Vita consecrata (Wortlaut)

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Nachsynodales Schreiben
Vita consecrata

unseres Heiligen Vaters
Johannes Paul II.
an den Episkopat und den Klerus an die Orden und Kongregationen, an die Gesellschaften des Apostolischen Lebens, an die Säkularinstitute und an alle Gläubigen
über das geweihte Leben und seine Sendung in Kirche und Welt
Die IX. Ordentliche Generalversammlung der Weltbischofssynode fand am 2. bis 29. Oktober 1994 statt
25. März 1996
(Offizieller lateinischer Text: AAS 88 [1996] 377-486)

(Quelle: Die deutsche Fassung auf der Vatikanseite; Anmerkungen VAS 125)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Einleitung

1. Das Geweihte Leben, tiefverwurzelt im Beispiel und in der Lehre Christi, des Herrn, ist ein Geschenk Gottes des Vaters durch den Geist an seine Kirche. Mit dem Bekenntnis zu den evangelischen Räten erlangen die Wesenszüge Jesu - Jungfräulichkeit, Armut und Gehorsam - eine typische und beständige "Sichtbarkeit" mitten in der Welt, und der Blick der Gläubigen wird auf jenes Geheimnis des Gottesreiches gelenkt, das bereits in der Geschichte wirksam ist, seine Vollendung aber im Himmel erwartet.

Jahrhunderte hindurch hat es nie an Männern und Frauen gefehlt, die dem Ruf des Vaters und der Einladung des Geistes folgten und diesen Weg der besonderen Nachfolge Christi wählten, um sich ihm mit "ungeteiltem" Herzen (vgl. 1 Kor 7,34) hinzugeben. Auch sie haben wie die Apostel alles verlassen, um bei ihm zu bleiben und sich wie er in den Dienst vor Gott und an den Schwestern und Brüdern zu stellen. Auf diese Weise haben sie dazu beigetragen, das Geheimnis und die Sendung der Kirche offenbar zu machen durch die vielfältigen Gnadengaben geistlichen und apostolischen Lebens, die der Heilige Geist ihnen zuteilte, und folglich haben sie auch an der Erneuerung der Gesellschaft mitgewirkt.

Dank für das geweihte Leben

2. Die Rolle des geweihten Lebens in der Kirche ist so bedeutsam, dass ich die Einberufung einer Synode beschlossen habe, um seine Bedeutung und seine Perspektiven im Hinblick auf das bevorstehende neue Jahrtausend zu vertiefen. Ich wollte, dass bei der Synodenversammlung neben den Synodenvätern auch zahlreiche Personen des geweihten Lebens anwesend wären, damit bei den gemeinsamen Überlegungen ihr Beitrag nicht fehlte. Wir wissen alle um den Reichtum, den das Geschenk des geweihten Lebens mit der Vielfalt seiner Charismen und Einrichtungen für die kirchliche Gemeinschaft darstellt. Gemeinsam danken wir Gott für die Orden und für die Ordensinstitute, die sich der Betrachtung und den Werken des Apostolats widmen, für die Gesellschaften des apostolischen Lebens, für die Säkularinstitute und für andere Gruppen geweihter Personen sowie für alle, die sich im Innersten ihres Herzens mit besonderer Weihe Gott hingeben.

Bei der Synode war die weltweite Verbreitung des geweihten Lebens, das in den Kirchen überall auf der Erde präsent ist, mit Händen zu greifen. Es spornt die Entwicklung der Evangelisierung in den verschiedenen Regionen der Welt an und begleitet sie, wo nicht nur die von auswärts stammenden Institute dankbar aufgenommen werden, sondern auch neue entstehen mit einer großen Vielfalt an Ausdrucksformen.

Wenn auch die Institute des geweihten Lebens in manchen Gegenden der Erde eine schwierige Zeit durchzumachen scheinen, gedeihen sie in anderen Regionen mit erstaunlicher Kraft und beweisen damit, dass die Entscheidung für die Ganzhingabe an Gott in Christus in keinster Weise mit der Kultur und der Geschichte eines Volkes unvereinbar ist. Auch blüht das geweihte Leben nicht nur innerhalb der katholischen Kirche; tatsächlich findet es sich besonders lebendig im Mönchtum der orthodoxen Kirchen und gehört als Wesenszug zu deren Erscheinungsbild; und auch in den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften ist es im Begriff zu entstehen oder wiederzuentstehen, gleichsam als Zeichen einer gemeinsamen Gnade der Jünger Christi. Aus dieser Feststellung ergibt sich ein Impuls für die Ökumene, die das Verlangen nach einer immer volleren Gemeinschaft unter den Christen nährt, "damit die Welt glaubt" (Joh 17,21).

