Tra le sollecitudini (Wortlaut)

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Motu proprio
Tra le sollecitudini

von Papst
Pius X.
über die Restauration der Kirchenmusik
22. November 1903

(Offizieller italienischer Text: ASS XXXVI [1903-1904] 329-339)

(Quelle: Kirchenmusikalische Gesetzgebung, Die Erlasse Pius X. Pius XI. und Pius XII. über Liturgie und Kirchenmusik, S. 7-18, Friedrich Pustet Verlag Regensburg 1956, 5. Auflage, S. 7-18; Imprimatur Regensburg, 12. November 1956 Joh. Bapt. Baldauf Generalvikar, Die Nummerierung entspricht der italienischen Fassung)

Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Ehrwürdige Brüder und geliebte Söhne
Gruß und apostolischen Segen !

Datei:Schwalbennestorgel Kölner Dom.jpg
Schwalbennestorgel im Kölner Dom (Orgelbau Klais (Bonn), Neubau 1998)

Einleitung

Die Sorgen des Hirtenamtes sind Uns auferlegt, nicht allein, weil Wir diesen höchsten Lehrstuhl innehaben, den Wir, wenn auch unwürdig, nach dem unerforschlichen Ratschluss der göttlichen Vorsehung einnehmen, sondern auch, weil Uns jede einzelne Kirche anvertraut ist. Die vornehmste unter diesen Sorgen ist aber zweifellos die, dass Wir die Würde des Gotteshauses zu wahren und zu fördern haben. Dort werden ja die erhabenen Geheimnisse der Religion gefeiert, dort muss das christliche Volk die Gnadenmittel der Sakramente gebrauchen, dem heiligen Opfer des Altares beiwohnen, dem erhabenen Sakrament der Eucharistie seine Verehrung darbringen und beim öffentlichen, feierlichen, liturgischen Gottesdienst am gemeinsamen Gebet der Kirche teilnehmen. Nichts darf also im Heiligtum geschehen, was die Frömmigkeit und Andacht der Gläubigen ablenken oder auch nur beeinträchtigen könnte, nichts vor allem, was die Würde und Heiligkeit der heiligen Riten störte und so für das Haus des Gebetes und die Majestät Gottes ungeziemend wäre.

Wir berühren im folgenden nicht alle Missbräuche, die hier in Betracht kommen. Unser Augenmerk richtet sich heute auf einen, der sich mit am häufigsten findet und zu jenen gehört, die am, schwersten auszurotten sind. Es ist ein Missstand, den man bisweilen sogar dort beklagen muss, wo alles andere das höchste Lob verdient: Die Schönheit und Pracht des Gotteshauses, der Glanz und die genaue Einhaltung der Zeremonien, die Menge der Geistlichen, das würdige Benehmen und die Frömmigkeit der Altardiener. Wir meinen den üblen Zustand des Gesanges und der Kirchenmusik. Es ist Tatsache, dass auf diesem Gebiet der menschliche Wille dazu neigt, leichterdings vom rechten Weg abzuweichen. Die Gründe dafür sind verschieden: Einmal das schwankende und veränderliche Wesen dieser Kunst selbst; sodann der Wechsel des Urteils und Geschmackes im Laufe der Jahrhunderte; der unheilvolle Einfluss, den die weltliche Kunst und die Bühnenkunst auf die Kirchenkunst ausübt; das Ergötzen, das die Musik unmittelbar hervorruft, und das sich nur schwer in den gehörigen Schranken hält; schließlich die Vorurteile, die sich bei diesem Gegenstand leicht einschleichen und dann auch bei verständigen und frommen Menschen mit Zähigkeit sich einwurzeln. Und doch wurde die rechte Richtschnur in diesen Dingen von dem leitenden Gedanken gegeben, der die Kunst zum Dienste des Kultes heranzog. Diese Richtschnur wurde deutlich genug klargelegt durch kirchliche Gesetze, durch Erlasse der allgemeinen und der Provinzial-Konzilien sowie durch öftere Bestimmungen der heiligen Kongregationen und der vor Uns regierenden Päpste.

