna, Johanna Chusa, Veronika und Salome wieder ins Tal Josaphat begeben hatte. Sie befanden sich südlicher als Gethsemane, jener Gegend des Ölberges gegenüber, wo eine andere Höhle liegt, in der Jesus sonst zu beten pflegte. Ich sah Lazarus, Johannes Markus, Veronikas Sohn und Simeons Sohn bei ihnen, welch letzterer auch mit Nathanael bei den acht Aposteln in Gethsemane gewesen und quer durch den Tumult durchgelaufen war. Sie brachten den heiligen Frauen Nachricht. Indessen hörte man das Geschrei und sah die Fackeln der beiden sich vereinigenden Scharen. Die heiligste Jungfrau in steter Anschauung und Miterleidung der Peinen ihres göttlichen Sohnes ließ sich von den heiligen Frauen eine Strecke zurück begleiten, um, wenn der lärmende Zug vorüber, wieder zum Haus der Maria Markus zu gelangen.

Die fünfzig Kriegsknechte waren von einer Schar von dreihundert Mann ausgesandt, welche plötzlich die Tore und Straßen von Ophel und die Umgegend dieses Stadtteils besetzt hatte, denn Judas, der Verräter, hatte die Hohenpriester darauf aufmerksam gemacht, dass die Bewohner von Ophel, meistens arme Handwerker, Taglöhner, Holz- und Wasserträger des Tempels, die heftigsten Anhänger Jesu seien, und dass bei seiner Durchführung hier leicht Befreiungsversuche zu befürchten seien. Der Verräter wusste wohl, dass Jesus hier vielen aus den armen Bauarbeitern Trost, Lehre, Almosen und Heilung gegeben hatte. Es war auch hier in Ophel, wo Jesus, da Er nach der Ermordung des Johannes des Täufers in Machärus von Bethanien gegen Hebron reiste, um des Johannes Freunde zu trösten, verweilt, und so viele, bei dem Einsturz des großen Baues und des Turmes Siloa verwundete arme Handlanger und Taglöhner geheilt hat. Die meisten dieser Leute kamen nach der Sendung des Heiligen Geistes zu der ersten Christengemeinde, und als die Absonderung der Christen von den Juden entstand und mehrere Ansiedlungen der Gemeinde errichtet wurden, wurden von hier aus Zelte und Hütten quer durch das Tal bis zum Ölberg aufgeschlagen. Damals hat auch Stephanus hier recht sein Wesen gehabt, Ophel ist ein mit Mauern umgebener Hügel, südlich vom Tempel gelegen und meistens von armen Taglöhnern bewohnt. Es scheint mir nicht viel kleiner als Dülmen zu sein.

Die guten Einwohner von Ophel wurden durch das Geschrei der einziehenden Besatzung geweckt. Sie eilten aus ihren Häusern und drängten sich zu den Straßen und der Pforte, wo die Soldaten waren und fragten, was es gebe, wurden aber von diesen, die aus einem Gemisch von niedrigem, übermütigem Sklavengesindel bestanden, mit Hohn und Rohheit zu ihren Wohnungen zurückgetrieben. Als sie aber hie und da die Erklärung erhielten: «Jesus, der Übeltäter, euer falscher Prophet, wird gefangen eingeführt. Der Hohepriester will Ihm das Handwerk legen. Er wird ans Kreuz müssen», da erfüllte alsbald ein lautes Wehklagen und Jammern den ganzen aus der Nachtruhe erweckten Ort. Die armen Leute, Männer und Frauen, liefen wehklagend umher oder warfen sich mit ausgebreiteten Armen auf die Knie und schrieen zum Himmel und priesen Jesu Wohltaten. Die Kriegsleute aber drängten sie stoßend und schlagend nach allen Seiten in ihre Wohnungen zurück, und schimpften auf Jesus, sprechend: «Hier ist ja der offenbare Beweis, wie Er ein Aufwiegler des Volkes ist!» Sie vermochten jedoch nicht, die Einwohner gänzlich zur Ruhe zu bringen, aus Besorgnis, sie durch noch größere Gewalttätigkeit erst ganz aufzuregen. Und so suchten sie nur vom Weg, den der Zug durch Ophel zu nehmen hatte, zurückzuhalten.

Indessen nahte der grausame Zug mit dem misshandelten Jesus immer mehr der Pforte von Opel. Unser Herr war wiederholt zur Erde gefallen und schien nicht mehr weiter zu können. Da benützte ein mitleidiger Soldat die Gelegenheit und sagte: «Ihr seht selbst, der elende Mann kann nicht weiter. Sollen wir Ihn lebendig vor die hohen Priester bringen, so macht Ihm doch die Stricke an den Händen etwas lockerer, damit Er sich beim Fallen stützen kann,» Während der Zug nun etwas einhielt und die Schergen Ihm die Hände lockerer banden, brachte Ihm ein anderer barmherziger Kriegsknecht aus einem in der Nähe befindlichen Brunnen Wasser zu trinken. Er schöpfte es mit einer aus Bast gewundenen Düte, wie die Soldaten und Wanderer häufig als Trinkgefäß hier zu Lande bei sich tragen. Als Jesus zu diesem Mann einige Worte des Dankes und ProphetensteIlen von «Tränken mit lebendigem Wasser» und «Strömen lebendigen Wassers» aussprach, verhöhnten und schimpften Ihn die begleitenden Abgeordneten. Sie beschuldigten Ihn der Prahlerei und Lästerung. Er solle seine eitlen Reden unterlassen. Er werde kein Tier, viel weniger einen Menschen mehr tränken. Es wurde mir aber gezeigt, dass die beiden barmherzigen Kriegsleute, durch welche Jesu Bande erleichtert und Ihm zu trinken gebracht wurde, mit innerer Erleuchtung begnadigt wurden. Sie bekehrten sich noch vor dem Tod Jesu und sind nachher als Jünger zu der Gemeinde gekommen. Ich habe ihre jetzigen Namen und auch ihre späteren Jüngernamen und den ganzen Zusammenhang gewusst. aber man kann alles das unmöglich behalten, es ist gar zu viel.

Nun ging der Zug wieder unter Misshandlungen voran, und zwar eine Höhe hinab durch die Pforte von Ophel, wo ein herzzereissendes Jammergeschrei der Bewohner, welche Jesus mit großer Dankbarkeit zugetan waren, den Zug empfing. Die Kriegsknechte vermochten nur mit großer Anstrengung die von allen Seiten andringende Menge der Männer und Frauen zurückzuhalten. Sie drängten sich von allen Seiten händeringend heran, warfen sich auf die Knie nieder und schrieen mit ausgestreckten Händen: «Gebt uns diesen Menschen los! Gebt uns diesen Menschen los! Wer soll uns helfen, wer soll uns heilen und trösten? Gebt uns diesen Menschen los!» Es war ein herzzerreissender Anblick, Jesus bleich, entstellt und zerschlagen, mit zerrauftem Haar und nassem, beschmutztem, unordentlich geschürztem Gewand, mit Stricken gezerrt, mit Stöcken gestoßen, wie ein armes halbohnmächtiges Opfertier von frechen halbnackten Schergen vorwärts gehetzt, und von abwehrenden übermütigen Kriegsknechten durch den Andrang der wehklagenden, dankbaren Einwohner von Ophel durchschleppen zu sehen, die Ihm die Hände nachstreckten, welche Er von Lahmheit geheilt, Ihm mit Zungen nachflehten, welche Er von Stummheit gelöst, Ihm mit Augen nachsahen, nachweinten, welchen Er das Licht wieder gegeben hatte.

Schon im Tal Kidron hatte sich allerlei müssiges Gesindel, von den Kriegsknechten aufgeregt, und vom Anhang des Annas und Kaiphas und anderer Feinde Jesu veranlasst, an den Zug mit Hohn und Spott angeschlossen, und diese halfen nun, die guten Leute von Ophel zu höhnen und zu schimpfen, Ophel ist ein förmlicher Hügel, denn ich sah in der Mitte auf einem freien Platz den höchsten Punkt des Ortes, worauf allerlei Balkenwerk, wie auf einer Zimmerstelle aufgehäuft lag. Der Zug ging von hier wieder durch das Tor einer Mauer etwas abwärts.

Als der Zug durch Ophel durch war, hielt man das Volk vom Nachfolgen ab. Sie zogen nun etwas talab. Zur Rechten lag ein großes Gebäude, ich meine die Überreste von Salomons Werken, links blieb der Teich Bethesda liegen. So ging es immer abendwärts in einer Talstraße, sie hieß Millo. Dann wendete sich der Zug etwas mittagwärts hohe Treppen zum Berge Sion hinauf zum Haus des Annas. Auf diesem ganzen Weg wurden Hohn und Misshandlung an unserem Herrn fortgesetzt, und das immer neu aus der Stadt zutrinkende Gesindel veranlasste die niederträchtigen Begleiter des Herrn zu vielfacher Wiederholung ihrer Grausamkeit. Vom Ölberg bis hierher ist Jesus siebenmal zur Erde gefallen.

Die Bewohner von Ophel waren noch voll Schrecken und Betrübnis, als ein neuer Auftritt ihr Mitleid erregte. Die heiligste Mutter wurde von den heiligen Frauen und Freunden aus dem Tal Kidron zum Haus der Maria Markus, welches am Fuß des Berges Sion lag, durch Ophel geführt. Als die guten Leute sie erkannten, erhob sich von neuem das Mitleid und Wehklagen unter ihnen, und es entstand ein solches Gedränge um Maria und ihre Begleitung, dass die Mutter Jesu beinahe von der Menge getragen ward.

Maria war stumm vor Schmerz und sprach, bei Maria Markus angekommen, auch nicht eher, als bis nachher Johannes zu ihr kam. Da begann sie zu fragen und zu trauern, und er erzählte ihr alles, was er mit Jesus vom Verlassen des Abendmahlssaals an bis jetzt vorgehen gesehen. Später brachte man die heiligste Jungfrau an die Abendseite der Stadt in Marthas Haus neben dem Schloss des Lazarus. Man führte sie aber damals auf Umwegen, die Wege vermeidend, die Jesus geführt worden war, um sie nicht zu sehr zu betrüben.

Petrus und Johannes, die in der Ferne dem Zug nachgefolgt waren, liefen, da er in die Stadt einzog, eilends zu einigen guten Bekannten, die Johannes unter der Dienerschaft der hohen Priester hatte, um irgend eine Gelegenheit zu finden, in die Gerichtssäle zu kommen, wo ihr Meister hingebracht wurde. Diese Bekannten des Johannes waren eine Art Kanzleiboten, welche jetzt in der ganzen Stadt herumlaufen mussten, um die Ältesten aus mehreren Klassen und viele andere zu wecken und in die Gerichtsversammlung zu berufen. Sie wollten den beiden Aposteln gern gefällig sein, wussten aber kein anderes Mittel, als dass sie Petrus und Johannes auch Kanzleibotenmäntel umlegten und sich von ihnen in ihren vielen Einladungen helfen ließen, damit sie nachher durch die Mäntel mit in den Gerichtssaal des Kaiphas kommen könnten, denn dort waren nur bestochenes Gesindel, Soldaten und falsche Zeugen versammelt, und jeder andere ward hinausgetrieben. Es gehörten aber Nikodemus und Joseph von Arimathäa und andere wohlgesinnte Leute in den Rat, so dass sie mit deren Einladung nur Freunde ihres Meisters versammelten, welche die Pharisäer vielleicht absichtlich in der Einladung hätten übergehen lassen können. Judas irrte indessen wie ein wahnsinniger Verbrecher, der den Teufel an der Seite hat, an der steilen mittäglichen Seite von Jerusalem wo aller Unrat ausgeleert wird, umher.

12. Anstalten der Feinde Jesu. Blick auf Jerusalem in dieser Stunde

Von der Gefangennahme Jesu waren Annas und Kaiphas gleich benachrichtigt worden und alles war in voller Tätigkeit bei ihnen, Ihre Gerichtshöfe waren beleuchtet und alle Zugänge mit Wachen versehen. Ihre Amtsboten liefen durch die ganze Stadt, um die Mitglieder des Rates, die Schriftgelehrten und alle, die etwas beim Gericht zu sagen hatten, zusammenzurufen. Viele aber waren schon vom Verrat Judas an bei Kaiphas versammelt geblieben, um den Erfolg abzuwarten. Auch wurden die Ältesten der Bürgerschaft aus drei Klassen zusammengerufen. Und da die Pharisäer, Sadduzäer, Herodianer aus allen Gegenden des Landes sich schon seit einigen Tagen auf dem Fest in Jerusalem befanden und das Vorhaben, Jesus zu fangen, schon lange unter ihnen und dem hohen Rat vorhanden und abgehandelt war, so wurden auch aus diesen, von welchen allen der Hohepriester Verzeichnisse hatte, die heftigsten Feinde Jesu zusammengerufen, mit dem Befehl, alle Zeugen und Beweise gegen den Herrn, jeder in seinem Kreis, zu sammeln und zum Gericht mitzubringen. Es waren aber jetzt alle Pharisäer und Sadduzäer und andere boshafte Leute aus Nazareth, Kapharnaum, Thirza, Gabara, Jotapata, Silo und anderen Orten in Jerusalem versammelt, welchen Jesus so oft vor allem Volk die Wahrheit zu ihrer tiefsten Beschämung gesagt hatte. Sie alle waren voll Rache und Wut, und jeder suchte einige Schurken unter den Ostergästen seiner Gegend, welche zu den Ortschaften in Sammlungsorten lagen, auf, und erkaufte sie mit Geld zu Geschrei und Beschuldigungen gegen Jesus. Alle aber wussten außer einigen offenbaren Lügen und Schmähungen nichts vorzubringen, als jene Beschuldigungen, über welche Er sie unzählige Mal in ihren Synagogen verstummen gemacht.

Alle diese zogen nun nach und nach zum Richthaus des Kaiphas, ebenso die ganze Masse der Feinde Jesu unter den hoffärtigen Pharisäern und Schriftgelehrten und ihrem anhängenden Lügengeschmeiß aus Jerusalem selbst, worunter manche der erbitterten Krämer, die Er aus dem Tempel gejagt, viele aufgeblasene Lehrer, die Er im Tempel vor dem Volk zum Schweigen gebracht, und vielleicht mancher, der es Jesus noch nicht verzeihen konnte, von Ihm als einem zwölfjährigen Knaben in seiner ersten Lehre am Tempel überwiesen und beschämt worden zu sein. Unter den versammelten Feinden des Herrn waren unbußfertige Sünder, welche Er nicht heilen wollte, rückfällige Sünder, welche wieder krank geworden, eitle Jünglinge, die Er nicht zu Jüngern aufgenommen, boshafte Erbgierige, die sich geärgert, dass Er so vieles Gut, auf das sie gelauert, den Armen zugewendet, Schurken, deren Gesellen Er bekehrt, Ausschweifende und Ehebrecher, deren Buhlerinnen Er zur Tugend geführt, Erbgierige von Reichtümern, deren Besitzer Er geheilt, und viele zu aller Bosheit feile Augendiener dieser aller, viele innerlich gegen alles Heilige und daher gegen den Allerheiligsten erzürnte Werkzeuge des Satans. Dieser Abschaum eines großen Teils des jüdischen zum Fest versammelten Volkes setzte sich, von den einzelnen Hauptfeinden Jesu nach und nach aufgetrieben, in Bewegung und strömte von allen Seiten zum Palast des Kaiphas zusammen, um das wahre Osterlamm Gottes, welches trägt die Sünden der Welt, das makellose, aller Sünden fälschlich zu beschuldigen und mit deren Wirkungen zu besudeln, welche es wahrhaft auf sich genommen, getragen und gesühnt hat.

Während dieser Schlamm der Juden sich aufwühlte, den reinen Heiland zu beflecken, wurden viele fromme Leute und Freunde Jesu aufgestört und betrübt und zogen, in das Geheimnis nicht eingeweiht, hie und da heran, hörten und klagten, und wurden vertrieben, oder schwiegen und wurden schief angesehen. Andere Schwächere, Gutgesinnte oder Halbgesinnte wurden geärgert und in Versuchung geführt, in ihrer Gesinnung zu wanken. Die Zahl der Beständigen war nicht groß. Es ging, wie es heutzutage geht, wo mancher ein guter Christ sein will, solange es schicklich scheint, sich aber gleich des Kreuzes schämt, wo man es nicht gerne sieht. Jedoch ward vielen schon im Anfang des beweislosen, ungerechten und durch die Wut der niederträchtigsten Misshandlung himmelschreienden Verfahrens, durch die klaglose Geduld des Heilandes das Herz gerührt, so dass sie sich mutlos und schweigend zurückzogen.

Die weite menschenvolle Stadt und die ausgedehnten Lager der Ostergäste in ihrer Nähe waren eben nach den vielen häuslichen und öffentlichen Gebets- und Religionsgebräuchen und Vorbereitungen zum Fest in Ruhe und Schlaf gesunken, als die Nachricht von der Gefangennahme Jesu alle Feinde und Freunde des Herrn aufregte und alle durch die Boten der hohen Priester Berufenen von den verschiedensten Punkten der Stadt sich in Bewegung setzten. Sie eilen teils beim Mondschein, teils mit Fackeln durch die Straßen, welche zur Nachtzeit in Jerusalem meistens öde und unheimlich sind, denn die meisten Häuser haben ihre Fenster und ihren Verkehr zu ihren inneren Höfen. Alle ziehen sie gegen Sion hinauf, von welcher, Höhe herab Fackellicht schimmert und Lärm erschallt. Man hört noch hie und da an den Pforten der Vorhöfe pochen, um die Schlafenden zu wecken. Es ist Störung, Geräusch und Gerede in vielen Winkeln der Stadt. Man öffnet den Pochenden und fragt und folgt dem Rufe nach Sion. Neugierige und Diener ziehen mit, um den Zurückbleibenden zu melden, was sich ergebe. Schwere Riegel und Sperrbalken hört man vor manche Pforte mit Poltern schieben. Die Leute sind ängstlich und fürchten Aufruhr. Hie und da treten Leute an die Pforten und rufen bekannte Vorüberziehende um Nachricht an oder diese treten in Eile bei Gleichgesinnten ein. Man hört viele schadenfrohe Reden, wie sie auch wohl heutzutage bei solchen Gelegenheiten geführt werden. Man hört Reden, wie: «Jetzt werden Lazarus und seine Schwester sehen, mit wem sie sich eingelassen haben. Johanna Chusa und Susanna und Maria, des Johann Markus Mutter und Salome werden nun ihr Treiben zu spät bereuen. Und wie wird sich Sirachs Frau, Seraphia, vor ihrem Mann demütigen müssen, der ihr so oft ihren Zusammenhang mit dem Galiläer verwiesen ! Der ganze Anhang des Aufwieglers, des Schwärmers sah andersgesinnte Leute immer so mitleidig an, und jetzt wird mancher nicht wissen, wohin sich verbergen. Jetzt lässt sich wohl niemand sehen, Ihm Palmzweige und Mäntel und Schleier unter die Füße seines Lasttieres zu streuen. Es geschieht diesen Heuchlern, die immer besser sein wollen, als andere, ganz recht, dass sie nun auch in Untersuchung kommen werden, denn alle sind in die Händel des Galiläers verwickelt. Die Sache hat tiefer gewurzelt, als man meinte. Ich bin begierig, wie sich Nikodemus und Joseph von Arimathäa benehmen werden. Man hat ihnen schon lange nicht getraut, sie hängen mit Lazarus zusammen, aber sie sind fein. Jetzt muss sich alles aufklären.» In dieser Weise hört man viele Leute sprechen, welche auf einzelne Familien und besonders auf jene Frauen erbittert sind, die Jesus anhängen und Ihm seither öffentliches Zeugnis gegeben haben. An andern Orten wird die Nachricht auf würdigere Weise aufgenommen. Einige erschrecken, andere wehklagen einsam oder suchen scheu einen gleichgesinnten Freund, ihr Herz auszuschütten. Wenige aber wagen es, ihre Teilnahme laut und entschieden auszusprechen.

Jedoch überall ist man noch nicht aufgeregt in der Stadt, sondern nur da, wo die Boten die Einladung zum Gericht hinbringen und wo die Pharisäer ihre falschen Zeugen aufsuchen, und besonders, wo die Straßen in den Weg auf Sion zusammenstoßen. Es ist, als sehe man auf den verschiedensten Punkten Jerusalems sich Funken von Wut und Zorn entzünden und diese durch die Straßen hinlaufend mit andern Begegnenden sich vereinen, und immer stärker und dichter endlich sich wie ein trüber Feuerstrom nach Sion hinauf ins Richthaus des Kaiphas ergießen. In einzelnen Teilen der Stadt ist noch alles ruhig. Aber auch da wird es nach und nach lebendiger.

Die römischen Soldaten nehmen keinen Teil, aber ihre Posten sind verstärkt und alle ihre Scharen sind dicht beisammen. Sie achten scharf auf alles, was vorgeht. Sie sind immer in der Osterzeit wegen der großen Volksversammlung so ruhig, gefasst und zugleich so sehr auf ihrer Hut. Die Leute, die jetzt auf den Beinen sind, vermeiden die Gegenden, wo ihre Wachtposten stehen, denn es ist den pharisäischen Juden immer ärgerlich, von ihnen angerufen zu werden. Die hohen Priester haben dem Pilatus gewiss schon angezeigt, warum sie Ophel und einen Teil von Sion mit Kriegsknechten besetzten, aber er und sie sind misstrauisch aufeinander. Auch Pilatus schläft nicht, er empfängt Berichte und gibt Befehle. Seine Frau aber liegt ausgestreckt auf ihrem Lager. Sie schläft tief, jedoch unruhig, seufzt und weint, wie in schweren Träumen. Sie schläft und erfährt doch viel, viel mehr als Pilatus.

Auf keiner Stelle der Stadt ist aber eine so rührende Teilnahme an Jesus, als in Ophel unter den armen Tempelsklaven und Taglöhnern, welche diesen Hügel bewohnen. Es kam der Schrecken so plötzlich in der stillen Nacht über sie, die Gewalttätigkeit weckte sie aus dem Schlaf. Da zog ihr heiliger Lehrer, ihr Wohltäter, der sie geheilt und genährt hatte, ganz zerschmettert und misshandelt wie ein furchtbares Nachtgesicht durch sie hindurch. Dann sammelte sich ihr Mitleid und ihre Wehklage von neuem um die schmerzvolle Mutter Jesu, welche mit den Ihrigen bei ihnen durchzog. Ach ! Wohl ist es traurig, zu sehen, wie die ganz von Leid zerrissene Mutter und die Freundinnen Jesu von Freundeshaus zu Freundeshaus, in mitternächtlicher, so heiligen Frauen ungewohnter Stunde, mit banger Scheu durch die Straßen eilen müssen. Oft müssen sie sich vor einer frech vorüberziehenden Schar verbergen und in Winkel drängen, oft werden sie gleich schlechten Frauen angehöhnt. Vielfach hören sie bittere, schadenfrohe Reden der Vorübergehenden, selten ein mitleidiges Wort für Jesus. Endlich, in ihrem Zufluchtsort angelangt, sinken sie ermattet, unter Tränen und Händeringen, alle gleich trostlos, ohnmächtig nieder, unterstützen sich, umarmen sich oder sitzen in einsamem Schmerz, das verhüllte Haupt auf die Knie gesenkt. Da pocht es an der Pforte. Sie lauschen schweigend voll Angst. Das Klopfen ist leise und scheu. So pocht kein Feind. Sie öffnen mit Bangigkeit. Es ist ein Freund oder Freundesdiener ihres Herrn und Meisters. Sie umringen Ihn mit Fragen und hören neues Leid. Es lässt sie nicht ruhen. Sie eilen nochmals hinaus auf die Wege, zu forschen, und kehren mit erneuerten Schmerzen abermals zurück.

Die meisten Apostel und Jünger des Herrn irren jetzt scheu in den Tälern bei Jerusalem umher und verbergen sich in den Höhlen am Ölberg. Einer von den anderen Herankommenden erschreckt, fragen sie sich leise um Nachricht, und jeder nahende Fußtritt unterbricht ihre bangen Mitteilungen. Öfters wechseln sie den Ort und nähern sich einzeln der Stadt wieder. Andere schleichen in die Osterlager zu Bekannten ihrer Heimat, um Nachrichten zu erforschen oder Kundschafter zur Stadt zu senden. Manche steigen am Ölberg hinan und schauen bange zur Bewegung der Fackeln und dem Getöse auf Sion hin, und deuten sich alles auf mannigfache Weise und eilen dann wieder zum Tal nieder, irgend eine Gewissheit zu gewinnen.

Die Stille der Nacht wird immer mehr durch das Geräusch um Kaiphä Richthaus her unterbrochen. Diese Gegend schimmert von Fackeln und brennenden Pechpfannen. Rings um die Stadt aber ertönt das Gebrüll der vielen Last- und Opfertiere, die von den unzähligen Fremden jetzt in die Osterlager gebracht sind. Und wie unschuldig rührend schallt das hilflose, demütige Blöken der unzähligen Lämmer durch die Nacht, welche morgen am Tempel geschlachtet werden sollen! Eines aber nur ist geopfert, weil es selbst gewollt, und tut seinen Mund nicht auf wie ein Schaf, das zur Schlachtbank geführt wird, und wie ein Lamm, das vor dem Scherer verstummt, tut es seinen Mund nicht auf, das reine, makellose Osterlamm Jesus Christus.

Über alles dieses hin ist ein wunderbar ängstlicher Himmel ausgespannt, und wandelt der Mond, drohend, seltsam durch Flecken getrübt, und gleichsam krank und entsetzt, als zage er, voll zu werden. Denn dann ist Jesus gemordet. Draußen aber an der Mittagsseite der Stadt im steilen Tal Hinnom, herumgepeitscht vom bösen Gewissen, wo es unwegsam und unheimlich ist, an verfluchtem Ort, bei Sumpf und Unrat und Auswurf, einsam, ohne Gesellen, den eigenen Schatten fliehend, irrt vom Teufel gehetzt Judas Ischariot, der Verräter und Tausende von bösen Geistern eilen umher und treiben und verwirren die Menschen zur Sünde. Die Hölle ist los und treibt zur Sünde überall. Und die Last des Lammes steigt. Und die wachsende Wut des Satans verdoppelt, verwirrt und verwickelt sich. Das Lamm nimmt alle Last auf sich, der Satan aber will die Sünde. Und sündigt dieser Gerechte auch nicht, fällt dieser vergeblich Versuchte auch nicht, so sollen seine Feinde doch in ihrer Sünde verderben.

Alle Engel aber zagen zwischen Trauer und Freude, sie möchten vor Gottes Thron flehen, helfen zu können, vermögen aber nur staunend das Wunder der göttlichen Gerechtigkeit und Barmherzigkeit anzubeten, das im Allerheiligsten des Himmels von Ewigkeit da war und jetzt in der Zeit auf der Erde zu geschehen beginnt, denn auch die Engel glauben in Gott den Vater, allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erde, und in Jesus Christus seinen eigenen Sohn, unseren Herrn, der empfangen ist von dem Heiligen Geiste, geboren aus Maria der Jungfrau, der heute nacht zu leiden beginnt unter Pontius Pilatus, der morgen gekreuzigt, sterben und begraben werden wird, der zu der Hölle absteigen und am dritten Tage wieder von den Toten auferstehen wird, der auffahren wird gegen den Himmel, wo Er sitzt zur rechten Hand Gottes, des allmächtigen Vaters, von dannen Er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten, denn auch sie glauben an den Heiligen Geist, eine heilige allgemeine Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, Ablass der Sünden, Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben! Amen.

Alles dieses ist nur ein kleiner Teil der Eindrücke, welche ein armes sündenvolles Herz mit Angst, Reue, Trost und Mitleid bis zum Zerspringen erfüllen mussten, wenn sich die Betrachtung, gleichsam Hilfe suchend, auf wenige Minuten von der grausamen Gefangennahme unseres Heilandes weg und über Jerusalem hinwendete in dieser ernstesten Mitternacht der endlichen Zeit, in der Stunde, da die unendliche Gerechtigkeit und die unendliche Barmherzigkeit Gottes, sich begegnend, umarmend und durchdringend, das heiligste Werk der Gottes- und Menschenliebe begannen, die Sünden der Menschen zu strafen an dem Gottmenschen und zu sühnen durch den Gottmenschen, - So war es umher, als der liebe Erlöser zu Annas geführt wurde.

13. Jesus vor Annas

Etwa um Mitternacht ward Jesus im Palast des Annas durch den beleuchteten Vorhof in eine Halle eingeführt, welche den Umfang einer kleinen Kirche hatte. Dem Eingang gegenüber saß Annas, umgeben von achtundzwanzig Räten, auf einer hohen Terrasse, unter welcher man von der Seite her durchgehen konnte. Von der Vorderseite führte eine mit Ruheplätzen unterbrochene Treppe zu diesem Richtsitz des Annas, welcher seinen Eingang hierher von hinten aus dem Innern des Gebäudes hatte,

Jesus, von einem Teil der Kriegsknechte, die Ihn gefangen genommen, noch umgeben, wurde von den Gerichtsdienern, die Ihn führten, mehrere Stufen mit den Stricken hinangezerrt. Den übrigen Raum der Halle füllten Kriegsknechte und allerlei Gesindel, schmähende Juden. Diener des Annas und ein Teil der Zeugen, welche Annas zusammengetrieben, und die sich später bei Kaiphas einstellten.

Annas konnte die Ankunft des armen Heilandes kaum erwarten. Er sprühte vor Schadenfreude, Arglist und Hohn. Er war jetzt das Oberhaupt eines gewissen Gerichtes und saß hier mit seinem Ausschuss, seiner Kommission, die über die reine Lehre zu wachen und das Anklägeramt vor dem Hohenpriester auszuüben hatte.

Jesus stand bleich, abgehetzt, in nassem, mit Kot beflecktem Gewand, mit gefesselten Händen, von den Schergen an Stricken gehalten, mit gesenktem Haupt schweigend vor Annas. Dieser alte, hagere Bösewicht, mit dünnem Bart, voll Hohn und kalter jüdischer Hoffart, stellte sich halb lächelnd, als wisse er gar nicht und als wundere er sich sehr, dass Jesus der ihm angekündigte Gefangene sei. Seine Anrede an Jesus, die ich nicht mit denselben Worten vorbringen kann, war ihrem Sinne nach ungefähr folgende: «Ei, sieh da, Jesus von Nazareth! Du bist es! Wo sind denn deine Jünger, dein großer Anhang? Wo ist dein Königreich? Es scheint alles eine andere Wendung mit Dir genommen zu haben ! Das Schmähen hat sein Ende gefunden. Man hat zugesehen, bis es genug war des Gotteslästerns, Priesterlästerns und Sabbatsschändens. Wer sind deine Jünger? Wo sind sie? Nun schweigst Du? Rede, Aufwiegler! Verführer ! Du hast ja das Osterlamm schon gegessen auf ungewohnte Art, zu ungewohnter Zeit, an ungewohntem Orte? Du willst eine neue Lehre aufbringen. Wer hat Dir das Recht zu lehren gegeben? Wo hast Du gelernt? Sprich! Was ist deine Lehre, die alles empört! Sprich! Rede! Was ist deine Lehre?»

Da richtete Jesus sein müdes Haupt empor, sah Annas an und sprach: «Ich habe öffentlich geredet vor aller Welt, wo alle Juden zusammenkommen. Heimlich habe Ich nichts geredet. Warum fragst du mich? Frage die, welche gehört haben, was Ich zu ihnen geredet habe, Sieh! Diese wissen, was Ich geredet habe.»

Als das Gesicht des Annas bei diesen Worten Wut und Hohn verriet, und ein schändlicher augendienender Gerichtsknecht, der neben Jesus stand, dieses bemerkte, schlug dieser Schurke den Herrn mit voller Hand, an der er mit Eisen bewaffnet war, prasselnd auf Mund und Wange mit den Worten: «Antwortest Du so dem Hohenpriester?» Jesus, von der Heftigkeit des Schlages erschüttert und von den zugleich stoßenden und zerrenden Gerichtsdienern gerissen, fiel seitwärts auf die Stufen, das Blut floss Ihm vom Gesicht. Höhnen, Murren, Lachen und Schimpfen füllte die Halle. Sie rissen aber Jesus unter Misshandlungen wieder auf, und Er sprach ruhig: «Habe Ich unrecht geredet, so beweise es. Habe Ich aber recht geredet, was schlägst du mich?»

Annas durch Jesu Ruhe höchst erzürnt, forderte nun die Anwesenden auf, weil Er es selbst begehre, jetzt zu sagen, was sie denn von Ihm gehört, das Er geredet habe. Da erfolgte ein verwirrtes Schmähen und Schreien von allerlei Gesindel. Er habe gesagt: Er sei ein König, Gott sei sein Vater. Die Pharisäer seien Ehebrecher. Er wiegle das Volk auf, Er heile am Sabbat durch den Teufel. Die Leute in Ophel seien wie rasend um Ihn gewesen, hätten Ihn ihren Retter, ihren Propheten genannt. Er lasse Sich Sohn Gottes nennen. Er spreche, Er sei Gottes Gesandter. Er schreie wehe über Jerusalem, lehre vom Untergang der Stadt, halte die Fasten nicht, ziehe mit vielem Volk herum, esse mit Unreinen, mit Heiden, Zöllnern und Sündern, schleppe sich mit Ehebrecherinnen und schlechten Frauen. Er habe noch jetzt erst vor dem Tor von Ophel gesagt, Er wolle einem, der Ihm zu trinken gab, Wasser des ewigen Lebens geben und es solle ihn nie wieder dürsten. Er führe das Volk irre durch vieldeutige Worte, Er verschwende fremdes Geld und Gut und rede den Menschen allerlei Unwahrheiten von seinem Reiche vor, und vieles dergleichen.

Alle diese Beschuldigungen wurden dem Herrn verwirrt durcheinander vorgeworfen. Sie traten vor Ihn und sagten Ihm solches mit Schimpfreden vermischt in das Gesicht, und die Schergen stießen Ihn hin und her und sagten: «Sprich, antworte!» - Annas und seine Räte aber sprachen hohnlächelnd dergleichen Worte dazwischen, als z.B.: «Nun, da hören wir die feine Lehre, was antwortest Du? Das wäre also die öffentliche Lehre. Das Land ist voll davon. Kannst Du hier nichts vorbringen? Warum befiehlst Du nicht, König? - Du Gottes Gesandter - zeige nun deine Sendung !»

Auf jede solcher Äußerungen der Oberen erfolgte ein Zerren, Stoßen, Höhnen der Schergen und Nahestehenden, die alle es gern dem frechen Faustschläger gleich getan hätten.

Jesus wankte hin und her; und Annas sprach mit kaltem Hohn zu Ihm: «Wer bist Du? was für ein König, was für ein Gesandter bist Du? Ich meinte, Du seist eines unbekannten Zimmermannes Sohn oder bist Du Elias, der auf dem feurigen Wagen zum Himmel gefahren ist? Sie sagen, er lebe noch. Du kannst Dich auch unsichtbar machen. Du bist oft entwischt. Oder bist Du gar Malachias? Du hast immer geprahlt von diesem Propheten und legst ihn gerne auf Dich aus. Es ist auch so ein Geschwätz von ihm, er habe keinen Vater gehabt, er sei ein Engel gewesen, er sei nicht gestorben. Eine schöne Gelegenheit für einen Betrüger, sich für ihn auszugeben. Sage, was bist Du für ein König? Du mehr als Salomo, das ist auch ein Wort von Dir. Wohlan, ich will Dir den Titel deines Reiches nicht länger vorenthalten.»

Und nun ließ sich Annas einen etwa dreiviertel Ellen langen und drei Finger breiten Zettel geben, legte ihn auf eine vorgehaltene Tafel und schrieb mit einer Rohrfeder eine Reihe großer Buchstaben darauf, deren jeder eine Beschuldigung gegen den Herrn enthielt. Diesen Zettel steckte er zusammengerollt in einen hohlen, kleinen Flaschenkürbis und oben einen Zapfen auf die Öffnung, befestigte dann den Kürbis auf ein Rohr und sagte, indem er Jesus diesen Spottzepter darreichen ließ, mit kaltem Hohn solche Worte, wie: «Hier hast Du den Zepter deines Reiches. Es sind alle deine Titel, Würden und Rechte darin eingeschlossen. Trage sie hin zu dem Hohenpriester, dass er deine Sendung und dein Reich daraus erkenne und Dich nach Würde behandle. Bindet Ihm die Hände und führt diesen König vor den Hohenpriester.» Sie hatten aber Jesus früher die Hände losgebunden und banden sie Ihm nun, nachdem sie Ihm den Schimpfzepter, der die Anklage des Annas enthielt, hinein befestigt hatten, kreuzweise vor der Brust, und so führten sie den Herrn unter Gelächter, Hohngeschrei und Misshandlung zur Halle hinaus zu Kamphas.

14. Jesus wird von Annas zu Kaiphas geführt

Als Jesus zu Annas geführt wurde, hatte Er das Haus des Kaiphas schon nach einer Seite hin liegen lassen. Er wurde nun in einer Winkellinie wieder zurückgeführt. Das Haus des Annas wird von jenem des Kaiphas kaum dreihundert Schritte entfernt sein. Der Weg, welcher teils durch Mauern und Reihen von kleineren Gebäuden, die zum Gerichtshaus des Kaiphas gehören, führt, war mit Feuerkesseln auf Stangen beleuchtet und voll schreiender und tobender Juden. Die Soldaten konnten kaum die Menge abhalten. Die, welche bei Annas geschimpft hatten, wiederholten jetzt dessen Schimpfreden auf ihre Weise nochmals vor dem Volk und Jesus ward während des ganzen Weges geschmäht und misshandelt. Ich sah, wie allerlei bewaffnete Gerichtsdiener einzelne kleine Scharen von wehklagenden Leuten, die Jesus bemitleideten, wegtrieben, und wie sie andern, die sich durch Schmähen oder Beschuldigungen auszeichneten, Geld gaben und sie mit ihren Gesellen in den Hof des Kaiphas einließen.

Um zum Gerichtshaus des Kaiphas zu kommen, geht man zuerst durch ein Tor in einen geräumigen äußern Hof, dann wieder durch ein Tor in einen andern Hof, der mit seinen Mauern das ganze Haus umgibt, (Wir werden diesen künftig den inneren Hof nennen). Den vorderen Teil des Hauses, das über zweimal so lang als breit ist, bildet ein an drei Seiten mit bedeckten Säulengängen umgebener, in der Mitte aber dachloser, geplatteter Raum, der Vorhof oder das Atrium genannt, in welches von diesen drei Seiteneingänge führen. Der Haupteingang in das Atrium ist an der langen Seite des Hauses. Hier eintretend kommt man links unter freiem Himmel zu einer ausgemauerten Grube, worin Feuer unterhalten wird, und wendet man sich rechts, so zeigt sich, die vierte Seite des Atriums bildend und ein paar Stufen höher liegend, hinter einigen höheren Säulen ein bedeckter Raum, ungefähr halb so groß als das Atrium, in welchem sich die Sitze der Ratsversammlung auf einem mehrere Stufen aufsteigenden Halbkreis befinden. Der Sitz des Hohenpriesters ist oben in der Mitte. Der Standort des Angeklagten ist im Mittelpunkt des Halbkreises von den Wachen umgeben, und zu bei den Seiten und hinter ihm, bis in das Atrium hinab, ist die Stelle der Zeugen und Ankläger. Zu diesem halbrunden Sitz der Richter führen von der Rückwand drei Eingänge, welche aus einem hinter dem Gerichtssitze liegenden, größeren, runden Saal kommen, dessen Wand auch von einem kreisförmigen Sitz umgeben ist. Hier werden abgesonderte Sitzungen gehalten. Wenn man vom Gerichtssitz aus in diesen runden Saal tritt, führen links und rechts Türen aus demselben mehrere Stufen hinab außer das Haus in den innern, umgebenden Hof, der hier, der Form des Hauses folgend, in die Runde läuft. Von der rechts aus dem Saal führenden Türe hinaustretend und sich links im Hof gegen das Gebäude wendend, kommt man an die Türe eines dunklen, unterirdischen Kerkergewölbes, welches sich unter diesem hinteren Saal befindet, der, wie der öffentliche Gerichtssitz, höher als das Atrium liegend, den Raum zu unterirdischen Gewölben darbietet. Es sind mehrere Kerker in diesem runden Teil des Hofes, in deren einem ich nach dem Pfingstfest Johannes und Petrus eine Nacht lang gefangen sitzen sah, als Petrus den Lahmen an der schönen Pforte des Tempels geheilt hatte.

Im Gebäude und umher war alles voll Fackeln und Lampen. Es war hell, wie am Tag. In der Mitte des Atriums leuchtete außerdem die große Feuergrube. Sie ist wie ein in den Boden versenkter, oben offener Ofen. Man wirft von oben Brennbares hinein, ich glaube Erdkohlen. Es steigen an den Seiten etwas über Manneshöhe Hörner daraus empor. Es sind Röhren, die den Rauch ablenken. In der Mitte sieht man jedoch das Feuer. Es drängten sich Soldaten, Gerichtsknechte, allerlei Gesindel, gemeine bestochene Zeugen um das Feuer. Es waren auch Frauen zwischen ihnen, worunter schlechte Dirnen, sie schenkten da ein rotes Getränk und backten Kuchen für die Soldaten um Geld. Es ging da wirr her, als sei Fasnachtsabend.

Die meisten Berufenen waren schon um den Hohenpriester Kaiphas auf dem halbrunden Richtersitz versammelt. Hie und da kamen noch einige. Die Ankläger und falschen Zeugen füllten beinah das Atrium. Viele Leute drängten sich zu und man wies sie mit Gewalt weg.

Kurz vor der Ankunft des Zuges mit Jesus kamen auch Petrus und Johannes, noch mit den Botenmänteln bekleidet, bis in den äußeren Hof vor das Haus. Johannes kam auch noch glücklich durch Verwendung des ihm bekannten Dieners durch das Tor des inneren Hofes, welches man jedoch des großen Andranges wegen hinter ihm schloss. Petrus aber, der sich im Gedränge verspätet hatte, kam vor das verschlossene Tor dieses inneren Hofes, und die Pförtnerin wollte ihn nicht einlassen. Johannes aber sprach von innen mit dieser, dass sie ihm öffnen möge. Er wäre jedoch nicht hineingekommen, wenn Nikodemus und Joseph von Arimathäa, welche nun auch kamen, ihm nicht hereingeholfen hätten. Im Innern gaben sie die Mäntel wieder an die Diener ab und stellten sich still unter die Menge im Atrium zur Rechten, wo man auf den Sitz der Richter sah. Kaiphas saß schon auf seinem Richtstuhl oben in der Mitte des gestuften Halbkreises. Um ihn her saßen wohl an siebzig Glieder des hohen Rates. Viele Stadtverordnete, Älteste, Schriftgelehrte standen und saßen an beiden Seiten, und um sie her viele Zeugen und Schurken. Es waren Kriegsknechte zu den Füßen des Ratsitzes unter den Eingangssäulen und durch das Atrium bis zu jenem Tor aufgestellt, durch welches der Zug erwartet wurde. Es war dieses aber nicht das dem Richtersitz gerade gegenüberliegende Tor, sondern es lag von diesem Sitz aus an der linken Seite des Atriums.

Kaiphas war ein gesetzter Mann von glühendem, grimmigem Gesicht. Er trug einen langen, dunkelroten, mit goldenen Blumen und Quasten verzierten Mantel, auf Brust und Schultern und überhaupt vorn herab mit allerlei blinkenden Schildern zusammengeheftet. Er hatte eine Mütze auf, die oben einer niederen Bischofsmütze glich. Zwischen dem zusammengebogenen Hinter- und Vorderteil waren an der Seite Öffnungen, wo etwas Stoff heraushing, an der Seite des Kopfes fielen Lappen auf die Schultern herab. Kaiphas war schon ziemlich lange Zeit mit seinen Anhängern des hohen Rates versammelt. Viele waren seit dem Auszug des Judas mit der Schar beisammengeblieben. Seine Ungeduld und seine Wut wuchsen so hoch, dass er selbst in seinem ganzen Ornat von dem hohen Sitz in den Vorhof hinablief und zankte und fragte, ob Er noch nicht bald komme? Indem näherte sich der Zug und Kaiphas kehrte zu seinem Sitz zurück.

15. Jesus vor Kaiphas

Unter tobendem Hohngeschrei, Stoßen, Reißen und mit Unflat beworfen ward Jesus in das Atrium geführt, wo ein dumpfes Murren und Flüstern der zurückgehaltenen Wut an die Stelle der ungebundenen Pöbelwut trat. Vom Eingang wendete der Zug sich rechts vor den Richtersitz. Als Jesus an Petrus und Johannes vorüberging, blickte Er sie liebreich an, doch ohne sein Haupt zu wenden, um sie nicht zu verraten. Kaum war Jesus durch die Säulen empor vor den Rat getreten, als Kaiphas Ihm auch entgegenschrie: «Bist Du da? Du Gottesschänder, der uns diese heilige Nacht verstört!» Der Flaschenkürbis, mit dem Anklagezettel des Annas, wurde nun vom Spottzepter Jesu abgenommen, und nachdem die Beschuldigungen abgelesen worden, ergoss sich Kaiphas in einen Strom von Schimpfnamen und Vorwürfen gegen Jesus. Und die Schergen und näherstehenden Soldaten zerrten und stießen unseren Herrn. Sie hatten eiserne Stäbchen in den Händen, an denen oben stachelige, birnenförmige Knöpfe saßen, mit welchen sie Ihn hin und her stießen und dazu schrieen: «Antworte! Öffne den Mund! Kannst Du nicht reden?» Alles dieses geschah während Kaiphas noch zorniger als Annas eine Unzahl stürmender Fragen an Jesus richtete, der still und leidend vor sich niedersah, ohne Kaiphas anzublicken. Die Schergen aber wollten Ihn zum Reden zwingen, stießen Ihn in den Nacken und in die Seiten, schlugen Ihn auf die Hände und stachen Ihn mit Pfriemen. Ja, ein gräulicher Junge drückte Ihm mit dem Daumen die Unterlippe auf die Zähne und sagte: «Hier, nun beiße!»

Nun aber folgte das Zeugenverhör. Es war dieses nur ein wirres Schreien und Toben von bestochenem Pöbel. Teils waren es die Aussagen von einzelnen Parteien seiner grimmigsten pharisäischen und sadduzäischen Feinde aus dem ganzen Land, die hier auf dem Fest aufgesucht worden waren. Man brachte alles wieder vor, worauf Jesus hundertmal geantwortet hatte: Er heile und treibe die Teufel durch den Teufel aus, schände den Sabbat, breche die Fasten. Seine Jünger wüschen die Hände nicht. Er wiegle das Volk auf, nenne die Pharisäer Schlangengezücht und Ehebrecher, prophezeie den Untergang Jerusalems, gehe mit Heiden, Zöllnern, Sündern und schlechten Frauen um. Er ziehe mit großen Scharen umher, lasse sich einen König, Propheten, ja den Sohn Gottes nennen und spreche immer von seinem Reich. Er bestreite die Erlaubnis der Ehescheidung. Er habe wehe über Jerusalem gerufen. Er nenne sich das Brot des Lebens. Er führe unerhörte Lehren: wer sein Fleisch nicht esse, sein Blut nicht trinke, werde nicht selig werden.

Auf diese Weise wurden alle seine Worte, Lehren und Parabeln verdreht und verkehrt, von Schimpfworten und Misshandlungen unterbrochen, als Beschuldigungen gegen Ihn vorgebracht. Alle aber widersprachen und verwickelten sich. Der eine sagte: «Er gibt sich für einen König aus»; der andere: «Nein! Er lässt sich nur so nennen; und als man Ihn ausrufen wollte, lief Er weg.» Dann schrie einer: «Aber Er sagt, Er sei Gottes Sohn.» Ein anderer aber entgegnete: «Nein, dies nicht! Er nennt sich nur Sohn, weil Er des Vaters Willen tue.» Einige sagten, Er habe sie geheilt, und sie seien nachher wieder krank geworden, mit seinem Heilen sei es nichts als Zauberei. Auf Zauberei liefen überhaupt viele Beschuldigungen und Zeugnisse hinaus. Vom Heilen des Mannes am Teich Bethesda wurde auch falsch gezeugt und gelogen und widersprochen. Auch die Pharisäer von Sephoris, mit denen Jesus einmal über die Ehescheidung disputierte, beschuldigten Ihn der falschen Lehre, und jener Jüngling von Nazareth, den Er nicht unter seine Jünger aufnehmen wollte, war auch niederträchtig genug, hier aufzutreten und gegen Ihn zu zeugen. Auch über das Lossprechen der Ehebrecherin am Tempel und das Vorwerfen der Pharisäer beschuldigten sie Ihn, außer vielem andern.

Sie vermochten jedoch keine rechtlich begründete Anschuldigung zustandezubringen. Die Zeugenmenge trat ab und auf, und schimpften Ihn mehr ins Gesicht, als dass sie zeugten. Sie stritten nur immer heftig untereinander, und dazwischen setzte sich das Schimpfen von Kaiphas und einzelnen Räten ununterbrochen fort. Sie schrieen immer zwischendurch: «Welch ein König bist Du! Zeige deine Macht! Rufe die Legionen Engel, von denen Du im Ölgarten sprachstl Wo hast Du das Geld der Witwen und Toren hingebracht? Ganze Güter hast Du verschleudert, was ward aus allem diesem? Antworte! rede! Jetzt, da Du reden solltest vor dem Richter, verstummest Du. Wo Du aber besser geschwiegen hättest, vor dem Pöbel und Weibergesindel, da hattest Du viele Worte» usw..

Alle diese Reden waren von steten Misshandlungen der Gerichtsdiener begleitet, die Ihn mit Schlagen und Stoßen zum Antworten zwingen wollten. Durch Gott allein konnte Jesus bei allem diesem noch länger leben, um die Sünden der Welt zu tragen. Einige niederträchtige Zeugen sagten aus, der Herr sei ein unehelicher Sohn, Da widersprachen aber andere und sagten: «Das ist erlogen, denn seine Mutter war eine fromme Jungfrau im Tempel, und wir waren bei ihrer Trauung mit einem sehr gottesfürchtigen Mann zugegen.» Diese Zeugen fingen darüber zu zanken an.

Man warf Jesus und den Jüngern auch vor, dass sie am Tempel nicht opferten. Ich habe auch nie gesehen, dass Jesus oder die Apostel, seit sie bei Ihm waren, Schlachtopfer zum Tempel gebracht, außer die Osterlämmer. Joseph und Anna opferten jedoch bei ihren Lebzeiten oft für Jesus. Diese Beschuldigung aber war wertlos, denn die Essener brachten auch keine Schlachtopfer, ohne darum strafwürdig zu sein. Den Vorwurf der Zauberei brachten sie häufig vor, und Kaiphas behauptete selbst mehrmals, die Verwirrung der Zeugen sei eine Folge der Zauberkünste.

Einige sagten nun, Er habe das Pascha unregelmässig gestern, nämlich am heutigen Sabbat schon, gegessen und auch voriges Jahr schon Unordnung darin gehalten. Darüber wurde auch viel getobt und geschimpft. Die Zeugen aber hatten sich so verwirrt und versprochen, dass Kaiphas und der ganze Rat total beschämt und erzürnt war, indem sie auch gar nichts auftreiben konnten, was sich einigermaßen hielt. Nikodemus und Joseph von Arimathäa wurden aber aufgerufen, sich zu erklären, weil Jesus das Pascha in des letzteren Ostersaal auf Sion gegessen. Sie traten vor Kaiphas und bewiesen aus Schriftrollen, dass die Galiläer nach einer alten Überlieferung das Pascha einen Abend früher essen dürften. Das Osterlamm sei übrigens in der Ordnung, denn es seien Leute vom Tempel zugegen gewesen. Dieses letzte machte die Zeugen sehr verlegen, und besonders ärgerte es die Feinde Jesu, als Nikodemus die Schriftrollen holen ließ und das Recht des Galiläers daraus vorlegte. Außer mehreren Gründen für dieses Recht der Galiläer, die ich vergessen habe, war als ein Grund angeführt, dass man sonst bei sehr großer Volksmenge im Tempel nicht zur gesetzlichen Zeit fertig werden könne, und dass das Gedränge auf der Heimkehr zu groß würde. Obgleich nun von diesem Recht der Galiläer nicht immer Gebrauch gemacht wurde, so war es doch durch die vorgelegten Schriften von Nikodemus vollkommen erwiesen. Die Wut der Pharisäer gegen Nikodemus stieg aber noch mehr, als dieser seine Worte mit der Erklärung schloss, wie sehr der ganze Rat in einer mit so selbstsicherem Vorurteil, in so stürmischer Eile, in der Nacht vor dem heiligsten Fest unternommenen Anklage sich durch die schlagenden Widersprüche aller Zeugen vor der hier versammelten Menge beschimpft fühlen müsse. Sie blickten mit Wut auf Nikodemus, und trieben ihr schnödes Zeugenverhör um so eilender und unverschämter. Nach vielen schändlichen, verkehrten, lügenhaften Aussagen traten zuletzt noch zwei Zeugen auf und sagten: Jesus habe gesagt, Er wolle den Tempel, der mit Händen gemacht sei, abbrechen und einen andern in drei Tagen wieder aufbauen, der nicht mit Menschenhänden gemacht sei. Aber diese beiden zankten sich auch. Der eine sagte: Jesus wolle einen neuen Tempel aufführen, darum habe Er ein anderes Pascha in einem andern Gebäude gehalten, denn Er wolle den alten Tempel abbrechen. Der andere aber sagte, jenes Gebäude sei von Menschenhänden gebaut, dieses habe Er also nicht gemeint.

Kaiphas wurde nun ganz erbittert, denn die Misshandlung Jesu, der Widerspruch der Zeugen und die unbegreifliche stumme Geduld des Angeklagten machten einen sehr üblen Eindruck auf viele Anwesende. Einige Mal wurden die Zeugen beinah verlacht. Vielen wurde bei dem Schweigen Jesu ganz bange im Gewissen, und etwa zehn Kriegsknechte wurden so dadurch gerührt, dass sie unter dem Vorwand der Übelkeit sich weg begaben. Als sie an Petrus und Johannes vorüberkamen, sprachen sie zu ihnen: «Dieses Schweigen Jesu, des Galiläers, bei so schändlichem Verfahren ist herzzerreissend. Es ist, als solle einen die Erde verschlingen. Aber saget, wo sollen wir uns hinwenden?» Die beiden Apostel aber, vielleicht weil sie ihnen nicht trauten und fürchteten, von ihnen als Jünger Jesu verraten oder doch als solche von den Umstehenden erkannt zu werden, antworteten mit traurigem Blick nur im allgemeinen: «So euch die Wahrheit ruft, lasst euch von ihr führen. Das Übrige wird sich finden.» Da verließen diese Männer den Vorhof des Kaiphas und eilten zur Stadt hinaus. Sie begegneten aber andern, welche sie jenseits der Höhe von Sion hinwiesen in die Höhlen südlich von Jerusalem. Hier fanden sie mehrere Apostel versteckt, welche anfangs vor ihnen erschraken, dann aber von ihnen Nachricht empfingen, wie es um Jesus stehe, und dass auch für sie Gefahr sei, worauf sie sich wieder an andere Orte zerstreuten.

Kaiphas, durch das widersprechende Reden der beiden letzten Zeugen und ihre Beschämung ganz erzürnt, stand nun von seinem Sitz auf und ging ein paar Stufen nieder zu Jesus und sagte: «Antwortest Du nichts auf dieses Zeugnis?» Er ärgerte sich aber, dass Jesus ihn nicht anblickte. Da rissen die Schergen unserem Herrn das Haupt bei den Haaren zurück, und stießen Ihn mit Fäusten unter das Kinn. Sein Blick jedoch blieb gesenkt. Kaiphas aber hob die Hände heftig empor und sagte mit erzürnter Stimme: «Ich beschwöre Dich bei dem lebendigen Gott, dass Du uns sagst, ob du Christus, der Messias, der Sohn Gottes, des Hochgelobten bist?»

Da ward große Stille in dem Getümmel. Jesus sagte, von Gott gestärkt, mit einer unaussprechlich würdigen, alles erschütternden Stimme, mit der Stimme des ewigen Wortes: «Ich bin esl Du sagst es! Und Ich sage euch, bald werdet ihr den Menschensohn sitzen sehen zur Rechten der Majestät und kommen auf den Wolken des Himmels!»

Ich sah während dieser Worte Jesus wie leuchtend, und über Ihm den Himmel offen, und sah darin in einem unaussprechlichen Inbegriff Gott, den allmächtigen Vater. Ich sah die Engel und das Gebet der Gerechten, als schrieen und beteten sie für Jesus. Ich sah aber, als sage die Gottheit Jesu aus dem Vater und aus Jesus zugleich: «Wenn Ich leiden könnte, wollte Ich leiden, weil Ich aber barmherzig bin, habe Ich Fleisch angenommen im Sohn, auf dass der Menschensohn leide, denn Ich bin gerecht, und sieh, die Sünden aller dieser, die Sünden aller Welt trägt Er.»

Unter Kaiphas aber sah ich die ganze Hölle offen, einen trüben feurigen Kreis voll Gräuelgestalten, und sah ihn darüber stehen, nur wie durch einen dünnen Flor über ihm getragen.

Ich sah ihn durchdrungen von der Wut der Hölle. Das ganze Haus erschien mir nun wie eine sich von unten aufwühlende Hölle. Es war, da der Herr feierlich ausgesprochen hatte, dass Er Christus, der Sohn Gottes, sei, als erschrecke die Hölle vor Ihm und lasse ihre ganze Wut gegen Ihn plötzlich in dieses Haus aufsteigen. Wie mir aber alles in Formen und Bildern gezeigt wird, sah ich die Angst und Wut der Hölle in unzähligen Gräuelgestalten an vielen Stellen wie aus der Erde heraufdringen. Ich erinnere mich, darunter ganze Scharen von kleinen, dunklen Gestalten gleich aufrecht laufenden Hunden mit kurzen langkralligen Pfoten gesehen zu haben, weiß aber nicht mehr, welche Art von Bosheit mir in ihrer Gestalt gezeigt werden sollte. Ich weiß nur noch die Gestalt. Solche schreckliche Schatten sah ich in die meisten der Anwesenden fahren oder vielen von ihnen auf dem Haupt oder den Schultern sitzen. Die Versammlung war voll von ihnen und die Wut stieg in allen Bösen. Ich sah auch in diesem Augenblick aus Gräbern jenseits von Sion scheussliche Gestalten hervordringen. Ich glaube, es waren böse Geister. Auch in der Nähe des Tempels sah ich viele Erscheinungen aus der Erde hervorgehen. Und unter diesen erschienen mehrere gleich Gefangenen, die sich mit Fesseln schleppten. Ich weiß nicht mehr, ob alle diese letzteren auch Erscheinungen böser Geister oder an irdische Orte gebannte Seelen waren, welohe vielleicht jetzt zur Vorhölle zogen, die der Herr ihnen durch sein Todesurteil eröffnete. - Man kann solche Dinge nie vollkommen aussprechen, man möchte den Unwissenden kein Ärgernis geben. Man fühlt aber diese Dinge, wenn man sie sieht und die Haare einem emporsteigen. Es war etwas Gräuliches in diesem Augenblick. Ich glaube, Johannes muss auch davon gesehen haben. Ich hörte ihn nachher davon reden. Wenigstens fühlten alle nicht ganz Verlorene mit einem tiefen Grauen das Entsetzliche in diesen Augenblicken. Die Bösen aber fühlten es mit einem wilden Aufflammen ihrer Wut.

Und Kaiphas, wie von der Hölle begeistert, ergriff den Saum seines Prachtmantels, durchschnitt ihn mit einem Messer und zerriss ihn mit zischendem Geräusch, laut aufschreiend: «Er hat gelästert! Was bedarf es noch der Zeugen? Nun habt ihr die Gotteslästerung selbst gehört, was dünkt euch nun?» Da standen alle noch Anwesenden auf und riefen mit schrecklicher Stimme: «Er ist des Todes schuldig! Er ist des Todes schuldig!»

Während dieses Geschreies war jenes finstere Wüten der Hölle am schrecklichsten im Hause. Die Feinde Jesu waren wie vom Satan berauscht, und ebenso ihre Augendiener und hündischen Knechte. Es war, als rufe die Finsternis ihren Triumph über das Licht aus. Es überfiel alle Anwesenden, in denen noch ein Bezug auf irgend etwas Gutes war, ein solches Grauen, dass viele sich verhüllten und wegschlichen. Auch die Vornehmeren unter den Zeugen verließen nun, da sie nicht mehr nötig waren, mit bösem Gewissen das Richthaus. Niedrigere trieben sich im Vorhof am Feuer herum, wo ihnen Geld ausgezahlt wurde, und wo sie nun fraßen und soffen.

Der Hohepriester aber sagte nun den Schergen: «Ich gebe euch diesen König preis, tut dem Gotteslästerer seine Ehre an !» und begab sich mit seinen Ratsherren in den hinter dem Richtersitz gelegenen runden Saal, in welchen man von hier aus nicht sehen konnte.

Johannes in seiner tiefen Betrübnis gedachte nun der heiligsten Jungfrau. Er war besorgt, es möge ihr die schreckliche Botschaft durch irgend einen Feind noch verwundender mitgeteilt werden, und so blickte er nochmals zum Heiligsten der Heiligen, gedenkend: «Meister, Du weißt wohl, warum ich gehe», und eilte dann, als sende ihn Jesus selbst, aus dem Richthaus zu der heiligsten Jungfrau. Petrus aber, ganz zerstört von Angst und Schmerz, und durch Ermüdung die empfindliche Kühle des nahenden Morgens lebhafter fühlend, verbarg seine verzweifelte Betrübnis so gut er konnte und nahte schüchtern der Feuergrube im Atrium, bei welchem allerlei Gesindel sich wärmend herumtrieb. Er wusste nicht, was er tat, aber er konnte nicht von seinem Meister weg.

16. Jesus wird verspottet

Indem Kaiphas, Jesus preisgebend, mit dem Rate den Gerichtssaal verließ, stürzte die Rotte aller anwesenden bösen Jungs wie ein erzürnter Wespenschwarm über unseren Herrn, der bisher noch immer von zweien der vier ersten Schergen an Stricken festgehalten worden war. Zwei von diesen vieren hatten sich vor dem Gericht entfernt, um sich mit anderen zu lösen. Schon während des Verhörs hatten die Schergen und andere Schurken ganze Locken aus dem Haupthaar und dem Bart Jesu schmerzlich ausgerissen. Es nahmen gute Leute heimlich einige Flocken dieser Haare vom Boden auf und schlichen damit von dannen, aber sie sind ihnen später verschwunden. Auch angespien hatte die böse Rotte Jesus schon während des Verhöres und unzähligemal mit Fäusten geschlagen, mit stachelkolbigen Stöcken gestoßen und mit Nadeln gestochen. Nun aber ergoss sich ihre Schurkerei auf eine unsinnige Weise über Jesus. Sie setzten Ihm abwechselnd mehrere Kronen von Stroh und Bast geflochten in verschiedenen Formen des Spottes auf, und schlugen sie Ihm immer wieder mit andern boshaften Hohnworten vom Haupt. Bald sagten sie: «Seht den Sohn Davids mit der Krone seines Vaters!» bald: «Seht, das ist mehr als Salomo!» bald: «Das ist der König, der seinem Sohn Hochzeit macht!» Und so höhnten sie Ihm alle ewige Wahrheit, die Er zum Heile der Menschen in Wahrheit und Gleichnis ausgesprochen hatte. Sie schlugen Ihn mit Fäusten und Stöcken, warfen Ihn hin und her und spieen Ihn an. Sie flochten zuletzt noch eine Krone von dickem Weizenstroh, wie es dort zu Lande wächst, setzten Ihm eine hohe Mütze, fast wie eine hohe jetzige Bischofsmütze, auf und den Strohkranz darüber, nachdem sie Ihm seinen gestrickten Rock ausgezogen hatten. Da stand nun der arme Jesus mit der Unterleibsbinde und einem Brust- und Nackenskapulier bekleidet. Aber auch dieses letztere rissen sie Ihm ab, und Er hat es nicht wieder erhalten. Sie hängten Ihm hierauf einen alten, zerlumpten Mantel um, dessen vorderer Teil die Knie nicht bedeckte, und legten Ihm um den Hals eine lange Eisenkette, welche Ihm gleich einer Stola von den Schultern über die Brust bis zu den Knien niederhing. Diese Kette aber endete mit zwei schweren und stacheligen großen Ringen, welche Ihm beim Gehen und Fallen die Knie schmerzlich verwundeten. Sie banden Ihm von Neuem die Hände vor die Brust, gaben Ihm ein Rohr hinein und bedeckten nun mit dem Auswurf ihrer unreinen Mäuler sein misshandeltes Gesicht. Sein verwüstetes Haupt- und Barthaar, seine Brust und der ganze obere Teil des Spottmantels hingen voll Unflat in allen Farben des Ekels. Sie banden Ihm einen Lumpen um seine Augen und schlugen Ihn mit Fäusten und Stöcken und schrieen: «Großer Prophet! prophezeie, wer hat Dich geschlagen?» Er aber sprach nicht, betete innerlich für sie, seufzte und wurde geschlagen. So misshandelt, vermummt und verunreinigt schleppten sie Ihn an der Kette in den hinteren Ratssaal. Sie stießen Ihn mit Füßen und Knütteln unter Hohngeschrei vor sich her: «Fort mit dem Strohkönig ! Er muss sich in der Huldigung, die wir Ihm geleistet, auch dem Rate zeigen !» Als sie hereinkamen, wo viele des Rates und auch Kaiphas noch auf halbkreisförmiger Erhöhung saßen, begann ein neuer Hohn, und alles mit einem tief niederträchtigen Witz und steter sakrilegischer Schändung heiliger Gebräuche und Handlungen. So wie sie beim Anspeien und Beflecken mit Kot Ihm zugeschrien: «Da hast Du deine Königssalbe, deine Prophetensalbe!» so höhnten sie hier die Salbung Magdalenas und die Taufe, «Wie,» riefen sie höhnend aus, «so unrein willst Du vor dem hohen Rat erscheinen? Andere willst Du immer reinigen und bist selbst nicht rein. Nun aber wollen wir Dich reinigen.» Hierauf brachten sie ein Becken voll trüber, schmutziger Jauche, in der ein grober Lumpen lag, und unter Stoßen, Höhnen und Schimpfen, vermischt mit spottenden Begrüssungen und Verbeugungen, indem sie Ihm die Zunge herausstreckten oder Ihm den Hinterteil des Leibes zuwendeten, fuhren sie Ihm mit dem nassen, schmierigen Lumpen über das Gesicht und die Schultern, Ihn scheinbar abwischend, aber befleckten Ihn schändlicher als vorher, und zuletzt gossen sie Ihm den ganzen Inhalt des Beckens über das Gesicht, mit den höhnenden Worten: «Da hast Du köstliche Salbe, da hast Du Nardenwasser für dreihundert Denare, da hast Du deine Taufe vom Teich Bethesda !»

Dieses letzte Hohnwort stellte gegen ihre Absicht Jesus dem Osterlamm gleich, denn die heut zu schlachtenden Opferlämmer wurden zuerst am Teich bei dem Schaftor aus dem Gröberen gewaschen und dann am Teich Bethesda, südöstlich vom Tempel, zeremonienweise nochmals mit Wasser besprengt, ehe sie zum Pascha im Tempel geschlachtet wurden. Sie spielten aber eigentlich mit jener Rede auf den von Ihm am Teich Bethesda geheilten achtunddreißigjährigen Kranken an, denn diesen habe ich damals dort auch waschen oder taufen sehen. Ich sage «waschen oder taufen», weil mir jene Handlung in diesem Augenblick nicht genau erinnerlich vor Augen schwebt.

Nun aber schleppten und schleiften sie Jesus unter Stoßen und Schlagen im Kreis vor dem noch versammelten höhnenden und schimpfenden Rat herum. Alles sah ich voll wütender Teufelsgestalten. Es war ein dunkles, wirres, schauderhaftes Treiben. Aber um den misshandelten Jesus sah ich oft einen Glanz und ein Leuchten, seit Er gesagt, dass Er Gottes Sohn sei. Viele Anwesende schienen dasselbe innerlich mehr oder weniger auch zu ahnen, wenigstens in dem bangen Gefühl, dass alle Schmach, aller Hohn Ihm seine unaussprechliche Würde nicht nehmen konnte. Seinen blinden Feinden schien dieses Leuchten um Jesus her nur durch ein tieferes Aufwallen ihrer Wut fühlbar zu werden. Mir aber erschien seine Glorie so auffallend, dass ich immer denken musste, als verhüllten sie Ihm das Gesicht allein nur deshalb, weil der Hohepriester seit dem Worte: «Ich bin es» Jesu Blick nicht mehr ertragen konnte.

17. Petri Verleugnung

Als Jesus feierlich ausgesprochen hatte: «Ich bin es» und Kaiphas seine Kleider zerriss, und das Rufen «Er ist des Todes schuldig!» sich mit dem Höhnen und Toben des Gesindels vermischte, als über Jesus der Himmel der Gerechtigkeit offen war, und die Hölle ihre Wut, und die Gräber die gefangenen Geister losließen, als alles voll Angst und Schauder war, vermochten Petrus und Johannes, welche viel gelitten hatten in klagloser, untätiger, gespannter Anschauung der schrecklichen Misshandlung Jesu, nicht mehr länger hier zu stehen. Johannes ging mit vielen abgehenden Leuten und Zeugen weg und eilte zur Mutter Jesu, welche sich mit den heiligen Frauen in der Wohnung Marthas, unweit des Ecktors befand, wo Lazarus in Jerusalem ein ansehnliches Gebäude besaß. Petrus aber konnte nicht fortgehen, er liebte Jesus zu sehr. Er konnte sich kaum mehr fassen, er weinte bitterlich und verbarg es, so gut er konnte. Stehen wollte er nicht bleiben, sein Eifer hätte ihn verraten. Aber er konnte sich auch nirgends anders hinwenden, ohne aufzufallen. So ging er dann im Atrium in den Winkel an das Feuer, wo Soldaten und allerlei Volk in Mengen standen, die zu der Verspottung Jesu ab- und zugingen und ihre schlechten niederträchtigen Bemerkungen machten. Petrus hielt sich still, aber schon seine Anteilnahme und der tiefe Ausdruck von Betrübnis in seinem Gesicht musste ihn bei den Feinden Jesu verdächtigen. Es trat nun die Pförtnerin auch zum Feuer, und da alles von Jesus und seinen Jüngern schwatzte und schimpfte, mischte sie sich auf Art frecher Frauen keck darein und sagte zu Petrus, indem sie ihn anschaute: «Du bist auch einer von den Jüngern des Galiläers!» Da ward Petrus sehr verwirrt und bang, fürchtete sich, unter dem rohen Volk misshandelt zu werden und sagte: «Frau, ich kenne Ihn nicht. Ich weiß und verstehe nicht, was du willst.» Nun aber stand Petrus auf, suchte sich von ihnen loszumachen und ging aus dem Atrium. Es war die Zeit, da der Hahn draußen vor der Stadt krähte. Ich erinnere mich nicht, ihn gehört zu haben, aber ich fühlte, er krähe jetzt vor der Stadt. Beim Herausgehen erblickte den Petrus eine andere Magd und sagte zu den Umstehenden: «Dieser ist auch mit Jesus von Nazareth gewesen», und diese sprachen: «Bist du nicht auch einer von seinen Jüngern gewesen?» Da war Petrus in großer Angst und Verwirrung und sprach mit einer Beteuerung: «Wahrhaftig! Das bin ich nicht gewesen! Ich kenne diesen Menschen nicht!» Und nun eilte er durch den ersten Hof in den äußersten, über dessen Mauer er Bekannte herüberschauen sah, um diese zu warnen. Er weinte und war so voll Angst und Trauer um Jesus, dass er an sein Verleugnen kaum dachte. Im äußersten Hof waren viele Leute und auch Freunde Jesu, die man nicht weiter herzu ließ, hinaus ließ man aber Petrus. Diese Leute kletterten an der Mauer auf, um etwas zu hören, und Petrus fand da eine Anzahl von Jüngern Jesu, welche auch die Angst aus den Höhlen vom Berg Hinnom hergetrieben hatte. Sie kamen gleich auf Petrus zu und fragten ihn unter Tränen. Er war aber so heftig betrübt und so bang, sich zu verraten, dass er ihnen nur mit wenigen Worten riet, sich zu entfernen, denn es sei Gefahr für sie hier. Nun wandte er sich wieder von ihnen ab und ging traurig umher. Sie aber eilten sogleich wieder aus der Stadt. Es waren dies wohl an sechzehn der ersten Jünger, worunter Bartholomäus, Nathanael, Saturnin, Judas Barsabas, Simeon, der später Bischof von Jerusalem wurde, Zachäus und Manahem, der prophetische, blindgeborne, von Jesus geheilte Jüngling.

Petrus aber hatte keine Ruhe. Die Liebe zu Jesus trieb ihn wieder zurück in den inneren Hof, der das Haus umgab. Man ließ ihn wieder hinein, weil ihm gleich anfangs Nikodemus und Joseph von Arimathäa den Eingang verschafft hatten. Er ging aber noch nicht in den Vorhof des Richtsaales zurück, sondern wandte sich längs dem Haus rechts zum Eingang des hinter dem Richtsitz gelegenen runden Saales zu, in welchem die Rotte bereits Jesus verhöhnend herumschleppte. Petrus nahte schüchtern, und wenn er sich gleich als verdächtig beobachtet fühlte, so trieb ihn doch die Angst um Jesus, sich durch die Tür zu drängen, die von allerlei Gesindel besetzt war, das der Verspottung zusah. Da schleppten sie soeben Jesus mit dem Strohkranze gekrönt im Kreis. Er blickte Petrus gar ernst und warnend an. Petrus war ganz zerschmettert von Leid. Da er aber noch immer mit der Furcht kämpfte und von einigen Umstehenden die Worte hörte: «Was ist das für ein Kerl?» so ging er wieder hinaus in den Hof und war so traurig und von Mitleid und Angst verwirrt, dass er nur mit zögernden Schritten wandelte. Weil er sich aber beobachtet sah, ging er wieder in das Atrium, trat zum Feuer und saß eine gute Weile daselbst, bis einzelne, die ihn draußen gesehen und seine Verwirrung bemerkt hatten, auch wieder hinzutraten und wieder mit ihm anfingen, indem sie von Jesus und seinem Treiben hin und her schmähten. Einer sagte: «Wahrlich, du gehörst auch zu seinem Anhang, du bist ein Galiläer, die Sprache verrät dich.» Als Petrus aber sich ausreden und weggehen wollte, trat ihm ein Bruder des Malchus entgegen und sagte: «Wie? Habe ich dich nicht mit ihnen im Garten am Ölberg gesehen? hast du nicht das Ohr meines Bruders verwundet?»

Da ward Petrus in seiner Bedrängnis wie unsinnig, und fing, indem er sich von ihnen losmachte, nach seiner heftigen Art zu fluchen und zu schwören an, dass er diesen Menschen gar nicht kenne, und lief aus dem Atrium in den das Haus umgebenden Hof. Es war die Zeit, dass der Hahn wieder krähte. Und sie führten Jesus eben aus dem runden Saal durch diesen Hof hinab in den Kerker unter demselben. Es wendete sich Jesus zu Petrus und schaute ihn gar traurig und erbärmlich an. Und Petrus fiel das Wort Jesu: «Ehe der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen» mit furchtbarer Gewalt aufs Herz. Er hatte, in Kummer und Angst ermüdet, seines vermessenen Versprechens am Ölberg, mit seinem Meister eher zu sterben, als Ihn zu verleugnen, und der drohenden Mahnung ganz vergessen gehabt. Bei dem Anblick Jesu aber zerschmetterte ihn das ganze Gefühl seiner Schuld. Er hatte gesündigt. An seinem misshandelten, unschuldig verurteilten, schweigend das Entsetzlichste erleidenden Heiland, der ihn so treulich gewarnt, hatte er gesündigt. Wie von Sinnen aus Reue, eilte er in den äußern Hof des Hauses hinaus, mit verhülltem Haupt bitterlich weinend. Er fürchtete sich nicht mehr, angeredet zu werden, jedem hätte er gesagt, wer er sei, und wie große Schuld auf ihm ruhe.

Wer vermisst sich, zu sagen, in solcher Gefahr, Bedrängnis, Angst, Verwirrung, in solchem Kampf zwischen Liebe und Furcht, ermattet, durchwacht und abgehetzt, halb von Sinnen vor Schmerz über die gedrängten Trübsale dieser jammervollen Nacht würde er bei einem so kindlichen und zugleich so eifrigen Temperament stärker gewesen sein, als Petrus? Der Herr überließ ihn seiner eigenen Kraft. Da ward er so ohnmächtig, als alle es sind, welche der Worte vergessen: «Betet und wachet, auf dass ihr nicht in Versuchung fallet!»

18. Maria am Richthaus des Kaiphas

Die heiligste Jungfrau, im stetem, innerem Mitleiden mit Jesus, wusste und empfand alles, was Ihm geschah. Sie litt alles in geistiger Anschauung selber mit und war gleich Ihm in stetem Gebet für seine Peiniger. Aber ihr mütterliches Herz schrie auch immer zu Gott. Er möge doch diese Sünden nicht geschehen lassen! Er möge doch diese Peinen von ihrem heiligsten Sohn abwenden und sie sehnte sich unwiderstehlich in die Nähe, ihres armen misshandelten Sohns. Als nun Johannes nach dem schrecklichen Rufe: «Er ist des Todes schuldig» aus dem Vorhof Kaiphä zu ihr zum Haus des Lazarus in Jerusalem, welches unfern dem Ecktor lag, gekommen war, und als er ihr mit seiner Botschaft alle die schrecklichen Leiden ihres göttlichen Sohnes, deren Größe sie aus ihren innerlichen Anschauungen wohl kannte, nun auch äußerlich bestätigte, verlangte sie nebst der von Schmerz fast sinnlosen Magdalena und einigen anderen heiligen Frauen, in die Nähe ihres leidenden Jesus gebracht zu werden. Johannes, der die Nähe seines göttlichen Meisters nur ihr zum Troste, die ihm nach Jesus die Nächste war, verlassen hatte, geleitete die heiligste Jungfrau, welche von den heiligen Frauen geführt wurde, aus dem Haus. Magdalena schwankte händeringend neben den anderen durch die mondhellen, von Heimkehrenden belebten Straßen. Sie wandelten verhüllt, aber ihr gedrängter und von Ausbrüchen der Wehklage unterbrochener Zug machte manche vorüberziehende Schar der Feinde Jesu aufmerksam auf sie, und viele bittere, ihnen zu Gehör lauter gesprochenen Schmähworte gegen den Herrn erneuerten ihre Schmerzen. Die betrübteste Mutter litt in steter innerlicher Anschauung die Peinigung Jesu, welche sie still, wie alles, in ihrem Herzen bewahrte, denn sie litt, wie Er, schweigend mit Ihm. Die heiligen Frauen hielten die Arme um sie gebreitet, und unter einem Torbogen der inneren Stadt, durch welchen ihr Weg führte, kamen einige Wohlgesinnte entgegen, welche von des Kaiphas Richthaus heimkehrten und wehklagten. Diese nahten den heiligen Frauen, und da sie Jesu Mutter erkannten, verweilten sie einige Zeit mit herzlichem Mitleid sie begrüssend: «O du unglücklichste Mutter! Du traurigste Mutter! O du schmerzvolle Mutter des Heiligsten aus Israeli» Maria aber dankte ihnen im Herzen und die heiligen Frauen setzten mit eilenden Schritten ihren traurigen Weg fort.

Als sie dem Haus des Kaiphas nahten, führte sie der Weg an der dem Eingang entgegengesetzten Seite hin, wo nur eine Mauer es umgibt, während an der Seite des Eingangs der Weg durch zwei Höfe führt. Hier kam ein neuer bitterer Schmerz über die Mutter Jesu und ihre Begleiter. Sie mussten hier an einem erhöhten ebenen Platz vorüber, auf welchem man bei Fackelschein unter einem leichten Zeltdach am Kreuze Christi zimmerte. Die Feinde Jesu hatten schon, als Judas zum Verrat auszog, befohlen, so Jesus gefangen würde, das Kreuz sogleich für Ihn zu bereiten, damit dem Pilatus kein Aufschub bleibe, denn sie gedachten, ihm den Herrn ganz früh zur Verurteilung zu überliefern und erwarteten nicht, dass es so lange dauern würde. Die Kreuze aber für die beiden Schächer hatten die Römer schon bereitet. Hier durchbohrten Flüche und Hohnworte der Arbeiter über Jesus, um dessenwillen sie nachts arbeiten müssten, das von jedem Beilschlag verwundete Herz der betrübtesten Mutter. Dennoch betete sie für die blinden Menschen, welche fluchend das Werkzeug ihrer Erlösung und des Martertodes ihres Sohnes bereiteten.

Als sie nun um das Haus herum in den äußersten Hof gelangt waren, trat Maria, von den heiligen Frauen umgeben, mit Johannes in einen Winkel unter dem Tor des nächsten Hofes. Ihre Seele aber war unter unsäglichen Schmerzen bei Jesus. Die heiligste Jungfrau sehnte sich wohl sehr nach der Eröffnung des Tores und hoffte durch die Vermittlung des Johannes hineinzukommen, denn sie fühlte, dass nur dieses Tor sie von ihrem Sohn trennte, der bei dem zweiten Hahnenschrei aus dem Haus in den Kerker unter dasselbe geführt worden war. Indessen öffnete sich das Tor und vor den Herausstretenden stürzte Petrus mit vorgehaltenen Händen und verhülltem Haupt heftig weinend ihnen entgegen. Mond- und Fackellicht ließ ihn gleich Johannes und die heiligste Jungfrau erkennen. Es war ihm, als trete ihm das Gewissen nun auch in Gestalt der Mutter entgegen, nachdem ihr Sohn ihn anschauend es aufgeschreckt hatte. Ach! Wie klang es dem armen Petrus in die Seele, als Maria ihn anredete: «O Simon! Wie steht es um Jesus, meinen Sohn?» Er vermochte ihren Anblick nicht zu ertragen, wendete sich händeringend zur Seite und konnte nicht sprechen, aber Maria ließ ihn nicht, sie nahte ihm und sprach sehr schmerzlich: «O Simon, Kephas Sohn, du antwortest mir nicht?» Da rief Petrus im tiefsten Jammer aus: «O Mutter, sprich nicht mit mir, dein Sohn leidet Unmenschliches. Sprich nicht mit mir, sie haben Ihn zum Tode verdammt und ich habe Ihn dreimal schändlich verleugnet!» Und als ihm Johannes nahte, um mit ihm zu sprechen, eilte Petrus, wie von Sinnen vor Betrübnis, aus dem Hof fliehend zur Stadt hinaus in jene Höhle am Ölberg, in welcher die Hände des betenden Jesus sich in den Stein abgedrückt hatten. In dieser Höhle hat unser erster Vater Adam auch gebüsst, als er hier zuerst zu der fluchbelasteten Erde kam.

Die heiligste Jungfrau, im Mitleiden dieses neuen Schmerzes Jesu, den derselbe Jünger, der Ihn zuerst als den Sohn des lebendigen Gottes erkannt hatte, nun verleugnete, sank nach Petri Worten neben dem Pfeiler des Tores auf den Stein nieder, auf welchem sie stand, und es drückten sich Spuren ihrer Hand oder ihres Fußes auf dem Steine ab, der noch, doch entsinne ich mich jetzt nicht mehr wo, besteht. Ich habe ihn gesehen. Es blieben aber nun, da die meisten Menschen nach Jesu Einkerkerung weggingen, die Tore der Höfe offen, und als die heiligste Jungfrau sich erhoben hatte, verlangte sie ihrem geliebten Sohn näher zu sein. Da führte sie Johannes mit den heiligen Frauen bis vor das Gefängnis des Herrn. Sie wusste wohl um Jesus, und Jesus um sie. Aber auch mit ihren äußeren Sinnen wollte die treuste Mutter die Seufzer ihres Sohnes hören, und sie vernahm sein Seufzen und den Hohn seiner Umgebung. Sie konnten hier nicht lange unbeobachtet verweilen. Magdalena bewegte die Heftigkeit ihrer Schmerzen zu gewaltig, und wenn gleich die heiligste Jungfrau auch im äußersten Leiden durch eine heilige Gemessenheit wunderbar ehrwürdig erschien, so wurden ihr doch auch hier auf diesem kurzen Wege die bitteren Worte zu Gehör gebracht: «Ist diese nicht des Galiläers Mutter? Ihr Sohn muss gewiss ans Kreuz, doch wohl vor dem Fest nicht. Er müsste denn der schändlichste Bösewicht sein.» Da wendete sie sich, und, vom inneren Geiste getrieben, schritt sie bis gegen das Feuer im Atrium, wo nur noch weniges Gesindel stand. Ihre Begleitung folgte in stummem Schmerz. An diesem Ort des Gräuels, wo Jesus ausgesprochen, dass Er Gottes Sohn sei, und wo die Satansbrut ausgerufen: «Er ist des Todes schuldig», schien vor Schmerz die betrübteste Mutter mehr einer Sterbenden, als Lebenden ähnlich. Johannes und die heiligen Frauen geleiteten sie weiter. Das Gesindel schwieg und stutzte. Es war, als wandle ein reiner Geist durch die Hölle.