Das geweihte Leben - ein Geschenk an die Kirche

3. Die weltweite Präsenz des geweihten Lebens und der evangelische Charakter seines Zeugnisses zeigen mit aller Deutlichkeit - falls notwendig - dass es keine isolierte Randerscheinung ist, sondern die ganze Kirche betrifft. Die Bischöfe auf der Synode haben dies wiederholt bestätigt: "de re nostra agitur", "es geht um etwas, das uns betrifft".<ref>Vgl. Propositio 2.</ref>

Tatsächlich steht das geweihte Leben als entscheidendes Element für die Sendung der Kirche in deren Herz und Mitte, da es "das innerste Wesen der christlichen Berufung offenbart und darstellt"<ref>II. Vat. Konzil, Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad gentes, 18.</ref> und das Streben der ganzen Kirche als Braut nach der Vereinigung mit dem einen Bräutigam zum Ausdruck bringt.<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 44; Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelica testificatio (29. Juni 1971), 7: AAS 63 (1971), 501-502; Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi (8. Dez. 1975), 69: AAS 68 (1976), 59.</ref> Auf der Synode wurde mehrmals bestätigt, dass das geweihte Leben nicht nur in der Vergangenheit eine Rolle der Hilfe und der Unterstützung für die Kirche gespielt habe, sondern dass es auch für die Gegenwart und die Zukunft des Gottesvolkes ein kostbares und unerlässliches Geschenk ist, weil es zutiefst zu dessen Leben, Heiligkeit und Sendung gehört.<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmat. Konst. über die Kirche Lumen gentium, 44.</ref>

Die gegenwärtigen Schwierigkeiten, auf die nicht wenige Institute in einigen Gegenden der Welt stoßen, dürfen nicht zu Zweifeln daran verleiten, dass das Bekenntnis zu den evangelischen Räten wesentlicher Bestandteil des Lebens der Kirche ist, dem es einen wertvollen Impuls zu einer immer konsequenteren Verwirklichung des Evangeliums verleiht.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Ansprache bei der Generalaudienz (28. September 1994), 5: L'Osservatore Romano, 29. Sept. 1994, S. 4.</ref> Es wird in der Geschichte eine weitere Vielfalt an Formen geben können, aber das Wesen einer Entscheidung, die in der Radikalität der Selbsthingabe aus Liebe zum Herrn Jesus und in ihm zu jedem Angehörigen der Menschheitsfamilie ihren Ausdruck findet, wird sich nicht ändern. Auf diese Gewissheit, die im Laufe der Jahrhunderte zahllose Menschen zu mutigem Entschluss angeregt hat, zählt das christliche Volk auch weiterhin, wohl wissend, dass es aus dem Beitrag dieser hochherzigen Seelen eine wirksame Hilfe auf seinem Weg zur himmlischen Heimat erfahren kann.

Zusammenstellung der Ergebnisse der Synode

4. Dem Wunsch der Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode folgend, die zusammengetreten war, um über das Thema "Das geweihte Leben und seine Sendung in Kirche und Welt" zu beraten, will ich in diesem Apostolischen Schreiben die Ergebnisse des synodalen Programms vorlegen<ref>Vgl. Propositio 1.</ref> und allen Gläubigen - Bischöfen, Priestern, Diakonen, Ordensleuten und Laien - sowie allen, die zuhören wollen, die Wunder aufzeigen, die der Herr auch heute durch das geweihte Leben vollbringen will.

Nach den Synoden, die den Laien und den Priestern gewidmet waren, vervollständigt diese Synode die Behandlung der besonderen Eigenheiten, die die vom Herrn Jesus für seine Kirche vorgesehenen Lebensstände kennzeichnen. Auch wenn auf dem II. Vatikanischen Konzil die große Wirklichkeit der kirchlichen Gemeinschaft hervorgehoben wurde, in der sämtliche Gaben zusammenströmen für den Aufbau des Leibes Christi und für die Sendung der Kirche in der Welt, so machte sich doch in den letzten Jahren die Notwendigkeit bemerkbar, die Identität der verschiedenen Stände des Lebens, ihre Berufung und ihren besonderen Auftrag in der Kirche deutlicher herauszustellen.