Wohl ist Unser Herz von hoher Freude erfüllt über das Gute, und zwar nicht wenige Gute, das in den letzten Jahrhunderten auch in unserer erhabenen Stadt Rom und in einer Anzahl von Kirchen unseres Vaterlandes geschaffen worden ist; vornehmlich, aber über das, was einige Völker mit Weisheit geschaffen haben, indem hervorragende Männer, vom Eifer für den Gottesdienst beseelt, mit Billigung des Apostolischen Stuhles und unter Leitung der Bischöfe sich zu blühenden Vereinen zusammengeschlossen und die Kirchenmusik fast in allen Kirchen und Kapellen in würdigster Weise gerettet haben. Doch finden sich solche Fortschritte keineswegs überall. Daher gehen Wir, gestützt auf Unsere eigene Erfahrung, auf die sehr zahlreichen Klagen ein, die von allen Seiten Uns vorgetragen wurden in der kurzen Zeit, seit es dem Herrn gefallen hat Unsere geringe Person zum höchsten Gipfel des römischen Pontifikates zu erheben. Wir können nicht länger zuwarten, erachten es vielmehr als eine unserer ersten Pflichten, dem entgegenzutreten und das zu verurteilen, was bei den Riten des Kultes und den gottesdienstlichen Verrichtungen von der geraden Richtschnur abweicht. Denn es ist Uns innerste Herzenssache, dass der wahrhaft christliche Geist überall in allen Gläubigen wieder aufblühe und unvermindert erhalten bleibe. Daher müssen Wir vor allem für die Heiligkeit und Würde des Gotteshauses sorgen. Denn dort versammeln sich die Gläubigen, um diesen Geist aus der ersten und unentbehrlichen Quelle zu schöpfen, nämlich aus der aktiven Teilnahme an den hochheiligen Mysterien und dem öffentlichen, feierlichen Gebet der Kirche. Vergeblich aber wäre Unsere Hoffnung, dass Gott die Erreichung dieses Zieles seinen Segen reichlich über uns ergieße, wenn unser Gottesdienst, anstatt mit lieblichem Wohlgeruch emporzusteigen, im Gegenteil dem Herrn die Geißel in die Hand drückte, mit der einst unser göttlicher Erlöser die unwürdigen Tempelschänder verjagt hat.

Damit also in Zukunft niemand Unkenntnis seiner Pflicht vorschütze, und damit jeder Zweifel bezüglich einiger einschlägiger Verordnungen erhoben werden, haben Wir es für zweckmäßig erachtet, in Kürze die Grundsätze dazulegen, die für die Kirchenmusik bei den gottesdienstlichen Handlungen Geltung haben, und zugleich, wie in einer Übersicht, die hauptsächlichsten kirchlichen Verordnungen gegen die häufigsten Missbräuche zusammenzustellen. Daher haben Wir aus eigenem Entschluss und nach reiflicher Überlegung diesen Erlass herausgegeben. Wir verleihen ihm, gleichsam als einem „Gesetzbuch der Kirchenmusik“, aus der Fülle Unserer apostolischen Vollmacht Gesetzeskraft und gebieten allen durch dieses Handschreiben seine gewissenhafte Befolgung.

I. Allgemeine Grundsätze

1 Die Kirchenmusik ist ein wesentlicher Bestandteil der feierlichen Liturgie. Daher nimmt sie an dem allgemeinen Zweck derselben teil, der da ist die Ehre Gottes und die Heiligung und Erbauung der Gläubigen. Sie dient dazu, die Zierde und den Glanz der heiligen Riten zu erhöhen. Ihre besondere Aufgabe besteht darin, mit geeigneten Melodien den liturgischen Text, der ans Ohr der Gläubigen dringt, auszuschmücken. Deshalb ergeht an sie die besondere Forderung eben diesem Text eine größere Kraft zu verleihen, damit die Gläubigen dadurch leichter zur Frömmigkeit angeregt werden und ihr Herz besser auf die Erlangung der Gnadenfrüchte vorbereiten, die ihnen durch die Feier der göttlichen Geheimnisse zuteil werden.

2 Die Kirchenmusik muss also die besonderen Eigenschaften der Liturgie besitzen, vor allem die Heiligkeit und Güte der Form; daraus erwächst von selbst ein weiteres Merkmal, die Allgemeinheit.

Die Kirchenmusik muss heilig sein; daher muss alles Weltliche nicht allein von ihr selbst, sondern auch von der Art ihres Vortrages ferngehalten werden.

Sie muss ferner den Charakter wahrer Kunst besitzen, sonst vermag sie nicht jenen Einfluss auf die Zuhörer auszuüben, den sich die Kirche verspricht, wenn sie die Tonkunst in die Liturgie aufnimmt.