Der Weg führte sie wieder längs der hintern Seite des Hauses an jener traurigen Stelle vorüber, wo man mit der Bereitung des Kreuzes beschäftigt war. Sie konnten, wie mit dem Gericht, so auch mit dem Kreuz nicht fertig werden. Sie mussten öfters anderes Holz herbeischleppen, weil ihnen dieses oder jenes Stück misslang oder zerbrach, bis sie das verschiedene Holz auf die Weise zusammengefügt hatten, wie Gott es haben wollte. Ich habe mancherelei Bilder hierüber gehabt, auch sah ich, als hinderten sie Engel in ihrer Arbeit, bis sie nach Gottes Willen vollendet ward. Da ich mich aber dessen nicht mehr klar erinnere, so lasse ich es dahingestellt sein.

19. Jesus im Kerker

Der Kerker Jesu unter dem Gerichtshaus des Kaiphas war ein kleines rundes Gewölbe. Ich sah, es bestehe noch jetzt ein Teil dieser Stelle. Nur zwei der vier Schergen blieben hier bei Ihm, lösten sich aber nach kurzer Zeit mehrmals mit andern ab. Man hatte dem Herrn seine Kleider noch nicht wieder zurückgegeben. Er war nur mit dem so beschmutzten Spottmantel bekleidet und seine Hände waren gebunden.

Als der Herr in den Kerker trat, betete Er zu seinem himmlischen Vater, Er möge alle Misshandlung und Verhöhnung, die Er bis jetzt erlitten und noch erleiden werde, als ein Sühnopfer für seine Peiniger und alle Menschen aufnehmen, die jemals im Leiden sich durch Ungeduld und Zorn versündigen könnten.

Auch hier ließen die Peiniger dem Herrn keine Art von Ruhe. Sie banden Ihn in der Mitte des Kerkers an eine niedere Säule und vergönnten Ihm nicht, sich anzulehnen, so dass Er auf seinen ermüdeten, vom Fallen und dem Anschlagen der Kette, die bis zu den Knien niederhing, verwundeten und geschwollenen Füßen hin und her schwankte. Sie hörten nicht auf, Ihn zu verhöhnen und zu misshandeln. Als die beiden anwesenden Schergen ermüdeten, wurden sie von zwei andern abgelöst, welche eintretend neue Bubenstücke vollzogen.

Es ist mir nicht möglich, alle diese Bosheit zu wiederholen, welche sie gegen den Reinsten und Heiligsten vorbrachten. Ich bin zu krank, ich starb beinah vor Mitleid. Ach! Wie beschämend ist für uns, dass wir die unzähligen Misshandlungen, welche der unschuldige Erlöser geduldig für uns erlitt, aus Weichlichkeit und Ekel vor dem Leiden nicht einmal zu erzählen oder anzuhören vermögen. Es fasst uns dabei ein Entsetzen, jenem des Mörders ähnlich, der seine Hand auf die Wunden des Erschlagenen legen soll. Jesus trug alles, ohne seinen Mund zu öffnen. Es waren die Menschen, die Sünder, die gegen ihren Bruder, ihren Erlöser, ihren Gott wüteten. Ich bin auch eine arme Sünderin, auch um meinetwillen ist Ihm all dies Leid geschehen. Am Tage des Gerichts wird alles offenbar werden, da werden wir alle sehen, wie wir an der Misshandlung des Sohnes Gottes, da Er als Sohn des Menschen in der Zeit war, teil hatten durch unsere Sünden, die wir fort und fort noch begehen, und die fortgesetzt eine Art von Einwilligung und Anschließung zu den Misshandlungen Jesu durch jene teuflische Rotte sind. Ach! Wenn wir das recht bedächten, wir würden mit weit größerem Ernste als bisher jene Worte beten, die in vielen Bußgebeten vorkommen: «Herr, lasse mich lieber sterben, als dass ich Dich nochmals durch Sünde beleidigen sollte!»

In diesem Kerker stehend betete Jesus fortwährend für seine Quäler, und als sie zuletzt ermüdet etwas ruhiger wurden, sah ich Jesus an dem Pfeiler lehnend, ganz von Licht umgeben. Es brach der Tag an, der Tag seiner unendlichen Leiden und Genugtuung. Der Tag unserer Erlösung blickte durch eine Öffnung oben an der Kerkerwand zaghaft auf unser heiliges, misshandeltes Osterlamm, welches alle Sünden der Welt auf sich genommen hat. Und Jesus hob seine gefesselten Hände empor dem jungen Tage entgegen und betete laut und vermehmlich zu seinem Vater im Himmel ein sehr rührendes Gebet, worin Er Ihm für die Sendung dieses Tages dankte, nach welchem sich die Altväter schon gesehnt, nach welchem Er seit seiner Ankunft auf Erden so sehnlich geseufzt hatte, dass Er sprach: «Ich muss mich taufen lassen mit einer Taufe, und wie sehr drängt es mich, bis sie vollbracht werde.» Wie rührend dankte der Herr für diesen Tag, der das Ziel seines, Lebens, unser Heil, vollenden, den Himmel eröffnen, die Hölle besiegen, den Menschen die Quelle des Segens erschließen und den Willen seines Vaters erfüllen sollte.

Ich habe sein Gebet mitgebetet, aber ich kann es nicht mehr aussprechen. Ich war so krank vor Mitleid und musste so weinen in seinen Schmerzen, als Er noch dankte für all das entsetzliche Leiden, das Er auch für mich getragen, und ich flehte immer: «Ach, gib mir, gib mir deine Schmerzen, sie gehören mir, sie sind für meine Schuld.» Da blickte der Tag herein, und Er grüsste den Tag mit so rührendem Dankgebete, dass ich, ganz vernichtet von Liebe und Mitleid, seine Worte wie ein Kind nachsprach. Es war unbeschreiblich traurig, liebevoll, ernst und heilig nach all dem gräulichen Getöse der Nacht, wie Jesus mitten im engen Kerker an einer niederen Säule leuchtend stand und den ersten Strahl des großen Opfertages dankend grüsste. Ach! Es war, als komme dieser Strahl zu Ihm, wie der Blutrichter zu einem Hinzurichtenden in den Kerker, um sich zuvor mit ihm zu versöhnen. Und Er dankte ihm so lieblich. Die Schergen, welche ermüdet etwas eingeschlummert schienen, sahen auf und stutzten. Sie störten Ihn nicht, sie schienen verwundert und erschreckt. Jesus mag etwas über eine Stunde in diesem Kerker gewesen sein.

20. Judas beim Gerichtshaus

Während Jesus in dem Kerker war, kam Judas, der bisher, wie ein Verzweifelter, vom Satan getrieben, an der steilen Mittagsseite von Jerusalem im Tal Hinnom herumgelaufen war, wo Auswurf und Knochen und Aas liegt, in den Umkreis des Richthauses von Kaiphas. Er schlich umher und hatte den Bündel zusammengekettelter Silberlinge, den Preis seines Verrates, noch an seiner Seite am Gürtel hängen. Es war schon stille geworden, und er fragte unerkannt die Wachen des Hauses, was es mit dem Galiläer werden werde? Sie sagten ihm: «Er ist zum Tod verdammt und wird gekreuzigt werden.» Andere hörte er untereinander reden, wie grässlich man mit Ihm umgegangen und wie geduldig Er gewesen ist. Mit Tagesanbruch werde Er nochmals vor den Hohen Rat gestellt, um dort feierlich verurteilt zu werden. Während der Verräter, um nicht erkannt zu werden, diese Nachrichten hie und da eingesammelt hatte, brach der Tag an und es entstand schon mannigfaltige Bewegung in und um das Haus. Da zog sich Judas gegen die Rückseite des Hauses, um nicht gesehen zu werden, denn er floh die Menschen wie Kain, und es brütete die Verzweiflung in seiner Seele. Aber was trat ihm hier entgegen? Da war die Stelle, wo sie am Kreuz gearbeitet hatten, die einzelnen Stücke lagen geordnet nebeneinander, und die Arbeiter schliefen in ihre Decken gehüllt dazwischen. Der Himmel schimmerte weiß über dem Ölberg. Es war, als schaudere er, das Werkzeug unserer Erlösung anzublicken. Judas blickte entsetzt und floh. Er hatte den Galgen gesehen, an den er den Herrn verkauft. Er versteckte sich aber in der Gegend und harrte auf den Schluss des Morgengerichtes.

21. Morgengericht über Jesus

Bei Anbruch des Tages, als es hell geworden, versammelten sich Kaiphas, Annas, die Ältesten und Schriftgelehrten wieder im großen Richtsaal zu einer vollkommen gültigen Ratssitzung, denn das Gericht zur Nachtzeit war nicht rechtsgültig und sollte nur, weil am Fest die Zeit drängte, ein vorbereitendes Zeugenverhöhr sein. Die meisten Ratsherren hatten im Haus des Kaiphas den Rest der Nacht in Nebengemächern und Nikodemus dem Richtsaal auf Ruhebetten zugebracht. Viele, wie auch Nikodemus und Joseph von Arimathäa, kamen mit Tagesanbruch. Es war eine große Versammlung und alles ihr Tun war sehr eilig. Da sie nun Rat gegen Jesus hielten, um Ihn zum Tod zu verurteilen, stritten Nikodemus, Joseph von Arimathäa und wenige andere gegen die Feinde Jesu und verlangten, dass die Sache bis nach dem Fest aufgeschoben werde, damit kein Tumult entstehe. Auch könne kein gerechtes Urteil auf die bis jetzt vorgebrachten Beschuldigungen gegründet werden, indem sich alle Zeugen widersprochen hätten. Die Hohenpriester und ihre große Partei wurden erbittert darüber und ließen die Andersgesinnten deutlich genug merken, es könne ihnen ja freilich dieses Gericht nicht gefallen, weil sie dadurch selbst beschuldigt würden, indem sie wohl von der Teilnahme an des Galiläers Lehre nicht ganz rein sein möchten, und somit schieden sie alle, weiche gut für Jesus gesinnt waren, von ihrem Rat aus. Diese aber protestierten gegen allen Anteil an dem, was hier beschlossen werden möchte, verließen den Ratssaal und begaben sich zum Tempel. Sie sind von diesem Ereignis an nie wieder in den Rat gekommen. Kaiphas aber befahl, den armen, misshandelten, durchwachten Jesus aus dem Kerker vor den Rat zu führen, und zwar so, dass man Ihn nach dem Urteil ohne Aufenthalt zu Pilatus bringen könne. Die Gerichtsknechte eilten mit Getöse in den Kerker, überfielen Jesus mit Schimpfworten, banden Ihm die Hände los, warfen Ihm den Lumpenmantel von den Schultern, trieben Ihn eilig unter Schlägen, seinen gewirkten langen Rock anzuziehen, der noch mit allem Unrat bedeckt war, banden Ihm die Stricke wieder um die Mitte des Leibes und führten Ihn aus dem Kerker hinauf. Es geschah dies, wie alles, mit stürmender Eile, mit schauderhafter Roheit. Er wurde von den Schergen durch die Reihen der vor dem Haus versammelten Kriegsknechte gleich einem armen Opfertier in den Gerichtssaal unter Hohn und Schlägen getrieben. Und als Er, durch Misshandlung, Verunreinigung und Ermattung so furchtbar entstellt, ohne andere Bekleidung als sein verwüstetes Unterkleid vor ihnen erschien, erzürnten sie durch Ekel nur noch mehr. Mitleid regte sich in keinem dieser harten jüdischen Herzen.

Kaiphas aber, voll Wut und Hohn gegen den so elend vor ihm stehenden Jesus, sprach zu Ihm: «Wenn Du der Gesalbte des Herrn, der Messias bist, so sage es uns!» Da erhob Jesus sein Haupt und sprach mit heiliger Geduld und feierlichem Ernste: «Werde Ich es euch sagen, so werdet ihr mir nicht glauben, und werde Ich euch darüber eine Frage stellen, so werdet ihr mir weder darauf antworten, noch mich freilassen. Von heute an aber wird der Sohn des Menschen zur Rechten der Kraft Gottes sitzen.» Da blickten sie sich untereinander an und sprachen mit Verachtung und Hohnlächeln zu Jesus: «Also Du! Du bist der Sohn Gottes?» Jesus aber antwortete mit der Stimme der ewigen Wahrheit: «Ja, wie ihr sagt. Ich bin es.» Auf dieses Wort des Herrn sprachen alle zueinander: «Was können wir noch für Beweise verlangen? Wir haben es ja nun selbst aus seinem Munde gehört.»

Indessen erhoben sich alle unter Schmähworten auf Jesus «den armen, hergelaufenen, hilflosen, elenden Menschen von niederer Abkunft, welcher ihr Messias sein und zur Rechten Gottes sitzen wolle.» Sie befahlen den Schergen, Ihn von neuem zu binden, ließen Ihm, wie den zum Tod Verurteilten, die Kette um den Hals legen, um mit Ihm zu Pilatus zu ziehen. Sie hatten schon einen Boten zu diesem gesendet, er möge sich frühe bereithalten, einen Verbrecher zu richten, da sie des Festes wegen eilen müssten. Sie murrten noch untereinander über den römischen Landpfleger, dass sie noch erst zu ihm hinziehen müssten, denn sie selbst durften in Sachen, die mehr als ihre Religions- und Tempelgesetze betrafen, kein Todesurteil vollziehen. Und da sie, um Jesus mit größerem Schein des Rechtes zum Tod zu bringen, Ihn auch als einen Verbrecher gegen den Kaiser richten lassen wollten, so kam die Verurteilung hauptsächlich dem römischen Landpfleger zu. Die Kriegsknechte waren im Vorhof und bis vor das Haus aufgestellt, und viele der Feinde Jesu und anderes Gesindel war vor dem Haus schon versammelt. Die Hohenpriester und ein Teil des Rates zogen voraus. Dann folgte der arme Heiland zwischen den Schergen, von der Kriegsschar umgeben, und zuletzt schloss sich alles Gesindel an. So zogen sie von Sion hinab in die untere Stadt zum Palast des Pilatus. Eine Anzahl der anwesenden Priester aber zog zum Tempel, wo heute vieles zu tun war.

22. Verzweiflung des Judas

Judas, der Verräter, der sich nicht weit entfernt hatte, hörte nun den Lärm des Zuges und manche Worte einzelner Nacheilenden, als z.B. «Sie führen Ihn zu Pilatus. Der hohe Rat hat den Galiläer zum Tod verdammt. Er muss ans Kreuz. Lebend kann Er doch nicht bleiben, sie haben Ihn schon schrecklich zugerichtet. Er ist geduldig zum Entsetzen. Er spricht nichts, Er sagte nur, Er sei der Messias und werde zur rechten Hand Gottes sitzen. Weiter sagte Er nichts, darum muss Er ans Kreuz. Hätte Er das nicht gesagt, sie hätten keine Todesschuld herausgebracht. Aber nun muss Er ans Kreuz. Der Schuft, der ihn verkauft hat, war sein Jünger und hat das Osterlamm noch eine Weile vorher mit Ihm gegessen. Ich möchte keinen Teil an dieser Tat haben. Der Galiläer sei, wie Er wolle, Er hat doch keinen Freund ums Geld in den Tod gebracht. Wahrlich, der Schurke verdiente auch zu hängen !» Da kämpften Angst, zu späte Reue und Verzweiflung in der Seele des Judas. Der Satan trieb ihn zu laufen. Der Bündel der Silberlinge an seinem Gürtel unter dem Mantel war ihm wie ein Sporn der Hölle. Er fasste ihn fest mit der Hand, dass er beim Laufen ihm nicht so rasselnd in die Seite schlage, lief mit großer Eile nicht dem Zug nach, nicht, um sich Jesus in den Weg zu werfen und den Erbarmer um Vergebung zu flehen, nicht, um mit Ihm zu sterben. Nein, nicht um seine Schuld vor Gott bereuend zu bekennen, sondern um sich von seiner Schuld und dem Verräterlohn vor den Menschen loszusagen, lief er wie ein Unsinniger in den Tempel, wohin sich mehrere des Rates als Vorsteher der diensttuenden Priester und auch Älteste nach der Verurteilung Jesu begeben hatten. Sie schauten einander verwundert an, und hefteten dann ihre Blicke mit stolzem Hohnlächeln auf Judas, der, von verzweifelter Reue getrieben, ganz entstellt vor sie hintrat, und, indem er den Bündel der zusammengekettelten Silberlinge von seinem Gürtel riss und sie ihnen mit der Rechten entgegenhielt, in heftiger Angst sprach: «Nehmt euer Geld wieder, durch das ihr mich zur Überlieferung des Gerechten verführt habt, nehmt euer Geld wieder! Gebet Jesus los! Ich hebe meinen Vertrag auf, ich habe schwer gesündigt, dass ich unschuldiges Blut verriet.» Die Priester aber ließen nun ihre ganze Verachtung an ihm aus, hoben die Hände zurückziehend vor den hingehaltenen Silberlingen, als wollten sie sich mit dem Verräterlohn nicht verunreinigen, und sagten: «Was geht das uns an, dass du gesündigt hast? Glaubst du unschuldiges Blut verkauft zu haben, so schau du zu, das ist deine Sache! Wir wissen, was wir von dir gekauft haben und fanden Ihn des Todes schuldig. Du hast dein Geld, wir wollen nichts davon!» Unter solchen Reden, die sie schnell und in der Art von Menschen sprachen, welche Geschäfte haben und des Ansprechenden los sein wollen, wendeten sie sich von Judas ab. Diesen aber ergriff bei dieser Behandlung eine Wut und eine Verzweiflung, dass er wie von Sinnen ward. Seine Haare sträubten sich empor, er zerriss mit beiden Händen den Bund, an welchem die Silberlinge zusammengekettelt waren, schleuderte sie zerstreut in den Tempel und floh zur Stadt hinaus.

Ich sah ihn wieder wie einen Rasenden im Tal Hinnom laufen und den Satan in furchtbarer Gestalt an seiner Seite, der ihm alle Flüche der Propheten über dieses Tal, wo die Juden ihre eigenen Kinder einst den Götzen geopfert hatten, in die Ohren flüsterte, um ihn zur Verzweiflung zu bringen. Ihm war, als deuteten alle solche Worte auf ihn mit Fingern, wie z.B. «Sie werden hinausgehen und die Leichen jener anschauen, die an mir gesündigt haben, deren Wurm nicht sterben, deren Feuer nicht auslöschen wird.» Dann tönte es wieder in seinen Ohren: «Kain, wo ist Abel, dein Bruder? Was hast du getan? Sein Blut schreit zu mir, verflucht bist du nun auf Erden, irrend und flüchtig.» Und als er an den Bach Kidron kam und gegen den Ölberg sah, da schauderte es ihn und er wandte die Augen weg, er hörte die Worte wieder: «Freund, wozu bist du gekommen? Judas, mit einem Kuss verrätst du den Menschensohn?» O da wurde es ihm so entsetzlich in der Seele, seine Sinne wurden verwirrt und der Feind flüsterte ihm in die Ohren: «Hier über den Kidron floh auch David vor Absalon. Absalon starb an einem Baum hängend. David hat auch von dir gesungen, da er sprach: «Sie haben Gutes mit Bösem vergolten, einen harten Richter soll er haben, der Satan soll zu seiner Rechten stehen, jedes Gericht soll ihn verdammen, wenige Tage soll er leben, sein Amt soll ein anderer haben, der Herr soll der Bosheit seiner Väter, der Sünden seiner Mutter immer gedenken, weil er ohne Barmherzigkeit den Armen verfolgt, den Betrübten getötet hat. Er hat den Fluch geliebt, er soll ihm werden, er legte den Fluch wie ein Kleid an, und wie Wasser drang er in sein Eingeweide, wie Öl in seine Gebeine, wie ein Kleid ist der Fluch um ihn, wie ein Gürtel, der ihn ewig gürtet.» Unter so schrecklichen Gewissensqualen war Judas an einen wüsten Ort voll Schutt, Auswurf und Sumpf, zwischen Mittag und Morgen von Jerusalem, am Fuße des Berges der Ärgernisse gekommen, wo ihn niemand sehen konnte. Von der Stadt tönte manchmal lauteres Getöse, und der Satan blies ihm dann ein: «Jetzt wird Er zum Tode geführt! Du hast Ihn verkauft! weißt du, was im Gesetze steht: Wer aus seinen Brüdern aus den Kindern Israel eine Seele verkauft und hat den Preis dafür empfangen, der soll des Todes sterben. Mach ein Ende, du Elender, mach ein Ende!» Da nahm Judas verzweifelnd seinen Gürtel und hängte sich an einen Baum, der in mehreren Stämmen (Die Erzählende beschrieb noch die Gestalt dieses Baumes sehr detailliert aber sie war so krank und schwach, dass es nicht aufgefasst werden konnte) aus dem Boden dort in einer Vertiefung wuchs. Und als er hing, platzte sein Leib und sein Eingeweide schüttete sich auf die Erde.

23. Jesus wird zu Pilatus geführt

Die grausame Führung des Herrn von Kaiphas zu Pilatus durchschnitt den bewohntesten Teil der Stadt, die jetzt von den Ostergästen aus dem ganzen Lande und unzähligen Fremden wimmelte. Der Zug ging mitternachtwärts vom Berge Sion herab quer durch eine enggebaute Talstraße, dann durch den Stadtteil Acra längs der Abendseite des Tempels bis zum Palast und Gerichtshaus des Pilatus, das an der Nordwestecke des Tempels dem großen Forum oder Markt gegenüber lag.

Kaiphas und Annas und eine große Anzahl des großen Rates schritten in festlicher Kleidung dem Zug voraus, und es wurden ihnen Schriftrollen nachgetragen. Ihnen folgten viele andere Schriftgelehrte und andere Juden, worunter alle die falschen Zeugen und erbosten Pharisäer, welche bei der Anklage des Herrn besonders tätig gewesen waren. Nach einem kleinen Zwischenraum ward, umgeben von einer Schar von Kriegsknechten und jenen sechs Beamten, die bei seiner Gefangennahme gewesen waren, unser lieber Herr Jesus von den Schergen an Stricken geführt. Vieles Gesindel strömte von allen Seiten herzu und schloss sich mit Geschrei und Hohn dem Zug an, und am Wege harrte überall das Volk in gedrängter Menge.

Jesus war nur mit seinem gewirkten, von Auswurf und Schmutz bedeckten Unterkleid bekleidet. Von seinem Hals nieder hing Ihm bis zu den Knien die lange, breitgliedrige Kette, die Ihm beim Gehen schmerzlich an die Knie schlug. Seine Hände waren wie gestern gebunden, und die vier Gerichtsdiener führten Ihn wieder an Stricken, die von seinem Gürtel ausliefen. Er war von den schrecklichen Misshandlungen dieser Nacht ganz entstellt, ein schwankendes Jammerbild, mit zerrauftem Haar und Bart, bleichem, von Schlägen geschwollenem und gebräuntem Antlitz. Er ward unter Misshandlungen und Hohn fortgetrieben. Man hatte vieles Gesindel aufgewiegelt, in diesem Zug seinen königlichen Einzug am Palmsonntag zu verhöhnen. Man rief Ihm allerlei spöttische Königsnamen zu und warf Ihm Steine, Prügel, Stücke Holz, schmutzige Lumpen vor die Füße in den Weg, und rückte Ihm seinen festlichen Einzug in allerlei Spottliedern und Ausrufungen vor. Die Gerichtsdiener zerrten Jesus an den Stricken über diese Hindernisse mit Stößen hinweg und der ganze Weg war eine fortgesetzte Misshandlung.

Nicht sehr weit vom Hause des Kaiphas harrte die mitleidende heiligste Mutter Jesu, mit Magdalena und Johannes in den Winkel eines Gebäudes gedrängt, auf den nahenden Zug. Ihre Seele war immer bei Jesus, aber so sie Ihm auch leiblich nahen konnte, ließ die Liebe sie nicht ruhen und trieb sie auf seine Wege und in seine Fußstapfen. So hatte sie nach ihrem nächtlichen Gang zum Richthaus des Kaiphas nur kurze Zeit in stummer Trauer am Abendmahlssaal verweilen können, denn kaum war Jesus wieder aus dem Kerker vor das Morgengericht geführt, als sie sich auch aufrichtete, in ihren Mantel und Schleier hüllte, und voranschreitend zu Johannes und Magdalena sprach: «Wir wollen meinem Sohn zu Pilatus folgen. Ich will Ihn mit meinen Augen sehen.» Da waren sie auf einem Umweg dem Zug vorausgegangen, und die heiligste Jungfrau war an dieser Stelle harrend stehen geblieben und die andern mit ihr. Die Mutter Jesu wusste wohl, wie es mit ihrem Sohn stand. Ihre Seele hatte Ihn immer vor Augen, aber ihr inneres Auge konnte Ihn nie so entstellt und misshandelt sehen, als Er es durch die Bosheit der Menschen geworden war. Sie sah wohl fortwährend seine schrecklichen Leiden, aber ganz von der Heiligkeit, Liebe und Geduld seines sich opfernden Willens durchleuchtet. Nun aber trat die niedere, furchtbare Wirklichkeit vor ihre Anschauung. Die stolzen, wütenden Feinde Jesu, die Hohenpriester des wahren Gottes, in den heiligen Feierkleidern, zogen ihr vorüber in gottesmörderischem Vorhaben voll Tücke, Lug und Trug und Fluch. Die Priester Gottes waren Priester des Satans geworden. Ein entsetzlicher Anblick! Und dann das Getöse und Geschrei des Volkes, und alle die meineidigen Feinde und Ankläger! Und endlich Jesus, Gottes Sohn, des Menschen Sohn, ihr Sohn, entstellt und misshandelt, gebunden, geschlagen, getrieben, mehr schwankend als gehend, von gräulichen Henkern an Stricken fortgerissen, in einer Wolke von Hohn und Fluch ! Ach ! wäre Er nicht der Ärmste, Elendeste, und allein Ruhige und liebend Betende in diesem Sturm der losgelassenen Hölle gewesen, sie hätte Ihn in so schrecklicher Entstellung nicht erkannt, denn Er hatte nur sein von den Schergen so boshaft beschmutztes Unterkleid an. Als Er ihr nahte, jammerte sie menschlicherweise: «Weh! Ist dies mein Sohn? Ach! es ist mein Sohn! O Jesus, mein Jesus!» Der Zug ging treibend vorüber, Jesus blickte seitwärts seine Mutter gar beweglich an. Sie aber ward ganz innerlich und Johannes und Magdalena brachten sie weg. Kaum hatte sie sich etwas erholt, als sie sich wieder von Johannes zum Palast des Pilatus geleiten ließ.

Dass die Freunde uns in der Not verlassen, musste auch Jesus auf diesem Weg erleben, denn die Einwohner aus Ophel waren alle an einer Stelle des Weges versammelt. Aber als sie Jesus so verachtet und entstellt zwischen den Gerichtsdienern hinführen sahen, wurden auch sie in ihrem Glauben erschüttert. Sie konnten sich nicht vorstellen, dass der König, der Prophet, der Messias, der Sohn Gottes in einem solchen Zustande sein könne. Sie wurden auch von den vorübergehenden Pharisäern wegen ihrer Anhänglichkeit an Jesus verhöhnt: «Da seht euren saubern König - begrüsst Ihn! Jetzt hängt ihr das Maul, da Er zu seiner Krönung geht und bald seinen Thron besteigen wird. Es ist aus mit dem Wundertun. Der Hohepriester hat Ihm die Zauberei gelegt.» Diese armen Leute, welche so viele Heilungen und Gnaden von Jesus empfangen hatten, wurden durch das schreckliche Schauspiel, welches die geheiligten Personen des Landes, der Hohepriester und das Synedrium, vor ihnen vorüber führten, in ihrem Glauben wankend. Die Besseren zogen sich zweifelnd zurück. Die Schlechteren schlossen sich höhnend dem Zug an, wie sie konnten. Denn die Zugänge waren hie und da mit Wachen der Pharisäer besetzt, um allen Tumult zu verhindern.

24. Palast des Pilatus und Umgegend

Am Fuße der Nordwestecke des Tempelberges (Wahrscheinlich dicht an der Burg Antonia, von welcher sie oft erwähnte, dass sie hier liege) liegt der Palast des römischen Landpflegers Pilatus, ziemlich erhöht, denn man steigt eine Marmortreppe von vielen Stufen hinauf, und er überschaut einen vor ihm liegenden geräumigen Marktplatz, der mit Hallen für die Kaufleute unter Säulengängen umschlossen ist. Ein Wachhaus und vier Eingänge gegen Abend, Mitternacht, Morgen und Mittag, wo der Palast des Pilatus liegt, unterbrechen diese Umbauung des Marktes, der das Forum genannt wird und sich abendwärts noch über die Nordwestecke des Tempelberges hinausstreckt. Man kann auf diesem Ende des Forums zum Berge Sion hinsehen. Es liegt das Forum etwas erhöht gegen die umliegenden Straßen, welche zu seinen Eingängen etwas aufsteigen. An die äußere Seite seines Hallenumfangs lehnen sich an einzelnen Stellen die Häuser der nahen Straßen an. Der Palast des Pilatus stößt nicht unmittelbar an das Forum, sondern ist durch einen geräumigen Hof von demselben getrennt. Dieser Hof hat an der Morgenseite einen hohen Bogen als Tor, welches gerade in eine Straße gegen das Schaftor zuführt, wo man zum Ölberg hinausgeht. An seiner Abendseite hat dieser Hof wieder einen hohen Bogen als Tor, welches zur Abendseite der Stadt, und durch den Stadtteil Acra auf Sion hinführt. Von der Treppe des Pilatus aus, schaut man über den Hof gegen Mitternacht zu auf das Forum, bei dessen Eingang hier Säulenstellungen und einige steinerne Sitze gegen den Hof des Pilatus zu angebracht sind. Bis zu diesen Sitzen und nicht weiter nahten sich die jüdischen Priester dem Gerichtshof des Pilatus, um sich nicht zu verunreinigen. Ihre Grenze war durch eine ausgezeichnete Linie im Pflaster des Hofes bestimmt. Beim westlichen Bogentor des Hofes war in den Umfang des Marktes ein großes Wachhaus eingebaut, welches, nördlich mit dem Forum und südlich durch das Bogentor mit dem Prätorium des Pilatus sich berührend, einen Vorhof, ein Atrium von dem Forum aus zu diesem Prätorium bildet. Prätorium aber heißt der Teil vom Palast des Pilatus, wo er Gericht hält. Dieses Wachhaus ist mit Säulenhallen umgeben, hat einen dachlosen Hof in der Mitte, und unter ihm befinden sich Gefängnisse, wo auch die beiden Schächer eingesperrt sind. Es wimmelte da von römischen Soldaten. Unweit dieses Wachhauses steht nächst den um-gebenden Hallen auf dem Forum die Geißelsäule. Es stehen noch mehrere Säulen im Umkreis des Marktes. Die näheren zu Leibesstrafen, die entfernteren aber, um das zu verkaufende Vieh daran zu binden. Dem Wachhaus gegenüber auf dem Forum ist eine mit Stufen aufgemauerte, schön geplattete Terrasse, wie ein Hochgericht, worauf Steinbänke sind. Von diesem Ort aus, der Gabbatha heißt, spricht Pilatus seine feierlichen Gerichtsurteile. Die zum Palast des Pilatus aufsteigende Marmortreppe führt zu einer offenen Terrasse, von welcher aus er mit den Anklägern sprach, welche gegenüber zunächst dem Eingang des Forums auf den Steinbänken saßen. Laut sprechend, kann man sich hier gegenseitig verstehen.

Hinter dem Palast des Pilatus liegen noch höhere Terrassen mit Gärten und einem Lusthaus. Durch diese Gärten hängt der Palast des Pilatus mit der Wohnung seiner Frau, die Claudia Procle heißt, zusammen. Hinter diesen Bauwerken ist noch ein Graben, der sie vom Tempelberge (Vielleicht ein Graben der Burg Antonia) scheidet. Auch liegen dort zurück noch Wohnungen von Tempeldienern.

An die Morgenseite des Palastes von Pilatus stößt jenes Rats- oder Gerichtshaus des alten Herodes, in dessen innerem Hof einst viele unschuldige Kinder gemordet worden sind. Es ist jetzt etwas verbaut gegen damals. Der Eingang ist jetzt von der Morgenseite her, jedoch auch einer für Pilatus aus dessen Vorhaus.

Von Morgen her laufen an dieser Seite der Stadt vier Straßen abendwärts. Drei führen gegen des Palastes des Pilatus und das Forum, die vierte aber an der Nordseite des Forums vorüber, gegen das Tor hin, durch das man nach Bethsur geht. Nahe bei diesem Tor liegt in dieser Straße das schöne Gebäude, welches Lazarus in Jerusalem besitzt, und an welchem auch Martha eine eigene Wohnung hat.

Die dem Tempel nächste dieser vier Straßen läuft vom Schaftor aus, neben welchem, wenn man hineingeht, zur Rechten der Schafteich so dicht an die Mauer gebaut liegt, dass in der Mauer Bogen über ihm angebracht sind. Er hat einen Ablauf vor die Mauer hinaus ins Tal Josaphat, wodurch es an dieser Stelle vor dem Tor sumpfig ist. Es umgeben diesen Teich noch einige Bauwerke. Die Opferlämmer werden an diesem Teich, ehe man sie zum Tempel hinaufbringt, zum ersten Mal aus dem Groben gewaschen. Am Teich Bethesda, südlich vom Tempel, erhalten sie später noch eine Zeremonialreinigung. In der zweiten Straße liegt ein Hof und das Haus der Mutter Mariä, der heiligen Anna, gehörig, wo sie und ihre Familie sich aufhielten und ihr Opfervieh einstellten, wenn sie an den Festtagen nach Jerusalem kamen. In diesem Haus ist auch, so ich mich jetzt recht erinnere, die Hochzeit Josephs und Mariä gefeiert worden.

Das Forum liegt, wie ich sagte, höher als die umgebenden Straßen und es laufen Wasserrinnen in diesen zum Schafteiche hinab. Auf dem Berge Sion zieht sich auch ein solches Forum vor der ehemaligen Burg Davids hinan, südöstlich liegt in seiner Nähe der Abendmahlssaal und nördlich des Annas und Kaiphas Richthaus. Die Burg Davids ist jetzt eine verlassene wüste Festung voll leerer Höfe, Ställe und Kammern, die als Herbergsräume für Karawanen und fremdes Volk und ihre Lasttiere vermietet werden. Dieses Gebäude liegt schon lange verödet. Ich sah es schon bei Christi Geburt in seiner jetzigen Bestimmung. Damals wurde der Zug der heiligen drei Könige mit seinen vielen Lasttieren gleich vom Tor aus hineingeführt.

25. Jesus vor Pilatus

Es war nach unserer Zeit ungefähr sechs Uhr morgens, als der Zug der Hohenpriester und Pharisäer mit dem schrecklich misshandelten Heiland vor den Palast des Pilatus kam. Zwischen dem Markt und dem Eingang des Gerichtshofes waren Sitze an beiden Seiten des Weges, wo Annas und Kaiphas und die mitgekommenen Ratsherren sich aufstellten. Jesus aber ward von den Gerichtsdienern an Stricken etwas vorwärts bis unten an die Treppe des Pilatus geführt. Pilatus lag, als sie ankamen, auf der vorspringenden Terrasse auf einer Art Ruhebett, und es stand ein kleines Tischchen auf drei Füßen neben ihm, worauf einige Standeszeichen und Sachen lagen, deren ich mich nicht mehr erinnere. Es standen Offiziere und Soldaten bei ihm, und es waren auch römische Gewaltzeichen aufgestellt. Die Hohenpriester und Juden hielten sich vom Richthaus fern, weil es sie nach dem Gesetz verunreinigte. Es war eine bestimmte Grenze, die sie nicht überschritten.

Als Pilatus sie so eilig unter großem Getöse und Geschrei heranziehen und den misshandelten Jesus zu seiner Treppe führen sah, stand er auf und sprach ganz höhnisch mit ihnen, so wie etwa ein hoffärtiger französischer Marschall mit den Deputierten einer armen kleinen Stadt: «Was habt ihr schon wieder so früh? Wie habt ihr den Menschen so elend zugerichtet? Ihr fangt früh an zu schinden und zu schlachten,» Sie aber riefen den Gerichtsdienern zu: «Voran mit Ihm ins Richthaus!» Dann richteten sie ihre Rede an Pilatus: «Höre unsere Klage gegen diesen Verbrecher an ! Wir können nicht in das Richthaus, dass wir uns nicht verunreinigen.»

Nach diesen laut ausgerufenen Worten schrie ein großer und starker, ehrwürdiger Mann aus dem Volk, das sich hinter ihnen auf dem Forum drängte: «Ja wohl dürft ihr nicht in dies Richthaus, denn es ist geheiligt durch unschuldiges Blut! Nur Er darf hinein, nur Er ist unter den Juden rein, wie die Unschuldigen!» Als er so mit großer Gemütsbewegung geschrien hatte, verschwand er unter der Menge. Er hieß aber Zadoch und war ein wohlhabender Mann und ein Vetter von dem Mann der Seraphia, die Veronika genannt wird. Zwei Knäblein von ihm waren unter den unschuldigen Kindern im Hof des Richthauses auf Befehl des Herodes ermordet worden. Er hatte sich seitdem ganz zurückgezogen und mit seiner Frau wie ein Essener in Enthaltung gelebt. Er hatte Jesus einmal bei Lazarus gesehen und lehren gehört, und in diesem Augenblick, da er den unschuldigen Jesus so elend die Treppe hinanzerren sah, brach die schmerzliche Erinnerung an seine dort gemordeten Kinder in seinem Herzen auf, und er schrie dem Herrn dieses Zeugnis seiner Unschuld aus. Die Ankläger Jesu waren zu drängend und geärgert über das Wesen des Pilatus und ihre demütige Stellung vor ihm, um auf dieses Geschrei besonders zu achten.

Jesus wurde von den Schergen die vielen Marmorstufen hinaufgezerrt und kam in den Hintergrund der Terrasse zu stehen, von welcher herab Pilatus mit seinen Anklägern sprach. Als er Jesus, von welchem schon mancherlei Gerüchte zu ihm gelangt waren, so schrecklich misshandelt und entstellt und dennoch mit einem unzerstörbaren Ausdruck von Würde an sich vorüberführen sah, wuchs seine ekelnde Verachtung gegen die jüdischen Priester und Räte, die ihm früher hatten entbieten lassen, dass sie ihm Jesus von Nazareth, der des Todes schuldig sei, zum Verurteilen überliefern würden, und er ließ sie empfinden, dass er nicht geneigt sei, Jesus ohne erwiesene Schuld zu verurteilen. Er sprach daher zugleich herrisch und höhnisch zu den Hohenpriestern: «Was für eine Schuld dieses Menschen habt ihr denn vorzubringen?» Worauf sie geärgert erwiderten: «Wenn wir Ihn nicht als einen Verbrecher erkannt hätten, so würden wir Ihn dir nicht überliefert haben.» Da sprach Pilatus: «Nun, so nehmt ihr Ihn euch hin, und richtet ihn nach eurem Gesetze.» Worauf sie entgegneten: «Du weißt, dass uns das Recht, ein Todesurteil vollziehen zu lassen, nicht unbeschränkt zusteht.»

Die Feinde Jesu waren voll Grimm und Ärger; alle ihre Verhandlungen gingen in stürmender Eile und Heftigkeit, damit sie vor ihrer gesetzlichen Festzeit mit Jesus fertig würden, um das Osterlamm schlachten zu können. Sie wussten aber nicht, dass Er das wahre Osterlamm war, welches sie selbst in das Gerichtshaus des heidnischen Götzendieners hinführten, an dessen Schwelle sie sich nicht verunreinigen wollten, um heute ihr Osterlamm essen zu können.

Da nun der Landpfleger sie aufforderte, ihre Klagen vorzubringen, begannen sie dieses zu tun, indem sie drei Hauptklagen gegen Jesus aussprachen, für deren jede zehn Zeugen auftraten. Sie stellten diese Klagen so, dass Jesus dadurch als ein Verbrecher gegen den Kaiser erscheinen, und von Pilatus verurteilt werden sollte, denn in bloßen Sachen ihres Religionsgesetzes und des Tempels haben sie wohl die Gerechtigkeit selbst handhaben können. Zuerst klagten sie: «Jesus sei ein Verführer des Volkes, ein Ruhestörer und Aufreger», und dann führten sie einzelne, mit Zeugen unterstützte Beweise davon auf. Sie sagten: «Er ziehe umher, halte große Versammlungen, breche den Sabbat, heile am Sabbat.» Da unterbrach sie Pilatus höhnisch: «Ihr seid wohl nicht krank, sonst würde das Heilen euch nicht solches Ärgernis geben.» Sie fuhren aber fort: «Er verführe das Volk durch gräuliche Lehren, denn Er sage, man solle sein Fleisch und Blut essen, dann werde man das ewige Leben haben.» Pilatus ärgerte sich an der hastigen Wut, womit sie dieses vorbrachten, er blickte seine Offiziere lächelnd an, und warf den Juden scharfe Worte hin, wie z.B.: «Es sollte beinah scheinen, als folgtet ihr seiner Lehre und wolltet das ewige Leben haben. Seid ihr doch, als wolltet ihr sein Fleisch und sein Blut essen.»

Ihre zweite Hauptbeschuldigung war: «Jesus wiegle das Volk auf, dem Kaiser die Steuer nicht zu zahlen.» Hier unterbrach sie Pilatus zürnend. Als einer, dessen Amtes es war, auf solche Dinge zu achten, sprach er, seiner Sache gewiss: «Dieses ist eine grobe Lüge, das muss ich besser wissen.» Die Juden aber schrieen, die dritte Hauptklage vorbringend, fort: «Es sei dem doch so, indem dieser Mensch von niederer, unklarer, verdächtiger Abkunft sich großen Anhang gemacht, und wehe über Jerusalem gerufen. Er streue auch zweideutige Parabeln unter dem Volk aus, von einem Könige, der seines Sohnes Hochzeit bereite. Das auf einem Berg in großer Menge um Ihn versammelte Volk habe Ihn schon einmal zum Könige machen wollen, aber es sei Ihm zu früh gekommen, und Er habe sich damals verborgen. In den letzten Tagen habe Er sich schon mehr hervorgewagt. Er habe sich einen lärmenden Einzug in Jerusalem halten, und sich: «Hosanna dem Sohn Davids! Hochgelobt das Reich unseres Vaters Davids, das da kommt!» zurufen und königliche Ehren erweisen lassen, denn Er lehre, «dass Er der Christus, der Gesalbte des Herrn, der Messias, der verheißene König der Juden sei, und lasse sich so nennen.» Auch diese Beschuldigung wurde von zehn Zeugen bezeugt.

Auf die Rede, dass Jesus sich den Christus, den König der Juden nennen lasse, ward Pilatus etwas nachdenkend. Er ging von der offenen Terrasse in die anliegende Gerichtsstube, warf vorübergehend einen aufmerksamen Blick auf Jesus, und befahl den Wachen, ihm den Herrn in die Gerichtsstube zu bringen.

Pilatus war ein verwirrter, abergläubischer, wetterwendischer Heide. Er hatte allerlei dunkle Ahnungen von Söhnen seiner Götter, die auf Erden gelebt hätten, auch war ihm nicht fremd, dass die Propheten der Juden seit langen Zeiten einen Gesalbten Gottes, einen Erlöser und Befreier, einen König vorhergesagt hatten, und dass viele Juden diesen erwarteten. Er wusste auch, dass Könige aus dem Morgenland bei dem alten Herodes gewesen, und nach einem neugebornen König der Juden gefragt hätten, um ihn zu verehren, und dass hierauf viele Kinder auf Befehl des Herodes ermordet worden seien. Von jenen Sagen über einen Messias, einen König der Juden wusste er wohl, aber er glaubte als ein eifriger Götzendiener nicht daran, konnte sich auch gar nicht denken, was das für ein König sein sollte. Er hätte höchstens auf Art der damaligen aufgeklärten Juden und Herodianer daran glauben können, welche sich einen siegreichen, mächtigen Herrscher darunter dachten. Um so lächerlicher erschien ihm die Beschuldigung, dass Jesus, der so elend, arm und entstellt vor ihm stand, sich für diesen Gesalbten Gottes, diesen König ausgeben sollte. Weil aber die Feinde Jesu dieses als eine die Rechte des Kaisers kränkende Beschuldigung vorgebracht hatten, ließ er den Heiland zum Verhöre vor sich führen.

Pilatus sah Jesus mit verwunderten Augen an und sprach zu Ihm: «Du also bist jener König der Juden?» Und Jesus erwiderte ihm: «Sagst du dieses aus deinem Herzen, oder haben andere dir dieses von mir gesagt?» Da wurde Pilatus unwillig, dass Jesus ihn für so töricht halten könne, einen so armen, elenden Menschen aus eigenem Einfall zu fragen, ob er ein König sei und sprach wegwerfend so viel aus: «Bin ich etwa ein Jude, dass ich von solchen Erbärmlichkeiten wissen sollte? Dein Volk und seine Priester haben Dich mir mit dieser Beschuldigung als des Todes schuldig zum Verurteilen übergeben. Sage, was hast Du denn getan?» Hierauf sprach Jesus feierlich zu ihm: «Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich von dieser Welt, so würde Ich wohl Diener haben, die für mich gekämpft hätten, dass Ich den Juden nicht überliefert worden wäre, so aber ist mein Königreich nicht von hienieden.» Pilatus hörte diese ernsten Worte Jesu mit einer Art Erschütterung an und sagte nachdenklich zu Ihm: «So bist Du also doch König?» Und Jesus erwiderte: «Wie Du sagst! Ja Ich bin der König. Ich bin geboren und bin in diese Welt gekommen, der Wahrheit Zeugnis zu geben, und jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme.» Da blickte Ihn Pilatus an und sagte aufstehend: «Wahrheit? Was ist Wahrheit?» und es wurde noch etwas gesprochen, dessen ich mich nicht mehr genau entsinne.

Pilatus ging wieder hinaus auf die Terrasse. Er konnte Jesus nicht verstehen, aber so viel wusste er nun von Ihm, dass Er kein König sei, der dem Kaiser schädlich werden wolle, dass Er kein Reich in dieser Welt in Anspruch nehme. Ein Reich aber aus einer andern Welt kümmerte den Kaiser nicht. Er rief also den Hohenpriestern von der Terrasse hinab: «Ich finde keine Art von Schuld an diesem Menschen!»

Da wurden die Feinde Jesu von neuem erbittert, und brachten einen Strom von Beschuldigungen gegen Ihn vor. Jesus aber stand schweigend und betete für die armen Menschen. Und als Pilatus sich zu Ihm wendend fragte: «Hast Du nichts auf alle diese Anklagen zu erwidern?» sagte Jesus auch nicht ein Wort, so dass Pilatus aufs höchste über Ihn verwundert zu Ihm sprach: «Ich sehe wohl, sie gehen mit Lügen gegen Dich um!» (Er brauchte für Lügen einen eigenen Ausdruck, den ich vergessen habe) Die Ankläger aber fuhren in ihrer Wut fort und sagten: «Wie? keine Schuld findest du an Ihm? Ist das keine Schuld? Er wiegelt das ganze Volk auf, denn Er verbreitet seine Lehre durch das ganze Land von Galiläa aus bis hierher.»

Als Pilatus das Wort Galiläa hörte, dachte er einen Augenblick nach und fragte dann hinab: «Ist dieser Mensch aus Galiläa, ein Untertan des Herodes?» und da die Ankläger erwiderten: «Ja, denn seine Eltern hätten in Nazareth gewohnt und jetzt sei Kapharnaum sein Aufenthaltsort», sprach Pilatus: «Nun also, da Er ein Galiläer von den Untertanen des Herodes ist, so führt Ihn zu diesem! Er ist hier auf dem Fest und mag Ihn richten». Und er ließ Jesus wieder aus dem Gerichtshof zu seinen Feinden hinab führen, schickte auch einen Offizier zu Herodes, ihm seinen Untertan, einen Galiläer, Jesus von Nazareth, zu Gerichte anzumelden. Pilatus war froh, auf diese Weise die Verurteilung Jesu von sich abzuwälzen, denn die Sache war ihm unheimlich, und zugleich hatte er die politische Absicht dabei, dem Herodes, der immer auf Jesus sehr begierig gewesen, eine Höflichkeit zu erweisen, denn sie waren entzweit.

Die Feinde Jesu, im höchsten Grade geärgert, vor allem Volk von Pilatus mit Ihm abgewiesen zu sein und weiter ziehen zu müssen, ließen Jesus ihre Wut entgelten. Sie umschlossen Ihn, mit erneuter Wut, tobend mit ihren Gerichtsknechten und trieben Ihn aufs neue gebunden unter Stoßen und Schlagen mit stürmender Eile quer über das menschenvoIle Forum und dann durch eine Straße zu dem nicht weit entlegenen Palast des Herodes. Es zogen römische Soldaten mit.

Claudia Procle, die Ehefrau des Pilatus, hatte während der letzten Verhandlung ihm durch einen Diener sagen lassen, sie verlange dringend mit ihm zu sprechen. Als Jesus nun zu Herodes geführt wurde, stand sie heimlich auf einer hoch liegenden Galerie und sah den Zug mit großer Angst und Betrübnis über das Forum ziehen.

26. Entstehung der heiligen Kreuzweg-Andacht

Die heiligste Jungfrau hatte, mit Magdalena und Johannes in einem Winkel der Hallen des Forums stehend, die ganze Verhandlung vor Pilatus, alles Lärmen und Rufen in unsäglichem Schmerze mit angehört. Da nun Jesus zu Herodes gebracht wurde, ließ sie von Johannes und Magdalena sich über die ganze Strecke des Leidensweges zurückbegleiten, welche ihr göttlicher Sohn seit seiner Gefangennahme am gestrigen Abend durchwandelt hatte. Sie gingen den ganzen Weg zum Richthaus des Kaiphas, zum Palast des Annas, von da durch Ophel nach Gethsemane an den Ölberg. An vielen SteIlen, wo Jesus Unbilden und Misshandlungen erlitt, hielten sie in Trauer und Mitleiden inne. Wo Er zu Boden gefallen, sank die heiligste Mutter nieder und küsste die Erde. Magdalena rang die Hände und Johannes richtete weinend die betrübteste Mutter wieder auf und geleitete sie weiter. Dies war der Beginn der Andacht der Kirche zum heiligen Kreuzweg, der Anfang der mitleidenden Betrachtung des bitteren Leidens unseres göttlichen Erlösers, noch ehe es von Ihm ganz vollendet war. Schon jetzt, da Jesus erst in der Mitte seines bittersten Leidensweges wandelte, suchte seine unbefleckte, sündelose Mutter, welche in unendlich heiliger Liebe seine inneren und äußeren Peinen mit Ihm teilte, alle Fußstapfen ihres in den Tod für uns gehenden Sohnes und Gottes auf, sie zu ehren, zu beweinen und dem himmlischen Vater für das Heil der Welt aufzuopfern. So (Erläuterung des Herausgebers) sammelte sie auf allen Tritten und Schritten des heiligsten Erlösers seine für uns erworbenen unendlichen Verdienste in ihr heiligstes, mitleidendes Herz, diese einzig würdige Schatzkammer aller Güter des Heiles, aus welchem und durch welches nach ewiger Ordnung des dreieinigen Gottes jede Frucht und Wirkung des in der Fülle der Zeit vollbrachten Geheimnisses der Erlösung an die gefallene Menschheit gelangen soll. Aus dem reinsten Blut dieses heiligsten Herzens ward ja vom Heiligen Geiste der Leib gebildet, der heute aus tausend Wunden sein kostbares Blut zum Lösepreis für uns vergießt. Neun Monate hatte er unter diesem Herzen voll Gnade gewohnt. Als unversehrte Jungfrau hatte Maria Ihn geboren, Ihn gepflegt, behütet und an ihren Brüsten genährt, um Ihn nun heute am Stamm des Kreuzes für uns in den bittersten Tod dahin zu geben. Gleichwie der ewige Vater seines eingebornen Sohnes nicht geschont, sondern Ihn für uns dahin gegeben hat, so hat auch die heiligste Mutter und Gottesgebärerin der gebenedeiten Frucht ihres Leibes nicht geschont, sondern eingewilligt, dass sie als das wahre Osterlamm am Kreuz für uns geopfert werde. Und so ist Maria in ihrem Sohn und nächst Ihm die Mitursache unseres Heiles, unsere Miterlöserin, unsere Mittlerin und mächtigste Sachwalterin bei Gott, die Mutter der Gnade und Barmherzigkeit.

Alle Gerechten der alten Zeit von unseren büßenden Stammeltern herab bis auf den Jüngsten in Abrahams Schoß wandelten, trauerten, beteten, opferten heute mit in dem heiligsten Herzen der göttlichen Mutter, der Königin der Patriarchen und Propheten. Aber auch bis zum Ende aller Zeiten ist es nur der kindlichen Liebe zu Maria vergönnt, die von ihr begonnene und von ihr selbst der Kirche übergebene Andacht des heiligen Kreuzweges zu üben und durch diese so segensvoIle und gottgefällige Andachtsweise im Glauben und in der Liebe zum heiligsten Erlöser voran zu schreiten. Es ist eine leider nur wenig gewürdigte, aber überaus bedeutsame Tatsache, dass überall, wo die Liebe zu Maria erkaltet und die Andacht zu den Geheimnissen des Rosenkranzes erlischt, auch die Andacht des heiligen Kreuzweges, ja selbst der Glaube an den unendlichen Wert des kostbarsten Blutes verlorengeht.

Magdalena war in ihren Schmerzen wie von Sinnen. Unermesslich wie ihre Liebe war ihre Reue. Wollte sie in Liebe vor den Füßen Jesu ihre Seele, wie einst das Nardenöl über sein Haupt, ausgießen, da erblickte sie voll Entsetzen zwischen sich und dem Erlöser den Abgrund ihrer Schuld, und aller Reueschmerz erneuerte in ihrem Herzen seine volle Bitterkeit. Wollte ihr Dank für die empfangene Vergebung wie eine Weihrauchwolke zu dem Erlöser sich erheben, da sah sie Ihn voll Pein und Marter in den Tod geführt, und sie empfand in unaussprechlicher Trauer, dass es auch wegen ihrer Schuld geschehe, die Er auf sich genommen, um mit seinem Blut sie zu sühnen, und so sank sie immer wieder nieder in den Abgrund ihrer Reueschmerzen. Ihre Seele war in Dank und Liebe, in Schmerz und Bitterkeit, in Trauer und Wehklage wie aufgelöst, denn sie sah und fühlte auch den Undank und die Blutschuld ihres Volkes, das seinen Heiland dem schmählichsten Kreuzestod überlieferte. Alles dieses drückte sich in ihrer ganzen Erscheinung, ihren Worten und Gebärden aus.

Johannes litt und liebte nicht weniger, als Magdalena. Die nie getrübte Unschuld seines reinsten Herzens aber verlieh seiner Seele eine höhere Ruhe.

27. Pilatus und seine Frau

Während Jesus zu Herodes geführt wurde und dort die Verspottung erlitt, sah ich Pilatus zu seiner Frau Claudia Procle gehen. Sie kamen in einem Lusthaus auf einer Gartenterrasse hinter dem Palaste des Pilatus zusammen. Claudia war sehr erschüttert und bewegt. Sie war eine große und vollkommene Frau, aber bleich, sie hatte einen Schleier hinten niederhängen, doch sah man ihre Haare um den Kopf gewunden und einigen Schmuck darin, auch an den Ohren und dem Hals hatte sie Schmuck, und an der Brust ein Schloss, das ihr langes, faltiges Kleid festhielt. Sie sprach lange mit Pilatus und beschwor ihn bei allem, was ihm heilig sei, Jesus den Propheten, den Heiligsten der Heiligen nicht zu verletzen, und erzählte ihm einzelnes aus den Traumgesichten, welche sie von Jesus in der Nacht gehabt hatte.

Ich erinnere mich noch, dass sie die Verkündigung Mariä, Christi Geburt, die Anbetung der Hirten und der Könige, die Prophezeiung Simeons und Hannas, die Flucht nach Ägypten, den Kindermord, die Versuchung in der Wüste und andere Bilder aus seinem heiligen Wandel sah. Dabei sah sie Jesus immer mit Licht umgeben, und die Tücke und Bosheit seiner Feinde unter den furchtbarsten Bildern. Sie sah die Heiligkeit und Schmerzen seiner Mutter und seine eigenen unendlichen Leiden unter steter Liebe und Geduld. Sie erlitt unsägliche Angst und Trauer, denn alle diese Bilder waren ihr neu und unendlich eindringend und überzeugend, und teils sah sie dieselben, wie z.B. den Kindermord, und ebenso die Prophezeiung Simeons im Tempel, in der Nähe ihres Hauses vorgehen.

Als sie des Morgens durch den Lärm der Volksscharen erschreckt auf das Forum hinausblickte, erkannte sie den Herrn, der ihr in den Bildern der Nacht gezeigt worden war, und wurde nun Zeuge aller Misshandlungen, unter welchen Er von seinen Feinden zu Herodes über das Forum geführt wurde. In schrecklicher Beängstigung sandte sie sogleich zu Pilatus, dem sie mit Angst und Scheu von ihren Traumgesichten erzählte, soweit sie sich darüber verständlich machen konnte. Sie bat und flehte und schmiegte sich rührend an ihn.

Pilatus war sehr verwundert und teils bestürzt über das, was sie sagte. Er reimte es mit allem, was er von Jesus gehört, mit der Wut der Juden, mit dem Schweigen Jesu und dessen festen wunderbaren Antworten auf seine Fragen zusammen. Er war schwankend und unruhig in sich, neigte sich aber bald zu den Vorstellungen seiner Frau hin und sagte: «dass er bereits erklärt habe, wie er keine Schuld an Jesus finde, und dass er Ihn nicht verurteilen werde, da er die ganze Bosheit der Juden erkannt habe.» Er sprach noch über die Äußerungen Jesu gegen ihn selbst und beruhigte seine Frau sogar mit Überreichung eines Pfandes zur Versicherung, dass er Ihn nicht verurteilen werde. Ich weiß nicht mehr, welch ein Kleinod, Ring oder Siegel es war, das er ihr zu einem Zeichen gab. Auf diese Weise trennten sie sich voneinander.

Pilatus sah ich als einen verwirrten, habsüchtigen, schwankenden, stolzen und doch niederträchtigen Mann, der ohne alle höhere Gottesfurcht, wenn es seinen Vorteil galt, schändliche Handlungen begehen konnte, und zugleich auf die niedrigste, feigste Art abergläubischen Götzendienst und Zeichendeuterei gebrauchte, wenn er in einer Verlegenheit war. So hatte er auch jetzt wieder mit seinen Göttern zu tun, denen er in einem verborgenen Raum seines Hauses räucherte und von denen er allerlei Zeichen verlangte. Er sah auch nach, wie die Hühner fräßen, und der Satan blies ihm bald dieses, bald jenes ein. Bald meinte er, Jesus müsse als unschuldig freigelassen werden. Bald aber fürchtete er, seine Götter würden sich an ihm rächen, wenn er diesen Jesus, der so seltsame Urteile und Äußerungen für sich habe, als sei Er doch eine Art Halbgott, am Leben erhalte, denn Jesus könnte seinen Göttern vielen Schaden antun. «Vielleicht, dachte er, ist Er doch eine Art Gott der Juden. Es gibt so viele Prophezeiungen von einem König der Juden, der über alles herrschen soll. Könige der Sterndiener aus dem Morgenland haben schon einen solchen König im Land einmal gesucht. Auch könnte Er sich vielleicht über meine Götter und meinen Kaiser erheben, und ich hätte große Verantwortung, so Er nicht stürbe. Vielleicht soll sein Tod ein Triumph meiner Götter sein.» Dazu kam dann wieder die wunderbare nächtliche Erfahrung seiner �Frau, die Jesus nie vorher gesehen hatte, und warf ein großes Gewicht für das Lossprechen Jesu in die schwankende Waagschale und es schien, als werde er nun doch entschlossen, Jesus loszusprechen. Er wollte gerecht sein. Allein er kam nicht dazu, gleichwie er auch die Antwort auf seine Frage an Jesus: «was ist Wahrheit» nicht abgewartet hatte.

28. Jesus vor Herodes

Auf dem Forum und an den Straßen, durch welche Jesus zu Herodes geführt wurde, hatten sich immer größere Volksscharen angesammelt, welche zu den Ortschaften und Gegenden, aus denen sie zum Fest herangezogen waren, sich zusammenhielten. Die erbitterten Pharisäer des ganzen Landes stellten sich bei ihren Gemeinden auf, um das wankelmütige Volk gegen Jesus zu bearbeiten. Vor dem römischen Wachhaus beim Palast des Pilatus waren die römischen Soldaten in starker Anzahl aufgestellt und an vielen anderen wichtigen Punkten der Stadt.

Der Palast des Herodes lag nördlich vom Forum in der Neustadt. Es war nicht weit dahin. Eine Schar römischer Soldaten zog mit, welche aus der Gegend zwischen der Schweiz und Italien her waren. Die Feinde Jesu waren über dieses Herumziehenmüssen sehr erbittert und hörten nicht auf, Ihn zu beschimpfen und von den Gerichtsdienern zerren und stoßen zu lassen. Der Bote des Pilatus war früher als der Zug bei Herodes. Dieser erwartete den Zug schon in einer großen Halle, wo er auf einem Thronsessel auf Kissen saß. Es waren viele seiner Hofleute und Soldaten um ihn. Die Hohenpriester traten durch den Säulengang herein und stellten sich an die beiden Seiten. Jesus stand im Eingang. Herodes war sehr geschmeichelt, dass ihm Pilatus öffentlich vor den Hohenpriestern das Recht, über einen Galiläer zu richten, zusprach, und war sehr geschäftig und aufgeblasen. Auch freute es ihn, Jesus in so demütiger Stellung vor sich zu sehen, der es immer verschmäht hatte, sich ihm zu zeigen. Johannes hatte so feierlich von Jesus gesprochen, und es war dem Herodes von seinen Spionen und Zuträgern so viel von Jesus gesagt worden, dass er sehr gespannt auf Ihn war. Er war ganz aufgelegt, vor seinen Hofleuten und den Hohenpriestern ein prahlendes Verhör mit Jesus anzustellen, in welchem er beiden Teilen beweisen wollte, wie gut er unterrichtet sei. Es war ihm aber auch gemeldet worden, dass Pilatus keine Schuld an Jesus gefunden habe. Und das war seiner Kriecherei ein Wink, die Anklagenden mit einiger Zurückhaltung zu behandeln, welches ihre Wut noch vermehrte. Sie brachten ihre Klagen sehr drängend vor, gleich als sie hereintraten. Herodes aber sah neugierig auf Jesus, und da er Ihn in verunreinigtem Gewand so elend und misshandelt, mit zerrauftem Haar und zerschlagenem, mit Blut und Kot bedecktem Gesicht erblickte, ergriff den weichlichen wohllüstigen König ein ekelndes Mitleid. Er rief einen Gottesnamen aus, auf die Art wie «Jehova», wendete sein Gesicht mit ekliger Miene weg und sagte den Priestern: «Bringt Ihn weg! reiniget Ihn! Wie mögt ihr mir einen so unreinen, misshandelten Menschen vor Augen stellen?» Die Knechte aber zogen Jesus in die Vorhalle. Man brachte ein Becken mit Wasser und einen Tuch und reinigte Jesus unter Misshandlungen. Sein Gesicht war verwundet und sie fuhren verletzend darüber her. Herodes aber verwies den Priestern ihre Grausamkeit, und es schien, er wolle die Behandlungsweise des Pilatus nachahmen, indem er sagte: «Man sieht Ihm an, dass Er den Schlächtern in die Hände gekommen ist. Ihr fangt heute vor der Zeit an.» Die Hohenpriester aber drängten sehr mit ihren Klagen und Beschuldigungen. Da nun Jesus wieder herangeführt wurde, wollte Herodes den Gefälligen gegen Ihn spielen und befahl, Ihm einen Becher mit Wein zu bringen, Er sei ganz entkräftet. Jesus aber schüttelte das Haupt und nahm den Trunk nicht an.

Herodes aber wurde sehr gesprächig und sogar schmeichlerisch gegen Jesus und brachte alles vor, was er von Ihm wusste. Anfangs fragte er Ihn mehreres, wünschte auch ein Zeichen von Ihm zu sehen. Jesus aber antwortete keine Silbe und sah immer stille vor sich nieder. Herodes wurde sehr geärgert und beschämt vor den Anwesenden, wollte es sich aber doch nicht merken lassen und brach in einen Strom von Fragen und Redensarten aus. «Es tut mir leid, sprach er, Dich so schwer beschuldigt zu sehen. Ich habe vieles von Dir gehört. Weißt Du wohl, dass Du mir zu nahe getreten bist in Thirza, da Du ohne meine Erlaubnis Gefangene auslöstest, die ich dahin hatte setzen lassen? Aber Du hast es vielleicht gut gemeint. Nun bist Du mir vom römischen Landpfleger überliefert, Dich zu richten! Was sagst Du auf alle diese Klagen? - Du schweigst? - Man hat mir viel von Deiner großen Weisheit im Reden und Lehren gesprochen. Ich wünsche, Dich deine Ankläger widerlegen zu hören. - Was sagst Du? - Ist es wahr, bist Du der König der Juden? - Bist Du der Sohn Gottes? - Wer bist Du? - Ich hörte, Du habest große Wunder getan, bewähre Dich vor mir, gib ein Zeichen! - Es steht bei mir, Dich loszusprechen. - Ist es wahr, dass Du Blindgeborne sehend gemacht? Hast Du Lazarus von den Toten erweckt? Mehrere tausend Menschen mit wenigen Broten gespeist? - Warum antwortest Du nicht? - Ich beschwöre Dich, tue eines von deinen Wundern ! - Es soll Dir nützlich sein! Jesus aber schwieg, und Herodes redete immer hastiger: «Wer bist Du? Was ist das mit Dir? Wer hat Dir Vollmacht gegeben? Warum vermagst Du nichts mehr? Bist Du derjenige, von dessen Geburt seltsame Reden gehen? Es sind einmal Könige aus dem Morgenland gekommen zu meinem Vater, nach einem neugebornen Judenkönig zu fragen, dem sie huldigen wollen. Man sagt, dieses Kind seiest Du gewesen. Ist dies wahr? Bist du dem Tod entkommen, der damals über viele Kinder erging? Wie ging das zu? Warum war es so lange stille von Dir? Oder bezieht man nur jenes Ereignis auf Dich, um Dich zu einem König zu machen? Verantworte Dich! Was bist Du für ein König? Wahrhaftig, ich sehe nichts Königliches an Dir? Sie haben Dir, wie ich höre, neulich einen Triumphzug zum Tempel gehalten! Was sollte das bedeuten? Sprich! Wie kommt es, dass dieses ein solches Ende genommen?» Auf alle diese Reden erhielt aber Herodes keine Antwort von Jesus. Es ist mir eröffnet worden, dass Jesus nicht mit ihm sprach, weil Herodes durch seine ehebrecherische Verbindung mit Herodias und den Mord des Täufers im Banne war.

Den Unwillen des Herodes über Jesu Schweigen benützten Annas und Kaiphas, um von neuem in Herodes mit Klagen zu dringen. Sie brachten unter anderem vor: Jesus habe Herodes einen Fuchs genannt, und seit langem auf den Untergang der ganzen Familie von Herodes hingearbeitet. Er habe eine neue Religion aufbringen wollen, und das Pascha schon gestern gegessen. Diese Beschuldigung war schon bei Kaiphas durch den Verrat des Judas vorgekommen, aber durch einige von Jesu Freunden aus Schriftrollen entkräftet worden.

Herodes ließ sich, obgleich sehr durch Jesu Schweigen geärgert, nicht aus seinen politischen Absichten bringen. Er wollte Jesus nicht verurteilen, denn teils hatte er einen geheimen Schrecken vor Ihm, und es war ihm schon wegen der Ermordung des Johannes oft bange zu Mut, teils waren ihm die Hohenpriester verhasst, weil auch sie seinen Ehebruch nie beschönigen gewollt und ihn deswegen vom Opfer ausgeschlossen hatten. Hauptsächlich aber wollte er den nicht verdammen, den Pilatus ohne Schuld erklärt hatte. Er hatte politische Absichten, dem Pilatus dadurch vor den Hohenpriestern eine Schmeichelei zu erweisen. Er überhäufte aber Jesus mit verachtenden Schmähworten und sagte zu seinen Dienern und seiner Leibwache, deren er wohl ein paar hundert in seinem Palast hatte: «Nehmt den Toren hinaus und erzeigt dem lächerlichen König die Ehre, die Ihm gebührt, denn Er ist mehr ein Narr als ein Verbrecher zu nennen!»

Sie führten nun den Heiland hinaus in einen großen Hof und taten Ihm unsägliche Misshandlung und Spott an. Der Hof war von den Flügeln des Palastes umgeben. Herodes sah, auf einem platten Dach stehend, eine zeitlang der Misshandlung Jesu zu. Annas und Kaiphas aber waren immer hinter ihm her und versuchten alles, um ihn zu bewegen, dass er Jesus verurteilen möchte. Herodes jedoch sprach den Römern zu Gehör: «Es wäre die größte Sünde von mir, wenn ich Ihn verurteilte.» Er meinte wahrscheinlich: die größte Sünde gegen das Urteil des Pilatus, der so höflich war, Ihn ihm zuzusenden.

Als die Hohenpriester und Feinde Jesu sahen, dass Herodes ihnen auf keine Weise zu Willen sein würde, sandten sie einige aus ihrer Mitte mit Geld nach Acra, einem Teil der Stadt, wo jetzt viele Pharisäer sich aufhielten, welche sie auffordern ließen, sich mit ihren Gemeinden in die Gegend des Palastes von Pilatus zu begeben. Auch ließen sie durch die Pharisäer vieles Geld unter das Volk austeilen, auf dass es den Tod Jesu mit Ungestüm begehre. Andere ihrer Sendlinge hatten die Drohung unter das Volk zu verbreiten, dass, so es den Tod dieses Gotteslästerers nicht begehre, es das Gericht Gottes auf sich lade. Auch hatten sie zu verbreiten, so Er nicht sterbe, werde Er sich mit den Römern vereinigen. Dieses sei das Reich, von dem Er immer gesprochen, aber dann seien die Juden ganz verloren. Nach andern Seiten hin verbreiteten sie das Gerücht, Herodes habe Jesus verurteilt, aber das Volk müsse seinen Willen aussprechen, man fürchte seinen Anhang, und wenn Er frei käme, würde das ganze Fest zerstört werden. Dann nämlich würden die Römer und seine Anhänger Rache nehmen. So ließen sie die verwirrtesten, beunruhigendsten Gerüchte ausstreuen, um alles Volk zu erbittern und aufzuwiegeln. Zu gleicher Zeit ließen sie auch unter den Soldaten des Herodes Geld verteilen, dass sie Jesus gröblich, ja tödlich misshandeln möchten, denn sie wünschten, dass Er sterben möge, ehe Pilatus Ihn freispräche.

Von dieser frechen gottlosen Rotte hatte unser Herr den schmählichsten Hohn, die grausamste Misshandlung zu erleiden. Als sie Ihn in den Hof hinaus geführt hatten, brachte ein Soldat aus der Kammer des Pförtners einen großen weißen Sack herbei, in welchem Baumwolle verpackt gewesen war. Sie schnitten ein Loch in den Boden des Sackes und warfen ihn unter allgemeinem Hohngelächter über Jesu Haupt. Der Sack hing Ihm weit über die Füße hinab. Ein Zweiter warf einen roten Lappen, wie einen Kragen um Jesu Hals. Und nun bewegten sie sich vor Ihm, stießen Ihn hin und her, beschimpften Ihn und spieen Ihn an, schlugen Ihn ins Gesicht, weil Er ihrem König nicht habe antworten wollen und erwiesen Ihm tausend spöttische Huldigungen. Sie bewarfen Ihn mit Kot, zerrten Ihn, als solle Er tanzen, zwangen Ihn, in dem weiten, schleppenden Spottmantel auf die Erde zu fallen, und schleiften Ihn durch eine Rinne, welche rings um den Hof längs den Gebäuden hinlief, so dass sein heiliges Haupt gegen die Säulen und Ecksteine schlug. Sie rissen Ihn wieder empor und es erhob sich ein neues Getümmel und begannen neue Misshandlungen. Es waren unter den paar hundert Kriegsknechten und Hofdienern des Herodes Leute aus den verschiedensten Gegenden. Und jeder der bösesten Jungs aus ihnen, wollte sich und seiner Landmannschaft durch eine eigentümliche Schandtat an Jesus vor Herodes Ehre machen. Sie trieben alles mit stürmender Eile, unter Hohngeschrei. Solche, die Geld von den Pharisäern empfangen hatten, schlugen in dem Getümmel mit Prügeln auf das heiligste Haupt Jesu. Er sah sie so mitleidig an und seufzte und wimmerte so schmerzlich ! Sie spotteten sein Wehklagen mit verzerrten Stimmen nach und brachen bei jeder neuen Misshandlung in Hohn und Gelächter aus. Es war keiner der sich seiner erbarmte. Ich sah das Blut über sein Haupt erbärmlich nieder rinnen und sah Ihn dreimal unter dem Schlag ihrer Prügel niedersinken. Aber ich sah auch, als erschienen weinende Engel über Ihm, welche sein Haupt salbten. Es wurde mir gezeigt, dass diese Schläge ohne diese göttliche Hilfe tödlich gewesen sein würden. Die Philister, welche zu Gaza in der Rennbahn den blinden Simson bis zur Todesmüdigkeit herumhetzten, waren nicht so gewalttätig und grausam, wie diese Jungs.

Die Zeit aber drängte die Hohenpriester weil sie bald zum Tempel mussten. Und als sie Nachricht erhielten, dass alle ihre Sendungen ausgerichtet seien, stürmten sie nochmals auf Herodes mit Bitten um Jesu Verurteilung ein. Er richtete jedoch sein Augenmerk allein auf Pilatus und sandte Jesus in seiner Spottkleidung zu diesem zurück.

29. Jesus von Herodes zu Pilatus

Mit erneuter Erbitterung traten die Hohenpriester und Feinde Jesu den Rückzug mit Ihm von Herodes zu Pilatus an. Sie schämten sich, ohne seine Verurteilung abermals dahin zurückzukehren, wo Er schon als unschuldig erklärt worden war. Sie nahmen daher einen anderen, wohl nochmal so weiten Rückweg mit Ihm, um Ihn in seiner Schmach einem andern Teil der Stadt zu zeigen, Ihn desto länger unterwegs zu misshandeln und ihren Aufwieglern Zeit zu lassen, die zusammengetriebenen Scharen zu ihren Absichten zu bearbeiten.

Der Weg, den sie mit Jesus nahmen, war viel rauer und unebener, und sie begleiteten Ihn unter stetem Aufreizen der Ihn führenden Schergen. Das lange Spottgewand hinderte den Herrn zu gehen. Er schleifte es im Kot, einige Male fiel Er darüber und ward unter Schlägen auf das Haupt und unter Fußstößen wieder an den Stricken in die Höhe gezerrt. Es geschah Ihm unsäglicher Hohn und Misshandlung von seinen Begleitern und dem Volk auf diesem Wege. Jesus aber betete, nicht zu sterben, um für uns sein Leiden zu vollbringen.

Es war eine Viertelstunde nach acht Uhr morgens, als der Zug mit dem misshandelten Jesus wieder von einer andern (wahrscheinlich der östlichen) Seite her über das Forum zum Palast des Pilatus kam. Die Menge des Volkes war sehr groß. Sie standen nach ihren Gegenden und Ortschaften in Gruppen zusammen. Die Pharisäer liefen unter ihnen herum und hetzten sie auf. Der Meuterei der galiläischen Eiferer am letzten Pascha eingedenk, hatte Pilatus im Prätorium und dessen Umgebung sowie an den Eingängen des Forums und seines Palastes wohl an tausend Mann zusammengezogen.

Die heiligste Jungfrau, ihre ältere Schwester Maria Heli, deren Tochter Maria Kleophä, Magdalena und mehrere andere heilige Frauen, wohl an zwanzig, waren während der folgenden Ereignisse zugegen und standen in einer Halle, wo sie alles hören konnten, und schlichen hin und her. Auch Johannes war anfangs zugegen.

Jesus wurde in seinem Verspottungskleid durch das hohnlachende Volk geführt. Die Verwegensten aus dem Volke waren überall von den Pharisäern vorgeschoben, welche mit Hohn und Schmach ihnen vorgingen. Ein Hofdiener des Herodes war schon vorausgegangen und hatte dem Pilatus angekündet, wie sehr Herodes ihm für seine Aufmerksamkeit verbunden sei, dass er aber an dem berühmten weisen Galiläer nichts, als einen stummen Narren gefunden und Ihn auch so habe behandeln und ihm zurücksenden lassen. Pilatus freute sich, dass Herodes ihm nicht zuwider gewesen und Jesus nicht verurteilt habe, und ließ ihn wieder begrüßen, so dass sie heute Freunde wurden, die seit der eingestürzten Wasserleitung Feinde gewesen waren.

Jesus wurde über die Straße vor dem Haus des Pilatus wieder die Treppen hinauf auf den erhöhten Vorplatz geführt. Unter dem grausamen Zerren der Gerichtsdiener aber trat Er auf das schleppende Spottkleid und fiel dermaßen auf die weißen Marmorstufen nieder, dass Er sie mit dem Blute seines heiligsten Hauptes benetzte. Die Feinde Jesu, welche ihre Sitze an der Seite des Forums wieder eingenommen hatten, und das rohe Volk brachen in Hohngelächter über den Fall Jesu aus und die Gerichtsdiener trieben Ihn mit Fußstößen die Stufen wieder hinauf.

Pilatus lehnte auf seinem Stuhl, der wie ein Ruhebettchen war. Der kleine Tisch stand neben ihm. Es waren auch jetzt, wie früher, einige Offiziere und Männer mit Rollen bei ihm. Er trat aber hervor auf die Terrasse, von welcher er mit dem Volk redete, und sprach zu den Anklägern Jesu: «Ihr habt mir diesen Menschen als einen Aufwiegler des Volkes überliefert ! Ich habe Ihn vor euch verhört und habe Ihn dessen, worüber ihr Ihn anklagt, nicht schuldig befunden. Auch Herodes fand keine Schuld an Ihm, denn ich wies euch mit Ihm an Herodes. Und siehe, es ist keine Todesschuld nachgewiesen worden. Ich werde Ihn also züchtigen und freilassen.» Nun erhob sich aber ein heftiges Murren und Lärmen unter den Pharisäern, und das Hetzen und Geldausteilen unter dem Volk ward noch lebhafter. Pilatus behandelte sie mit großer Verachtung und ließ unter andern scharfen Reden auch das Wort fallen: «Ob sie denn heute nicht noch unschuldigen Blutes genug beim Schlachten sehen würden!»

Aber es war nun die Zeit, da das Volk vor Ostern sich immer vor ihm zu stellen pflegte, um nach einem alten Herkommen das Freilassen eines Gefangenen zu begehren. Die Pharisäer hatten eben darum vom Palast des Herodes aus Unterhändler in den Stadteil Acra, westlich vom Tempel, gesandt, um dort die versammelten Scharen zu bestechen, die Freilassung Jesu nicht zu begehren, sondern seine Kreuzigung. Pilatus aber hoffte, das Volk würde die Freiheit Jesu begehren und nahm sich vor, ihnen neben Jesus einen furchtbaren Bösewicht zur Freilassung zu nennen, der schon zum Tod verurteilt war, damit sie gar nicht wählen könnten. Dieser Verbrecher hieß Barabbas und war vom ganzen Volk verflucht. Er hatte im Aufruhr gemordet, und ich habe noch sonst allerlei Gräuel von ihm gesehen. Er hatte Zauberei getrieben und gesegneten Frauen den Leib aufgeschnitten.

Unter dem Volk auf dem Forum entstand eine Bewegung. Es drängte sich eine Schar vor und ihre Sprecher voraus. Diese richteten ihre Stimmen gegen die Terrasse des Pilatus und riefen: «Pilatus ! Tue uns, wie du immer auf das Fest getan.» Hierauf hatte Pilatus nur gewartet und er sprach zu ihnen: «Ihr habt die Gewohnheit, dass ich euch auf das Fest einen Gefangenen freigebe. Welchen wollt ihr nun freigegeben haben, den Barabbas, oder Jesus, den König der Juden, Jesus, welcher der Gesalbte des Herrn sein soll?»

Pilatus war ganz unentschieden in sich. Teils nannte er Jesus «König der Juden» als ein hoffärtiger Römer, der sie verachtete, weil sie einen so armen König hätten, zwischen dem und einem Mörder die Wahl stehe. Teils nannte er Jesus so aus einer Art Überzeugung, dass Er wirklich dieser wunderbar verheißene König der Juden, dieser Gesalbte des Herrn, dieser Messias sein könne. Aber auch diese seine Ahnung der Wahrheit war halb Verstellung. Er erwähnte diese Titel des Herrn, weil er fühlte, der Neid sei eine Haupttriebfeder der Hohenpriester gegen Jesus, den er für unschuldig hielt.

Auf die Frage des Pilatus folgte ein kurzes Zaudern und Überlegen in der Masse des Volkes und nur einige Stimmen riefen vorlaut: «Barabbas!» Pilatus aber wurde von einem Diener seiner Gemahlin gerufen. Er trat zurück, und der Diener zeigte ihm jenes Pfand, das er ihr am Morgen gegeben, und sagte: «Claudia Procle lässt dich hierdurch erinnern.» Die Pharisäer und Hohenpriester waren in voller Bewegung, sie nahten teils selbst dem Volk, drohten und befahlen. Aber es war eine leichte Arbeit.

Maria, Magdalena, Johannes und die andern heiligen Frauen standen im Winkel einer Halle, bebten und weinten. Wenn gleich die Mutter Jesu wusste, dass keine Hilfe für die Menschen sei, als durch Jesu Tod, so war sie doch voll Angst und Sehnsucht nach seinem Leben als die Mutter des heiligsten Sohnes. Und so wie Jesus, wenn gleich zum Kreuzestod aus freiem Willen Mensch geworden, doch alle Pein und Marter eines schrecklich Misshandelten, unschuldig zum Tod Geführten, ganz wie ein Mensch erlitt, so litt auch Maria alle Qual und Angst einer Mutter, deren heiligstem Kinde solches von dem undankbarsten Volk widerfährt. Sie zitterten und zagten und hofften, und Johannes ging oft in kleine Entfernung, irgend eine gute Botschaft zu bringen. Maria betete, es möge doch so große Sünde nicht geschehen. Sie betete wie Jesus am Ölberg: «Wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch vorüber.» Und so hoffte die liebende Mutter noch immer, denn indem die Reden und Bemühungen der Pharisäer im Volk von Mund zu Mund liefen, war das Gerücht, Pilatus suche Jesus freizulassen, auch zu ihr gedrungen. Es standen nicht weit von ihr Scharen von Leuten aus Kapharnaum, worunter viele, welche Jesus geheilt und gelehrt hatte. Sie taten etwas fremd und blickten verstohlen nach den trauernden verschleierten Frauen und Johannes. Aber Maria dachte und alle dachten, diese würden doch gewiss Barabbas gegen ihren Wohltäter und Heiland verwerfen. Aber so war es nicht.