Die Gemeinschaft in der Kirche bedeutet ja nicht Einförmigkeit, sondern Geschenk des Geistes, der auch die Vielfalt der Charismen und der Lebensformen durchdringt. Diese werden für die Kirche und ihre Sendung um so nützlicher sein, je konsequenter ihre Identität eingehalten wird. Denn jede Gabe des Geistes wird gewährt, damit sie im Wachsen der Brüderlichkeit und der Sendung Frucht bringe für den Herrn.<ref>Vgl. Hl. Franz von Sales, Introduction à la vie dévote, p. I, c. 3, Œuvres, t. III, Annecy 1893, S. 19-20.</ref>

Das Wirken des Geistes in den verschiedenen Formen des geweihten Lebens

5. Wie sollte man nicht voll Dankbarkeit gegenüber dem Geist an die Fülle der historischen Formen des geweihten Lebens erinnern, die von ihm geweckt wurden und noch immer im kirchlichen Gefüge vorhanden sind? Sie erscheinen uns wie ein Baum mit vielen Zweigen,<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 43.</ref> dessen Wurzeln tief in das Evangelium hineinreichen und der in jeder Epoche der Kirche üppige Früchte hervorbringt. Was für ein außerordentlicher Reichtum! Ich selbst habe zum Abschluss der Synode den Wunsch verspürt, dieses in der Geschichte der Kirche konstante Element hervorzuheben: die Schar von Ordensgründern und -gründerinnen, von heiligen Männern und Frauen, die sich in der Radikalität des Evangeliums und im Dienst an den Brüdern und Schwestern, besonders an den Armen und Verlassenen, für Christus entschieden haben.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Predigt bei der feierlichen Konzelebration zum Abschluss der IX. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode (29. Oktober 1994), 3: AAS 87 (1995), 580.</ref> Gerade in diesem Dienst wird mit besonderer Klarheit sichtbar, dass das geweihte Leben die Einheitlichkeit des Liebesgebotes in der untrennbaren Verbundenheit von Gottes- und Nächstenliebe offenbar macht.

Die Synode hat dieses unablässige Wirken des Heiligen Geistes erwähnt, das im Laufe der Jahrhunderte die Reichtümer der Anwendung der evangelischen Räte durch die vielfältigen Charismen zur Entfaltung bringt und auch auf diese Weise in Kirche und Welt, in Zeit und Raum beständig das Geheimnis Christi gegenwärtig macht.

Monastisches Leben in Ost und West

6. Die Synodenväter der katholischen Ostkirchen und die Vertreter der anderen Kirchen des Orients haben in ihren Ausführungen die evangelischen Werte des monastischen Lebens<ref>Vgl. Bischofssynode, IX. Ordentliche Generalversammlung, Botschaft der Synode (27. Okt. 1994), VII: L'Osservatore Romano, 29. Okt. 1994, S. 7.</ref> unterstrichen, das bereits in den Anfangszeiten des Christentums in Erscheinung trat und in ihren Ländern, besonders in orthodoxen Kirchen, noch heute von blühender Lebendigkeit ist. Seit den ersten Jahrhunderten der Kirche hat es Männer und Frauen gegeben, die sich berufen fühlten, den Dienst des fleischgewordenen Wortes nachzuahmen, und sich in seine Nachfolge begeben haben, indem sie die Anforderungen, die sich aus der der Taufe entspringenden Teilhabe am Ostergeheimnis seines Todes und seiner Auferstehung ergeben, im Ordensberuf in besonderer und radikaler Weise lebten. Während sie auf diese Weise zu Trägern des Kreuzes (staurophóroi) wurden, haben sie sich verpflichtet, Zeugen des Geistes (pneumatophóroi) zu werden, wahrhaft geistliche Männer und Frauen, die in der Lage sind, durch Lobpreis und ständige Fürbitte, durch die asketischen Ratschläge und durch die Werke der Liebe die Geschichte im Verborgenen zu befruchten.