Sie soll auch allgemein sein, d. h. die einzelnen Völker dürfen wohl in den kirchlichen Weisen gewisse Formen anwenden, die gleichsam die Eigentümlichkeit ihrer Musik bilden; diese Formen müssen aber dem allgemeinen Charakter der Kirchenmusik derart untergeordnet sein, dass kein Angehöriger eines anderen Volkes beim Anhören derselben einen unangenehmen Eindruck empfängt.

II. Die Arten der Kirchenmusik

3 Diese Eigenschaften finden sich im höchsten Grade bei den Gregorianischen Sangesweisen. Daher ist dieser Gesang der Gesang der römischen Kirche. Ihn allein hat sie von den Vätern des Altertums überkommen, ihn hat sie mit größter Sorgfalt viele Jahrhunderte hindurch in den liturgischen Büchern behütet. Sie bietet ihn als den ihrigen unmittelbar den Gläubigen dar, sie schreibt ihn allein in einigen Teilen der Liturgie vor. Neueste Forschungen haben diesen Gesang in seiner früheren Unversehrtheit und Reinheit so glücklich wiederhergestellt.

Aus diesen Gründen galt der Gregorianische Choral so sehr als höchstes Ideal der Kirchenmusik, dass man mit Recht das allgemeine Gesetz aufstellen kann: Eine Kirchenkomposition ist um so mehr kirchlich und liturgisch, je mehr sie sich in ihrer Anlage, ihrem Geist und ihrer Stimmung dem Gregorianischen Gesang nähert; umgekehrt ist sie um so weniger des Gotteshauses würdig, als sie sich von diesem Vorbilde entfernt.

Der altüberlieferte Gregorianische Choral soll daher in reichem Ausmaß bei den gottesdienstlichen Funktionen wieder verwendet werden. Alle mögen davon überzeugt sein, dass der Gottesdienst nicht an Glanz verliert, auch wenn er nur von dieser Musikart begleitet ist.

Namentlich sorge man dafür, dass der Gregorianische Gesang beim Volke wieder eingeführt werde, damit die Gläubigen an der Feier des Gotteslobes und der heiligen Geheimnisse wieder tätigeren Anteil nehmen, so wie es früher der Fall war.

4 Die oben erwähnten Eigenschaften besitzt in hohem Grade auch die sogenannte klassische Polyphonie, besonders die der römischen Schule, die im 16. Jahrhundert durch Pierluigi Palestrina zu ihrer höchsten Vollendung geführt wurde und auch später noch Werke von hervorragendem liturgischem und musikalischem Wert hervorgebracht hat. Die klassische Polyphonie berührt sich nahe mit dem Gregorianischen Choral, diesem einzigartigen Vorbilde aller Kirchenmusik. Deshalb wurde sie für würdig befunden, zusammen mit dem Gregorianischen Choral bei den höchsten kirchlichen Feierlichkeiten, wie es die päpstlichen Gottesdienste sind, zur Verwendung zu gelangen. Daher soll auch sie in weitem Umfange beim Gottesdienst wieder eingeführt werden besonders in den hervorragenden Basiliken, in den Kathedralen, in Seminarien und anderen kirchlichen Instituten, wo es an den erforderlichen Kräften und Mitteln nicht mangelt.

5 Die Kirche hat allezeit den Fortschritt der Künste gefördert und begünstigt, Sie lässt zum Dienste der Religion alles zu, was der menschliche Geist im Laufe der Jahrhunderte an Gutem und Schönem hervorgebracht hat, freilich unter Wahrung der liturgischen Gesetze. Deshalb findet auch die moderne Musik die Billigung der Kirche, da auch sie Werke voll Feinheit, guten Geschmacks und Würde aufzuweisen vermag, die der kirchlichen Handlungen keineswegs unwürdig sind.

Nun ist aber die neuere Musik in der Hauptsache im Dienste weltlicher Zwecke entstanden. Daher muss man hier größere Vorsicht walten lassen, dass solche Werke, die dem modernen Stil sich anpassen, nichts Weltliches in die Kirche einschleppen, dass sie nicht an weltliche Motive anklingen, noch auch in den äußeren Formen den weltlichen Gesängen nachgebildet seien.