Pilatus hatte seiner Frau das Pfand, wobei er erkannte, was sie wollte, wieder zurückgesandt, als ein Zeichen, dass sein Versprechen noch bestehe. Er trat dann wieder hervor auf die Terrasse, setzte sich auf den Stuhl bei dem Tischchen. Die Hohenpriester hatten auch ihre Sitze eingenommen, und Pilatus rief abermals: «Welchen von beiden soll ich euch freigeben?» Da erhob sich ein allgemeines Geschrei über das ganze Forum und von allen Seiten her: «Weg mit diesem! Den Barabbas gib uns frei!» Pilatus rief noch einmal: «Was soll ich denn mit Jesus tun, welcher der Christus, der König der Juden sein soll?» Da riefen alle mit heftigem Getöse: «Kreuzige Ihn! kreuzige Ihn!» Pilatus fragte nun zum dritten Mal: «Aber was hat Er denn Böses getan? Ich finde wenigstens keine Todesschuld an Ihm. Züchtigen aber will ich Ihn lassen und dann freigeben.» Aber das Geschrei: «kreuzige Ihn! Kreuzige Ihn!» brauste wie ein Sturm der Hölle rings umher, und die Hohenpriester und Pharisäer waren wie rasend mit Toben und Schreien. Da gab ihnen der schwankende Pilatus den Bösewicht Barabbas frei, und verurteilte Jesus zur Geißelung.

30. Die Geißelung Jesu

Pilatus, der niederträchtige, schwankende Richter, hatte mehrmals das verkehrte Wort ausgesprochen: «Ich finde keine Schuld an Ihm, darum will ich Ihn züchtigen lassen und freigeben». Das Geschrei der Juden währte aber immer fort: «Kreuzige Ihn! Kreuzige Ihn!» Er wollte jedoch erst seinen Willen noch versuchen, und gab den Befehl, Jesus auf römische Weise zu geißeln. Da führten die Schergen Jesus, mit kurzen Stäben Ihn stoßend und schlagend, durch das tobende Volk hinaus auf das Forum, nördlich vom Haus des Pilatus und unweit dem Wachhaus an eine Geißelsäule, welche hier vor einer der den Markt umgebenden Hallen stand.

Die Henkersknechte kamen mit ihren Geißeln, Ruten und Stricken, die sie bei der Säule niederwarfen, Jesus entgegen. Es waren sechs braune Menschen, kleiner als Jesus, mit krausem, struppigem Haupthaar, sie hatten von Natur nur dünnen, stoppeligen Bartwuchs. Ihre Bekleidung bestand allein aus einer Binde um den Unterleib, schlechten Sohlen und einem Stück Leder, oder sonst schlechtem Zeug, das, an der Seite offen, wie ein Skapulier ihren Oberleib bedeckte, ihre Arme waren nackt. Es waren niedrige Verbrecher aus der Gegend von Ägypten, die als Sklaven und Sträflinge hier an Bauten und Kanälen arbeiteten. Es wurden die Boshaftesten und Niederträchtigsten aus ihnen zu solchen Henkerdiensten im Prätorium gebraucht.

Diese gräulichen Menschen hatten an derselben Säule schon arme Sünder zu Tode gepeitscht. Sie hatten etwas ganz Tierisches, Teuflisches in ihrem Wesen, und waren wie halb besoffen. Sie schlugen den Herrn, der doch ganz willig ging, mit Fäusten und Stricken, und rissen Ihn mit rasender Wut zu der Geißelsäule. Diese ist eine freistehende Säule und keine Stütze irgend eines Gebäudes. Die Säule ist so hoch, dass ein großer Mensch mit ausgestreckten Armen zu ihrem oberen runden, mit einem eisernen Ringe versehenen Ende reichen kann. Auch an ihrer Rückseite in der Mitte ihrer Höhe sind Ringe oder Haken. Es ist unmöglich, die Barbarei auszusprechen, mit welcher diese wütenden Hunde Jesus auf dem kurzen Wege misshandelten. Sie rissen Ihm den Spottmantel des Herodes ab, und warfen den armen Heiland beinah zur Erde.

Jesus zitterte und bebte vor der Säule. Er zog seine Kleider selbst mit seinen, vom heftigen Schnüren geschwollenen und blutigen Händen in bebender Eile aus, während sie an Ihm stießen und rissen. Er betete und flehte so rührend, und wendete sein Haupt einen Augenblick zu seiner betrübtesten Mutter, die bei den heiligen Frauen in einem Winkel der Hallen des Marktes nicht weit vom Geißelplatz stand, und sagte, sich zu der Säule kehrend, um durch dieselbe sich zu decken: «Wende deine Augen von mir!» Ich weiß nicht, ob Er dieses mit äußeren oder inneren Worten sagte. Aber ich vernahm, wie Maria es vernahm, denn ich sah sie in demselben Augenblick abgewendet in die Arme der sie umgebenden verschleierten heiligen Frauen sinken.

Nun umarmte Jesus die Säule. Die Schergen knebelten unter gräulichem Fluchen und Zerren seine heiligen emporgezogenen Hände oben hinter dem eisernen Ringe der Säule und spannten seinen ganzen Leib so in die Höhe, dass seine unten an der Säule fest geschlossenen Füße kaum stehen konnten. Der Heiligste der Heiligen stand, seiner Kleider beraubt, mit unendlicher Angst und Schmach an die Säule der Verbrecher aufgespannt und zwei der Wüteriche begannen mit rasender Blutgier seinen ganzen heiligen Rückleib von unten hinauf und herab zu zerpeitschen. Ihre ersten Geißeln oder Ruten sahen aus wie von weißem zähem Holz, vielleicht waren sie auch Bündel von starren Ochsensehnen oder harten weißen Lederstreifen.

Unser Herr und Heiland, der Sohn Gottes, wahrer Gott und wahrer Mensch, zuckte und krümmte sich wie ein armer Wurm unter den Rutenhieben der Verbrecher. Er wimmerte, und ein helles, süßklingendes Wehklagen wie ein liebevolles Gebet unter zerreissender Pein drang durch die zischenden Rutenhiebe seiner Peiniger. Dann und wann verschlang diese jammervollen, heiligen, segnenden Klagetöne das Geschrei des Volkes und der Pharisäer wie eine schreckliche, schwarze Sturmwolke. Sie schrieen in ganzen Massen: «Weg mit Ihm, kreuzige Ihn!», denn Pilatus verhandelte noch mit dem Volk, und wenn er das Getöse der Menge mit einigen Worten unterbrechen wollte, tönte zuerst eine Art Trompetenstoß, um eine Pause zu veranlassen. Dann hörte man wieder die Rutenstreiche, das Wehklagen Jesu, die Flüche der Schergen und das Geblöke der Opferlämmer, welche östlich von hier im Schafteich neben dem Schaftor aus dem Groben gewaschen wurden. Wenn sie gewaschen waren, trugen die Leute sie mit verbundenem Maul bis zum reinen Tempelweg, damit, sie sich nicht wieder beschmutzten, und trieben sie dann außen herum gegen die Abendseite hin, wo sie noch einer Zeremonienwäsche unterworfen waren. Dieses hilflose Blöken der Lämmerherden hatte etwas unbeschreiblich Rührendes. Es waren die einzigen Stimmen, die sich mit dem Seufzen des Heilandes vereinigten.

Das jüdische Volk hielt sich vom Geißelplatz in einiger Entfernung, ungefähr in der Breite einer Straße auf. Römische Soldaten standen hie und da, und besonders gegen das Wachhaus zu. In der Nähe der Geißelung stand ab- und zugehend allerlei Gesindel, schweigend oder höhnend. Manchem sah ich doch eine Rührung ankommen und es war dann, als schösse ein Strahl von Jesu auf ihn.

Ich sah auch infame, nur wenig bekleidete Jungen, welche an der Seite des Wachhauses frische Ruten bereiteten, und andere, welche weggingen, um Dornzweige zu holen. Es hatten aber einige Schergen der Hohenpriester mit den Geißlern Verkehr und steckten ihnen Geld zu, und es ward ein großer Krug mit dickem, rotem Safte gebracht, von welchem sie soffen, dass sie ganz wütend und wie trunken wurden. Es war kaum eine Viertelstunde, da hörten die bei den Geißlern auf zu schlagen und traten mit zwei andern zusammen und tranken. Jesu Leib ward ganz braun und blau und rot mit Schwielen bedeckt, und sein heiliges Blut rieselte nieder. Er zitterte und zuckte, Hohn und Spott ertönte von allen Seiten.

Heute nacht war es kalt gewesen. Am Morgen und bis jetzt war kein heller Himmel, und kurze Hagelschauer fielen zur Verwunderung des Volkes nieder. Gegen Mittag ward der Himmel hell und Sonnenschein.

Das zweite Paar der Geißelknechte fiel nun mit neuer Wut über Jesus her. Sie hatten eine andere Art von Ruten, welche kraus, wie Dornen, waren, und in denen hie und da Knöpfe und Spornen befestigt erschienen. Unter ihren wütenden Schlägen zerrissen alle die Schwielen seines heiligsten Leibes, sein Blut spritzte im Kreis umher, die Arme der Henker waren davon besprengt. Jesus jammerte und betete und zuckte in seiner Qual.

Es zogen viele fremde Leute auf Kamelen jetzt am Forum vorüber und schauten mit Schrecken und Betrübnis, als das Volk ihnen sagte, was geschah. Es waren Reisende, welche teils die Taufe empfangen, teils Jesu Berglehren früher gehört hatten. Das Schreien und Getöse vor dem Haus des Pilatus währte immer fort.

Die beiden folgenden Schergen schlugen Jesus mit Geißeln. Es waren dieses an einem eisernen Griff befestigte kleine Ketten oder Riemen, an deren Spitzen eiserne Haken hingen. Sie rissen Ihm damit ganze Stücke Fleisch und Haut von den Rippen. O, wer kann den elenden gräulichen Anblick beschreiben!

Aber sie hatten des Gräuels nicht genug. Sie lösten die Stricke auf und banden Jesus herum mit dem Rücken gegen die Säule. Weil Er so erschöpft war, dass Er nicht mehr stehen konnte, banden sie Ihn mit dünnen Stricken über die Brust, unter den Armen und unter den Knien an die Säule, und seine Hände schnürten sie hinter die Säule in deren Mitte fest. Nur Blut und Wunden, nur grausamste Zerfleischung waren an dem allerheiligsten, anbetungswürdigsten Leib des Sohnes Gottes zu erkennen. Wie wütende Hunde tobten die Geißler mit ihren Hieben. Einer hatte eine feinere Rute in der linken Hand und zerpeitschte Ihm sein Antlitz damit. Es war keine heile Stelle mehr am Leib des Herrn. Er sah die Geißler mit seinen bluterfüllten Augen an und flehte um Erbarmen. Aber sie wüteten um so ärger. Jesus jammerte immer leiser: «wehe!»

Die fürchterliche Geißelung hatte wohl eine dreiviertel Stunde gedauert, als ein fremder geringer Mann, ein Verwandter des von Jesus geheilten blinden Ctesiphon, zu der Rückseite der Säule mit einem sicheiförmigen Messer zornig herzustürzte und schrie: «Haltet ein! Schlaget den unschuldigen Menschen nicht ganz tot!» Da hielten die trunkenen Gerichtsdiener stutzend ein. Jener schnitt in Eile, wie mit einem Schnitte, die Stricke Jesu los, die hinten an der Säule alle in einem Knoten um einen großen eisernen Nagel befestigt waren. Dann floh der Mann wieder, unter die Menge des Volkes sich verlierend. Jesus aber sank mit seinem ganzen blutenden Leib am Fuß der Säule wie ohnmächtig in den Kreis seines Blutes nieder. Die Geißelknechte ließen Ihn liegen, tranken und riefen den Henkerknechten zu, die im Wachhaus beschäftigt waren, die Dornenkrone zu flechten.

Jesus zuckte noch in seinen Schmerzen mit blutenden Wunden am Fuß der Säule liegend. Da sah ich einige freche Dirnen vorbeiziehen. Sie hatten sich bei den Händen gefasst und standen vor Jesus still und sahen nach Ihm mit weichlichem Ekel. Da schmerzten Ihn alle seine Wunden noch mehr, und Er hob sein elendes Gesicht so jammervoll gegen sie. Sie zogen weiter, und die Schergen und Soldaten riefen ihnen lachend Schandreden nach.

Ich sah aber mehrmals während der Geißelung, als erschienen trauernde Engel um Jesus. Ich hörte sein Gebet, wie Er unter dem Hagel der bitteren, schimpflichen Pein sich fortwährend ganz seinem Vater für die Sünden der Menschen hingab. Jetzt aber, da Er in seinem Blut an der Säule lag, sah ich einen Engel, der Ihn erquickte. Es war, als gäbe er Ihm einen leuchtenden Bissen.

Nun nahten die Schergen wieder und stießen Jesus mit Füßen. Er solle aufstehen, sie seien noch nicht fertig mit dem König. Sie schlugen auch nach Ihm, und Jesus kroch nach seiner Gürtelbinde, die an der Seite lag, und die verruchten Knechte stießen dieselbe hohnlachend mit den Füßen hin und her, so dass der ärmste Jesus in seinem Blut sich mühseligst am Boden, wie ein zertretener Wurm, hinwenden musste, seinen Gürtel zu erreichen und seine zerrissenen Lenden zu verhüllen. Dann trieben sie Ihn mit Fußtritten und Schlägen auf die wankenden Füße, ließen Ihm nicht Zeit, seinen Rock anzuziehen und warfen Ihm denselben bloß mit den Ärmeln über die Schultern. Auf dem Umwege, auf welchem sie Ihn eilend zum Wachhaus trieben, trocknete Er das Blut mit diesem Kleid von seinem Gesicht. Sie hätten vom Geißelplatz gleich kürzer hingekonnt, weil die Hallen um das Gebäude gegen das Forum geöffnet waren, so dass man zum Gang sehen konnte, unter welchem die Schächer und Barabbas gefangen lagen. Sie führten Jesus aber an den Sitzen der Hohenpriester vorüber, welche schrieen: «Weg mit Ihm ! Weg mit Ihm !» und sich mit Ekel von Ihm abwandten, in den innern Hof des Wachhauses. Es waren jetzt beim Eintritt Jesu keine Soldaten darin, aber allerlei Sklaven und Schergen und Leichtfertigen, der Auswurf und Tross.

Weil nun das Volk so unruhig war, so hatte Pilatus eine Verstärkung der römischen Wache aus der Burg Antonia herbeigezogen. Diese Scharen umschlossen geordnet das Wachhaus. Sie durften wohl sprechen und lachen und Jesus höhnen, aber sie mussten sich in Reih und Glied halten. Pilatus wollte dadurch das Volk im Zaum halten und ihm imponieren. Es waren wohl an tausend Mann versammelt.

31. Maria während Jesu Geißelung

Ich sah die heiligste Jungfrau während der Geißelung unseres Erlösers in steter Aufregung. Sie sah und litt in unaussprechlicher Weise alles mit, was ihrem Sohn geschah. Ihre Pein und Marter war so unbegreiflich groß, wie ihre heiligste Liebe. Oft brachen leise Klagetöne aus ihrem Munde und ihre Augen waren entzündet von Tränen. Maria Heli, ihre ältere, sehr bejahrte Schwester, welche viele Ähnlichkeit mit der heiligen Anna hatte, umfasste sie mit den Armen. Auch Maria Kleophä, die Tochter der Maria Heli, war zugegen, und hing meistens am Arme ihrer Mutter. Die anderen heiligen Frauen waren bebend in Schmerz und Angst, unter leisem Wehklagen um die heiligste Jungfrau zusammengedrängt, als erwarteten sie ihr eigenes Todesurteil. Maria hatte ein langes, beinahe himmelblaues Gewand an, und darüber einen langen wollweißen Mantel und gelblich weißen Schleier. Magdalena war sehr zerstört und ganz zerrüttet vor Schmerz und Wehklagen, ihre Haare waren unter dem Schleier aufgelöst.

Ich sah, da Jesus nach der Geißelung an der Säule niedergesunken war, dass Claudia Procle, des Pilatus Frau, der Mutter Gottes ein Paket großer Tücher sandte. Ich weiß nicht mehr recht, ob sie glaubte, Jesus werde freigelassen werden, und dann solle die Mutter des Herrn seine Wunden damit verbinden, oder ob die mitleidige Heidin die Tücher zu der Handlung sandte, wozu die heiligste Jungfrau sie brauchte.

Maria sah ihren zerfleischten Sohn von den Gerichtsdienern vorübertreiben. Er wischte das Blut aus den Augen mit seinem Gewand, um seine Mutter anzusehen. Sie hob die Hände schmerzvoll nach Ihm und sah seinen blutigen Fußstapfen nach. Nun aber sah ich die heiligste Jungfrau und Magdalena, als das Volk sich mehr nach einer andern Seite wandte, dem Geißelplatz nahen. Sie warfen sich, von den andern heiligen Frauen und einigen guten Leuten, die um sie her traten, umschlossen und gedeckt, an die Erde bei der Geißelsäule nieder und trockneten das heiligste Blut Jesu mit jenen Tüchern auf, wo sie nur eine Spur davon fanden.

Johannes sah ich jetzt nicht bei den heiligen Frauen, die etwa zwanzig an der Zahl waren. Simeons Sohn, Obed, Veronikas Sohn, und Aram und Themeni, die beiden Neffen Josephs von Arimathäa waren unter Angst und Trauer im Tempel beschäftigt.

Es war nach der Geißelung etwa neun Uhr morgens.

32. Unterbrechung der Passionsbilder durch die Erscheinung des heiligen Nährvaters Joseph in Kindesgestalt

Die bisher mitgeteilten Passionsbilder hatte die gottselige Anna Katharina vom Abende des 18. Februar 1823 an, (Dienstag nach dem ersten Fastensonntag) bis zum 8. März, Samstag vor dem Sonntag Laetare unter seelischer und körperlicher Leidensteilnahme geschaut. Ohne äußeres Bewusstsein in diese Betrachtungen versunken, weinte und wimmerte sie, wie ein gemartertes Kind. Sie zuckte und zitterte und kroch winselnd auf ihrem Lager hin und her. Ihr Gesicht glich dem eines unter Martern sterbenden Menschen, Blutiger Schweiß ergoss sich mehrmals an Brust und Rücken. Überhaupt schwitzte sie öfters, ja fast durchgehends in so ungemeinem Grad, dass alles, was sie umgab, triefte und der Schweiß ihre Betten durchdrang. Zugleich litt sie solchen Durst, dass sie einem in wasserloser Wüste Verdürstenden glich. Ihr Mund war am Morgen oft wie vertrocknet, und ihre Zunge zurückgezogen und wie verdorrt, so dass sie nur mit unartikulierten Tönen und mit Deuten um Hilfe bitten konnte. Außerdem begleitete ein tägliches Fieber alle diese Peinigung, oder war deren Folge, und neben allem diesem währten ihre gewöhnlichen Leiden, Mitleiden und übernommenen Leiden ohne Unterbrechung fort. Nur nach mühsamer Erholung vermochte sie die Passionsbilder zu erzählen, und auch dieses nicht täglich vollständig, sondern wiederholend und nachtragend.

Auf diese Weise hatte sie in höchst elendem Zustande Sonnabends den 8. März 1823 die Geißelung Jesu als ihre Betrachtung in der verflossenen Nacht erzählt, und schien auch untertags noch in diesem Bild zu verweilen. Mit Sonnenuntergang aber kam in ihre Passionsbetrachtung eine Unterbrechung, welche wir hier mitteilen, weil sie sowohl einen Blick in das innere Leben einer so außerordentlichen Person gestattet, als auch einen würdigen Ruhepunkt für den Leser dieser Bücher gewährt. Denn wir haben an uns selbst erfahren, dass an der Betrachtung, wie an der Darstellung des bitteren Leidens die Schwachen leicht ermüden, obschon es doch für sie gelitten ward.

Das Seelen- und Körperleben der Betrachtenden war mit dem täglichen inneren und äußeren Leben der Kirche in der Zeit in inniger Zusammenstimmung, und gab mit einer vielleicht höheren Notwendigkeit, als jener, welche das gemütliche und körperliche Leben des natürlichen Menschen an Jahres- und Tageszeiten, Sonne und Mond, Klima und Witterung knüpft, ein stetes demütiges Zeugnis vom Wesen und der Bedeutung aller Geheimnisse und Feier des inneren und äußeren Kirchenlebens in der Zeit, welches es so treu begleitete, dass beim Eintritt des Vorabends, bei der so genannten Vigil eines jeden Kirchenfestes, sich ihr ganzer Zustand an Seele und Leib innerlich und äußerlich veränderte, und sich augenblicklich um die geistliche Sonne des folgenden Kirchenfestes, nachdem die des heutigen untergegangen, zu drehen begann, um nun alle ihre Gebete und Leidensarbeiten in Tau, Licht und Wärme der speziellen Gnade dieses neuen Kirchenfestes zu sonnen und als Tagewerk zu bestellen.

Nicht gerade wenn das katholische Abendgeläute den Beginn des neuen Kirchenfestes, zum Gebete des rührenden «Angelus Domini» auffordernd, anzeigte, welches Geläute durch Unwissenheit oder Nachlässigkeit öfters zu früh oder zu spät sein kann, sondern, wenn dieser Moment einer Darstellung des Ewigen in der Zeit wirklich an einer uns andern Menschen unsichtbaren Uhr eintrat, veränderte sich ihr ganzes Wesen, und die in wirklicher und wesentlicher Mitfeier eines heutigen Trauerfestes der Kirche ganz erdrückte, in seelischen und körperlichen Leiden verschmachtete und verwelkte Braut Jesu Christi richtete sich, wie vom Tau einer neuen Gnade plötzlich erquickt, mit Leib und Seele auf, um, so ein Freudenfest der Kirche eintrat, bis zum folgenden Abend für die innere ewige Wahrheit desselben heiter und stillfreudig, gleichsam mit verhüllten Leiden, Zeugnis zu geben.

Alles dieses aber geschah nicht so sehr durch sie, als an ihr; wenigstens war sie absichtslos dabei wie die Biene, welche aus den Blumen in kunstvollem Baue Wachs und Honig bereitet. Es hatte nämlich der treue Wille dieses armen Bauernmädchens von Kind auf, Jesus und seiner Kirche gehorsam zu sein, vor Gottes Augen wohlgefallen und Er gab ihr zum Willen nicht nur die Tat, sondern auch die Natur. Sie konnte nicht mehr anders, als sich zur Kirche, wie eine Pflanze zum Lichte wenden, selbst wenn man sie mit künstlicher Nacht umgeben hätte. Ihr Antlitz verschleierte oder schmückte sich mit dem Antlitz ihrer Mutter, der Kirche.

Am Samstag, den 8. März 1823, nach Sonnenuntergang, als die Ermüdete kaum die Bilder von der Geißelung unseres Herrn erzählt hatte, ward sie stille. Und der Schreiber dieses glaubte nicht anders, als dass ihre Seele bereits in das Bild der Dornenkrönung Jesu übergegangen sei. Aber nach einigen ruhigen Minuten gewann ihr erschöpftes, zum Tod müdes Gesicht eine liebliche, heitere Klarheit, und sie sprach mit jener Freundlichkeit, in welcher die Unschuld zu Kindern spricht: «Ach! Der liebe kleine Knabe kommt zu mir! Wer ist er nur? Ich will ihn fragen! - Er heißt Josephchen,.- O wie lieb er ist! Er läuft durch all das Volk zu mir her, das arme Kind! - Es ist so freundlich und lacht. - Es weiß von nichts. - Es dauert mich so! Wenn es nur nicht friert! Es ist ganz kühl heute früh. - Warte ! Ich will dich ein bisschen zudecken.» Nach diesen mit solcher Wahrheit gesprochenen Worten, dass man sich nach dem Kind hätte umsehen mögen, nahm sie einige Tücher, die neben ihr lagen, und machte mit ihnen alle Bewegungen einer mitleidigen Person, die ein liebes Kind gegen Kälte verhüllt. Der Schreiber beobachtete dieses mit Aufmerksamkeit und vermutete darin die äußere Gebärde einer inneren Gebetstätigkeit, wie er dergleichen schon oft an ihr gesehen. Es konnte ihm aber jetzt keine Erklärung vom Grunde ihrer Worte und Handlung geben, denn es trat eine plötzliche Unterbrechung ihres Zustandes ein. Es wurde nämlich der Name eines der Gelübde, mit welchen sie dem Herrn als Klosterfrau heilig verlobt war, das Wort «Gehorsam» von einer Person ausgesprochen, welcher ihre Pflege oblag. Augenblicklich raffte sie sich wie ein frommes gehorsames Kind zusammen, welches die Mutter aus tiefem Schlafe ruft. Sie fasste schnell ihren Rosenkranz und das kleine Handkreuz, das sie immer bei sich hatte, ordnete ihre Kleidung, rieb sich die Augen, richtete sich auf, und ward unfähig, selbst auf den Füßen zu stehen oder zu gehen, von ihrem Lager auf einen Stuhl gebracht. Es war die Zeit, da man ihr Lager erfrischte und ordnete. Der Schreiber verließ sie. Als er sie aber am folgenden Morgen, Laetare-Sonntag, wieder besuchte, um die Fortsetzung der Passionsbilder zu vernehmen, fand er sie gegen Vermuten heiterer und wohler aussehend, als alle die bisherigen Tage. Sie sagte aber: «Ich habe nichts weiter nach der Geißelung gesehen» und auf die Frage, was sie denn gestern abend von einem Josephchen so vieles zu sprechen gehabt habe, wusste sie sich nicht gleich zu entsinnen. In weiterem Gespräch aber, dass sie heute doch viel ruhiger, heiterer und schmerzloser sei, sagte sie: «Das ist um Mitte der Fastenzeit immer so. Heute singt die Kirche im Eingang des heiligen Messopfers mit Jesaias: «Erfreue dich Jerusalem! Zur Freude versammelt euch alle, die ihr sie liebet. Seid froh und freudig, die ihr traurig wart: Frohlocket und sättigt euch von den Brüsten ihres Trostes.» Darum ist heute ein Tag der Erquickung. Heute hat auch im heiligen Evangelium der Herr die 5000 Menschen mit fünf Broten und zwei Fischen erquickt, und ist noch so viel übrig geblieben. Da muss man sich freuen. Auch mich hat Er heute früh mit dem heiligen Sakrament gespeist. An diesem Tage der Fasten fühle ich mich immer an Leib und Seele gestärkt.» Als der Schreiber hierauf in den Münsterschen Kirchenkalender blickte, sah er, dass nicht nur der Sonntag Laetare war, sondern dass auch das Fest St. Josephs, des Nährvaters unseres Herrn, hierzulande heute gefeiert wurde, welches ihm unbekannt war, weil das Josephsfest anderwärts auf den 19. März fällt. Als er sie nun aufmerksam machte, es sei ja heute das Josephsfest, ob sie vielleicht deshalb von Joseph gesprochen habe, erklärte sie: sie wisse freilich, dass heute das Josephsfest sei und kam nun so auf die Erinnerung des gestern empfangenen Tröstungsbildes des heiligen Joseph. Und es ergab sich aus ihrer weiteren Mitteilung ein höchst erfreulicher Blick in den inneren Gang ihrer Anschauungen. Es war nämlich mit dem Vorabend des Sonntages Laetare und des Josephsfestes ein freudiges Bild des heiligen Joseph plötzlich in ihre Passionsbetrachtungen, gleichsam dramatisch, eingetreten, und zwar in kindlicher Form.

Wir haben aber oft erlebt, dass ihr himmlischer Bräutigam seine Boten in Kindergestalt zu ihr sandte, und haben bemerkt, dass es immer in Fällen geschah, wo auch die Kunst zu ihrem Dolmetscher sich der Form eines Kindes hätte bedienen können. Sollte z.B. in einem ganz biblisch-historischen Gesichte der Bezug auf irgend eine erfüllte Prophezeiung angedeutet werden, so lief gewöhnlich neben den Ereignissen des Bildes irgend ein Knabe einher, welcher in seinem Betragen, seiner Kleidung und in der Art, wie er seine prophetische Schriftrolle ernst in der Hand trug, oder an einen Stab gebunden in der Luft herumschwenkte, den Charakter dieses oder jenes Propheten bezeichnete. Hatte sie schwer zu leiden, so kam etwa ein stilles liebliches Kind zu ihr in grünem Kleid, saß mühsam zufrieden, äußerst unbequem auf dem schmalen harten Rand ihres Bettes, oder ließ sich klaglos von einem Arm zum andern nehmen, oder an die Erde setzen, war immer gleich freundlich und zufrieden, schaute immer nach ihr, und tröstete sie, und war die Geduld. War sie durch Krankheit oder übernommenes Leiden ganz ermüdet, und kam sie durch einen Festtag oder durch eine Reliquie in Bezug mit einem Heiligen, mit einem verklärten Glied des Brautleibes Jesu Christi, so sah sie nur Bilder aus der Kindheit dieser Heiligen, statt dass sie sonst ihre schweren Martern mit allen erschütternden Umständen anschaute. Sollte ihr in großen Leiden, in gänzlicher Erschöpfung durch Gottes Güte Trost und Erheiterung, ja selbst Belehrung, Warnung und Rüge zukommen, so geschah dieses immer in kindlichen Formen und Bildern, und zwar in solchem Maße, dass, so sie in großen Nöten und Bedrängnissen sich nicht mehr zu helfen wusste, sie entschlummernd sich oft augenblicklich in irgend eine kindliche Bedrängnis ihrer Jugend zurückversetzt fühlte und fest glaubte, ja im Schlafe sich täuschend äußerte und gebärdete, als sei sie etwa ein armes fünfjähriges Bauernkind, das, durch einen Zaun schlüpfend, in den Dornen weinend stecken geblieben. Immer aber waren in solchen Fällen diese Kindheitsszenen haarscharf wirklich erlebte Begebenheiten ihrer Jugend. Und in der Anwendung der Parabel hieß es wohl: «Was schreist du so? Ich helfe dir nicht aus dem Zaun, bis du mir zu Liebe geduldig ausharrest und betest.» Diese Mahnung hatte sie auch wohl als Kind im Zaun befolgt, und befolgte sie nun eben so in ihrem Alter in scheinbar großer Not, und lächelte erwachend über den Zaun und den Geduld- und Gebetsschlüssel dazu, den sie schon als Kind empfangen und nur so nachlässig vergessen habe, den sie aber nun treulich und mit unfehlbarem Erfolg sogleich wieder anwendete.

So bewährte es sich oft auf eine überraschende und rührende Weise an der tief sinnbildlichen Bedeutung ihrer Kindheitsereignisse für die Ereignisse ihres späteren Lebens, dass eben so in dem Leben des Individuums, wie in jenem der Geschichte Vorbildlichkeit stattfindet, dass aber dem Individuum, wie der Geschichte ein göttliches Vorbild in dem Erlöser gegeben ist, damit beide, mit höherer Kraft Ihm nachringend, aus den Naturschranken der Entwicklung heraus und in die volle Freiheit des Geistes übertreten, um heranzuwachsen zum vollkommenen Mannesalter Christi, auf dass Gottes Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden, und sein Reich zu uns komme !

Sie erzählte nun folgende, ihr noch erinnerliche Bruchstücke der Bilder, welche ihre Passionsbetrachtung gestern abend beim Eintritt der Vigil des St. Josephsfestes unterbrochen hatten.

Ich war in allen diesen fürchterlichen Ereignissen bald hier, bald dort in Jerusalem, ich war voll Schmerzen und todkrank. Als sie meinen liebsten Bräutigam geißelten, saß ich an einer Ecke des Geißelplatzs, wo sich kein Jude hinwagte, aus Furcht, unrein zu werden. Ich aber scheute mich nicht, und wünschte, es möge nur ein Tropfen seines Blutes auf mich spritzen und mich reinigen. Ich war so voll Pein, ich meinte, ich müsse sterben. Ich jammerte und zitterte bei jedem Schlag. Ach ! Wie elend lag mein liebster Bräutigam zerfleischt am Fuß der Säule im Kreis seines heiligen Blutes! Wie grausam stießen die Gerichtsdiener mit Füßen nach Ihm, dass Er fort solle! Wie kroch Er mit Wunden und Blut bedeckt so jammervoll nach seinen Kleidern! Kaum hatte Er sich mit seinen vor Schmerz zuckenden Armen verhüllt, so trieben sie Ihn schon wieder auf zu neuer Pein und schleppten Ihn an seiner betrübtesten Mutter vorüber. Wie sah sie händeringend seinen blutigen Fußstapfen nach ! Durch die zum Markt nun geöffnete Seite des Wachhauses hörte ich das Gespött der niederträchtigen Henkersknechte, welche die Dornenkrone mit Handschuhen flochten und spottend ihre Stacheln prüften. Ich zitterte und bebte, und wollte dahin, um meinen armen Bräutigam in seinem neuen Leiden zu sehen. Da kam ein wunderschönes Knäbchen mit blonden Löckchen, nur mit einer Binde um den Leib bekleidet, zwischen den langen Gewändern der heiligen Frauen wie durchschlüpfend auf mich zu und war ganz freundlich, wendete mir den Kopf weg, hielt mir bald die Augen, bald die Ohren zu und wollte nicht zugeben, dass ich weiter die traurigen Bilder anschaute. Der Knabe fragte mich: «Kennst du mich nicht? Ich heiße Joseph und bin von Bethlehem!» Nun fing er an, von der Krippenhöhle und Geburt Christi und von den Hirten und der drei Königen zu erzählen, wie herrlich und freudig das alles gewesen sei! Er war sehr freudig. Ich fürchtete aber immer, er möchte frieren, weil er so wenig bekleidet war, und da noch Hagelschauer fielen. Er aber hielt mir die Händchen an die Wangen und sagte: «Fühle, wie warm ich bin, wo ich bin, friert man nicht.» Ich jammerte über die Dornenkrone, die ich flechten sah: er jedoch tröstete mich und sagte mir eine schöne Parabel her, worin all das Leiden zur Freude ausging, und klatschte dabei in die Hände. Er legte mir in dieser Parabel viele Bedeutungen aus dem Leiden Christi aus, und er zeigte mir auch die Äcker, worauf die Dornen gewachsen, aus denen die Krone geflochten wurde, und was diese Dornen bedeuteten, und wie diese Äcker ganz herrliche Weizenfelder würden, und die Dornen ein schützender Zaun um sie, der voll schöner Rosen' blühte <ref>Wahrscheinlich hat sie hier unter anderem mancherlei Bezüge auf den heutigen freudigen Sonntag Laetare vergessen, welcher auch der Rosensonntag heißt, weil der heilige Vater heute, die Freude dieses Tages zu bezeichnen, der zwischen den Dornen der Fastenzeit wie eine Rose hervorbricht, eine goldene Rose weiht und sie in der Hand tragend durch Rom zieht. Dahin kann ihre Erwähnung der Rosen deuten, ebenso wie der Weizenacker auf den Namen «Sonntag der Erquickung» oder «Brotsonntag», weil heute das Evangelium der fünftausend von Jesus mit fünf Broten und zwei Fischen Gespeisten gelesen wird. Dieser Tag heißt daher auch Dominica rosata, de panibus, refectionis).</ref> Ja er wusste alles so freundlich und lieblich zu erklären, dass alle Dornen zu Rosen zu werden schienen, mit denen wir spielten. Alles, was er sagte, war voll Bedeutung. Es war ein langes, rührendes Bild von der Entstehung und Entwicklung der Kirche in ganz kindlich lieblichen Gleichnissen. Der freundliche Knabe ließ mich aber gar nicht mehr zum Leiden Christi hinsehen und zog mich in ein ganz anderes Kinderbild. Ich war nun selbst ein Kind, und verwunderte mich nicht lange darüber und lief mit dem Knaben Joseph nach Bethlehem auf alle seine Jugendspielplätze, und er zeigte mir alles, und wir spielten und beteten in der nachmaligen Krippenhöhle, in welche er sich oft als Knabe flüchtete, wenn seine Brüder ihn wegen seines frommen Wesens neckten. Und es war, als lebte seine Familie noch im alten Stammhaus, worin einst der Vater Davids gewohnt hatte, und das zur Zeit von Christi Geburt schon in fremden Händen war, denn damals waren die römischen Amtsleute darin, welchen Joseph den Zins zahlen musste. Wir waren fröhlich, wie Kinder, und es war, als sei Jesus, ja selbst die Mutter Gottes noch gar nicht geboren.» So ging sie also am Vorabend des St. Josephsfestes aus dem Leiden der Passionsbilder in ein tröstendes Kindheitsbild des heiligen Josephs über.

33. Vom Aussehen Mariä und Magdalenas

Die Wangen der heiligsten Jungfrau sah ich bleich und hager, ihre Nase fein und lang, ihre Augen beinahe blutrot vom Weinen. Es ist wunderbar und unbeschreiblich, wie schlicht, gerade und einfach ihre Erscheinung ist. Jetzt ist sie doch seit gestern und die ganze Nacht in Schrecken und Angst und Tränen durch das Tal Josaphat und die Straßen von Jerusalem und das Volk herumgeirrt, und ihre Kleidung sieht dennoch ganz ordentlich und gar nicht verwüstet aus. Es ist keine Falte ihres Kleides, die nicht voll Heiligkeit wäre. Alles ist so schlicht und einfach, so ernst, rein und unschuldig. Ihr Umherschauen ist so edel, und der Schleier macht so einfache, reine Falten, wenn sie das Haupt ein wenig wendet. Sie bewegt sich nicht heftig, und im zerreissendsten Schmerz ist alles ihr Tun einfach und ruhig. Ihr Gewand ist zwar feucht vom Nachttau und unzähligen Tränen, aber es ist rein und ordentlich und unverwüstet. Sie ist unaussprechlich auf eine ganz übersinnliche Weise schön, denn alle Schönheit an ihr ist zugleich Unbeflecktheit, Wahrheit, Einfalt, Würde und Heiligkeit.

Magdalena hingegen erscheint ganz anders. Sie ist größer, und zeigt in Gestalt und Bewegung viel mehr Formen, aber durch Reue und fürchterlichen Schmerz ist ihre Schönheit zerstört. Sie ist beinahe schrecklich, wo nicht hässlich jetzt durch die ungebändigte Wut ihrer Leiden. Ihre Kleider sind nass und mit Kot befleckt, sie hängen unordentlich und zerrissen um sie her. Ihre langen Haare hängen aufgelöst und unordentlich unter dem zerwundenen nassen Schleier. Sie ist ganz verwüstet, sie denkt an nichts als an ihr Leid, und sieht beinahe wie eine Wahnsinnige aus. Es sind so viele Leute aus Magdalum und der Gegend hier, die sie früher in ihrem anfangs so prächtigen, und dann so wüsten Sündenleben gesehen, und da sie so lange verborgen gelebt, so zeigt nun alles mit Fingern auf sie und verhöhnt sie bei ihrer zerstörten Erscheinung. Ja es hat sogar schlechtes Volk aus Magdalum mit Kot im Vorübergehen nach ihr geworfen, aber sie weiß von nichts, so sehr ist sie in ihren Jammer versunken.

34. Jesu Dornenkrönung und Verspottung

Während der Geißelung Jesu hatte Pilatus noch mehrmals zum Volk geredet und es hatte sich wiederum das Geschrei erhoben: «Er muss weg und wenn wir alle darüber umkommen sollten !» Da nun Jesus zur Krönung geführt wurde, schrieen sie auch noch: «Weg mit Ihm! Weg!» Es kamen immer neue Gruppen von Juden heran, welche von den ausgesendeten Boten der Hohenpriester zu diesem Geschrei aufgewiegelt waren.

Hierauf trat ein kurzer Stillstand ein. Pilatus machte Anordnungen mit seinen Soldaten. Die Hohenpriester und der Rat, welche auf erhöhten Bänken an beiden Seiten der Straße vor der Terrasse des Pilatus unter Bäumen und angespannten Decken saßen, ließen sich Speise und Trank von ihren Dienern zutragen. Ich sah auch Pilatus wieder in seltsamer Verwirrung mit seinem Aberglauben. Er hatte, sich allein begebend, noch immer mit Räuchern bei seinen Göttern und mit allerlei Zeichendeuterei zu schaffen.

Die heiligste Jungfrau und ihre Begleitung sah ich nach der Geißelung, als sie das Blut Jesu aufgetrocknet hatte, sich vom Forum zurückziehen. Ich sah sie mit den blutigen Tüchern in einem kleinen Haus, das an eine Mauer gebaut und nicht weit von hier gelegen war. Ich erinnere mich nicht mehr, wem es gehörte. Johannes erinnere ich mich nicht bei der Geißelung gesehen zu haben.

Die Krönung und Verspottung Jesu geschah im inneren Hof des Wachhauses, das über den Gefängnissen an dem Forum stand. Es war mit Säulen umgeben und die Eingänge waren geöffnet. Es waren etwa 50 niederträchtige Schurken vom Tross, Knechte der Gefangenenwärter, Schergen, Jungs, Sklaven und die Geißelknechte, welche bei dieser Misshandlung Jesu tätigen Teil nahmen. Anfangs drängte sich das Volk heran. Aber bald umgaben 1000 römische Soldaten das Gebäude. Sie standen in Reih und Glied, höhnten und lachten, und gaben dadurch der Prahlerei der Quäler Jesu allerlei Veranlassung, sein Leiden zu vermehren, denn ihr Gelächter und ihre Späße munterten diese auf, wie der Beifall die Schauspieler.

Sie hatten den Fuß einer alten Säule in die Mitte gewälzt, es war ein Loch darin, worin sonst wohl die Säule mochte befestigt gewesen sein. Darauf setzten sie einen niederen runden Schemel, der hinten eine Handhabe zum Anfassen hatte, und legten aus Bosheit spitzige Steine und Scherben darauf.

Sie rissen Jesus abermals alle Kleidung von seinem verwundeten Leib und legten Ihm einen alten, roten, zerrissenen, kurzen Soldatenmantel um, der nicht an die Knie reichte. Es hingen hie und da Fetzen von gelben Quasten daran. Er lag in einem Winkel der Schergenkammer, und sie pflegten ihn den gegeißelten Verbrechern umzutun, entweder das Blut darin zu trocknen, oder sie zu verspotten. Nun schleppten sie Jesus zu dem mit Scherben und Steinen bedeckten Stuhl und stießen seinen verwundeten, entblößten Leib heftig darauf nieder. Sie setzten Ihm die Dornenkrone auf, welche ein paar Hand hoch, dicht und kunstvoll geflochten war und einen oben vorstehenden Rand hatte. Sie legten sie Ihm wie eine Binde um die Stirne und banden sie hinten fest zusammen. Da bildete sie einen Kronenhut. Sie war aus drei fingerdicken, im Dickicht gerade aufgeschossenen Dornzweigen kunstvoll geflochten und die Dornen mit Absicht meistens einwärts gedreht. Es waren dreierlei Steckdornen, solcher Art, wie man bei uns Kreuzdorn, Schlehdorn und Hagedorn hat. Oben hatten die Kronflechter einen vorstehenden Rand von einem Dorn, wie bei uns die Brombeeren, angeflochten, bei welchem sie die Krone anfassten und zerrten. Ich habe die Gegend gesehen, wo die Jungs die Dornen geholt hatten. Dann gaben sie Jesus ein dickes Schilfrohr in die Hand mit einem Busch oben. Alles das taten sie mit einer höhnenden Feierlichkeit, als krönten sie Ihn wirklich zum König. Sie nahmen Ihm aber das Rohr aus der Hand und schlugen heftig auf die Krone damit. Das Blut füllte seine Augen. Sie knieten vor Ihm nieder, streckten die Zunge vor Ihm aus, schlugen und spieen Ihm in das Gesicht und schrieen: «Sei gegrüßt, Du König der Juden!» Sie warfen Ihn unter Hohngelächter mit dem Stuhl um, und stießen Ihn wieder von neuem darauf.

Ich vermag alle die niederträchtigen Erfindungen dieser Jungs, den armen Heiland zu verhöhnen, nicht zu wiederholen. Ach! Er dürstete so entsetzlich, denn Er hatte wie ein Wundfieber<ref>Diese Betrachtung bewegte während dieser Nacht die Begnadigte zu solchem Mitleiden, dass sie mit ihrem Heiland zu dürsten begehrte. Sie fiel hierauf in ein heftiges Fieber, und erlitt einen so brennenden Durst, dass sie am Morgen nicht mehr zu sprechen vermochte, ihre Zunge war blau, starr und trocken in den Schlund zurückgezogen, ihre Lippen dürr und gespannt. Der Schreiber fand sie in diesem Zustand am Morgen wie eine Verschmachtete, bleich und ohnmächtig, sie schien dem Tod nah. Nachdem man ihr mühsam etwas Wasser eingeflösst hatte, vermochte sie nach längerer Ruhe nur mit Anstrengung das Obige mitzuteilen. Die Person, welche bei ihr gewacht hatte, erklärte, dass sie während der Nacht oft wimmernd auf ihrem Lager umhergekrochen sei.</ref> von der Zerfleischung durch die unmenschliche Geißelung. Er zitterte. Das Fleisch in den Seiten war hie und da bis auf die Rippen zerrissen. Seine Zunge war krampfhaft zusammengezogen. Nur das niederrinnende heiligste Blut seines Hauptes erbarmte sich seines glühenden Mundes, der schmachtend geöffnet war. Die schrecklichen Menschen aber nahmen seinen Mund als ein Ziel ihres ekelhaften Auswurfes. So wurde Jesus etwa eine halbe Stunde misshandelt und die Kohorte, welche das Prätorium in Reih und Glied umgeben hatte, lachte und jauchzte dazu.

35. Ecce Homo

Nun führten sie Jesus mit der Dornenkrone auf dem Haupt und dem Rohrzepter in den gebundenen Händen, mit dem Purpurmantel bedeckt wieder in den Palast des Pilatus. Jesus war unkenntlich von Blut, das seine Augen füllte und in Mund und Bart niederrann. Sein Leib, mit Schwielen und Wunden bedeckt, glich einem in Blut getauchten Tuch. Er ging gebückt und schwankend. Der Mantel war so kurz, dass Er sich beugen musste, um sich mit ihm zu bedecken. Sie hatten Ihm alle Bekleidung bei der Krönung wieder abgerissen. Als Er an der untersten Stufe der Treppe vor Pilatus anlangte, ergriff diesen grausamen Menschen selbst ein Schauder von Mitleid und Ekel. Er lehnte sich auf einen seiner Offiziere und da Volk und Priester immer lärmten und höhnten, rief er: «Wenn der Juden Teufel so grausam ist, so kann man nicht bei ihm in der Hölle wohnen.» Jesus wurde mühselig die Treppe hinaufgerissen, und, während Er im Hintergrund stand, trat Pilatus auf die Terrasse. Es wurde auf einer Posaune geblasen, um Aufmerksamkeit zu erregen, denn Pilatus wollte reden. Er sprach aber zu den Hohenpriestern und dem Volk: «Seht! Ich lasse Ihn nochmals zu euch herausführen, damit ihr erkennt, dass ich keine Schuld an Ihm finde !»

Nun ward Jesus von den Schergen auf die Terrasse neben Pilatus vorgeführt, so dass alles Volk vom Forum aus Ihn sehen konnte. Ein furchtbarer, herzzerreissender Anblick! Grauen und dumpfe Stille trat ein, als die unmenschlich misshandelte, heiligste Martergestalt Jesu des Sohnes Gottes voll Blut und Wunden unter der schrecklichen Dornenkrone hervor die Blicke seiner blutigen Augen auf die Wogen des Volkes wendete, und neben Ihm Pilatus, auf Ihn deutend, zu den Juden herab rief: «Sehet, hier ist dieser Mensch!»

Während so Jesus in dem roten Spottmantel mit zerfleischtem Leib, sein mit Blut überronnenes, von Dornen durchbohrtes Haupt niedersenkend, mit gebundenen Händen den Rohrzepter haltend, gebeugt, vor dem Palast Pilati in unendlicher Trauer und Milde, Schmerz und Liebe, wie ein blutiger Schatten, dem Wutgeschrei der Priester und des Volkes ausgesetzt war, zogen Scharen von kürzer bekleideten fremden Mägden und Männern über das Forum zum Schafteich hinab, um dort bei der Reinigung der Opferlämmer zu helfen, deren rührendes Geblöke, als wollten sie ein Zeugnis geben für die schweigende Wahrheit, noch immer sich mit dem Blutgeschrei des Volkes vermischte. Nur das wahre Osterlamm Gottes, das eröffnete, unerkannte Geheimnis dieses heiligen Tages, erfüllte die Prophezeiung und beugte sich schweigend zur Schlachtbank.

Die Hohenpriester und Gerichtsleute wurden ganz grimmig beim Anblick Jesu, dem furchtbaren Spiegel ihres Gewissens, und schrieen: «Weg mit Ihm! Kreuzige Ihn!» Pilatus aber rief: «Habt ihr nicht genug? Er ist so zugerichtet, dass Er kein König mehr wird sein wollen.» Aber wie rasend schrieen sie immer heftiger und alles Volk tobte durcheinander: «Weg mit Ihm ! Ans Kreuz mit Ihm!» Wieder ließ Pilatus die Posaune blasen und rief: «So nehmt denn ihr Ihn hin und kreuziget Ihn! Ich finde keine Schuld an Ihm !» Da riefen nun die Hohenpriester: «Wir haben ein Gesetz, und nach diesem muss Er sterben, denn Er hat sich selbst zu Gottes Sohn gemacht !» Und Pilatus sagte: «Wenn ihr solche Gesetze habt, dass Dieser sterben muss, so mag ich kein Jude sein.» Aber das Wort: «Er hat sich selbst zu Gottes Sohn gemacht !» ängstigte ihn aufs Neue und regte seine abergläubische Sorge wieder an. Darum ließ Er Jesus zu sich allein in die Gerichtsstube führen und fragte Ihn: «Woher bist Du?» Jesus aber gab ihm keine Antwort. Nun versetzte Pilatus: «Du antwortest mir nicht? Weißt Du nicht, dass ich Macht habe, Dich zu kreuzigen und Dich freizulassen?» Jesus antwortete: «Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht von oben herab gegeben wäre. Deswegen begeht der, welcher mich dir überliefert hat, eine noch schwerere Sünde.»

In diesem Augenblick sendete Claudia Procle, die Frau des Pilatus, aus Angst über seine Zögerung, abermals zu ihm und ließ ihn durch Vorzeigung seines Pfandes an das gegebene Versprechen erinnern. Er aber ließ ihr eine verwirrte abergläubische Antwort zurückmelden, in der er sich auf seine Götter berief.

Darauf redete Pilatus, unentschiedener und verwirrter als zuvor, noch einmal zu dem Volk, dass er keine Schuld an Jesus finde. Das Volk aber, durch die Reden der Hohenpriester und Pharisäer, «dass Jesu Anhänger die Frau des Pilatus bestochen hätten und dass wenn Jesus frei würde, Er mit den Römern sich verbinden und sie alle dann umkommen würden» immer mehr erbittert, forderte nur noch ungestümer seinen Tod. Da ging Pilatus zu Jesus in die Gerichtsstube zurück, denn er wollte irgend welche Antwort auf seine Fragen von Ihm erhalten. Er war allein mit Jesus, blickte Ihn fast zaghaft an, dachte verwirrt: «Sollte dieser doch wohl ein Gott sein können?» und brach dann plötzlich mit einem Schwur heraus, dass Jesus ihm sage, «ob Er ein Gott und kein Mensch, ob Er jener König sei? Wie weit sein Reich sich erstrecke? Welchen Rang seine Gottheit habe? Er solle es sagen, er wolle Ihn freilassen.» Was Jesus darauf dem Pilatus zur Antwort gab, kann ich nur dem Inhalte, nicht den Worten nach erzählen. Der Herr sprach furchtbar ernste Worte. Er ließ den Pilatus ahnen, welch ein König Er sei, welches Reich Er zu regieren habe, und was die Wahrheit sei, denn Er sagte ihm die Wahrheit. Er sagte dem Pilatus den ganzen Gräuel seines Innern ins Gesicht. Er sagte ihm das Geschick, das ihm bevorstehe, die Verweisung ins Elend und sein abscheuliches Ende voraus und dass Er einstens kommen werde, zu richten über ihn ein gerechtes Gericht.

Durch diese Worte teils erschüttert, teils geärgert ging Pilatus hinaus auf die Terrasse und rief nochmals, er wolle Jesus freilassen. Da schrieen sie aber: «Lässt du diesen frei, so bist du kein Freund des Kaisers, denn wer sich zum König aufwirft, ist des Kaisers Feind!» Andere schrieen, «sie wollten ihn beim Kaiser verklagen, dass er ihr Fest störe. Er solle fortfahren, denn um zehn Uhr müssten sie bei großer Strafe in den Tempel.» Das Geschrei «ans Kreuz mit Ihm! Weg mit Ihm !» tobte wieder von allen Seiten. Ja sie waren auf die platten Dächer am Forum gestiegen und schrieen herab.

Pilatus sah nun, dass er bei diesen Rasenden nichts ausrichtete. Das Getöse und Geschrei hatte etwas Fürchterliches. Die ganze Masse des Volkes vor dem Palast war in so grimmiger Bewegung, dass ein heftiger Aufstand zu befürchten war. Da ließ Pilatus sich Wasser bringen. Der Diener goss es ihm aus einer Schale über die Hände vor dem Volk, und Pilatus rief von der Terrasse hinab: «Ich bin unschuldig an dem Blut dieses Gerechten! Ihr möget es verantworten!» Da erhob sich aber ein schauderhaftes einstimmiges Geschrei des versammelten Volkes, worunter Leute aus allen Orten Palästinas waren. Sie schrieen: «Sein Blut komme auf uns und unsere Kinder!»

So oft ich in Betrachtung des bitteren Leidens diesen schauderhaften Schrei der Juden höre: «sein Blut komme auf uns und unsere Kinder!» wird mir die Wirkung dieser feierlichen Selbstverfluchung durch wunderbare entsetzliche Bilder vorgestellt und fühlbar gemacht. Ich sehe, als liege ein finsterer Himmel voll blutroter Wolken, feuriger Strafruten und Schwerter über dem rufenden Volke. Es ist, als wenn ich die Strahlen dieses Fluches durch all ihr Mark und Bein, und bis auf die Kinder im Mutterleib treffen sähe. Ich sehe nämlich das ganze Volk wie verfinstert, und den schrecklichen Schrei mit einem trüben, grimmen Feuer aus ihrem Munde stürzen, sich über ihnen vereinigen und wieder auf sie niederschiessen, in einige tiefer eindringend, über andere aber verweilend schweben. Die letztern bedeuten solche, welche sich nach Jesu Tod bekehrten. Die Anzahl dieser aber war nicht unbedeutend, denn ich sehe Jesus und Maria während aller dieser schrecklichen Leiden immer für das Heil der Peiniger beten, und keinen Augenblick sich über alle die furchtbaren Misshandlungen ärgern. Das ganze Leiden des Herrn sehe ich unter der boshaftesten, grausamsten Peinigung, unter hoffärtigem und niederträchtigem Hohn, unter Zorn und Wut und gräulicher Blutgier seiner Feinde und ihrer Knechte, und unter Undank und Verleugnung mancher seiner Angehörigen, als das bitterste Seelen- und Körperleiden, von Jesus unter stetem Gebet, steter Liebe seiner Feinde, stetem Flehen um ihre Bekehrung, bis zum letzten Atemzuge vollbracht. Durch alle diese Geduld und Liebe aber sehe ich die Wut und Raserei seiner Feinde noch mehr sich entflammen. Sie ergrimmen, weil alle ihre Misshandlung nicht vermag, seinem klagelosen Munde irgend ein Widerwort zu entreissen, das ihre Bosheit entschuldigen könnte. Heute am Pascha, da sie das Osterlamm töten, wissen sie nicht, dass sie ein Lamm töten.

Wenn ich bei solchen Anschauungen meine Gedanken auf die Gemüter des Volkes und der Richter, und auf die heiligsten Seelen Jesu und Mariä richte, so wird mir oft alles, was mit ihnen vorgeht, in Erscheinungen gezeigt, welche die Leute damals freilich nicht gesehen haben, deren Inhalt aber sie alle fühlten. Ich sehe dann eine unzählige Menge von Teufelsgestalten, jede ganz nach dem Laster, die sie bedeutet, geformt, in schrecklicher Tätigkeit unter der Menge. Ich sehe sie laufen, hetzen, verwirren, in die Ohren flüstern, in den Mund fahren. Ich sehe sie aus der Volksmasse einzeln in großer Zahl hervorstürzen, sich vereinigen, und die Menschen gegen Jesus antreiben. Dann wieder vor dessen Liebe und Geduld erbeben und von neuem unter der Menge verschwinden. Aber ich sehe in allem ihrem Tun etwas Verzweifeltes, Verwirrtes, sich selbst Zerstörendes, ein wirres, unsinniges Hin- und Herzerren. Über und um Jesus und bei Maria und all den wenigen Heiligen sehe ich auf ähnliche Weise viele Engel in Tätigkeit. Ich sehe diese auch nach ihren verschiedenen Aufgaben in mannigfaltiger Form und Kleidung. So erscheinen auch ihre Handlungen bald als Trost, als Gebet, als Salbung, Speisung, Tränkung, Bedeckung, oder als andere Werke der Barmherzigkeit.

Gleicherweise sehe ich dann oft Stimmen des Trostes oder der Drohung, wie verschieden leuchtende und farbige Worte aus dem Munde solcher Erscheinungen ausstrahlen oder sind es Botschaften, diese in Form von Zetteln in ihren Händen. Auch sehe ich oft, so ich es wissen soll, Seelenbewegungen und innere Leidenschaften, Leiden und Lieben, alles, was Empfindung ist, in verschieden gefärbten Licht- und Schattenbewegungen die Brust und den ganzen Leib der Menschen in mannigfaltigen Formen, Richtungen und Verwandlungen von Farbe und Gestalt, von Langsamkeit und Schnelligkeit durchziehen und durchzucken, und verstehe dann das alles. Aber es ist unmöglich, das wieder zu sagen, denn es ist ganz unendlich viel, und ich bin dabei so voll Schmerz, Leid und Betrübnis über meine und aller, Welt Sünden, und so zerrissen vom bitteren Leiden Jesu, dass ich gar nicht weiß, wie ich das wenige, was ich erzähle, noch zusammenbringe. Viele Dinge, besonders Erscheinungen und Tätigkeiten von Teufeln und Engeln, welche von anderen Seelen, die das Leiden Christi schauend betrachtet haben, in die Erzählung eingeflochten werden, sind einzelne Stücke solcher inneren, damals unsichtbaren, geistigen Wirkungsbilder, welche nach der Seelenrichtung der Schauenden bald so, bald anders behalten und mit der Erzählung verbunden werden. Daher oft Widersprüche, weil sie Verschiedenes vergessen, Verschiedenes übergehen, Verschiedenes anmerken. Da alle Bosheit an Jesus gepeinigt, alle Liebe in Ihm gelitten hat, da Er die Sünden der Welt, als das Lamm Gottes, auf sich genommen: wer kann da nicht unendliche Dinge des Gräuels und der Heiligkeit erkennen und erzählen? Wenn daher die Gesichte und Betrachtungen vieler frommen Seelen nicht ganz übereinstimmen, so rührt es daher, dass sie nicht aus gleicher Gnade schauten, erzählten und verstanden wurden.

36. Jesus zum Kreuztod verurteilt

Pilatus, der nicht die Wahrheit, sondern einen Ausweg suchte, war nun schwankender als je. Sein Gewissen sagte: Jesus ist unschuldig. Seine Frau sagte: Jesus ist heilig. Sein Aberglaube sagte: Er ist ein Feind deiner Götter. Seine Feigheit sagte: Er ist selbst ein Gott und wird sich rächen. Da fragte er Jesus nochmals bang und feierlich, und Jesus sagte ihm seine geheimsten Verbrechen, sein künftiges elendes Schicksal und Ende, und dass Er an jenem Tage, sitzend auf den Wolken des Himmels, ein gerechtes Gericht über ihn richten werde. Da kam ihm ein neues Gewicht gegen die Freilassung Jesu in die falsche Waage seiner Gerechtigkeit. Er ärgerte sich, dass er vor Jesus, den er nicht ergründen konnte, in der ganzen Blöße seiner inneren Schmach dastand, und dass der, den er hatte geißeln, den er konnte kreuzigen lassen, ihm ein elendes Ende voraussagte. Ja, dass der Mund, der keiner Lüge je beschuldigt worden, der Mund, der kein Wort zu seiner Rechtfertigung gesprochen, in so äußerster Not ihn vor sein gerechtes Gericht an jenem Tage beschied. Alles das machte seine Hoffart erzürnt. Aber wie keine Empfindung in diesem elenden schwankenden Menschen allein herrschend war, so fasste ihn zugleich die Angst vor der Drohung des Herrn, und er machte den letzten Versuch, Jesus freizusprechen. Auf die Drohungen der Juden aber, ihn bei dem Kaiser zu verklagen, wenn er Jesus freispreche, ergriff ihn eine andere Feigheit. Die Furcht vor dem irdischen Kaiser überwog seine Furcht vor dem König, dessen Reich nicht von dieser Welt war. Der feige, schwankende Bösewicht dachte: «Stirbt Er, so stirbt, was Er von mir weiß und was Er mir geweissagt, mit Ihm.» Auf die Drohung mit dem Kaiser tat Pilatus ihren Willen, gegen sein Wort, das er seiner Frau gegeben, gegen Recht und Gerechtigkeit und seine eigene Überzeugung. Aus Furcht vor dem Kaiser gab er den Juden das Blut Jesu preis. Für sein Gewissen aber hatte er nichts als Wasser, das er sich über die Hände gießen ließ, wobei er ausrief: «Ich bin unschuldig am Blut dieses Gerechten! Da seht ihr zu!» - Nein, Pilatus! Da siehe du zu! Denn du nennst Ihn gerecht und vergießst sein Blut! Du bist der ungerechte, gewissenlose Richter! Und dasselbe Blut, das Pilatus von seinen Händen abwaschen wollte und von seiner Seele nicht abwaschen konnte, riefen die blutgierigen Juden fluchend auf sich und ihre Kinder. Das Blut Jesu, das für uns um Barmherzigkeit schreit, forderten sie auf, gegen sie um Rache zu schreien. Sie riefen: «Sein Blut komme auf uns und unsere Kinder!»

Unter diesem entsetzlichen Geschrei befahl Pilatus alles zum Urteilsspruch zu rüsten. Er ließ sich andere feierliche Kleider bringen. Es wurde ihm eine Krone aufgesetzt, woran ein blinkender Edelstein, es wurde ihm ein anderer Mantel umgelegt und auch ein Stab wurde ihm vorgetragen. Viele Soldaten zogen um ihn her, Gerichtsdiener, die etwas trugen, schritten vor ihm, und Schreiber mit Rollen und Brettchen folgten. Voraus ging einer, der auf der Posaune blies. So zog Pilatus aus seinem Palast auf das Forum hinaus, wo dem Geißelplatz gegenüber ein schön gemauerter, hoher Sitz zum Urteilsprechen war. Nur von diesem Sitz aus hatten die Urteile ihre volle Kraft. Es hieß dieser Richtsitz Gabbatha und war eine runde Terrasse, auf welche von mehreren Seiten Stufen führten. Oben darauf war ein Sitz für Pilatus, und hinter ihm eine Bank für andere Gerichtspersonen. Soldaten umgaben diese Terrasse und standen teils auf den Stufen. Manche von den Pharisäern waren schon von dem Palast aus zum Tempel gegangen. Nur Annas und Kaiphas und etwa achtundzwanzig andere zogen gleich zum Richtsitz auf das Forum hin, während Pilatus die Amtskleider anlegte. Die beiden Schächer waren schon dahin geführt worden, als das Ecce Homo vorüber war. Der Sitz des Pilatus wurde mit einer roten Decke belegt und es lag ein blaues Kissen darauf mit gelben Borden.

Nun wurde Jesus in dem roten Spottmantel, mit der Dornenkrone auf dem Haupt und mit gebundenen Händen, von den Schergen und Soldaten vor den Richtsitz durch das höhnende Volk geführt und zwischen die beiden Mörder gestellt. Als Pilatus auf seinem Richterstuhl saß, sagte er nochmals laut zu den Feinden Jesu: «Seht da euern König!» Sie aber schrieen: «Weg! Weg mit diesem! Kreuzige Ihn!» Pilatus sagte: «Soll ich euern König kreuzigen?» Es riefen aber die Hohenpriester: «Wir haben keinen König, als den Kaiser!» Da sprach Pilatus ferner kein Wort für oder mit Jesus. Es begann das Verdammungsgericht. Die beiden Schächer waren schon früher zum Kreuz verurteilt, ihre Hinrichtung aber war auf das Ansuchen der Hohenpriester auf heute verschoben worden, denn sie gedachten, Jesus zu beschimpfen, indem Er mit gemeinen Mördern gekreuzigt würde. Die Kreuze der Schächer lagen bereits neben ihnen. Gehilfen der Kreuziger hatten sie herbeigeschleppt. Das Kreuz unseres Herrn war noch nicht da, wahrscheinlich, weil sein Todesurteil noch nicht gesprochen war.

Die heiligste Jungfrau, welche sich nach der öffentlichen Ausstellung Jesu durch Pilatus und dem Blutgeschrei der Juden weg begeben hatte, drängte sich, von mehreren Frauen umgeben, wieder durch die Menge des Volkes zu dem Todesurteil ihres Sohnes und Gottes hinzu. Jesus stand, von den Schergen umgeben, und mit Wut und Hohnlachen von seinen Feinden angeblickt, unten an den Stufen vor Pilatus. Durch die Posaune wurde Stille geboten. Pilatus sprach mit feiger Wut das Todesurteil.

Der Anblick dieser niederträchtigen Zweizüngigkeit, der Triumph und Blutdurst der abgehetzten, nun befriedigten Hohenpriester, die unendlichen Peinen des allerheiligsten Erlösers, die unaussprechliche Angst und Betrübnis seiner heiligsten Mutter und der heiligen Frauen, das gierige, wütende Lauern der Juden, das kalte stolze Wesen der Soldaten, das Erscheinen all der grässlichen Teufelsgestalten unter der Menge des Volkes hatten mich ganz vernichtet. Ach! Ich fühlte, dass ich hätte da stehen sollen, wo Jesus, mein liebster Bräutigam, stand. Dann wäre das Urteil gerecht gewesen.

Zuerst brachte Pilatus Worte vor, worin er Claudius Tiberius mit hohen Namen den Kaiser nannte. Dann sprach er die Anklage gegen Jesus aus, dass Er als Aufwiegler, Ruhestörer und Verletzer des jüdischen Gesetzes, indem Er sich einen Sohn Gottes und einen König der Juden nennen lasse, von den Hohenpriestern zum Tod verurteilt und vom Volk einstimmig zur Kreuzigung begehrt worden sei. Und weiter erklärte Pilatus, der ungerechte Richter, der in diesen Stunden so oft die Unschuld Jesu öffentlich beteuert hatte, dass auch er das Urteil der Hohenpriester für richtig befunden, und schloss mit den Worten: «So verurteile ich also den Jesus Nazarenus, König der Juden, an das Kreuz genagelt zu werden.» Dann befahl er den Schergen, das Kreuz zu holen. Ich erinnere mich auch, doch nicht mit Bestimmtheit, als habe er einen langen Stab, in welchem inwendig Mark war, dabei zerbrochen und Jesus vor die Füße geworfen.

Die betrübteste Mutter Jesu des Sohnes Gottes wurde bei diesen Worten gleich einer Sterbenden. Nun war der furchtbare, bitterste, schmähliche Tod ihres heiligsten, geliebtesten Sohnes und Erlösers gewiss. Johannes und die heiligen Frauen brachten sie weg, auf dass die blinden Menschen sich nicht schmähend an den Schmerzen der Mutter ihres Heilandes versündigen möchten. Aber Maria konnte nicht ruhen, die Leidenswege Jesu zu wandeln, Ihre Gefährten mussten sie abermals von Stelle zu Stelle geleiten, denn der geheimnisvolle Gottesdienst ihres heiligsten Mitleidens trieb sie überall, wo der von ihr geborene Erlöser für die Sünden seiner Brüder, der Menschen gelitten hatte, das Opfer ihrer Tränen auszugießen. Und so nahm die Mutter des Herrn alle geheiligten Stellen der Erde durch die Vorweihe ihrer Tränen für die künftige Verehrung der Kirche, unserer aller Mutter, in Besitz, wie Jakob den Stein zum Gedächtnis aufrichtete und mit Öl salbend weihte, bei welchem die Verheißung geschehen war.

Nun wurde auf dem Richtersitz das Urteil von Pilatus auch noch geschrieben, und von anderen, die hinter ihm standen, mehr als dreimal abgeschrieben. Es wurden auch Boten abgesandt, denn einzelnes musste von anderen unterschrieben werden. Ich weiß nicht, ob das zum Urteil gehörte, oder ob es andere Befehle waren, doch wurden auch von diesen Schreiben einige an entfernte Orte gesandt. Ein Urteil über Jesus aber schrieb Pilatus, das seine Doppelzüngigkeit ganz bewies, denn es lautete ganz anders, als das mündlich ausgesprochene. Ich sah, als schreibe er es gegen seinen Willen in peinlicher Gemütsverwirrung, und als führe ihm dabei ein zürnender Engel die Hand. Dieses Schreiben enthielt ungefähr folgendes: «Notgedrungen von den Hohenpriestern und dem Synedrium und einem drohenden Aufstand des Volkes, welche Jesus von Nazareth der Aufwiegelung, Gotteslästerung und Gesetzesverletzung beschuldigten und zum Tod begehrten, welche Beschuldigungen ich nicht eigentlich einsah, habe ich ihnen, um nicht vor dem Kaiser als ein unbilliger Richter der Juden und als ein Beförderer des Aufstandes verklagt zu werden, diesen Jesus, als einen mit Gewalt zum Tod von ihnen begehrten Verbrecher gegen ihr Gesetz, zur Kreuzigung übergeben, mit zwei anderen verurteilten Verbrechern, deren Hinrichtung auf ihr Treiben verschoben worden war, weil sie Jesus mit ihnen gerichtet haben wollten.»

Dieses Urteil ließ Pilatus mehrfach abschreiben und an verschiedene Orte senden. Den Hohenpriestern aber war das Urteil gar nicht recht, besonders, weil Pilatus geschrieben, dass sie das Aufschieben der Kreuzigung der Schächer begehrt hätten, um Jesus mit ihnen zu richten. Sie zankten noch am Richtsitz mit Pilatus herum. Und als er auch noch die Überschrift des Kreuzes in drei Zeilen mit Firnis auf ein dunkelbraunes Brettchen schrieb, da stritten sie mit ihm über den Titel und begehrten, dass nicht «König der Juden», sondern, «der sich für einen König der Juden ausgab», darauf stehen solle. Pilatus aber wurde ganz ungeduldig und höhnisch, und schrie: «Was ich geschrieben, habe ich geschrieben!»

Sie wollten auch, dass das Kreuz Jesu nicht höher über dem Haupt sei, als die der beiden Schächer. Es musste aber höher werden; denn es war über dem Haupt zu kurz, um den von Pilatus geschriebenen Titel darauf zu setzen. Sie widersetzten sich aber der Erhöhung, um den ihnen schimpflichen Titel abzuwenden. Pilatus jedoch gab nicht nach. Sie mussten den Kreuzstamm durch ein eingezapftes Stück erhöhen lassen, woran der Titel geheftet werden konnte. So nun erhielt das Kreuz jene bedeutungsvolle Gestalt, in welcher ich es immer gesehen habe.

Claudia Procle sandte dem Pilatus sein Pfand zurück und sagte sich von ihm los. Ich sah, dass sie noch am Abend dieses Tages heimlich seinen Palast verließ und zu den heiligen Frauen floh, von denen sie im Hause des Lazarus verborgen wurde. Später kam sie zu Paulus und wurde dessen besondere Freundin. Auf einen grünlichen Stein an der Rückseite von Gabbatha sah ich später von einem Mann zwei Zeilen mit spitzem Eisen einzeichnen, in welchen die Worte: judex injustus, ungerechter Richter, und auch der Name der Claudia Procle vorkamen. Ich sehe diesen Stein unerkannt noch jetzt vorhanden an dem Fundament eines Gebäudes auf dem Platz, wo ehemals Gabbatha war.

Nach Verkündung des Todesurteils ward der heiligste Erlöser ganz die Beute der schrecklichen Schergen. Man brachte seine Kleider heran, wie sie Ihm bei der Verspottung vor Kaiphas ausgezogen worden waren. Man hatte sie aufbewahrt, und ich meine, sie waren von mitleidigen Menschen gewaschen worden, denn sie waren rein. Es war auch, glaube ich, Gewohnheit bei den Römern, die Hinzurichtenden so auszuführen. Nun ward Jesus abermals von den schändlichen Knechten entblößt. Sie banden Ihm die Hände los, damit sie ihn bekleiden konnten. Sie rissen Ihm den roten wollenen Spottmantel vom verwundeten Leib und rissen Ihm manche Wunde dabei auf. Er legte sich zitternd selbst die Unterleibshülle um die Lenden, dann warfen sie Ihm sein wollenes Skapulier um den Hals. Weil sie Ihm aber den braunen ungenähten Rock, den seine heiligste Mutter Ihm gewirkt hatte, nicht über die breite Dornenkrone anlegen konnten, rissen sie Ihm dieselbe vom Haupt, und alle Wunden ergossen neues Blut mit unsäglichen Schmerzen. Als sie ihm den gewirkten Rock über den verwundeten Leib geworfen, legten sie Ihm noch sein weites, weißes, wollenes Gewand, seinen breiten Gürtel und zuletzt seinen Mantel um. Hierauf banden sie Ihm den Fesselgürtel, an dessen auslaufenden Stricken sie Ihn führten, wieder um die Mitte des Leibes. Alles dieses geschah mit schauderhafter Rohheit, unter Stoßen und Schlagen.

Die beiden Schächer standen Ihm rechts und links zur Seite mit gebundenen Händen. Sie hatten wie Jesus, vor dem Gericht stehend, eine Kette um den Hals hängen. Sie hatten nur eine Unterleibshülle und ein Skapulier-Wams von schlechtem Zeug, neben offen, ohne Ärmel, an, und auf dem Kopf von Stroh gedrehte Kappen mit einem Wulst, beinahe wie Kinderfallhüte geformt. Sie waren schmutzig bräunlich und mit Schwielen von der früheren Geißelung bedeckt. Der, welcher sich nachher bekehrte, war jetzt schon still und in sich gekehrt. Der andere aber war wütend und frech, fluchte und höhnte mit den Schergen auf Jesus, der sie beide mit Liebe und Sehnsucht bezüglich ihres Heiles anblickte und alle seine Leiden auch für sie mittrug. Die Schergen aber waren beschäftigt, alle ihre Werkzeuge zusammenzutragen. Es rüstete sich alles zum traurigsten, grausamsten Zug, auf welchem der liebende, schmerzvolle Erlöser die Sündenlast von uns Undankbaren hintragen wollte, um sein heiligstes Blut für dieselben aus dem von den verworfensten Menschen durchbohrten Kelche seines Leibes sühnend zu vergießen.

Endlich waren Annas und Kaiphas unter Zank und Wut mit Pilatus fertig geworden. Sie erhielten ein paar lange schmale Zettel oder Pergamentrollen mit Abschriften, und eilten nun zum Tempel. Sie hatten Not, zur rechten Zeit hin zu kommen.

Hier schieden die Hohenpriester vom wahren Osterlamm. Sie eilten zum Tempel von Stein, um das Sinnbild zu schlachten und zu essen, und ließen die Erfüllung, das wahre Lamm Gottes von schändlichen Henkern zum Altar des Kreuzes führen. Hier schieden sich die Wege zum verhüllten und zum erfüllten Opfer. Sie überließen das reine, sühnende Osterlamm Gottes, das sie äußerlich mit dem ganzen Gräuel ihrer Verruchtheit verunglimpft und zu verunreinigen gestrebt hatten, unreinen und grausamen Henkern, und eilten zum steinernen Tempel, die gereinigten, gewaschenen, gesegneten Lämmer zu opfern. Sie hatten sich scheu gehütet, äußerlich verunreinigt zu werden, während der ganze Gräuel ihres Innern, in Wut, Neid und Hohn überkochend, sie besudelt hatte. «Sein Blut komme auf uns und unsere Kinder!» mit diesen Worten hatten sie die Zeremonie erfüllt, die Hand des Opfernden auf das Haupt des Schlachtopfers zu legen. Es schieden sich hier die Wege zum Altar des Gesetzes und zum Altar der Gnade. Pilatus aber, der stolze, schwankende, vor Gott zitternde und Götzen dienende, mit der Welt buhlende Heide, ein Sklave des Todes, in der Zeit herrschend bis zum schmählichen Ziel des ewigen Todes, zog mit seinen Gehilfen, von einer Wache umgeben, zwischen den beiden Wegen hindurch zu seinem Palast, unter Vortritt des Posaunenbläsers. Das ungerechte Gericht war um zehn Uhr unserer Zeit am Morgen vollendet.

37. Jesus trägt sein Kreuz nach Golgatha

Als Pilatus den Gerichtssitz verlassen hatte, folgte ihm ein Teil der Soldaten und stellte sich vor dem Palast zum Zug auf. Eine kleine Schar blieb bei den Verurteilten. Achtundzwanzig bewaffnete Pharisäer, worunter die sechs wütenden Feinde Jesu, die bei der Gefangennahme am Ölberg gewesen, kamen gegen das Forum geritten, um den Zug zu geleiten. Die Schergen führten Jesus auf die Mitte des Forums und es traten mehrere Sklaven durch das Tor von der Abendseite herein, das Kreuzholz tragend, und warfen es Ihm vor die Füße prasselnd auf die Erde nieder. Die beiden dünneren, einzuzapfenden Arme waren auf den breiten, schweren Stamm mit Stricken aufgebunden. Die Keile, das Fußklötzchen und das nachgefertigte Aufsetzstück trugen nebst anderem Gerät verschiedene Henkersjungen.

Als das Kreuz vor Jesus auf dem Boden lag, warf Er sich dabei auf die Knie nieder, umfasste es mit den Armen und küsste es dreimal, indem Er leise ein rührendes Dankgebet zu seinem himmlischen Vater für die beginnende Erlösung der Menschen sprach. Wie die Priester unter den Heiden einen neugegründeten Altar umarmen, so umarmte der Herr sein Kreuz, den ewigen Altar des genugtuenden, blutigen Opfers. Die Schergen aber rissen Jesus in aufrecht kniende Stellung, und Er musste den schweren Balken mühsam mit weniger und grausamer Hilfe auf seine rechte Schulter nehmen und mit dem rechten Arme umfassen. Ich sah Ihm unsichtbare Engel helfen, sonst hätte Er es nicht aufzuladen vermocht. Er kniete unter der Last gebeugt. Während Jesus betete, legten andere Kreuziger den beiden Schächern die von den Stämmen getrennten Querhölzer ihrer Kreuze quer über den Nacken, und knebelten ihnen die emporgehobenen Hände daran fest. Diese Querhölzer waren nicht ganz gerade, sondern etwas gebogen, und wurden bei der Kreuzigung an das obere Ende der Kreuzstämme befestigt, welche Stämme ihnen jetzt mit dem andern Gerät von Sklaven nachgetragen wurden. Es ertönte aber die Posaune der Reiterei des Pilatus und einer von den berittenen Pharisäern nahte Jesus, der noch mit seiner Last kniete, und sagte: «Es ist aus mit den schönen Reden. Macht, dass wir Ihn los werden! Vorwärts! vorwärts!» Da rissen sie Jesus in die Höhe. Es kam die ganze Kreuzlast auf seine Schultern, die wir Ihm nachtragen müssen nach seinen heiligen, ewig wahren Worten. Es setzte sich der auf Erden so schmähliche, im Himmel so selige Triumphzug des Königs der Könige in Bewegung.

Sie hatten aber zwei Stricke an das hintere Ende des Kreuzstammes gebunden und zwei der Schergen hoben daran empor, dass es in der Schwebe blieb und nicht schleifte. Weit um Jesus gingen vier Schergen, welche vier Stricke hielten, die an dem neuen Fesselgürtel befestigt waren, den sie Ihm um die Mitte des Leibes gelegt hatten. Sein Mantel war Ihm zusammengefasst um den Oberleib gebunden. - Jesus erinnerte mich lebhaft, mit den zusammengebundenen Kreuzhölzern auf der Schulter, an Isaak, der das Holz zu seinem eigenen Opfer auf den Berg trug. Die Posaune von Pilatus zeigte nun an, dass der Zug voran solle, weil er sich selbst mit einer Schar in Bewegung setzen wollte, um in der Stadt irgend einem Aufstand vorzubeugen. Er war aber gerüstet und saß zu Pferd, von seinen Offizieren und einer Schar Reiter umgeben, und es folgte hierauf eine Abteilung von etwa 300 Soldaten zu Fuß, alle von der Grenze zwischen Italien und der Schweiz.

Vor dem Kreuzigungszug ging ein Posaunenbläser, der an allen Straßenecken in seine Posaune stieß und die Hinrichtung ausrief. Einige Schritte hinter ihm zog eine Schar von Jungs und anderem Gesindel. Sie trugen Getränke, Stricke, Nägel, Keile und Körbe mit allerlei Werkzeugen. Stärkere Knechte trugen Stangen, Leitern und die Kreuzstämme der Schächer. Die Leitern bestanden nur aus einer Stange, durch welche Zapfen gesteckt waren. Hierauf folgten einige der berittenen Pharisäer, und dann ein junger Bursche. Dieser trug die Kreuzüberschrift des Pilatus vor der Brust, und hatte die Dornenkrone Christi, welche bei der Kreuztragung auf dem Haupt anfangs unmöglich schien, an einer Stange auf der Schulter. Dieser Junge war nicht sehr bös.

Nun folgte unser Herr und Erlöser unter der schweren Last des Kreuzholzes gebeugt und schwankend, zergeißelt, zerschlagen, ermüdet. Seit dem gestrigen letzten Abendmahl ohne Speise und Trank und Schlaf, in steter tödlicher Misshandlung, von Blutverlust, Wunden, Fieber, Durst und unnennbarem innern Leid und Entsetzen erschöpft, ging Er wankend und niedergedrückt auf bloßen, verwundeten Füßen. Die Rechte umfasste die schwere Last auf der rechten Schulter, die Linke suchte oft mühsam das weite, das hindernde Gewand vor den unsichern Tritten zu heben. Vier Schergen hielten die von seinem Fesselgürtel auslaufenden Stricke weit von Ihm. Die zwei vorderen zerrten Ihn vorwärts. Die beiden folgenden trieben Ihn an. So hatte Er keinen sicheren Tritt, und die zerrenden Stricke hinderten Ihn immer, sein Gewand zu heben. Seine Hände waren von dem heftigen früheren Schnüren verwundet und geschwollen. Sein Gesicht war mit Blut und Geschwulst bedeckt, seine Haare und sein Bart waren zerrauft und mit Blut verklebt, die Last und die Fesseln drückten Ihm die schwere wollene Kleidung in den verwundeten Leib, und die Wolle klebte fest an den neu aufbrechenden wunden Stellen. Um Ihn war lauter Hohn und Bosheit. Er war unaussprechlich elend, martervoll und liebend, sein Mund war betend, sein Blick flehend, vergebend und leidend. Die zwei Schergen hinter Ihm, welche das Kreuzstammende mit dem daran befestigten Strick empor hielten, vermehrten die Mühseligkeit Jesu, indem sie die Last durch ihr Heben und Sinken lassen der Stricke öfters verschoben. Zu Seiten des Zuges schritten mehrere Soldaten mit Lanzen.

Dann kamen die beiden Schächer. Zwei Gerichtsdiener führten jeden an Gürtelstricken. Sie hatten die gekrümmten, von den Stämmen abgelösten Querhölzer ihrer Kreuze auf dem Nacken, und ihre Arme waren ausgespannt an die Enden derselben gebunden. Sie hatten nur Schurzbinden um, und ihr Oberleib war mit einem seitwärts offenen Überwurf ohne Ärmel bedeckt, auf dem Kopf trugen sie von Stroh gedrehte Kappen. Sie waren etwas berauscht von einem Getränk, das man ihnen gegeben. Der gute Schächer war jedoch sehr still, der böse aber war frech, grimmig und fluchend. Die Schergen waren braunes, kleines, aber stämmiges Gesindel, mit kurzen, schwarzen, krausen, struppigen Haaren. Sie hatten nur wenig Bart, hie und da ein Büschchen. Sie hatten keine jüdische Geschichtsbildung und waren Kanalarbeiter von einem ägyptischen Sklavenstamm. Sie trugen nur kurze Schurzröcke und lederne Brustüberwürfe ohne Ärmel. Sie waren ganz bestialisch. Hinter den Schächern schloss die eine Hälfte der reitenden Pharisäer den Zug. Diese Reiter ritten einzeln während des ganzen Zuges längs demselben her und hin, anzutreiben und Ordnung zu halten. Unter dem Gesindel, welches Geräte tragend vorauszog, befanden sich auch einige niederträchtige jüdische Jungs, die sich freiwillig zugedrängt hatten.