In der Absicht, die Welt und das Leben in Erwartung der endgültigen Schau des Angesichtes Gottes zu verwandeln, bevorzugt das orientalische Mönchtum die Bekehrung, den Selbstverzicht und die Zerknirschung des Herzens, die Suche der Hesychie, d.h. des inneren Friedens, und das unablässige Gebet, das Fasten und die Nachtwachen, das geistige Ringen und das Schweigen, die österliche Freude über die Gegenwart des Herrn und über die Erwartung seines endgültigen Kommens, die Hingabe seiner selbst und seiner Habe, wie sie in der heiligen Gemeinschaft des Klosters oder in der Einsamkeit der Eremitage gelebt wird.<ref>Vgl. Propositio 5, B.</ref>

Auch das Abendland hat seit den ersten Jahrhunderten der Kirche das monastische Leben praktiziert und eine große Vielfalt an Ausdrucksformen sowohl im klösterlichen Bereich als auch im eremitischen Mönchtum gekannt. In seiner heutigen Gestalt, die vor allem vom hl. Benedikt inspiriert wurde, ist das abendländische Mönchtum Erbe vieler Männer und Frauen, die sich vom weltlichen Leben abgewandt haben, Gott suchten und sich ihm weihten, "indem sie der Liebe zu Christus nichts vorzogen".<ref>Vgl. Regula, 4, 21 und 72, 11.</ref> Auch die Mönche von heute bemühen sich um einen harmonischen Einklang zwischen innerem Leben und Arbeit in der Verpflichtung nach dem Evangelium zur Änderung der Gewohnheiten, zum Gehorsam, zur Beständigkeit und in der eifrigen Hingabe an die Betrachtung des Wortes (lectio divina), an die Feier der Liturgie und das Gebet. Die Klöster waren und sind noch immer im Herzen der Kirche und der Welt ein ausdrucksvolles Zeichen von Gemeinschaft, ein einladender Aufenthaltsort für diejenigen, die Gott und die Welt des Geistes suchen; sie sind Glaubensschulen und wahre Werkstätten für Studium, Dialog und Kultur zum Aufbau des kirchlichen Lebens und auch, in Erwartung der himmlischen Stadt, zum Aufbau der irdischen.

Die Weihe der Jungfrauen, die Eremiten und die Witwen

7. Grund zu Freude und Hoffnung ist es zu sehen, dass die bereits seit der apostolischen Zeit in den christlichen Gemeinden bezeugte alte Weihe der Jungfrauen heute wiederaufblüht.<ref>Vgl. Propositio 12.</ref> Durch ihre Weihe durch den Diözesanbischof erwerben sie eine besondere Bindung an die Kirche, deren Dienst sie sich widmen, auch wenn sie weiter in der Welt bleiben. Allein oder in Gemeinschaft stellen sie ein besonderes eschatologisches Bild von der himmlischen Braut und dem zukünftigen Leben dar, wenn die Kirche endlich die Liebe zu ihrem Bräutigam Christus in Fülle leben wird.

Die als Eremiten lebenden Männer und Frauen, die alten Orden oder neuen Instituten angehören oder auch unmittelbar vom Bischof abhängig sind, bezeugen mit ihrer inneren und äußeren Trennung von der Welt den vorläufigen Charakter der Gegenwart und beweisen durch Fasten und Buße, dass der Mensch nicht von Brot allein lebt, sondern vom Wort Gottes (vgl. Mt 4,4). Ein solches Leben "in der Wüste" ist eine Aufforderung an den Nächsten und zugleich an die kirchliche Gemeinschaft, niemals die höchste Berufung aus den Augen zu verlieren, nämlich immer beim Herrn zu sein.

Heute wird auch wieder die schon zur Zeit der Apostel bekannte (vgl. 1 Tim 5,5.9-10; 1 Kor 7,8) Weihe der Witwen<ref>Vgl. Kodex der Kanones der Orientalischen Kirchen, can. 570.</ref> vollzogen sowie jene der Witwer. Durch das Gelöbnis ewiger Keuschheit als Zeichen des Reiches Gottes heiligen diese Personen ihren Stand, um sich dem Gebet und dem Dienst an der Kirche zu widmen.