Nach einem bedeutenden Zwischenraum folgte der Zug des Pilatus. Voraus ritt ein Posaunenbläser zu Pferd. Dann ritt Pilatus in seinem Kriegsrock zwischen seinen Offizieren von einer Schar Reiter, und nun folgten 300 Soldaten zu Fuß. Der Zug des Pilatus ging über das Forum, dann aber in eine breite Straße.

Der Zug mit Jesus wurde durch eine ganz enge Straße zwischen Hinterhäusern geführt, um dem Volk Raum zu lassen, das sich zum Tempel begab, und auch um dem Zug des Pilatus nicht hinderlich zu sein.

Die größte Menge des Volkes hatte sich schon gleich nach der Verurteilung in Bewegung gesetzt. Die meisten Juden begaben sich in ihre Wohnungen oder zum Tempel. Sie hatten am Morgen schon viel Zeit versäumt und eilten, ihre Zubereitungen zum Schlachten des Osterlammes fortzusetzen. Doch war die Menge von allerlei gemischten Menschen, Fremden, Sklaven, Arbeitern, Knaben, Frauen und Pöbel noch sehr groß. Sie stürzten nach allen Straßen durch Umwege voraus, um hie und da den traurigen Zug nochmals zu sehen. Die folgende Schar von römischen Soldaten verhinderte aber das unmittelbare Nachdringen, und sie mussten immer wieder von der Seite durch Umwege vorlaufen. Die meisten strömten hinaus nach Golgatha.

Die enge Straße, durch welche Jesus zuerst geführt wurde, ist kaum ein paar Schritte breit und zieht sich zwischen Hinterhäusern hin, wo viele Unreinlichkeit ist. Jesus musste hier vieles erleiden. Die Gerichtsdiener gingen näher bei Ihm. Aus Fenstern und Mauerlöchern höhnte Ihn allerlei Gesinde und Sklaven, welche dort ihr Geschäft hatten, bewarfen Ihn mit Kot und Küchenabfall, boshafte Schurken gossen schwarze, stinkende Jauche auf Ihn, ja selbst Kinder sammelten, angestiftet, Steine in den Schoß ihrer Röckchen und schütteten sie Ihm, aus den Häusern durch den Zug laufend, vor die Füße in den Weg, unter Schimpfen und Lästern. So taten die Kinder Ihm, der die Kinder geliebt, gesegnet und selig gepriesen.

38. Erster Fall Jesu unter dem Kreuz

Die enge Straße wendet sich gegen ihr Ende wieder zur Linken, wird breiter und ist etwas aufsteigend. Es kommt dort eine unterirdische Wasserleitung vom Berge Sion her. Ich meine, sie fließt längs des Forums, wo auch in der Tiefe übermauerte Rinnen zum Schafteich am Schaftor zulaufen.

Ich hörte das Glucken und Rieseln des Wassers in den Röhren. Hier vor dem Aufsteigen der Straße ist eine tiefere Stelle, wo bei Regen sich oft Wasser und Kot sammelt, und es liegt da, wie öfters in den Straßen von Jerusalem, die an manchen Stellen sehr roh sind, ein erhöhter Stein zum Überschreiten. Der arme Jesus, als Er mit seiner schweren Last hierher kam, vermochte nicht weiter zu gehen. Die Schergen zerrten und trieben Ihn unbarmherzig. Da stürzte der göttliche Kreuzträger an dem vorragenden Stein in ganzer Länge zur Erde hin, und die Kreuzbürde fiel neben Ihm nieder. Die Treiber fluchten, zerrten und stießen Ihn mit Füßen. Es entstand eine Stockung im Zug und ein Getümmel um Ihn. Vergebens reichte Er die Hand, dass Ihm einer aufhelfe. «Ach! Es ist ja bald vorüber», sprach Er und betete. Die Pharisäer schrieen: «Auf! Treibt Ihn auf! Er stirbt uns sonst unter den Händen.» Hie und da an den Seiten des Weges sah man weinende Frauen mit Kindern, die aus Angst wimmerten. Durch übernatürliche Hilfe richtete Jesus sein Haupt wieder empor, und die schrecklichen, teuflischen Jungs setzten Ihm hier, statt Ihn zu erleichtern, die Dornenkrone wieder auf. Als sie Ihn unter Misshandlungen wieder aufgerissen hatten, legten sie Ihm das Kreuz wieder auf die Schulter und Er musste nun sein elendes, mit Dornen gepeinigtes Haupt mit schrecklicher Not ganz zur einen Seite hängen, um die schwere Last neben der breiten Krone auf der Schulter zu tragen. So wankte Jesus mit neuer vermehrter Qual die breitere, aufsteigende Straße hinan.

39. Der kreuztragende Jesus und seine mit Ihm leidende heiligste Mutter. Zweiter Fall unter dem Kreuz

Die sein ganzes Leiden mit Ihm teilende heiligste Mutter Jesu hatte vor etwa einer Stunde, da das ungerechte Urteil über ihr Kind gesprochen war, das Forum mit Johannes und den heiligen Frauen verlassen, um die durch sein bitterstes Leiden geheiligten Stellen zu verehren. Nun aber, als das Laufen des Volkes, das Blasen der Posaunen und der Zug des Pilatus und der Soldaten den Antritt des bitteren Kreuzweges verkündeten, konnte Maria nicht länger fern bleiben. Sie musste ihren göttlichen Sohn in seinem Leiden sehen und bat Johannes, sie an eine Stelle zu bringen, wo Jesus vorüber komme. Sie gingen nun aus der Gegend von Sion her, am Gerichtssitz vorüber, durch Tore und Alleen, welche nur jetzt dem hin- und herströmenden Volk geöffnet waren, an die Abendseite eines Palastes, welcher zur Straße hinaus einen Torbogen hatte, in welche der Zug nach dem ersten Fall Jesu eingelenkt war. Dieser Palast war das eigentliche Wohnhaus des Kaiphas. Das Haus auf Sion war sein Amthaus. Johannes erwirkte von dem mitleidigen Pförtner den Durchgang und die Öffnung des jenseitigen Tores. Ich erschrak, als ich die heiligste Jungfrau so bleich, mit rotgeweinten Augen, zitternd und bebend, von oben bis unten in eine bläulich-graue Hülle eingewunden mit den heiligen Frauen, mit Johannes und einem der Neffen Josephs von Arimathäa durch dieses Haus gehen sah. Man hörte schon das Getöse und Geschrei des herannahenden Zuges über die Häuser hinweg und den Schall der Posaune und das Ausrufen an den Ecken, dass einer zur Kreuzigung geführt werde. Als der Diener das Tor aufmachte, ward das Getöse deutlicher und schrecklicher. Maria betete, und sagte zu Johannes: «Soll ich es sehen? Soll ich wegeilen? O, wie werde ich es ertragen können!» Johannes sagte: «So Du nicht bliebest, würde es Dich immer bitter schmerzen.» Sie traten hinaus unter den Torbogen und schauten rechts den Weg hinab, der hier etwas aufstieg und beim Standort Mariens wieder ebener wurde. Der Zug mochte noch achtzig Schritte von ihnen entfernt sein. Es zog hier kein Volk voraus, aber an den Seiten und hinterher einzelne Scharen. Vieles Gesindel, das den Gerichtsort zuletzt verlassen hatte, war durch Nebenstraßen vorausgelaufen, um andere Stellen zum Zuschauen einzunehmen.

Da nun die Henkersdiener mit allem Martergerät frech triumphierend nahe kamen, zitterte und wimmerte die heiligste Mutter und rang die Hände. Einer der Jungs fragte das nebenherziehende Volk: «Was ist das für eine Frau, die so kläglich ist?» Da antwortete einer: «Es ist die Mutter des Galiläers.» Als die Schurken dieses hörten, höhnten sie die jammernde Mutter mit Spottreden, zeigten mit Fingern auf sie, und einer der niedrigen Jungs fasste die Kreuzigungsnägel in die Faust und hielt sie höhnend der heiligsten Jungfrau vor das Gesicht. Sie aber sah händeringend nach Jesus hin und lehnte sich im Schmerz gegen den Pfeiler des Tores. Sie war bleich, wie eine Leiche und ihre Lippen waren blau. Die Pharisäer ritten vorüber. Da kam der Knabe mit der Inschrift, und ach, ein paar Schritte hinter ihm, Gottes Sohn, ihr Sohn, der Heiligste, der Erlöser schwankend und gebückt, das Haupt mit der Dornenkrone schmerzlich von der schweren Kreuzlast gegen die Schulter wendend. Schergen rissen Ihn an den Stricken vorwärts. Sein Gesicht war bleich und blutig und zerschlagen, sein Bart von Blut spitz zusammenklebend. Er blickte mit seinen blutigen tiefliegenden Augen so ernst und mitleidig unter dem schrecklichen, verwirrten Dorngeflecht seiner Krone hervor gegen seine peinvolle Mutter, und sank strauchelnd zum zweiten Mal unter der Last des Kreuzes auf die Knie und Hände nieder zur Erde. Die betrübteste Mutter, in der Heftigkeit ihres Schmerzes und ihrer Liebe, sah keine Soldaten, keine Henker, sie sah nur ihren geliebten, elenden, misshandelten Sohn. Händeringend stürzte sie die paar Schritte vom Tor des Hauses zwischen die auftreibenden Schergen zu Jesus hin, und sank, Ihn umarmend, zu Ihm in die Knie. Ich hörte, ich weiß nicht, ob mit ihren Lippen gesprochen, oder in ihrem Geist, die Worte: «Mein Sohn!» - «Meine Mutter!»

Die Schergen schimpften und höhnten. Einer sagte: «Frau! Was willst du hier? Hättest du Ihn besser erzogen, so wäre Er nicht in unseren Händen.» In mehreren Soldaten aber fühlte ich einige Rührung. Sie trieben die heiligste Jungfrau zurück. Kein Scherge berührte sie. Johannes und die Frauen führten sie, und sie sank an einem Eckstein des Tores, welcher die Mauer stützte, vor Schmerz wie tot in die Knie. Sie kehrte dem Zug den Rücken, und ihre Hände berührten den schräg auflaufenden Stein, gegen den sie hinsank, mehr oben als unten. Es war ein grüngeaderter Stein. Wo ihre Knie ihn berührten, blieben flache Gruben, wo ihre Hände angelehnt, flachere MaIe. Es waren stumpfe Eindrücke, gleich jenen, die ein Schlag auf einen Teig verursacht. Es war ein sehr harter Stein. Ich sah, dass er unter Bischof Jakobus dem Kleineren in die erste katholische Kirche, die Kirche am Teich Bethesda, gekommen ist. - Ich wiederhole, dass ich solche Eindrücke in Stein, wie hier, mehrmals bei großen ernsten Ereignissen durch heilige Berührung entstehen gesehen habe. Es ist dieses so wahr als das Wort: «Ein Stein muss sich darüber erbarmen», so wahr wie das Wort: «Dieses macht Eindruck.» Die ewige Weisheit hat in ihrer Barmherzigkeit nie der Buchdruckerkunst bedurft, um der Nachwelt ein Zeugnis von Heiligem zu überliefern.

Johannes aber brachte die heiligste Mutter, da die zur Seite des Zuges mit Lanzen gehenden Soldaten vorwärts trieben, wieder in das Tor hinein, welches dann geschlossen wurde.

Unseren Herrn hatten die Schergen unterdessen wieder aufgerissen und das Kreuz auf eine andere Art auf seine Schultern gelegt. Die oben aufgebundenen Kreuzarme waren locker geworden und einer derselben neben dem Kreuz in den Strickschlingen heruntergesunken. Diesen umfasste jetzt Jesus mit dem Arm, und so hing nun der Kreuzstamm hinten etwas mehr zur Erde.

Ich sah hie und da zwischen dem Gesindel, das den Zug mit Hohn begleitete, weinende verschleierte Frauengestalten wanken.

40. Simon von Cyrene. Dritter Fall Jesu unter dem Kreuz

Der Zug ging in der breiten Straße weiter durch das Bogentor einer alten inneren Mauer der Stadt. Vor diesem Tor ist ein größerer Platz. Es laufen da drei Straßen zusammen. Da musste Jesus wieder über einen großen Stein und wankte und sank, und das Kreuz fiel neben Ihm nieder, und Er fiel, sich auf den Stein stützend, ganz elend zur Erde, vermochte auch nicht mehr sich aufzurichten. Es kamen da Scharen von wohlgekleideten Leuten hergegangen, sie zogen zum Tempel, und schrieen mitleidig: «O weh! Der arme Mensch stirbt!» Es ward ein Getümmel. Sie konnten Jesus nicht mehr aufbringen. Die den Zug führenden Pharisäer sagten zu den Soldaten: «Wir bringen Ihn nicht lebendig hin. Ihr müsst einen suchen, der Ihm das Kreuz tragen hilft.» Es kam aber gerade Simon von Cyrene, ein heidnischer Mann, der mittelsten Straße herab. Seine drei Söhne gingen mit ihm. Er trug einen Bündel Reiser unter dem Arme und war ein Gärtner, der in den Gärten, die gegen die östliche Stadtmauer liegen, gearbeitet hatte. Er kam jährlich gegen das Fest mit Frau und Kind nach Jerusalem, wie viele ähnliche Arbeitsleute, die Hecken zu beschneiden. Er konnte nicht ausweichen, es war ein Gedränge. Und da sie ihn an seiner Kleidung als einen Heiden und geringen Arbeitsmann erkannten, packten ihn die Soldaten und schleppten ihn herbei, er solle dem Galiläer das Kreuz tragen helfen. Er wehrte sich und zeigte großen Widerwillen. Aber sie zwangen ihn mit Gewalt. Seine Knaben schrieen und weinten und einige Frauen, welche den Mann kannten, nahmen sie zu sich. Simon empfand einen großen Ekel und Widerwillen. Der arme Jesus sah so schrecklich elend und entstellt aus, und seine Kleider waren von Kot befleckt. Aber Er weinte und blickte Simon so erbarmungswürdig an. Simon musste Ihm aufhelfen. Und nun banden die Schergen den einen Kreuzarm weiter zurück und mit einer Strickschlinge dem Simon auf die Schulter. Er ging dicht hinter Jesus, der nun nicht mehr so schwer zu tragen hatte. Sie rückten Jesus auch die Dornenkrone wieder anders. So kam endlich der traurige Zug wieder in Gang.

Simon war ein rüstiger Mann von 40 Jahren. Er ging mit unbedecktem Haupt und hatte ein kurzes anliegendes Oberkleid an. Seine Lenden waren mit Lappen umwunden, an den Sohlen, die mit Riemen um die Beine befestigt waren, hatte er spitze Schnäbel. Seine Söhne trugen buntgestreifte Röcke. Zwei waren schon erwachsener. Sie hießen Rufus und Alexander, und kamen später unter die Jünger. Der dritte war noch kleiner, und ich habe ihn bei Stephanus noch als einen Knaben gesehen. Simon trug das Kreuz nicht lange hinter Jesus, bis er eine tiefe Rührung empfand.

41. Veronika mit dem Schweißtuch

Die Straße, worauf der Zug jetzt ging, ist eine lange, sich etwas links krümmende Straße. Es laufen mehrere Seitenstraßen hinein. Von allen Seiten zogen wohlgekleidete Leute zum Tempel, die sich teils zurückzogen aus pharisäischer Angst, verunreinigt zu werden, teils einiges Mitleid bewiesen. Beinahe zweihundert Schritte hatte Simon dem Herrn geholfen die Kreuzeslast zu tragen, als aus einem zur Linken der Straße liegenden schönen Haus, zu dessen Vorhof mit breiter Mauer und blinkendem Gitter eine Terrasse mit Treppen führt, eine große, ansehnliche Frau, mit einem Mägdlein an der Hand, dem Zug entgegen stürzte. Es war Seraphia, die Frau Sirachs, eines Mitgliedes aus dem Tempelrat, welche durch ihre heutige Handlung den Namen Veronika, von vera ikon (das wahre Bild), erhalten hat.

Seraphia hatte zu Hause einen köstlichen, gewürzten Wein bereitet, mit der frommen Begierde, den Herrn auf seinem bitteren Leidensweg damit zu erquicken. Sie war in schmerzlicher Erwartung dem Zug schon einmal entgegen geeilt. Ich sah sie verschleiert mit einem jungen Mägdlein, das sie an Kindesstatt angenommen, an der Hand neben dem Zug schon hereilen, als Jesus seiner heiligsten Mutter begegnete. Sie fand in dem Getümmel aber keine Gelegenheit und so eilte sie dann zu ihrem Haus, den Herrn zu erwarten.

Sie trat verschleiert in die Straße, ein Tuch hing über ihrer Schulter. Das Mägdlein, etwa neun Jahre alt, stand neben ihr und hatte die mit Wein gefüllte Kanne unter einem Überhang verborgen, als der Zug sich näherte. Die Vorausziehenden versuchten vergebens, sie zurückzuweisen. Sie war von Liebe und Mitleid außer sich, drang mit dem Kind, das ihr Gewand fasste, durch das zur Seite laufende Gesindel, durch die Soldaten und Schergen hindurch, trat Jesus in den Weg, fiel auf die Knie und hob das Tuch, an einer Seite ausgebreitet, zu Ihm auf mit den flehenden Worten: «Würdige mich, meines Herrn Antlitz zu trocknen!» Jesus ergriff das Tuch mit der Linken und drückte es mit der flachen Hand gegen sein blutiges Gesicht, und dann, die Linke mit dem Tuch gegen die Rechte bewegend, welche über den Kreuzarm herüberfasste, drückte Er das Tuch zwischen beiden Händen zusammen und reichte es ihr dankend zurück. Sie aber küsste es und schob es unter den Mantel auf ihr Herz und stand auf. Da hob das Mägdlein das Weingefäß schüchtern empor. Aber das Schimpfen der Schergen und Soldaten gestattete es nicht, dass sie Jesus erquicke. Nur die rasche Kühnheit ihrer Handlung hatte, durch den Zudrang des Volkes um das plötzliche Ereignis, eine Stockung von kaum zwei Minuten in den Zug gebracht, wodurch die Darreichung des Schweißtuches möglich ward. Die reitenden Pharisäer aber und Schergen ergrimmten über diesen Aufenthalt, und noch mehr über die öffentliche Verehrung des Herrn, und begannen Jesus zu schlagen und zu zerren, und Veronika floh mit dem Kind in ihr Haus.

Kaum hatte sie ihr Gemach betreten, als sie das Schweißtuch vor sich auf den Tisch legte und ohnmächtig niedersank. Das Mägdlein kniete winselnd mit dem Weinkrug bei ihr. So fand sie ein Hausfreund, der zu ihr eintrat, und sah sie bei dem ausgebreiteten Tuch, auf dem das blutige Gesicht Jesu schrecklich, aber wunderbar deutlich abgedrückt war, wie tot liegen. Er war ganz entsetzt, erweckte sie und zeigte ihr das Gesicht des Herrn. Sie war voll Wehklage und Trost, kniete vor dem Tuche und rief aus: «Nun will ich alles verlassen. Der Herr hat mir ein Andenken gegeben.»

Dieses Tuch war eine etwa dreimal so lang als breit von feiner Wolle. Sie trugen es gewöhnlich um den Nacken hängend, manchmal ein zweites über der Schulter nieder. Es war eine Sitte, Trauernden, Weinenden, Mühseligen, Kranken, Ermüdeten damit entgegenzutreten und ihnen das Gesicht zu trocknen. Es war ein Zeichen der Trauer und des Mitleids.

Man beschenkte sich auch in den heißen Ländern damit. Es hat dieses Tuch nachher immer zu Häupten ihres Lagers gehangen und ist nach ihrem Tod durch die heiligen Frauen an die Mutter Gottes, und durch die Apostel an die Kirche gekommen.

Seraphia war eine Base des Täufers Johannes, denn ihr Vater war der Sohn vom Bruder des Vaters des Zacharia. Sie war von Jerusalem. Da Maria als vierjähriges Mägdlein zu den Tempeljungfrauen gebracht wurde, sah ich Joachim und Anna und andere Begleiter in das väterliche Haus des Zacharias, nicht weit vom Fischmarkt gehen. Es wohnte ein uralter Verwandter des Zacharias darin. Dieser mag wohl sein Oheim und Seraphias Großvater gewesen sein. Ich sah sie damals schon bedeutend älter als Maria, sie mag um fünf Jahre älter gewesen sein. Auch bei Marias Vermählung mit Joseph sah ich sie älter als die heilige Jungfrau. Sie war auch mit dem alten Simeon, der bei Jesu Opferung im Tempel geweissagt, verwandt, und von Jugend auf eine Freundin von dessen Söhnen. Diese hatten schon früh von ihrem Vater her eine Sehnsucht nach dem Messias, welche auch Seraphia teilte, Es blieb diese Erwartung des Heils lange wie ein heimliches Lieben unter manchen guten Menschen damals. Die anderen ahnten solches nicht in der Zeit. Als der zwölf jährige Jesus in Jerusalem zurückblieb, im Tempel zu lehren, sah ich Seraphia älter als die Mutter Jesu und noch unverheiratet. Sie sandte Jesus Speise zu einer kleinen Herberge vor Jerusalem, wo Er einkehrte, wenn Er nicht im Tempel war. Es war dieses dieselbe Herberge eine Viertelstunde vor Jerusalem gegen Bethlehem zu, wo Maria, nach Christi Geburt von Bethlehem zum Tempel gehend, Jesus zu opfern, einen Tag und zwei Nächte bei zwei alten Leuten mit Joseph verweilt hatte. Diese Leute waren Essener. Die Frau war mit Johanna Chusa verwandt. Sie kannten die Heilige Familie und Jesus. Diese Herberge war eine Stiftung für Arme. Jesus und die Jünger hatten oft ihre Zuflucht dort, und ich sah in seiner letzten Zeit, da Er im Tempel lehrte, öfters von Seraphia Speise dahin senden. Es waren aber damals andere Hausleute daselbst. - Seraphia heiratete spät. Ihr Mann Sirach, ein Nachkomme der keuschen Susanna, war im Tempelrat. Da er anfangs Jesus sehr abgeneigt war, hatte Seraphia wegen ihres innigen Zusammenhanges mit Jesus und den heiligen Frauen vieles von ihm zu leiden. Ja er hatte sie sogar mehrere Male längere Zeit in einem Gewölbe eingesperrt. Durch Joseph von Arimathäa und Nikodemus bekehrt, ward er milder gesinnt und ließ es seiner Frau zu, Jesus zu folgen. Im Gericht über Jesus bei Kaiphas, gestern nacht und heute morgen, erklärte er sich mit Nikodemus, Joseph von Arimathäa und allen Wohlgesinnten für unseren Herrn, und schied mit diesen vom Synedrium aus. Seraphia ist noch eine schöne, stattliche Frau, aber sie muss doch schon über fünfzig Jahre alt sein. - Bei dem triumphierenden Einzug Jesu in Jerusalem, den wir am Palmsonntag feiern, sah ich sie mit einem Kind auf dem Arm unter anderen Frauen ihren Schleier vom Haupt nehmen und ihn in freudiger Verehrung am Weg hinbreiten. Es war dasselbe Tuch, das sie jetzt in einem traurigeren, aber siegreicheren Triumphzug dem Herrn entgegenbrachte, die Spuren seines Leidens damit zu sänftigen, derselbe Schleier, der seiner mitleidigen Besitzerin den neuen triumphierenden Namen Veronika gab, und jetzt in der öffentlichen Verehrung der Kirche ist.

Im dritten Jahre nach Christi Himmelfahrt sandte der römische Kaiser Leute nach Jerusalem, um Zeugnisse über alle Gerüchte von Jesu Tod und Auferstehung zu sammeln. Dieser Mann brachte den Nikodemus, die Seraphia und einen Verwandten der Johanna Chusa, den Jünger Epaphras mit nach Rom. Dieser letzte war ein ganz einfältiger Diener der Jünger, der früher ein Diener und Bote der Priester am Tempel gewesen. Er hatte Jesus gleich nach der Auferstehung in den ersten Tagen bei den Aposteln im Abendmahlssaal und sonst noch oft gesehen. - Ich sah Veronika beim Kaiser. Er war krank, sein Lager war auf ein paar Stufen erhöht, es hing ein großer Vorhang nieder, die Stube war viereckig, nicht sehr groß. Ich sah keine Fenster, aber von der Decke des Zimmers kam Licht herab, und es hingen Schnüre nieder, durch welche man Klappen öffnen und schließen konnte. Der Kaiser war allein, seine Leute waren in der Vorstube. Ich sah, dass Veronika außer dem Schweißtuch noch ein anderes Tuch von den Grabtüchern Jesu bei sich hatte, und dass sie das Schweißtuch vor dem Kaiser ausbreitete. Es war eine lange schmale Zeugbahn, welche sie ehedem als Schleier um Kopf und Hals getragen. Der Abdruck von Jesu Gesicht befand sich am einen Ende, und da sie es dem Kaiser vorhielt, fasste sie die längere Seite des Tuches, welche niederhing, mit der einen Hand zusammen. Das Gesicht Jesu war nicht wie ein reines Gemälde, sondern mit Blut darin abgedrückt, es war auch breiter als ein Gemälde, denn es hatte um das Gesicht herum gelegen. Auf dem anderen Tuch, das Veronika bei sich hatte, sah ich den Abdruck des zergeißelten Leibes Jesu. Ich glaube, dass es eines der Tücher war, worauf Er vor der Grablegung gewaschen worden ist. Ich sah nicht, dass der Kaiser mit diesen Tüchern berührt ward, oder sie anrührte. Er ist aber durch ihren Anblick gesund geworden. Er wollte Veronika in Rom behalten und ihr zum Lohn ein Haus und Güter und gute Dienstleute geben. Aber sie verlangte nichts, als wieder nach Jerusalem zurückzukehren und zu sterben, wo Jesus gestorben. Ich sah auch, dass sie mit ihren Gefährten dahin zurückkehrte, und dass sie in der Verfolgung der Christen in Jerusalem, als Lazarus mit seinen Schwestern ins Elend vertrieben war, mit einigen anderen Frauen entfloh, aber eingeholt in einen Kerker gesperrt ward, in welchem sie als eine Märtyrerin der Wahrheit, für Jesus, den sie so oft mit irdischem Brot, und der sie mit seinem Fleisch und Blut zum ewigen Leben gespeist hatte, den Hungertod starb.

42. Die weinenden Töchter Jerusalems. Vierter und fünfter Fall unter dem Kreuz

Der Zug hatte noch eine gute Strecke bis zum Tor. Der Weg war etwas abhängig gegen dasselbe. Das Tor ist fest und lang. Man geht zuerst durch einen gewölbten Bogen, dann über eine Brücke, dann wieder durch einen Bogen. Das Tor steht in der Richtung zwischen Mittag und Abend. Beim Austritt läuft die Stadtmauer eine Strecke, ungefähr von einigen Minuten, mittagwärts, wendet sich sodann eine gute Strecke gegen Abend und nimmt dann wieder die mittägliche Richtung um den Berg Sion herum. Rechts vom Tore läuft die Mauer mitternachtwärts bis zum Ecktor und wendet sich dann längs der Nordseite Jerusalems morgenwärts.

Als der Zug dem Tor nahte, trieben die Schergen heftiger. Dicht vor dem Tor war in dem unebenen und ausgefahrenen Weg eine große Lache. Die grausamen Schergen zerrten Jesus vorwärts, man ging gedrängter. Simon von Cyrene suchte bequemer seitwärts zu treten, dadurch verschob sich die Richtung der Kreuzeslast und der arme Jesus, zum vierten Mal unter dem Kreuz fallend, stürzte hart in die kotige Lache nieder, so dass Simon das Kreuz kaum halten konnte. Jesus jammerte mit hoher, gebrochener und doch lauter Stimme: «Wehe, wehe, Jerusalem! Wie habe Ich dich geliebt, wie eine Henne, die ihre Küchlein unter ihren Flügeln versammelt, und du stößest mich so grausam zu deinem Tor hinaus!» Der Herr war gar kläglich und betrübt. Die Pharisäer aber wendeten sich zu Ihm und schimpften: «Der Ruhestörer hat noch nicht genug. Er führt noch lose Reden» und dergleichen. Sie schlugen und stießen Jesus und schleiften Ihn aufrichtend aus dem Loch. Da ward Simon von Cyrene ganz erbittert über die Grausamkeit der Schergen und rief: «Wenn ihr eurer Rohheit kein Ende macht, so werfe ich das Kreuz nieder und wenn ihr mich auch töten wollt.»

Gleich vor dem Tor wendet sich aus der Landstraße rechts ein rauer, nicht breiter Weg einige Minuten mitternachtwärts zum Kalvarienberg hinauf. Die Landstraße selbst teilt sich in einiger Entfernung in drei Richtungen, links zwischen Abend und Mittag durch das Tal Gihon nach Bethlehem zu, abendwärts gegen Emmaus und Joppe, und rechts zwischen Abend und Mitternacht um den Kalvarienberg herum gegen das Ecktor, welches nach Bethsur führt. Man kann hier vom Tor, durch welches Jesus ausgeführt wird, zwischen Mittag und Abend zur Linken blickend, das Bethlehemstor sehen. Diese beiden Tore liegen unter den Toren Jerusalems am nächsten zusammen.

Mitten in der Landstraße vor dem Tor, wo der Weg zum Kalvarienberg abläuft, stand an einem Pfahl eine Tafel aufgerichtet, worauf das Todesurteil unseres Heilandes und der beiden Schächer mit erhabenen weißen, wie aufgeklebten, Buchstaben geschrieben war. Unfern hiervon am Winkel des ablaufenden Weges stand eine Schar von vielen weinenden und wehklagenden Frauen. Es waren teils Jungfrauen und arme Frauen mit Kindern aus Jerusalem, die dem Zug vorgelaufen waren, teils Frauen von Bethlehem, Hebron und anderen umliegenden Orten, welche zum Fest kommend an die jerusalemischen Frauen hier sich angeschlossen hatten.

Jesus sank hier zwar nicht ganz zu Boden, jedoch wie ohnmächtig zusammen, so dass Simon hinter dem gebeugten Herrn das Kreuz zur Erde senkte, Ihm nahte und Ihn unterstützte. Der Herr lehnte sich an Simon. Dieses ist der fünfte Fall des kreuztragenden Jesus. Die Frauen und Jungfrauen erhoben aber bei seinem furchtbaren elenden Anblick ein großes Wehklagen und Jammergeschrei und streckten Jesu, nach jüdischer Weise des Mitleids, Tücher entgegen, Er möge sich den Schweiß abtrocknen. Da wendete sich Jesus zu ihnen und sagte: «Ihr Töchter von Jerusalem», - das heißt auch, ihr Leute aus den Töchterstädten von Jerusalem, - «weint, nicht über mich, weint über euch selbst und eure Kinder! Denn siehe, es wird eine Zeit kommen, in der man sagen wird: selig die Unfruchtbaren und die Leiber, die nicht geboren haben, und die Brüste, die nicht gesäugt haben ! Dann werden sie zu sagen beginnen zu den Bergen: fallet über uns, und ihr Hügel bedecket uns! denn, wenn man das am grünen Hole tut, was wird man am dürren Holz tun.» Er sprach auch noch andere schöne Reden zu ihnen, die ich vergessen habe. Es war darunter: «ihr Weinen solle ihnen belohnt werden, sie sollten von nun an andere Wege gehen» usw..

Es währte eine Pause, denn der Zug harrte eine Weile. Das vortretende Gesindel mit dem Martergerät zog auf den Kalvarienberg, und es folgten 100 Mann römische Soldaten, von der Schar des Pilatus, der den Zug in kleiner Entfernung bis hierher begleitet hatte und sich vom Tor aus wieder zur Stadt zurückwendete.

43. Jesus auf Golgatha. Sechster und siebenter Fall und Einkerkerung Jesu

Der Zug setzte sich wieder in Bewegung. Jesus ward mit dem Kreuz den rauen, beschwerlichen Weg zwischen der Stadtmauer und dem Kalvarienberg in mitternächtlicher Richtung unter Schlägen und Reißen an den Stricken hinaufgetrieben. Dann wendet sich der Schlangenpfad in der Höhe wieder mittagwärts. Hier fiel der arme Jesus zum sechsten Mal unter dem Kreuz. Nun aber schlugen und trieben sie heftiger als je, bis Jesus oben auf dem Gerichtsfelsen anlangte und mit dem Kreuz auf die Erde zum siebenten Male niederstürzte.

Simon von Cyrene, selbst misshandelt und ermüdet, war ganz von Zorn und Mitleid zerrissen. Er wollte dem armen Jesus wieder aufhelfen, aber die Schergen trieben ihn mit Stößen und Schimpfen den Weg wieder hinab. Er ist bald darauf zu den Jüngern gekommen. Auch alle die überflüssigen Jungs und Handlanger, die mitgezogen waren, wurden zurückgetrieben. Die berittenen Pharisäer waren an der Abendseite des Kalvarienberges auf bequemen Schlangenpfaden hinauf geritten. Man konnte hier oben eben über die Stadtmauer sehen.

Die obere Fläche, der Richtplatz, ist kreisförmig und wohl so groß, dass man ihn etwa auf dem Kirchhof hier vor der Pfarrkirche abzeichnen könnte. Er ist wie eine ziemliche Reitbahn groß, und mit einem niederen Erdwall umgeben, welchen fünf Wege durchschneiden. Solche fünf Wege sind beinah bei allen Anlagen hier im Land, bei Badeplätzen, Taufplätzen, und dem Teich Bethesda. Auch sind an vielen Städten fünf Tore. Diese Anordnung findet sich bei allen Anlagen aus alter Zeit, und auch bei neueren, die aus guter Gesinnung etwa noch gemacht werden. Es ist, wie bei allem im heiligen Land, hiermit eine tiefe prophetische Vorbedeutung verbunden, welche heute durch die Eröffnung der fünf Wege alles Heiles in den heiligen fünf Wunden Jesu erfüllt wird.

Die reitenden Pharisäer hielten an der Abendseite vor dem Kreis, wo der Berg sanft abhängig ist. An der Seite gegen die Stadt, wo die Hinzurichtenden hinaufgeführt werden, ist er wüst und steil. Es waren etwa 100 römische Soldaten, von der Schweizergrenze, welche teils am Berg, teils um den Kreiswall des Richtplatzes aufgestellt waren. Einige standen bei den beiden Schächern, die man des Raumes halber nicht ganz heraufgeführt, sondern mit den an die Querhölzer gebundenen Armen etwas unterhalb des Richtplatzes, wo der Weg sich wieder gegen Mittag wendet, an den Abhang auf den Rücken gelegt hatte. Sehr vieles Volk, meistens gemeine Leute, Fremde, Knechte, Sklaven, Heiden und viele Frauen, lauter solche Leute, die sich nicht vor Verunreinigung zu hüten hatten, standen teils um den Kreis, teils auf den umliegenden Höhen, wohin immer noch mehr Leute kamen, die zur Stadt zogen. Gegen Abend, am Berge Gihon, stand ein ganzes Lager von Ostergästen, und viele schauten aus der Ferne zu und drangen abwechselnd näher.

Es war etwa dreiviertel vor 12 Uhr, als Jesus, mit dem Kreuze in den Richtkreis geschleppt, niederstürzte, und Simon fortgetrieben wurde. Sie zerrten Jesus an den Stricken in die Höhe, schnürten die Kreuzhölzer auseinander und legten sie auf geratewohl zusammen. Ach! Wie elend, traurig, zerrissen, blutig, bleich, ein schreckliches Bild, stand der arme Jesus auf der Marterstelle. Da rissen sie Ihn nieder unter Hohnreden, etwa wie: «Wir müssen Dir deinen Thron anmessen, Du König!» Aber Er legte sich selbst willig auf das Kreuz. Und hätte Er es in seinem Elend schneller vermocht, sie hätten Ihn nicht niederzureißen gebraucht. Da streckten sie Ihn auf dem Kreuz aus, und machten sich die Zeichen seiner Länge an Händen und Füßen. Die Phärisäer umher höhnten. Nun rissen sie Ihn aber wieder auf, und führten Ihn gebunden etwa 70 Schritte mitternachtwärts den Kalvarienberg hinab zu einer in die Felsen gehauenen Grube, die wie ein Keller oder eine Zisterne war. Sie hoben die Türe auf und stießen Ihn so unbarmherzig hinab, dass Er sich ohne ein Wunder die Knie auf dem harten Felsengrund zerschmettert hätte. Ich hörte sein lautes, helles Wehklagen. Sie schlossen die Türe über Ihm und ließen Wachen dort zurück. Ich bin die 70 Schritte mitgegangen. Ich meine auch gesehen zu haben, wie Engel Ihm halfen, dass seine Knie nicht zerschmetterten, Er klagte und wimmerte herzzerreissend. Der Stein ist unter seinen Knien erweicht.

Nun begannen die Schergen ihre Zurüstungen. Es befand sich in der Mitte des Richtkreises der höchste Punkt des Kalvarienfelsens, ein runder, etwa zwei Schuh hoher Hügel mit einigen Stufen. Sie meißelten auf diesem Hügel an den Löchern, in welchem die drei Kreuze aufgerichtet werden sollten, nachdem sie das Maß am unteren Ende der Stämme genommen hatten. Sie richteten die beiden Kreuzesstämme für die Schächer links und rechts auf dieser Kuppe auf. Diese Stämme waren roh und niedriger als Jesu Kreuz, und oben schräg abgesägt. Die Querhölzer, an welchen ihnen jetzt noch die Hände angeknebelt waren, wurden nachher bei der Kreuzigung dicht unter dem oberen Ende der Kreuze befestigt.

Die Schergen legten nun das Kreuz Christi an den Ort der Annagelung, so dass sie es bequem auf den Standort in die Höhe ziehen und in das Loch hineinsenken konnten. Sie zapften die beiden Armhölzer links und rechts ein, nagelten den Fußklotz auf, bohrten die Löcher der Nägel und für die Titeltafel des Pilatus, schlugen sie Keile unter die eingelassenen Arme, machten hie und da kleine Aushöhlungen in den Mittelstamm, Raum für die Dornenkrone, und am Rücken, damit der Leib mehr stehe als hänge, größere Marter leide und die Hände nicht zerreißen sollten. Sie schlugen Pfähle und einen Balken quer darüber hinter dem Kreuzeshügel in die Erde, um das Kreuz durch darüber gelegte Stricke aufziehen zu können, und trafen mehrere ähnliche Vorbereitungen.

44. Maria und die heiligen Frauen ziehen nach Golgatha

Nach der unendlich schmerzvollen Begegnung mit ihrem das Kreuz tragenden göttlichen Sohn vor dem Wohnhaus des Kaiphas hatte sich die betrübteste Mutter von Johannes und den heiligen Frauen, Johanna Chusa, Susanna und Salome, zum Haus des Lazarus in der Gegend des Ecktores geleiten lassen. Hier waren um Magdalena und Martha die anderen heiligen Frauen in Tränen und Wehklagen vereinigt, auch einige Kinder waren bei ihnen. Und nun zogen sie alle, siebzehn an der Zahl, mit der heiligsten Jungfrau, unbekümmert um den Hohn des Pöbels, ernst und entschlossen, und durch ihre Trauer Ehrfurcht gebietend, über das Forum, wo sie an der Stelle, wo Jesus das Kreuz auf sich genommen, die Erde küssten. Von da wandelten sie den ganzen Leidensweg Jesu und ehrten alle Stellen seiner Schmerzen. Die heiligste Jungfrau sah und erkannte die Fußstapfen ihres göttlichen Sohnes. Sie zählte seine Schritte, zeigte den heiligen Frauen alle geheiligten Stellen, ordnete ihr Verweilen und Weiterschreiten auf dem Kreuzweg, der mit allen seinen Einzelheiten sich tief in ihre Seele drückte.

Auf diese Weise war die rührendste erste Andachtsweise der Kirche zuerst in das liebende Mutterherz Marias mit dem von Simeon prophezeiten Schwerte eingeschrieben, und kam von ihren heiligen Lippen zu ihren Leidensgenossen und von diesen bis zu uns. Das ist die heilige Übergabe von Gott zum Herzen der Mutter, und von da von Herz zu Herz der Kinder. So pflanzt sich die Tradition der Kirche fort. Wenn man so sieht, wie ich, erscheint solche Übergabe lebendiger und heiliger, als jede andere. Es sind aber den Juden alle Orte, wo Heiliges und Geliebtes geschehen, von jeher sehr ehrwürdig, und sie vergessen keine Stelle höherer Ereignisse, richten Steine auf, wandern hin und beten. So entstand der heilige Kreuzweg, nicht durch eine nachgeholte Absicht, sondern aus der Natur der Menschen und den Absichten Gottes mit seinem Volk, durch die treueste Mutterliebe, sozusagen unter den Füßen Jesu, der ihn zuerst gewandelt ist.

Es gelangte nun diese heilige Schar bis zum Haus der Veronika wo sie eintraten, denn Pilatus kam mit seinen Reitern und 200 Soldaten vom Tor die Straße zurückgeritten. Hier sahen sie unter vielen Tränen und Wehklagen das Schweißtuch mit dem Gesicht Jesu, und priesen die Barmherzigkeit Jesu mit seiner treuen Freundin. Sie nahmen von hier das Gefäß mit dem gewürzten Wein mit, das Veronika nicht gegönnt wurde, Jesus zu reichen, und zogen nebst Veronika dem Tor zu, bis auf Golgatha hinan. Es waren noch mehrere Gutgesinnte, auch unterwegs gerührte Leute, und viele Männer zu dem Zug gekommen, der unbeschreiblich rührend und ordentlich durch die Straßen zog. Es war beinah ein größerer Zug, als der Zug Jesu, außer dem Volk, was jenem nachlief.

Die Leiden der betrübtesten Mutter der Schmerzen auf diesem Weg, beim Anblick des Richtplatzes und beim Aufsteigen zur Höhe, sind nicht auszusprechen. Sie waren innerlich die Schmerzen Jesu und das Gefühl des Zurückbleibens. Magdalena war ganz zerrissen und wie von Schmerzen trunken und wankend, wie geschleudert aus Pein in Pein. Sie fiel aus Stummheit in Jammer, aus Erstarren in Händeringen, aus Klagen in Drohen. Sie musste immer von den anderen gestützt, geschützt, ermahnt, verborgen werden.

Sie stiegen an der Abendseite, am sanften Abhang, den Hügel hinan, und standen in drei Entfernungen von der Kreisumwallung hintereinander. Die Mutter Jesu, ihre Nichte Maria Kleophä und Salome und Johannes traten dicht an den Kreis. Martha, Maria Heli, Veronika, Johanna Chusa, Susanna, Maria Marci standen etwas entfernter um Magdalena her, welche sich nicht fassen konnte. Etwas weiter zurück standen noch etwa sieben andere, und dazwischen meistens gutgesinnte Leute, die eine Verbindung unter ihnen erhielten. Die reitenden Pharisäer standen auf verschiedenen Plätzen in Scharen um den Kreis, und an den fünf Eingängen römische Soldaten.

Welcher Anblick für Maria! Der Marterplatz, der Kreuzhügel, das schreckliche Kreuz vor ihr ausgestreckt, die Hämmer, die Stricke, die furchtbaren Nägel und dazwischen die gräulichen, fluchenden, wie trunkenen Henker hin und her arbeitend! Die Kreuzpfähle der Schächer waren schon aufgerichtet und zum Aufsteigen einzelne Zapfen in eingebohrte Löcher gesteckt. Die Abwesenheit Jesu verlängerte die Marter der Mutter. Sie wusste Jesus noch lebend, sie verlangte Ihn zu sehen, sie zitterte, Ihn zu sehen. Sie sollte Ihn sehen in unaussprechlicher Peinigung.

Witterung

Am Morgen bis gegen zehn Uhr, da das Urteil gesprochen wurde, war abwechselnd Hagelschauer, dann während der Ausführung heller Himmel und Sonnenschein. Jetzt gegen Zwölf Uhr entstand ein rötlicher, trüber Schein vor der Sonne.

45. Jesus zur Kreuzigung entkleidet und mit Essig getränkt

Es gingen nun vier Schergen nördlich die siebzig Schritte zur Kerkergrube hinab und rissen Jesus heraus, der da zu Gott um Stärkung gefleht und sich nochmals für die Sünden seiner Feinde aufgeopfert hatte. Sie schleppten Ihn treibend, schlagend und höhnend diesen letzten Pfad seines Leidens. Das Volk schaute und höhnte, die Soldaten brüsteten sich kalt und ernst, Ordnung haltend. Die Schergen empfingen Ihn grimmig und hinreißend in den Kreis.

Die heiligen Frauen gaben einem Mann Geld, das er den Schergen nebst dem Gefäße mit Gewürzwein bringen sollte, auf dass sie Jesus erquicken möchten. Die Schurken jedoch gaben Ihm den Wein nicht, sondern tranken ihn nachher selbst. Sie hatten aber zwei braune Gefäße dastehen. Im einen war Essig und Galle, im anderen eine Art Essigbärme. Es sollte Wein sein, mit Wermut und Myrrhe, und sie hielten dem gebundenen Heiland vom letzteren Getränk einen braunen Becher an die Lippen. Er versuchte und trank nicht. Es waren achtzehn Schergen im Richtkreise: die sechs Geißler, die vier Ausführer, die zwei Kreuzstrickhalter und sechs Kreuziger. Sie waren teils hier beschäftigt, teils waren sie bei den Schächern und arbeiteten und soffen abwechselnd. Es waren schmutzige, kleine, starke Menschen mit fremden Gesichtern, struppigem Haar, stoppligem Bart, gräulich und viehisch. Sie dienten Römern und Juden um Geld.

Der Anblick von all diesem ward mir dadurch noch schrecklicher, dass ich auch das den anderen unsichtbare Böse hier in seiner Gestalt erblicken musste: nämlich große furchtbare Teufelsgestalten zwischen diesen grausamen Menschen tätig, als reichten sie ihnen alles, als rieten und helfen sie zu allem. Und außerdem noch unzählige kleinere Gestalten von Kröten, Schlangen, Drachen mit Klauen, und anderem giftigem Ungeziefer, welche den Leuten ins Maul, in die Brust schossen und auf ihren Schultern saßen. Es waren dies Leute, welche grimmige, böse Gedanken hatten, oder Worte des Fluches und Hohnes ausstießen. Über dem Herrn aber sah ich während der Kreuzigung oft große weinende Engelsgestalten und Glorien erscheinen, in denen ich nur kleine Gesichte erkannte. Solche Engel des Mitleides und Trostes sah ich auch über der heiligsten Jungfrau und allen Wohlgesinnten stärkend und aufrichtend erscheinen.

Nun aber rissen die Schergen unserem Herrn Jesus den Mantel ab, der Ihm um den Oberleib geschlungen war. Sie nahmen Ihm den Fesselgürtel ab und seinen eigenen Gürtel, und rissen Ihm das wollweiße Oberkleid über das Haupt. Es hatte einen Brustschlitz mit Riemen verbunden. Dann nahmen sie Ihm die lange, schmale Halsbahn von den Schultern. Und da sie Ihm den braunen ungenähten Rock, den Ihm seine heiligste Mutter gewirkt hatte, nicht über die breite Dornenkrone, ziehen konnten, rissen sie Ihm wieder die Krone vom Haupt, alle Wunden neu aufreissend, schürzten den gewirkten Rock, und zogen ihn Jesus mit äußerst unangenehmen Hohn über das blutende, wundenvolle Haupt.

Da stand der zitternde Sohn des Menschen, mit Blut, Schwielen, vertrockneten und fließenden Wunden, mit Striemen und Flecken bedeckt. Er hatte nur noch das kurze wollene Skapulier über dem Oberleib und die Hülle des Unterleibes an. Das Skapulier war mit der Wolle in seine Wunden festgetrocknet und mit Blut in die neue tiefe Wunde verklebt, welche Ihm die Kreuzeslast in die Schulter gedrückt hatte, an der Er unaussprechlich litt. Unbarmherzig rissen sie Ihm das Skapulier von der Brust. Es war schrecklich zerrissen und verschwollen. Schulter und Achsel waren bis auf die Gebeine zerrissen, die weiße Wolle des Skapuliers klebte auf den Wundrinden und im vertrockneten Blut seiner Brust. Zuletzt rissen sie Ihm auch den Gürtel ab und Jesus, unser süßester, unaussprechlich misshandelter Heiland krümmte sich, wie um sich zu verbergen. Da Er ihnen unter den Händen umzusinken drohte, setzten sie Ihn auf einen herbeigewälzten Stein, stießen Ihm die Dornenkrone wieder auf das Haupt, und boten Ihm das andere Gefäß mit Essig und Galle zum Trinken dar. Doch Er wendete schweigend das Haupt ab. Nun aber, da die Schergen Ihn an den Armen packten und aufrichteten, um Ihn auf das Kreuz zu werfen, erhob sich Ärger, lautes Murren und Wehklagen unter allen Freunden. Seine heiligste Mutter betete heftig, sie war im Begriff, ihren Schleier abzureißen und Ihm als Hülle zu reichen. Gott erhörte sie, denn in diesem Augenblick stürzte ein Mann, der vom Tor her durch alles Volk außerhalb des Weges heraufgelaufen war, geschürzt und außer Atem in den Kreis unter die Schergen, und reichte Jesus ein Tuch, welches Er dankend annahm, und um sich wand.

Dieser von Gott durch das Gebet der heiligsten Jungfrau erflehte Wohltäter seines Erlösers hatte in seinem Ungestüm etwas Gebieterisches. Er drohte mit der Faust gegen die Schergen und sagte nichts, als: «Und dass ihr den armen Menschen sich bedecken lasst!» Sonst sprach er mit niemand, und eilte eben so schnell, als er herangekommen, wieder von dannen. Es war Jonadab, der Neffe des heiligen Josephs, aus der Gegend von Bethlehem, der Sohn des Bruders, dem Joseph nach Christi Geburt den übrigen Esel verpfändet hatte. Er war kein entschiedener Anhänger Jesu und hatte auch heute sich fern gehalten und überall umhergelauert. Schon als er von der Entblößung bei der Geißelung hörte, wurde er von Schmerz erfüllt und da die Kreuzigung nahte, ergriff ihn eine ungemeine Angst im Tempel. Während die heiligste Mutter auf Golgatha zu Gott schrie, wurde Jonadab von einem plötzlichen Drang ergriffen. Es trieb ihn aus dem Tempel hinaus zum Kalvarienberg. Er fühlte mit Unwillen in seiner Seele die Schmach Chams, welcher seines Vaters Noe, der vom Wein genossen, spottete, und eilte, als ein zweiter Sem, seinen heiligsten Erlöser zu verhüllen. Die Kreuziger waren Chamiten. Jesus aber trat die blutige Kelter des neuen erlösenden Weines, als Ihn Jonadab bedeckte. Diese Handlung war die Erfüllung eines Vorbildes und wurde belohnt.

46. Jesus wird an das Kreuz geschlagen

Nun wurde Jesus von den Schergen auf das Kreuz gestreckt. Er hatte selber sich darauf gesetzt. Sie aber stießen Ihn nieder in eine liegende Stellung, rissen die Hand seines rechten Armes auf das Nagelloch des rechten Kreuzarmes und schnürten den Arm fest. Einer kniete auf seiner heiligen Brust und hielt die sich schließende Hand auf. Der andere setzte den langen dicken Nagel, der spitz zugefeilt war, in das dicke Teil seiner segnenden Rechten, und schlug wütende Schläge mit dem eisernen Schlegel. Ein süßes, helles, gebrochenes Wehgeschrei tönte aus dem Munde des Herrn. Sein Blut spritzte auf die Arme der Schergen. Die Bänder der Hand wurden zerrissen und mit dem dreischneidigen Nagel in das engere Nagelloch hineingetrieben. Ich habe die Hammerschläge gezählt, aber in meinem Elend wieder vergessen. Die heiligste Jungfrau wehklagte leise. Magdalena war ganz von Sinnen.

Die Bohrer waren ein großes Stück Eisen, wie ein lateinisches T, es war kein Holz daran. Auch die großen Hämmer waren mit den Stielen ganz von Eisen aus einem Stück, und beinahe von der Form, wie bei uns die hölzernen Schlegel der Tischler, mit welchen sie auf die Meißel schlagen.

Die Nägel, bei deren Anblick Jesus geschaudert, waren so lang, dass sie, in die Faust gefasst, oben und unten etwa einen Zoll hervorstanden. Sie hatten oben ein Plättchen mit einer Kuppe, welches im Umfang einer Münze von vier Zentimeter die Hand füllte. Die Nägel waren dreischneidig, oben so dick wie ein mäßiger Daumen, unten wie ein kleiner Finger und dann spitz zugefeilt. Eingeschlagen sah die Spitze an der hinteren Seite des Kreuzarmes ein wenig hervor.

Nach der Annagelung der rechten Hand unseres Herrn fanden die Kreuziger, dass seine linke Hand, die auch auf den Kreuzarm festgebunden war, nicht bis zu der Stelle des Nagelloches reichte, das sie wohl zwei Zoll vor den Fingerspitzen gebohrt hatten. Sie banden daher den Arm vom Kreuzbalken wieder los und schlangen die Stricke um den Arm allein, den sie, mit den Füßen sich ans Kreuz stemmend, so weit aufwärts zogen, bis die Hand die Nagelstelle erreichte. Nun knebelten sie, auf Arm und Brust des Herrn kniend, den Arm wieder auf den Kreuzbalken und schlugen den zweiten Nagel durch die linke Hand. Das Blut spritzte empor. Der süße helle Wehruf Jesu tönte durch die Schläge des schweren Hammers. Beide Arme waren aus den Gewerben gerissen, die Achseln waren ausgedehnt und hohl, an den Ellenbogen sah man die Knochenabsätze. Jesu Brust hob sich hoch empor, die Knie zogen sich gegen den Unterleib. Es waren aber die Arme Jesu in gerader Linie so ausgespannt, dass sie nicht mehr die schräg aufsteigenden Kreuzarme deckten. Man sah zwischen den Kreuzarmen und seinen Achselhöhlen durch.

Die heiligste Jungfrau fühlte alle Peinigung mit Jesus, sie ward bleich wie eine Leiche und leise Schmerzenstöne erklangen von ihren Lippen. Die Pharisäer höhnten und schimpften zur Seite des Walles hin, wo sie stand. Man führte sie darum etwas ferner von dem Kreis zu den anderen heiligen Frauen. Magdalena war wie wahnsinnig. Sie zerriss sich das Gesicht, ihre Augen und Wangen waren blutig.

Es war aber an dem Kreuz, etwa an einem Drittel seiner Höhe von unten, ein hervorragender Klotz durch einen sehr großen Nagel befestigt, um die Füße Jesu darauf zu nageln, so dass Er mehr stehe, als hänge. Sonst wären die Hände zerrissen, und hätten die Füße, ohne zu zerbrechen, auch nicht angenagelt werden können. In diesen Klotz war das Nagelloch gebohrt. Es war auch eine Stelle für die Fersen ausgehöhlt, wie denn überhaupt, am Kreuzstamm einige Aushöhlungen angebracht waren, um das längere Hängen des Leidenden möglich zu machen, und das Zerreissen der Hände und Herabstürzen des Körpers durch seine Schwere zu verhindern.

Der ganze Leib unseres heiligsten Erlösers hatte sich durch die gewaltsame Ausspannung der Arme zu den zu weit auseinander gebohrten Annagelungsstellen in die Höhe gezogen, und seine Knie hatten sich aufgerichtet. Nun aber fielen die Schergen über diese her, und banden sie, mit Strickschlingen ziehend, nieder, und es reichten durch die boshafte Stellung der Nagellöcher seine heiligen Füße bei weitem nicht zum Fußklotz hin. Da erhob sich unter den Schergen ein Fluchen und Höhnen. Einige meinten, man müsse andere Löcher bohren an den Armen, denn den Klotz heraufzurücken, war beschwerlich. Andere höhnten schauderhaft: «Er wolle sich nicht strecken, aber sie wollten Ihm helfen.» Sie banden Ihm Stricke an das rechte Bein und zogen mit schrecklich marternder Gewalt den Fuß auf den Standklotz und knebelten das Bein mit Stricken fest. Es war die Ausspannung des Körpers so entsetzlich, dass die Brust Jesu krachte, und Er laut jammerte: «O Gott! O Gott!» Sie hatten Ihm die Brust und die Arme auch gebunden, damit die Hände nicht aus den Nägeln rissen. Sein Unterleib zog sich ganz weg, und es war, als brächen Ihm die Rippen vom Brustbein. Es war ein schauderhaftes Leiden.

Sie knebelten nun den linken Fuß ebenso gewaltig mit Stricken über den rechten Fuß nieder und durchbohrten ihn oben am Riste, weil er zum Annageln nicht fest genug über dem rechten Fuß ruhte, mit einem feineren, plattköpfigeren Stift, als die Nägel der Hände waren. Es war wie ein Vorbohrer mit einem Pfriem. Nun aber ergriffen sie den schrecklichsten, viel längeren Nagel, und trieben ihn mit großer Anstrengung durch den verwundeten Rist des linken und durch den des unten ruhenden rechten Fußes krachend hindurch, in das Loch des Standklotzes und durch diesen in den Kreuzesstamm hinein. Ich habe am Kreuz, von der Seite sehend, den einen Nagel durch beide Füße durchgehen sehen.

Das Annageln der Füße war grausamer als alles, durch die Ausdehnung des ganzen Leibes. Ich zählte an 36 Hammerschläge unter dem Wehklagen des armen Erlösers, das mir so süß und hell und rein klang.

Die heiligste Jungfrau aber war zum Gerichtskreis zurückgekehrt. Bei dem Zerren und Krachen und Wehklagen unter dem Annageln der Füße ward sie in heiligstem Mitleiden gleich einer Sterbenden. Die heiligen Frauen breiteten ihre Arme um sie und führten, da die höhnenden Pharisäer herannahten, sie wieder vom Kreis zurück. Es erhob sich aber hie und da bei der Annagelung und darauffolgenden Kreuzaufrichtung, besonders unter den Frauen, ein Mitleidsgeschrei: «O dass die Erde diese Schergen nicht verschlingt, dass nicht Feuer vom Himmel sie verzehrt!» aber Hohn und Spott antworteten auf diese Äußerungen der Liebe.

Die Wehklagen Jesu waren lautere Schmerzenstöne unter stetem Beten einzelner Psalmen- und ProphetensteIlen, deren Weissagung Er jetzt erfüllte. Auf dem ganzen Weg seines bittersten Leidens bis zum Weg zum Tod war Er in solchem Gebet und in dieser Erfüllung ununterbrochen begriffen. Ich habe alle diese Stellen gehört und mitgebetet, und auch sonst, wenn ich die Psalmen betete, fielen diese Stellen mir immer ein. Jetzt aber bin ich so zermalmt von der Marter meines himmlischen Bräutigams, dass ich sie nicht mehr zusammenbringen kann. Ich sah weinende Engel über Jesus während dieser schrecklichen Peinigung erscheinen.

Beim Anfang der Annagelung hatte der Führer der römischen Wache den Titel, den Pilatus geschrieben, schon auf seinem Pflocke auf dem Kopf des Kreuzes aufheften lassen. Die Pharisäer ärgerten sich darüber, denn die Römer lachten laut über den Titel: «König der Juden.» Es ritten einige Pharisäer, nachdem sie das Maß zu einem neuen Titel hatten nehmen lassen, zur Stadt, um nochmals Pilatus um eine andere Inschrift zu bitten.

Man meißelte noch während der Annagelung auf dem Kreuzhügel am Loch, worin das Kreuz aufgerichtet werden sollte, denn es war zu klein und der Fels sehr hart. Es hatten aber einige Schergen den gewürzten Wein der heiligen Frauen Jesus nicht gegeben, sondern selbst getrunken. Sie waren ganz rauschig davon, und empfanden ein Brennen und Schneiden im Leib, so dass sie wie toll wurden. Sie schimpften Jesus einen Zauberer, waren wütend über seine Geduld, und liefen mehrmals den Kalvarienberg hinab, und soffen Eselsmilch. Es waren �Frauen aus dem nahen Lager der Ostergäste mit melkenden Eselinnen in der Nähe. Sie verkauften die Milch.

Nach dem Stand der Sonne war es ungefähr viertel nach zwölf Uhr, als sie Jesus kreuzigten. Und da sie das Kreuz aufgerichtet hatten, hallte Trompetenschall vom Tempel her. Das Osterlamm war geschlachtet.

47. Aufrichtung des Kreuzes

Nach der Annagelung unseres Herrn zogen sie mit Stricken, die an Ringen hinten am Kreuz befestigt wurden, den oberen Teil des Kreuzes auf den erhöhten Standort, und warfen dann diese Stricke über einen jenseits errichteten Querbalken oder Bock. Viele Schergen zogen vermittelst dieser Stricke das Kreuz in die Höhe. Andere steuerten mit Hakenstöcken am Stamm nach und richteten den Fuß in das Loch. Dann schoben sie den Gipfel des Kreuzes etwas vorwärts, dass es in senkrechte Richtung kam, und seine ganze Last mit einem erschütternden Stoß in die Grube niederfuhr. Das Kreuz erzitterte vom Stoß. Jesus wehklagte laut. Die ausgespannte Last des Leibes zog nieder, die Wunden wurden weiter, das Blut rann reichlicher, und die ausgewerbten Gebeine stießen sich. Nun rüttelten sie das Kreuz noch fest und schlugen fünf Keile umher in das Loch. Einen vorn, einen zur Rechten, einen zur Linken und zwei an die hintere, etwas runde Seite des Kreuzes.

Es war ein erschreckender und zugleich rührender Eindruck, als unter dem Hohngeschrei der Schergen und Pharisäer und des entfernter stehenden Volkes, das Jesus nun auch sehen konnte, das Kreuz emporschwankte und erschütternd niederstieß. Aber auch fromme, wehklagende Stimmen erhoben sich zu Ihm. Die heiligsten Stimmen der Erde, die seiner betrübtesten Mutter, der heiligen Frauen, des Lieblingsapostels und aller, die reinen Herzens waren, begrüssten das am Kreuz erhöhte, ewige, fleischgewordene Wort mit rührender Wehklage. Alle Hände der Liebenden streckten sich bange empor, als wollten sie helfen, da der Heiligste der Heiligen, der Bräutigam aller Seelen, lebendig an das Kreuz genagelt, in den Händen der tobenden Sünder emporschwankte. Als aber das Kreuz mit lautem Hall aufrecht in die Standgrube hineinsank, trat ein kurzes Schweigen ein. Alles schien von einem neuen, nie dagewesenen Gefühl überrascht. Selbst die Hölle fühlte den Stoß des sinkenden Kreuzes mit Schrecken und bäumte sich nochmals in ihren Werkzeugen mit Hohn und Fluch gegen dasselbe. Bei den armen Seelen aber und in der Vorhölle war eine bang harrende Freude. Sie horchten auf jenen Stoß mit sehnsüchtiger Hoffnung. Er tönte ihnen wie das Pochen des nahenden Siegers an den Toren der Erlösung. Das heilige Kreuz stand zum ersten Male in Mitte der Erde aufgerichtet wie ein anderer Baum des Lebens im Paradies, und aus den erweiterten Wunden Jesu träufelten vier heilige Ströme auf die Erde nieder, ihren Fluch zu sühnen und sie Ihm, dem neuen Adam, zu einem Paradies zu befruchten.

Als unser Heiland am Kreuz aufgerichtet stand, und das Hohngeschrei auf wenige Minuten durch ein schweigendes Staunen unterbrochen war, schallte der Ton vieler Trompeten und Posaunen vom Tempel herüber und kündete das begonnene Schlachten des Osterlammes, des Vorbildes, an, indem er das Hohn- und Wehgeschrei um das wahre geschlachtete Lamm Gottes mit ahnungsreicher Feierlichkeit unterbrach. Manches harte Herz ward erschüttert und gedachte der Worte des Täufers: «Siehe das Lamm Gottes, welches die Sünden der Welt auf sich genommen hat!»

Der Standort des Kreuzes war etwas über zwei Schuh hoch. Als der Kreuzfuß an der Grube stand, waren die Füße Jesu mannshoch und als es hineingesunken fest stand, konnten die Freunde die Füße umarmen und küssen. Es war ein schräger Aufweg zu diesem Hügel. Das Gesicht Jesu sah nordwestwärts.

48. Kreuzigung der Schächer

Während der Annagelung des Herrn lagen die Schächer, noch mit den Händen an die Querhölzer über den Nacken gebunden, an der östlichen Seite des Kalvarienberges am Wege auf dem Rücken, und es stand eine Wache bei ihnen. Beide waren der Ermordung einer jüdischen reisenden Frau und ihrer Kinder zwischen Jerusalem und Joppe verdächtig, auf einem Schloss jener Gegend, das Pilatus auch manchmal bei Kriegsübungen bewohnte und wo sie wie reiche Kaufleute erschienen, gefangengenommen worden. Sie hatten lange bis zum Beweis und der Verurteilung gesessen. Ich habe das nähere vergessen. Der sogenannte linke Schächer war älter und ein großer Bösewicht. Er war der Verführer und Meister des Bekehrten. Man nennt sie gewöhnlich Dismas und Gesmas. Ich habe die richtigen Namen vergessen, ich will darum den guten Dismas, den bösen Gesmas heißen.

Sie waren beide von jenem Räuberscharen an der ägyptischen Grenze, in dessen Herberge die Heilige Familie mit dem Kinde Jesu auf der Flucht nach Ägypten übernachtet hatte. Dismas war jener aussätzige Knabe, der im Badewasser des Jesuskindes von seiner Mutter auf Anraten Marias gewaschen, und augenblicklich heil geworden war. Die Barmherzigkeit und der Schutz, den seine Mutter der Heiligen Familie damals gegen ihre Gefährten angedeihen ließ, war durch jene vorbildliche Reinigung belohnt worden, die jetzt bei der Kreuzigung in Erfüllung trat, da er durch das Blut Jesu gereinigt wurde. Dismas war ganz verkommen, er kannte Jesus nicht, doch war er nicht bösartig, und die Geduld des Herrn hatte ihn gerührt. Er sprach hier liegend immer mit seinem Gesellen Gesmas von Jesus. Er sagte: «Sie gehen schrecklich mit dem Galiläer um. Es muss wohl ein ärgeres Übel sein, was Er mit seinem neuen Gesetz getan, als unsere Tat. Aber Er hat eine große Geduld und Macht über alle Menschen.» - Da erwiderte Gesmas: «Was für eine Macht hat Er denn? Ist Er so mächtig, wie sie sagen, so könnte Er uns allen helfen.» So und dergleichen redeten sie. Als das Kreuz im Aufrichten war, kamen Schergen und schleppten sie heran mit den Worten: «es sei nun die Reihe an ihnen.» Man band sie von den Querhölzern und eilte sehr, denn die Sonne war trüb und es war eine Bewegung in der Natur, als nahe ein Ungewitter. Die Schergen stellten Leitern an die aufgerichteten Stämme, und befestigten die gekrümmten Querhölzer halb eingelassen mit einem Pflocke oben an die Stämme. Es wurden nun zwei Leiterstangen an jedes Schächerkreuz gestellt, worauf Henker standen. Unterdessen hatte man ihnen vom Myrrhenessig zu trinken gegeben, ihnen die seitwärts offenen, schlechten Wämser ausgezogen und zog sie nun an den Armen mit Stricken, die über die Kreuzarme geworfen wurden, hinauf, indem sie unter Schlagen und Prügeln auf Pflöcken, die durch die Stämme in Löcher gesteckt waren, aufstiegen. An den Querhölzern und dem Stamm waren Stricke von gedrehtem Bast angeknüpft. Ihre Arme wurden verdreht über die Querhölzer gebogen, über den Handgelenken und den Ellenbogen, und ebenso über den Knien und Fußknöcheln von den Stricken umschlungen und durch Umdrehung eingesteckter Prügel so gewaltig angeknebelt, dass die Muskeln bluteten und die Knochen krachten. Sie stießen ein furchtbares Gebrüll aus. Der gute Schächer Dismas sagte beim Hinaufsteigen: «Wärt ihr mit uns umgegangen, wie mit dem armen Galiläer, so brauchtet ihr uns nicht mehr da hinauf zu ziehen.»

49. Würfeln um die Kleider Jesu

An der Stelle, wo die Schächer außer dem Kreis gelegen, hatten unterdessen die Kreuziger die Kleider Jesu in mehrere Haufen zusammengelegt, um sie unter sich zu verlosen. Der Mantel war oben enger als unten und hatte mehrere Falten, in der Brust war er doppelt und bildete dadurch Taschen. Sie zerrissen ihn in lange Bahnen und teilten sie. Auch den weißen langen Rock, der an der Brust offen war und dort durch Riemen geschlossen wurde, zerrissen sie in Bahnen und teilten ihn. Sie teilten auch die Halsbahn, den Gürtel, das Brustskapulier und die Unterleibshülle, die alle vom Blut des Herrn durchdrungen waren. Weil sie aber über seinen braunen gewirkten Rock uneins wurden, der ihnen durch Zerreissen unnütz geworden wäre, so nahmen sie ein Brett mit Zahlen und bohnenförmige Steine mit Zeichen, die sie bei sich hatten, und warfen mit denselben auf das Brett und verlosten den Rock. Da jedoch ein Bote von den Leuten, die Nikodemus und Joseph von Arimathäa dazu bestellt hatten, zu ihnen heraufgelaufen kam und sagte: «dass sich unten Käufer für die Kleider Jesu befänden», so rafften sie alle die Kleider zusammen, liefen hinab und verkauften sie und so blieben diese Heiligtümer bei den Christen.

50. Der gekreuzigte Jesus und die Schächer

Bei dem erschütternden Stoß des in die Grube niederfahrenden Kreuzstammes, vergoss Jesus aus seinem von der Dornenkrone durchbohrten Haupte reiche Ströme des kostbarsten Blutes und ebenso aus den Wunden seiner heiligsten Hände und Füße. Nun stiegen aber die Schergen an Leitern hinan und lösten die Stricke, mit denen sie den heiligsten Leib an den Kreuzstamm gebunden hatten, damit er beim Aufrichten nicht aus den Nägeln reiße und der durch die ebene Lage und das Schnüren veränderte Blutlauf drang nun in der senkrechten Lage in neue Bewegung. Alle Martern verdoppelten sich. Jesus hing an sieben Minuten schweigend und wie tot in den Abgrund unendlicher Peinen versenkt. Ringsum trat kurze Stille ein. Unter der Last der Dornenkrone war das heiligste Haupt zur Brust gesunken, und sein aus zahllosen Wunden träufelndes Blut füllte die Augenhöhlen, die Haare, den Bart und den verschmachtend sich öffnenden Mund. Das heiligste Gesicht vermochte auch darnach wegen des Umfanges der Krone sich nur mit unsäglicher Pein zu erheben. Die Brust war weit zerspannt und gewaltsam hinaufgerissen, die Achseln waren hohl und schrecklich ausgedehnt, Ellenbogen und Handgelenke wie aus den Gewerben gezogen, das Blut strömte an den Armen nieder von den weit gerissenen Handwunden. Unter der hinaufgezogenen Brust war eine tiefe Höhle. Der ganze Unterleib war hohl und schmal, wie hinweggeschwunden Gleich den Armen waren die Lenden und Beine des Herrn auf eine entsetzliche Weise wie aus den Gelenken gezogen. Seine Glieder waren so gewaltsam ausgedehnt, alle Muskeln und die zerrissene Haut so jammervoll gespannt, dass man alle seine Gebeine zählen konnte. Das Blut träufelte unter dem furchtbaren Nagel, der seine heiligsten Füße durchbohrte, am Kreuzstamm nieder. Der ganze heiligste Leib war mit Wunden, roten Schwielen, Striemen, braunen, blauen und gelben Flecken und Beulen und blutig geschundenen Stellen bedeckt. Die verwundeten Stellen rissen von der heftigen Spannung aufs neue und ergossen rotes Blut. Später ward das Blut bleich und wässerig, und der heiligste Leib immer weißer. Die Rinden der Wunden fielen ab, und er glich ganz verblutetem Fleisch. Trotz dieser furchtbaren Entstellung erschien der heiligste Leib unseres Herrn am Kreuz unaussprechlich edel und rührend. Ja der Sohn Gottes, die ewige, sich in der Zeit opfernde Liebe war schön, rein und heilig in dem zertrümmerten, mit den Sünden aller Menschen belasteten Leib des sterbenden Osterlammes.

Wie die Farbe seiner heiligsten Mutter, war auch die ihres göttlichen Sohnes von Natur fein gelblich schimmernd, mit durchscheinendem Rot gemischt. Durch die Anstrengungen und Reisen in den letzten Jahren waren seine Wangen unter den Augen und seine Nasenknorpel etwas röter gebräunt. Er hatte eine hohe und breite Brust, sie war rein und unbehaart. Die Brust des Johannes des Täufers war ganz rot behaart, wie ein Fell. Jesus hatte breite Schultern und starke Armmuskeln, seine Lenden waren auch mit starken, ausgezeichneten Muskeln, seine Knie waren kräftig und stark wie eines Menschen, der viel gewandert und viel kniend gebetet. Seine Beine waren lang und mit starken Wadenmuskeln, von vielem Reisen und Bergsteigen. Seine Füße waren sehr schön und stark ausgearbeitet, sie hatten vom barfüssigen Wandeln auf rauen Wegen starke Schwielen unter den Sohlen. Seine Hände waren schön, mit langen und schönen Fingern, nicht weichlich, aber auch nicht wie eines schwer Handarbeitenden. Sein Hals war nicht kurz, aber stark und muskelig, sein Haupt in einem schönen Verhältnis und nicht zu groß, seine Stirne frei und hoch, und das ganze Gesicht ein reines, schönes Oval, seine Haare nicht übermäßig dick, waren rötlichbraun und schlichtgescheitelt hingen sie bis zum Nacken, sein Bart war nicht lang, sondern spitz und auf dem Kinn geteilt.

Nun aber war sein Haar größtenteils ausgerissen und das übrige mit Blut verklebt. Sein Leib hatte Wunde an Wunde. Seine Brust war wie zerbrochen, man sah hohl unter das Brustgewölbe. Sein Leib war weggezogen, die Rippenbeine sahen hie und da durch die zerrissene Haut. Über den hervorstehenden Beckenknochen war sein Leib so dünn ausgespannt, dass er den Kreuzstamm nicht ganz deckte.

Das Kreuz war hinten etwas rundlich, vorn flach und an den nötigen Stellen ausgetieft. Es war der Kreuzstamm ungefähr ebenso breit wie dick. Die einzelnen Stücke des Kreuzes waren von verschiedenen Holzfarben, teils braun, teils gelblich, und der Stamm war dunkler, wie Holz, das lange im Wasser gelegen hat.

Die Kreuze der Schächer waren roher, und standen links und rechts am Rande des Hügels von Jesu Kreuz so weit entfernt, dass ein Mann durchreiten konnte. Sie schauten sich etwas an und standen tiefer. Die Schächer beteten und höhnten zu Jesus hinauf. Er sprach zu Dismas etwas herab. Der Anblick der Schächer am Kreuz war grässlich, besonders des linken, eines grimmigen, berauschten Bösewichts. Sie hingen ganz verdreht, zerbrochen, verschwollen und zerschnürt. Ihre Gesichter waren braun und blau, ihre Lippen braun vom Getränk und dem aufdringenden Blut, ihre Augen geschwollen und rot hervordringend. Sie brüllten und schrieen unter dem Schnüren. Gesmas fluchte und lästerte. Die Nägel der angehefteten Querhölzer drückten ihre Köpfe vorwärts. Sie zuckten und drehten sich im Schmerz, und trotz der harten Knebelung der Beine arbeitete sich der Fuß des einen in die Höhe, so dass das Knie vorstand.

51. Verspottung und erstes Wort Jesu am Kreuz

Nach der Kreuzigung der Schächer und der Teilung der Kleider des Herrn rafften die Schergen ihr Gerät zusammen, schimpften und höhnten auf Jesus, und zogen von dannen. Auch die übrigen anwesenden Pharisäer zu Pferd setzten sich in Bewegung, ritten um den Kreis vor das Gesicht Jesu, höhnten Ihn mit vielen schmählichen Worten, und ritten von dannen. Ebenso zogen die hundert römischen Soldaten mit ihren Führern vom Berg und aus der Gegend ab, denn es zogen fünfzig andere römische Soldaten herauf und besetzten die Posten. Der Hauptmann dieser neuen Schar war Abenadar, ein geborner Araber, der später Ctesiphon getauft wurde, und der Unteroffizier hieß Cassius. Er war eine Art Beiläufer des Pilatus, und erhielt später den Namen Longinus. Es ritten auch von neuem zwölf Pharisäer, zwölf Sadduzäer, zwölf Schriftgelehrte und einige Älteste herauf, worunter jene wiederkehrten, die abermals vergeblich von Pilatus eine andere Inschrift für den Kreuztitel begehrt hatten. Er hatte sie gar nicht einmal vor sich gelassen. Sie waren um so verbitterter. Sie ritten um den Kreis und vertrieben die heiligste Jungfrau, welche sie ein lose Frau nannten. Sie ward von Johannes zu den zurückstehenden Frauen gebracht. Magdalena und Martha hatten sie in den Armen.

Wenn sie, das Kreuz umziehend, vor das Gesicht Jesu kamen, schüttelten sie verächtlich den Kopf und sagten: «Pfui über Dich, Lügner! Wie zerbrichst Du den Tempel, und baust ihn wieder in drei Tagen?» - «Andern hat Er immer helfen wollen, und kann sich selbst nicht helfen! - bist Du Gottes Sohn, so steige vom Kreuz herab!» - «Ist Er der König Israels, so steige Er vom Kreuz nieder, so wollen wir Ihm glauben.» «Er vertraute Gott, der helfe Ihm nun». Auch die Soldaten spotteten und sagten: «Bist Du der Judenkönig, so hilf Dir nun!»

Der linke Schächer aber höhnte beim Anblick des schweigend der vollen Gewalt seiner unermesslichen Leiden sich hingebenden Erlösers: «Sein Teufel hat Ihn nun verlassen» und ein Soldat steckte einen Schwamm mit Essig auf einen Stab und hielt Ihn Jesus vor das Gesicht. Er schien ein wenig zu saugen. Das Höhnen währte fort und der Soldat sagte: «Bist Du der Judenkönig, so hilf Dir selbst!» Alles dieses geschah, während die frühere Schar durch den Haufen des Abenadar abgelöst wurde.

Nun aber richtete Jesus sein Haupt etwas auf und sprach: «Vater! Vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun», und betete still weiter. Da rief Gesmas: «Bist Du Christus, so hilf Dir und uns!» Das Höhnen währte fort, aber Dismas, der rechte Schächer, ward tief gerührt, als Jesus für seine Feinde betete. Da Maria ihres Kindes Stimme hörte, konnte ihre Umgebung sie nicht mehr zurückhalten. Sie drang in den Kreis. Johannes, Salome und Maria Kleophä folgten ihr. der Hauptmann vertrieb sie nicht.

Dismas, der rechte Schächer, erhielt durch das Gebet Jesu eine innere Erleuchtung. Als die heiligste Jungfrau herzutrat, erkannte er, dass Jesus und seine Mutter ihm als Kind schon geholfen. Er erhob seine Stimme und rief mächtig und laut: «Wie ist es möglich, ihr lästert Ihn und Er betet für euch. Er hat geschwiegen und geduldet, und betet für euch, und ihr lästert! Er ist ein Prophet! Er ist unser König! Er ist Gottes Sohn!» Über diese unerwartete Strafrede aus dem Munde des elend hängenden Mörders entstand Tumult unter den Spöttern, sie suchten Steine und wollten ihn am Kreuz steinigen. Der Hauptmann Abenadar aber wehrte ab, ließ sie auseinandertreiben, und stellte Ordnung und Ruhe her.

Die heiligste Jungfrau fühlte sich ganz gestärkt durch Jesu Gebet und Dismas sagte zu Gesmas, welcher zu Jesus hinschrie: «Wenn Du Christus bist, so helfe Dir und uns!» «Und auch du fürchtest dich nicht vor Gott, und leidest doch gleiches Urteil. Wir aber sind mit Recht in dieser Peinigung, denn wir empfangen den Lohn unserer Taten. Dieser aber hat nichts Unrechtes getan. Oh, bedenke deine Stunde und wende deine Seele um!» Ganz erleuchtet und gerührt bekannte Er Jesus seine Schuld, sprechend: «Herr, wenn Du mich verdammst, so geschieht mir recht. Aber erbarme Dich meiner!» Jesus sagte zu ihm: «Du sollst meine Barmherzigkeit erfahren.» Dismas erhielt nun die Gnade einer tiefen Reue eine Viertelstunde lang.

Dies alles geschah zugleich und rasch nach einander, von zwölf bis halb eins nach der Sonne, wenige Minuten nach der Kreuzaufrichtung. Es wendete sich aber schnell alles anders in den Seelen der meisten Zuschauer, denn noch unter den Reden des reumütigen Schächers geschah ein großes Zeichen in der Natur und erfüllte alle mit Angst.

52. Verfinsterung der Sonne. Zweites und drittes Wort Jesu am Kreuz

Bis gegen zehn Uhr, da Pilatus das Urteil ausgesprochen hatte, waren einzelne Hagelschauer gefallen, dann trat bis zwölf Uhr heller Himmel und Sonnenschein ein. Nun aber kam ein trüber, roter Nebel vor die Sonne. Um die sechste Stunde aber, nach der Sonne, wie ich sah, um halb eins etwa, denn die jüdische Zeit zählt anders und weicht ab von der Sonne, da entstand eine ganz wundersame Verfinsterung der Sonne. Ich sah, als kreisten Himmelsringe und Sternbahnen durcheinander. Den Mond erblickte ich an einer anderen Seite der Erde, und sah ihn einen schnellen Lauf oder Sprung tun, wie eine schwebende Feuerkugel und dann über dem Ölberg hervorschießen, voll und bleich. Die Sonne war umnebelt, und der Mond zog sehr schnell von der Morgenseite vor die Sonne heran. Anfangs sah ich an der Ostseite der Sonne wie eine dunkle Bank. Diese wurde wie ein Berg, und bedeckte sie bald ganz. Der Kern des Bildes erschien fahl. Ein roter Schein, wie ein glühender Ring war umher. Der Himmel wurde ganz dunkel, die Sterne traten rotschimmernd hervor. Es kam ungemeiner Schrecken über Menschen und Tiere. Das Vieh brüllte und lief von dannen. Die Vögel suchten sich Schlupfwinkel und fielen scharenweise auf die Hügel um den Kalvarienberg nieder, man konnte sie mit Händen greifen. Die Spötter schwiegen. Die Pharisäer versuchten alles natürlich zu erklären, doch gelang es ihnen schlecht. Auch sie wurden von Angst befallen. Alle Menschen schauten zum Himmel empor. Viele schlugen an die Brust, rangen die Hände und schrieen: «Sein Blut komme auf seine Mörder!» In der Ferne und Nähe warfen sich manche auf die Knie und baten Jesus um Verzeihung. Jesus wendete in seinen Schmerzen die Augen zu ihnen.

Während die Finsternis zunahm, und alles zum Himmel schaute, und das Kreuz, außer von Jesu Mutter und nächsten Freunden, verlassen stand, richtete Dismas aus tiefster Reue, in demütiger Hoffnung sein Haupt auf zu Jesus und sprach: «Herr! lasse mich an einen Ort kommen, wo Du mich erlösen magst! Gedenke meiner, wenn Du in dein Reich kommst!» Da sprach Jesus zu ihm: «Wahrlich, Ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradies sein.»

Die Mutter Jesu, Magdalena, Maria Kleophä, Maria Magdalena und Johannes standen aber zwischen den Kreuzen der Schächer um Jesu Kreuz und schauten den Herrn an. Die heiligste Jungfrau, ganz von Mutterliebe überwältigt, flehte innerlich sehr inbrünstig. Jesus möge sie doch mit Ihm sterben lassen. Da blickte der Herr seine liebe Mutter gar ernst und mitleidig an und wendete seine Augen zu Johannes und sagte zu ihr: «Frau, sieh, das ist dein Sohn ! Er wird noch mehr dein Sohn sein, als wenn du ihn geboren hättest.» Er lobte auch Johannes und sagte: «Er ist immer arglos glaubend gewesen und hat sich nicht geärgert, außer damals, da seine Mutter ihn erhöht haben wollte.» Zu Johannes aber sagte Er: «Sieh, das ist deine Mutter!» und Johannes umarmte die Mutter Jesu, die nun auch seine Mutter geworden war, ehrerbietig, wie ein frommer Sohn, unter dem Kreuz des sterbenden Erlösers. Die heiligste Jungfrau aber war nach diesem feierlichen Vermächtnis ihres sterbenden Sohnes so von Schmerz und Ernst erschüttert, dass die heiligen Frauen sie in ihre Arme schlossen und sie dem Kreuz gegenüber eine Weile auf den Erdwall niedersetzten und dann aus dem Kreis des Richtplatzes zu den übrigen heiligen Frauen geleiteten.

Ich weiß nicht, ob Jesus alle diese Worte laut mit seinen heiligen Lippen aussprach, aber ich ward sie inne, als Er seine heiligste Mutter dem Johannes als Mutter, und diesen ihr als Sohn vor seinem Tode übergab. In solchen Betrachtungen wird vieles vernommen, was nicht geschrieben steht, und man kann nur das wenigste mit den gewöhnlichen Worten wieder erzählen. Was dort so klar ist, dass man glaubt, es verstehe sich von selbst, das weiß man hier nicht mit Worten verständlich zu machen. So verwundert man sich dort gar nicht, dass Jesus, die heiligste Jungfrau anredend, nicht «Mutter» spricht, sondern «Frau», denn man fühlt sie in ihrer Würde als die Frau, welches der Schlange das Haupt zertreten sollte, in dieser Stunde, da durch den Opfertod des Menschensohnes, ihres Sohnes, jene Verheißung wahr geworden ist. Man wundert sich dort nicht, dass Er ihr, die der Engel gegrüsst: «du bist voll der Gnade!» den Johannes zum Sohn gibt, weil man sieht, dass dessen Name ein Name der Gnade ist, denn dort sind alle das, was sie heißen, und Johannes war ein Kind Gottes geworden und Christus lebte in ihm. Ich fühlte, dass Jesus mit jenen Worten Maria allen zur Mutter gegeben, welche Ihn wie Johannes aufnehmend und an seinen Namen glaubend, Kinder Gottes werden, und nicht aus Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind. Ich fühlte, dass die Reinste, Demütigste, Gehorsamste, welche zum Engel sprechend: «siehe, die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Worte, die Mutter des ewigen fleischgewordenen Wortes geworden war, jetzt, da sie von ihrem sterbenden Sohn vernimmt, dass sie nun die geistliche Mutter auch eines anderen Sohnes sein solle, mitten in den Schmerzen des Abschiedes wieder demütig gehorsam in ihrem Herzen gesprochen hat: «siehe, die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Worte», und dass sie alle Kinder Gottes, alle Brüder Jesu als ihre Kinder aufnahm. Alles dieses erscheint aber dort so einfach und notwendig, und hier so mannigfaltig, dass es mehr durch die Gnade Gottes zu fühlen, als mit Worten auszusprechen ist.

In Jerusalem war Angst und Bestürzung allgemein, Nebel und düstere Dunkelheit lag in den Straßen. Viele Leute lagen in Winkeln mit verhülltem Haupt und schlugen an die Brust. Andere schauten zum Himmel auf den Dächern stehend, und wehklagten. Die Tiere brüllten und verbargen sich. Die Vögel flogen niedrig und fielen nieder. Pilatus hatte den Herodes besucht und schauten in großer Bestürzung zum Himmel auf derselben Terrasse, von welcher Herodes am Morgen die Verspottung Jesu mitangesehen hatte. Es sei dies nicht natürlich, sagten sie. Jesus sei gewiss zu viel geschehen. Hierauf ging Herodes mit Pilatus zu dessen Palast über das Forum. Beide waren sehr geängstigt und gingen mit starken Schritten von Wachen umgeben. Pilatus schaute nicht zum Richterstuhl Gabbatha hin, wo er Jesus verurteilt hatte. Das Forum war öde. Die Leute eilten in die Häuser, wenige liefen wehklagend umher. Auf öffentlichen Plätzen sammelten sich einzelne Scharen. Pilatus ließ die Ältesten aus den Juden in seinen Palast berufen und fragte sie: was ihnen diese Finsternis bedeute? Er halte sie für ein drohendes Zeichen. Ihr Gott scheine über sie zu zürnen, dass sie den Galiläer mit Gewalt zum Tod begehrt, der gewiss ihr Prophet und König gewesen sei. Er habe seine Hände gewaschen usw.. Sie aber legten alles als eine gewöhnliche Naturerscheinung aus und blieben verstockt. Jedoch bekehrten sich viele andere Leute, und auch alle jene Soldaten, die gestern bei der Gefangennahme Jesu am Ölberg gefallen und wieder aufgestanden waren.

Nach und nach aber sammelte sich vieles Volk vor dem Schloss des Pilatus. Da, wo sie morgens geschrien: «Kreuzige Ihn, hinweg mit Ihm!» schrieen sie jetzt: «Ungerechter Richter! Sein Blut komme auf seine Mörder!» Pilatus musste sich mit Soldaten umgeben. Jener Zadoch, der am Morgen, als Jesus ins Richthaus geführt wurde, laut seine Unschuld ausgerufen, schrie und lärmte dermaßen vor dem Palast, dass Pilatus ihn beinahe festnehmen ließ. Pilatus machte den Juden die größten Vorwürfe: «er habe keinen Teil daran, es sei ihr König, ihr Prophet, ihr Heiliger gewesen, den sie zu Tod gebracht haben, und nicht der seine. Ihn gehe er nichts an, sie hätten seinen Tod gewollt.»

Im Tempel herrschte Angst und Schrecken im höchsten Grade. Sie waren im Schlachten des Osterlammes begriffen, als die plötzliche Nacht einfiel. Alles war verwirrt. Hie und da brach bange Wehklage aus. Die Hohenpriester taten alles, um die Ruhe und Ordnung zu erhalten. Man steckte alle Lampen beim hellen Tage an, aber die Verwirrung ward nur noch größer. Annas, in peinlicher Angst, lief aus einem Winkel in den andern, sich zu verbergen. Die Schirme und Gitter vor den Fenstern der Häuser bebten und es war doch kein Sturm. Die Dunkelheit ward immer größer. Im äußeren Teil der Stadt an der Westnordgegend gegen die Stadtmauer zu, wo viele Gärten und Gräber waren, sanken einzelne Grabeingänge ein, als wanke der Boden.

53. Verlassenheit Jesu. Viertes Wort Jesu am Kreuz

Nach dem dritten Worte Jesu an seine heiligste Mutter und an Johannes war auf Golgatha eine Pause dumpfer Stille. Viele Leute flohen zur Stadt. Die boshaften Lästerworte der Pharisäer waren verstummt. Die Pferde und Esel der Berittenen aus ihnen drängten sich zusammen und hängten die Köpfe. Dampf und Nebel umgab alles.

Jesus am Kreuz in unbegreiflichen Martern, litt die äußerste Verlassenheit und Trostlosigkeit. Er betete zu seinem himmlischen Vater in den PsalmsteIlen, die nun an Ihm in Erfüllung gingen. Ich sah Engelsgestalten um Ihn. Er erlitt in unendlicher Marter alles, was ein armer, gepeinigter, zermalmter Mensch in der größten Verlassenheit, ohne menschlichen und göttlichen Trost leidet, wenn der Glaube, die Hoffnung, die Liebe ganz einsam, ohne Erwiderung und Genuss, ohne alles Licht in der Wüste der Prüfung stehen, und allein von sich selbst leben. Er ist nicht auszusprechen dieser Schmerz. In diesem Leiden errang uns der liebende Jesus die Kraft, im äußersten Elend der Verlassenheit, wenn alle Bande und Beziehungen mit jenem Dasein und Leben, jener Welt und Natur aufhören, in denen wir hienieden stehen, und wenn also auch jene Aussichten sich schließen, welche dieses Leben aus sich selbst zu einem anderen Dasein eröffnet, durch die Vereinigung unserer Verlassenheit mit den Verdiensten seiner Verlassenheit am Kreuz siegreich zu bestehen. Er errang uns die Verdienste des Bestehens im äußersten Kampfe gänzlicher Verlassenheit, und opferte sein Elend, seine Armut, seine Pein, seine Verlassenheit für uns elende Sünder auf, so dass der mit Jesus, im Leibe der Kirche, vereinigte Mensch nicht mehr verzweifeln darf in der äußersten Stunde, wenn sich alles verfinstert und alles Licht scheidet und aller Trost. In diese Wüste der inneren Nacht brauchen wir nicht mehr einsam und gefährdet hinabzusteigen! Jesus hat in den Abgrund des bitteren Meeres dieser Verlassenheit seine innere und äußere Verlassenheit am Kreuz hinabgesenkt, und so hat Er den Christen in der Verlassenheit des Todes, in der Verfinsterung alles Trostes nicht mehr einsam gelassen. Es gibt keine Wüste, keine Einsamkeit, keine Verlassenheit, keine Verzweiflung in letzter Todesnot mehr für den Christen, denn Jesus, der das Licht, der Weg und die Wahrheit ist, ist auch diesen finsteren Weg segnend und alle Schrecken bändigend gewandelt, und hat sein Kreuz in dieser Wüste aufgerichtet.

Jesus, ganz verlassen, ganz arm, ganz hilflos, gab in unendlicher Liebe sich selbst hin. Ja Er machte seine Verlassenheit selbst zu einem reichsten Schatz, denn Er opferte sich, sein Leben, Arbeiten, Lieben und Leiden, und das bittere Gefühl unseres Undankes seinem Himmlischen Vater für unsere Schwachheit und Armut auf. Er machte vor Gott sein Testament, und gab alles sein Verdienst der Kirche und den Sündern. Er gedachte aller. Er war in seiner Verlassenheit bei allen bis ans Ende der Zeit und so betete Er auch für jene Irrgläubigen, welche wähnen, Er habe als Gott sein Leiden nicht gefühlt und habe nicht, oder nur weniger gelitten, als ein Mensch, der in solchen Leiden stehen würde. - Indem ich aber seines Gebetes teilhaftig und mitfühlend wurde, vernahm ich, als sage Er: «Man solle doch ja lehren, dass Er dieses Leiden der Verlassenheit bitterer, als ein Mensch es vermag, gelitten habe, weil Er ganz mit der Gottheit vereint, weil Er ganz Gott und Mensch war, und nun im Gefühl der von Gott verlassenen Menschheit als Gottmensch das Leiden der Verlassenheit vollkommen in seinem ganzen Maße fühlend erschöpfte.»

Und so rief Er in seinem Leiden das Zeugnis seiner Verlassenheit aus und eröffnete damit allen äußerst Bedrängten, welche Gott als ihren Vater erkennen, die Freiheit zu vertrauter kindlicher Klage, - Jesus rief gegen drei Uhr mit lauter Stimme: «Eli, Eli, Lama Sabachtani !» das heißt: «Mein Gott! mein Gott! Warum hast Du mich verlassen!»

Als dieser laute Ruf unseres Herrn die bange Stille umher unterbrach, wendeten sich die Spötter zum Kreuz, und einer sprach: «Er ruft den Elias», ein anderer: «Wir wollen sehen, ob Elias kommt und Ihm herunter hilft.» Die betrübteste Mutter aber, da sie die Stimme ihres Sohnes hörte, konnte nichts mehr zurückhalten, sie drang wieder zum Kreuz hin, und Johannes, Maria Kleophä, Magdalena und Salome folgten ihr.

Es war, während das Volk umherzagte und wehklagte, ein Zug von etwa dreißig reitenden vornehmen Männern aus Judäa und der Gegend von Joppe zum Fest ziehend angekommen. Da sie das schreckliche Verfahren mit Jesus und die drohenden Erscheinungen in der Natur sahen, sprachen sie ihr Entsetzen laut aus und riefen: «Wehe! Man sollte diese gräuliche Stadt, wäre der Tempel Gottes nicht in ihr, niederbrennen, solche Schuld hat sie auf sich geladen.»

Diese Äußerung der vornehmen Fremden wurde dem Volk ein Stützpunkt. Murren und Wehklagen brach nun überall aus, und die Gleichgesinnten zogen sich zusammen. Alle Anwesenden zerfielen in zwei Parteien: der eine Teil wehklagte und murrte, die anderen schimpften und tobten dagegen. Die Pharisäer aber wurden immer kleinlauter, und weil sie einen Aufstand des Volkes fürchteten, da auch in Jerusalem eine große Bestürzung herrschte, so besprachen sie sich mit dem Hauptmann Abenabar, worauf man zum nahen Tor sendete und es schließen ließ, um die Verbindung mit der Stadt zu unterbrechen. Auch wurden durch einen Boten 500 Mann von Pilatus und Herodes Leibwache begehrt, um einem Aufstand vorzubeugen. - Einstweilen schaffte der Hauptmann Abenadar durch seinen Ernst Ordnung und Ruhe, und untersagte den Hohn, um das Volk nicht zu reizen.

Bald nach drei Uhr wurde es heller. Der Mond begann von der Sonne zu weichen, und zwar nach entgegengesetzter Richtung. Die Sonne erschien strahllos, umnebelt und rot, und der Mond sank schnell zur entgegengesetzten Seite, als wenn er falle. Es kehrten auch die Sonnenstrahlen nach und nach zurück, und die Sterne verschwanden. Doch war es noch immer trübe. Mit dem nahenden Licht wurden die Spötter wieder kühner und triumphierten, und da geschah es, dass sie sagten: «Er ruft dem Elias,» Abenadar aber gebot Ruhe und Ordnung.

54. Tod Jesu. Fünftes bis siebentes Wort am Kreuz

Als es heller ward, erschien der Leib des Herrn am Kreuz bleich, schwach, wie ganz verschmachtet, und weißer als vorher, so sehr war er verblutet. Er sagte auch, ich weiß nicht, ob betend und mir allein vernehmlich, oder ob halblaut: «Ich bin gepresst wie der Wein, der hier zuerst gekeltert worden, all mein Blut muss Ich geben, bis das Wasser kommt, und die Hülsen weiß werden. Es soll aber kein Wein mehr hier gekeltert werden.»

Zur Erklärung dieser Worte empfing Anna Katharina eine Anschauung, aus der sie folgendes erzählte. Ich sah am Kalvarienberg in der Zeit nach der Sündflut den Erzvater Japhet, einen alten, großen, bräunlichen Mann, mit vielen Herden und Nachkommen lagern. Sie hätten Hütten in der Erde und Dächer darüber mit Rasen gedeckt, worauf Kräuter und Blumen wuchsen. Es wuchsen viele Weinreben hier herum, und auf dem Kalvarienberg wurde gekeltert auf eine neue Art, wobei Japhet gegenwärtig war. - Ich sah auch die früheren Arten den Wein zu genießen und zu bereiten, und überhaupt vieles vom Wein, wovon mir nur noch folgendes erinnerlich ist: zuerst aßen sie bloß die Weinbeeren, später pressten sie dieselben in Steinen mit Klötzen aus, dann in großen hölzernen Gossen mit Stempeln. Jetzt aber sah ich hier eine neue Kelter erfunden, die dem heiligen Kreuz sehr ähnlich war. Es war ein hohler, dicker Stamm aufgerichtet, in welchem ein Sack voll Trauben, welcher die Brühe durchlaufen ließ, oben hineingehängt war. Auf den Sack nieder drückte ein Stempel mit einem Klotz und an beiden Seiten des Stammes waren Arme gegen den Sack hingerichtet, welche auf- und niederbewegt, die Trauben zerquetschten. Der ausgepresste Saft floss durch fünf Löcher unten aus dem Stamm in eine Felsenkufe, und von dieser durch eine aus zwei halben Baumrinden bestehende, mit dünnen Holzstäben belegte, und mit Harzpflastern verbundene Rinne nieder in den nämlichen Felsenkeller, in den vor der Kreuzigung der Herr Jesus gestoßen wurde. Es war dieses damals eine reine Zisterne. Jene Rinne sah ich ganz mit Rasen und Steinen bedeckt, um nicht beschädigt zu werden. Am Fuße der Kelter und der Steinkufe lagen Haardecken vor der Öffnung der Rinne, um die Treber zurückzuhalten, die immer auf eine Seite gelegt wurden. Als sie mit der Zurüstung der Kelter fertig waren, füllten sie die Trauben, welche bis dahin unten in der Zisterne lagen, in den Sack, hängten diesen in den hohlen Kelterstamm, nagelten ihn fest, setzten den mit dem Klotz beschwerten Stempel in die offene Mündung des Sackes und begannen an den durch den Stamm gegen den Sack drückenden Hebelarmen zu zerren und zu arbeiten, bis der Wein hinausfloss. Ich sah auch einen oben auf dem Klotz beschäftigt, welcher niederdrückte, damit der Inhalt des Sackes sich nicht oben herausdrängte. Alles erinnerte wegen der Ähnlichkeit der Kelter mit dem Kreuz lebhaft an das Kreuzigen. Sie hatten auch ein langes Rohr mit einem stacheligen Knopf, gleich einem Igel, vielleicht einem großen Distelkopf, und fuhren damit durch die Rinne und den Stamm, wenn er sich etwa verstopfte. Es erinnerte dieses an die Lanze und den Schwamm. Ich sah Schläuche und Gefäße von Bast mit Harz bestrichen umher. Ich sah viele Jünglinge und Knaben mit einer Leibbinde, wie sie Jesus hatte, hier arbeiten. Japhet war sehr alt, mit langem Bart und mit Fellen bedeckt, und sah dass neue Keltern mit Freuden an. Es war ein Fest, und auf einem Steinaltar wurden Tiere geopfert, die im Weinberg gingen, junge Esel, Ziegen und Schafe.

Jesus war ganz verschmachtet und sprach mit vertrockneter Zunge: «Mich dürstet!» Und da die Seinigen Ihn traurig ansahen, sagte Er: «Könnt ihr mir nicht einen Trunk Wasser geben?» Er meinte, während der Finsternis hätte sie wohl niemand gehindert. Johannes sagte betrübt: «O Herr! Wir haben es vergessen»; und Jesus sagte noch so viel, als: «Auch die Nächsten mussten mich vergessen und mir keinen Trunk reichen, auf dass die Schrift erfüllt würde.» - Es hatte Ihm aber dieses Vergessen bitter weh getan. Auf seine Klage baten sie die Soldaten und boten ihnen Geld an, Ihm einen Trunk Wasser zu reichen. Sie taten es aber nicht, sondern einer tauchte einen birnenförmigen Schwamm in Essig, der in einem Tönnchen von Bast dastand, und goss auch Galle hinein. Aber der Hauptmann Abenadar war von Jesus gerührt, er nahm dem Soldaten den Schwamm, drückte ihn aus und füllte ihn mit reinem Essig. Er steckte hierauf das eine Ende des Schwammes in ein kurzes Stück Ysoprohr, welches wie ein Mundstück zum Saugen diente, und hob diese auf der Spitze seiner Lanze befestigte Vorrichtung so zum Antlitz Jesu empor, dass das Rohrstück zum Munde Jesu gelangte, und dieser durch dasselbe den Essig aus dem Schwamm saugen konnte.

Von einigen Worten, welche ich den Herrn noch zur Ermahnung des Volkes sprechen hörte, erinnere ich mich allein, dass Er sagte: «Und wenn Ich keine Stimme mehr habe, wird der Mund der Toten sprechen», worauf einige ausriefen: «Er lästert noch !» Abenadar aber gebot Ruhe.

Da nun die Stunde des Herrn gekommen war, rang Er mit dem Tod, ein kalter Schweiß drang aus seinen Gliedern. Johannes stand am Kreuz und trocknete Jesu Füße mit seinem Schweißtuch. Magdalena lehnte, ganz von Schmerz zermalmt, an der Rückseite des Kreuzes. Die heiligste Jungfrau stand zwischen Jesus und des guten Schächers Kreuz, von den Armen der Maria Kleophä und der Salome unterstützt, und sah zu ihrem sterbenden Sohn hinauf. Da sprach Jesus: «Es ist vollbracht!» und richtete das Haupt empor und rief mit lauter Stimme: «Vater, in deine Hände empfehle Ich meinen Geist!» Es war ein süßer lauter Schrei, der Himmel und Erde durchdrang. Dann senkte Er sein Haupt und gab seinen Geist auf. Ich sah seine Seele wie einen leuchtenden Schatten beim Kreuz zur Erde hinab in den Kreis der Vorhölle fahren. Johannes und die heiligen Frauen sanken zur Erde auf ihr Antlitz nieder.

Abenadar, der Hauptmann, von Geburt ein Araber, als Jünger nachmals Ctesiphon getauft, hielt, seit er Jesus mit dem Essig tränkte, auf seinem Pferde dicht am Kreuzeshügel, so dass der Vorderteil des Tieres erhöht stand. Er schaute lange tief erschüttert, ernst, unabgewandt ins dornengekrönte Antlitz unseres Herrn. Des Rosses Haupt war bang und krank gesenkt, und Abenadar, dessen Stolz sich beugte, zog auch den Zügel nicht mehr an. Da sprach der Herr die letzten Worte laut und kräftig, und starb mit Erde, Höll' und Himmel laut durchdringendem Schrei. Die Erde bebte, und der Fels zerborst weit klaffend zwischen Jesus und des linken Schächers Kreuz. Das Zeugnis Gottes ging mit Schreck und Schauder mahnend tief durch die trauernde Natur. Es war vollbracht ! Die Seele unseres Herrn verließ den Leib, und bei dem Todesschrei des sterbenden Erlösers erbebten alle, die es hörten, mit der Erde, die wallend ihren Heiland anerkannte. doch die verwandten Herzen nur durchfuhr ein scharfes Schwert des Schmerzes. Da war es, dass die Gnade über Abenadar kam, da zitterte sein Ross, und wankte seine Leidenschaft, und brach sein stolzer, harter Sinn gleich dem Kalvarienfels. Er warf den Speer von sich und schlug mit starker Faust gewaltig an sein Herz, laut schreiend mit der Stimme eines neuen Menschen: «Gelobt sei Gott, der Allmächtige, der Gott Abrahams und Jakobs! Dieser war ein gerechter Mann, wahrhaftig Er ist Gottes Sohn!» Und viele der Soldaten, von des Hauptmanns Wort erschüttert, taten ebenso, wie er.

Es wollte aber Abenadar, der nun ein neuer, ein erlöster Mensch war, nachdem er öffentlich dem Sohn Gottes huldigte, nicht länger mehr im Dienste seiner Feinde stehen. Er wendete sein Pferd zu Cassius, dem Unteroffizier, den man Longinus nennt, stieg ab, hob seine Lanze auf und gab sie ihm, sprach einiges zu den Soldaten und zu Cassius, der nun das Pferd bestieg und hier befehligte, denn Abenadar eilte vom Kalvarienberg und durch das Tal Gihon zu den Höhlen des Tales Hinnom, er kündigte dort verborgenen Jüngern den Tod des Herrn an, und eilte weiter zu Pilatus in die Stadt.

Es kam ein tiefes Erschrecken über alle Anwesenden mit dem Todesschrei Jesu, als die Erde bebte und der Kreuzigungshügel zersprang. Es war ein Schrecken, der durch die ganze Natur ging, denn da zerriss auch der Vorhang des Tempels, da stiegen viele Tote aus den Gräbern, da sanken Wände im Tempel, stürzten Berge und Gebäude in vielen WeItgegenden ein.

Abenadar rief sein Zeugnis aus, viele Soldaten zeugten mit ihm. Viele aus dem anwesenden Volk und den zuletzt gekommenen Pharisäern bekehrten sich. Viele schlugen an die Brust, wehklagten und irrten vom Berg durch das Tal nach Haus. Andere zerrissen ihre Kleider und streuten Staub auf ihr Haupt. Alles war voll Furcht und Schrecken.

Johannes richtete sich auf. Mehrere der heiligen Frauen, die bisher entfernt gestanden, drangen in den Kreis, sie erhoben die Mutter Jesu und die Freundinnen und führten sie aus dem Kreis hinaus.

Da der liebende Herr alles Lebens die martervolle Schuld des Todes für die Sünder zahlte, als Mensch seine Seele seinem Gott und Vater empfahl und seinen Leib in den Tod dahingab, überzog dieses heilige, zerschmetterte Gefäß die bleiche, kalte Farbe des Todes, sein Leib erzitterte in Schmerzen und ward weiß, und die Ströme des an den Wundstellen niedergeronnenen Blutes erschienen dunkler und deutlicher. Sein Gesicht ward länger, seine Wangen sanken ganz ein, seine Nase ward schmäler und spitziger, seine Kinnlade sank nieder, seine geschlossenen, blutvollen Augen öffneten sich halbgebrochen. Er hob das dorngekrönte Haupt zum letzten Mal wenige Augenblicke, und ließ es sinken auf die Brust unter der Last der Schmerzen. Seine Lippen, blau und gespannt, zeigten in dem offenen Mund die blutige Zunge, Seine Hände, früher um die Nagelköpfe gekrümmt, öffneten sich und sanken mehr hervor, indem die Arme sich ganz streckten, sein Rücken gegen das Kreuz sich anschloss und die ganze Last des heiligsten Leibes auf die Füße niedersank. Da sanken seine Knie zusammen nach einer Seite sich wendend, und es drehten sich seine Füße etwas um den Nagel, der sie durchbohrte.

Da erstarrten die Hände seiner Mutter, ihre Augen verdunkelten sich, Todesbleiche bedeckte sie, ihre Füße wankten, sie sank zur Erde. Auch Magdalena, Johannes und die anderen sanken mit verhülltem Gesicht, dem Schmerze hingegeben, nieder.

Und als die liebendste, traurigste Mutter sich aufrichtete, sah sie den vom Heiligen Geiste rein empfangenen Leib ihres Sohnes, das Fleisch von ihrem Fleisch, das Gebein von ihrem Gebein, das Herz von ihrem Herzen, das heilige Gefäß aus ihrem Schoß in göttlicher Überschattung gebildet, nun aller Zier, aller Gestalt und seiner heiligsten Seele beraubt, hingegeben den Gesetzen der Natur, die Er erschaffen, und die der Mensch in Sünde missbraucht und entstellt hat, von den Händen derjenigen, die herzustellen und zu beleben Er gekommen war ins Fleisch, zertrümmert, misshandelt, entstellt, getötet. Ach! Ausgestoßen, verachtet, verhöhnt, hing einem Aussätzigen gleich das ausgeleerte Gefäß aller Schönheit, Wahrheit und Liebe, zerrissen am Kreuz zwischen zwei Mördern. Wer fasst den Schmerz der Mutter Jesu, der Königin aller Märtyrer!

Das Licht der Sonne war noch trüb und neblig. Es war schwül und drückende Luft bei dem Beben der Erde. Nachher aber folgte eine empfindliche Kühle. - Die Gestalt von unseres Herrn Leichnam am Kreuz war ungemein Ehrfurcht gebietend und rührend. Die Schächer hingen in schrecklicher Verdrehung wie betrunken da. Sie schwiegen zuletzt beide. Dismas betete.

Es war bald nach drei Uhr, als Jesus verschied. Als der erste Schrecken des Erdstoßes vorüber war, wurden mehrere der Pharisäer frecher. Sie nahten dem Riss des Kalvarienberges, warfen Steine hinein, banden Stricke zusammen und ließen sie hinab. Als sie aber den Grund nicht erreichen konnten, wurden sie etwas bedenklicher. Auch ergriff sie das Wehklagen und Brustschlagen des Volkes, und sie ritten von dannen. Einzelne waren ganz verwandelt in ihrem Innern. Auch das Volk verlor sich bald zur Stadt und durch das Tal in Schrecken und Angst. Viele hatten sich bekehrt. Ein Teil der anwesenden fünfzig römischen Soldaten verstärkte die Wache am Tor, bis die verlangten 500 anderen ankamen. Das Tor war geschlossen worden. Einige Soldaten hatten andere Posten umher besetzt, um Zulauf und Verwirrung zu verhüten. Cassius (Longinus) und etwa fünf Soldaten blieben in dem Kreis. Sie lagen an der Umwallung umher. Die Verwandten Jesu umgaben das Kreuz, und saßen ihm gegenüber, und wehklagten und trauerten. Mehrere der heiligen Frauen waren zur Stadt gekehrt. - Es ward einsam, still und traurig. Aus der Ferne, im Tal und auf entlegenen Höhen, erschien hie und da scheu einer der Jünger, und schaute furchtsam und neugierig zum Kreuz, und zog sich bei jeder Annäherung von Menschen wieder zurück.

55. Erdbeben. Erscheinung der Toten in Jerusalem

Als Jesus mit lautem Ruf seinen Geist in die Hände seines Himmlischen Vaters hingab, sah ich seine Seele, eine Lichtgestalt, beim Kreuz zur Erde niederfahren, und mit ihr eine leuchtende Schar von Engeln, worunter auch Gabriel. Ich sah durch diese Engel eine große Menge böser Geister von der Erde in den Abgrund hinabtreiben. Jesus aber sandte viele Seelen aus der Vorhölle herauf in ihre Leiber, die Unbußfertigen zu schrecken und zu mahnen, und ein Zeugnis von Ihm zu geben.

Mit dem Erdstoß bei Jesu Tod, da der Kalvarienfels zersprang, stürzte und sank vieles in der Welt, besonders in Palästina und Jerusalem. Sie hatten sich in der Stadt und dem Tempel kaum etwas bei der weichenden Finsternis beruhigt, als das Beben des Grundes, das Getöse des Einstürzens an vielen Orten einen noch allgemeineren Schrecken verbreitete. Den fliehenden und wehklagend durcheinander eilenden Menschen aber traten zum äußersten Entsetzen hie und da die erstandenen, wandelnden, mit hohler Stimme mahnenden Leichen entgegen.

Im Tempel hatten die Hohenpriester das Schlachten, welches durch den Schrecken der Finsternis etwas gestört worden war, eben wieder in Gang gebracht, und triumphierten über das rückkehrende Licht, als plötzlich der Grund bebte, ein dumpfes Getöse gehört wurde, und das Krachen einstürzender Mauern, vom zischenden Reissen des Vorhanges begleitet, einen Augenblick der stummen Angst in der ungeheuren Menge erweckte, der bald hie und da von Wehgeschrei unterbrochen ward. Aber die Menge war so geordnet, das ungeheure Gebäude des Tempels so erfüllt, und das Heran- und Zurückschreiten der großen Scharen der schlachtenden Menschen so regelmäßig bestimmt und die Handlung des Schlachtens, Blutauslassens und Sprengens des Blutes am Altar durch die langen Reihen unzähliger Priester, von lautem Gesang und Posaunenschall umtönt, war so zusammenhängend und verkettet, dass der Schrecken nicht gleich in allgemeine Verwirrung und Auflösung überging. So setzte sich dann in dem ungeheuren Gebäude, den vielen Räumen und Gängen die Opfertätigkeit in einzelnen Gegenden noch ruhig fort, während Schrecken und Entsetzen an anderem Ort ausbrach, und am dritten durch die Priester wieder gestillt wurde, bis endlich durch die Erscheinung der Toten hie und da im Tempel sich alles auflöste, und das Opfer, als sei der Tempel verunreinigt, unterbrochen wurde. Doch auch dieses Ereignis kam nicht so plötzlich über die Menge, dass sie, sich erdrückend, fliehend die vielen Tempelstufen herabgestürzt hätte, sondern sie löste sich in Massen niedereilend nach und nach auf, während andere Teile hie und da wieder durch die Priester und durch die Absonderungen zusammengehalten wurden. Doch war die Angst, der Schrecken in verschiedenen Graden im Ganzen unbeschreiblich.

Man kann sich ein Bild der Ordnung und Störung, die hier herrschte, machen, wenn man sich einen großen Ameisenhaufen in voller geordneter Tätigkeit vorstellt, in welchen Steine geworfen, oder der hie und da mit einem Stab aufgewühlt wird. Während sich hier alles verwirrt, geht dort die Tätigkeit noch den ungestörten Gang, und wird am aufgewühlten Ort auch gleich wieder gedeckt und hergestellt.

Der Hohepriester Kaiphas und sein Anhang aber verlor mit verzweifelter Frechheit den Kopf nicht, und gleich der klugen Obrigkeit einer aufrührerischen Stadt brach er durch Drohung, Trennung der Parteien, Zureden und allerlei Vorspiegelungen die Gefahr, und erreichte besonders durch seine teuflische Hartnäckigkeit und scheinbare Ruhe so viel, dass nicht eine allgemeine verderbliche Verwirrung ausbrach, und dass die Meinung des ganze Volkes diese schrecklichen Mahnungen nicht als ein Zeugnis für den unschuldigen Tod Jesu auslegte. Auch die römische Besatzung der Burg Antonia tat alles, die Ordnung zu erhalten, und so war zwar der Schrecken und die Verwirrung groß und erfolgte die Auflösung des Festes, aber ohne Aufstand. Die Flamme ward zu einer glimmenden Angst, welche das Volk, nach und nach zerstreut, mit nach Hause nahm, und die dort bei den meisten durch die Tätigkeit der Pharisäer wieder unterdrückt wurde.

So war es im allgemeinen. Die einzelnen Ereignisse, deren ich mich entsinne, waren folgende. Die beiden großen Säulen des Einganges in das Sanctum (Heiligtum) des Tempels, zwischen welchen ein prächtiger Vorhang niederhing, wichen oben auseinander, die linke nach Süden, die rechte nach Norden. Die Schwelle, die sie trugen, sank, und der große Vorhang zerriss zischend von oben nach unten der Länge nach, so, dass er sich öffnend zu beiden Seiten niederfiel. Dieser Vorhang war rot, blau, weiß und gelb. Es waren viele Himmelskreise darauf abgebildet, auch Figuren, wie die eherne Schlange. Man konnte nun in das Sanctum hineinsehen. An Simeons Betzelle neben dem Sanctum in den nördlichen Mauern stürzte ein großer Stein heraus, und das Gewölbe der Zelle stürzte ein. In einigen Hallen sank hie und da der Boden, Schwellen verrückten sich und Säulen wichen.

Im Sanctum erschien der zwischen Tempel und Altar erschlagene Hohepriester Zacharias und sprach drohende Worte aus, auch sprach er von dem Tod des anderen Zacharias und des Johannes, wie überhaupt vom More der Propheten. Er kam von der Öffnung, welche der bei Simeons Betzelle ausgefallene Stein gebildet hatte, und redete die Priester im Sanctum an. - Zwei frühverstorbene Söhne des frommen Hohenpriesters Simon Justus, der ein Urahne des alten, bei Jesu Opferung im Tempel weißagenden Priesters Simeon gewesen ist, erschienen wie Geister in größerer Gestalt auf dem großen Lehrstuhl, und sprachen drohende Worte vom Mord der Propheten und dem Opfer, das nun zu Ende gehe, und ermahnten alle, sich zu der Lehre des Gekreuzigten zu wenden.

Am Altar erschien Jeremias und sprach drohende Worte, das Opfer sei geschlossen, und es beginne ein neues Opfer. Diese Reden und Erscheinungen an Orten, wo Kaiphas oder die Priester sie allein vernommen hatten, wurden verleugnet und verheimlicht, und unter schwerem Bann verboten, davon zu sprechen. - Aber es entstand noch ein großes Geräusch, die Türen des Heiligtums sprangen auf, und es ertönte eine Stimme: «Lasset uns von dannen ziehen!» Ich sah Engel aus dem Tempel weichen. Der Altar des Rauchopfers erbebte und ein Rauchgefäß stürzte um, der Behälter der Schriftrollen fiel ein, und alle Rollen stürzten durcheinander. Die Verwirrung wuchs, man wusste die Zeit nicht mehr. Nikodemus, Joseph von Arimathäa und viele andere trennten sich vom Tempel und gingen weg. Es lagen hie und da tote Leiber. Andere wandelten durch das Volk in einzelnen Hallen und sprachen drohende Worte. Mit der Stimme der vom Tempel scheidenden Engel kehrten sie zu den Gräbern zurück. - Der Lehrstuhl stürzte in der Vorhalle zusammen. Viele der zuletzt zum Kalvarienberg gerittenen 32 Pharisäer waren unter dieser Verwirrung zum Tempel zurückgekehrt, und da sie sich unter dem Kreuz bekehrt hatten, erschütterten sie alle diese Zeichen um so mehr, so dass sie Annas und Kaiphas heftige Vorwürfe machten und sich vom Tempel zurückzogen.

Annas, eigentlich der heimliche Hauptfeind Jesu, der seit langem alle versteckten Ränke gegen Ihn und die Jünger geleitet und auch die Ankläger unterrichtet hatte, war wie unsinnig vor Angst und floh von einem Winkel in den anderen in den verborgenen Gemächern des Tempels. Ich sah ihn, wie in Krämpfen unter Winseln und Geschrei ganz verkrümmt, in einen versteckten Raum gebracht und von mehreren seiner Anhänger umgeben. Kaiphas hatte ihn einmal fest umarmt, um seinen Mut aufzurichten, aber vergebens. Die Erscheinung der Toten hatte ihn ganz in Verzweiflung gebracht. - Kaiphas, wiewohl in tiefer Angst, hatte einen so stolzen und hartnäckigen Teufel in sich, dass er sich sein Entsetzen nicht merken ließ. Er bot allem Trotz und setzte den drohenden Zeichen Gottes und seiner verborgenen Angst seinen Grimm und Stolz mit frecher Stirn entgegen. - Als er aber den Fortgang der heiligen Handlungen nicht mehr erhalten konnte, verbarg er und gebot er, alle Ereignisse und Erscheinungen zu verbergen, die nicht der ganzen Menge bekannt geworden. Er selbst sprach und ließ andere Priester sprechen: «Diese Erscheinungen des Zornnes Gottes seien durch die Anhänger des gekreuzigten Galiläers veranlasst, welche verunreinigt zum Tempel gekommen wären. Nur die Feinde des heiligen Gesetzes, das auch Jesus habe umstoßen wollen, hätten diesen Schrecken herbeigeführt, und vieles sei der Zauberei des Galiläers zuzuschreiben, der auch im Tod wie im Leben, die Ruhe des Tempels gestört habe.» So gelang es ihm, viele zu beschwichtigen und anderen durch Drohungen Furcht einzujagen. Viele jedoch waren tief erschüttert und verbargen ihre Gesinnung. Das Fest ward bis zur Reinigung des Tempels aufgeschoben. Viele Lämmer waren nicht geschlachtet. Das Volk zerstreute sich nach und nach.

Das Grab des Zacharias unter der Tempelmauer war unten eingesunken und zerstürzt, und dadurch Steine aus den Mauern gefallen. Zacharias ist heraus, aber nicht hier wieder hineingegangen. Ich weiß nicht, wo er seine Hülle wieder abgelegt hat. Die erstandenen Söhne Simon Justi legten ihre Leiber wieder in die Gruft unten am Tempelberg, als der Leib Jesu zu Grabe bereitet wurde.

Während alles dieses im Tempel vorging, herrschte an vielen Orten von Jerusalem ein gleicher Schrecken. Gleich nach drei Uhr stürzten viele Gräber, besonders in der nordwestlichen Gartengegend innerhalb der Stadt ein. Ich sah hie und da die eingehüllten Toten darin liegen, in anderen lagen vermoderte Lumpen und Gerippe, aus manchen drang ein unleidlicher Gestank. - Es stürzten in des Kaiphas Richthaus die Stufen ein, worauf Jesus verspottet gestanden, auch ein Teil der Feuerstelle in der Vorhalle daselbst, wo die Verleugnung des Petrus begonnen. Es ward eine solche Zerstörung, dass man einen neuen Eingang nehmen musste. Hier erschien die Leiche des Hohenpriesters Simon Justus, aus dessen Geschlecht Simeon war, der bei Jesu Opferung im Tempel weissagte. Diese Erscheinung sprach einige drohende Worte über das ungerechte Urteil, das hier gefällt wurde, aus. Es waren mehrere vom Synedrium versammelt. Die Leute, welche gestern nacht dem Petrus und Johannes Eingang verschafft hatten, bekehrten sich und flohen in die Höhlen zu den Jüngern. - Beim Palast des Pilatus zerbrach der Stein und sank die Stelle, worauf Jesus von Pilatus dem Volk dargestellt worden war. Alles wankte und bebte, und im Hof des nahen Richthauses sank die ganze Stelle ein, wo die Leiber der unschuldigen Kinder verscharrt waren, die Herodes hatte ermorden lassen. - Noch an mehreren Stellen der Stadt stürzten Wände ein und zerspalteten sich Mauern, doch wurde kein Gebäude ganz zertrümmert. - Der verwirrte abergläubige Pilatus war in großem Schrecken und zu aller Regierung unfähig. Das Erdbeben erschütterte seinen Palast. Es rollte und schwankte unter ihm, und er floh von einem Raum zum anderen. Die Toten schrieen ihm aus dem Vorhof sein falsches Gericht und widersprechendes Urteil entgegen. Er glaubte, dieses seien die Götter des Propheten Jesus, und sperrte sich in einem heimlichen Winkel seines Schlosses ein, wo er seinen Göttern räucherte und opferte, und er tat ihnen Gelübde, auf dass sie ihm die Götter des Galiläers unschädlich machen möchten. Herodes war in seinem Palast wie unsinnig vor Angst und ließ alles zusperren.

Es waren wohl an hundert Verstorbene aus aller Zeit, welche in Jerusalem und in der Umgegend mit ihren Leibern sich aus den eingestürzten Gräbern erhoben und meistens paarweise zu einzelnen Stellen der Stadt wandelten, dem hin- und herfliehenden Volk entgegentraten, und mit kurzen Strafworten von Jesu zeugten. Die meisten Gräber lagen einsam draußen in den Tälern. Aber es waren auch viele in den neuangelegten Teilen der Stadt, besonders in der Gartengegend gegen Nordwest,- zwischen dem Ecktor und dem Kreuzigungstor, und auch um und unter dem Tempel waren viele vergessene, heimliche Gräber.

Nicht alle die Leichname, die beim Einsturz der Gräber sichtbar wurden, standen auf. Manche wurden bloß sichtbar, weil die Gräber gemeinschaftlich waren. Viele aber, deren Seelen Jesus aus der Vorhölle emporsandte, richteten sich auf, erhoben die Gesichtsklappen ihrer Leichenverhüllung und schritten wie schwebend durch die Straßen zu den Ihrigen hin. - Sie traten in die Häuser ihrer Nachkommen mit drohenden Strafreden über die Teilnahme am Mord Jesu. - Ich sah die einzelnen Gestalten, wie sie befreundet waren, zusammenkommen und paarweise durch die Straßen der Stadt ziehen. Ich sah die Bewegung ihrer Füße unter der langen Totenkleidung nicht. Sie strichen wie schwebend leicht über den Boden hin, ihre Hände waren teils verschlungen in breiten Binden, teils hingen die weiten, um die Arme gebundenen Ärmel lang über die Hände nieder. Die Gesichtsdecken waren aufgeschlagen über das Haupt, die bleichen, gelben Gesichter sahen trocken und verdorrt aus den langen Bärten hervor. Die Stimmen klangen fremd und ungewohnt, und diese Stimmen und das Hinstreifen von Ort zu Ort unaufhaltsam und unbekümmert um alles umher, war ihre einzige Äußerung, ja sie schienen nichts, als Stimmen. Sie waren nach den Sitten ihrer Sterbezeit, nach Stand und Alter etwas verschieden gekleidet. An den Scheidewegen, wo die Todesstrafe Jesu vor dem Zug nach Golgatha ausposaunt worden war, standen sie stille, und riefen Jesu Ruhm aus und Wehe den Mördern. Die Menschen standen fern, hörten und zitterten und flohen, wenn sie vorwärts schritten. Auf dem Forum vor dem Palast des Pilatus, hörte ich sie drohende Worte ausrufen. Ich erinnere mich des Wortes: «blutiger Richter!» - Alles Volk floh in die äußersten Winkel der Häuser und versteckte sich. Es war eine große Angst in der Stadt. Um vier Uhr ungefähr kehrten die Leichen zu den Gräbern zurück. Nach Christi Auferstehung erschienen aber hie und da noch viele Geister. Das Opfer war unterbrochen und alles in Verwirrung. Nur ein kleiner Teil des Volkes aß das Osterlamm am Abend.

Unter den vielen auferstandenen Toten, deren in und um Jerusalem wohl an hundert waren, befanden sich keine Verwandte Jesu. Die Gräber in dem nordwestlichen Teil von Jerusalem sind sonst außerhalb gewesen, aber durch die Erweiterung der Stadt mit hineingekommen. Ich hatte auch Blicke auf verschiedene Tote, die hie und da an anderen Orten des heiligen Landes auferstanden, den Ihrigen erschienen und Zeugnis von der Sendung Jesu Christi gaben. So sah ich Zadoch einen sehr frommen Mann, der all das Seine den Armen und dem Tempel gegeben, und eine Essener-Versammlung bei Hebron gegründet hatte, einen der letzten Propheten vor Christus, der sehr eifrig auf die Erscheinung des Messias geharrt und viele Offenbarungen darüber gehabt hatte und in Berührung mit den Voreltern der Heiligen Familie gewesen war. Diesen Zadoch, der etwa hundert Jahre vor Jesus gelebt, sah ich auferstehen und in der Gegend von Hebron mehreren Leuten erscheinen. Ich sah früher einmal, als sei seine Seele unter den ersten gewesen, die zu ihrem Leibe kehrten, und dann mit Jesus herumwandelten, als sie ihren Leib wieder niedergelegt hatten. Ich sah auch verschiedene Tote bei den versteckten Jüngern des Herrn erscheinen und sie ermahnen.

Die Finsternis und das Erdbeben sah ich nicht nur in und um Jerusalem, sondern auch in anderen Gegenden des Landes, ja selbst in weit entfernten Orten Schrecken und Verwüstung verbreiten. So stürzten in Thirza die Türme des Gefängnisses, aus dem Jesus die Gefangenen ausgelöst hatte, und noch andere Gebäude ein. Im Land Chabul sah ich sehr viele Orte großen Schaden leiden. In ganz Galiläa, wo Jesus am meisten gewandelt war, sah ich an vielen Orten einzelne Gebäude, besonders viele Häuser der Pharisäer, die den Herrn am heftigsten verfolgt hatten, und die jetzt alle auf dem Fest waren, über Frau und Kind zusammenstürzen.

Die Zerstörungen um den galiläischen See waren sehr bedeutend. In Kapharnaum stürzten sehr viele Gebäude ein. Der Ort zwischen Tiberias und den Gärten Serobabels, des Hauptmannes von Kapharnaum, wurde beinah ganz zertrümmert. Der ganze Felsenvorsprung von des Hauptmanns schönen Gärten bei Kapharnaum riss ab. Der See drang in das Tal und kam nahe gegen Kapharnaum, das früher wohl eine halbe Stunde davon lag. Das Haus des Petrus und die Wohnung der heiligen Jungfrau, vor Kapharnaum gegen den See zu, blieben unversehrt.

Der galiläische See war in großer Bewegung. Seine Ufer stürzten hie und da ein und traten anderwärts aus. Er veränderte seine Gestalt bedeutend, näherte sich seiner heutigen Gestalt, und ist überhaupt in seinen näheren Umgebungen nicht mehr gut zu erkennen. Besonders groß war die Veränderung am südwestlichen Ende des Sees gleich unterhalb Tarichäa, wo der lange, schwarze Steindamm, der den Sumpf vom See trennte und der Ausströmung des Jordan eine feste Richtung gab, ganz einsank, und eine große Verwüstung verursachte.

An der Ostseite des Sees, wo die Schweine der Gergesener in den Sumpf gestürzt sind, versank vieles, und ebenso in Gergesa, Gerasa und im ganzen Distrikt Chorazin. Auch der Berg der zweiten Brotvermehrung erlitt große Erschütterung, und der Stein, auf dem das Brot vermehrt wurde, sprang mitten entzwei. Auch in und um Paneas stürzte vieles zusammen. In der Dekapolis versanken halbe Städte. Auch viele Orte in Asien litten großen Schaden, z.B. Nizäa, hauptsächlich aber viele Orte östlich und nordöstlich von Paneas. Ebenso in Obergaliläa sah ich große Verwüstung. Die meisten Pharisäer fanden bei ihrer Rückkunft vom Fest großes Unglück zu Hause. Vielen kam die Nachricht nach Jerusalem, und dadurch waren die Feinde Jesu auch bis nach Pfingsten hin so kleinlaut und wagten es nicht der Gemeinde des Herrn irgend etwas Bedeutendes in den Weg zu legen.

Auf dem Berg Garizim sah ich vieles vom Tempel eingestürzt. Es stand da ein Götzenbild über einem Brunnen unter einem kleinen Tempel, dessen Dach samt dem Bild in den Brunnen stürzte. In Nazareth stürzte die Hälfte der Synagoge ein, aus welcher sie Jesus hinausgestoßen hatten, auch die Stelle des Berges, wo sie Ihn hinabstoßen wollten, stürzte nieder.

Manche Berge, Täler und Städte litten große Verwüstung. Auch wurden mehrere Veränderungen im Bett des Jordans veranlasst, denn durch die Erschütterungen der Ufer des Sees und der kleinen hineinströmenden Wasser entstanden Hindernisse und veränderter Andrang der Flut, so dass der Lauf des Jordans an manchen Stellen seitdem bedeutend abweicht. In Machärus und den anderen Städten des Herodes blieb alles ruhig. Diese Gegend lag außer dem Kreis der Buße und Drohung, gleich jenen Männern, die im Garten am Ölberg nicht gefallen, und auch nicht wieder aufgestanden sind.

Ich sah in manchen Gegenden, wo sich viele böse Geister aufhielten, diese mit den zertrümmerten Gebäuden und Bergen oft in großen Scharen hinabsinken, und die Erschütterungen der Erde erinnerten dann auch an die Zuckungen der Besessenen, wenn der Feind fühlt, dass er weichen muss. Als bei Gergesa ein Teil des Berges, von welchem einst die Teufel mit der Schweinsherde in den Sumpf am Seeufer stürzten, nun selbst in diesen Sumpf hinab rollte, sah ich eine große Menge böser Geister, wie eine grimmige Wolke, mit zum Abgrund fahren.

Ich meine es war in Nizäa, wo ich eine Begebenheit sah, deren ich mich jedoch nur unvollkommen zum ganzen Verlauf erinnere. Ich sah dort einen Hafen mit vielen Schiffen, und am Hafen auf einem Haus, woran ein großer Turm war, sah ich einen Mann, einen Heiden. Er war Aufseher über die Schiffe. Er musste oft den Turm besteigen und auf das Meer schauen, ob Schiffe kämen und was irgend vorfalle. Ich sah, wie er, ein großes Getöse über den Schiffen des Hafens vernehmend, befürchtete, es sei ein Feind in der Nähe, weswegen er schnell auf den Wachturm eilte und auf die Schiffe herab schaute, über welchen er viele dunkle Gestalten schweben sah, die ihm wehklagend zuriefen: «Wenn du die Schiffe erhalten willst, so führe sie weg, denn wir müssen in den Abgrund! Der große Pan ist gestorben!» Dieses ist, an was ich mich deutlicher aus den Worten dieser Erscheinungen erinnere. Aber sie sprachen noch mehreres zu ihm und gaben ihm viele Aufträge, wo und wie er bei einer bevorstehenden Seereise, was sie ihm gesagt, bekanntmachen solle. Auch ermahnten sie ihn, wenn Boten kommen und die Lehre vom Tod des jetzt Gestorbenen verkündigen würden, so solle er sie gut aufnehmen.

Die bösen Geister waren durch die Macht des Herrn gezwungen, diesen guten Mann zu warnen und zum Boten ihrer eigenen Schmach zu machen. Er ließ auch, da sich ein heftiger Sturm erhob, die Schiffe sichern. Ich sah aber dabei die Teufel brüllend in das Meer stürzen und die halbe Stadt im Erdbeben versinken. Sein Haus blieb stehen. Er ist aber bald darauf mit seinem Schiffe lange herumgefahren, und hat die Aufträge ausgerichtet und den Tod «des großen Pan», wie sie den Herrn genannt, verkündet, und ist erst spät nach Rom gekommen, wo man sich sehr über seine Aussagen verwunderte. Ich habe noch vieles von diesem Mann gesehen, aber vergessen, unter anderem auch, wie eine seiner Reisegeschichten durch Nacherzählen mit dem, was ich gesehen, vermischt und sehr bekannt ward, weiß es aber nicht mehr recht im Zusammenhang. Ich meine, sein Name klang wie Thamus oder Tramus,

56. Joseph von Arimathäa begehrt Jesu Leib von Pilatus

Kaum war nach allen diesen schrecklichen Ereignissen wieder einige Ruhe in Jerusalem eingetreten, als auch der bestürzte Pilatus von allen Seiten mit Berichten über das Vorgefallene bestürmt wurde. Auch der hohe Rat der Juden, was schon am Morgen von ihm beschlossen war, sendete zu ihm, er möge den Gekreuzigten die Beine zerschmettern und sie so getötet vom Kreuz abnehmen lassen, damit sie nicht über den Sabbat dahingen. Es ließ also Pilatus die Schergen zu diesem Zwecke hinaus zur Richtstätte senden.

Gleich hierauf sah ich Joseph von Arimatäa, den Ratsherrn, zu Pilatus kommen. Er hatte den Tod Jesu schon erfahren und mit Nikodemus beschlossen, den Leib des Herrn im neuen Felsengrab in seinem Garten, nicht sehr weit vom Kalvarienberg, zu begraben. Ich meine, ihn auch schon draußen vor dem Tor gesehen zu haben, wie er alles auskundschaftete. Es waren wenigstens schon Leute von ihm in seinem Grabgarten und reinigten und vollendeten noch einiges im Innern des Grabes. Nikodemus ging bereits an einige Orte, um Tücher und Spezereien zur Leichenbereitung zu kaufen, und erwartete den Joseph.

Joseph fand den Pilatus sehr geängstigt und verwirrt. Er bat ihn ganz offen und unerschrocken, er möge ihm erlauben, den Leib Jesu, des Königs der Juden, vom Kreuz abzunehmen, denn er wolle Ihn in sein Grab begraben. Pilatus ward noch mehr erschüttert, da ein angesehener Mann so dringend bat, den Leib Jesu, den er so schmählich hatte kreuzigen lassen, ehren zu dürfen. Es mahnte ihn die Unschuld Jesu noch ängstlicher, aber er verstellte sich und sagte: «Ist Er denn schon tot?», denn er hatte ja erst vor einigen Minuten die Schergen hinausgesandt, die Gekreuzigten durch das Beinbrechen zu töten. Er ließ darum den Hauptmann Abenadar rufen, der von den Höhlen zurückgekommen war, wo er mit einigen der Jünger gesprochen hatte, und fragte ihn, ob der König der Juden schon gestorben sei. Da erzählte ihm Abenadar den Tod des Herrn um drei Uhr, seine letzten Worte und seinen lauten Schrei, das Beben der Erde und Bersten des Felsens. Pilatus schien äußerlich sich bloß zu wundern, dass Er so früh gestorben, weil die Gekreuzigten sonst wohl länger lebten, aber innerlich war er geängstigt und bestürzt über das Zusammentreffen der Zeichen mit seinem Tod. Er wollte vielleicht seine Grausamkeit einigermaßen beschönigen, indem er dem Joseph von Arimathäa sogleich einen Befehl ausfertigte, dass er ihm den Leib des Königs der Juden schenke, und dieser ihm daher zur Abnahme vom Kreuz und Beerdigung zu überlassen sei. Er freute sich, hierdurch den Hohenpriestern einen derben Streich zu machen, welche Jesus gern mit beiden Mördern ehrlos eingescharrt gewusst hätten. Er sendete auch hinaus, wahrscheinlich den Abenadar selbst, denn ich sah diesen bei der Abnahme Jesu vom Kreuz.

Joseph von Arimathäa verließ hierauf den Pilatus und ging zu Nikodemus, der ihn bei einer wohlgesinnten Frau erwartete, deren Haus an der breiten Straße, dicht neben jener engen Straße lag, in welcher unserem Herrn gleich beim Antritt seines bitteren Kreuzweges so viel Schmach angetan worden war. Nikodemus hatte viele Kräuter und Würzen zur Einbalsamierung teils hier selbst gekauft, denn diese Frau war eine Würzhändlerin, teils hatte sie ihm manche Spezerei, die sie nicht selbst besaß, wie auch mancherlei Tücher und Binden zur Leichenbereitung anderwärts gekauft und zusammengetragen, welche Gegenstände sie ihm alle bequem zum Tragen zusammenrollte und packte. Joseph von Arimathäa ging aber auch noch anderwärts und kaufte ein sehr schönes, feines, baumwollenes Tuch, sechs Ellen lang und mehrere Ellen breit, und ihre Diener holten aus einem Schuppen neben dem Hause des Nikodemus Leitern, Hämmer, Bolzen, Wasserschläuche, Gefäße, Schwämme und alles Nötige zu ihrem Vorhaben, und sie packten die kleineren Gegenstände in eine leichte Tragbahre, ungefähr wie jene, worin die Jünger den Leib Johannes des Täufers von Machärus, dem festen Schloss des Herodes, entführten.

57. Die Seite Jesu wird geöffnet. Gebeinbrechen der Schächer

Unterdessen war es still und traurig draußen auf Golgatha. Alles Volk hatte sich furchtsam zerstreut und verborgen. Die Mutter Jesu und Johannes, Magdalena, Maria Kleophä und Salome standen und saßen mit verhüllten Häuptern dem Kreuz gegenüber und trauerten. Einige Soldaten saßen am Erdwall und hatten ihre Spieße neben sich gesteckt. Cassius ritt hin und wieder, die Soldaten sprachen vom Kalvarienfels hinab mit anderen, die entfernter standen. Der Himmel war trübe und eine große Trauer über der ganzen Natur. Da zogen sechs Schergen heran, sie hatten Leitern, Schaufeln und Stricke bei sich, und schwere dreieckige Eisenkolben, zum Zerschmettern der Gebeine.

Als die Schergen in den Gerichtskreis einzogen, traten die Angehörigen Jesu etwas zurück, und die heiligste Jungfrau war in neuer schmerzlicher Angst, die Schergen möchten den Leib Jesu am Kreuz noch misshandeln, denn sie stiegen am Kreuz hinauf und stießen den heiligsten Leib Jesu an, und behaupteten, Er stelle sich nur tot. Da sie Ihn aber ganz kalt und erstarrt fühlten, und Johannes auf Bitten der heiligen Frauen sich an die Soldaten wendete, ließen sie einstweilen vom Leib des Herrn ab, schienen jedoch nicht überzeugt, dass Er tot sei. Sie stiegen nun auf Leitern an den Kreuzen der Schächer hinan. Zwei zerschmetterten jedem mit ihren schneidenden Keulen die Knochenröhren der Arme über und unter den Ellenbogen, und ein dritter tat dieses über den Knien und auf den Schienbeinen, unter einem furchtbaren Gebrüll des Gesmas, dem sie mit dem Kolben durch drei Stöße noch die Brust einstießen. Dismas wimmerte und starb unter der Marter, und war der erste Sterbliche, der seinen Erlöser wieder sah. Hierauf knebelten sie die Bande los, und ließen die Leiber an die Erde niederstürzen, die sie dann an Stricken in das Tal zwischen dem Hügel und der Stadtmauer hinabschleiften und daselbst verscharrten.

Sie schienen noch am Tod des Herrn zu zweifeln, und die Angehörigen Jesu waren durch das grässliche Verfahren bei dem Beinbrechen noch mehr geängstigt, sie möchten zurückkehren. Aber Cassius, nachher Longinus genannt, der Unteroffizier, ein etwas voreiliger, dienstdringlicher Mensch von 25 Jahren, dessen sich wichtig machende Geschäftigkeit bei blöden, schielenden Augen unter seinen Untergebenen öfters Gespött erregte, wurde plötzlich von einem wunderbaren Eifer ergriffen. Die Grausamkeit und niederträchtige Wut der Schergen, die Angst der heiligen Frauen und die Gnade eines plötzlichen heiligen Eifers machten ihn zum Erfüller einer Prophezeiung. Er schob seine Lanze, die verkürzt ineinander steckte, verlängernd auseinander, steckte die Spitze derselben auf, wendete sein Pferd und trieb es heftig den engen Kreuzhügel hinan, an dem es sich kaum wenden konnte, und ich sah, wie er es vor dem Riss des zerborstenen Felsens wahrte. So zwischen dem Kreuz des guten Schächers und Jesu Kreuz, zur Rechten vom Leib unseres Heilandes, haltend, fasste er die Lanze mit beiden Händen und stieß sie mit einer solchen Heftigkeit aufwärts in die hohle, gespannte, rechte Seite des heiligsten Leibes durch die Eingeweide und das Herz, dass ihre Spitze an der linken Brust eine kleine Wunde öffnete, und indem er die heilige Lanze mit Ungestüm zurückriss, stürzte aus der weiten Wunde der rechten Seite Jesu ein reicher Strom von Blut und Wasser nieder, und überströmte sein aufwärts gerichtetes Gesicht mit Heil und Gnade. Er sprang vom Pferd, fiel auf die Knie, schlug an seine Brust und bekannte Jesus laut vor allen Anwesenden.

Die heiligste Jungfrau und die anderen, deren Blicke stets zu Jesus emporgerichtet waren, sahen die plötzliche Handlung dieses Mannes mit Angst an, und begleiteten den Stoß seiner Lanze mit einem Wehgeschrei, indem sie zum Kreuz hinanstürzten. Maria, als habe der Stoß ihr eigenes Herz durchbohrt, fühlte das schneidende Eisen durch und durch, und sank in die Arme ihrer Freundinnen, während Cassius, laut den Herrn bekennend, auf den Knien lag und freudig Gott lobte, denn er glaubte und war erleuchtet, und sah nun hell und klar. Die Augen seines Leibes, wie jene seiner Seele waren geheilt und geöffnet. Sogleich aber ergriff sie alle die ehrerbietigste Rührung vor dem Blute des Erlösers, das schäumend, mit Wasser gemischt, sich in einer Vertiefung des Felsenbodens unter dem Kreuz gesammelt hatte, und Cassius, Maria, die heiligen Frauen und Johannes schöpften das Blut und Wasser in Trinkschalen, die sie bei sich hatten, in Flaschen und trockneten es mit Tüchern auf.<ref> Sie sagte auch: «Cassius, Longinus getauft, predigte später als Diakon Christus, und führte immer von diesem heiligen Blute bei sich. Es war vertrocknet, und man fand davon in seinem Grabe in Italien in einer Stadt nicht weit von dem Ort, wo die heilige Klara gelebt hatte. Es ist ein grüner See mit einer Insel bei dieser Stadt. Sein Leib muss wohl dorthin gebracht worden sein.» Die Erzählende scheint Mantua mit jener Stadt zu meinen, wo eine solche Tradition ist. Welche heilige Klara in der Nähe gelebt, ist dem Schreiber unbekannt.</ref>

Cassius war wie verwandelt, er hatte sein volles Gesicht erhalten und war tief bewegt und gedemütigt. Die anwesenden Soldaten, gerührt von dem Wunder, das an ihm geschehen, warfen sich auf die Knie nieder, schlugen an die Brust und bekannten Jesus, Blut und Wasser strömte aus der weit eröffneten rechten Seite des Herrn reichlich auf einen reinen Stein und stand schäumend darauf. Sie schöpften es mit ungemeiner Rührung rein auf, und die Tränen Marias und Magdalenas mischten sich mit demselben. Die Schergen, welche indessen den Befehl von Pilatus erhalten hatten, den Leib Jesu nicht zu berühren, den er Joseph von Arimathäa zur Beerdigung geschenkt, kehrten nicht wieder.

Die Lanze des Cassius bestand aus mehreren Teilen, die man aufeinander befestigte, und schien nur ein mäßig langer, starker Stab, wenn sie nicht auseinander gezogen war. Das verwundende Eisen hatte einen platten, birnförmigen Körper, an dem man oben eine Spitze aufsteckte und unten zwei schneidende, gekrümmte Eisen herauszog, wenn man die Lanze gebrauchte.

Alles dieses geschah am Kreuz Jesu bald nach vier Uhr, während Joseph von Arimathäa und Nikodemus mit dem Anschaffen der Bedürfnisse zur Beerdigung Christi beschäftigt waren. Da aber den Freunden Jesu auf Golgatha von Josephs von Arimathäa Dienern, die zur Reinigung seines Grabes gegangen, berichtet wurde, dass er mit Erlaubnis des Pilatus den Leib Jesu abnehmen und in sein neues Grab legen werde, begab sich Johannes mit den heiligen Frauen sogleich zur Stadt auf den Berg Sion, damit sich die heiligste Jungfrau ein wenig erquicken könne, und um noch einige zur Grablegung nötige Gerätschaften dort zu holen. Sie hatte eine kleine Wohnung in den Nebengebäuden des Abendmahlssaals. Sie gingen nicht durch das nahe Tor, sondern südlicher durch das Tor, das nach Bethlehem führt, denn das nahe Tor war geschlossen und inwendig von den Soldaten besetzt, welche die Pharisäer bei der Aufregung des Volkes begehrt hatten.

58. Einige Örtlichkeiten des alten Jerusalems

An der Morgenseite von Jerusalem<ref> Anna Katharina beschrieb öfters manche Ortslagen nach Wendung und Richtung so ins einzelne, dass die Auffassung durch das große Detail selbst beinah unmöglich ward, denn während sie auf ihrem Krankenlager fest lag, wendete sie sich im Geist, die Gegenstände anschauend hin und wieder, und konnte daher erzählend und mit den Händen deutend die Richtungen links und rechts sehr leicht verwechseln. Mehrere solche Ortsangaben, die sie verschiedene Male mit geringen Abweichungen während der Mitteilung ihrer Betrachtungen erwähnte, stellen wir hier zusammen und lassen auch ihre Beschreibung des Grabes und Gartens Josephs von Arimathäa folgen, um die Erzählung der Grablegung unseres Herrn nicht zu sehr dadurch zu unterbrechen.</ref> ist das erste Tor mittäglich von der Südostecke des Tempels jenes, das in den Stadtteil Ophel führt. Das Tor aber, welches der Nordostecke des Tempels mitternächtlich zunächst liegt, ist das Schaftor. Zwischen diesen beiden Toren ist jedoch vor nicht langer Zeit noch ein drittes Tor entstanden, das zu einigen Straßen führt, die übereinander an der Ostseite des Tempelberges hinlaufen und meistens von Steinmetzen und anderen Arbeitern bewohnt werden. Diese Wohnungen lehnen an den Grundmauern des Tempels. Alle Häuser dieser beiden Straßen sind meistens Eigentum des Nikodemus, der sie hat bauen lassen. Die darin wohnenden Steinmetzen zahlen ihm Miete oder arbeiten dafür, denn sie stehen mit ihm und seinem Freunde Joseph von Arimathäa in Verkehr, welcher letztere große Steinbrüche in seiner Heimat besitzt und Handel damit treibt. Nikodemus hat aber in der letzten Zeit ein schönes Tor zu diesen Straßen neu erbaut. Sie nennen es jetzt das Tor Moriah. Als es fertig geworden war, ist Jesus zuerst am Palmsonntag hindurch gezogen. Er zog also durch das neue Tor des Nikodemus, durch welches vor Ihm niemand gezogen, und ward in das neue Grab des Joseph von Arimathäa begraben, in welchem vor Ihm noch niemand geruht hatte. Dieses Tor ist in späteren Zeiten vermauert worden. Es entstand die Sage, da sollten die Christen einstens wieder einziehen. Noch heutzutage ist ein vermauertes Tor in dortiger Gegend, welches die Türken das goldene nennen.

Der gerade Weg vom Schaftor gegen Abend, wenn man durch alle Mauern durch könnte, trifft ungefähr zwischen dem nordwestlichen Ende des Berges Sion und zwischen Golgatha mitten durch. Von diesem Tor bis nach Golgatha in gerader Linie ist wohl dreiviertel Stunde Wegs, von Pilati Palast aber bis Golgatha in gerader Linie etwa fünfachtel Stunde. Die Burg Antonia liegt an der Nordwestecke des Tempelberges auf einem hervorspringenden Felsen. Wenn man sich vom Palast des Pilatus abendwärts links durch den Bogen wendet, hat man diese Burg zur Linken. Es ist auf einer Mauer dieser Burg ein hochgelegener offener Platz, der das Forum überschaut. Von dort verkündet Pilatus mancherlei dem Volke, z.B. neue Gesetze. Auf dem Kreuzweg innerhalb der Stadt hatte Jesus den Kalvarienberg öfters zu seiner Rechten liegen, (Es muss aber der Weg Jesu teils südwestlich gegangen sein). Jesu Weg führte durch das Tor einer inneren Stadtmauer, die gegen Sion zuläuft, welcher Stadtteil sehr hoch liegt. Außerhalb dieser Mauer liegt abendwärts ein Teil der Stadt, der mehr Gärten, als Häuser enthält. Auch sind gegen die äußerste Stadtmauer hin schöne Gräber mit gemauerten und ausgehauenen Kunsteingängen, und oben darauf oft artige Gärtchen. In dieser Gegend liegt das Haus des Lazarus in Jerusalem und hat gegen das Ecktor, wo sich die abendliche, äußere Stadtmauer nach Mittag herum wendet, schöne Gärten bis an die Mauer. Es führt wie ich meine, neben dem großen Schaftor ein eigenes Pförtchen durch die Stadtmauer in diese Gärten. Jesus und die Seinigen sind öfter mit Zulassung des Lazarus da aus- und eingegangen. Jenes Tor an der Nordwestecke führt in der Richtung von Bethsur, welches nördlicher als Emmaus und Joppe liegt. Nördlich von der äußersten Stadtmauer liegen mehrere Gräber von Königen. Dieser abendliche, noch nicht so angebaute Teil der Stadt ist der niedrigste Teil, er fällt etwas gegen die Stadtmauer zu ab, und steigt dann wieder in der Nähe derselben etwas, auf welcher Anschwellung schöne Gärten und auch Weinberge liegen. Hinter diesen läuft ein breiter gemauerter Weg innerhalb der Mauern, der hie und da fahrbar ist und Aufwege zu den Mauern und Türmen hat, die nicht wie unsere, Türme die Aufgänge im Inneren haben. Jenseits der Mauer außerhalb der Stadt ist noch ein Abhang gegen das Tal, so dass also die Mauer um diesen niederen Teil der Stadt wie auf einem erhöhten Wall hinläuft. Auf dem äußeren Abhang vor der Stadtmauer sind noch Gärten und Weinberge. Der Kreuzweg Jesu ging nicht durch die Gartengegend der Stadt selbst. Diese Gegend lag dem Ende seines Weges nördlich zur Rechten. Simon von Cyrene aber kam aus dieser Gegend in den Weg Jesu eingetreten. Das Tor, durch das Jesus ausgeführt wurde, steht nicht gerade abendwärts, sondern in der Richtung von vier Uhr nachmittags. Die Stadtmauer zur Linken, wenn man zum Tor hinaus tritt, läuft eine kurze Strecke südlich und macht dann einen starken Ausbug gegen Abend, und zieht sich dann wieder südlich um den Berg Sion herum. Nach dieser linken Seite der Mauer, wenn man hinaus geht, gegen Sion zu, liegt ein sehr mächtiger Turm wie eine Festung. An dieser Seite liegt dem Ausführungstor ein anderes sehr nahe. Es sind diese beiden wohl die sich nächsten Tore der Stadt, und sind wohl nicht ferner von einander, als das Burgtor vom Lüdinghausertor hier in Dülmen. Es führt dieses Tor gegen Abend ins Tal, und der Weg wendet sich von ihm aus links etwas in Mittag nach Bethlehem zu. Bald vor dem Tor der Ausführung Christi wendet der Weg sich nördlich rechts zum Kalvarienberg, der an seiner Morgenseite, der Stadt zugewendet, steil abhängig, an der Abendseite aber sanft abhängig ist. Jenseits gegen Abend sieht man eine Strecke in den Weg nach Emmaus. Es ist da eine Wiese am Weg, wo ich Lukas Pflanzen sammeln sah, als er mit Kleophas nach der Auferstehung nach Emmaus ging und ihnen Jesus begegnete. Jesus sah am Kreuz aufgerichtet in der Richtung zwischen Abend und Mitternacht gegen zehn Uhr. Wenn Jesus sein Haupt am Kreuz rechts wendete, konnte Er etwas von der Burg Antonia sehen. Es liefen an der Stadtmauer östlich und nördlich vom Kalvarienberg auch Gärten, Gräber und Weinberge hinan. Nordöstlich am Fuße des Kalvarienberges wurde das Kreuz eingescharrt. Jenseits des Kreuzauffindungsortes nordöstlich sind auch schöne Rebenterrassen. Wenn man vom Kreuzstand südlich schaut, sieht man auf des Kaiphas Haus unter der Burg Davids weg.

59. Garten und Grab Josephs von Arimathäa

Dieser Garten<ref>Es scheint hier nötig, zu erwähnen, dass die Erzählende in den vier Jahren, während welcher ihre Betrachtungen aufgezeichnet wurden, viele Schicksale der heiligen Orte in Jerusalem von den ersten Zeiten an mitteilte. Sie hat diese Orte in abwechselnder Verwüstung und Herstellung, immer aber in heimlicher oder öffentlicher Verehrung gesehen, und selbst in ihren Betrachtungen verehrt. Sie sah auch mehrere Steine und Felsenteile, die Zeugen des Leidens und der Auferstehung des Herrn gewesen, nach der Entdeckung der Stellen durch die heilige Helena in der durch sie erbauten heiligen Grabeskirche in einem engeren Raum einander näher gerückt und in den Schutz der Stadt gebracht. Sie verehrte in Betrachtungen dieser Kirche den Kreuzstand, das Grablager und mehrere Teile der Grabhöhle unseres Herrn welche dort mit Kapellen überbaut worden sind: manchmal aber, wenn sie nicht so sehr das Totenlager unseres Herrn, als vielmehr die Stelle der Erde, wo das Grab gestanden verehrte, schien sie im Geiste diese Stelle zwar in der näheren Umgegend, aber doch entfernter vom Standort des Kreuzes heimsuchen zu müssen.</ref> liegt vom Kalvarienberg wenigstens sieben Minuten entfernt, nahe am Bethlehemstor an der Anhöhe, welche zur Stadtmauer hinanläuft. Es ist ein schöner Garten mit großen Bäumen, Sitzen und Schattenplätzen. Die eine Seite desselben zieht sich bis zur Stadtmauer an der Höhe hinauf, wenn man von der Mitternachtsseite im Tal oben hereintritt, steigt der Grund des Gartens links an der Stadtmauer hinan. Rechts am Ende des Gartens liegt ein getrennter Fels, worin das Grab ist. Man wendet sich vom Eingangsweg des Gartens rechts zum Eingang der Grabhöhle, die gegen Morgen auf den ansteigenden Garten und zur Stadtmauer hinschaut, In der Südwest- und Nordwestseite desselben Felsens sind noch zwei kleinere Grabhöhlen mit niedrigem Eingang. An der Abendseite des Felsens läuft noch ein schmaler Weg herum. Der Boden vor dem Eingang in die Grabhöhle liegt höher als dieser Eingang, der Felsen liegt etwas tiefer, und man steigt zur Türe auf Stufen hinab, wie in einen kleinen Graben vor der Ostseite des Felsens. Dieser äußere Zugang ist mit Flechtwerk geschlossen. Der Raum des Felsenkellers ist so groß, dass vier Menschen zur Rechten und vier zur Linken an den Wänden stehen können, und die Leiche noch bequem von anderen zwischen ihnen durchgetragen werden kann. Dieser Raum rundet sich an der Abendseite gerade der Türe gegenüber zu einer breiten und nicht sehr hohen Nische, indem sich dort die Felsenwand über dem etwa zwei Fuß hohen Grablager herüberwölbt. In der Fläche des Grablagers ist der Raum für eine gewickelte Leiche ausgetieft. Dieses Grablager hängt wie ein Altar nur an der Hinterseite mit dem Felsen zusammen, zu Häupten und zu Füßen kann noch ein Mensch stehen, und auch vor dem Grablager kann man noch stehen, wenn auch die Türe der Grabnische verschlossen wird. Diese Türe ist von Kupfer oder anderem Metall, und öffnet sich gebrochen nach beiden Seiten, wo sie Anlage an den Seitenwänden hat. Sie steht nicht senkrecht, sondern liegt etwas schräg vor der Nische und reicht so weit zum Boden nieder, dass ein vor sie niedergelegter Stein das Öffnen verhindern kann. Der hierzu bestimmte Stein liegt jetzt noch vor dem Eingang des Grabgewölbes, und wird erst nach der Bestattung des Herrn hereingeschafft und vor die geschlossenen Grabtüren gelegt. Er ist groß und gegen die Grabtüren zu etwas abgerundet, weil die Wand neben den Grabtüren auch nicht rechtwinklig ist. Um diese Türen wieder zu öffnen, braucht man diesen großen Stein nicht erst aus dem Gewölbe heraus zu wälzen, was wegen der Beengtheit des Raumes höchst beschwerlich sein würde, sondern man befestigt eine von der Decke niedergelassene Kette in einige Ringe, die hierzu am Steine angebracht sind, und rückt ihn durch Aufziehen der Kette, jedoch immer mit großer Anstrengung mehrerer Männer, an die Seite der Höhle von der Grabtür hinweg.

Dem Eingang der Höhle gegenüber ist ein Steinsitz im Garten. Oben auf dem mit Rasen bewachsenen Grabfelsen kann man gehen, und eben noch über der Stadtmauer die Höhe von Sion und einzelne Türme sehen. Auch sieht man von hier das Bethlehemstor, eine Wasserleitung und den Brunnen Gihon. Der Fels war inwendig weiß mit roten und braunen Adern. Die Höhle ist ganz sauber ausgearbeitet.

60. Kreuzabnahme

Während das Kreuz nur von einigen Wachen umgeben war, sah ich etwa fünf Männer, die von Bethanien durch die Täler hergekommen waren, sich dem Richtplatz nahen, zum Kreuz empor schauen und wieder wegschleichen. Ich meine, es müssen Jünger gewesen sein. Zwei Männer aber, den Joseph von Arimathäa und den Nikodemus, sah ich heute dreimal in der Gegend wie forschend und überlegend. Einmal waren sie während der Kreuzigung in der Nähe.<ref>Vielleicht, als sie den Kriegsknechten die Kleider abkaufen ließen.</ref> Später waren sie da, zu sehen, ob das Volk weg sei, und gingen dann zum Grab, etwas zu bereiten. Vom Grab gingen sie wieder zum Kreuz selbst und sahen hinauf und rings umher, als besähen sie sich die umher. Sie machten den Plan zur Abnahme und kehrten zur Stadt zurück.

Nun begannen sie, die Sachen zum Balsamieren zusammenzutragen. Ihre Knechte nahmen nebst anderem Werkzeug zur Abnahme des heiligen Leibes vom Kreuz zwei Leitern aus einer Scheune beim großen Haus des Nikodemus mit, Jede dieser Leitern bestand nur aus einem Pfahle, in dem Bohlenstück als Stufen eingefalzt waren. Es waren Haken an den Leitern, die man höher und niederer hängen konnte, um die Leiter selbst irgendwo zu befestigen, oder irgend einen Bedarf beim Arbeiten daran zu hängen.

Die gute Frau, bei welcher sie die Spezereien zur Einbalsamierung empfingen, hatte ihnen alles bequem zusammengepackt. Nikodemus hatte 100 Pfund Würze gekauft, welches nach unserem Gewicht 13,5 Kilogramm ausmacht, wie mir mehrmals deutlich eröffnet ward. Sie trugen diese Spezereien teils in kleinen Basttönnchen vom Hals auf die Brust hängend. In einem der Tönnchen war ein Staub, Kräuterbüschchen trugen sie in Beuteln von Pergament oder Leder. Joseph trug auch eine Salbenbüchse, ich weiß nicht, von welcher Substanz. Sie war rot und hatte einen blauen Reif. Die Knechte hatten, wie schon erwähnt, in einer Tragbahre auch Gefäße, Schläuche, Schwämme und Werkzeuge hinauszutragen. Brennendes Feuer nahmen sie in einer verschlossenen Leuchte mit.

Diese Diener gingen vor ihren Herren zu einem anderen Tor, ich glaube zu dem Bethlehemstor, hinaus auf den Kalvarienberg. Auf ihrem Weg durch die Stadt kamen sie an dem Haus vorüber, wohin die heiligste Jungfrau mit den anderen Frauen und Johannes sich begeben hatten, um einiges zur Leichenbereitung des Herrn zu holen, und es schlossen sich Johannes und die heiligen Frauen in kleiner Entfernung an den Weg der Diener an. Es waren etwa fünf Frauen, von welchen einzelne große Bündel Tücher unter ihren Mänteln trugen. Die Frauen pflegten, wenn sie gegen Abend, oder zu irgend einem geheimen Religionswerk ausgingen, sich mit einem langen, eine starke Elle breiten Tuch ganz kunstvoll zu umwickeln. Sie fingen an einem Arm an, und das Tuch umwand sie so eng, dass sie keine großen Schritte machen konnten. Ich habe sie sich ganz einwickeln sehen, sie kamen ganz bequem mit dem Tuch aus bis auf den anderen Arm, auch das Haupt verhüllte dieses Tuch. Heute hatte es mir etwas Auffallendes, es war Trauerkleidung.

Joseph und Nikodemus trugen auch Trauerkleider, schwarze Vorärmel und Manipel und breite Gürtel, und ihre Mäntel, welche sie über den Kopf gezogen hatten, waren weit und lang und von schmutzgrauer Farbe. Alles, was sie selbst trugen, verdeckten sie mit diesen weiten Mänteln. Sie gingen beide in Richtunge des Ausführtores.

Auf den Straßen war es still und öde. Der allgemeine Schrecken hielt alles in den Häusern versperrt. Viele Leute lagen in Buße, nur sehr wenige hielten die Ordnung des Festes. Als Joseph und Nikodemus zum Tor kamen, fanden sie es geschlossen, und die Wege umher und die Mauer mit vielen Soldaten besetzt. Es waren jene, welche die Pharisäer nach zwei Uhr begehrt hatten, als sie einen Aufruhr fürchteten. Sie waren noch nicht zurückgerufen. Joseph zeigte ihnen einen schriftlichen Befehl des Pilatus vor, ihn durchzulassen. Sie fanden sich bereitwillig, erklärten ihm jedoch, dass sie bereits vergebens versucht hätten, das Tor zu öffnen, das sich wahrscheinlich bei dem Erdbeben durch irgend eine Bewegung verklemmt hatte, darum hatten auch die beinbrechenden Schergen durchs Ecktor wieder herein müssen. Als aber Joseph und Nikodemus die Riegel ergriffen, öffnete sich das Tor zur Verwunderung aller ganz leicht.

Es war noch trüb, düster und neblig, als sie auf den Kalvarienberg kamen, wo sie bereits ihre vorausgesendeten Diener und die heiligen Frauen fanden, welche weinend dem Kreuz gegenüber saßen. Cassius und mehrere Soldaten, die sich bekehrt hatten, standen wie verwandelt, scheu und ehrerbietig in einiger Entfernung. Joseph und Nikodemus sprachen mit der heiligsten Jungfrau und Johannes von allem, was sie getan, um Jesus vom schmählichen Tod zu retten, und hörten von diesen, wie sie nur mit Mühe das Zerschmettern der Beine Jesu abgewendet, und wie so die Prophezeiung erfüllt worden sei. Auch vom Lanzenstich des Cassius sprachen sie. Als nun auch der Hauptmann Abenadar herangekommen war, begannen sie in großer Trauer und Ehrerbietung das heiligste Liebeswerk der Kreuzabnahme und Leichenbereitung an dem heiligen Leib ihres Herrn und Meisters und Erlösers.

Die heiligste Jungfrau und Magdalena saßen am Kreuzhügel zur Rechten, zwischen dem Kreuz des Dismas und Jesus, die anderen Frauen waren beschäftigt, die Spezereien und Tücher, das Wasser, die Schwämme und Gefäße zu ordnen. Cassius nahte sich auch, da er Abenadar ankommen sah. Er teilte ihm das Wunder seiner Augenheilung mit. Alle waren sehr gerüht, feierlich ernst, betrübt, und voll Liebe ohne viele Worte. Manchmal, wo es die Geschäfte erlaubten, ertönte hie und da ein heißes Wehklagen oder Seufzen. Magdalena vor allem war, ganz ihrem Schmerz überlassen, in heftiger Bewegung, und wusste von keinem Menschen, von keiner Rücksicht.

Nikodemus und Joseph stellten die Leitern hinten an das Kreuz und stiegen mit einem großen Tuch, an welchem drei breite Riemen befestigt waren, empor, und banden den Leib Jesu unter den Armen und den Knien an den Stamm des Kreuzes, und die Arme des Herrn mit Tüchern unter den Händen an die Kreuzarme fest. Dann schlugen sie, mit hinten auf die Nägelspitze gesetzten Stiften, die Nägel heraus. Die Hände Jesu wurden durch diese Schläge nicht sehr erschüttert, und die Nägel fielen leicht aus den Wunden nieder, denn diese waren durch das Gewicht des Leibes weit gerissen, und der durch die Tücher hinaufgezogene Körper ruhte mit seiner Last nicht mehr auf den Nägeln. Der Unterleib Jesu, der im Tod in die Knie gesunken war, ruhte nun in sitzender Stellung aufgezogen auf einem Tuch, das über die Kreuzarme in die Hände gebunden war. Während nun Joseph den linken Nagel losschlug und den linken Arm leise in den Binden an den Leib niedersinken ließ, band Nikodemus den rechten Arm Jesu ebenso am Kreuzarm und auch das dornengekrönte Haupt Jesu, das auf die rechte Schulter gesunken war, in seiner Lage fest, schlug den rechten Nagel los und ließ den rechten Arm in den Binden zum Leib nieder. An den Füßen hatte indessen Abenadar, der Hauptmann, den großen Nagel mit Anstrengung herausgeschlagen.