Institute, die sich ganz der Kontemplation widmen

8. Die Institute, die ganz auf die Kontemplation ausgerichtet sind und aus Frauen oder Männern bestehen, sind für die Kirche ein Grund zur Freude und eine Quelle himmlischer Gnaden. Mit ihrem Leben und ihrer Sendung ahmen die Personen dieser Institute Christus nach, der auf den Berg stieg, um zu beten, geben Zeugnis von Gottes Herrschaft über die Geschichte und nehmen die künftige Herrlichkeit vorweg.

In der Einsamkeit und im Stillschweigen, durch das Hören des Wortes Gottes, durch die Feier des Gottesdienstes, durch die persönliche Askese und das Gebet, durch die Abtötung und die geschwisterliche Liebesgemeinschaft orientieren sie ihr ganzes Leben und ihre Tätigkeit an der Kontemplation Gottes. Auf diese Weise geben sie der kirchlichen Gemeinschaft ein einzigartiges Zeugnis der Liebe der Kirche zu ihrem Herrn und tragen mit einer geheimnisvollen apostolischen Fruchtbarkeit zum Wachstum des Volkes Gottes bei.<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens Perfectae caritatis, 7; Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad gentes, 40.</ref> Daher ist der Wunsch berechtigt, dass die verschiedenen Formen kontemplativen Lebens als Ausdruck tiefer Verwurzelung im Evangelium eine zunehmende Verbreitung in den jungen Kirchen finden, vor allem in jenen Regionen der Welt, wo andere Religionen stärker verbreitet sind. Dies wird es ermöglichen, Zeugnis zu geben von der Kraft der Traditionen christlicher Askese und Mystik, und wird den interreligiösen Dialog fördern.<ref>Vgl. Propositio 6.</ref>

Das apostolische Ordensleben

9. Im Abendland sind im Laufe der Jahrhunderte vielfältige andere Ausdrucksformen des Ordenslebens zur Blüte gelangt, in denen unzählige Menschen nach der Absage an die Welt durch das öffentliche Bekenntnis zu den evangelischen Räten, entsprechend einem besonderen Charisma und in einer festen Form gemeinschaftlichen Lebens<ref>Vgl. Propositio 4.</ref> sich Gott für einen vielgestaltigen apostolischen Dienst am Volk Gottes geweiht haben. So etwa die verschiedenen Ordensfamilien der Regularkanoniker, die Bettelorden, die Regularkleriker und im allgemeinen die männlichen und weiblichen Ordenskongregationen, die sich der apostolischen Arbeit, der Missionstätigkeit und den vielfältigen Werken widmen, die die christliche Liebe hervorgebracht hat.

Es ist ein Zeugnis von wunderbarer Mannigfaltigkeit, in dem sich die Vielfalt der von Gott den Ordensgründern und -gründerinnen gespendeten Gaben widerspiegelt, die in ihrem Offensein für das Wirken des Heiligen Geistes die Zeichen der Zeit zu deuten und den nach und nach auftretenden Erfordernissen auf glänzende Weise zu entsprechen verstanden. Ihrem Beispiel folgend haben viele andere mit Wort und Tat versucht, das Evangelium in ihrem eigenen Leben zu verwirklichen, um die lebendige Gegenwart Jesu, des Geweihten im wahrsten Sinne des Wortes und des Apostels des Vaters, in ihrer Zeit wieder geltend zu machen. Christus, den Herrn, müssen sich die Personen des geweihten Lebens immer und zu allen Zeiten zum Vorbild nehmen, indem sie im Gebet eine tiefe Gesinnungsgemeinschaft mit ihm pflegen (vgl. Phil 2,5-11), damit ihr ganzes Leben von dem apostolischen Geist durchdrungen werde und die gesamte apostolische Tätigkeit von Kontemplation erfüllt sei.<ref>Vgl. Propositio 7.</ref>

Die Säkularinstitute

10. Der Heilige Geist, wunderbarer Schöpfer der Vielfalt der Charismen, hat in unserer Zeit neue Ausdrucksweisen geweihten Lebens geschenkt, gleichsam als wollte er, einem Plan der Vorsehung entsprechend, den neuen Bedürfnissen Genüge tun, denen die Kirche heute bei der Erfüllung ihrer Sendung in der Welt begegnet.