Cassius hob die ausgefallenen Nägel ehrerbietig auf, und legte sie neben der heiligsten Jungfrau zusammen nieder. Nun aber stellten sie die Leitern an die Vorderseite des Kreuzes dicht neben den heiligsten Leib, banden den obern Riemen vom Kreuzstamm los und hängten ihn in oberen der Haken an den Leitern. So taten sie mit den beiden anderen Riemen auch, und indem sie die Riemen niedersteigend immer in tieferstehende Haken hängten, sank der heiligste Leib nieder, dem Hauptmann Abenadar entgegen, der, auf eine Stufenbank getreten, Ihn unter den Knien in den Armen gefasst hatte und mit ihm herniederstieg, während Nikodemus und Joseph, den Oberleib Jesu zwischen sich in den Armen haltend, leise und behutsam, als trügen sie einen schwerverwundeten, geliebten Freund, Stufe für Stufe von den Leitern herabschritten. So gelangte die heiligste, misshandelte Leiche des Erlösers vom Kreuze zur Erde nieder.

Die Abnahme Jesu vom Kreuz war unbeschreiblich rührend. Sie taten alles so vorsichtig und schonend, als fürchteten sie, dem Herrn Schmerzen zu verursachen. Sie waren von all der Liebe und Ehrerbietung gegen den heiligsten Leib durchdrungen, welche sie gegen den Heiligen der Heiligen in seinem Leben gefühlt hatten. Alle Anwesenden sahen mit unverwandten Blicken zum Leib des Herrn empor und begleiteten jede Bewegung desselben mit Emporhebung der Arme, mit Tränen und allen Gebärden des Schmerzes und der Sorge. Aber alle waren still, und es sprachen die arbeitenden Männer aus unwillkürlicher Ehrerbietung, als seien sie in einer heiligen Handlung begriffen, nur wenig und halblaut sich einander zu, mancherlei Hilfe anweisend. Als die Hammerschläge erklangen, durch welche die Nägel herausgetrieben wurden, war Maria und Magdalena, waren alle, welche der Kreuzigung beigewohnt, von neuem Schmerz durchrissen, denn der Klang dieser Schläge erinnerte an die grausame Annagelung Jesu, und alle zitterten, das helle Wehegeschrei Jesu wieder zu hören, und trauerten um seinen Tod bei dem Schweigen des heiligsten Mundes. - Herabgenommen aber hüllten die Männer sogleich den Unterleib des Herrn von den Knien bis zu den Hüften ein, und legten den heiligsten Leib auf dem Tuch in die Arme seiner Mutter, die sie Ihm mit Schmerz und Sehnsucht entgegenstreckte.

Nun führte Johannes die heiligste Jungfrau und die anderen heiligen Frauen wieder heran, Maria kniete beim Haupt nieder, sie legte ein feines Tuch, das sie von Claudia Procle, der Frau des Pilatus, empfangen und das sie um den Hals unter ihrem Mantel hängen hatte, unter das Haupt Jesu, und sie und die anderen heiligen Frauen füllten um den Raum zwischen den Schultern und dem Kopf um den ganzen Hals bis zu den Wangen Jesu mit Kräuterbüschchen, solchen feinen Fäden und jenem feinen Pulver aus, worauf die heiligste Jungfrau alles mit jenem Tuch um Kopf und Schultern fest band. Magdalena goss noch ein ganzes Fläschchen Wohlgeruch in die Seitenwunde Jesu, und die heiligen Frauen legten ihm noch Gewürze in die Hände und um und unter die Füße. Dann füllten die Männer noch die Achselhöhlen mit Spezerei aus, belegten die Herzgrube aus, kreuzten seine erstarrten Arme über dem Schoß, und schlugen den Leib mit den Gewürzen in das große weiße Tuch bis an die Brust fest ein, wie man ein Kind einschlägt. Nun aber klemmten sie unter die angeschlossene Achsel des einen Armes das eine Ende einer breiten Binde ein, und wickelten diese, den heiligsten Leib auf den Händen aufhebend, um das Haupt und den ganzen Leib nieder, der so die Gestalt einer eingehüllten Puppe erhielt. Hierauf legten sie den Leib des Herrn auf das große, sechs Ellen lange Tuch, das Joseph von Arimathäa gekauft hatte, und schlugen Ihn darin ein. Er lag quer darauf, eine Ecke ward von den Füßen zur Brust herauf, die andere über den Kopf und die Schultern niedergeschlagen, und die Seiten wurden um den Leib herumgewickelt.

Als sie nun alle den Leib des Herrn weinend umgaben und Abschied nehmend um Ihn her knieten, zeigte sich ein rührendes Wunder vor ihren Augen: die ganze Gestalt des heiligsten Leibes Jesu mit allen seinen Wunden erschien auf der Oberfläche des Tuches, das Ihn bedeckte, braun-rötlich abgebildet, als wolle Er ihre liebende Pflege und ihre Trauer dankbar belohnen und ihnen sein Bild durch alle Verhüllung hindurch zurücklassen. Weinend und wehklagend umarmten sie den heiligsten Leib und küssten verehrend das wunderbare Abbild. Ihr Staunen war so groß, dass sie das Tuch nochmals öffneten, und es war noch größer, da sie alle die Binden des heiligsten Leibes weiß, wie vorher, fanden, und nur das obere Tuch mit der Gestalt des Herrn bezeichnet.

Die Seite des Tuches, worauf der Leib lag, enthielt das Bild des ganzen Rückens des Herrn, die Seite, die Ihn bedeckte, seine vordere Gestalt. Diese aber musste zusammengelegt werden, weil das Tuch hier mit verschiedenen Ecken über Ihn zusammengeschlagen war. Es war dieses kein Abdruck von etwa blutenden Wunden, denn der ganze Körper war in Spezereien mit vielen Binden dicht eingewickelt. Es war ein Wunderbild, ein Zeugnis der schaffenden bildenden Gottheit im Leib Jesu.

Ich habe auch vieles von der nachherigen Geschichte dieses heiligen Tuches gesehen, was ich aber nicht mehr in bestimmte Ordnung erzählen kann. Es war nach der Auferstehung mit den anderen Tüchern im Besitz der Freunde Jesu. Ich sah es einmal einem, der es unter dem Arm trug, wegreißen. Ich sah es zweimal in den Händen der Juden, ich sah es auch lange in Verehrung der Christen an verschiedenen Orten. Einmal war ein Streit darüber, und es wurde zur Beilegung desselben in ein Feuer geworfen, flog aber wunderbar über der Flamme empor in die Hände eines Christen.

Es sind drei Abdrücke von demselben durch Auflegung unter Gebet von heiligen Männern gemacht worden, und zwar von der ganzen hinteren Seite und von dem ganzen zusammengelegten Bild der vorderen Seite. Diese Abdrücke sind durch Berührung in der feierlichen Intention der Kirche geweiht, und haben von je große Wunder getan. Das Original habe ich einmal mit einiger Beschädigung, einigen Rissen, in Asien bei nichtkatholischen Christen in Verehrung gesehen. Ich habe den Namen der Stadt vergessen, sie liegt in einem großen, der Heimat der Heiligen Drei Könige nahen Land. Ich habe in diesen Gesichten auch etwas von Turin und Frankreich und dem Papst Clemens dem Ersten, gehabt, und vom Kaiser Tiberius, der fünf Jahre nach Christi Tod gestorben, habe es aber vergessen.

61. Der Leib Jesu wird zum Begräbnis bereitet

Die heiligste Jungfrau saß auf einer ausgebreiteten Decke. Ihr rechtes Knie etwas erhöht, und auch ihr Rücken lehnte gegen einen Wulst, vielleicht von zusammengerollten Mänteln, um der von Schmerz und Anstrengung ermüdeten Mutter die traurige Liebesarbeit an dem Leichnam ihres ermordeten Sohnes zu erleichtern, welchen die Männer auf einem Tuch ihr in den Schoss legten. Das heiligste Haupt Jesu war gegen ihr etwas gehobenes Knie gelehnt, und der Körper lag auf dem Tuch ausgestreckt. Der Schmerz und die Liebe der heiligsten Mutter waren gleich groß. Sie hatte den Leib ihres geliebten Sohnes wieder in den Armen, dem sie unter so langer Marter keine Liebe hatte erweisen können, und sie sah die schreckliche Misshandlung dieses heiligsten Leibes, in seine Wunden schauend, dicht unter ihren Augen. Sie küsste seine blutigen Wangen, und Magdalena lag mit dem Gesicht auf seinen Füßen.

Die Männer zogen sich nun nach einer südwestlich am Kalvarienberg tiefer liegenden Bucht zurück, wo sie die Leichenbereitung vollenden wollten, und brachten dort alles Nötige in Ordnung. Cassius stand mit einer Anzahl Soldaten, welche sich zum Herrn bekehrt hatten, in ehrerbietiger Entfernung. Alle Übelgesinnten waren zur Stadt gezogen, und die noch Anwesenden dienten nun der letzten Ehre, welche Jesus erwiesen wurde, zu einer Schutzwache, auf dass kein Störer nahen möge. Einzelne halfen gerührt und demütig hie und da mit, wo sie aufgefordert wurden.

Alle die heiligen Frauen halfen mit Darreichung von Wassergefäßen, Schwämmen, Tüchern, Salben und Spezereien, wo es nötig war, und standen dann wieder aufmerkend in einiger Entfernung. Unter diesen befanden sich Maria Kleophä, Salome und Veronika, Magdalena war immer beim heiligsten Leib beschäftigt. Maria Heli aber, die ältere Schwester der heiligsten Jungfrau, eine bereits bejahrte Matrone, saß still zuschauend in einiger Entfernung auf dem Erdwall des Kreises. Johannes war immer der heiligsten Jungfrau zur Hilfe, er war der Bote zwischen den Frauen und Männern, er half hier bei den Frauen und diente nachher auch den Männern bei der eigentlichen Leichenbereitung auf alle Weise. Es war für alles gesorgt. Die Frauen hatten lederne Wasserschläuche, die man öffnen und platt zusammenlegen konnte, und auch ein Gefäß voll Wasser auf einer Kohlenglut bei sich stehen. Sie reichten Maria und Magdalena abwechselnd andere Schalen mit reinem Wasser und andere Schwämme, und drückten die gebrauchten in die ledernen Gefäße aus. Ich meine nämlich, dass die runden Bäuschchen, die ich sie ausdrücken sah, Schwämme waren.

Die heiligste Jungfrau aber war bei unaussprechlichem Leid mit starkem Mut beseelt,[7] ihre Trauer konnte den heiligen Leib nicht in Schmach- und Martergestalt lassen, und so begann sie gleich in ununterbrochener Tätigkeit den heiligsten Leib zu pflegen und zu reinigen. Sie nahm die Dornenkrone, indem sie dieselbe hinten öffnete, mit großer Behutsamkeit und Beihilfe der anderen vom Haupt Jesu, damit die in das Haupt gedrungenen Dornen bei der Bewegung die Wunden nicht erweiterten, mussten einzelne Dornen von der Krone abgeschnitten werden. Sie legten die Krone neben die Nägel, und nun zog Maria einzelne lange Dornspitzen und Splitter, welche im Haupt des Herrn steckten, mit einer runden, gelben, federnden Zange[8] aus den Wunden des Hauptes, und zeigte sie den Bemitleidenden traurig umher. Die Dornen wurden teils zur Krone gelegt. Es mögen aber auch mehrere zum Andenken bewahrt worden sein.

Man konnte das Antlitz des Herrn kaum mehr erkennen, so war es durch Blut und Wunden entstellt. Die zerrauften Haupt- und Barthaare, waren ganz mit Blut verklebt. Maria wusch Haupt und Gesicht, und weichte das vertrocknete Blut mit den nassen Schwämmen aus den Haaren und immer ward unter dem Waschen die grausame Misshandlung Jesu sichtbarer, und es folgte ein Mitleiden, ein Sorgen und Pflegen dem anderen, von Wunde zu Wunde. Sie wusch Ihm das Blut mit einem Schwamm und über die Finger der rechten Hand gespannten Tüchlein aus den Wunden des Hauptes, aus den gebrochenen Augen, aus den Nasenlöchern und Ohren. Sie reinigte mit dem Tüchlein über dem Zeigefinger den halb offenen Mund und die Zunge des Herrn und die Zähne und Lippen. Sie scheitelte aber, das wenige noch übrige Haupthaar des Herrn in drei Teile,[9] einen Teil an jede Seite und einen Teil an das Hinterhaupt, und strich die rein gescheitelten Seitenhaare glatt hinter den Ohren zurück. Als das Haupt gereinigt war, küsste die heiligste Jungfrau seine Wange und verhüllte es. Ihre Pflege wendete sich nun zum Hals, den Schultern, der Brust und dem Rücken des heiligen Leibes, und auf die Arme und die blutvollen zerrissenen Hände. Ach! Da zeigte sich die schreckliche Zerrüttung erst recht schauderhaft. Alle Gebeine der Brust, alle Gewebe waren zerdehnt und verrenkt, und dadurch unbiegsam geworden. Die Schulter, worauf Er das schwere Kreuz getragen, war von einer großen Wunde zerfleischt, und der ganze Oberleib voll Schwielen und GeißeIwunden. An der linken Brust hatte Er eine kleine Wunde, wo die Lanzenspitze des Cassius wieder hervorgedrungen, und in der rechten Seite öffnete sich die weite große Lanzenwunde, die sein Herz von einer Seite zur andern durchspaltete. Maria wusch und reinigte alle diese Wunden, und Magdalena, auf den Knien liegend, war ihr manchmal helfend gegenüber, meistens aber zu den Füßen Jesu, welche sie zum letzten Male mehr mit ihren Tränen, als mit Wasser abwusch und mit ihren Haaren trocknete.

Als nun das Haupt, der Oberleib und die Füße des Herrn vom Blut gereinigt waren, und der heiligste Leib, bläulich weiß, wie verblutetes Fleisch glänzend, hie und da mit braunen Flecken von geronnenen Blutmalen, und mit roten von Haut entblößten Stellen, im Schoß Mariens lag, verhüllte diese die gereinigten Glieder, und begann abermals vom Haupt an alle Wunden zu salben. Die heiligen Frauen knieten abwechselnd ihr gegenüber und reichten ihr eine Büchse dar, aus welcher sie mit dem Zeigefinger und dem Daumen der rechten Hand etwas, wie Salbe, oder sonst Köstliches herausnahm, womit sie alle die Wunden ausfüllte und bestrich. Auch das Haar begoss sie mit Salbe, und ich sah, wie sie die Hände Jesu in ihrer Linken hielt, ehrerbietig küsste, und dann die weiten Nagelwunden mit jener Salbe oder Spezerei füllte, von welcher sie auch in die Öffnung der Ohren und der Nase und in die Seitenwunde des Herrn tat. - Magdalena war meistens mit den Füßen Jesu beschäftigt, bald sie zu trocknen und zu salben, bald sie von neuem mit ihren Tränen zu benetzen. Sie ruhte oft lange mit ihrem Gesichte auf denselben.

Ich sah das gebrauchte Wasser nicht wegschütten, sondern in den ledernen Schläuchen sammeln, in welche sie die Schwämme ausdrückten. Mehrmals sah ich frisches Wasser in Schläuchen und Krügen welche die Frauen mitgebracht hatten, von einzelnen Männern, Cassius oder anderen Soldaten, aus dem Brunnen Gihon holen, der so nahe lag, dass man ihn von dem Grabgarten her sehen konnte.

Als die heiligste Jungfrau alle Wunden gesalbt hatte, wickelte sie das Haupt mit Binden ein. Die Gesichtsdecke an dieser Kopfhülle zog sie aber noch nicht nieder. Sie drückte die halbgebrochenen Augen Jesu zu, und ließ ihre Hand etwas auf denselben ruhen, und schloss den Mund des Herrn, und umarmte den heiligsten Leib ihres Sohnes, und ließ weinend ihr Antlitz auf das seinige sinken. Magdalenas Gesicht berührte aus Ehrerbietung das Antlitz Jesu nicht. Es ruhte nur auf seinen Füßen. Schon standen Joseph und Nikodemus eine Weile harrend in der Gegend, als Johannes der heiligsten Jungfrau mit der Bitte nahte, sich vom Leib Jesu zu trennen, auf dass sie Ihn zum Grab bereiten könnten, weil der Sabbat nahe war. Maria umarmte Jesu Leib nochmals inniger und nahm mit rührenden Worten Abschied von Ihm. Nun hoben die Männer den heiligsten Leib Jesu auf dem Tuch, worauf Er lag, aus dem Schoß seiner Mutter und trugen Ihn hinab zur Stelle der Leichenbereitung. Maria, von neuem ihrem Schmerz, der in der liebenden Pflege einigen Trost gefunden, ganz hingegeben, ruhte mit verhülltem Haupt in den Armen der Frauen. Magdalena aber, als wolle man ihren Geliebten rauben, eilte mit ausgestreckten Händen einige Schritte nach, und wendete sich dann zu der heiligsten Jungfrau zurück.

Sie trugen aber den heiligsten Leib eine Strecke von der Höhe Golgathas hinab, wo in einer Bucht der Anhöhe ein schöner flacher Fels war. Hier hatten die Männer sich die Stelle zur Balsamierung bereitet. Ich sah zuerst ein netzartig durchbrochenes Tuch, wie von Spitzen, gebreitet, es war der Art, wie bei uns das große so genannte Hungertuch[10] in der Kirche aufgehängt wird. Ich meinte als Kind immer, wenn ich dieses Tuch hängen sah, es sei jenes, das ich bei der Leichenbereitung des Herrn gesehen. Wahrscheinlich war es netzartig, um das Wasser beim Waschen abfließen zu lassen. Ich sah aber noch ein anderes großes Tuch ausgebreitet. Sie legten den Leib des Herrn auf das durchbrochene Tuch, und einige hielten das andere Tuch über Ihn. Nikodemus und Joseph knieten nieder und lösten unter dieser Decke das Tuch vom Unterleib des Herrn, welches sie von den Knien bis zur Hüfte bei der Kreuzabnahme um Ihn geschlagen hatten, und nahmen dann die Gürtelbinde vom heiligsten Leib Jesu, welche Ihm Jonadab, der Neffe seines Nährvaters Joseph, vor der Kreuzigung gebracht hatte, So wuschen sie den Unterleib des Herrn mit Schwämmen züchtig unter der übergehaltenen Decke, durch welche Er ihren Augen verborgen war, und dann ward der heiligste Leib auf Quertüchern unter dem Oberleib und den Knien, noch immer mit dem oberen Tuche bedeckt, emporgehoben, und auf der Rückseite, ohne Ihn umzuwenden, gewaschen. Sie wuschen Ihn aber so lange, bis das aus den Schwämmen ausgedrückte Wasser klar und hell niederfloss. Sie wuschen Ihn nachher noch mit Myrrhenwasser, und ich sah, dass sie den heiligsten Leib niederlegten und ehrerbietig mit ihren Händen gerade streckten, denn die Mitte desselben und die Knie waren noch etwas gekrümmt, und so erstarrt, wie Er sterbend am Kreuze zusammengesunken war. Sie legten sodann ein ellenbreites, etwa drei Ellen langes Tuch unter seine Lenden, füllten seinen Schoß gleichsam mit Kräuterbüschchen, wie ich sie manchmal auf himmlischen Tafeln[11] grün auf goldenen Tellerchen mit blauen Rändern stehen sehe, und mit feinen krausen Pflanzenfäden, wie Safran, und streuten noch über alles ein Pulver aus, welches Nikodemus in einer Büchse mitgebracht hatte. Dann wickelten sie über alle diese Spezerei den Unterleib mit der untergelegten Tuchbahn ein, zogen das Ende zwischen den Beinen herauf und steckten es über dem Unterleibe, wo die Binde anschließend gürtete, einschlagend fest, Nach dieser Verhüllung salbten sie alle Wunden der Lenden, bestreuten sie mit Spezerei und legten Kräuterbüschchen zwischen den Beinen bis zu den Füßen herab, und wickelten die Beine von unten herauf ein in diese Gewürze.

62. Die Grablegung

Die Männer legten nun den heiligen Leib auf die lederne Tragbahre, bedeckten sie mit einer braunen Decke und schoben zwei Stangen an der Seite durch. Ich ward dadurch recht an die Bundeslade erinnert, Nikodemus und Joseph trugen die vorderen Stangenenden auf den Achseln, hinten trugen Abenadar und Johannes. Hierauf folgten die heiligste Jungfrau, Maria Heli, ihre ältere Schwester, Magdalena und Maria Kleophä, dann die Schar Frauen, die entfernter gesessen, Veronika, Johanna Chusa, Maria Markus, Salome Zebedäi, Maria Salome, Salome von Jerusalem, Susanna und Anna, eine in Jerusalem erzogene Bruderstochter des heiligen Joseph. Den Zug aber beschlossen Cassius und die Soldaten. Die anderen Frauen, z.B. die Maroni von Naim, Dina, die Samariterin, und Mara, die Suphanitin, waren jetzt in Bethanien bei Martha und Lazarus.

Es schritten ein paar Soldaten mit gedrehten Fackeln voraus, denn man musste Licht in der Grabhöhle haben. So zogen sie etwa sieben Minuten weit, in leisem, wehmütigem Tone Psalmen singend, durch das Tal zum Grabgarten hin, und ich sah jenseits auf der Höhe Jakobus den Grösseren, den Bruder des Johannes, dem Zug zuschauen und dann zurückkehren, es den anderen Jüngern in den Höhlen zu verkünden.

Der unregelmässige Garten vor dem Grabfelsen, der mit Rasen bedeckt an seinem Ende liegt, hat einen lebendigen Zaun und innerhalb desselben beim Eingang noch eine Umschränkung von Querstangen, die mit eisernen Zapfen an Pfähle befestigt sind. Vor dem Eingang des Gartens und des rechts in demselben liegenden Grabfelsen stehen einige Palmbäume. Die meisten anderen Gewächse des Gartens sind Gebüsche, Blumen und Gewürzstauden.

Ich sah den Zug am Eingang des Gartens anhalten und denselben durch Aushebung einiger Stangen öffnen, deren sie sich später als Hebel bedienten, den Schlussstein der Grabtüre in die Höhle zu wälzen. Vor dem Grabfelsen angekommen, öffneten sie die Leichentrage und hoben den heiligsten Leib auf einem schmalen Brett heraus, unter welchem ein Tuch quer übergebreitet war. Nikodemus und Joseph trugen an den Enden des Brettes und die beiden anderen am Quertuch. Die Grabhöhle, die noch neu war, war von den Dienern Nikodemi gereinigt und ausgeräuchert worden; sie war ganz zierlich und hatte inwendig oben einen schönen Leist ausgehauen. Das Totenlager war am Kopf etwas breiter, als an den Füßen, und es war die Gestalt eines eingehüllten Leibes darin ausgetieft, am Kopf und den Füßen mit einer kleinen Erhöhung.

Die heiligen Frauen setzten sich dem Eingang der Grabhöhle gegenüber auf einen Sitz. Die vier Männer trugen den Leib des Herrn in die Grabhöhle hinab, setzten ihn nieder, füllten einen Teil des ausgetieften Totenlagers mit Spezereien aus, breiteten dann ein Tuch darüber und legten den heiligsten Leib darauf. Das untergelegte Tuch hing über das Grablager herab. Nun erwiesen sie dem heiligsten Leib mit Tränen und Umarmungen ihre Liebe und traten aus der Höhle. Es ging aber nur die heiligste Jungfrau in die Höhle, und ich sah, dass sie sich zu Häupten auf das Grablager, das etwa zwei Schuh hoch vom Grunde war, niedersetzte und sich weinend über den Leichnam ihres Kindes niederbeugte. Als sie die Höhle verließ, eilte Magdalena in dieselbe. Sie hatte im Garten Zweige und Blumen gebrochen, die sie über den heiligsten Leib ausstreute. Sie rang die Hände und umarmte weinend und wehklagend die Füße Jesu. Da aber die Männer draußen zum Schluß ermahnten, begab sie sich zurück zum Sitz der Frauen. Die Männer deckten nun die herabhängende Decke über den heiligsten Leib und die braune Decke über das ganze Lager, und schlossen die braunen, wahrscheinlich kupfernen oder erzenen Türen, es kam eine quere und senkrechte Stange davor. Es sah wie ein Kreuz aus.<ref>Sie bestimmte nicht, ob diese Stangen vorgelegt wurden, oder ob es bloß erhabene Leisten der Türe waren, die sich so bildeten.</ref>

Der große Stein zum Verschluss der Grabtüren, der noch vor der Höhle lag, war ungefähr von der Gestalt eines Koffers <ref>Wahrscheinlich meinte die Erzählende hiermit die Gestalt jener altertümlichen, großen Truhen oder Kisten, worin die Landleute ihrer Heimat die Kleidungsstücke bewahren. Ihr Boden ist schmäler als der Deckel, und so erhalten sie eine Ähnlichkeit mit einer Tumba, wodurch sie wohl auf den Vergleich mit einem Grabmonument geführt ward, Sie selbst hatte einen solchen Behälter in ihrer Nähe, den sie ihren Koffer nannte. Auf diese Weise beschrieb sie öfter jenen Stein, dessen Gestalt dennoch nichtganz klar wird.</ref>, oder Grabmonuments. Es konnte wohl ein Mensch ausgestreckt darauf liegen. Er war sehr schwer, und ward nun von den Männern vermittelst jener am Garteneingang ausgehobenen Stangen in die Vorhalle des Grabes vor die verschlossenen Grabtüren gewälzt. Der äußere Eingang der Vorhalle ward mit einer leichten Tür von Flechtwerk zugesetzt.

Alle Verrichtungen innerhalb der Höhle waren bei Fackelschein geschehen, weil es düster in derselben war. Ich habe während der Grablegung mehrere Männer in der Nähe des Gartens und Kalvarienberges gesehen, welche schüchtern und traurig hin und her wandelten. Ich glaube, es waren Jünger, die auf Abenadars Erzählung sich durch das Tal aus den Höhlen herangezogen hatten und wieder zurückkehrten.

63. Die Heimkehr vom Grab. Sabbat

Es war nun die Zeit, da der Sabbat eintrat, und Nikodemus und Joseph begaben sich durch ein kleines Pförtchen, das in der Nähe des Gartens durch die Stadtmauer führte, und wie ich meine, eine Privatvergünstigung war, zur Stadt. Sie sagten zu der heiligsten Jungfrau, zu Magdalena, Johannes und einigen Frauen, die nochmals zum Kalvarienberg wollten, um zu beten und einiges Zurückgelassene mitzunehmen, dass ihnen diese Pforte und ebenso auch das Tor zum Abendmahlssaal auf ihr Anpochen eröffnet werden würde. Die bejahrte Schwester der heiligen Jungfrau, Maria Heli, ward von Maria Markus und anderen Frauen zur Stadt geführt. Die Diener des Nikodemus und Joseph gingen zum Kalvarienberg, die zurückgelassenen Gerätschaften zu holen.

Die Soldaten zogen zu jenen, welche am Ausführtor standen, und Cassius ritt mit der Lanze zu Pilatus, dem er alles berichtete, was ihm begegnet war, und welchem er von allem Ferneren genaue Kundschaft zu bringen versprach, wenn er ihn der Grabwache beiordnen wolle, welche die Juden, wie ihm schon zugetragen, gewiss von ihm begehren würden. Pilatus hörte alle seine Reden mit einem geheimen Grauen an, behandelte ihn aber als einen Schwärmer, und befahl ihm aus Ekel und Aberglauben, seine Lanze, die er bei ihm abgestellt hatte, vor die Tür zu setzen.

Als die heiligste Jungfrau und ihre Begleitung vom Kalvarienberg, wo sie noch geweint und gebetet hatten, mit ihrem Gerät zurückkehrten, sahen sie einen Trupp Soldaten mit einer Fackel entgegenkommen und zogen sich auf dem Weg nach zwei Seiten zurück, bis die Schar vorüber war. Diese zogen zum Kalvarienberg, wahrscheinlich um die Kreuz vor dem Sabbat wegzunehmen und zu verscharren. Als sie vorüber waren, setzten die heiligen Frauen ihren Weg zum Einlasspförtchen fort.

Dem Joseph und Nikodemus begegneten in der Stadt Petrus, Jakobus der Größere und Jakobus der Kleinere. Sie weinten, Petrus war ganz besonders betrübt und heftig, er umarmte sie unter Tränen, klagte sich an, jammerte, nicht beim Tod des Herrn gewesen zu sein, und dankte ihnen für das Grab des Herrn. Sie waren ganz außer sich vor Schmerz. Sie bestellten, auf ihr Anpochen im Abendmahlssaal eingelassen zu werden und schieden dann, noch andere Zerstreute aufzusuchen.

Ich sah später die heiligste Jungfrau und ihre Begleitung am Abendmahlssaal pochen und einlassen, auch Abenadar wurde eingelassen, und nach und nach die meisten Apostel und mehrere Jünger. Die heiligen Frauen begaben sich abgesondert in die Wohnung der heiligsten Jungfrau. Man nahm wenige Erquickung und brachte noch einige Minuten mit Trauer und Angst und mancherlei Erzählung zu. Die Männer legten nun andere Kleider an, und ich sah sie, unter der Lampe stehend, den Sabbat halten. Dann aßen sie noch an verschiedenen Tischen im Abendmahlssaal umher Lämmer, aber ohne Zeremonien. Es war nicht das Osterlamm. Dieses hatten sie schon gestern gegessen. Es war große Verwirrung und Trauer in allen. Auch die heiligen Frauen beteten mit Maria unter einer Lampe. Später, als es ganz dunkel war, wurden noch Lazarus, Martha, die Witwe Maroni von Naim, Dina Samaritis und Mara Suphanitis eingelassen, die zum Sabbat von Bethanien kamen und aller Schmerz erneuerte sich in der Erzählung.

64. Josephs von Arimathäa Gefangennahme. Die Bewachung des heiligen Grabes

Spät ging Joseph von Arimathäa nebst einigen Jüngern und Frauen aus dem Abendmahlssaal nach Hause. Sie gingen scheu und traurig durch die Straßen von Sion. Plötzlich trat aus einem Hinterhalt in der Nähe vom Richthaus des Kaiphas ein Trupp Bewaffneter hervor und ergriff den Joseph von Arimathäa, während die anderen mit Angstgeschrei entflohen. Ich sah, dass sie den guten Joseph nicht sehr weit vom Richthaus in einem Turm der Stadtmauer einkerkerten. Es hatte Kaiphas diese Gefangennahme durch heidnische Soldaten veranlasst, welche keinen Sabbat hielten und man hatte im Sinne, Joseph etwa verhungern zu lassen und gar nichts von seinem Verschwinden zu melden.

In der Nacht vom Freitag auf Samstag berieten sich Kaiphas und die jüdischen Oberen über alles, was sie bei den wunderbaren Ereignissen und der Stimmung des Volkes zu tun hätten. Noch in der Nacht gingen sie auch zu Pilatus, ihm zu sagen, dass jener Verführer des Volkes bei seinem Leben vorgegeben habe, er werde am dritten Tage wieder auferstehen. Pilatus möge darum das Grab bis zum dritten Tag bewachen lassen, damit nicht die Jünger Jesu den Leib etwa stehlen und dann verbreiten könnten, er sei von den Toten erstanden. So würde der zweite Betrug noch ärger, als der erste werden.

Pilatus wollte sich jedoch nicht weiter mit der Sache einlassen und sagte zu ihnen: «Ihr habt ja eine Wache, geht und bewachet sein Grab, wie ihr könnt.» Er gab ihnen aber den Cassius zur Wache hinzu, der alles beobachten und ihm berichten sollte. Ich sah sie hierauf zu Zwölf vor Sonnenaufgang hinausgehen. Die sie begleitenden Soldaten waren nicht römisch gekleidet, sie waren Tempelsoldaten und schienen mir eine Art Trabanten. Sie nahmen Feuerkörbe auf Stangen mit hinaus, um bei der Nacht alles bemerken zu können, und Licht in der düstern Grabhöhle zu haben.

Als sie bei ihrer Ankunft sich von der Anwesenheit des Leichnams überzeugt hatten, zogen sie ein Band quer vor die Türe des Grablagers, und von diesem Band wieder ein zweites zu dem vorliegenden Stein nieder, und versiegelten diese Bänder mit einem halbmondförmigen Siegel. Nun kehrten sie zur Stadt, und die Wache setzte sich der äußeren Grabtür gegenüber. Es waren abwechselnd fünf bis sechs Mann da, indem einzelne dann und wann Nahrungsmittel aus der Stadt holten. Cassius aber verließ seinen Posten nicht, er stand oder saß meistens im Graben vor dem Eingang der Höhle in der Richtung, dass er gegen die Seite des verschlossenen Grablagers sehen konnte, auf der die Füße des Herrn lagen. Er hatte große innere Gnaden empfangen und ward vieler geistiger Anschauungen von Geheimnissen teilhaftig, so dass er, solcher Zustände ganz ungewohnt, die meiste Zeit in wunderbar innerer Erleuchtung, gleichsam berauscht und aller äußeren Dinge bewusstlos, zubrachte. Er wurde hier erst ganz verwandelt und ein neuer Mensch. Er brachte den Tag in Reue, in Dank und Anbetung zu.

65. Die Freunde Jesu am Karsamstag

Ich sah gestern abend die Männer im Abendmahlssaal, wie gesagt, da sie alle zusammen waren, ungefähr zwanzig an der Zahl, in langen weißen Kleidern mit Gürteln, unter einer Lampe den Sabbat feiern und dann essen. Sie trennten sich hierauf, um zu schlafen, mehrere gingen zu anderen Wohnungen. Auch heute sah ich sie meistens still in dem Hause versammelt, abwechselnd zum Gebet und Lesen zusammengetreten, und dann und wann irgend einige Hinzukommende einlassen.

In dem Hause, wo die heiligste Jungfrau sich aufhielt, war ein großer Saal, und mehrere kleine Winkel darin durch Teppiche und Stellwände zu einzelnen Schlafzellen abgesondert. Als die heiligen Frauen, vom Grab zurückgekehrt, alles Gerät wieder an seine Stelle geordnet hatten, zündete eine aus ihnen die in der Mitte dieses Saales hängende Lampe an, und sie traten unter derselben um die heiligste Jungfrau zusammen und beteten wechselseitig in großer Betrübnis und Andacht. Hierauf nahmen sie einige Erquickung zu sich, und es traten Martha, Maroni, Dina und Mara zu ihnen ein, welche nach dem Sabbat von Bethanien mit Lazarus gekommen waren, der in den Abendmahlssaal zu den Männern ging. Als sie unter gegenseitigen Tränen den Neuangekommenen den Tod und die Bestattung des Herrn mitgeteilt hatten, und es spät geworden war, ließen einige der Männer, worunter Joseph von Arimathäa, diejenigen der Frauen abrufen, welche zu ihren Wohnungen in der Stadt zurückgehen wollten, und sie schieden voneinander. Auf dem Heimwege dieser Schar ward Joseph bei dem Richthaus des Kaiphas aus ihrer Mitte gerissen und in einen Turm gefangen gesetzt.

Die versammelt gebliebenen Frauen sonderten sich nun in die rings in dem Saal abgeschirmten Schlafzellen ab, hängten lange Tücher über den Kopf und saßen noch eine Weile, gegen die an den Wänden aufgerollten Schlafdecken gelehnt, in stiller Trauer an der Erde. Hierauf erhoben sie sich, rollten die Schlafdecken auf, legten ihre Sohlen und Gürtel und einiges ihrer Kleidung ab, verhüllten sich dann über das Haupt bis zu den Füßen herab, wie sie gewöhnlich zu schlafen pflegen, und legten sich auf die ausgebreiteten Lager zu kurzem Schlaf nieder, denn nach Mitternacht erhoben sie sich schon wieder, rüsteten ihre Kleidung, rollten ihre Lager zusammen und traten abermals um die heiligste Jungfrau unter die Lampe und beteten wechselseitig.

Als die heiligste Jungfrau und die heiligen Frauen dieser nächtlichen Gebetspflicht, welche ich, seit gebetet wird, häufig von getreuen Kindern Gottes und heiligen Menschen teils durch persönliche Gnade, teils durch göttliche und kirchliche Anordnung angeregt, beobachtet sah, selbst nach so großen Leiden genug getan hatten, pochte Johannes mit einigen Jüngern, nachdem auch die Männer im Abendmahlssaal unter der Lampe gebetet hatten, am Saal der Frauen an, welche sich sogleich in ihre Mäntel verhüllten und ihnen mit der heiligsten Jungfrau zum Tempel folgten.

Um die nämliche Zeit ungefähr, als das Grab versiegelt wurde, etwa gegen drei Uhr morgens, sah ich die heiligste Jungfrau mit den anderen heiligen Frauen, Johannes und mehreren Jüngern zum Tempel kommen. Es pflegten viele Juden am Morgen nach dem Essen des Osterlammes bei Anbruch des Tages zum Tempel zu gehen, der dann um Mitternacht schon eröffnet wurde, weil die Opfer an diesem Morgen sehr früh anfingen. Heute aber war durch die Störung des Festes und die Verunreinigung des Tempels alles vernachlässigt, und es schien mir, als wolle die heiligste Jungfrau mit den Ihrigen nur Abschied vom Tempel nehmen, in dem sie, das Heiligtum anbetend, erzogen worden war, bis sie selbst das Heiligtum in ihrem Schoß trug, welches gestern als das wahre Osterlamm so grausam geopfert wurde. Der Tempel war nach der Gewohnheit dieses Tages offen und von Lampen erhellt, und selbst der Vorhof der Priester, wie an diesem Morgen gebräuchlich, dem Volk zugänglich. Aber der Tempel war außer einigen Wächtern und Dienern fast ganz leer von Menschen. Alles lag meist noch wüst und unordentlich durch die furchtbaren Störungen des gestrigen Tages. Durch die Toten war der Tempel verunreinigt, und ich musste immer bei dem Anblick denken: wie werden sie nur das wieder gut machen?

Simeons Söhne und die Neffen Josephs von Arimathäa, weIche durch die Nachricht von der Einziehung ihres Oheims sehr traurig waren, trafen mit der heiligsten Jungfrau und ihrer Begleitung zusammen und führten sie überall umher, denn sie hatten die Aufsicht im Tempel. Sie sahen mit Schrecken und Anbetung der Zeugnisse Gottes schweigend alle Zerstörung an, nur hie und da erzählten die Begleiter mit wenigen Worten die Ereignisse des gestrigen Tages.

Ich sah mancherlei Verwüstung von gestern noch ohne alle Wiederherstellung. Auf der Stelle, wo die Vorhalle und das Heilige des Tempels sich vereinigen, waren die Mauern so auseinander gewichen, dass man wohl durchschlüpfen konnte, ja die Mauern drohten noch nachzustürzen. Die Schwelle über dem zerrissenen Vorhang vor dem Heiligen war gesunken, die Säulen, welche die Schwelle trugen, waren oben auseinander gewichen, und der Vorhang hing von oben nach unten in zwei Teile zerspalten zu den Seiten nieder. Durch den aus der nördlichen Seite des Tempels bei Simeons eingestürzter Betzelle herausgefallenen großen Stein war an der Stelle, wo Zacharias erschienen, in der Vorhalle eine so große Öffnung entstanden, dass die heiligen Frauen ungehindert hindurch gehen, und hier bei dem großen Lehrstuhl, wo Jesus als Knabe gelehrt, durch den zerrissenen Vorhang ins Allerheiligste sehen konnten, was sie sonst nicht durften. Außerdem waren hie und da Wände geborsten, Stellen im Boden versunken, Schwellen verrückt und Säulen aus ihrer Richtung gekommen.

Die heiligste Jungfrau ging mit ihrer Begleitung an alle SteIlen, die ihr durch Jesus heilig waren. Sie küsste, sich niederwerfend, die heiligen Orte, und sprach ihr Andenken unter Tränen mit wenigen rührenden Worten aus. Auch ihre Begleiterinnen taten so.

Die Juden haben eine ungemeine Verehrung vor allen Orten, an denen etwas geschehen, das ihnen heilig ist. Sie berühren und küssen diese Orte und werfen sich mit dem Gesicht darauf nieder. Ich habe mich nie darüber wundern können. Wenn man weiß und glaubt und fühlt, dass der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs ein lebendiger Gott ist, und unter seinem Volk wohnte im Tempel, seinem Haus zu Jerusalem, so müsste man sich eher wundern, wenn sie es nicht täten. Wer an einen lebendigen Gott glaubt, an einen Vater und Erlöser und Heiliger der Menschen, seiner Kinder, der wundert sich nicht, dass Er lebendig aus Liebe bei den Lebendigen ist, und dass diese Ihm und allem, was sich auf Ihn bezieht, mehr Liebe, Ehre und Anbetung erweisen, als ihren irdischen Eltern, Freunden, Lehrern, Obern und Fürsten. Es war bei den Juden im Tempel und an heiligen Orten, wie bei uns Christen vor dem allerheiligsten Sakrament. Aber auch bei den Juden hat es Blinde und Aufgeklärte gegeben, wie es deren bei uns gibt, welche den lebendig gegenwärtigen Gott nicht anbeten, den Götzen der Welt aber im abergläubigsten Dienste verfallen sind. Sie denken der Worte Jesu nicht: «Wer mich verleugnet vor den Menschen, den will Ich auch vor meinem Himmlischen Vater verleugnen.» Solche Menschen, welche dem Geiste und der Unwahrheit der Welt mit Gedanken, Worten und Werken ohne Unterbrechung dienen, alle äußerliche Gottesverehrung aber verwerfen, sagen wohl, wenn sie etwa Gott selbst noch nicht als zu äußerlich verworfen haben: «wir beten Gott an im Geiste und in der Wahrheit», aber sie wissen nicht, dass dieses heißt im Heiligen Geist und dem Sohn, der Fleisch angenommen hat aus Maria, der Jungfrau, und der Wahrheit ein Zeugnis gegeben, und unter uns gelebt hat, und für uns gestorben ist auf Erden, und bei seiner Kirche im heiligen Sakramente gegenwärtig sein will, bis ans Ende der Tage.

Die heiligste Jungfrau ging in solcher Verehrung mit ihren Begleiterinnen an viele Stellen des Tempels. Sie zeigte ihnen, wo sie als kleines Mägdlein den Tempel zuerst betreten, und wo sie, an der südlichen Seite des Tempels, bis zu ihrer Vermählung erzogen worden. Sie zeigte, wo sie dem heiligen Joseph vermählt worden, wo sie Jesus geopfert, und, wo Simeon und Anna die Prophezeiung ausgesprochen, da weinte sie bitterlich, die Prophezeiung war erfüllt, das Schwert war durch ihre Seele gegangen. Sie zeigte, wo sie Jesus als Knaben lehrend im Tempel gefunden, und küsste den Lehrstuhl ehrerbietig. Auch bei dem Schatzkasten waren sie, in weIchen die Witwe ihr Scherflein geworfen, und an der Stelle, wo der Herr der Ehebrecherin vergeben. Und nachdem sie so alle durch Jesus denkwürdigen Ort mit Erinnerung, Berührung, Tränen und Gebet gefeiert hatten, kehrten sie auf Sion zurück.

Die heiligste Jungfrau trennte sich unter vielen Tränen in tiefem Ernste vom Tempel, dessen Störung und Öde, an sonst so heiligem Tag, ein Zeugnis von der Sünde ihres Volkes gab. Sie gedachte, wie Jesus über den Tempel geweint, und wie Er prophezeit: «Brecht diesen Tempel ab und in drei Tagen will Ich ihn wieder aufrichten», und sie gedachte, wie die Feinde Jesu den Tempel seines Leibes zertrümmert, und sehnte sich nach dem dritten Tag, auf dass sich das Wort der ewigen Wahrheit erfülle.

Mit Anbruch des Tages wieder auf Sion am Abendmahlssaal angekommen, begab sich die heiligste Jungfrau mit ihren Begleiterinnen in ihre rechts am Hof abgesondert liegende Wohnung. Am Eingang trennten sich Johannes und die Jünger von ihnen und gingen zu den übrigen Männern in den Abendmahlssaal, welche wohl zu zwanzig heute den ganzen Sabbat im Abendmahlssaal in Trauer und Gebet unter der Lampe abwechselnd versammelt waren. Ich sah sie auch dann und wann Neuhinzukommende mit Schüchternheit einlassen und sich mit ihnen unter Tränen besprechen. Alle hatten eine innige Ehrfurcht und eine Art Beschämung vor Johannes, der beim Tod des Herrn zugegen gewesen. Johannes aber war voll Teilnahme und Liebe gegen sie. Und unbefangen wie ein Kind, trat er vor jedem zurück. Ich habe sie auch einmal essen sehen. Sie waren übrigens sehr stille versammelt und das Haus war verschlossen. Man konnte sie auch hier nicht anfechten, denn das Haus gehörte dem Nikodemus, und sie hatten es zum Ostermahl gemietet.

Ich sah nun wieder die heiligen Frauen bis zum Abend bei verschlossenen Türen und verdeckten Fenstern im dunkeln Saal, der nur vom Licht der Lampe erhellt war, versammelt. Bald ordneten sie sich unter der Lampe um die heiligste Jungfrau zum Gebet, bald zogen sie sich einzeln in getrennte Abschläge zurück, verhüllten das Haupt mit Trauerdecken, und setzten sich entweder in flachen, mit Asche bestreuten Kasten zur Trauer nieder, oder beteten mit zur Wand gekehrtem Gesicht. So oft sie unter der Lampe zum Gebete zusammentraten, legten sie erst ihre Trauerhüllen in den abgesonderten Kämmerchen ab. Ich sah auch, dass die Schwächeren aus ihnen wenige Speise zu sich nahmen, die anderen aber fasteten.

Mehrmals wendete sich mein Blick hierher, und immer sah ich alle auf die Weise, wie ich es beschrieben habe, im dunklen Saale betend oder trauernd, Und indem sich meine Betrachtung dem Andenken der heiligsten Jungfrau an unseren Heiland anschloss, sah ich einigemale das heilige Grab und etwa sieben Wachen, welche dem Eingang gegenüber saßen oder standen. Dicht an der Tür des Felsengewölbs, in dem davor befindlichen Graben, stand Cassius ununterbrochen, ganz still und innerlich. Ich sah die Türen vor dem Grablager geschlossen und den Stein davor liegen. Durch die Türen hindurch aber sah ich den Leib des Herrn noch, wie er hingelegt worden war, von Licht und Glanz umgeben, zwischen zwei anbetenden Engeln ruhen. Als sich jetzt meine Betrachtung zu der heiligen Seele unseres Erlösers hinwendete, ward mir ein so großes und mannigfaltiges Bild der Höllenfahrt gezeigt, dass ich nur einen sehr kleinen Teil davon habe behalten können, den ich so gut erzählen will, als ich es vermag-

66. Einiges von der Höllenfahrt

Als Jesus mit einem lauten Schrei seine allerheiligste Seele aufgab, sah ich diese als eine Lichtgestalt mit vielen Engeln, unter denen auch Gabriel war, am Fuße des heiligen Kreuzes in die Erde hinabfahren. Seine Gottheit aber sah ich sowohl mit dieser seiner Seele, als mit seinem am Kreuz hängenden Leib vereinigt bleiben. Ich vermag die Weise, wie dieses geschah, nicht auszusprechen, Ich sah den Ort, wo die Seele Jesu hinging, als drei Teile, wie drei Welten, und hatte die Empfindung, dass sie rund seien, und dass jeden dieser Orte eine Umgebung, eine Sphäre, von dem anderen scheide.

Vor der Vorhölle war ein heller, und sozusagen grüner und heiterer Raum. Es war dies jener Raum, in welchen ich immer die vom Fegefeuer erlösten Seelen eintreten sehe, ehe sie zum Himmel geführt werden. Die Vorhölle, in welcher jene sich befanden, die einer Erlösung harrten, war mit einer grauen, nebligen Sphäre umgeben und in verschiedene Kreise geteilt. Der Heiland, leuchtend und von den Engeln, wie im Triumph geführt, drang zwischen zweien dieser Kreise hindurch, deren linker die Altväter bis auf Abraham, deren rechter die Seelen von Abraham bis auf Johannes den Täufer umfasste. Jesus drang zwischen beiden hindurch, und sie kannten Ihn noch nicht, aber alles erfüllte sich mit Freude und Sehnsucht, und es war, als erweiterten sich diese bangen, bedrängten Räume der Sehnsucht. Es drang wie Luft, wie Licht, wie Tau der Erlösung erquickend durch sie hin, und alles dieses war schnell, wie das Wehen eines Windes. Der Herr aber drang zuerst zwischen diesen beiden Kreisen in einen nebligen Raum, wo sich Adam und Eva, die ersten Eltern, befanden. Er redete zu ihnen, und sie beteten Ihn mit unaussprechlichem Entzücken an. Der Zug des Herrn drang nun, vom ersten Menschenpaar begleitet, links zu der Vorhölle der Altväter, welche vor Abraham gelebt. Es war dieses eine Art Fegefeuer, denn es waren hie und da böse Geister zwischen ihnen, welche einzelne aus diesen Seelen mannigfach bedrängten und ängstigten. Die Engel pochten an und befahlen zu öffnen, denn hier war ein Eingang, weil ein Eindringen, ein Tor, weil ein Abschluss, ein Pochen, weil ein Ankünden des Kommens, und es war mir, als riefen die Engel: «Tuet auf die Pforten, öffnet die Tore!» Und Jesus zog ein im Triumph und die bösen Geister wichen zurück und schrieen: «Was hast Du mit uns, was willst Du hier, willst Du uns nun auch kreuzigen?» und dergleichen. Die Engel aber banden sie und trieben sie vor sich her. Diese Seelen aber kannten Jesus nur wenig und wussten nur dunkel von Ihm, und Er verkündigte sich ihnen, und sie lobsangen Ihm. Nun wendete sich die Seele des Herrn zum Raum zur Rechten, zu der eigentlichen Vorhölle, und vor dieser begegnete Ihm die Seele des guten Schächers, von Engeln begleitet in Abrahams Schoß eingehend, und der böse Schächer, der von bösen Geistern umgeben zur Hölle fuhr. Die Seele Jesu redete sie an und zog sodann, von der Schar der Engel und Erlösten und der vertriebenen bösen Geister begleitet, in den Schoß Abrahams eine

Dieser Raum schien mir höher zu liegen. Es war, als gehe man unter dem Kirchhof und steige dann aus der Erde in die Kirche empor. Die gebundenen bösen Geister sträubten sich und wollten nicht hier durch, aber sie wurden von den Engeln mit Gewalt hindurch geführt. Hier waren alle heiligen Israeliten, links die Patriarchen, dann Moses, die Richter, die Könige. Rechts die Propheten und alle Vorfahren Jesu und ihre Verwandten bis auf Joachim, Anna, Joseph, Zacharias, Elisabeth und Johannes. Hier in diesem Raum waren keine bösen Geister und keine Qual, als die Sehnsucht nach der Verheißung, und diese war jetzt erfüllt. Eine unaussprechliche Wonne und Seligkeit durchdrang alle die Seelen, welche den Erlöser begrüssten und anbeteten. Die gefesselten bösen Geister aber mussten gezwungen ihre Schmach vor ihnen bekennen. Viele der Seelen wurden emporgesandt, ihre Leiber aus den Gräbern zu erheben, und in diesen sichtbar Zeugnis vom Herrn zu geben. Dieses war die Zeit, als so viele Tote aus ihren Gräbern in Jerusalem hervorgingen. Sie erschienen mir wie wandelnde Leichen und legten ihre Leiber wieder zur Erde, wie ein Gerichtsbote seinen Amtsmantel ablegt, wenn er die Befehle seiner Obrigkeit vollzogen hat.

Ich sah nun den Triumphzug des Heilandes wieder in eine tiefere Sphäre eindringen, wo sich fromme Heiden, welche die Wahrheit geahnt und sich nach ihr gesehnt, in einer Art von Reinigungsort befanden. Es waren böse Geister unter ihnen, denn sie hatten Götzenbilder. Ich sah die bösen Geister gezwungen, ihren Trug zu bekennen, und sah die Seelen mit rührender Freude dem Heiland huldigen. Es wurden auch hier die Teufel gefesselt und weiter getrieben.

So sah ich im Triumph den Erlöser mancherlei Seelenbehälter befreiend in großer Schnelligkeit durchziehen, und noch unendlich vieles tun. Ich vermag es aber in meinem elenden Zustand nicht auszusprechen.

Endlich sah ich Ihn mit großem Ernst zum Kern des Abgrundes, zur Hölle nahen. Sie erschien mir in Form eines unübersehbar großen, schrecklichen, schwarzen, metallglänzenden Felsenbaues, dessen Eingang ungeheure, furchtbare, schwarze Tore mit Riegeln und Schlössern bildeten, die Grausen erregten. Ein Gebrüll und Geschrei des Entsetzens wurde vernommen, die Tore wurden aufgestoßen und es erschien eine gräuliche, finstere Welt.

So wie ich die Wohnungen der Seligen in Gestalt des himmlischen Jerusalems, als eine Stadt, und nach unzähligen Bedingungen der Seligkeit, als verschiedenartige Schlösser und Gärten voll wunderbarer Früchte und Blumen mancher bestimmten Arten zu sehen pflege, sah ich auch hier alles in Form einer zusammenhängenden Welt, in Gestalt von mannigfachen Gebäuden, Räumen und Gefilden. Aber alles ging aus dem Gegensatz der Seligkeit, aus Pein und Qual, hervor. Wie im Aufenthalt der Seligen alles nach den Gründen und Verhältnissen des unendlichen Friedens, der ewigen Harmonie und Genugtuung geformt erscheint, so hier alles in den Missverhältnissen des ewigen Zornes, der Uneinigkeit und der Verzweiflung. Wie im Himmel unaussprechlich schöne, durchsichtige, mannigfache Gebäude der Freude und der Anbetung, so hier ebenso unzählig mannigfaltige finstere Kerker und Höhlen der Qual, des Fluches, der Verzweiflung. Wie dort die wunderbarsten Gärten voll Früchte der göttlichen Erquickung, so hier die grässlichsten Wüsten und Sümpfe voll Qual und Pein und allem, was Gräuel und Ekel und Entsetzen erregen kann. Ich sah Tempel, Altäre, Schlösser, Throne, Gärten, Seen, Ströme des Fluches, des Hasses, des Gräuels, der Verzweiflung, der Verwirrung, Pein und Marter, wie im Himmel des Segens, der Liebe, der Eintracht, Freude und Seligkeit. Hier die zerreissende ewige Uneinigkeit der Verdammten, wie dort die selige Gemeinschaft der Heiligen. Alle Wurzeln der Verkehrtheit und Unwahrheit waren hier in unzähligen Erscheinungen und Werken der Qual und Pein ausgebildet, und nichts war recht hier, kein Gedanke beruhigend, als der ernste Gedanke an die göttliche Gerechtigkeit, dass jeden Verdammten die Qual und Pein ergriff, welche seine Schuld für ihn gepflanzt hatte, denn alles Schreckliche, was hier erschien und geschah, war das Wesen und die Gestalt und der Zorn der entlarvten Sünde, der Schlange, welche sich gegen jene wendet, die sie in ihrem Busen genährt, Ich sah da einen ganz schauderhaften Säulenbau mit Verhältnissen ebenso zu Schreck und Angst eingerichtet, wie im Reich Gottes zu Frieden und Ruhe usw.. Es ist dies alles wohl zu verstehen, aber im einzelnen unaussprechlich!

Als die Tore von den Engeln aufgestoßen worden, sah man in ein Gewühl von Widersetzen, Fluchen, Schimpfen, Heulen und Wehklagen. Ich sah, dass Jesus die Seele des Judas anredete. Einzelne Engel warfen ganze Scharen von bösen Geistern nieder. Alle mussten Jesus erkennen und anbeten, und dieses war ihnen die furchtbarste Qual. Eine große Menge wurde in einen Kreis um andere herum gefesselt, welche dadurch gebunden wurden. In der Mitte war ein Abgrund von Nacht. Luzifer ward gefesselt in diesen geworfen und es brodelte schwarz um ihn. Es geschah alles dieses nach bestimmten Gesetzen. Ich hörte, dass Luzifer, wo ich nicht irre, 50 oder 60 Jahre vor dem Jahre 2000 nach Christus wieder auf eine Zeitlang solle freigelassen werden. Viele andere Zahlenbestimmungen weiß ich nicht mehr. Einige andere sollten früher zur Strafe und Versuchung freigelassen werden. In unsere Zeit, meine ich, traf die Freilassung einiger, und anderer kurz nach unserer Zeit.

Es ist mir unmöglich, alles zu sagen, was mir gezeigt wurde, es ist zu viel, und ich kann es nicht in Ordnung und in die Reihe bringen, auch bin ich so schrecklich krank, und wenn ich davon spreche, kommt mir alles wieder vor die Augen, und man könnte sterben bei dem Anblick.

Ich sah aber noch, wie die erlösten Seelen in unendlichen Scharen aus den Reinigungsorten und der Vorhölle die Seele des Herrn, nach einem freudigen Ort unter dem Himmlischen Jerusalem, emporbegleiteten. Es ist dort, wo ich vor einiger Zeit auch einen seligen Freund von mir gesehen habe. Hierhin kam nun auch die Seele des frommen Schächers und sah den Herrn nach seiner Verheißung im Paradies wieder. Ich sah, dass hier den Seelen Freude und Erquickung an solchen himmlischen Tafeln bereitet war, wie sie mir öfters in Trostbildern erschienen.

Ich kann von allem diesem keine Zeit und keine Dauer bestimmen, auch vermag ich nicht alles zu erzählen, was ich gesehen und gehört habe, weil ich es jetzt teils selbst nicht mehr verstehe, und weil es teils missverstanden werden könnte. Ich habe aber den Herrn an sehr verschiedenen Orten, sogar im Meer gesehen. Es war, als heilige und befreie Er alle Kreatur, überall flohen vor Ihm die bösen Geister zum Abgrund. Ich sah dann auch die Seele des Herrn an vielen Orten in der Erde. Ich sah sie innerhalb des Grabes von Adam unter Golgatha erscheinen, und die Seelen von Adam und Eva kamen dort wieder zu Ihm, und Er sprach mit ihnen, und ich sah Ihn, wie unter der Erde, mit ihnen in vielen Richtungen von Grab zu Grab vieler Propheten hinziehend, deren Seelen sich bei ihren Gebeinen zu Ihm gesellten, und denen Er vieles erklärte. Dann sah ich Ihn mit dieser auserwählten Schar, worunter auch David war, an vielen Orten seines Lebens und Leidens erscheinen und ihnen das Vorbildliche, das ihnen dort geschehen war, erklären und alle seine Erfüllung desselben mit unaussprechlicher Liebe zueignen.

So sah ich Ihn unter anderen auch den Seelen an seiner Taufstelle, wo viel Vorbildliches geschehen war, alles erklären, und ich betrachtete mit tiefer Rührung über die unendliche Barmherzigkeit Jesu, als lasse Er ihnen die Gnade seiner heiligen Taufe zugute kommen.

Es ist unaussprechlich rührend, die Seele des Herrn von diesen seligen, getrösteten Geistern umgeben, leuchtend durch die dunkle Erde, durch Felsen, durch Wasser und Luft und über der Erde ruhig hinschweben zu sehen.

Dieses ist das Wenige, was ich mich noch aus meiner reichen Betrachtung der Höllenfahrt des Herrn und seiner Erlösung der gerechten Seelen der Altväter nach seinem Tod erinner, aber ich sah auch außer diesem zeitlichen Bild ein ewiges Bild seiner Barmherzigkeit mit den armen Seelen an diesem Tag. Ich sah, wie Er bei der jährlichen Feier dieses Tages durch die Kirche einen rettenden Blick in das Fegfeuer wirft. Ich sah, wie Er noch heute am Karsamstag, da ich diese Betrachtung hatte, einzelne Seelen, die sich bei seiner Kreuzigung versündigt hatten, aus dem Reinigungsort erlöste. Ich sah heute die Erlösung vieler mir unbekannten und auch bekannten Seelen, aber ich nenne sie nicht.

Die Erzählende sprach noch heute in ekstatischem Zustande so viel als: das erste Absteigen Jesu zur Vorhölle ist die Erfüllung früherer Vorbilder, und selbst wieder ein Vorbild, dessen Erfüllung das heutige Erlösen ist. Die Höllenfahrt, die ich sah, ist ein Bild aus einer verflossenen Zeit, aber das heutige Erlösen ist eine fortdauernde Wahrheit, denn die Höllenfahrt Jesu ist das Pflanzen eines Gnadenbaumes seiner Verdienste für die Armen Seelen, und das fortwährende und auch heutige Erlösen der Armen Seelen ist das Fruchtbringen dieses Gnadenbaumes im geistlichen Garten des Kirchenjahres. Die streitende Kirche aber muss den Baum pflegen und die Früchte sammeln, und der leidenden Kirche zukommen lassen, weil diese selbst nichts für sich wirken kann. So ist es mit allen Verdiensten des Herrn, wir müssen mitwirken, um ihrer teilhaftig zu werden. Im Schweiße unseres Gesichtes sollen wir unser Brot essen. Alles, was Jesus in der Zeit für uns getan, bringt ewige Früchte, aber wir müssen sie in der Zeit pflegen und brechen, sonst könnten wir sie nicht in der Ewigkeit genießen usw.. Die Kirche ist ein vollkommener Hausvater, ihr Jahr ist der vollkommenste Garten aller ewigen Früchte in der Zeit, es ist in einem Jahre genug von allem für alle. Wehe allen faulen und treulosen Pflegern des Gartens, so irgend eine Gnade verkommen würde, die einen Kranken hätte heilen, einen Schwachen hätte stärken, einen Hungernden hätte sättigen können: sie werden am Tage des Gerichtes dem Hausvater auch das letzte Hälmlein verrechnen müssen !

AUFERSTEHUNG. HIMMELFAHRT. SENDUNG DES HEILIGEN GEISTES

1. Vorabend vor der heiligen Auferstehung

Am Schluss des Sabbats kamen nacheinander Johannes, Petrus und Jakobus Major zu den heiligen Frauen, mit ihnen zu trauern und sie zu trösten. Nachdem sie sich entfernt hatten, setzten sich die heiligen Frauen in Trauermäntel gehüllt nochmals in die mit Asche bestreuten abgesonderten Räume und beteten.

Der heiligsten Jungfrau aber sah ich einen Engel erscheinen, der ihr meldete, es nahe der Herr, sie solle hinausgehen zum Pförtchen des Nikodemus. Da ward das Herz Mariä von Freude erfüllt. Ohne den heiligen Frauen etwas zu sagen, eilte sie in ihren Mantel gehüllt zur Pforte an der Stadtmauer, durch welche sie vom Grabgarten hereingegangen waren.

Es mochte gegen neun Uhr abends sein, als ich die heiligste Jungfrau in der Nähe der Pforte an einsamer Stelle auf ihrem eiligen Wege plötzlich innehalten sah. Sie schaute wie entzückt mit freudiger Begierde gegen die hohe Stadtmauer hin. Ich sah die heiligste Seele Jesu leuchtend und ohne Wundmale von einer großen Schar der Seelen der Altväter begleitet zu Maria heranschweben. Jesus sprach aber, sich zu den Altvätern wendend und auf die heiligste Jungfrau hindeutend, die Worte: «Maria, meine Mutter!» Und es war, als umarmte Er sie. Da verschwand Er, Die heiligste Jungfrau sank auf die Knie und küsste die Erde, wo Er gestanden, ihre Knie und Füße blieben im Steine abgedrückt. Sie eilte mit unaussprechlichem Trost zu den Frauen zurück, die sie mit Zubereitung von Salben und Spezereien an einer Tafel beschäftigt fand. Sie sagte ihnen nicht, was ihr geschehen, aber sie tröstete und stärkte sie im Glauben.

Die Tafel, an welcher die heiligen Frauen standen, lag auf einem Untergestell mit gekreuzten Füßen gleich einem Anrichttisch und war mit einer Decke bis zur Erde überhängt. Ich sah einzelne an diesem Tisch allerlei Kräuterbüsche auslesen, mischen und ordnen. Auch hatten sie kleine Flaschen mit Salbe und Nardenwasser dabei, und mehrere lebendige Blumen, worunter ich mich einer gestreiften Iris oder Lilie erinnere. Sie packten alles in Tücher. In Marias Abwesenheit waren Magdalena, Maria Kleophä, Salome Chusa und Maria Salome zur Stadt gegangen, alles dieses zu kaufen. Sie wollten morgen früh den eingehüllten Leichnam des Herrn damit bestreuen und begießen. Einen Teil davon sah ich von den Jüngern bei der Krämerin holen und im Haus abgeben, ohne zu den Frauen hereinzutreten.

Darnach hatte ich einen Blick auf Joseph, der in seinem Kerker betete. Der Kerker wurde plötzlich mit Licht erfüllt und Joseph hörte sich mit Namen rufen. Ich sah aber oben an einer Steinfügung die Decke, wie von der Mauer aufgehoben, und eine leuchtende Gestalt, welche ein Tuch herabließ, das mich an das Grabtuch erinnerte, in das er Jesus gehüllt hatte, und ihm befahl, daran heraufzusteigen. Ich sah nun, wie Joseph das Tuch mit beiden Händen ergriff und, sich mit den Füßen an hervorstehende Steine der Mauer stemmend, wohl zwei Mannshöhen zu der Öffnung emporstieg, die sich hinter ihm wieder schloss. Als er oben war, sah ich die Erscheinung verschwunden. Ich selbst weiß nicht, war es der Herr oder ein Engel, der ihn befreite.

Ich sah ihn nun unbemerkt eine Strecke auf der Stadtmauer bis in die Nähe des Abendmahlssaals hinlaufen, welches der mittäglichen Mauer von Sion nahe lag. Hier stieg er herab und pochte am Abendmahlssaal. Die versammelten Jünger hatten die Türen verschlossen und waren schon sehr traurig über das Verschwinden Josephs gewesen. Sie glaubten auf die Nachricht davon, man habe ihn in eine Kloake geworfen. Als man ihm öffnete, und er unter sie eintrat, war ihre Freude ebenso groß, wie nachmals, da Petrus aus dem Kerker befreit zu ihnen kam. Er erzählte die Erscheinung, die er gehabt, und sie waren darüber erfreut und getröstet, gaben ihm Speise und dankten Gott. Er ist aber noch in der Nacht aus Jerusalem nach seiner Vaterstadt Arimathäa entflohen, ist jedoch auf die Nachricht, dass keine Gefahr mehr für ihn sei, wieder nach Jerusalem zurückgekehrt.

Ich sah auch nach Schluss des Sabbats Kaiphas und andere hohe Priester im Haus des Nikodemus, diesen um manches, scheinbar ganz wohlgesinnt, fragen. Ich weiß nicht mehr, was es war. Er aber blieb streng und treu in seiner Verteidigung des Herrn, und sie schieden.

Um das heilige Grab war es stille und ruhig. Etwa sieben Wächter saßen und standen dem Hügel gegenüber und umher. Cassius hatte den ganzen Tag seine Stelle im Graben vor dem Eingang der Höhle selten auf wenige Augenblicke verlassen. Er stand auch jetzt wieder unten in Betrachtung und Erwartung, denn er war großer Gnaden und Erleuchtung teilhaftig geworden. Es war Nacht, die Feuerkörbe vor der Grabhöhle warfen einen grellen Schein. Ich sah den heiligsten Leib unverändert, eingehüllt, von Lichtglanz umgeben, Zwei Engel waren seit der Grablegung in stiller Anbetung zu Häupten und Füßen desselben. Sie waren in priesterlicher Gestalt und erinnerten durch ihre ganze Stellung und mit den auf der Brust gekreuzten Armen, an die Cherubim auf der Bundeslade, außer dass ich keine Flügel an ihnen sah. Überhaupt mahnte mich das ganze Begräbnis und das Grablager des Herrn öfters sehr lebhaft an die Bundeslade in verschiedenen Zeiten ihrer Geschichte. Es mag dieses Licht und die Gegenwart der Engel dem Cassius einigermaßen sichtbar geworden und er deswegen in so beständigem Hinschauen zum verschlossenen Grab gestanden sein, gleich einem, der das heiligste Sakrament anbetet.

Ich sah nun, als schwebe die heiligste Seele Jesu mit den erlösten Geistern der Altväter durch den Felsen zum Grablager hin und lasse sie die ganze Misshandlung seines heiligsten Marterleibes erkennen. Es schienen die Hüllen wie abgestreift, denn ich sah den heiligsten Leib voll Wunden, und es war, als ob die beiwohnende Gottheit den heiligsten Leib in seiner ganzen Zerrissenheit und Marter auf eine geheimnisvolle Weise vor den Seelen entwickle. Er erschien mir ganz durchsichtig und bis ins Innerste enthüllt. Seine Verwundung und Kränkung und seine Schmerzen konnten bis in die innersten Teile erkannt werden. Die Seelen waren in unaussprechlicher Ehrfurcht, und schienen von Mitleid zu beben und zu weinen.

Nun aber hatte ich eine Anschauung, deren Geheimnis ich dem ganzen Inhalte nach nicht deutlich zu erzählen vermag, als würde die Seele Jesu, zwar ohne Lebensherstellung durch vollkommene Vereinigung mit dem heiligsten Leibe, doch in und mit demselben dem Grab entrückt und als trügen die beiden anbetenden Engel den heiligsten Marterleib empor, zwar aufrecht, aber doch in der Gliederlage, wie er sich im Grab befand. Ich sah sie mit einer Erschütterung oben durch den Felsen zum Himmel empor schweben, und als stelle Jesus seinen martervollen Leib vor dem Throne seines Himmlischen Vaters zwischen unzähligen Chören anbetender Engel auf ähnliche Weise dar, wie die Leiber mancher Propheten nach dem Tod Jesu von den Seelen derselben angenommen und in den Tempel geführt worden waren, ohne dass sie doch wirklich lebten und wieder hätten sterben müssen, denn sie wurden ohne gewaltsame Trennung von den Seelen wieder abgelegt. Ich sah die Seelen der Altväter den Leib des Herrn nicht begleiten.

Ich bemerkte eine Erschütterung des Grabfelsens. Vier von den Wächtern waren zur Stadt gegangen, etwas zu holen. Die drei anwesenden wurden wie ohnmächtig. Sie schrieben dieses einem Erdbeben zu und bemerkten nichts von der Veranlassung. Cassius aber war sehr bewegt und erschüttert, denn er hatte einige helle Blicke von dem, was geschah, ohne dass es ihm doch deutlich geworden wäre. Aber er hielt auf seiner Stelle aus und erwartete mit großer Andacht, was folgen würde. Die abwesenden Soldaten kehrten indessen zurück.

Die heiligen Frauen hatten sich, nachdem sie die Zubereitung der Spezereien vollendet und sie zum Wegtragen in Tücher verpackt hatten, wieder in ihre Winkel zurückgezogen und an die aufgerollten Lager zum Ruhen angelehnt, weil sie vor Tag zum Grab Jesu gehen wollten. Sie hatten mehrmals ihre Sorge wegen dieses Vorhabens ausgesprochen, denn sie waren voll Furcht, die Feinde Jesu möchten ihnen nachstellen, wenn sie hinausgingen. Die heiligste Jungfrau aber tröstete sie, sie möchten nach einiger Ruhe mutig zum Grab gehen, es werde ihnen nichts Übles widerfahren. So ruhten sie nun.

Es war etwa 11 Uhr in der Nacht, als die heiligste Jungfrau, von Liebe und Sehnsucht bewegt, nicht mehr bleiben konnte. Sie erhob sich, hüllte sich in einen grauen Mantel und verließ allein das Haus. Ich dachte noch: ach, wie kann man die so geängstigte, erschütterte, heiligste Mutter unter solchen Umständen so allein gehen lassen! Ich sah sie aber bis zum Hause des Kaiphas und dann zum Palast des Pilatus trauernd gehen, welches ein weiter Weg in die Stadt zurück war. Und so wandelte sie den ganzen Kreuzweg Jesu einsam durch die öden Straßen und verweilte an allen Stellen, wo dem Herrn ein Leid, eine Misshandlung geschehen war. Es war, als suche sie etwas, was sie verloren. Oft warf sie sich an die Erde nieder und fühlte auf den Steinen umher mit der Hand, und berührte dann ihren Mund mit derselben, als habe sie ein Heiligtum, das Blut des Herrn, berührt und küsste es verehrend. Sie sah alles Heilige um sich hell und leuchtend, und war ganz in Liebe und Anbetung versunken.

Sie vollendete ihren Weg bis zum Kalvarienberg, und als sie diesem nahte, blieb sie stehen. Es war, als trete die Erscheinung Jesu mit seinem heiligsten Marterleib vor die heiligste Jungfrau. Ein Engel zog vor Ihm her, die zwei anbetenden Engel des Grabes waren an seiner Seite, und es folgte eine große Schar erlöster Seelen. Er bewegte sich nicht. Er war wie eine wandelnde Leiche von Licht umgeben, aber ich hörte eine Stimme von Ihm ausgehen, die seiner Mutter verkündete, was Er in der Vorhölle getan, und wie Er nun mit verklärtem Leib lebend auferstehen und zu ihr kommen werde, sie solle Ihn erwarten an dem Stein bei dem Kalvarienberg, wo Er gefallen sei. Ich sah nun diese Erscheinung zur Stadt ziehen, und die heiligste Jungfrau betend an jener Stelle niederknien, wo der Herr sie hinbeschieden hatte. Es mochte nun wohl zwölf Uhr vorüber sein, denn Maria hatte eine geraume Zeit auf dem Kreuzweg zugebracht.

Ich sah aber den Zug des Herrn den ganzen Kreuzweg wandeln: es wurde den Seelen die ganze Marter und alle Misshandlung Jesu gezeigt. Die Engel sammelten auf geheimnisvolle Weise alle heilige Substanz auf, welche Jesus in seinem Leiden entrissen worden war. Ich sah, dass den Seelen auch die Annagelung ans Kreuz, die Aufrichtung, Seiteneröffnung, Abnahme und Leichenbereitung gezeigt wurde. Auch die heiligste Jungfrau sah dieses alles im Geiste, und liebte und betete an.

Darnach war es, als ruhe der Leib des Herrn wieder in dem heiligen Grab und sei mit allem, was ihm in der Marter entrissen worden war, von den Engeln auf eine geheimnisvolle Weise ergänzt. Ich sah ihn wie zuvor in seiner Leichenverhüllung von Glanz umgeben, und die bei den anbetenden Engel zu Häupten und Füßen des Grablagers.

Als der Morgenhimmel mit einem weißen Lichtstreifen sich erhellte, sah ich, dass Magdalena, Maria Kleophä, Johanna Chusa und Salome in Mäntel gehüllt die Wohnung am Abendmahlssaal verließen. Sie trugen die in Tücher verpackten Spezereien, und eine von ihnen auch eine brennende Leuchte, alles unter ihren Mänteln verborgen. Die Spezereien bestanden aus lebendigen Blumen zum Aufstreuen und aus ausgepressten Säften, Essenzen und Ölen zum Übergießen. Die heiligen Frauen wandelten in großer Bangigkeit zum Pförtchen des Nikodemus hin.

2. Auferstehung des Herrn

Die heiligste Seele Jesu schwebte in großem Glanze zwischen zwei kriegerischen Engeln, von vielen Lichtgestalten umgeben, von oben durch den Grabfelsen auf den heiligen Leichnam nieder. Es war, als beuge sie sich über denselben und zerschmelze mit ihm. Ich sah die Glieder sich in der Einhüllung bewegen, und den leuchtenden, lebenden Leib des Herrn mit Seele und Gottheit wie aus der Seite der Leichenverhüllung hervorgehen, als steige er aus der Seitenwunde hervor. Der Anblick erinnerte an Eva, die aus Adams Seite stieg. Alles war voll Licht und Glanz.

Nun hatte ich die Anschauung, als winde sich die Erscheinung eines Drachen mit Menschenhaupt aus der Tiefe, wie unter dem Grablager empor. Er bäumte seinen Schlangenschweif und wendete sein Haupt grimmig gegen den Herrn. In der Hand hielt der erstandene Erlöser einen feinen weißen Stab mit wehendem Fähnchen. Er trat auf das Drachenhaupt und stieß dreimal mit dem Stab auf seinen Schweif. Das Ungeheuer zog bei jedem Stoß sich enger zusammen und endlich verschwand es, bis zuletzt das Drachenhaupt ganz in den Grund getreten war und das Menschenangesicht allein emporschaute. Eine ähnliche Schlange sah ich auch bei Christi Empfängnis lauern. Das Wesen dieser Schlange erinnerte mich an die Schlange im Paradies und ich meine, es bezieht sich dieses Bild auf die Verheißung: «Der Same der Frau soll der Schlange das Haupt zertreten.» Es schien das Ganze nur ein Sinnbild vom Besiegen des Todes für mich zu sein, denn während ich das Zertreten des Drachenhauptes sah, sah ich das Grab des Herrn nicht mehr.

Nun aber sah ich den Herrn leuchtend durch den Felsen schweben. Die Erde bebte, und es fuhr ein Engel in kriegerischer Gestalt wie ein Blitz vom Himmel zum Grab nieder, legte den Stein zur rechten Seite und saß darauf. Es war eine solche Erschütterung, dass die Feuerkörbe schwankten und die Flammen umherfuhren. Die Wächter fielen betäubt zu Boden und lagen erstarrt, wie tot in verdrehter Lage. Cassius sah wohl den Glanz um das heilige Grab, das Wegheben des Steines durch den Engel und dessen augenblickliches Sitzen auf dem Stein, nicht aber den auferstandenen Heiland selbst. Er sammelte sich schnell, trat an das Grablager und fühlte auf die leeren Tücher. Dann verweilte er noch einige Zeit in der Nähe des Grabes voll Begierde, der Zeuge einer neuen wunderbaren Erscheinung zu werden. In dem Augenblick aber, da der Engel zu dem Grab niederfuhr und die Erde dort bebte, sah ich den auferstandenen Herrn seiner heiligsten Mutter am Kalvarienberg erscheinen. Er war ungemein schön und ernst und leuchtend. Sein Gewand, wie ein weiter Mantel um die Glieder geschlagen, wehte Ihm, wenn Er wandelte, mit einem Ende in der Luft spielend nach, und schimmerte blauweiß, wie Rauch im Sonnenschein. Seine Wunden waren sehr groß und glänzten. Man konnte an den Händen wohl einen Finger hineinlegen. Die Wundlippen hatten die Linien von drei gleichen Dreiecken, die im Mittelpunkt eines Zirkels zusammentreffen. Es liefen von der Mitte der Hand Strahlen gegen die Finger zu. Die Seelen der Altväter beugten sich vor der heiligsten Mutter, zu welcher Jesus etwas von Wiedersehen sprach. Er zeigte ihr seine Wunden, und als sie niedersank, seine Füße zu küssen, fasste Er sie bei der Hand, erhob sie und verschwand.

Die heiligen Frauen waren in der Nähe des Pförtchens des Nikodemus, als der Herr vom Tod erstand. Sie bemerkten nichts von den Zeichen, die dabei geschahen, und wussten auch nicht von der Wache am Grab, denn gestern am Sabbat hatten sie in Trauer sich eingeschlossen gehalten. Besorgt sprachen sie untereinander: «Wer wird uns nur den Stein von der Tür wegwälzen ?» Voll Sehnsucht, die letzte Ehre dem heiligsten Leib im Grab zu erweisen, hatten sie an den Stein gar nicht gedacht. Sie wollten mit Nardenwasser und Salben den heiligsten Leib übergießen und Kräuter und Blumen über ihn streuen, denn sie hatten zu den Spezereien der gestrigen Leichenbereitung, welche von Nikodemus allein herrührten, nichts beigetragen, und wollten nun das Köstlichste, was sie haben konnten, dem Leib ihres Herrn und Meisters opfern. Salome hatte mit Magdalena am meisten davon gekauft. Sie war nicht die Mutter des Johannes, sondern eine andere Salome, eine reiche Frau von Jerusalem, mit dem heiligen Joseph verwandt. Sie gedachten nun, die Spezereien vor das Grablager auf den Stein zu setzen und zu warten, bis einer der Jünger käme, der ihnen die Öffnung des Grabes besorgen könnte. So wandelten sie gegen den Garten.

In der Vorhalle des Grabes lag der Stein an die rechte Seite gerückt, so dass man die Türe, welche jetzt nur angelehnt war, öffnen konnte. Die Tücher, in welche der heiligste Leib eingehüllt gewesen, lagen folgendermaßen auf dem Grab. Das große Tuch, in welches er eingeschlagen gewesen war, lag ganz unverändert, nur hohl und zusammengesunken, und nichts als die Kräuter enthaltend. Die Binde, mit welcher es umwunden gewesen, lag noch in gewickelter Lage, wie abgestreift, der Länge nach an dem vorderen Rand des Grabes. Das Tuch aber, womit Maria Jesu Haupt verhüllt hatte, lag abgesondert rechts zu Häupten, ganz wie der Kopf dann gelegen, jedoch mit aufgedeckter Gesichtsdecke.

Als die herannahenden heiligen Frauen die Leuchten der Wache und die umherliegenden Soldaten erblickten, wurden sie schüchtern und gingen am Garten vorüber etwas gegen Golgatha zu. Magdalena aber vergaß alle Gefahr und eilte in den Garten. Salome folgte ihr in einiger Entfernung, wahrend die bei den anderen Frauen vor dem Garten verweilten.

Magdalena wich vor den Wächtern anfänglich etwas zu Salome zurück, dann aber gingen beide miteinander zwischen den umherliegenden Wächtern durch in die Grabhöhle hinein. Sie fanden den Stein hinweggewälzt, die Türen aber waren angelegt, was wahrscheinlich Cassius getan. Da öffnete Magdalena in großer Angst einen Anschlag der Türe, starrte auf das Grablager hin und sah die Tücher leer und gesondert liegen. Alles war voll Glanz, und ein Engel saß zur Rechten auf dem Lager. Magdalena ward sehr bestürzt und eilte aus dem Grabgarten durch die Pforte des Nikodemus zu den Aposteln zurück. Auch Salome, welche nur in die Vorhalle getreten war, floh gleich nach Magdalena aus dem Grab und Garten in großem Schrecken zu den vor dem Garten zurückgebliebenen Frauen, um ihnen zu melden, was geschehen. Diese waren entsetzt und erfreut zugleich über das, was sie von Salome hörten, zögerten aber noch immer, in den Garten einzutreten. Erst als Cassius, der nun durch das Ausführtor in die Stadt zu Pilatus eilte, um ihm das Vorgefallene zu berichten, im Vorübergehen mit wenigen Worten ihnen erzählte, was er gesehen, und sie aufforderte, sich selber zu überzeugen, fassten sie Mut, in den Garten hineinzugehen. Als sie in großer Angst die Vorhalle des heiligen Grabes betraten, standen die zwei Engel des Grabes in weißem, leuchtendem Priestergewand vor ihnen. Die Frauen drängten sich erschreckt zusammen und neigten das Gesicht mit vorgehaltenen Händen furchtsam zur Erde. Einer der Engel sprach zu ihnen, sie sollten sich nicht fürchten, sie sollten den Gekreuzigten nicht hier suchen. Er sei lebend, Er sei auferstanden und nicht mehr in den Gräbern der Toten. Er zeigte ihnen auch die leere Stätte und befahl ihnen, den Jüngern zu sagen, was sie gesehen und gehört.

Jesus werde ihnen voraus nach Galiläa ziehen. Sie sollten sich erinnern, wie Er in Galiläa gesagt: «Des Menschen Sohn muss in die Hände der Sünder überliefert und gekreuzigt werden, und am dritten Tage wieder auferstehen.» Die heiligen Frauen, zitternd und zagend, und doch voll Freude, besahen das Grablager und die Tücher, weinten und gingen zum Ausführungstor. Aber sie waren noch sehr erschreckt, eilten nicht, und standen hie und da in der Ferne und schauten umher, ob sie nicht den Herrn vielleicht sähen, oder ob Magdalena nicht zurückkehre.

Indes war Magdalena am Abendmahlssaal angekommen. Sie war wie außer sich und pochte heftig. Mehrere ruhten noch an den Wänden umher, andere standen und besprachen sich. Petrus und Johannes öffneten. Magdalena sagte nur die Worte hinein: «Sie haben den Herrn aus dem Grab genommen. Wir wissen nicht, wohin» und kehrte in großer Eile wieder zum Grabgarten zurück. Petrus und Johannes folgten ihr, jedoch Johannes schneller als Petrus.

Magdalena kam ganz von Tau durchnässt wieder in den Garten und zum Grab. Der Mantel war ihr vom Kopf auf die Schultern gesunken, und ihre langen Haare waren aufgelöst herabgefallen. Weil sie allein war, scheute sie sich, gleich in die Felsenhöhle hineinzutreten. Sie verweilte auf dem Rand der Vertiefung vor dem Eingang der Vorhalle. Hier beugte sie sich nieder, um durch die tieferliegende Türe in die Vorhalle gegen das Grablager zu schauen. Indem sie die vorfallenden langen Haare mit den Händen fassend zurückhielt, sah sie zwei Engel in weißen priesterlichen Kleidern zu Häupten und Füßen des Grablagers sitzen und vernahm die Worte: «Frau, was weinst du?» Sie aber rief in ihrem Jammer: «Sie haben meinen Herrn weggenommen ! Ich weiß nicht, wo sie Ihn hingelegt haben.» Dieses sagend und nichts als die Tücher sehend, wendete sie sich wie eine Suchende um, meinend, als müsste sie Ihn finden. Sie war im dunklen Gefühl ihm nah, und selbst die Erscheinung der Engel konnte sie nicht irre machen. Es war, als denke sie gar nicht, dass es Engel seien, die zu ihr reden. Sie dachte einzig nur an Jesus, nichts, als: Jesus ist nicht hier! Wo ist Jesus? Ich sah sie einige Schritte vor dem Grab hin und wieder irren, wie eine ängstlich Suchende. Ihre langen Haare hingen links und rechts über die Schulter herab. Sie strich einmal die Masse der Haare auf der rechten Schulter durch beide Hände, dann hatte sie beide Haarströme in Händen, schlug sie zurück und schaute umher. Da erblickte sie etwa zehn Schritte vom Grabfelsen gegen Morgen, wo der Garten gegen die Stadt aufsteigt, zwischen Gebüsch hinter einem Palmbaum eine lange, weißbekleidete Gestalt in der Dämmerung und hörte, darauf zustürzend, abermals die Worte: «Frau, was weinst du? Wen suchst du?» Sie hielt die Gestalt aber für den Gärtner, und ich sah sie auch mit einer Schaufel in der Hand und einem flachen Hut, der einem Stück gegen die Sonne vorgebundener Baumrinde glich, gerade wie ich den Gärtner in der Parabel gesehen, die Jesus den Frauen kurz vor seinem Leiden in Bethanien erzählt hatte. Die Erscheinung war nicht leuchtend, sondern gleich der eines Menschen in der Dämmerung in langem weißen Gewand. Auf die Worte: «Wen suchst du?» erwiderte sie sogleich: «Herr, hast du Ihn weggetragen, so sage mir wohin! Ich will Ihn holen!» und schaute wieder umher, ob er Ihn nicht in der Nähe habe. Nun sprach Jesus mit gewohnter Stimme: «Maria!» und die Stimme erkennend, und Kreuzigung, Tod und Begräbnis vergessend, als lebe Er, rief sie, sich wendend, wie sonst: «Rabuni (Meister)!» fiel vor Ihm auf die Knie und streckte die Arme nach seinen Füßen aus. Jesus aber hob die Hand abwehrend gegen sie und sprach: «Rühre mich nicht an, denn Ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater! Gehe aber zu meinen Brüdern und sage es ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.» Da verschwand der Herr. - Ich hatte auch eine Erklärung, warum Jesus sagte: «Rühre mich nicht an», ich bin mir aber derselben nicht mehr ganz bewusst. Ich meine, Er sprach dies, weil sie so ungestüm war und ganz im Gefühl, als lebe Er wie sonst, und alles sei wie sonst. Über die Worte Jesu, Er sei noch nicht aufgefahren zu seinem Vater, hatte ich die Erklärung, Er habe sich noch nicht nach seiner Auferstehung seinem Himmlischen Vater dargestellt und Ihm noch nicht für seinen Sieg über den Tod und für die Erlösung gedankt. Es war, als sage Er ihr hierdurch, die Erstlinge der Freude gehörten Gott. Sie solle sich erst besinnen und Gott danken für das vollendete Geheimnis der Erlösung und dem Sieg über den Tod. Magdalena raffte nach dem Verschwinden des Herrn sich auf und lief, als wäre sie im Traum gewesen, nochmals an das Grab, sah die beiden Engel, sah die leeren Tücher und eilte, nun des Wunders gewiss, ihren Begleiterinnen nach.

Es mochte etwa halb drei Uhr sein, als Jesus der Magdalena erschien. Kaum hatte sie den Grabgarten verlassen, als Johannes und gleich nach ihm Petrus nahten. Johannes stand auf dem Rand vor dem Eingang, und bückte sich durch die Tür der Vorhalle zur halb offenen Grabtür schauend und sah die Tücher liegen. Nun kam Petrus und ging hinab in die Höhle und vor das Grablager. Er sah die Grabtücher in der Mitte des Lagers von beiden Seiten gegen die Mitte zusammengerollt. Es waren die Gewürze hineingewickelt, und die Binde war darum geschlungen, so wie Frauen dergleichen Tücher zum Aufbewahren zusammenzurollen pflegen. Das Gesichtstuch aber lag rechts davon gegen die Wand, und war auch geordnet. Hierauf folgte Johannes dem Petrus auch an das Grablager, sah dasselbe und glaubte an die Auferstehung. Es ward ihnen nun klar, was der Herr gesagt und was in der Schrift stand. Sie hatten das ehedem nur so obenhin genommen. Petrus aber nahm die Tücher unter seinem Mantel mit. Beide kehrten durch das Pförtchen des Nikodemus wieder zurück und Johannes lief dem Petrus wieder voraus.

Die beiden Engel saßen zu Häupten und Füßen des Grabes, solange der heiligste Leib im Grab lag. Auch da Magdalena und die beiden Apostel zum Grabe kamen, waren die Engel da. Es schien mir aber, als habe Petrus sie nicht gesehen. Johannes hörte ich nachher zu den Jüngern von Emmaus sagen, dass er zum Grab schauend einen Engel gesehen habe. Vielleicht meldete er es nicht im Evangelium aus Demut, um nicht mehr gesehen zu haben, als Petrus.

Nun erst sah ich die herumliegenden Wächter sich erholen. Sie rafften sich auf, nahmen ihre Spieße und Feuerkessel, weIche an der Tür des Einganges auf Stangen gebrannt und einen Schein hineingeworfen hatten und zogen scheu und verstört gegen das Tor der Ausführung hin zur Stadt.

Magdalena hatte indessen die heiligen Frauen erreicht und ihnen die Erscheinung des Herrn erzählt. Sie eilte nun zur Stadt durch das nahe Ausführtor. Die Frauen aber gingen wieder gegen den Garten, vor welchem ihnen Jesus in einem weiten weißen Gewand erschien, das bis über die Hände niederhing. Er sprach: «Seid gegrüßt!» Sie bebten und sanken Ihm zu Füßen. Jesus aber deutete, einige Worte redend, mit der Hand nach einer Gegend und verschwand, worauf die heiligen Frauen durch das Bethlehemstor auf Sion eilten, den Jüngern im Abendmahlssaal zu sagen, dass sie den Herrn gesehen und was Er zu ihnen gesprochen. Diese aber wollten anfangs weder ihren, noch Magdalenas Aussagen Glauben schenken, und hielten bis zur Rückkehr des Petrus und Johannes alles für Einbildung der Frauen.

Johannes und Petrus, der vor Staunen ganz tiefsinnig geworden war, trafen auf ihrem Rückweg Jakobus den Kleineren und Thaddäus an, welche ihnen zum Grab hatten folgen wollen. Auch diese beiden waren sehr erschüttert, denn der Herr war ihnen nahe beim Abendmahlssaal erschienen. Auch Petrus sah ich auf diesem Wege in einer plötzlichen Erschütterung, als habe er den auferstandenen Heiland erblickt.

3. Aussagen der Grabwache

Etwa eine Stunde nach der Auferstehung war Cassius zu Pilatus gekommen, der auf seinem Bett lag. Cassius sagte ihm mit großer Gemütsbewegung, wie die Felsen erbebt, ein Engel herabgefahren und den Stein weggerückt habe, wie die Tücher leer darin gelegen. Jesus sei gewiss der Messias und Sohn Gottes. Er sei auferstanden und nicht mehr da. Pilatus hörte alles mit heimlichem Schrecken an, ließ sich aber nichts merken, und sprach zu Cassius: «Du bist ein Schwärmer, du hast sehr unweise getan, dich ins Grab des Galiläers zu steIlen. Da haben nun seine Götter Gewalt über dich erhalten und dir allerlei Zauberbilder vorgegaukelt. Ich rate dir, diese Dinge den Hohenpriestern zu verschweigen, sonst wirst du dir schlimme Händel zuziehen.» Er stellte sich auch, als glaube er, Jesus sei von den Jüngern gestohlen, und die Wache sage nur zu ihrer Entschuldigung anderes aus, weil sie es zugelassen, oder die Bewachung vernachlässigt habe, vielleicht auch, weil sie bezaubert worden sei. Als Cassius ihn verließ, ließ Pilatus wieder seinen Göttern opfern.

Auch vier von den zurückgekehrten Soldaten kamen mit derselben Aussage zu Pilatus, der sich nicht darüber gegen sie ausließ und sie zu Kaiphas sendete. Die anderen Wächter waren in einen großen Hof in der Nähe des Tempels gegangen, wo viele alte Juden versammelt waren. Man beriet sich und wollte mit Geld und Drohungen die Wächter dahin bringen, dass sie aussagen sollten, die Jünger hätten, während sie geschlafen, den Leib Jesu gestohlen. Als die Wächter aber einwendeten, ihre Gesellen, welche dem Pilatus den Hergang berichtet, würden ihnen widersprechen, versprachen die Pharisäer, dieses bei Pilatus schon wieder auszugleichen. Es langten indessen jene vier vom Pilatus gesandten Wachen an und blieben bei dem, was sie vor dem Landpfleger ausgesagt. Es hatte aber schon verlautet, dass Joseph von Arimathäa bei verschlossenen Türen auf unerklärbare Weise aus dem Kerker entkommen sei. Als nun die Pharisäer die bei der Wahrheit beharrenden Soldaten verdächtigen wollten, als hätten sie im Einverständnis mit den Jüngern zur Entführung des Leibes Jesu beigetragen, und sie heftig bedrohten, so sie ihn nicht wieder herbeischafften, erwiderten diese Männer, dass sie das eben so wenig könnten, als die Wächter am Gefängnis des Joseph von Arimathäa diesen, der auch verschwunden, wieder herbeischaffen könnten. Sie wehrten sich tapfer und waren durch keine Bestechung zum Schweigen zu bewegen, ja sie sprachen frei und laut vom ungerechten Gericht am Freitag, und wie das Pascha darum nicht zustande gekommen sei, worauf man sie gefangen nahm und einsperrte. Die Feinde Jesu aber verbreiteten das Gerücht, Jesus sei von den Jüngern gestohlen, und Pharisäer, Sadduzäer und Herodianer ließen diese Lüge überall verbreiten und in allen Synagogen der Juden durch die ganze Welt, mit Schmähungen über Jesus vermehrt, bekanntmachen. Doch nützte ihnen diese Lüge wenig, denn es erschienen nach Jesu Auferstehung noch viele Seelen verstorbener heiliger Juden da und dort ihren Nachkommen, die noch einer Gnade und Rührung fähig waren, und erschütterten ihr Herz zur Bekehrung. Auch zu vielen Jüngern, welche, im Glauben erschüttert, sich mutlos im Lande zerstreut hatten, kamen solche Erscheinungen, die sie trösteten und im Glauben festigten.

Das Aufstehen der toten Leiber aus ihren Gräbern nach Jesu Tod hatte keine Ähnlichkeit mit der Auferstehung des Herrn, denn Jesus stand in seinem erneuten, verklärten Leib auf, wandelte lebend am Tage auf Erden und fuhr in diesem seinem Leib vor den Augen seiner Freunde zum Himmel. Jene Leiber aber waren nur den Seelen zur Hülle gegebene Leichen, und wurden von diesen wieder in den Schoß der Erde abgelegt, wo sie die Auferstehung am jüngsten Tage mit uns allen erwarten. Lazarus war aber vom Tod erweckt, lebte wirklich und starb später zum zweiten Mal.

Ich sah auch wie die Juden den Tempel zu reinigen, zu waschen und zu scheuern begannen. Sie streuten Kräuter und Asche von Totengebeinen und opferten Sühnopfer. Sie räumten auf und verdeckten das Eingestürzte mit Brettern und Teppichen, und holten hierauf das vom Paschafeste nach, was an dem Tage selbst nicht vollendet worden war.

Sie unterdrückten aber alles Gerede und Murren, indem sie die Störung des Festes und die Beschädigung des Tempels als Folge des Erdbebens und der Anwesenheit von Unreinen beim Opfer erklärten, wobei sie etwas von einem Gesicht des Ezechiel über auferstandene Tote, ich weiß nicht mehr in welcher Anwendung, vorbrachten. Übrigens drohten sie mit Strafen und Bann. So brachten sie zwar alles zum Schweigen, denn sehr viele hatten Anteil an der Schuld. Eigentlich aber gelang es ihnen nur, den großen, verstockten, verlorene Schar des Volkes zu beruhigen, denn alle Besseren bekehrten sich stillschweigend jetzt und laut am Pfingstfest und später in ihrer Heimat durch die Lehre der Apostel. Die Hohenpriester wurden daher immer kleinlauter. Bereits zur Zeit des Diakonats von Stephanus konnte ganz Ophel und der östliche Teil von Sion die Menge der Gläubigen nicht mehr fassen, so dass sie ihre Hütten und Zelte von der Stadt über das Tal Kidron bis an Bethanien hin erbauten.

Annas wurde wie besessen, man sperrte ihn ein, er kam nicht mehr zu Tage. Kaiphas aber war wie rasend von geheimer Wut. Simon von Cyrene kam nach dem Sabbat zu den Aposteln, Aufnahme und Taufe begehrend.

4. Erstes Liebesmahl nach der Auferstehung

In der offenen Vorhalle vor dem Saal des heiligen Abendmahles bereitete Nikodemus für die Apostel, die heiligen Frauen und einen Teil der Jünger eine Mahlzeit. Thomas war nicht zugegen, er hatte sich eigenmächtig zurückgezogen. Alles, was hier geschah, war nach Anordnung Jesu, welcher unter dem heiligen Abendmahl dem Petrus und Johannes, die Ihm zur Seite saßen und von Ihm zu Priestern geweiht worden waren, nähere Unterweisungen vom heiligsten Sakrament mit dem Befehl erteilt hatte, auch die anderen mit Anführung seiner früheren Lehren darüber zu unterrichten.

Ich sah zuerst Petrus und dann Johannes den im Kreis um sie stehenden acht anderen Aposteln die Geheimnisse, weIche ihnen der Herr anvertraut hatte, mitteilen und seine Absicht über die Art, dieses Sakrament zu spenden und die Jünger zu belehren, eröffnen. Alles, was Petrus sagte, wurde auch von Johannes gesagt. Die Apostel trugen ihre weißen Feierkleider, und über diese hatten Petrus und Johannes von den Schultern herab eine Stola hängen, welche über der Brust gekreuzt und mit einer Klammer gehalten war. Die übrigen Apostel trugen eine Stola von einer Schulter quer über Rücken und Brust und unter den Armen mit einer Klammer kreuzweise befestigt. Petrus und Johannes waren von Jesus geweihte Priester, die anderen waren noch wie Diakone.

Nach diesem Unterrichte kamen die heiligen Frauen, neun an der Zahl, auch in den Saal. Petrus sprach mit ihnen und lehrte sie. Johannes aber empfing am Tor im Haus des Speisemeisters siebzehn, wie ich zählte, der bewährtesten Jünger, die am längsten mit dem Herrn gewesen waren, Zachäus, Nathanael, Mathias, Barsabas und andere waren dabei. Johannes diente ihnen beim Fußwaschen und Kleideranlegen. Sie legten lange weiße Röcke und Gürtel an. Matthäus ward nach der Lehre von Petrus nach Bethanien geschickt, um dort bei einem ähnlichen Mahl vor viel mehr anderen Jüngern bei Lazarus zu lehren und zu tun, wie sie hier taten.

Nun wurde ein Tisch in der Vorhalle bereitet, welcher so lange war, dass ein Teil der Jünger über die Halle hinaus in den den Abendmahlssaal umgebenden, mit Bäumen bepflanzten Hof zu sitzen kam. Es waren am Tisch drei Zugänge offen gelassen, um die Speisen aufzutragen. Die heiligen Frauen saßen nun auch mit am Tisch, am Ende desselben. Sie hatten Schleier, doch das Gesicht nicht bedeckt und trugen ebenfalls lange weiße Kleider. Sie saßen mit unterschlagenen Füßen auf kleinen Schemeln mit einer Handhabe. In der Mitte der Tafel saßen Petrus und Johannes einander gegenüber. Sie schlossen die Reihen der Männer gegen die Frauen hin ab. Sie hatten hier nicht solche Ruhebänke, wie beim Abendmahl, sondern niedere geflochtene Polster, auf denen sie lagen. Diese Polster reichten kaum über die Knie hinab. Quer vor sich hatten sie einen Wulst auf zwei höheren Füßen stehen, die in Querhölzern befestigt waren. Alle lagen hier quer neben dem Tisch, die Füße des einen ruhten längs dem Rücken des anderen. In Simons Haus und beim Abendmahl waren sie auf anderen Stühlen gelegen und hatten die Füße ganz nach außen gekehrt.

Das Mahl war ein ordentliches Mahl. Sie beteten stehend und aßen liegend, und während desselben lehrten Petrus und Johannes. Am Schluss des Mahles ward vor Petrus ein flaches geripptes Brot gesetzt, an welchem er jedes zur Teilung gezeichnete Stückchen nochmals teilte, und dann ließ er auf zwei Tellern diese Bissen links und rechts herumgehen. Es ging nachher auch ein großer Becher herum, aus welchem sie alle tranken. Obschon Petrus das Brot segnete, so war dieses doch nicht ein Sakrament, sondern nur ein Liebesmahl, und Petrus sprach dabei, dass sie alle einig sein wollten, wie dieses Brot eines sei, das sie ernähre, und dieser Wein, den sie tränken. Nachher standen sie auf und sangen Psalmen.

Als der Tisch weggeräumt war, traten die heiligen Frauen in einen Halbkreis am Ende des Saales. Die Jünger standen an beiden Seiten. Die Apostel wandelten auf und ab, lehrten und teilten mit, was sie vom heiligsten Sakrament diesen reiferen Jüngern sagen durften. Es war dieses wie die erste Katechismuslehre nach Jesu Tod. Ich sah auch, dass sie durcheinander wandelnd sich die Hände reichten, und dass alle freudig erklärten, wie sie alles gemeinsam haben, alles für einander hingeben und ganz eins sein wollten. Es kam eine große Rührung über sie. Ich sah sie von Licht übergossen und wie ineinander zerrinnend. Alles löste sich in eine Pyramide von Licht auf, worin die heiligste Jungfrau als der Gipfel und Mittelpunkt von allen erschien. Von Maria floss alles in Strömen auf die Apostel nieder und von diesen durch die heiligste Jungfrau wieder zurück zum Herrn. Es war dieses ein Sinnbild ihrer Vereinigung und des gegenseitigen Bezuges aller zu einander.

Matthäus lehrte und tat ebenso im Hof des Lazarus bei einem ähnlichen Mahl mit viel mehr Jüngern, welche nicht in dem Grade der Vorbereitung, wie diese hier waren.

5. Kommunion der Heiligen Apostel

Am frühen Morgen traten Petrus und Johannes mit Andreas in den Abendmahlssaal und zogen die priesterliche Kleidung an. Die anderen Apostel taten in der Vorhalle dasselbe. Die drei Apostel gingen dann, den geflochtenen Teppichvorhang in der Mitte öffnend, in das Allerheiligste. Es war dieses durch Vorhänge zu einem förmlichen Kämmerchen abgezeltet, dessen Decke, die nicht so hoch als der Saal war, durch einen niederhängenden, mit Quasten verzierten Strick so geöffnet werden konnte, dass das Licht aus den oben im Saal befindlichen runden Fensterlöchern hereinfiel. Der Abendmahlstisch stand darin. Der Kelch mit dem Rest des von Jesus konsekrierten Weines und der Teller mit dem noch übrigen konsekrierten Brot stand in dem gleich einem Tabernakel geformten Fach der Wandnische. Es brannte eine Lampe, nur an einem Arm angezündet, vor dem heiligsten Sakrament. Sie zündeten die Opferlampe, die in der Mitte des Saales hing, daran an, trugen den Abendmahlstisch hervor in den Saal und stellten dann das heiligste Sakrament in seinem Behälter darauf, worauf sie die Lampe im Allerheiligsten auslöschten. Die anderen Apostel, worunter auch Thomas, stellten sich um den Tisch. Von dem durch Jesus konsekrierten Brot, dem allerheiligsten Sakrament seines Leibes, war noch vieles auf dem kleinen Teller, welcher auf dem Kelch mit einer metallenen Glocke bedeckt lag, die oben einen Knopf hatte. Darüber hing eine weiße Decke. Petrus zog den Schieber aus der Unterlage heraus, bedeckte ihn mit der Decke und stellte den Teller mit dem heiligsten Sakrament darauf. Es standen Andreas und Johannes hinter ihm. Sie beteten. Petrus und Johannes nahmen, sich beugend, das heiligste Sakrament. Dann ließ Petrus den Teller herumgehen, und jeder nahm das Abendmahl selbst. In den Kelch, in welchem nicht mehr so viel des von Jesus konsekrierten Weines war, gossen sie etwas Wein und Wasser und tranken daraus. Darnach sangen sie Psalmen und beteten, bedeckten den Kelch und trugen ihn, wie auch den Tisch, wieder zurück an seine Stelle. Dies war der erste Gottesdienst, den ich die Elfe morgens feiern sah.

Thomas ging darauf mit einem Jünger aus der Gegend von Samaria dorthin in einen kleinen Ort.

6. Die Jünger zu Emmaus. Jesus erscheint den Aposteln im Abendmahlssaal

Lukas, der erst seit kurzem bei den Jüngern war, aber schon früher die Johannestaufe empfangen hatte, war beim Liebesmahl und dem Unterricht vom heiligen Sakrament, den Matthäus am Abend zu Bethanien in Lazarus Haus gehalten hatte, zugegen gewesen. Nach dieser Lehre aber ging er zweifelnd und bekümmert nach Jerusalem in des Johannes Markus Haus, wo er übernachtete.

Es waren aber in des Johannes Markus Haus noch mehrere Jünger versammelt und darunter auch Kleophas, ein Enkel des Vaterbruders der Maria Kleophä. Dieser war beim Unterricht und Liebesmahl im Abendmahlshaus gewesen. Die Jünger redeten über die Auferstehung Jesu und zweifelten. Lukas und Kleophas waren besonders unentschieden im Glauben. Da außerdem von neuem der Befehl des Hohenpriesters bekannt gemacht worden war, man solle den Jüngern Jesu keinen Aufenthalt und keine Speise vergönnen, beschlossen die beiden, welche sich kannten, nach Emmaus zu wandeln. Sie verließen die Versammlung: der eine ging von Johannes Markus Haus rechts außerhalb von Jerusalem mitternächtlich herum, der andere von der anderen Seite, als wollten sie nicht zusammen gesehen werden. Der eine berührte die Stadt nicht mehr, der andere kam zwischen Mauern zum Tor hinaus. Sie kamen auf einem Hügel vor dem Tor wieder zusammen, hatten Stäbe und Bündel an der Seite. Lukas hatte eine lederne Tasche: ich sah ihn oft vom Wege abtreten und Kräuter sammeln.

Lukas hatte in der letzten Zeit den Herrn nicht gesehen: er war auch nicht in den Lehren des Herrn bei Lazarus, sondern mehr in der Jüngerherberge bei Bethanien und auch bei Jüngern in Machärus gewesen. Er war bisher kein steter Jünger gewesen und schloss sich jetzt erst recht an, jedoch war er immer mit den Jüngern umgegangen und sehr wissbegierig.

Ich fühlte, dass beide in Unruhe und Zweifeln waren und sich über alles besprechen wollten, was sie gehört hatten. Es machte sie besonders irre, dass der Herr so schimpflich gekreuzigt worden! Sie konnten nicht begreifen, wie der Erlöser und Messias so schmählich misshandelt werden konnte.

Ungefähr auf der Mitte ihres Weges nahte ihnen Jesus von einem Seitenpfad. Als sie Ihn bemerkten, gingen sie langsamer, als wollten sie diesen Mann voraus lassen und als scheuten sie, in ihrem Gespräche behorcht zu werden. Jesus aber ging nun auch langsamer und trat erst auf den Weg, als sie weiter vorwärts waren. Ich sah Ihn eine Zeitlang hinter ihnen gehen, dann zu ihnen treten und sie fragen, was sie sprächen.

An der Wegscheidung vor Emmaus, einem hübschen reinlichen Ort, schien Jesus den Weg in der Richtung nach Bethlehem mittagwärts nehmen zu wollen: sie nötigten Ihn aber, in ein Haus einzugehen, das in der zweiten Reihe der Häuser von Emmaus lag. Es waren keine Frauen in dem Haus, das mir ein offenes Festhaus schien, denn es sah aus, als sei erst ein Fest dort gewesen, und es sei noch davon übrig (vielleicht vom Festschmuck). Die Stube war viereckig und reinlich, der Tisch war gedeckt und es lagen Ruhepolster daran, von der Art, wie beim Liebesmahl am Ostertag. Ein Mann trug Honigwaben in einem geflochtenen, korbähnlichen Gefäß auf, einen großen viereckigen Kuchen und ein kleines, dünnes, fast durchsichtiges Paschabrot, welches vor den Herrn, als den Gast, gesetzt wurde. Der Mann, der den Kuchen auftrug, schien gut: er hatte eine Schürze um, als sei er Koch oder Speisemeister, war aber nicht bei der feierlichen Handlung zugegen. Der Kuchen war in zwei Finger breiten Räumen mit eingedrückten Linien gezeichnet. Es lag ein Messer auf dem Tisch, welches weiß wie von Stein oder Bein, nicht gerade, sondern krumm gebogen, und nur so groß war, wie bei uns eine große Klinge. Ehe sie vom Brot aßen, ritzten sie erst in den vorgezeichneten Linien des Brotes mit der Schärfe des Messers, die ganz vorne war, weswegen sie es weit in die Hand nahmen, und dann brachen sie den vorgerissenen Bissen ab.

Zuerst aß Jesus zu Tisch liegend, nachdem sie gebetet hatten, von dem Kuchen und Honig mit ihnen, dann nahm Er den kleinen Kuchen, der gerippt war, brach drei Bissen davon in einem Stück, nachdem Er mit dem kurzen, weißen Beinmesser vorgeritzt hatte. Dieses Stück legte Er auf das Tellerchen, segnete es, stand auf, hob es mit beiden Händen empor und betete in die Höhe schauend. Die Zwei standen Ihm gegenüber ganz bewegt und wie von Sinnen. Als Jesus die Bissen brach, nahten sie mit offenem Mund das Haupt seiner darreichenden Hand über den Tisch und empfingen die Bissen in den Mund. Ich sah aber, dass Er in der Bewegung seiner Hand, den dritten Bissen zu seinem Mund zu führen, verschwand. Ich kann nicht sagen, dass Er den Bissen wirklich nahm. Die Bissen leuchteten, da Er sie gesegnet hatte. Die beiden Jünger sah ich noch eine Weile wie erstarrt stehen, und dann sich einander unter Tränen der Rührung in die Arme schließen.

Dieses Bild war besonders rührend durch die sanfte Lieblichkeit des Herrn und durch die stille Freude der beiden Jünger, während sie Ihn noch nicht erkannten und durch ihre Entzückung, als sie Ihn erkannten und Er verschwand. Kleophas und Lukas eilten aber gleich nach Jerusalem zurück.

Am Abend desselben Tages waren, außer Thomas, alle Apostel mit vielen Jüngern, mit Nikodemus und Joseph von Arimathäa im Abendmahlssaal bei verschlossenen Türen versammelt. Sie standen unter der in der Mitte des Saales von der Decke niederhängenden Lampe in dreifachem Kreis zum Gebete geordnet und schienen wie in einer Nachfeier, einer Nachtrauer oder Danksagung begriffen, denn in Jerusalem wurde heute das Paschafest beendet. Alle trugen weiße lange Gewänder, Petrus aber, Johannes und Jakobus der Jüngere hatten eine mehr ausgezeichnete Kleidung und hielten Schriftrollen in der Hand. Um ihr wersses, weites, nach hinten etwas längeres Gewand trugen sie einen mehr als handbreiten Gürtel mit zwei gleich breiten, bis an die Knie niederhängenden und unten gezackten Streifen, welche wie der Gürtel von schwarzer Farbe und mit großen weißen Buchstaben besetzt waren. Rückwärts war der Gürtel in einen Knoten geschlungen, dessen beide Enden sich überkreuzend tiefer herabreichten, als die vorderen Streifen. Die Ärmel waren sehr weit und einer diente als Tasche, in welche die Gebetsrollen gesteckt werden konnten. Über den Ellbogen des linken Armes hing eine breite Manipel mit Quasten, die von derselben Farbe und Stickerei wie der Gürtel war. Um den Hals trug Petrus eine Stola, welche von den Achseln herab breiter wurde, als um den Hals, und über der Brust durch ein herzförmiges, blankes, mit Steinen besetztes Schildchen ins Kreuz gefasst war. Die beiden anderen Apostel hatten die Stola unter dem Arm gekreuzt und kürzere Streifen am Gürtel. Beim Gebet legten alle die Hände kreuzweise über die Brust. Den inneren Kreis unter der Lampe bildeten die Apostel. Die zwei anderen Kreise wurden von den Jüngern gebildet. Petrus zwischen Johannes und Jakobus stand mit dem Rücken gegen den geschlossenen Eingang des Abendmahlshauses gewendet, hinter ihm standen nur einige und vor ihm gegen das Allerheiligste hin war der Kreis nicht geschlossen, sondern offen.

Die heiligste Jungfrau war während der ganzen Feier mit Maria Kleophä und Magdalena in der zum Saale zu geöffneten Vorhalle. Unter dem Gebete wurde von Petrus auch gelehrt.

Es wunderte mich, dass die Mehrzahl der Apostel und Jünger, obwohl Jesus dem Petrus, Johannes und Jakobus erschienen war, doch noch nicht recht daran glauben wollten und immer noch sich Gedanken machten, als sei diese seine Erscheinung nicht eine wirkliche und körperliche gewesen, sondern nur ein Gesicht, eine Erscheinung, ähnlich denen, wie die Propheten sie gehabt.

Alle hatten nach einer Lehre Petri sich wieder zum Gebet geordnet, als Lukas und Kleophas von Emmaus zurückeilend am verschlossenen Hoftor pochten und eingelassen wurden. Sie erzählten ihre Freudenbotschaft, das Gebet wurde etwas unterbrochen. Kaum war es aber wieder fortgesetzt, als ich alle Anwesenden wie leuchtend vor freudiger Rührung erblickte. Jesus war durch die geschlossene Tür eingetreten, in einem weißen, einfach gegürteten langen Gewand. Sie schienen seine Nähe nur allgemein zu empfinden, bis Er durch sie durch und in ihre Mitte unter die Lampe trat, worauf sie alle sehr erstaunt und bewegt waren. Er zeigte ihnen seine Hände und Füße und öffnete sein Gewand, ihnen die Seitenwunde zu zeigen. Er redete: und da sie sehr erschrocken waren, begehrte Er Speise. Ich sah Licht von seinem Mund auf sie ausgehen. Sie waren ganz wie entzückt.

Nun sah ich noch, dass Petrus hinter eine Stellwand oder hinter einen hängenden Teppich in einen abgesonderten Raum des Saales ging, den man nicht bemerkte, weil die Trennung vom nämlichen Stoff wie die ganze Wandbekleidung war. Hier, wo in der Mitte das heiligste Sakrament auf dem Osterherde stand, war noch eine Seitenabteilung, in welche sie den fusshohen Tisch hinschoben, wenn sie unter der Lampe liegend gegessen hatten. Auf diesem Tisch stand ein ovalrunder tiefer Teller mit einem weißen Tüchlein bedeckt, welches Petrus dem Herrn brachte. Es war aber ein Stück Fisch und etwas Honig darin, und Jesus dankte und segnete die Speise, aß und gab einigen, doch nicht allen, Bissen davon. Auch seiner heiligsten Mutter und den anderen Frauen, die in der Öffnung der Vorhalle standen, teilte Er davon mit.

Hernach sah ich Ihn lehren und Kräfte austeilen. Der Kreis um Ihn stand dreifach, im innersten die zehn Apostel. Thomas war nicht zugegen. Wunderbar erschien mir, dass einen Teil seiner Worte und Mitteilungen nur die zehn Apostel vernahmen. Ich kann nicht sagen, hörten, denn ich sah nicht, dass Jesus die Lippen bewegte. Er leuchtete, es strahlte Licht aus seinen Händen, Füßen und seiner Seite und seinem Mund auf sie, als hauche Er sie an, und dieses Licht floss in sie hinein, und sie wurden inne und hatten es vernommen (aber ich habe kein Reden mit dem Munde und kein Hören mit den Ohren gesehen), dass sie die Sünden vergeben könnten und taufen sollten und heilen und Händeauflegen und Gift ohne Schaden trinken. Ich weiß nicht, wie dieses war, aber ich empfand, dass Er ihnen dies nicht mit Worten gab, dass Er es nicht mit Worten sagte, und dass es nicht alle hörten, sondern dass Er es wesentlich, wie mit einer Substanz, einem Einstrahlen, gab. Ich weiß jedoch nicht, ob sie es selbst so empfangen zu haben fühlten, oder ob sie meinten, es bloß natürlich gehört zu haben. Das aber fühlte ich, dass es nur der innere Kreis der Apostel vernommen oder empfangen hatte. Es war mir wie ein innerliches Reden und doch kein Flüstern, kein leises Reden.

Jesus legte ihnen mehrere Punkte der Heiligen Schrift aus, die sich auf Ihn und das heiligste Sakrament bezogen und ordnete eine Verehrung des heiligsten Sakramentes nach der Sabbatsfeier an. Er sprach dabei vom Heiligtum der Bundeslade, von den Gebeinen und Überbleibseln der Vorfahren und deren Verehrung, um ihre Fürbitte an sich zu reissen: von Abraham, der Gebeine Adams, die er besessen, bei seinem Opfer aufgestellt habe. Einen anderen Punkt vom Opfer Melchisedechs, das ich dabei sah, habe ich vergessen: er war sehr bedeutend. Weiter sagte Jesus: der bunte Rock, den Jakob dem Joseph gegeben habe, sei ein Vorbild seines blutigen Schweißes am Ölberg gewesen. Ich sah dabei diesen bunten Rock. Er war weiß, mit breiten, roten Streifen und hatte auf der Brust drei schwarze Querschnüre, in der Mitte mit einer gelben Verzierung. Er war oben weit, um etwas hineinzuschieben, in der Mitte aber gegürtet. Unten war er eng und hatte Einschnitte in der Seite, um Raum zum Gehen zu lassen. Er ging bis herab und war hinten länger, als vorne, auf der Brust bis zum Gürtel war er offen. Josephs gewöhnliches Kleid ging nur bis über die Knie.

Jesus sagte den Jüngern auch, dass bei der Bundeslade Gebeine von Adam gewesen seien, welche Jakob dem Joseph mit dem bunten Rock gegeben habe, und ich sah, dass Jakob sie dem Joseph gab, ohne dass dieser wusste, was es war. Er gab sie ihm aus Liebe, als gebe er ihm einen Schutz, einen Schatz, weil er wohl wusste, dass seine Brüder ihn nicht liebten. Joseph hatte die Gebeine auf seiner Brust hängen gehabt, wie in einem Säckchen von zwei ledernen Tafeln, das nicht ganz eckig, sondern oben rund war. Da seine Brüder ihn verkauften, zogen sie ihm nur den bunten Rock und das Unterkleid aus: Joseph hatte aber auf dem blossen Leib noch eine Binde und eine Art Skapulier über der Brust, worunter er jenes Säckchen hängen hatte. Jakob, nach Ägypten kommend, fragte Joseph nach diesem Schatz und offenbarte ihm, dass es Gebeine Adams seien. Dabei sah ich die Gebeine Adams wieder unter dem Kalvarienberg: sie sind schneeweiß und doch sehr hart. Auch von Joseph selbst wurden Gebeine bei der Bundeslade bewahrt.

Jesus sprach auch vom Geheimnis in der Bundeslade, und dass dieses Geheimnis nun sein Leib und Blut sei, den Er ihnen im Sakrament auf ewig gegeben. Er sprach auch von seinem Leiden und einiges Wunderbare von David, was sie nicht wussten, und Er ihnen auslegte. Zuletzt befahl Er ihnen auf ein paar Tage in die Gegend von Sichar zu ziehen und dort Zeugnis von seiner Auferstehung zu geben. Darnach verschwand Er. Ich sah die Versammelten ganz freudetrunken durcheinander. Sie öffneten die Tür und gingen aus und ein, versammelten sich jedoch wieder und beteten Dank- und Lobgesänge unter der Lampe.

7. Die Apostel predigen von der Auferstehung

Noch in derselben Nacht begab sich ein Teil der Apostel auf Jesu Geheiß nach Bethanien, die anderen machten noch Wege in Jerusalem. In Bethanien blieben ältere Jünger zurück, um die neueren und schwächeren zu belehren, was sie teils bei Lazarus, teils in der Synagoge taten. Auch Nikodemus und Joseph von Arimathäa hielten sich bei Lazarus auf: die heiligen Frauen aber waren in einem Nebengebäude des Hauses von Lazarus, das rings mit einem Graben und Hof umgeben ist, vereinigt. Es hatte seinen Eingang von der Straße her und war sonst von Magdalena und Martha bewohnt.

Die Apostel aber zogen mit einer Schar von Jüngern, unter denen auch Lukas, in der Richtung gegen Sichar. Petrus sprach freudig, da sie auszogen: wir wollen zum Meer ziehen und Fische fangen, indem er Seelen darunter verstand. Sie verteilten sich nach verschiedenen Wegen und lehrten in Herbergen und im Freien, vom Leiden und der Auferstehung Jesu. Es war dies eine Vorbereitung zur Bekehrung am Pfingstfest.

In der Herberge vor Thänath-Silo kamen alle wieder zusammen. Auch Thomas kam mit zwei Jüngern dahin. Als sie bei einer Mahlzeit vereinigt waren, welche der Vater des Silvan, der die Aufsicht über die Herberge führte, ihnen bereitet hatte. Die Apostel erzählten dem Thomas von der Erscheinung des auferstandenen Heilandes in ihrer Mitte. Er aber wehrte sich mit den Händen und wollte es nicht glauben, bis er seine Wunden berührt habe. Ebenso tat er vor den Jüngern, als auch sie die Erscheinung des Herrn ihm beteuerten. Thomas hatte sich von der Gemeinschaft etwas zurückgezogen und war dadurch im Glauben gesunken.

Petrus lehrte in der Schule von Thänath-Silo bis tief in die Nacht. Er sprach ganz frei heraus, wie die Juden mit Jesus verfahren seien. Er erzählte vieles von seinen letzten Vorhersagungen und Lehren, von seiner unaussprechlichen Liebe, von seinem Gebete am Ölberg und von des Judas Verrat und Schicksal. Darüber wurden die Leute sehr verwundert und betrübt, denn sie hatten Judas geliebt, der während Jesu Abwesenheit mit seiner Dienstwilligkeit hier vielen geholfen, auch Wunder tat. Petrus verschonte auch sich selber nicht, erzählte seine Flucht und Verleugnung unter bitteren Tränen. Alles weinte mit. Er geriet in immer größere Trauer und Heftigkeit und erzählte, wie grausam die Juden mit Jesus umgegangen und wie Er am dritten Tag auferstanden, den Frauen und ihm und anderen und allen insgemein erschienen sei, und forderte aller Anwesenden Zeugnis zu geben, die Ihn gesehen hatten. Es hoben da wohl hundert die Hände und Finger in die Höhe. Thomas aber war still und tat es nicht. Er konnte es noch immer nicht recht glauben. Petrus forderte die Leute auf, alles zu verlassen, sich an die Gemeinde anzuschließen und Jesus nachzufolgen. Er lud die Mutlosen ein, nach Jerusalem zu kommen, wo sie alles mit ihnen teilen würden. Sie sollten sich vor den Juden nicht fürchten, denn diese werden ihnen nichts tun, sie seien jetzt selber in Furcht. Alle Leute waren sehr bewegt und viele bekehrten sich. Sie wollten auch, dass die Apostel noch länger bei ihnen bleiben sollten, aber Petrus sagte, dass sie zurück müssten.

Die Apostel heilten hier sehr viele Kranke, worunter auch Mondsüchtige, und trieben Teufel aus. Sie verfuhren dabei, wie Jesus getan, mit Anhauchen, mit Handauflegen und, indem sie sich über Kranke auch hinstreckten. Es waren lauter Kranke, welche Jesus bei seinem letzten Hiersein übergangen hatte. Ich sah die Bewohner des Ortes sehr freundlich gegen die Apostel. Die Jünger heilten nicht, aber sie dienten den Kranken mit Tragen, Heben, Führen. Lukas, der ein Arzt war, war nun ganz Krankenpfleger geworden.

Die Mutter Gottes sah ich in Bethanien still und ernst, mehr feierlich als menschlich betrübt. Maria Kleophä, welche ungemein lieblich und Maria von allen Frauen am ähnlichsten ist, sehe ich oft zu ihr gebeugt sie freundlich und rührend trösten.

Magdalena ist in Trauer und Liebe über alle Scheu hinaus, ganz und heroisch und ohne Sorge. Sie ruht nicht, eilt mit zerstreuten Haaren oft durch die Straßen, und wo sie Menschen findet, in Häusern oder öffentlich, klagt sie diese als die Mörder des Herrn an und erzählt mit Leidenschaft, wie sie mit dem Heiland getan und von seiner Auferstehung. Wo sie keine Menschen findet, irrt sie durch die Gärten und sagt es zu Blumen, Bäumen und Brunnen. Oft sammeln sich Menschen um sie: einzelne bemitleiden sie, andere verhöhnen sie wegen ihrer früheren Lebensweise. Sie genießt keine Achtung bei der großen Schar, denn sie hatte ehemals großes Ärgernis gegeben. Ich sah, wie ihr jetziges heftiges Wesen in ihrem Schmerz mehrere Juden ärgerte, so dass etwa fünf sie fangen wollten, aber sie ging gerade durch sie durch und tat wie zuvor. Sie hat die ganze Welt vergessen und seufzt nur nach Jesus.

Martha hatte während der Zerstreuung der Jünger und des Leidens des Herrn ein schweres Amt und hat es noch, denn ganz von Betrübnis zerrissen sorgte und half sie überall. Alle Zerstreuten und Verirrten speiste und pflegte sie, besorgte die Nahrung für alle, und die ihr dabei hilft und eigentlich kocht, ist Johanna, die Witwe des Chusa, eines Dieners des Herodes.

Simon von Cyrene war jetzt in Bethanien bei den Jüngern. Seine zwei Söhne fand er hier unter den Jüngern. Er war ein frommer Mann aus Cyrene, der sich um die heilige Zeit in Jerusalem aufzuhalten pflegte, wo er bei verschiedenen Familien, die ihn kannten, in den Gärten arbeitete und Hecken schnitt. Er aß dann bald in diesem, bald in jenem Haus: er war ganz still und gerecht. Seine Söhne waren auch schon längere Zeit in der Fremde und bei den Jüngern, ohne dass er es wusste, wie das manchmal mit armer Leute Kindern geschieht.

In Jerusalem gingen in diesen Tagen Leute von der Partei der Hohenpriester in alle Häuser, deren Besitzer mit Jesus und den Jüngern Zusammenhang hatten, sagten sie von ihren öffentlichen Ämtern los und hoben die Gemeinschaft mit ihnen auf. Nikodemus und Joseph von Arimathäa hatten seit Christi Grablegung nichts mehr mit den Juden zu tun gehabt. Joseph von Arimathäa war so, wie ein Gemeindeältester, und er stand immer mit den Juden wie ein Mann, der sich durch geräuschlose Verdienste und stetes bescheidenes Wirken die Achtung selbst der Bösen erworben hat. Was mich sehr freute, war, dass ich sah, wie der Mann Veronikas ihr nachgab, da sie ihm erklärte, sie werde sich eher von ihm, als dem gekreuzigten Jesus scheiden. Ich sah, dass auch er von öffentlichen Geschäften getrennt ward, aber ich erhielt auch die Weisung, er tue es mehr aus Liebe zu seiner Frau, als zu Jesus. Außerdem ließen die Juden Wege und Stege zum heiligen Grab am Kalvarienberg durch Gräben und Zäune verstellen, weil viele dahin wandelten und mancherlei Rührungen und Wunder dort geschahen.

Pilatus hat Jerusalem aus innerer Unruhe auch verlassen. Herodes ist seit ein paar Tagen nach Machärus gezogen, hat aber dort keine Ruhe gefunden und ist weiter nach Madian.

Hier, wo sie den Herrn einstens nicht aufgenommen hatten, öffneten sie nun dem Mörder die Tore.

Während dieser Tage sah ich Jesus an vielen Orten erscheinen, zuletzt in Galiläa in einer Talgegend über dem Jordan, wo eine große Schule war. Es standen mehrere Leute zusammen, sprachen von Ihm und zweifelten an dem Gerücht seiner Auferstehung. Da erschien Er mitten unter ihnen und verschwand wieder nach einigen Reden. So sah ich Ihn in verschiedenen Gegenden erscheinen.

Die Apostel reisten aus der Gegend von Sichar sehr schnell wieder zurück und schickten einen Boten nach Bethanien voraus, ihre Rückkehr zu melden und mehrere Jünger zum Sabbat nach Jerusalem zu bescheiden. Andere sollten den Sabbat in Bethanien halten, denn sie hatten schon eine gewisse Ordnung und Gesetz. Die Apostel gingen nur durch die Orte durch, ohne sich aufzuhalten. Thaddäus, Jakobus der Kleinere und Eliud zogen in Reisekleidern den übrigen voraus in des Johannes Markus Haus zu der heiligsten Jungfrau und zu Maria Kleophä, welche, als hätten sie die Ankommenden lange nicht mehr gesehen, sehr froh waren. Ich sah dabei, dass Jakobus einen Priesterornat, einen Mantel, auf dem Arm trug, der für Petrus von den heiligen Frauen in Bethanien gemacht worden war und den er ins Abendmahlshaus brachte.

Die Apostel kamen zusammen so spät im Abendmahlshaus an, dass sie das zubereitete Mahl nicht mehr nehmen konnten, sondern sogleich die Sabbatsfeier begannen. Sie legten also bald die Feierkleider an. Das Fußwaschen ging immer voraus. Die Lampe wurde angezündet, und ich bemerkte bereits eine Abweichung von der jüdischen Sabbatsfeier, denn zuerst wurden die Decken vor dem Allerheiligsten geöffnet und der Stuhl davor gestellt, auf welchem Jesus bei Einsetzung des heiligen Abendmahles zu Tisch lag. Sie bedeckten ihn mit einer Decke und hatten ihre Gebetsrollen darauf liegen. Petrus kniete davor, Johannes und Jakobus mehr rückwärts, die übrigen Apostel hinter ihnen und dann die Jünger. Wenn sie knieten, waren sie mit dem Kopf bis zur Erde gebeugt, die Hände vor das Gesicht haltend. Die Verhüllung wurde vom Kelch abgenommen, aber das weiße Tuch hing darüber. Es waren nur jene Jünger zugegen, welche schon mehr in das Geheimnis des heiligsten Sakramentes eingeweiht waren: so wie sie auch auf der Reise nach Sichar hauptsächlich jene mitgenommen hatten, welche den Herrn nach seiner Auferstehung gesehen hatten, um dieses beteuern zu können.

Petrus mit Johannes und Jakobus zur Seite hielt eine Betrachtung oder ein Gebet, worin der heiligen Einsetzung des Herrn und seiner Leiden gedacht und ein innerliches Opfer der Andacht dargebracht wurde. Hernach begannen sie die gewöhnliche Sabbatsfeier unter der Lampe stehend. Nachdem alles dieses vorüber war, nahmen sie eine Mahlzeit in der Vorhalle. Im Speisesaal selbst habe ich sie nicht mehr nach der Einsetzung des Abendmahls essen gesehen, außer vielleicht Brot und Wein.

Jesus hatte bei seiner Erscheinung durch die verschlossenen Türen ihnen den Zusatz zum Sabbatsdienst, der das Sakrament betraf, gelehrt.

Die heiligste Jungfrau war von Maria Markus nach Jerusalem abgeholt worden, und Veronika, die jetzt öffentlich mit ihr umgeht, hatte sie nebst Johanna Chusa von Bethanien dahin begleitet. Die heiligste Jungfrau ist lieber in Jerusalem, denn sie geht dort einsam in der Dämmerung und nachts die Leidenswege Jesu, betet und betrachtetet an allen Stellen, wo Er gelitten hat und wo Er niedergefallen ist. Und da sie, weil die Juden vieles verzäunt und verschüttet haben, nicht überall hinkommen kann, so macht sie die Wege auch zu Hause, oder im Freien, denn sie hat alle Strecken und die Anzahl der Schritte genau in ihrer Seele und so erneuert sie in ihrer mitleidenden Betrachtung stets den ganzen Leidensweg ihres Sohnes. Es ist gewiss, dass die heiligste Jungfrau die Andacht des Kreuzweges und die Betrachtung des bitteren Leidens zuerst begonnen und nach dem Tod Jesu immer fortgesetzt hat.

8. Zweites Liebesmahl. Thomas legt die Hand in Jesu Wundmale

Nach dem Schluss des Sabbats, als die Apostel ihre Feierkleider schon abgelegt hatten, sah ich ein großes Mahl in der Vorhalle: es war ein Liebesmahl, wie das am letzten Sonntag. Thomas musste den Sabbat woanders in der Nähe gehalten haben, denn ich sah ihn erst nach der Mahlzeit kommen, da sie wieder im Saal waren. Es war noch nicht spät am Abend: die Lampe war noch nicht angezündet. Mehrere Apostel und Jünger waren im Saal, andere sah ich kommen. Sie gingen im Saal hin und her, legten lange, weiße Kleider an und bereiteten sich zum Gebet, wie das letzte Mal. Petrus, Johannes und Jakobus legten wieder die ausgezeichnetere Priesterkleidung an.

Während sie zum Gebete sich rüsteten, sah ich Thomas in den Saal eintreten. Er ging durch die schon angekleideten Apostel durch, sich auch anzukleiden. Sie sprachen mit ihm. Einige fassten ihn bei den Ärmeln, andere bewegten im Gespräch die rechte Hand beteuernd, Nachdruck gebend gegen ihn. Er aber betrug sich wie einer, der sich schnell anzukleiden beschäftigt ist, und dem andere, bereits Angekleidete indessen etwas sehr Denkwürdiges an dem Ort, wo es geschehen war, beteuern, was er aber nicht glauben kann. Während dessen trat ein Mann ein, der ein Diener schien und eine Schürze vorhatte, eine kleine brennende Lampe in der einen Hand und in der anderen einen Stab mit einem Haken trug, mit welchem er die Lampe in der Mitte des Saales niederzog, anzündete, und wieder in die Höhe schob, worauf er den Saal verließ. Hierauf sah ich die heiligste Jungfrau und Magdalena mit noch einer Frau in das Haus kommen. Die heiligste Jungfrau und Magdalena gingen in den Saal und Petrus mit Johannes traten ihnen entgegen. Die dritte Frau blieb im Vorgemach. Die Vorhalle war gegen das Innere geöffnet, ebenso auch ein Teil der Seitenhallen. Die äußeren Türen zum Hof und der Hof selbst, waren verschlossen. In den Seitenhallen befanden sich sehr viele Jünger.

Sobald Maria und Magdalena im Saal waren, verschlossen sie die Türen und ordneten sich zum Gebet. Die heiligen Frauen blieben ehrerbietig zu beiden Seiten der Türe mit über der Brust gekreuzten Armen stehen. Die Apostel beteten wieder zuerst vor dem Allerheiligsten kniend, dann unter der Lampe stehend und sangen chorweise Psalmen. Petrus stand vor der Lampe, das Gesicht gegen das Allerheiligste gekehrt. Johannes und Jakobus der Jüngere zu seiner Seite, dann zu beiden Seiten der Lampe die übrigen Apostel. Die Seite gegen das Allerheiligste war unbesetzt. Petrus stand zwischen den beiden mit dem Rücken gegen die Türe, so dass hinter ihnen entfernter die beiden heiligen Frauen standen.

Nach einiger Zeit schienen die Versammelten in einer Gebetsunterbrechung zu sein. Es war, als sei das Gebet zu Ende, und sie sprachen, wie sie ans Meer von Tiberias gehen und wie sie sich verteilen wollten. Bald aber wurden ihre Gesichter wunderbar innig und erregt durch die Annäherung des Herrn. Ich sah Jesus bereits im Hof leuchtend in weißem Gewand und mit weißem Gürtel. Er ging gegen die Tür der Vorhalle, die sich vor Ihm öffnete und hinter Ihm schloss. Die Jünger in der Vorhalle schauten zur sich öffnenden Tür und wichen Raum machend nach beiden Seiten zurück. Jesus aber wandelte schnell durch die Halle in den Saal und trat zwischen Petrus und Johannes, welche wie alle anderen Apostel nach beiden Seiten zurückwichen, auf die Stelle des Petrus. Sein Hineinschreiten war kein eigentliches gewöhnliches, menschliches Sehen, auch kein Geisterschweben. Es machte mir beim Zurückweichen aller den Eindruck, als schreite ein Priester in der Albe durch die gedrängte Gemeinde. Es erschien auf einmal im Saal alles weit und licht. Jesus war mit Licht umgeben, und die Apostel waren nur aus diesem Lichtkreis herausgetreten, sonst, meine ich, hätten sie Ihn nicht sehen können.

Zuerst sprach Jesus: «Friede sei mit euch!» Dann redete er mit Petrus und Johannes. Es kam ein Verweis darin vor, sie hätten etwas aus eigener Meinung außerhalb seiner Anordnung getan, und darum sei es ihnen nicht gelungen. Es bezog sich auf Krankenheilung beim Rückweg von Sichar und Thänath-Silo, wo sie nicht genau nach Jesu Vorschrift verfahren waren und was ihnen darum nicht gelungen war. Sie hatten etwas nach ihrem Gutdünken dabei getan. Er sagte ihnen auch, wie sie, wieder hinkommend, es anders machen sollten. Nun trat Jesus unter die Lampe und der Kreis um Ihn verengte sich. Thomas, sehr erschüttert beim Anblick des Herrn, zog sich wie scheu etwas zurück. Jesus aber nahm mit seiner Rechten die Rechte des Thomas, dessen Zeigefinger fassend, und legte die Spitze desselben in die Wunde seiner linken Hand, dann nahm Er mit der Linken diese Hand des Thomas und legte dessen Finger in die Wunde seiner rechten Hand, dann führte Er die rechte Hand des Thomas mit seiner Rechten, ohne seine Brust zu entblößen, unter sein Gewand und legte den Zeige- und Mittelfinger desselben in die Wunde seiner rechten Seite. Er sprach dabei einige Worte. Thomas aber sank mit den Worten: «Mein Herr und Gott!» indem Jesus ihn immer an der Hand hielt, in sich wie ohnmächtig zusammen. Die Nahestehenden unterstützten ihn und Jesus hob ihn an seiner Hand wieder empor. Das Sinken und Wiederaufrichten hatte eine Bedeutung.

Als Jesus des Thomas Hand ergriff, sah ich seine Wunden nicht wie blutige Male, sondern wie hellstrahlende kleine Sonnen. Die anderen Jünger waren sehr bewegt bei diesem Auftritt und streckten, ohne sich hinzudrängen, die Köpfe vor, um zu sehen, was der Herr den Thomas fühlen ließe. Die heiligste Jungfrau sah ich während der ganzen Gegenwart des Herrn ohne äußere Bewegung in stiller, tiefer, innerer Andacht wie entzückt. Magdalena schien mehr bewegt, doch weit weniger äußerlich als die Jünger.

Jesus verschwand nicht gleich. Er sprach noch und begehrte auch etwas zu essen. Ich sah Ihm wieder aus dem Verschlag, wo der Tisch stand, ein länglich-rundes Schüsselchen, nicht ganz so wie das erste Mal, bringen. Es war wieder etwas wie Fisch darauf, wovon Er aß, segnete und Thomas zuerst, dann anderen den Rest gab.

Jesus sprach davon, warum Er mitten unter ihnen stehe, dass sie Ihn doch verlassen hätten, und warum Er sich nicht näher zu einzelnen stelle, die Ihm treuer geblieben seien. Er sprach auch davon, wie Er zu Petrus gesagt habe, seine Brüder zu stärken, und warum Er dieses zu ihm gesagt habe. Er wendete sich zu allen und sagte, warum Er ihnen Petrus zum Führer geben wolle, wenn er Ihn gleich verleugnet habe. Es müsse aber ein Hirt der Herde sein, und Er sprach vom Eifer des Petrus.

Johannes brachte aus dem Allerheiligsten auf dem Arm den bunten, weiten, gestickten Mantel, welchen Jakobus von Maria empfangen hatte und an welchem in der letzten Zeit die heiligen Frauen in Bethanien gearbeitet hatten. Außerdem einen hohlen, schlanken, hohen, oben gekrümmten Stab, wie ein Hirtenstab, aber blinkend und wie ein hohes Rohr. Der Mantel war weiß mit breiten roten Streifen und es waren Ähren, Weinreben, ein Lamm und andere Figuren in Farben darauf gestickt. Es war weit und lang, bis zu den Füßen und wurde vor der Brust durch ein viereckiges Metallschildchen geschlossen. Die beiden Längsseiten des Mantels waren mit roten Streifen eingefasst und diese Streifen waren mit kurzen Querstreifen durchkreuzt, auf welchen Buchstaben angebracht waren. Dazu gehörte ein Kragen mit einer Kappe von himmelblauer Farbe, welcher über Hals und Kopf gezogen werden konnte.

Nun kniete Petrus vor Jesus, der ihm einen runden Bissen, wie einen kleinen Kuchen, zu essen gab. Ich erinnere mich keines Tellers, auch nicht wo Jesus den Bissen hernahm, aber er leuchtete. Ich ward inne, als erhalte Petrus eine sonderbare Kraft damit. Auch sah ich, dass Jesus den Petrus anhauchte und eine Gewalt, eine Kraft in ihn goss. Es war dieses kein eigentliches Anhauchen, es waren Worte und eine Kraft, ein Wesentliches, das Petrus empfing, keine bloß gesprochenen Worte. Jesus näherte seinen Mund dem Mund und den beiden Ohren des Petrus und ergoss in diese drei jene Kraft. Es war dieses noch nicht der Heilige Geist selbst, sondern etwas, was der Heilige Geist am Pfingsttag erst in Petrus ganz beleben sollte. Jesus legte ihm auch die Hände auf und gab ihm eine Kraft und Obergewalt über die anderen dann legte Er ihm auch den Mantel um, den der nebenstehende Johannes auf dem Arme hatte, und gab ihm den Stab in die Hand. Er sprach dabei, dass der Mantel alle Kraft und Gewalt in ihm zusammenhalten solle, welche Er ihm gegeben, und dass dieser Mantel zu tragen sei, wenn Petrus von seiner Kraft Gebrauch machen wolle.

Petrus redete alle in seiner neuen Würde an. Er war dabei wie ein anderer Mensch und voll Kraft. Sie hörten ihn sehr gerührt unter Tränen an. Er tröstete sie und sprach von vielem, was Jesus immer vorher gesagt, und wie es nun in Erfüllung gegangen sei. Er sprach auch, wie ich mich noch entsinne, wie Jesus achtzehn Stunden lang leidend den Hohn und die Schmach der ganzen Welt getragen habe. Auch kam darin vor, wieviel an der Erfüllung seines vierunddreißigsten Jahres fehlte. Während der Rede des Petrus war Jesus verschwunden. Kein Schrecken, keine Verwunderung unterbrach die Aufmerksamkeit auf die Rede des Petrus, welcher mit einer ganz neuen Kraft ausgerüstet erschien. Sie sangen nachher einen Dankpsalm. Jesus hatte weder mit seiner heiligsten Mutter, noch mit Magdalena geredet.

Jesus sprach auch von einer großen Taufe, wenn der Heilige Geist auf sie gekommen sein werde, und dass Petrus acht Tage nachher, was Er ihm gegeben, diese Kraft, wieder anderen geben solle. Er sagte noch, dass einige das weiße Kleid ablegen und ein anderes mit einem Brustschild anlegen sollten. Andere aber sollten wieder in das abgelegte weiße Gewand eintreten. Es waren Anordnungen vom Eintreten höherer geistlicher Würden und Weihen unter ihnen.

Hierauf stellten sich die anwesenden Jünger auf Jesu Befehl in sieben einzelne Scharen zusammen, deren jeder ein Apostel vortrat. Jakobus der Kleinere und Thomas aber standen bei Petrus. Sie hatten sich auf Jesu Befehl so geordnet. Es war, als stellten sie sieben Gemeinden, sieben Kirchen vor. Jesus sagte noch zu Petrus, dass sie nach Tiberias fischen gehen sollten.

9. Jesus erscheint den heiligen Aposteln am galiläischen See

Ehe die heiligen Apostel an den See zogen, wandelten sie noch den Kreuzweg zum Kalvarienberg, und gingen dann nach Bethanien, von wo sie verschiedene Jünger mit sich nahmen. Sie zogen auf verschiedenen Wegen in mehreren Abteilungen an das galiläische Meer. Petrus ging mit Johannes, Jakobus Major, Thaddäus, Nathanael, Johannes Markus und Silas - es waren sieben Mann - gegen Tiberias. Sie ließen Samaria zur Linken. Alle Apostel gingen auf Wegen, welche die Orte vermieden. Sie begaben sich vor Tiberias an eine Fischerei, welche Petrus in Pacht gehabt hatte, und worauf nun ein anderer Mann, ein Witwer mit zwei Söhnen war. Sie aßen bei diesem Mann. Und ich hörte Petrus sagen: dass er in drei Jahren hier nicht gefischt habe.

Sie stiegen in zwei Schiffe, das eine war etwas größer und besser, das andere kleiner. Sie ließen dem Petrus den Vorzug des größeren Schiffes, in das er mit Nathanael, Thomas und einem Diener des Fischers hineinstieg. Im anderen Schiff waren Johannes, Jakobus, Johann Markus und Silas. Petrus litt nicht, dass ein anderer ruderte. Er wollte es selbst tun, und war, wenn gleich erst von Jesus so ausgezeichnet, doch ungemein demütig und bescheiden, besonders gegen Nathanael, der fein und gelehrt war.

Sie fuhren mit Fackeln die ganze Nacht hin und her, warfen oft das Netz zwischen den beiden Schiffen aus, zogen es aber immer wieder leer heraus. Dazwischen beteten und sangen sie Psalmen. Gegen Morgen, da der Tag zu grauen begann, näherten sich die Schiffe jenseits des Ausflusses des Jordan der Morgenseite des Sees, und ermüdet wollten sie dem Ufer nah die Anker fallen lassen. Sie hatten aber die Kleider beim Fischen abgelegt und hatten nur eine Binde und ein Mäntelchen um. Im Begriff, sich anzukleiden und zu ruhen, sahen sie hinter dem Schilfe des Ufers eine Gestalt. Es war Jesus, welcher rief: «Kinder, habt ihr keine Speise?» Sie antworteten: «Nein!» Da rief Jesus wieder, sie sollten das Netz gegen Abend vom Schiff des Petrus auswerfen. Das taten sie, und Johannes musste deswegen mit seinem Schiff gegen die andere Seite von Petri Schiff hinfahren. Und wie sie das Netz so schwer fühlten, erkannte Johannes Jesus und rief dem Petrus über das stille Meer zu: «Es ist der Herr!» Da warf Petrus gleich seinen Rock um, sprang ins Wasser und watete ans Land zu Jesus durch das Schilf. Johannes aber kam auf einer Anlände. Es war dieses ein leichtes, sehr schmales Boot, das an seinem Schiff befestigt war. Es hingen zwei dergleichen aneinander, und man schob eines vor das andere und ging darüber ans Land. Es konnte nur ein Mann darin gehen und man brauchte es in der Nähe des Landes, wo es seicht war.

Während die Apostel auf dem Meere fischten, sah ich den Heiland umgeben von vielen Seelen der Altväter, welche Er aus der Vorhölle befreit hatte, und auch mit anderen erlösten Seelen, die an verschiedene Orte in Höhlen und Sümpfen und Wüsten gebannt gewesen waren, aus dem Tal Josaphat daherschweben. Während der ganzen Zeit dieser vierzig Tage sehe ich Jesus, wenn Er nicht bei den Jüngern ist, mit den Seelen, welche Ihn hauptsächlich angehen, von Adam und Eva an bis auf Noe, Abraham und die anderen Altväter und mit seinem ganzen Stamm alle denkwürdigen Orte seines Lebens durchziehen und ihnen alles zeigen und lehren, was Er für sie getan und gelitten hat, wodurch sie unbeschreiblich erquickt und durch Dank geläutert werden. Er lehrte sie gewissermassen in dieser Zeit die Geheimnisse des Neuen Testamentes, durch welche sie von ihren Fesseln entbunden sind. Ich sah Ihn in Nazareth mit ihnen, in der Krippenhöhle zu Bethlehem und überall, wo etwas Denkwürdiges mit Ihm vorgegangen war. Man kann an diesen Seelen durch eine gewisse Weichheit oder Kraft der Erscheinung unterscheiden, dass sie auf Erden Männer oder Frauen beseelten. Ich sehe sie in langen engen Gewändern, mit niederströmenden Falten, welche schimmern. Es ist, als schwebten diese Kleider hinten länger nieder. Es erscheinen an ihnen die Haare nicht als Haare, sondern als Strahlen von einer gewissen Bedeutung, und ich erkenne solche Strahlen auch am Bart der Männer. Ohne äußere Zeichen sehe ich doch die Könige und besonders die Priester, welche mit der Bundeslade zu tun hatten von Moses her, ausgezeichnet, und sehe auf den Wegen des Heilandes diesen auch immer von ihnen umgeben schweben, so dass auch hier in allem der Geist der Ordnung herrscht. Alle diese Erscheinungen bewegen sich ungemein anmutig und edel und haben in ihrer Richtung etwas Schwebendes, leise schräg Liegendes. Sie berühren die Erde nicht so, als seien sie schwer, sondern als schwebten sie darüber hin.

Mit diesen Seelen sah ich den Herrn am See ankommen, als die Apostel noch fischten. Es war hinter einem Wall eine tiefere Stelle, wo sich unter einem Obdach eine Feuerstelle befand, vielleicht zum Gebrauch der Hirten. Ich sah nicht, dass Jesus Feuer anmachte, oder einen Fisch fing, oder sonst woher erhielt. Feuer und Fisch und alles Nötige kam in Gegenwart der Altväterseelen sogleich zum Vorschein, als der Herr dachte, hier solle ein Fisch bereitet werden. Wie, kann ich nicht sagen.

Die Geister der Altväter hatten einen Teil an diesem Fisch und seiner Zubereitung. Er deutete auf die leidende Kirche, auf die Seelen in der Reinigung. Sie wurden in diesem Mahl mit der Kirche äußerlich verbunden. Jesus gab mit dem Essen dieses Fisches auch den Aposteln den Begriff von der Verbindung der leidenden und streitenden Kirche. Jonas im Fisch deutet auch auf Jesu Verweilen in der Unterwelt. Vor der Hütte lag ein Balken, der als Tisch diente.

So viel hatte ich gesehen, als Jesus über den Wall ans Meer ging. Petrus schwamm nicht, er watete durchs Wasser. Man konnte den Grund sehen, doch war es ziemlich tief. Als er schon bei Jesus stand, kam auch Johannes, und die auf dem Schiff riefen, die auf dem Land sollten am Netz ziehen helfen. Jesus sagte zu Petrus, er solle die Fische bringen, und sie zogen das Netz ans Land und Petrus warf die Fische aus dem Netz heraus auf das Ufer. Es waren 153 Fische von allerlei Art. Diese Zahl deutete auf die neuen Gläubigen, die zu Thebez gewonnen wurden. Es waren mehrere Leute vom Fischer in Tiberias auf den Schiffen, welche bei den Fischen und den Schiffen blieben. Die Apostel und Jünger aber gingen mit Jesus zur Hütte, da Er ihnen sagte, sie sollten essen kommen. Als sie dahin kamen, waren die Geister der Altväter verschwunden. Die Apostel waren sehr verwundert, das Feuer und einen Fisch darauf, der doch nicht von den ihrigen war, zu sehen und Brot und Honigrooss. <ref>Sie sagt, es seien geröstete Kuchen von Mehl und Honig gewesen, von denen immer ein größerer zwischen zwei kleinen lag. Diese Kuchen seien Honig-Rooss oder Honig-Russ genannt worden.</ref> Die Apostel und Jünger legten sich an den Balken und Jesus machte den Wirt. Er gab jedem auf einem Brotkuchen eine Portion des Fisches aus der Pfanne, und ich sah nicht, dass der Fisch weniger ward. Er gab ihnen auch von dem Honigrooss, und lag selbst zu Tisch und aß. Alles dieses geschah sehr stille und feierlich.

Thomas war der dritte von denen gewesen, die schon auf dem Schiff eine Empfindung von der Anwesenheit Jesu hatten. Sie waren aber alle scheu und furchtsam, denn Jesus war geisterhafter als sonst, und das ganze Mahl und die Zeit hatte etwas Geheimnisvolles. Keiner wagte zu fragen. Alles hatte eine heilige, staunenerregende Feierlichkeit und Stille. Jesus erschien verhüllter und man bemerkte seine Wunden nicht an Ihm.

Nach dem Mahl sah ich Jesus mit ihnen aufstehen, am Meer hin- und hergehen und stehen bleibend feierlich zu Petrus sprechen: «Simon, Jonas Sohn, liebst du mich mehr, als diese?» Petrus erwiderte schüchtern: «Ja Herr! Du weißt, dass ich Dich liebe!» Da sagte Jesus zu ihm: «Weide meine Lämmer!» Und im selbigen Augenblick sah ich ein Bild von der Kirche und dem obersten Bischof, wie er die ersten Christen lehrte und führte, und sah das Taufen und Abwaschen der neuen Christen, wie der zarten Lämmer.

Dann sagte ihm Jesus wieder nach einer Pause, während sie immer wandelten und Jesus sich manchmal umwendend stehen blieb, und sich alle zu Ihm kehrten: «Simon des Johannes, liebst du mich?» und Petrus sehr schüchtern und demütig, seiner Verleugnung eingedenk, sagte abermals: «Ja Herr, Du weißt, dass ich Dich liebe!» und Jesus sagte abermals feierlich: «Weide meine Schafe!» Und wieder hatte ich ein Bild von der wachsenden Kirche und deren Verfolgung, und wie der oberste Bischof die sich mehrenden, zerstreuten Christen sammelte, schützte, Unterhirten zu ihnen aussandte und sie regierte.

Nach einer Pause, da sie gewandelt, sagte Jesus nochmals: «Simon, Jonas Sohn, liebst du mich?» und ich sah Petrus betrübt, weil er glaubte, Jesus frage so oft, als zweifle Er an seiner Liebe, und er gedachte seiner dreimaligen Verleugnung und sagte: «Herr! Du weißt alles, Du weißt, dass ich Dich liebe!» Ich sah aber, dass Johannes gedachte: «O welche Liebe muss Jesus haben, und muss ein Hirte haben, dass Er Petrus, dem Er die Herde übergeben, dreimal um die Liebe fragt !» Jesus sagte wieder: «Weide meine Schafe! Wahrlich! wahrlich! Ich sage dir, wie du jung warst, hast du dich selbst gegürtet und gingst, wohin du wolltest, wenn du aber alt sein wirst, wirst du deine Hände ausbreiten, und ein anderer wird dich binden und wird dich hinführen, wohin du nicht willst. Folge mir nach!»

Nun wendete sich Jesus wieder, um fortzugehen, und Johannes ging mit Ihm, indem Jesus mit ihm allein etwas sprach, was ich nicht hörte. Ich sah aber, dass Petrus, dies sehend, den Herrn fragte, indem er auf Johannes deutete: «Herr! was wird aber mit diesem werden?» und Jesus sagte ihm, seine Neugierde strafend: «Wenn Ich will, dass er bleibe, bis Ich komme, was geht dich das an, folge du mir nach I» Und nun wandte Er sich wieder und sie gingen weiter.

Als Jesus zum dritten Mal sagte: weide meine Schafe und man werde Petrus im Alter binden und führen, hatte ich ein Bild der sich ausbreitenden Kirche, sah Petrus in Rom gebunden und gekreuzigt und die Martern der Heiligen. Auch Petrus empfing ein Gesicht von seinem Martertod und den künftigen Leiden des Johannes. Indem er aber den Johannes in demselben Augenblick auch natürlich vor sich erblickte, dachte er: soll dieser, den Jesus so sehr liebt, nicht auch wie Er gekreuzigt werden? Und er fragte Jesus, der ihm mit einem Verweise antwortete. Ich empfing dabei ein Bild vom Tod des Johannes in Ephesus, wie er sich ins Grab legte, mit seinen Jüngern redete und starb. Seinen Leib aber sah ich nach dem Tode nicht auf Erden, sondern in einem wie die Sonne leuchtenden Raum zwischen Morgen und Mittag, und als empfange hier Johannes von oben und gehe nieder. Ich ward auch inne, dass einige diese Worte Jesu falsch verstehen und meinen, es heiße: «Ich will, dass er so bleibe», oder «wenn Ich will, dass er so bleibe.» Es heißt aber: «wenn Ich will, dass er bleibe.» Auch die anderen, welche dieses gehört, haben gemeint, Johannes solle nicht sterben. Er ist aber gestorben. Ich hatte auch hierbei ein Bild von seinem Tod und seinem nachherigen Aufenthalt.

Sie gingen noch eine Strecke mit Jesus, der ihnen sagte, was sie weiter tun sollten, und dann vor ihnen verschwand in der Richtung gegen Morgen des Sees nach Gergesa zu. Sie kehrten nach Tiberias zurück, kamen aber nicht wieder über die Stelle, wo Jesus ihnen zu essen gegeben hatte.

Von den Fischen, welche die Apostel gefangen, wurden keine zum Mahl gebraucht. Als Jesus sagte, dass sie dieselben herbeibringen sollten, warf Petrus sie reihenweise vor die Füße Jesu, wobei sie gezählt wurden. Es war dieses das Anerkennen, dass sie die Fische nicht durch sich und für sich, sondern durch sein Wunder und für Ihn gefangen hätten. Als die Fische da lagen, sagte Jesus: «Kommt und esst !» und führte sie über den Hügel oder Wall, wo man das Meer nicht sehen konnte und wo die Erdhütte über der Feuerstelle war. Jesus legte sich nicht zu Tisch, sondern ging zur Pfanne und brachte jedem sein Stück Fisch auf einem Stück Brot. Er segnete auch die Portionen und sie leuchteten. Die Honigkuchen lagen nicht in der Pfanne. Sie waren bereitet und lagen aufeinander. Jesus teilte sie auch aus, und als alle ihren Teil hatten, aß Er auch. Es war nur ein Fisch in der Pfanne, er war aber größer, als alle die anderen. Mit diesem Mahl war ein Geheimnis. Die Anwesenheit der Altväter und anderer Seelen, ihr Anteil mit an der Bereitung des Mahles und die darauf folgende Berufung des Petrus gaben mir zu erkennen, dass in diesem geistigen Mahl dem Petrus und der Kirche auch die leidende Kirche, die Seelen am dritten Ort, einverleibt und untergeben worden seien. Ich kann nicht sagen wie, aber ich hatte im Gesicht diese Überzeugung, darum schloss Jesus auch mit der Prophezeiung vom Tod des Petrus und der Zukunft des Johannes.

Jesus zog nun mit den Seelen der Altväter in die Gegend, wo Er die Teufel in die Schweine getrieben hatte und befreite dort noch andere Seelen, welche an dunkeln und wüsten Orten verweilten, denn hier waren immer viele Besessene und auch Unschuldige ermordet worden, die nach dem Urteile Gottes hier zu weilen hatten.

Jesus war mit den Seelen auch im Paradies, das ich so schön und deutlich als jemals gesehen habe. Er erklärte ihnen alles, was die ersten Eltern mit dem Fall verloren hatten, und welch ein Glück bei diesem Fall es gewesen, dass Er sie erlösen konnte. Ich sah, wie die Seelen wohl nach der Erlösung sich gesehnt, aber nicht gewusst hatten, auf welche Weise sie erfolgen würde, wie es auch den Menschen auf Erden dunkel geblieben war. Jesus wandelte mit ihnen und belehrte sie so, wie es ihrem Zustand entsprechend war, und wie Er es mit den Menschen in seinem irdischen Wandel getan hatte. Ich vernahm hierbei abermals, dass der Mensch erschaffen wurde, den Platz der gefallenen Engelchöre im Himmel auszufüllen. Ohne den Sündenfall würde er sich nur so lange vermehrt haben, bis jene Zahl ausgefüllt worden wäre, und dann würde die Schöpfung vollendet gewesen sein. Durch den Sündenfall aber sei eine zerstreuende, sich eigenwillig zersplitternde Fortpflanzung hervorgekommen, und sei mit Unreinem, Finsterem vermischt worden, darum sei die Strafe des Todes eine notwendige Folge und eine Wohltat gewesen. Was man auch vom Ende der Welt sage, so sei es ihr gewiss, sie werde nicht eher untergehen, bis aller Weizen aus der Spreu geerntet, und mit ihm jene Kreise der gefallenen Engel wieder erfüllt seien.

Ich sah Jesus mit den Seelen auch auf großen Schlachtfeldern und ihnen alles erklären, wie sie zum Heil geführt worden seien. Indem Er es ihnen sagte, sah ich die Bilder der Schlachten, und alles, als wäre es jetzt. Ich glaube, die Seelen sahen alles auch so. Niemals sah ich während solcher Geisterzüge jemand erschrecken. Es war wie ein angenehmes Wehen über das Land hin und Freude in allen Kreaturen. Jesus ist mit den Altvätern auch in allen Gegenden gewesen, wo die Apostel zuerst das Evangelium hinbrachten, und hat sie mit seiner Gegenwart gesegnet. Er durchwandelte die ganze Natur.

Als Petrus mit den drei Aposteln und den drei Jüngern am Nachmittag zum Fischer Aminadab zurückkam, der die Fischerei schon zwei Jahre lang von Petrus in Besitz erhalten hatte, nahmen sie daselbst eine Mahlzeit und Petrus erzählte das Wunder, das sie mit der Erscheinung und Mahlzeit des Herrn und dem reichen Fischzug erlebt hatten und lehrte von der Nachfolge und vom Allesverlassen. Der alte Fischer, der das Schiff voll Fische ankommen sah und von seinen mitgewesenen Söhnen auch das Wunder hörte, entschloss sich nun auch, das Seine zu verlassen. Die Fische wurden den Armen verteilt. Er übergab seine Fischerei einem anderen und zog in der Nacht mit seinen zwei Söhnen Isaak und Josaphat den Jüngern nach. Ihr Weg ging etwas an der Abendseite des Sees und dann landeinwärts. Die Absicht des Fischers war nicht ganz rein, er dachte bei der Verlassung seiner Habe, dass er noch etwas werden könnte.

Gegen Anbruch des folgenden Tages kamen die Apostel bei einer ziemlich großen Synagoge an, die mitten zwischen drei Dörfern im freien Felde von einigen Herbergshäusern umgeben lag. Sie fanden hier viele Jünger versammelt, denen Petrus das Wunder des Fischzugs und Mahles und die Worte Jesu erzählte. Hierauf lehrte er hier auch in der Schule vom Fischzug und der Nachfolge. Es waren sehr viele Menschen zusammengekommen, worunter viele Kranke und auch Besessene. Petrus allein heilte im Namen Jesu: die anderen Apostel und Jünger dienten und lehrten. Alle guten und der Lehre Jesu geneigten Leute aus der ganzen Gegend waren hier versammelt. Petrus sprach auch von den Leiden des Herrn, von seiner Auferstehung und erzählte, wie sie Ihn gesehen hätten und lud sie zur Nachfolge ein. Die Leute wurden sehr hingerissen, denn das Wesen des Petrus hat sich seit den beiden letzten Erscheinungen ganz verändert. Er ist voll Begeisterung und Sanftmut, und bewegte das Herz dieser Leute so, dass alle gleich mitziehen wollten, und er vielen befehlen musste, in ihren Häusern zurückzubleiben.

10. Jesus erscheint den Fünfhundert

Von diesem Ort, der einige Stunden südlich von Tiberias lag, zog Petrus mit den anderen und vielem Volk abendwärts nach einer hochliegenden Gegend, welche gegen Mitternacht ein ungemein fruchtbares Tal hatte, wo mitten im Winter das höchste, schönste Gras wächst, denn es läuft hier ein Bach durch, der in heißer Zeit trocken ist. Manchmal aber ist das ganze Tal von Regen überschwemmt, der von den Höhen nieder kommt. Auf dieser hohen Gegend kamen sie an einen einzelnen Berg, um welchen herum Häuser liegen, und hinter den Häusern Gärten den Hügel hinan, der nicht viel höher als die Häuser ist. Fünf Wege, mit Hecken und Bäumen besetzt, führen hinauf, und oben ist ein großer Raum, wo einige Hundert Menschen bequem wandeln können. Man kann von hier weit umher und über das galiläische Meer sehen. Es ist eine sehr schöne Aussicht. Nicht weit davon liegt der Berg der Brotvermehrung, und hier in der Gegend war es, wo Jesus die Berglehren gehalten hatte. Der Brunnen Kapharnaum liegt am Fuß dieser Gegend. Es waren hier auch die anderen Apostel, viele Jünger und alle heiligen Frauen, außer der Muttergottes und Veronika, auch Frau und Tochter des Petrus, und die Frauen von Andreas und Matthäus waren von Bethsaida herabgekommen, außerdem viele andere Menschen. Die Apostel und Jünger hatten gewusst, dass sie hier zusammenkommen sollten. Sie verteilten sich umher in Scheunen und im Freien. Petrus erzählte den Aposteln und Frauen das Wunder des Fischzuges und begab sich dann mit allen anderen auf den Berg, wo das Volk von einem Teil der Jünger schon geordnet war.

Auf dem Berg war eine Vertiefung, in deren Mitte eine mit Moos bewachsene Lehrsäule stand, in welcher man wie auf eine Kanzel hinaufsteigen konnte. Die Vertiefung, in welcher diese Säule stand, war stufenförmig, so dass viele Zuhörer übereinander wegsehen konnten. Petrus stellte fünf Apostel an die fünf Wege, welche auf den Berg führten, und diese lehrten das Volk, weil ihn wegen der Menge nicht alle hören konnten. Er selbst stand in der Mitte an der Säule, die Apostel, Jünger und vieles Volk um ihn her. Er verkündigte das Leiden und die Auferstehung und die Erscheinungen des Herrn und die Nachfolge.

Ich sah aber Jesus von derselben Seite der Gegend herkommen, von welcher Petrus hergekommen war. Er ging den Berg hinan. Die heiligen Frauen, welche am Pfade des Berges standen, warfen sich vor Ihm nieder. Er redete mit ihnen im Vorübergehen. Als Er aber leuchtend durch die Menge hinschritt, schauderten viele und ängstigten sich. Diese sind nicht treu geblieben. Dann trat Er in die Mitte an die Säule, wo Petrus gestanden, der sich Ihm nun gegenüber stellte, und sprach vom Verlassen des Seinigen, von der Nachfolge und von der Verfolgung, welche sie leiden würden. Es entfernten sich bei zweihundert der Anwesenden, als sie Ihn solches reden hörten. Als diese weggegangen waren, sagte Jesus, Er habe milde gesprochen, um die Schwachen nicht zu ärgern, und redete sehr ernst von den Leiden und Verfolgungen derer, die Ihm nachfolgten auf Erden, und von ihrem ewigen Lohn. Er redete dies zu den Aposteln und Jüngern, wie Er es schon in seinen letzten Tempellehren einmal getan hatte. Er sagte sie sollten erst in Jerusalem bleiben, und sollten, wenn Er ihnen den Geist gesendet, taufen im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und sollten vorerst eine Gemeinde gründen. Hierauf sagte Er, wie sie sich verteilen, entferntere Gemeinden bilden, dann wieder sich versammeln, und wieder weit ausziehen sollten und dass sie auch die Taufe des Blutes empfangen würden.