Ich denke vor allem an die Säkularinstitute, deren Mitglieder die Weihe an Gott in der Welt durch das Bekenntnis zu den evangelischen Räten im Rahmen der zeitlichen Strukturen leben wollen, um auf diese Weise innerhalb des kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Lebens Sauerteig der Weisheit und Zeugen der Gnade zu sein. Durch die ihnen eigene Synthese von Säkularem und Weihe wollen sie in die Gesellschaft die neuen Kräfte des Reiches Christi einbringen und die Welt durch die Kraft der Seligpreisungen von innen her zu verwandeln suchen. Während die völlige Zugehörigkeit zu Gott sie ganz für seinen Dienst aufgehen lässt, bestärkt so ihre Tätigkeit in der normalen weltlichen Umgebung unter dem Wirken des Geistes die Beseelung der säkularen Gegebenheiten aus dem Evangelium. Die Säkularinstitute tragen so dazu bei, der Kirche je nach der spezifischen Gabe eines jeden Instituts eine ausgeprägte Präsenz in der Gesellschaft zu gewährleisten.<ref>Vgl. Propositio 11.</ref>

Eine wertvolle Funktion üben auch die klerikalen Säkularinstitute aus, in denen sich Priester, die dem Presbyterium einer Diözese angehören, auch wenn einigen von ihnen die Inkardination im eigenen Institut zuerkannt wird, durch die einem besonderen Charisma entsprechende praktische Befolgung der evangelischen Räte Christus weihen. Sie finden in den geistlichen Reichtümern des Instituts, dem sie angehören, eine große Hilfe, um die dem Priestertum eigene Spiritualität zu leben und so Ansporn zu apostolischer Gemeinschaft und Großherzigkeit unter den Mitbrüdern zu sein.

Die Gesellschaften des apostolischen Lebens

11. Besondere Erwähnung verdienen sodann die männlichen und weiblichen Gesellschaften des apostolischen Lebens oder des gemeinsamen Lebens, die mit einem ihnen eigenen Stil ein besonderes apostolisches oder missionarisches Ziel verfolgen. In vielen von ihnen werden mit von der Kirche offiziell anerkannten heiligen Weiheverpflichtungen die evangelischen Räte ausdrücklich angenommen. Doch auch in diesem Fall unterscheidet die Eigenart ihrer Weihe sie von den Ordensinstituten und Säkularinstituten. Es gilt, die Besonderheit dieser Lebensform zu erhalten und zu fördern, die im Laufe der letzten Jahrhunderte besonders auf dem Gebiet der Nächstenliebe und bei der missionarischen Verbreitung des Evangeliums so viele Früchte der Heiligkeit und des Apostolats hervorgebracht hat.<ref>Vgl. Propositio 14.</ref>

Neue Ausdrucksformen geweihten Lebens

12. Die ewige Jugend der Kirche erweist sich auch heute: in den letzten Jahrzehnten, nach dem II. Vatikanischen Konzil, sind neue oder erneuerte Formen geweihten Lebens in Erscheinung getreten. In vielen Fällen handelt es sich um Institute, die den bereits bestehenden zwar ähnlich, aber aus neuen spirituellen und apostolischen Impulsen heraus entstanden sind. Ihre Lebensfähigkeit muss von der Autorität der Kirche geprüft werden, der die Durchführung der zweckmäßigen Untersuchungen obliegt, sowohl um die Echtheit der inspirierenden Zielsetzung zu prüfen wie auch die übermäßige Vermehrung nahezu gleicher Institutionen zu vermeiden, die die Gefahr einer schädlichen Aufsplitterung in zu kleine Gruppen nach sich ziehen könnte. In anderen Fällen handelt es sich um echte Erfahrungen, die nach einer eigenen Identität in der Kirche suchen und die offizielle Anerkennung durch den Apostolischen Stuhl erwarten, bei dem allein der letzte Entscheid liegt.<ref>Vgl. Kodex des kanonischen Rechtes, can. 605; Kodex der Kanones der Orientalischen Kirchen, can. 571; Propositio 13.</ref>

Diese neuen Formen geweihten Lebens, die zu den früheren hinzukommen, bezeugen die stete Anziehungskraft, die die Ganzhingabe an den Herrn, das Ideal der apostolischen Gemeinschaft, die Gründungscharismen auch auf die heutige Generation ausüben, und sind ebenso Zeichen für die Komplementarität der Gaben des Heiligen Geistes.

Der Geist widerspricht sich jedoch nicht in der Neuheit! Beweis dafür ist die Tatsache, dass die neuen Formen geweihten Lebens die früheren nicht verdrängt haben. Bei derart vielgestaltiger Mannigfaltigkeit konnte dank derselben Berufung, die grundlegende Einheit gewahrt bleiben, nämlich auf der Suche nach der vollkommenen Liebe dem keuschen, armen und gehorsamen Jesus zu folgen. Wie diese Berufung in allen bereits bestehenden Formen anzutreffen ist, so gilt sie auch in den neu hinzugetretenen.

Zielsetzungen des Apostolischen Schreibens

13. Während ich die Früchte der Arbeiten der Synode sammle, will ich mich mit diesem Apostolischen Schreiben an die ganze Kirche wenden, um nicht nur den Personen des geweihten Lebens, sondern auch den Hirten und den Gläubigen die Früchte einer anregenden Auseinandersetzung darzubieten, über deren Fortgang der Heilige Geist es nicht fehlen ließ, mit seinen Gaben der Wahrheit und der Liebe zu wachen.

In diesen Jahren der Erneuerung hat das geweihte Leben, wie übrigens auch andere Lebensformen in der Kirche, eine schwierige und mühsame Zeit durchgemacht. Es war eine Zeit reich an Hoffnungen sowie an Erneuerungsversuchen und -vorschlägen, die das Bekenntnis zu den evangelischen Räten auf den heutigen Stand bringen sollten. Doch es war auch eine Zeit, die nicht frei von Spannungen und Schwierigkeiten war und in der selbst edle Erfahrungen nicht immer von positiven Ergebnissen gekrönt waren.

Die Schwierigkeiten dürfen jedoch nicht zur Entmutigung verleiten. Es ist vielmehr notwendig, sich mit neuem Eifer zu engagieren, denn die Kirche braucht die geistliche und apostolische Mitwirkung eines erneuerten und gestärkten geweihten Lebens. Mit dem vorliegenden nachsynodalen Schreiben will ich mich an die Ordensgemeinschaften und an die einzelnen Personen des geweihten Lebens im selben Geist wenden, der den Brief beseelte, der einst vom Apostelkonzil in Jerusalem an die Christen von Antiochien gesandt worden war; ich hege dabei die Hoffnung, dass sich heute dieselbe Erfahrung wiederholen möge, wie sie uns von damals überliefert ist: "Die Brüder lasen den Brief und freuten sich über die Ermunterung" (Apg 15,31). Aber nicht nur das: ich hege auch die Hoffnung, dadurch die Freude des ganzen Gottesvolkes zu vermehren, das durch besseres Kennenlernen des geweihten Lebens dem Allmächtigen bewusster für dieses große Geschenk zu danken vermag.

In einer Haltung herzlicher Offenheit gegenüber den Synodenvätern habe ich mir die wertvollen Beiträge zunutze gemacht, die während der intensiven Arbeiten bei den Versammlungen zutage traten, bei denen ich ständig anwesend sein wollte. Während dieser Zeit war ich auch darauf bedacht, dem ganzen Volk Gottes einige systematische Katechesen über das geweihte Leben in der Kirche zu halten. Darin habe ich die in den Texten des II. Vatikanischen Konzils enthaltenen Lehraussagen erneut vorgestellt. Das Konzil war leuchtender Bezugspunkt für die folgenden Lehrentwicklungen und für die von der Synode während der Wochen intensiver Arbeit angestellten Überlegungen.<ref>Vgl. Propositiones 3; 4; 6; 7; 8; 10; 13; 28; 29; 30; 35; 48.</ref>

Während ich darauf vertraue, dass die Söhne und Töchter der Kirche, insbesondere die geweihten Personen dieses Schreiben mit hochherziger Zustimmung annehmen, wünsche ich, dass man auch weiterhin darüber nachdenken möge, um zu einer Vertiefung des großen Geschehens des geweihten Lebens in seiner dreifachen Dimension der Weihe, der Gemeinschaft und der Sendung zu gelangen, und dass die geweihten Personen in völliger Übereinstimmung mit der Kirche und ihrem Lehramt auf diese Weise weiter angespornt werden, den drängenden Herausforderungen geistlich und apostolisch zu begegnen.

[Fortsetzung folgt]

Anmerkungen

<references />