Während Jesus sprach, umgaben die Geister der Altväter die ganze Versammlung, doch dieser unsichtbar. Jesus verschwand aber wie ein erlöschendes Licht in ihrer Mitte und viele warfen sich auf ihr Gesicht. Petrus lehrte und betete hierauf noch. Es war dieses die Haupterscheinung Jesu in Galiläa, wo Er lehrte und allen seine Auferstehung zeigte. Die anderen Erscheinungen waren mehr im Geheimen.

Petrus, Thaddäus, Andreas, Jakobus der Jüngere sah ich darauf in einem anderen Ort, wo sie mehrere Kranke heilten, welche sich neulich in der Gegend von Sichar nicht hatten heilen können. Ihr Fehler war gewesen, dass sie die große Würde und Abgesondertheit Jesu in seinem Betragen nachahmen wollend etwas fremd und vornehm getan und nicht in Demut das gegeben hatten, was sie empfangen hatten, sondern als gäben sie es von sich, und darum war es ihnen zuletzt nicht gelungen. Nun sah ich aber, dass sie, was mir sehr rührend war, sich demütigten, bei den Kranken niederknieten und sie um Vergebung baten, dass sie ihnen nicht geholfen hatten. Diese Kranken wurden alle gesund. Es waren Leute bis von Kedar dabei. Die Geheilten zogen auch mit den Aposteln nach dem Sabbat nach Bethanien.

11. Liebesmahl in Bethanien und im Abendmahlshaus

Verwüstung der Heiligen Orte durch die Juden

Ich sah die Apostel in Bethanien, wohin ihnen etwa dreihundert Gläubige und darunter an fünfzig Frauen gefolgt waren, welche ihr Eigentum an die Gemeinde gegeben hatten. Auch die heiligste Jungfrau war von Jerusalem nach Bethanien in das Haus von Martha und Magdalena gekommen. Es wurde ein großes Liebesmahl mit Brotbrechen und herumgehendem Becher in der offenen Halle des Hofes im Haus des Lazarus gehalten.

Petrus lehrte nachher vor einer großen Menge. Es waren auch Laurer unter den Zuhörern. Und da Petrus verkündete, sie sollten nur alles verlassen und zu ihnen kommen, er wolle ihnen alles geben, was sie brauchten, lachten sie spottend, er habe selbst nichts, sei ein armer Fischer und Landstreicher, der seine Frau zu Hause kaum ernähren könne. Petrus lehrte noch immer mehr auf Befehl Jesu, als aus innerem lebendigem Gefühl, welches die Apostel erst mit dem Heiligen Geist erhielten. Petrus führte nun in den Versammlungen das Wort, außer, wenn er bei zu großer Menge an Menschen auch andere auf verschiedenen Punkten zu lehren verordnete. Seit der Bekleidung mit dem Mantel durch Jesus und seit dem Mahl des Fisches, der kein natürlicher Fisch gewesen war und wodurch er eine eigene Kraft empfangen hatte, hat er ein ganz anderes Wesen. Alle erkennen ihn als das Haupt, als den Mund und die Hand der Gemeinde. Ich hatte bei der Prophezeiung Jesu am See vom Tod des Petrus und der Zukunft des Johannes, und bei dem Befehl, weide meine Lämmer, die Empfindung, gleich als besorge Petrus die Führung und das Weiden der Herde ewiglich in seinen Nachfolgern, während Johannes ewig am Quell der Wasser stehe, welcher die Weide erfrischt und wässert und die Schafe erquickt. Mir schien es, als sei das Wirken des Petrus mehr in der Zeit und in der äußeren Verfassung und darum in Nachfolger zerfallend, das des Johannes aber mehr in der inneren Natur, in der Begeisterung, im Aussenden von begeisterten Boten. Petrus sei mehr der Fels, das Gebäude, Johannes mehr ein Wehen, eine Wolke, ein Gewitter, ein Donnerkind, ein Stimmensender, Petrus mehr wie der Bau, die Besaitung und Stimmung der Harfe, Johannes, wie das Wehen des Windes durch ihre Saiten. Ich vermag, was ich inne ward, nicht mit deutlicheren Worten vorzubringen.

Von Jerusalem kamen etwa fünfzig Soldaten nach Bethanien, von derselben Art wie jene, die den Herrn am Ölberg gefangengenommen hatten. Sie waren von der Tempel- und Hohenpriesterwache. Auch Abgeordnete des Synedriums erschienen auf dem Rathaus in Bethanien, welche die Apostel vor sich riefen. Petrus, Johannes und Thomas kamen vor dieselben und antworteten streng und frei auf die Verweise, dass sie Versammlungen hielten und Unruhen unter dem Volk veranlassten. Es standen auch Soldaten beim Haus des Lazarus. Die Abgeordneten von Jerusalem verhörten die Apostel öffentlich vor dem Rathaus. Die Obrigkeit von Bethanien aber widersprach ihnen und sagte ihnen, wenn sie etwas an diesen Männern wüssten, so sollten sie dieselben gefangen nehmen, ihnen aber keine Unruhe hier im Ort mit den Soldaten machen. Petrus entließ, um Ärgernis zu vermeiden, hundertunddreiundzwanzig der versammelten Gläubigen. Die entfernteren sollten bei den näher wohnenden bleiben, denn sie hatten bereits alles gemeinschaftlich. Auch die fünfzig Frauen begaben sich weg und wohnten in Abteilungen zusammen. Petrus bestellte alle gegen den Tag vor Christi Himmelfahrt nach Bethanien zurück.

Die Apostel aber begaben sich von Bethanien ins Abendmahlshaus nach Jerusalem, wo sie unter der Lampe vor dem Allerheiligsten beteten. Es waren etwa sieben Jünger bei ihnen. Sie konnten nicht mehr durch die Stadt ins Abendmahlshaus gelangen. Der Weg von dieser Seite her war durch die Juden unterbrochen worden. Sie mussten links vom Tempel den Weg dahin einschlagen, auf dem Petrus und Johannes am Grünen Donnerstag dahingegangen waren. Dort waren viele Fremdenherbergen, und das rechte Judenvolk wohnte nicht dort herum. Die Juden hatten, nachdem sie alle, die sich für Jesus erklärten und mit den Jüngern umgingen, aus öffentlichen Ämtern und ihrer Gemeinschaft ausgeschlossen hatten, auch die Stellen des Leidensweges, wo Jesus gefallen und irgendetwas vorgegangen war, mit Gräben durchschnitten. Auch hatten sie einzelne Pfade zur Gegend, wo die Anhänger Jesu meist wohnten und wandelten, zugemauert. Es kam mir ganz wunderlich vor, wenn man in so einer Straße wie in einem Sack gefangen war und wieder umkehren musste. Manchmal waren die Wege zum Kalvarienberg nachts durch die Freunde Jesu wieder geöffnet. Überhaupt wurden von den Juden alle Orte um Jerusalem, welche durch den Wandel und den Leidensweg Jesu besonders denkwürdig und den Seinigen besonders heilig waren, boshaft verwüstet. Die anmutigen Plätze, wo Jesus gelehrt und verweilt hatte, wurden unwegsam gemacht und durch Zaunwerk verschlossen. An einzelnen Stellen wurden sogar Fallgruben angebracht, damit andächtige Besucher hineinfallen sollten. Ich sah aber, dass einzelne boshafte Juden selber hineinstürzten. Der Kalvarienberg wurde durch Hecken und Schlagbäume unzugänglich gemacht. Seine Kuppe wurde abgegraben und ihr Erdreich wie Dünger über die Pfade und die fünf herzförmigen Rasenplätze, welche durch die Pfade zum Kreuzigungsplatz auf der Höhe gebildet wurden, hingestreut. Als sie die Erhöhung um den Kreuzplatz abgetragen hatten, blieb ein weißer Stein zurück, in welchem wohl ein eine Elle tiefes viereckiges Loch war, darin das Kreuz gestanden hatte. Ich sah sie an demselben mühsam arbeiten mit Hebebäumen, um ihn heraus zu bringen. Aber sie vermochten es nicht, und er sank immer tiefer. Sie verschütteten aber die Stelle. Nur das heilige Grab war als Eigentum des Nikodemus unverletzt. Das Haupt Christi im Grab lag gegen Morgen. Wenn man um Mittag aus der Höhle trat, hatte man die Sonne gerade über sich, die Abendgegend zur Rechten.

Ich ward aber auch inne, dass alle Zerstörer der Kreuzwege, der Kreuze, Kapellen oder Kirchen, der alten Andachten, der geheiligten Übungen und Gewohnheiten, und überhaupt alles dessen, was zum engeren Anschluss an die Geschichte der Erlösung mahnt, sei es Bauwerk, Bild, Schrift oder Sitte, Feier und Gebet, mit den Feinden der blutigen Fußstapfen Jesu, als zu diesen gehörend, werden gerichtet werden.

12. Hoheit und Würde der heiligsten Jungfrau

Am Abend des folgenden Tages sah ich alle Apostel und zwanzig Jünger im Saal unter der Lampe beten. Die heiligste Jungfrau, alle heiligen Frauen, auch Lazarus, Nikodemus, Joseph von Arimathäa und Obed waren anwesend. Nach dem Gebet redete Johannes zu den Aposteln. Petrus aber zu den Jüngern. Sie sprachen auf eine geheimnisvolle Weise von ihrem Verhältnis zur Mutter des Herrn und was sie ihnen sein müsse. Während dieser Lehre der beiden Apostel, welche sich auf eine Mitteilung Jesu an sie gründete, sah ich die heiligste Jungfrau in einem leuchtenden ausgebreiteten Mantel, der alle umfasste, über ihnen schweben und dass ihr aus dem offenen Himmel aus der heiligsten Dreifaltigkeit eine Krone auf das Haupt gegeben wurde. Ich sah die heiligste Jungfrau, welche außer dem Saal betete, währenddessen nicht mehr und hatte die Empfindung, als sei Maria ihrer aller rechtes Haupt, ihr ganzer Tempel und Umfang. Ich glaube, es war dieses ein Bild dessen, was durch den Willen Gottes in der Erklärung der Apostel für die Kirche in diesem Augenblick geschah.

Gegen neun Uhr sah ich in der Vorhalle eine Mahlzeit. Alle Gäste trugen bei dem Mahl ihre Feierkleider und Maria ihr Hochzeitsgewand. Beim Gebete aber hatte sie einen weißen Mantel um und war verschleiert. Sie saß zwischen Petrus und Johannes am Tisch der Apostel, die mit dem Rücken gegen den Hof saßen und die Tür des Saales im Gesicht hatten. Die anderen Frauen und Jünger saßen links und rechts an getrennten Tischen. Nikodemus und Joseph dienten zu Tisch. Petrus schnitt das Lamm gerade so, wie Jesus das Osterlamm geschnitten hatte. Am Ende des Mahles war ein Brotbrechen und Herumgeben des gesegneten (nicht konsekrierten) Brotes und Bechers.

Darnach sah ich die heiligste Jungfrau mit den Aposteln im Saal. Sie stand zwischen Petrus und Johannes unter der Lampe. Das Allerheiligste war geöffnet und sie beteten davor kniend.

Als Mitternacht vorüber war, empfing die heiligste Jungfrau von Petrus das heiligste Sakrament kniend. Er trug das von Jesus konsekrierte und gebrochene Brot auf dem Tellerchen des Kelches. In diesem Augenblick sah ich ihr, den andern nicht sichtbar, Jesus erscheinen. Maria war von Glanz und Licht durchdrungen. Sie beteten dann noch. Die heiligen Apostel sah ich sehr ehrerbietig gegen Maria. Sie begab sich darnach in das kleine Haus rechts vom Eingang in den Hof des Abendmahlshauses, wo sie nun ihre Wohnzelle hat. Hier betete sie das Magnifikat, den Lobgesang der drei Männer im feurigen Ofen, und den 130. Psalm stehend. Der Tag begann zu grauen, als ich Jesus durch die verschlossene Tür eintreten sah. Er redete lange mit ihr, dass sie den Aposteln beistehen und was sie ihnen sein müsse. Er gab ihr Macht über die ganze Kirche, seine Kraft, seinen Schutz, und es war, als fließe sein Licht in sie ein, und als gehe Er durch sie durch. Ich kann es nicht aussprechen. - Es ist für die heiligste Jungfrau ein bedeckter Gang von Matten über den Hof ins Abendmahlshaus angelegt worden, so dass sie aus ihrer Zelle vor das Allerheiligste und zum Chorgesang der Apostel und Jünger gelangen kann. Johannes wohnt auch in dem Häuschen. Da Jesus ihr in der Zelle erschien, sah ich ihr Haupt, wie auch bei der heiligen Kommunion, von einem Sternenkranz umgeben.

Ich hatte auch die Eröffnung, dass, so oft die heiligste Jungfrau kommunizierte, in ihr die Gestalt des Brotes von einer Kommunion zur anderen unversehrt blieb, so dass sie immerdar den in ihrem Herzen sakramental gegenwärtigen Gottmenschen anbetete. Zur Zeit der Verfolgung nach der Steinigung des heiligen Stephanus hatten die Apostel eine Zeit lang nicht konsekriert, aber die Kirche war nicht ohne das heiligste Sakrament, denn es blieb bewahrt im lebendigen Tabernakel des heiligsten Herzens Mariä. Ich erfuhr dabei auch, dass dieser ganz einzigen Auszeichnung nur allein die heiligste Jungfrau teilhaft werden konnte.

13. Wachstum der Gemeinde

Die Zahl der Gläubigen nahm fortwährend zu. Viele Leute kamen besonders vom galiläischen Meer her mit Eseln und Gepäck, und man war beschäftigt, sie unterzubringen. Sie kamen gewöhnlich zuerst in die Jüngerherberge vor Bethanien, wo immer abwechselnd Jünger wohnten, von welchen die Leute Rat und Weisung erhielten. Durch die Jünger wurden die Ankömmlinge an Lazarus gewiesen, der viele Häuser und Wohnungen hatte. Auch zu Jerusalem in der Gegend des Berges Sion wohnten viele. Es waren dort umher nur wenige arme Juden, und altes Mauerwerk von ungemeiner Dicke, auch leere Plätze, auf denen ich Esel grasen sah. Fremde Festgäste hatten dort herum auch Lagerstätten. Außer dem Abendmahlshaus war noch ein altes, sehr großes verfallenes Haus auf dem Berg Sion, das einstens auch berühmt gewesen war (die Burg Davids). In seinem Umfang wurden nun viele von den Leuten untergebracht. Sie wohnten in Hütten oder angebauten Obdächern. Auch sah ich auf dicken Mauerwerken, worin unten Leute wohnten, oben vom groben Teppichwerk Zelte aufschlagen.

Die chaldäischen Männer aus Sickdor, welche Jesus an den Hauptmann von Kapharnaum gewiesen hatte, und die von da wieder nach Hause zurückgekehrt waren, sind auch wiedergekommen mit Lasttieren und Gepäck und in größerer Zahl. Sie haben ihre Tiere und Sachen im inneren Hof des verfallenen großen Hauses stehen. Die Juden tun dagegen nichts: nur der Zugang zum Tempelberg und dem dazugehörigen Teil der Stadt ist an der Seite des Berges Sion gegen den Bethesda-Teich zu, wo die Christen sich aufhalten, ganz vermauert, und die Gemeinde dadurch getrennt und abgeschlossen.

Die neuen Ankömmlinge sah ich viele Stoffe von feiner und gröberer, weißer und gelblicher Wolle, Teppiche und Zeltstoffe, alles in dicken Rollen, zum besten der Gemeinde abliefern. Nikodemus und Joseph verwalten alles. Es werden Kleider zum Gottesdienst und zur Taufe daraus gemacht. Den Bedürftigen wird gegeben und für alles gesorgt.

Am Teich Bethesda haben die Apostel eine alte, sonst nur von den fremden Festgästen benützte Synagoge zu ihrem Gebrauch eingenommen, die etwas höher als der Teich liegt. Hier kommen die Neuangekommenen zusammen und werden von einzelnen Aposteln belehrt. Es werden aber nicht alle Ankömmlinge sogleich in die Gemeinde aufgenommen, auch kommen sie nicht in das Abendmahlshaus. Weder die Apostel noch die Jünger noch diese Neuen sehe ich den Tempel besuchen, dass aber die Apostel nach Pfingsten dahin gingen, geschah, um der versammelten Menge zu predigen, nachdem sie den Heiligen Geist empfangen hatten. Ihr Tempel ist das Abendmahlshaus mit dem heiligsten Sakrament. Die Mutter aller ist die heiligste Jungfrau. Die Apostel beraten sich mit ihr, und sie ist für sie selbst wie ein Apostel.

Die Frau und Tochter des Petrus und andere Frauen, auch des Markus Frau, sind nun von Bethsaida nach Bethanien gezogen, wo sie unter Zelthütten wohnen. Diese Frauen haben gar keinen Umgang mit den Männern. Sie kommen mit den Aposteln nur bei der Lehre zusammen und beschäftigen sich mit Weben und Flechten von langen Bahnen, groben Decken zu Zelten, wobei viele an einem Stück arbeiten. Auch die heiligste Jungfrau, Martha und Magdalena nähen an Stickereien, teils liegend, teils wandelnd, den Stoff auf der Hand haltend. Ich sah die heiligste Jungfrau mit blassen Farben auf gelblichen oder bräunlichen, auch auf himmelblauen Grund Figuren sticken, ungefähr wie einen Apostel oder den Herrn. Die Figuren waren nicht mehr so eingewickelt, wie die früheren. Einmal stickte sich auch eine Vorstellung der heiligsten Dreifaltigkeit, wie Gott Vater dem Sohn, der wie ein Hoherpriester war, das Kreuz reicht. Aus beiden kam der Heilige Geist: doch nicht wie eine Taube, die Flügel waren Arme. Die Figuren standen mehr im Dreieck, als untereinander. Ich habe Ornate bei der ältesten Kirche gesehen, die Maria gestickt hatte.

Die Apostel legten selbst Hand mit an, den Ankömmlingen Wohnungen zu bereiten. Sie trugen Holz und Matten und geflochtene Wände zu und arbeiteten tüchtig. Die Armen kriegen Kleider und auch ihre Speisung wird eingerichtet. Lazarus hat den Grund zur allgemeinen Kasse gelegt.

Die heiligen Frauen, unter denen auch die Frau des Zachäus ist, sind beschäftigt, den angekommenen Frauen zu helfen. Niemand hat ein Eigentum. Wer etwas bringt, gibt es hin, und wer nichts hat, empfängt. Auch Simons des Aussätzigen Haus ist voll von Jüngern. Simon selbst wohnt nicht mehr darin, er hat sein Haus hingegeben und sich unter die anderen gemischt. Auf dem flachen Dach des Hauses ist durch bewegliche Wände von Flechtwerk eine Art von Saal eingerichtet, in welchem ein Rednerstuhl steht. Man steigt von außen auf Stufen an der Mauer hinauf. Überall baut man und richtet Zelthütten und Scheunen zu und benützt jeden Winkel an Mauern und in alten Gebäuden. Es sind auch manche Wohnungen hier und in Jerusalem leer, denn manche Juden sind nach der Kreuzigung weggezogen.

Nach dem Pfingstfest wurden es der Neubekehrten und Getauften so viele, dass die Apostel mit den jüdischen Vorgesetzten über neue Wohnplätze für die Ankömmlinge unterhandelten. Sie sandten Nikodemus, Joseph von Arimathäa, Nathanael und andere, welche den Juden bekannter waren, zu den Vorgesetzten, welche etwa zwanzig an der Zahl in einem Saal über dem Tor des Vorhofes der Frauen versammelt waren. Es wurden ihnen drei Plätze außerhalb der Stadt, von den gewöhnlichen Wegen entfernt, angewiesen. Eine Stelle zwischen Bethanien und Bethphage abendlich von Bethanien, wo einige Hütten und Schoppen waren, und zwei Plätze mittäglich von Bethanien, auch vom Wege ab. Dagegen mussten die Jünger die Herberge vor Bethanien am Wege räumen und sollten sich auch nicht mehr vor Jerusalem in der Herberge gegen Bethlehem, wo Maria vor der Reinigung im Tempel weilte, ansiedeln noch aufhalten. Ich sah, wie die Vorgesetzten ihnen die Gegenden vom Tempel aus zeigten, und wie sie der Gemeinde die Nachricht brachten und einzelne Scharen dahin zogen, denen Petrus und Johannes die Plätze zum Anbauen näher anwiesen. Es wurde allerlei Bedarf auf Eseln hingetragen, auch Wasser in Schläuchen an den einen Ort zwischen Bethanien und Bethphage, wo kein Wasser war. Als sie aber einen Brunnen zu graben anfingen, sprang ihnen das Wasser entgegen. Den Simon von Bethanien, der ein Haushalt gehabt hatte, und das Wirtschaften verstand, sah ich unter einem Zeltdach beim Teich Bethesda, als notiere er auf eine Rolle die Gaben und die Vermögensumstände der Leute, welche viele Schafe, Ziegen, Tauben, große Vögel mit roten Beinen und Schnäbeln herbeigebracht hatten. Von allem wurde an die Bedürftigen ausgeteilt, auch Decken und Wollstoffe zu Kleidern. Es herrschte beim Verteilen eine ungemeine Ordnung. Die Frauen empfingen ihren Teil durch Frauen, die Männer durch Männer. Es waren Leute aus den verschiedensten Gegenden, die das Ihrige mit großer Liebe zum Verteilen herzu brachten, obgleich sie einander nicht verstanden. Nur die Apostel wurden von allen verstanden.

Magdalena und Martha übergaben ihre Wohnungen zu Bethanien an die Neubekehrten, und Lazarus überließ der Gemeinde all sein Hab und Gut. Ebenso Nikodemus und Joseph von Arimathäa, welche für den Unterhalt der Gemeinde und die Verteilung der Almosen sorgten. Als sie aber zu Priestern geweiht wurden, setzte Petrus an ihre Stelle die Diakone.

14. Die letzten Tage vor der Himmelfahrt

Jesus verkehrte in den letzten Tagen ganz natürlich mit den Aposteln und Jüngern. Er aß und betete mit ihnen, wandelte mit ihnen viele Wege und wiederholte ihnen alles, was Er früher gesagt. Er erschien auch dem Simon von Cyrene, da er in einem Garten zwischen Bethphage und Jerusalem arbeitete. Jesus nahte ihm leuchtend und wie schwebend. Simon warf sich vor Ihm nieder und küsste die Erde vor den Füßen des Herrn, der ein Zeichen mit der Hand machte, dass er schweige und verschwand. Andere Arbeiter in der Nähe, die Jesus auch erblickten, warfen sich wie Simon auf die Erde nieder. Wenn Jesus mit den Aposteln manche Wege um Jerusalem machte, nahmen auch einzelne Juden seine Erscheinung wahr. Diese erschraken aber, verbargen sich oder verschlossen sich in ihren Wohnungen. Selbst die Apostel und Jünger gingen mit einer gewissen Scheu mit Ihm um. Er hatte ihnen etwas zu Geistiges. Jesus erschien auch an anderen Orten, wie in Bethlehem und Nazareth, besonders solchen Leuten, mit denen Er und seine heiligste Mutter ehedem verkehrt hatten. Überall verbreitete Er Segen, und die Leute, welche Ihn sahen, glaubten und schlossen sich an die Apostel und Jünger.

Am vorletzten Tag vor der Himmelfahrt sah ich Jesus mit fünf Jüngern von der Morgenseite her nach Bethanien kommen, wohin auch die heiligste Jungfrau mit anderen heiligen Frauen von Jerusalem her sich begab. Um das Haus des Lazarus waren viele Gläubige versammelt, welche vernommen hatten, dass Jesus sie nun bald verlassen werde, und die Ihn nochmals sehen und Abschied nehmen wollten. Als Jesus in das Haus des Lazarus hineingegangen war, wurden diese Leute in den großen Hofraum eingelassen, der dann geschlossen wurde. Jesus nahm mit den Aposteln und Jüngern stehend einen Imbiss, und als die letzteren bitterlich weinten, sprach Jesus: «Warum weinet ihr, liebe Brüder? Seht die Frau! Sie weint nicht!» und zeigte auf seine heiligste Mutter, die mit den heiligen Frauen unter dem Eingang zum Saal stand. Im Hof war ein langer Tisch für die vielen Fremden bereitet. Jesus ging zu ihnen hinaus, segnete kleine Brote und teilte sie aus, dann gab Er ihnen ein Zeichen, sich zu entfernen. Nun nahte Ihm demütig seine heiligste Mutter, Ihm eine Bitte vorzubringen. Jesus aber hielt ihr die Hand entgegen und sagte, dass Er ihre Bitte nicht gewähren könne, Maria dankte demütigst und zog sich zurück.

Von Lazarus nahm Jesus besonders rührenden Abschied. Er gab ihm einen leuchtenden Bissen, segnete ihn und reichte ihm die Hand. Lazarus, der sich meist in seinem Haus verborgen hielt, blieb zurück, als Jesus darauf mit den Aposteln und Jüngern auf dem Palmsonntagsweg, aber mit vielen Umwegen, nach Jerusalem wandelte. Sie gingen in vier Abteilungen in ziemlichen Zwischenräumen. Die Elf zogen mit Jesus voraus. Die heiligen Frauen folgten zuletzt. Ich sah Jesus leuchtend und über alle hervorragend. Seine Wundmale waren mir nicht immer sichtbar. Wenn ich sie aber sah, leuchteten sie wie die Sonne. Alle waren in großer Niedergeschlagenheit und Angst, einzelne weinten, andere sprachen auch untereinander: «Er ist schon oft vor uns verschwunden», denn sie wollten noch immer nicht glauben, dass Er sie verlassen werde. Nur Petrus und Johannes erschienen ruhiger und besser den Herrn verstehend. Jesus hielt oft inne und erklärte ihnen manches. Er war aber auch manchmal für sie nicht mehr sichtbar, dann plötzlich wieder sichtbar in ihrer Mitte, gleich als wollte Er sie auf seinen nahen Abschied vorbereiten. Sie waren dann sehr bestürzt.

Da und dort führte der Weg an kleinen anmutigen Gärten vorüber, wo Juden mit Flechten und Beschneiden der Hecken beschäftigt waren, an denen schöne pyramidenförmige Blütenbüsche wuchsen. Diese Leute hielten dann oft die Hände vor das Gesicht, warfen sich auf die Erde oder flohen unter das Gesträuch. Ich weiß nicht, ob aus Furcht und Schrecken, oder aus Rührung, und ob sie den Herrn sehen oder nicht sehen konnten. Einmal vernahm ich, wie Jesus den Jüngern sagte: «Wenn alle diese Orte durch euere Predigt glauben werden, wenn aber andere die Gläubigen vertreiben und alles verwüstet werden wird, wird eine traurige Zeit sein. Ihr versteht mich jetzt noch nicht, wenn ihr aber zum letzten Mal mit mir werdet das Nachtmahl gehalten haben, werdet ihr mehr verstehen.»

Nikodemus und Joseph von Arimathäa hatten ein Mahl bereitet, welches in der auf allen Seiten nach außen geöffneten Vorhalle des Abendmahlshauses angerichtet wurde. Links von der Vorhalle führte ein Gang durch den mit Bäumen bepflanzten Hofraum zu dem an die Umgebungsmauer angebauten kleinen Haus mit dem Küchenherd. Auch die Bogengänge rechts von der Vorhalle waren gegen den Hofraum zu geöffnet und hier waren die Tische für die Jünger, welche nur aus großen Brettern bestanden. Der Tisch für Jesus und die Elf war in der Vorhalle gerüstet. Es standen kleine Krüge und eine große mit feinem Kraut verzierte Platte darauf, in welcher ein Fisch und kleine Brote lagen. Auf die Tische der Jünger wurden Früchte und dreieckige Schüsseln mit Honigwaben und beinernen Spateln gestellt. Neben jeder Schüssel lagen drei Brotschnitten, denn auf drei Essende kam je eine Schüssel.

Die Sonne war schon untergegangen und es begann zu dunkeln, als Jesus mit den Aposteln herannahte. Die heiligste Jungfrau, Nikodemus und Joseph von Arimathäa empfingen Ihn am Tor. Er ging mit seiner heiligsten Mutter in ihre Wohnzelle, die Apostel aber zur Vorhalle. Als die Jünger und heiligen Frauen später auch angekommen waren, ging Jesus zu den Elfen in die Vorhalle. Der Tisch, dessen eine Längsseite sie einnahmen, war höher als gewöhnlich. Die Apostel lagen auf Quersitzen, Jesus stand und Ihm zur Seite lag Johannes, der heiterer als die anderen war. Er war überhaupt wie ein Kind in seinem Gemüt, jetzt schnell betrübt und gleich wieder voll Trost und Heiterkeit. Die Lampe über dem Tisch war angezündet. Nikodemus und Joseph warteten auf. Die heiligste Jungfrau sah ich am Eingang zur Speisehalle stehend. Jesus segnete den Fisch, das Brot und das Grüne und reichte es herum, dabei lehrte Er sehr ernst. Ich sah seine Worte wie Lichtstrahlen aus seinem Munde gehen und in den Mund des einen oder anderen Apostels schneller oder langsamer hineinstürzen, je nachdem er begieriger, hungriger nach der Lehre Jesu war. Am Ende des Mahles segnete Jesus auch den Becher, trank daraus und reichte ihn herum. Es war dies keine Konsekration.

Nach diesem Liebesmahl versammelten sich alle vor der Halle unter den Bäumen. Jesus sprach zu ihnen hier noch lange und segnete sie zuletzt. Seiner heiligsten Mutter, welche vor den heiligen Frauen stand, reichte Er die Hand. Alle waren sehr bewegt und ich fühlte, dass Magdalena sich heftig sehnte, Jesu Füße zu umarmen. Sie tat es aber nicht, denn sein Wesen war so ernst, dass alle mit heiliger Scheu erfüllt wurden. Als Er sie nun verließ, weinten sie sehr. Es war nicht ein äußerliches Weinen, es war, als wenn die Seele weinte. Die heiligste Jungfrau sah ich nicht weinen. Ich habe sie überhaupt nie heftig äußerlich weinen sehen, als da sie den zwölfjährigen Jesus auf der Heimreise vom Osterfest verloren hatte und nach seinem Tod unter dem Kreuze. Sie waren hier bis vor Mitternacht.

15. Jesus fährt zum Himmel auf

In der Nacht vor seiner wunderbaren Himmelfahrt sah ich Jesus mit der heiligsten Jungfrau und den Elfen im inneren Saal des Abendmahlshauses. Die Jünger und die heiligen Frauen waren betend in den Seitenhallen. Im Saal stand der Tisch des Abendmahles mit den Osterbroten und dem Kelch unter der angezündeten Lampe. Die Apostel waren in ihren Feierkleidern. Die heiligste Jungfrau war Jesu gegenüber, der wie am Gründonnerstag Brot und Wein konsekrierte.

Das heiligste Sakrament sah ich, da es Jesus ihnen reichte, wie einen leuchtenden Körper in den Mund der Apostel eingehen und seine Worte bei der Konsekration des Weines wie einen roten Strahl in den Kelch fließen.

In den letzten Tagen hatten auch Magdalena, Martha und Maria Kleophä das heiligste Sakrament empfangen.

Gegen Morgen wurden die Messen feierlicher als gewöhnlich unter der Lampe gehalten. Jesus gab dem Petrus nochmals Gewalt über die anderen, ihm nochmals jenen Mantel umlegend und wiederholend, was Er am See bei Tiberias und auf dem Berg ihnen gesagt hatte. Auch lehrte Er sie von der Taufe und Wasserweihe. Bei den Messen und der Lehre sah ich auch an siebzehn der vertrautesten Jünger im Saal hinter der heiligsten Jungfrau stehen.

Ehe sie das Haus verließen, stellte Jesus allen die heiligste Jungfrau als ihre Mutter, ihre Mittlerin und Fürsprecherin vor. Und sie gab Petrus und allen anderen den Segen, den sie in tiefer Verbeugung empfingen. In demselben Augenblick sah ich Maria in himmelblauem Mantel und mit einer Krone auf den Thron erhoben. Es war dieses ein Sinnbild ihrer Würde (als der Königin der Barmherzigkeit).

Als der Tag graute, verließ Jesus mit den Elfen das Abendmahlshaus. Die heiligste Jungfrau ging dicht hinter ihnen, und die Schar der Jünger folgte in kleinem Zwischenraum. Sie zogen durch die Straßen von Jerusalem, wo alles noch still und schlafend war. Der Herr wurde immer ernster und schneller in seinen Reden und seinem ganzen Tun. Am gestrigen Abend schien Er mir in seinen Reden viel teilnehmender. Ich erkannte den Weg, den sie gingen, als den Palmsonntagsweg und ich empfand, Jesus gehe alle Wege seines Leidens mit ihnen, um in ihnen durch Lehre und Ermahnung die Erfüllung der Verheißung recht lebendig werden zu lassen. An jedem Ort, wo eine Szene seines Leidens vorgefallen, verweilte Er einige Augenblicke und belehrte sie von der Erfüllung prophetischer Worte und Verheißungen und erklärte ihnen die Bedeutung der Orte. An jenen Stellen, wo die Juden Verwüstungen, Gräben, Steinhaufen oder andere Hindernisse angebracht hatten, um die Verehrung derselben zu stören, befahl Er den nachfolgenden Jüngern, voranzugehen und die Hindernisse wegzuräumen, welches sie schnell taten. Sie ließen Ihn dann an sich vorübergehen, verbeugten sich und folgten wieder nach. Vor dem Tor, das zum Kalvarienberg führt, wendeten sie sich vom Weg ab nach einem angenehmen Platz unter Bäumen, der ein Betort war, wie mehrere um Jerusalem waren. Hier setzte sich Jesus mit ihnen, lehrte und tröstete sie. Unterdessen wurde es Tag. Ihre Herzen wurden etwas leichter. Es war ihnen, als könnte Er doch wohl noch bei ihnen bleiben.

Es kamen neue Scharen von Gläubigen herzu. Ich sah aber keine Frauen unter ihnen. Jesus zog wieder in den Weg, der zum Kalvarienberg und dem heiligen Grab führt, zog aber nicht ganz bis hin, sondern wendete sich um die Stadt herum zum Ölberg. Es wurden auch auf diesen Wegen einzelne Verwüstungen und Verzäunungen an Bet- und Lehrorten Jesu durch die Jünger wieder hergestellt, Die Werkzeuge dazu fanden sie in den Gärten umher. Ich erinnere mich runder Schaufeln, die aussahen wie unsere Backofenschaufeln.

Am Ölberg verweilte Jesus mit der Schar an einem ungemein anmutigen und kühlen Ort mit schönem langem Gras. Ich wunderte mich, dass es gar nirgends niedergetreten war. Die Menge der Menschen um Jesus wurde hier so groß, dass ich sie nicht mehr zählen konnte. Jesus sprach hier sehr lange mit ihnen, als einer, der nun sein Wort abschließt und auf dem Punkt kommt. Sie ahnten, dass die Scheidestunde nahe, doch glaubten sie die Zeit nicht so kurz.

Die Sonne stand schon höher, oder war schon mehr vom Erdenrand in den Himmel gerückt. Ich weiß nicht, ob ich es recht sage, denn dort im Land kommt mir die Sonne nicht so hoch vor, als hier. Es ist mir immer, als wäre sie näher bei einem. Ich sehe sie nicht wie hier, als eine kleine runde Kugel aufgehen. Ich sehe sie dort mit weit größerem Glanz und sehe ihre Strahlen meistens nicht so fein, sondern oft wie breite Lichtbahnen. Sie waren wohl über eine Stunde hier. In Jerusalem war nun alles lebendig und verwundert über die vielen Leute um den Ölberg. Auch aus der Stadt zogen nach und nach scharenweise all jene heran, welche am Palmsonntag Jesus entgegen gezogen waren, so dass in den schmaleren Wegen ein Gedränge entstand. Um Jesus und die Seinen aber blieb der Raum frei.

Der Herr wandelte nun gegen Gethsemane und vom Ölgarten aus den Ölberg hinan. Den Weg, wo Er gefangen worden, betrat Er nicht. Die Menschenmenge folgte wie in Prozessionen auf verschiedenen Wegen rings um den Berg nach. Viele drangen durch die Hecken und Gartenzäune. Jesus aber ward immer leuchtender und schneller. Die Jünger eilten nach, vermochten aber nicht, Ihn einzuholen. Als Er auf der Spitze des Berges angekommen war, glänzte Er wie ein weißes Sonnenlicht. Vom Himmel senkte sich ein leuchtender Kreis zu Ihm, der in Regenbogenfarben schimmerte. Die Nachdringenden standen in weitem Kreis, wie geblendet. Jesus leuchtete heiler, als die Glorie um Ihn. Er legte die linke Hand vor die Brust und segnete mit gehobener Rechten, sich rings wendend, die ganze Welt. Die Menge stand unbewegt still. Ich sah alle gesegnet. Er segnete nicht, wie die Rabbiner, mit den Handflächen, sondern wie die christlichen Bischöfe. Ich fühlte sein Segnen der ganzen Welt mit großer Freude.

Nun aber strahlte das Licht von oben mit Jesus eigenem Glanz zusammen. Und ich sah seine Sichtbarkeit vom Haupt an in diesem Himmelslicht sich auflösen und wie empor verschwinden. Es war, als ob eine Sonne in die andere, eine Flamme in ein Leuchten eingehe, ein Funke in eine Flamme schwebe. Es war, als ob man in die volle Sonne am Mittag schaue, aber weißer und heller. Der volle Tag schien finster dagegen. Als ich sein Haupt nicht mehr sehen konnte, unterschied ich seine Füße noch leuchtend, bis Er ganz im Himmelsglanz verschwunden war. Unzählige Seelen sah ich von allen Seiten in dieses Licht eingehen und mit dem Herrn empor verschwinden. Ich kann nicht sagen, dass ich Ihn wie etwas Fliegendes in der Luft habe kleiner werden gesehen, sondern wie in die Lichtwolke nach oben verschwinden.

Aus dieser Wolke hatte sich ein Lichttau auf alle niedergelassen, und während sie das Licht nicht mehr ertragen konnten, wurden sie alle von Schrecken und Staunen erfasst. Die Apostel und Jünger, welche Jesus am nächsten standen, waren wie geblendet und sahen zur Erde und viele warfen sich auf ihr Antlitz nieder. Die heiligste Jungfrau stand dicht hinter ihnen und schaute ruhig vor sich hin.

Nach einigen Augenblicken, da der Glanz etwas gewichen war, blickte die ganze Versammlung in größter Stille und mannigfaltigster Seelenbewegung starr zu dem Lichtscheine empor, der noch länger andauerte. Ich sah in diesem Licht zwei Gestalten, anfangs klein, niederkommen, und dann groß in langen weißen Gewändern, mit Stäben in der Hand, wie Propheten erscheinen. Sie sprachen zu der Menge. Ihre Stimmen klangen laut wie Posaunen. Es war mir, als müsste man sie in Jerusalem hören können. Sie bewegten sich nicht, standen ganz ruhig und sprachen: «Ihr galiläischen Männer, was steht ihr da und schauet gegen den Himmel? Dieser Jesus, der von euch in den Himmel aufgenommen wurde, wird wiederkommen, wie ihr Ihn gegen den Himmel habt fahren sehen.»<ref> Diese Worte erwähnte Anna Katharina nicht selbst, sie sind aus der Apostelgeschichte hierher gesetzt: sie sagte nur «sie sprachen einige Worte.»</ref> Nach dieser Rede verschwanden die Gestalten. Der Glanz aber blieb noch eine Zeit lang und schwand endlich, sich auflösend, wie der Tag zur Nacht übergeht. Nun waren die Jünger ganz außer sich, nun wussten sie, was ihnen geschehen. Der Herr war von ihnen weggegangen zu seinem Himmlischen Vater. Viele sanken vor Schmerz und Betäubung auf die Erde. Während der Glanz ganz verschwand, erholten sie sich wieder, und die anderen drängten sich um sie her. Es bildeten sich Gruppen, die heiligen Frauen traten auch heran, und so verweilten sie noch länger, sich besinnend, redend und emporschauend. Nun zogen die Apostel und Jünger zum Abendmahlshaus und die heiligen Frauen folgten. Einige weinten, wie untröstliche Kinder, andere waren tief denkend. Die heiligste Jungfrau, Petrus und Johannes waren sehr ruhig und getröstet. Ich sah aber auch unter den anderen Scharen einzelne wie ungerührt, unglaubend und zweifelnd sich entfernen.

Auf der Spitze des Ölbergs, wo Jesus auffuhr, war eine Steinfläche. Er stand darauf und sprach noch, ehe Er segnete und die Lichtwolke Ihn aufnahm. Seine Fußstapfen blieben auf dem Stein abgedrückt, und auf einem anderen die Spur einer Hand der heiligsten Jungfrau. Es war schon Mittag vorüber, bis die ganze Menge sich verloren hatte.

Als die Apostel und Jünger sich nun allein fühlten, waren sie anfangs unruhig und hielten sich für verlassen. Sie wurden aber durch die ruhige Anwesenheit der heiligsten Jungfrau unter ihnen voll Trost, und ganz auf Jesu Wort vertrauend, dass sie ihnen die Mittlerin, die Mutter und Fürbitterin sei, empfingen sie Frieden.

In Jerusalem war unter den Juden eine gewisse Scheu. Ich sah manche Türen und Läden verschließen, oder in Häusern zusammenkommen. Sie hatten in den letzten Tagen schon etwas eigentümlich Banges, und heute ganz besonders.

An den folgenden Tagen sah ich die Apostel immer beisammen und die heiligste Jungfrau' unter ihnen im Abendmahlshaus. Seit der letzten Mahlzeit Jesu, wo es zuerst geschehen war, sah ich Maria beim Gebet und dem Brotbrechen immer dem Petrus gegenüber, der die Stelle des Herrn im Betkreis und beim Mahl einnahm. Ich hatte dabei die Empfindung, Maria habe nun eine höhere Bedeutung unter den Aposteln erhalten und stelle jetzt die Kirche vor.

Die Apostel hielten sich sehr zurückgezogen. Ich sah niemand aus der größeren Schar der Anhänger zu ihnen in das Abendmahlhaus gehen. Sie hüteten sich mehr vor den Verfolgungen der Juden und hielten sich in strengerem, geordneterem Gebet, als die Schar der Jünger in den anderen Räumen des Abendmahlshauses, welche mehr aus- und einwandelten, und von welchen ich auch viele nächtlich die Wege des Herrn mit großer Andacht wandeln sah.

Bei der Wahl des Mathias zum Apostel sah ich Petrus im Abendmahlshaus in seinem bischöflichen Mantel mitten im Kreis der Apostel stehen. Die Jünger waren in den geöffneten Seitenhallen versammelt. Petrus schlug Joses Barsabas und Mathias vor, die beide unter der abgesonderten Schar der Jünger standen. Unter diesen waren einzelne, welche an die Stelle des Judas gewählt zu werden wünschten. Die beiden aber hatten gar nicht daran gedacht und waren ohne alles Verlangen. Am Tage darnach wurde das Los über sie geworfen, wobei sie selbst nicht zugegen waren. Da nun das Los auf Mathias fiel, ging einer in den Aufenthalt der Jünger und holte ihn herüber.

16. Das heilige Pfingstfest

Das ganze Innere des Abendmahlssaales war am Vorabend des Festes mit grünen Bäumen geschmückt, in deren Zweige Gefäße mit Blumen gestellt wurden. Grüne Gewinde liefen von einer Seite des Saales zur anderen. Die Stellwände gegen die Seitenhallen und die Vorhalle waren geöffnet. Nur das äußere Hoftor war geschlossen. Petrus im Bischofsmantel stand vor dem Vorhang zum Allerheiligsten unter der Lampe an einem rot und weiß bedeckten Tisch, auf dem Rollen lagen, Ihm gegenüber unter dem Eingang aus der Vorhalle die heiligste Jungfrau mit verschleiertem Gesicht und hinter ihr in der Vorhalle die heiligen Frauen. Die Apostel standen in zwei Reihen den beiden Seiten des Saales entlang nach Petrus hingewendet, und aus den Seitenhallen herein nahmen hinter den Aposteln stehend die Jünger am Chorgesang und Gebet teil. Als Petrus die von ihm gesegneten Brote brach und austeilte, zuerst an die heiligste Jungfrau und die herantretenden Apostel und Jünger, küssten sie ihm die Hand und auch die heiligste Jungfrau tat es. Es waren außer den heiligen Frauen ihrer hundertzwanzig im Abendmahlshaus und den Umgängen versammelt.

Nach Mitternacht entstand eine wunderbare Bewegung in der ganzen Natur, die allen Anwesenden sich mitteilte, welche an den Pfeilern des Saales und in den Seitenhallen in dieser Innigkeit, mit über der Brust gekreuzten Armen stille betend umherstanden. Ruhe breitete sich über das Haus, und in seinem ganzen Umfang herrschte lautlose Stille.

Gegen Morgen sah ich über den Ölberg eine silberweiß glänzende Lichtwolke vom Himmel herab in sinkender Richtung dem Haus sich nähern. In der ersten Ferne sah ich sie wie eine runde Kugel, deren Bewegung ein süßer warmer Windstrom begleitete. Näherkommend wurde sie größer und zog wie eine leuchtende Nebelmasse über die Stadt, bis sie über Sion und dem Abendmahlshaus, sich immer dichter zusammenziehend und stets durchsichtiger leuchtend, stille stand und mit steigendem Windesbrausen gleich einer tief hängenden Gewitterwolke sich niedersenkte. Bei diesem Brausen sah ich viele Juden, welche die Wolke wahrnahmen, erschreckt zum Tempel eilen, und ich selber kam in eine kindische Angst, wohin ich mich verbergen könnte, wenn der Schlag erfolgen würde, denn das ganze hatte Ähnlichkeit mit einem schnell heranziehenden Gewitter, das statt von der Erde herauf vom Himmel herab, statt dunkel ganz licht, statt donnernd sausend heranzieht. Diese sausende Bewegung fühlte sich wie tief erquickender warmer Luftstrom.

Als die Lichtwolke ganz nieder über das Abendmahlshaus herabhing und mit steigendem Sausen immer leuchtender wurde, sah ich auch das Haus und seine Umgebung immer heller, und die Apostel, Jünger und Frauen immer stiller und inniger werden. Gegen drei Uhr morgens vor Sonnenaufgang aber ließen sich plötzlich aus der sausenden Wolke weiße Lichtströme auf das Haus und seine Umgebung nieder, die sich siebenfach durchkreuzten und unter der Durchkreuzung in feinere Strahlen und feurige Tropfen sich auflösten. Der Punkt, wo die sieben Lichtströme sich durchschnitten, war mit Regenbogenlicht umgeben, in welchem eine leuchtende, schwebende Gestalt erschien, mit unter den Schultern ausgebreiteten Flügeln oder Flügeln ähnlichen Strahlen. In diesem Augenblick war das ganze Haus und sein Umfang durch und durch mit Licht erfüllt. Die fünfarmige Lampe leuchtete nicht mehr. Die Versammelten waren entzückt, richteten unwillkürlich ihr Antlitz dürstend in die Höhe, und in den Mund eines jeden ergossen sich Lichtströme, wie lodernde Flammenzungen. Es war, als atmeten, als tränken sie das Feuer dürstend in sich und als lodere ihre Begierde aus dem Mund diesen Flammen entgegen. Auch auf die Jünger und anwesenden Frauen im Vorgemach ergoss sich dieses heilige Feuer. So löste sich die Glanzwolke wie in Lichtregen nach und nach auf. Die Flammen kamen auf jeden in verschiedener Stärke und Färbung.

Nach dem Erguss herrschte freudige Kühnheit in der Versammlung. Alle waren bewegt und wie mit Freude und Zuversicht berauscht. Sie traten um die heiligste Jungfrau, die ich allein ganz ruhig und wie immer in stiller heiliger Fassung sah. Die Apostel umarmten sich untereinander und von freudiger Kühnheit zu reden durchdrungen, riefen sie sich zu: «Wie waren wir? Was ist aus uns geworden!» Auch die heiligen Frauen umarmten sich. Die Jünger in den Umgängen waren ebenso bewegt und die Apostel eilten auch zu ihnen, In allen war ein neues Leben voll Freude, Zuversicht und Kühnheit. Ihre Freudigkeit ging nun in Danksagung über, sie traten in die Betordnung zusammen, dankten und lobsangen Gott in großer Bewegung. Indessen verschwand das Licht, Petrus hielt nun eine Rede an die Jünger und sendete mehrere hinaus zu den Herbergen der ihnen anhängenden Pfinstgäste.

Es waren vom Abendmahlshaus gegen den Teich Bethesda zu mehrere Schuppen und offene Schlafhäuser, wo die fremden Festgäste herbergten, deren es sehr viele waren. Sie hatten auch von der Gnade des Heiligen Geistes empfangen. Es war eine allgemeine Bewegung in der Natur. Gute Menschen hatten eine innere Erweckung empfangen, böse aber waren scheu, bang und noch verstockter geworden. Die Mehrzahl dieser Fremden lagerte schon seit Ostern hier, weil die Entfernung ihrer Heimat die Hin- und Herreise von Ostern bis Pfingsten nicht ratsam machte. Sie waren durch alles, was sie seit Ostern gehört und gesehen hatten, den Jüngern besonders vertraut und zugeneigt geworden, so dass die letzteren ganz freudetrunken ihnen die Verheißung des Heiligen Geistes als erfüllt verkündeten. Da wurden auch sie ihrer eigenen Erweckung sich bewusst und sammelten sich auf die Aufforderung der Jünger um den Teich Bethesda.

Im Abendmahlshaus aber legte Petrus fünf Aposteln die Hände auf, welche am Teich Bethesda lehren und taufen helfen sollten. Es waren Jakobus der Jüngere, Bartholomäus, Mathias, Thomas und Judas Thaddäus. Bei der Weihe hatte der letzte ein Gesicht. Es war, als umfasse er den Leib des Herrn mit seinen Armen vor der Brust.

Ehe sie zur Wasserweihe und Taufe zum Teich Bethesda sich begaben, empfingen sie kniend den Segen der heiligsten Jungfrau. Vor Jesu Himmelfahrt war dies stehend geschehen. Ich sah dieses Segnen an den folgenden Tagen immer beim Ausgang und der Rückkehr der Apostel geschehen. Die heiligste Jungfrau trug dabei und überhaupt, wenn sie in ihrer Würde unter den Aposteln erschien, einen großen, weißen Mantel, einen gelblichen Schleier und eine vom Haupt zu beiden Seiten bis zum Boden niederhängende Bahn von himmelblauem Stoff, welche mit Stickerei verziert, auf dem Kopf aber durch eine weiße Seidenkrone festgehalten war.

Die Taufe am Teich Bethesda war von Jesus selbst auf das heutige Fest angeordnet worden, und die Jünger hatten dazu an dem Teich, wie auch in dem von ihnen in Gebrauch genommenen alten Synagogengebäude mancherlei Vorkehrungen getroffen. Die Wände der Synagoge waren mit Teppichen behängt und von ihr bis an den Teich war ein bedeckter Zeltgang errichtet.

Die Apostel und Jünger zogen paarweise in feierlicher Prozession vom Abendmahlshaus an den Teich. Jünger trugen einen ledernen Schlauch mit geweihtem Wasser und einen Weihbüschel. Die fünf Apostel, welchen Petrus die Hände aufgelegt hatte, verteilten sich an die fünf Eingänge des Teiches und sprachen zum Volk mit großer Begeisterung. Petrus aber trat auf den Lehrstuhl, der für ihn im dritten Umkreis des Teiches, vom äußersten Umkreis an gezählt, errichtet war. denn diese Terrasse war die breiteste. Die Zuhörer füllten alle Terrassen des Teiches. Als die Apostel zu ihnen redeten, wurde die Menge bestürzt, denn jeder hörte, wie sie in seiner eigenen Sprache redeten. Bei diesem Staunen des Volkes geschah es, dass Petrus seine Stimme erhob, wie es in der Apostelgeschichte steht (Apg 2, 14-40).

Da nun viele sich zur Taufe erboten, weihte Petrus mit Johannes und Jakobus der Jüngere das Wasser feierlich, wobei Petrus das geweihte Wasser, das sie aus dem Abendmahlshaus in einem Schlauch gebracht hatten, mit dem Sprengwedel in seinen Strahlen weit über den Teich hinsprengte. Das Vorbereiten auf die Taufe und das Taufen währte den ganzen Tag. Das Volk nahte abwechselnd in Scharen geordnet dem Lehrstuhl des Petrus. Die anderen Apostel sprachen und tauften an den Eingängen. Die heiligste Jungfrau und die anderen heiligen Frauen waren in der Synagoge am Teich mit Austeilung der weißen Kleider an die Täuflinge beschäftigt. Die Ärmel dieser Kleider waren über den Händen mit schwarzen Bändern gebunden, welche nach der Taufe aufgelöst und auf einen Haufen gelegt wurden. Die Täuflinge lehnten sich auf ein Geländer, das Wasser wurde mit einem Becken geschöpft und aus diesem mit der Hand dreimal über ihre Häupter gegossen, in Rinnen floss es wieder in den Teich nieder. Das Becken fasste etwa für zehn Paare Wasser. Zwei Getaufte holten immer wieder zwei andere Täuflinge an ihre Stelle und legten ihnen als Paten die Hände auf. Die hier Getauften waren solche, welche nur die Johannestaufe empfangen hatten. Auch die heiligen Frauen wurden getauft. Es waren an dreitausend Menschen, welche heute zur Gemeinde kamen. Am Abend kehrten die Apostel und Jünger in das Abendmahlshaus zurück, hielten eine Mahlzeit und es wurde gesegnetes Brot ausgeteilt. Dann war das Abendgebet.

Die Juden opferten heute in Körbchen zwei kleine Brote von diesjährigem Korn im Tempel. Es lagen hohe Haufen davon da, und nachher erhielten es die Armen. Ich sah auch einmal, dass der Hohepriester einen Büschel von Ähren, dick, wie von türkischem Weizen, in der Hand hatte. Sie opferten auch etwas wie Wurzeln und mir unbekannte Früchte. Die Leute unter den Schuppen hatten Esel damit bepackt und das Volk kaufte sich davon. Das Brot war von ihrem eigenen Gebäck. Die Apostel opferten nur die zwei Brote durch Petrus.

Auch am folgenden Tage wurde am Teich gelehrt und getauft. Ehe die Apostel und Jünger hinabzogen, empfingen sie wieder den Segen der heiligsten Jungfrau.

17. Die Kirche am Teiche Bethesda

Der Teich Bethesda liegt in der Talschlucht, welche den Berg Sion vom Tempel und den übrigen Stadtteilen trennt und gegen Morgen in das Tal Josaphat abfällt. Das Bauwerk des Teiches scheint dieses Tal abendlich vom Tempel gesperrt zu haben, denn an der einen Seite des Teiches konnte man nicht wie von allen anderen Seiten um ihn herumgehen. Es war zwar da noch ein breiter Weg, aber die Mauern waren teils eingestürzt und der Weg war voll Gras und Schilf und es zog sich da eine Talschlucht hinab, welche je tiefer desto grüner ward. Man sieht vom Teich aus auf die Ecke des Allerheiligsten zwischen Abend und Mittag. Der Schafteich aber liegt nördlich vom Tempel am Viehmarkt beim Schaftor und ist ganz ausgemauert. Vom Abendmahlshaus aus, welches an der Morgenseite der Höhe vom Berge Sion liegt, führt der Weg zum Bethesdateich zuerst östlich um die Höhe von Sion, dann in einem Halbkreis nördlich, dann westlich und zuletzt wieder östlich in einer Krümmung hinab. Dieser ganze Teil von Sion bis zum Teich und über diesen hinaus bis hinab zum Tal Josaphat sieht verwüstet aus. In verfallene Gebäude sind Armenwohnungen eingeflickt, an den Abhängen wächst Wacholdergebüsch und in der Tiefe hohes Gras und Schilf. Die Juden meiden diesen Teil, die Neubekehrten aber siedeln sich jetzt daselbst an.

Der Bethesda-Teich ist eirund und wie ein Amphitheater von fünf Terrassen umgeben, aus denen fünf Wege mit Stufen zum Teich hinab an die kleinen Kähne oder Mulden führten, in welche die Heilung suchenden Kranken sich bringen ließen, um von dem aufwallenden Wasser besprengt zu werden. Es war aber auch im Teich ein kupferner Brunnenstock, der etwa in Mannshöhe über den Wasserspiegel hervorragte und etwa so dick wie ein kleineres Butterfass war. Es führte ein hölzernes Brücklein mit einem Geländer hinzu, und ich sah bei diesem ein Rohr, worin ein Stempel, mit dem Brunnenstock in Verbindung, so dass, wenn sie an dem Stempel drückten, ein Wasserstrahl oben aus dem Brunnenstock spritzte, indem sich eine Klappe öffnete. Man konnte den Strahl durch Veränderungen der Öffnung stärker und schwächer machen und ihm verschiedene Richtungen geben. Man konnte auch oben schließen und aus Seitenöffnungen Wasserstrahlen nach allen Seiten wie aus einer Gießkanne treiben. Oft sah ich Kranke in Kähnen an den Brunnenstock anfahren und sich so benetzen lassen. Diese Zugänge zum Teich waren für gewöhnlich geschlossen und wurden nur für die Kranken geöffnet. Dieser außer Gebrauch gekommene Brunnenstock war am Pfingstfest noch nicht hergestellt, aber schon in den ersten Tagen nachher sah ich ihn wieder instand gesetzt.

Die Rückwände der Terrassen enthielten kleine gewölbte Hallen mit muldenförmigen Steinlagern für die Kranken, weIche dort von allen Seiten auf den Teich hinabsehen konnten, ob sich das Wasser bewege. Der vordere Stand der Umgänge gegen den Teich hin hatte kleine Brustlehnen oder Schranken. Der Grund des Teiches ist ein weißer, schimmernder Sand, aus dem drei Quellen aufsprudeln, die manchmal über den Wasserspiegel emporspringen. Das Blut der Opfertiere ist durch Röhren unter dem Opferaltar des Tempels in den Teich hinabgeleitet. Derselbe nimmt mit seiner Umgebung und den alten Bauwerken einen sehr großen Raum ein. Ehe man ihm nahekommt, führt der Weg über einen Wall, von welchem nur drei Eingänge zu ihm führen. Östlich vom Teich fällt das Tal steiler ab, westlich hinter dem Teich aber ist das weniger tiefe Tal mit Brücken überbaut. Die nördliche Seite ist auch steil und bewachsen und nordöstlich führte ein Weg zum Tempel, der aber jetzt verfallen und ungangbar gemacht ist. Kleinere Pfade aber führen in die Stadt, ohne dass man durch die öffentlichen Tore zu gehen braucht. Dieser Pfade hatte sich Jesus oft bedient.

Der ganze Teich war bisher außer Gebrauch und im Verfall, die Gegend verlassen. Es war, wie manches alte Heiligtum in unseren Tagen ganz vernachlässigt und nur arme gläubige Leute hielten ihn noch in Ehren und kamen dahin. Seit der Heilung des gelähmten Mannes durch Jesus ist der Teich zwar wieder mehr in Aufnahme gekommen, den Pharisäern aber nur verhasster geworden. Die äußeren Ringmauern waren teilweise ganz verfallen und auch an den Terrassen war viel Verwüstung. Nun aber ist alles umher wieder mehr in Ordnung gebracht. Die eingestürzten Mauern sind teilweise durch Stellwände ergänzt und vom Teich zur Synagoge ist ein bedeckter Zeltgang errichtet.

Diese nun zur Kirche eingerichtete alte Synagoge liegt einsamer und freier als das Abendmahlshaus, dessen Hof auf einer Seite an eine Häuserrreihe angrenzt. Die Apostel und Jünger sah ich nach dem Pfingstfest fortwährend an der inneren Einrichtung der Kirche arbeiten. Petrus, Johannes, Andreas, Jakobus der Jüngere lehrten abwechselnd an drei verschiedenen SteIlen um den Teich und auf der dritten Terrasse, wo der Lehrstuhl des Petrus stand. Es waren immer sehr viele Gläubige versammelt, welche ich im eifrigen Gebet oft mit dem Gesicht auf der Erde liegen sah. Es ist nicht zu sagen, welche Tätigkeit überhaupt die ganze Zeit über in der Gemeinde herrschte mit Weben, Flechten und jeder Art von Arbeit für die neue Kirche und für die Armen.

Die Kirche ist ein großes längliches Viereck mit hoch oben befindlichen Fenstern. Man kann von außen auf Treppen an der Mauer auf das platte, von einer Galerie umgebene Dach hinaufsteigen. Auf dem Dach sind drei kleine Kuppeln, weIche man wie Luftlöcher öffnen kann. Der innere Raum ist an den beiden Längsseiten und an der einen schmalen Seite mit steinernen Stufenreihen für die Zuhörer umgeben und ganz wie eine Kirche eingerichtet. An der hinteren schmalen Seite ist der Altar in solcher Entfernung von der Mauer aufgeschlagen, dass durch die vom Altar aus an die beiden Seitenwände reichenden Flechtwände ein Raum wie eine Sakristei gebildet wird. Diese Flechtwände sind nach vorn mit einem feinen weißen, zur Rückseite mit gröberem Stoff überzogen. Der Altar ist ein tragbares, längliches Viereck von Holz, mit Decken belegt und ruht auf drei Stufen. An den beiden Seiten aber ist nur eine einfache Stufe, die sich öffnen lässt, um Teppiche hineinzulegen. Auf der Rückseite kann der Altar auseinander geklappt werden, um die Kirchenkleider aufzunehmen. Auf dem Altar steht ein Tabernakel, von der Figur einer Glocke, mit einem feinen weißen Vorhang umgeben, der nach vorn mit zwei Metallschildchen geschlossen wird. Oben hat er zum Tragen einen Knopf. Zu beiden Seiten des Tabernakels stehen mehrarmige Lampen mit brennenden Dochten. Den ganzen Altar umgibt ein weißer, doch buntgestreifter Vorhang, der von einem Thronhimmel herabhängt und nur etwas über die Höhe des Altares niederreichte. Der Thronhimmel selber bildet eine Nische und ist an fünf Bändern von der Hand einer von den heiligen Frauen gestickten Figur gehalten, welche einen Greis in hohepriesterlicher Kleidung vorstellt. Sie hat einen dreieckigen Schein um das Haupt und ist, wie aus einer Öffnung der Decke niederschauend, herabgebeugt, streckt eine Hand segnend aus, und fasst mit der anderen die fünf Tragbänder des Thronhimmels. Der Vorhang ist an den Rückseiten befestigt, aber vorn können beide Seiten zurückgeschlagen oder mit Metallklammern geschlossen werden.

Vom höher stehenden Altar bis zum Rednerstuhl ist ein bedeutender freier Raum für die Apostel und Jünger zum Chorgebet. Seit der heiligen Auferstehung sah ich die Apostel und Jünger im Abendmahlssaal täglich zum Chorgebet versammelt. Die Apostel standen zu beiden Seiten des Saales vor dem Allerheiligsten, die Jünger in der geöffneten Vorhalle. Sie sangen und beteten in abwechselndem Chor. Nikodemus, Joseph von Arimathäa und Obed sah ich auch dabei. Die heiligste Jungfrau stand gewöhnlich unter der mittleren Öffnung der Vorhalle mit dem Gesicht zum Allerheiligsten. Sie trug den langen weißen Mantel und war verschleiert. Jesus selbst hatte das Chorgebet angeordnet und den Aposteln das Geheimnis dieses Gottesdienstes bei oder mit dem Essen des Fisches bei Tiberias übergeben und auch damals, als Thomas seine heiligsten Wundmale berührte und überzeugt wurde. Ich sah auch einmal, dass Jesus ihnen vor Tagesanbruch während des Chorgesanges erschien. Sie kamen täglich zweimal dazu zusammen, am Abend bis in die Nacht, und in der Frühe vor Tagesanbruch.

Unterhalb vom Rednerstuhl ist die Gemeinde vom Chor durch ein Gitter abgeschlossen, durch welches ihr an mehreren Stellen das heiligste Sakrament gereicht werden konnte, fast so, wie es in Klöstern geschieht. Es sind zu beiden Seiten des Rednerstuhls kleine Türen in die Kirche, durch weIche die Apostel und Jünger zum Chor gingen. Die Gemeinde war nach gewissen Graden geordnet, die Frauen getrennt.

Ich sah die Apostel und Jünger mit dem heiligsten Sakrament vom Abendmahlshaus in Prozession zur neuen Kirche ziehen. Vorher lehrte Petrus von etwa zwanzig Jüngern umgeben unter dem Hoftor des Abendmahlshauses öffentlich vor vielem Volk mit großem Feuer. Es liefen auch viele Juden herzu, welche ihn durch Einwürfe stören wollten, aber nichts ausrichteten. Hierauf ging der Zug hinab an den Teich in die neue Kirche. Petrus trug das heiligste Sakrament in einem Kelch vor sich mit den Händen, der mit einem weißen Tuch wie mit einem Beutel verhüllt war, der ihm um den Hals hing. Die heiligste Jungfrau ging nach den Aposteln mit anderen Frauen und Jüngern. Ein Teil des Weges war mit Wänden von Matten verhängt, und in der Nähe der Teichkirche waren diese sogar überzeltet. Sie stellten das heiligste Sakrament auf den Altar in den neuen Tabernakel. Sie hatten auch den Behälter voll gesegneter Brötchen bei sich.

Der Boden der Kirche ist, wie der des Abendmahlshauses letzter Zeit, mit bunten Teppichen belegt. Sie gehen mit blossen Füßen darauf.

Das heiligste Sakrament befand sich in einem Gefäß, dessen Deckel man wegdrehen konnte. Es lag in Bissen auf einer Platte, die den Boden des Gefäßes bedeckte, und welche man mittelst einer Handhabe emporziehen konnte, um die tiefer liegenden Bissen bequem zu fassen.

18. Petrus feiert die erste Heilige Messe im Abendmahlssaal

Am achten Tage nach dem Pfingstfest sah ich die Apostel die ganze Nacht über in Tätigkeit und Gebet im Abendmahlshaus. Bei Tagesanbruch aber zogen sie mit vielen Jüngern in den Tempel, wohin auch die heiligste Jungfrau mit den heiligen Frauen sich begab. Es schien ein Fest im Tempel zu sein, denn vor dem Eingang war ein Triumphbogen errichtet, auf dem eine Figur mit einem Siegesschwert stand. Unter diesem Bogen lehrte Petrus vor sehr vielen Menschen mit großer Gewalt. Er sprach offen aus, dass keine Marter, weder Geißel noch Kreuz, sie ferner zurückhalten sollte, Jesus Christus öffentlich zu verkünden. Er ging auch in den Tempel und lehrte auf dem Lehrstuhl, wo Jesus gelehrt hatte. Ich hörte, dass alle Apostel und Jünger die Rede des Petrus einmal mit einem lauten beteuernden «Ja» unterbrachen. Und als sie hierauf beteten, sah ich lichte Wolken über den Tempel ziehen, und solches Leuchten auf sie herabkommen, dass die Flämmchen der Lampen im Tempel ganz dunkel und rot dagegen erschienen.

Gegen acht Uhr morgens verließen sie den Tempel, ordneten sich im Vorhof der Heiden zu einer großen Prozession, in der sie paarweise, zuerst die Apostel, nach ihnen die Jünger, dann die Getauften und Neubekehrten, über den Viehmarkt zum Schaftor hinaus in das Tal Josaphat zogen und von da auf Sion hinan zum Abendmahlshaus. Die heiligste Jungfrau hatte mit den anderen Frauen schon früher den Tempel verlassen, um allein im Abendmahlshaus vor dem heiligsten Sakrament kniend zu beten. Magdalena betete in der Vorhalle bald stehend, bald kniend und an der Erde liegend mit ausgebreiteten Armen. Die anderen Frauen hatten sich in ihre an die Bethesda-Kirche angefügten Zellen begeben, wo sie zu zwei und zwei wohnten und sich mit Waschen und Zubereitung der Hemden für die Täuflinge und mit der Anordnung solchen Gerätes zum Austeilen beschäftigten.

Als die Prozession im Hof des Abendmahlshauses ankam, wurden die Neubekehrten von den Aposteln vor der Vorhalle des Abendmahlshauses in Ordnung aufgestellt. Petrus und Johannes begaben sich in das Abendmahlshaus und geleiteten die heiligste Jungfrau unter die Türe der Vorhalle. Die heiligste Jungfrau war feierlich gekleidet; sie trug den langen weißen Mantel, dessen umgeschlagenes Innere gestickt war. Über dem Schleier hatte sie die schmale, zu beiden Seiten niederhängende Zeugbahn mit einer Krone auf dem Haupte befestigt. Petrus redete zu den Neubekehrten und übergab sie der heiligsten Jungfrau als ihrer gemeinsamen Mutter, indem er sie nacheinander in Scharen von etwa Zwanzigen vorführte. Alle empfingen den Segen der heiligsten Jungfrau.

Darnach sah ich feierlichen Gottesdienst im Abendmahlssaal, dessen Wände zu den Seitenhallen und der Vorhalle geöffnet waren. Über dem Altar im Allerheiligsten war ein grüner, mit Blumen geschmückter Festkranz aufgehängt. Es brannten Lampen zu Seiten des Abendmahlskelches, der höher stand und mit einem weißen Mäntelchen bedeckt war. Auf dem Altar stand ein kleinerer Kelch und die Brote, beides bedeckt, dahinter ein Teller mit einem Wasser- und Weingefäß. Der Teller ward zur Seite getan, und das Wassergefäß an die eine, das Weingefäß an die andere Seite des Altares gestellt.

Petrus war in seinem bischöflichen Mantel und las die Heilige Messe. Johannes und Jakobus der Jüngere dienten ihm. Ich sah alles auf die Weise geschehen, wie Jesus bei der Einsetzung des Abendmahls getan, das Opfern, Eingießen, Händewaschen und Konsekrieren. Wein und Wasser wurden von verschiedenen Seiten eingegossen. An der einen Seite des Altares waren Schriftrollen aufgelegt. Sie waren mit zwei Kolumnen beschrieben und wurden durch höher und tiefer in das Pult eingesteckte Zapfen ab- und aufgerollt, unterstützt, und wenn ein Blatt abgelesen war, ward es über das Pult hinüber geschlagen. Es lagen mehrere Blätter übereinander. Nachdem Petrus kommuniziert hatte, reichte er den beiden Ministrierenden auch das Sakrament, Brot und Kelch. Hierauf reichte Johannes das Sakrament zuerst der heiligsten Jungfrau, dann den Aposteln und den sechs Jüngern, welche darauf die Priesterweihe empfingen, und noch vielen anderen. Die Empfangenden knieten und hatten ein schmales Tuch vor sich, weIches zwei auf beiden Seiten hielten. Alle diese aber sah ich den Kelch nicht empfangen.

Die sechs Jünger, welche nun die Priesterweihe empfingen, waren aus dem Standort der Jünger mehr vorgerückt und standen unter den Aposteln. Maria brachte die Kleidungsstücke für sie und legte sie auf den Altar. Es waren: Zachäus, Nathanael, Josef Barsabas, Barnabas, Johannes Markus und Eliud, ein Sohn des alten Simeon. Sie knieten paarweise vor Petrus, welcher sprach und aus einer kleinen Rolle betete. Johannes und Jakobus hatten Lichter in der Hand und legten ihnen die Hand auf die Schulter, Petrus auf das Haupt.

Petrus schnitt ihnen Haare vom Haupt, welche auf einem Tellerchen auf den Altar gesetzt wurden, und salbte sie aus der Büchse, die Johannes hielt, auf Haupt und Finger. Es wurden ihnen nachher noch die Kleider angelegt und die Stolen teils quer unter dem Arme, teils vorn über der Brust gekreuzt. Alle Handlungen sah ich kürzer, doch feierlicher als jetzt. Petrus segnete am Schluss der Feier die Gemeinde mit dem großen Abendmahlskelch, auf welchem das heiligste Sakrament lag.

Maria und die anderen Frauen gingen hierauf zur Kirche am Teich Bethesda. Die Apostel, Jünger und neuen Täuflinge, welche grüne Zweige trugen, zogen singend in einer Prozession dahin. Maria betete dort im Chor vor dem Altar kniend, und Petrus lehrte auf dem Lehrstuhl in Bezug auf die Ordnung in der neuen Gemeinde, wie keiner mehr haben solle als der andere, wie sie alles teilen müssten, wie für die armen Hinzugekommenen zu sorgen sei. Außerdem war seine Rede eine Danksagung für die Gnaden und den Segen des Heilandes auf die Gemeinde.

Darnach wurde getauft. Es waren mehrere Apostel dabei tätig. Zwei legten die Hände auf den Täufling, der das Geländer der zum Brunnenstock führenden Brücke fasste und den Kopf zum Strahl des Brunnenstocks hinbeugte, welchen Petrus, der den Gürtel um sein weißes Kleid gelegt hatte, mit der Hand dreimal über das Haupt des Täuflings lenkte und dabei Worte sprach. Ich sah oft auf die Getauften eine leuchtende Wolke sich ergießen oder auch einen Strahl auf sie herabfallen. Ich sah die Getauften wunderbar gestärkt und wie verklärt und verwandelt. Es war ungemein rührend zu sehen, wie Leute weither im Land alles das Ihrige verließen und herbeikamen, mit der Gemeinde Jesu vereinigt zu werden. Am Rand des Teiches brannte eine Leuchte auf einer Stange, so wie die Wächter am heiligen Grab eine hatten.

Am Abend war ein Mahl in der Vorhalle des Abendmahlshauses, bei dem auch die heiligste Jungfrau mit den Aposteln, mit Joseph von Arimathäa, Nikodemus und Lazarus zu Tisch saß.

19. Erste allgemeine Kommunion der Neubekehrten. Wahl der sieben Diakone

Die seit Pfingsten Getauften wurden in der Bethesda- Kirche von sechs Aposteln, die in die langen weißen Gewänder gekleidet waren, über das heiligste Sakrament unterrichtet und zu dessen Empfang vorbereitet. Sie empfingen dasselbe bei der Heiligen Messe, welche Petrus in der Bethesda-Kirche las, bei welcher zwei Apostel ihm assistierten. Petrus trug über seinem langen weißen Gewand und dem breiten Gürtel, von dem Streifen niederhingen, einen Mantel, der aus dem inneren Raum des Altarkastens herausgenommen wurde. Seine Farbe war rot und goldschimmernd.

Der Mantel war wie ein großer Kragen, hinten tiefer hängend, vorne sich zuspitzend, und fiel über die Schultern so tief nieder, dass man von der Seite nur den Gürtel sehen konnte. Vorn auf der Brust war der Mantel wie mit drei Schildchen geschlossen. Auf dem Schildchen in der Mitte der Brust war eine Figur abgebildet, die ein Brot in der Hand hielt. Das unterste Schildchen gegen die Spitze oder das Ende des Mantels hatte die Figur des Kreuzes. Auf beiden Schultern waren Edelsteine in eine Figur zusammen geordnet.

Der Altar war mit einem roten und darüber mit einem durchbrochenen weißen Tuch bedeckt, auf welches noch ein kleineres weißes Tuch wie ein Korporale gelegt wurde. Auf einem länglich runden Teller lagen übereinander viele dünne, sehr weiße und zum Brechen gefurchte Brotscheiben. Daneben stand eine weite Schale mit einem Fuß wie ein niederer Kelch, in welche die nach der Konsekration von Petrus in Bissen gebrochenen Brote zur Ausspendung an die Gemeinde gelegt wurden. Außerdem stand auf dem Altar der mit Wein gefüllte Abendmahlskelch. Als Petrus unter der Heiligen Messe die Konsekrationsworte über Brot und Wein sprach, sah ich die Brote leuchten und über dem Altar wie aus einer Wolke eine leuchtende Hand erscheinen, welche sich wie die Hand des Petrus segnend über Brot und Wein bewegte und erst verschwand als alle auseinander gingen.

Zuerst empfingen die Apostel und Jünger von Petrus das heiligste Sakrament nach seiner Kommunion. Wurde die Schale leer, so füllte sie Petrus wieder von dem Teller, der auf dem Altar stand, und fuhr im Ausspenden weiter. Auch der Kelch wurde von ihm den Aposteln und allen anderen gereicht. Es waren der Kommunizierenden so viele, dass die Kirche nicht alle fassen konnte, sondern viele vor der Türe stehen mussten. Die zuerst Kommunizierenden gingen zur Kirche hinaus, und die anderen traten herein. Die Kommunizierenden knieten nicht, sondern standen beim Empfang ehrerbietigst gebeugt.

Vor der Wahl der sieben Diakone sah ich die Apostel um Petrus im Abenemahlssaal vereinigt, wo sie sich ihm in einer feierlichen Handlung unterwarfen. Sie geleiteten ihn vor das Allerheiligste, wo Johannes ihm den Mantel umlegte, ein anderer ihm die Mitra auf das Haupt setzte, ein anderer ihm den Stab in die Hand gab. Nachdem alle von Petrus die Kommunion empfangen hatten, redete Petrus in seinem Ornat und umgeben von den Aposteln in der Vorhalle zu einer großen Schar von Jüngern und Neubekehrten. Er sprach unter anderem, es zieme sich nicht, über der Sorge für Nahrung und Kleidung das Wort Gottes zu verlassen. So könnten Lazarus, Nikodemus und Joseph von Arimathäa nicht ferner mit Schicklichkeit, wie bisher, den irdischen Gütern der Gemeinde vorstehen, weil sie Priester geworden seien. Er sprach hierauf noch einiges von der Ordnung des Almosens, vom Haushalt, von Witwen und Waisen. Stephanus, ein schöner und schlanker Jüngling trat hervor und bot sich selbst an. Unter den Übrigen erkannte ich Parmenas, der einer der älteren war. Es waren aber auch Dunkelhäutige dabei, welche noch sehr jung waren und den Heiligen Geist noch nicht empfangen hatten. Petrus legte ihnen die Hände auf und die Stola quer unter dem Arme um. Auf jene, auf welche der Heilige Geist noch nicht gekommen war, ergoss sich dabei ein Licht.

Darnach wurde der Schatz und Vorrat der Gemeinde den sieben Diakonen übergeben und ihnen das Haus des Joseph von Arimathäa, nicht weit vom Haus des Johannes Markus, dazu angewiesen. Johannes Markus half ihnen dabei. Die Vorräte wurden auf Eseln herbeigetragen und bestanden in Beuteln aus verschiedenen Münzsorten. Einige waren wie Stengelchen in Schrauben gedreht, andere wie gestempelte Bleche an Kettchen zusammenhängend und andere in ovalen Blättchen. Der meiste Vorrat bestand in großen Paketen von Zeug, Decken, Kleidern, auch sehr vielen Gefäßen und Gerätschaften für den einfachen Haushalt.

Am Tage, der auf die Übergabe des Hauses von Joseph von Arimathäa an die Diakone folgte, sah ich die Apostel sich in Judäa verteilen.

Petrus tat mehr Wunder, als alle anderen. Er trieb Teufel aus und erweckte Tote, ja ich sah, dass ein Engel vor ihm zu den Leuten ging und ihnen sagte, sie sollten Buße tun und Petrus um Hilfe ansprechen.

Ich sah auch die Heilung des Lahmen. Es war ungefähr drei Uhr nachmittags, als Petrus und Johannes mit einigen Jüngern zum Tempel ging. Auch Maria und einige heilige Frauen gingen dahin. Ein lahmer Mann wurde auf einer Tragbahre hinauf vor die Tempeltüre getragen, mit dem Petrus und Johannes im Hinaufgehen einige Worte redeten. Dann sah ich Petrus, mit dem Rücken gegen den Tempel gekehrt, da, wo der Opferaltar stand, an der Mittagsseite des Platzes unter überspannten Teppichen vor vielem Volk feurig reden. Während dieser Lehre schon sah ich die Ausgänge von Soldaten besetzen und die Priester hin und wieder zusammen sprechen.

Nun sah ich Petrus und Johannes, die sich zum Tempel wendeten, von dem Lahmen um ein Almosen angesprochen. Er lag vor der Türe ganz zusammengekrümmt auf den linken Ellbogen gestützt und hatte mit der Rechten eine Krücke gefasst, an welcher er sich vergebens etwas aufzurichten suchte. Petrus sagte zu ihm: «Schau uns an!» und, da er dies tat: «Ich habe kein Silber und kein Gold. Ich gebe dir aber, was ich habe! Im Namen Jesu Christi von Nazareth stehe auf und wandle!» Er hob ihn an der rechten Hand auf, und Johannes fasste ihn unter der Schulter. Da stand der Mann ganz freudig und kräftig auf seine Füße, und ich sah ihn geheilt springend und jauchzend durch die Tempelhalle laufen.

Zwölf jüdische Priester, die hier in ihren Gestühlen saßen, schauten mit langen Hälsen zum Getümmel hin, und als die Menge um den geheilten Lahmen immer größer wurde, verließen sie ihre Stühle und zogen sich zurück. Petrus und Johannes aber gingen in die Vorhalle, und ich sah Petrus da, wo Jesus als zwölfjähriger Knabe gelehrt hatte, den Lehrstuhl betreten. Der geheilte Lahme stand, von vielem Volk aus der Stadt und von Fremdlingen umgeben, vor ihm. Petrus lehrte lange und sehr begeistert, aber da es schon dunkel wurde, sah ich ihn mit Johannes und dem geheilten Lahmen von Tempelsoldaten gefangen nehmen und beim Richthof, wo er den Herrn verleugnet hatte, in ein Gefängnis sperren. Am folgenden Tag wurde der geheilte Lahme und Petrus und Johannes durch die Tempelsoldaten unter Misshandlungen aus dem Kerker geholt und auf denselben Stufen, wo Jesus gestanden, von Kaiphas und anderen Priestern verhört. Petrus aber sprach mit großem Eifer. Dann wurden sie frei gelassen.

Die übrigen Apostel hatten die Nacht im Abendmahlshaus in stetem Gebet für die Gefangenen zugebracht. Als nun Petrus und Johannes zurückkamen und ihnen alles erzählten, brach ihre Freude in ein lautes Dankgebet aus, worauf das ganze Haus erbebte, als wollte ihnen der Herr dadurch sagen, dass Er unter ihnen sei und ihr Gebet erhört habe. Darnach sprach Jakobus der Jüngere, dass Jesus bei der Erscheinung auf dem Berg in Galiläa zu ihm allein gesagt habe, wenn Petrus und Johannes zum Tempel gehen, gefangengenommen und wieder entlassen würden, so sollten sie sich hierauf etwas zurückziehen.

Ich sah die Apostel auf diese Nachricht alles schließen und Petrus mit dem heiligsten Sakrament in einem Beutel am Hals mit den anderen nach Bethanien wandeln. Sie gingen in drei Scharen. Die Mutter Gottes und andere Frauen gingen auch dahin. In Bethanien lehrten die Apostel sehr begeistert in der Jüngerherberge, in Simons Haus und bei Lazarus. Und da sie wieder nach Jerusalem zurückkamen, waren sie begeisterter und entschlossener als je. Petrus lehrte im Abendmahlshaus und in der Kirche am Teich Bethesda, dass es sich nun bewähren müsse, wer den Geist, den Jesus gesandt, erhalten habe, nun beginne die Zeit, zu wirken und Verfolgung zu leiden und alles zu teilen. Wer sich nicht stark genug fühle, der solle ausscheiden. Ich sah, dass sich in der Bethesda-Kirche von der großen Schar der zuletzt Hinzugekommenen etwa hundert schieden.

Als Petrus, von Johannes und sieben anderen Aposteln begleitet, wiederum zu lehren zum Tempel ging, lagen sehr viele Kranke im Tal Josaphat auf Tragbetten unter Zelten, viele andere lagen auch um den Tempel im Vorhof der Heiden und bis zur Treppe des Tempels. Ich sah besonders Petrus heilen. Die anderen taten es zwar auch, doch halfen sie mehr. Petrus heilte nur die, welche glaubten und sich der Gemeinde anschließen wollten. Da, wo die Kranken in zwei Reihen einander gegenüber lagen, sah ich auch jene Kranken durch den Willen des Petrus genesen, auf welche sein Schatten fiel, während er mit der anderen Reihe beschäftigt war.

Anmerkungen

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