6 Unter den verschiedenen Arten der neueren Musik erschien für die Ausschmückung des Gottesdienstes offenbar weniger geeignet jener Opernstil, der im vergangenen Jahrhundert namentlich in Italien verbreitet war. In seinem ganzen Wesen ist er ja der Gegensatz zum Gregorianischen Gesang wie zur klassischen Polyphonie und damit zu obersten Norm jeder Kirchenmusik. Überdies entsprechen die innere Anlage, der Rhythmus und der sogenannte Konventionalismus dieser modernen Kunst nur schlecht den Forderungen der wahren liturgischen Musik.

III. Der liturgische Text

7 Die eigentliche Sprache der römischen Kirche ist die lateinische. Daher ist beim feierlichen liturgischen Gottesdienst überhaupt Gesang in der Volksprache verboten; in erhöhtem Maße gilt das für die veränderlichen wie die feststehenden Teile der Messe und des Offiziums.

8 Für jede liturgische Funktion sind die zu singenden Texte und die Aufeinanderfolge derselben genau festgelegt. Es ist daher nicht erlaubt, diese Ordnung umzukehren, noch auch die vorgeschriebenen Texte nach eigener Wahl zu ändern, sie ganz oder auch nur teilweise auszulassen. Nur darf, wo dies die Rubriken gestatten, für den Gesang einiger Verse des Textes Orgelspiel eintreten, während der Text im Chore einfachhin rezitiert wird. Bloß die eine Ausnahme ist nach dem Brauch der römischen Kirche erlaubt: Nach dem Benedictus des Hochamtes kann eine Motette zum heiligsten Sakrament eingelegt werden. Auch ist es gestattet, nach dem vorgeschriebenen Offertorium der Messe die übrige Zeit durch eine kurze Motette mit kirchlich approbiertem Text auszufüllen.

9 Der liturgische Text ist zu singen, wie er in den Büchern steht, ohne ein Wort zu verstümmeln oder umzustellen. Ungehörige Wiederholungen und Verstümmelungen von Silben sind durchaus zu vermeiden. Der Text muss stets in einer Weise vorgetragen werden, dass er von den Zuhörern verstanden werden kann.

IV. Die äußere Form kirchenmusikalischer Werke

10 Die einzelnen Teile der Messe und des göttlichen Offiziums müssen auch nach der musikalischen Seite die Art und Form bewahren, wie sie die kirchliche Überlieferung eingeführt hat, und wie sie am besten im Gregorianischen Choral ausgeprägt ist. Anders ist also die Art eines Introitus, anders die, ein Graduale, eine Antiphon, einen Psalm, einen Hymnus, ein Gloria in excelsis usw. zu komponieren.

11 Dabei sind folgende Richtlinien zu beachten:

a) Kyrie, Gloria, Kredo usw. in der Messe müssen die Einheit ihres Textes erkennen lassen. Es ist also nicht erlaubt, sie aus selbständigen Stücken so zusammenzusetzen, als wenn jeder dieser Teile eine in sich geschlossene musikalische Komposition bildete, die von den übrigen Teilen abgetrennt und durch einen anderen Teil ersetzt werden könnte.

b) Bei der Abhaltung der Vesper muss man sich in der Regel an die Normen des Caeremoniale Episcoporum halten, das für die Psalmodie Gregorianischen Choral vorschreibt, für die V. Gloria Patri und den Hymnus aber mehrstimmige Musik erlaubt.

Doch ist es gestattet, bei größeren Feierlichkeiten den Gregorianischen Choral abwechseln zu lassen mit jener Sangesart, die man auf italienisch Falsibordoni nennt, oder mit Versen, die in ähnlicher Weise entsprechend komponiert sind.

Bisweilen wird man es auch erlauben können, dass einzelne Psalmen durchgehend komponiert werden, wenn nur bei solchen Kompositionen die der Psalmodie eigene Form gewahrt bleibt. Man soll nämlich den Eindruck gewinnen, dass die Sänger im Wechselchor psallieren entweder in neuen Motiven, oder in solchen, die aus dem Gregorianischen Choral übernommen sind oder an ihn anklingen.

Unter allen Umständen sind ausgeschlossen und verboten Konzertpsalmen.

c) Bei den kirchlichen Hymnen ist die althergebrachte Form beizubehalten. Es ist also nicht erlaubt, einem Gesang, wie z.B. dem Tantum ergo, eine derartige musikalische Einkleidung zu geben, dass die erste Strophe die rührselige Form einer sogenannten Romanze, Kavatine oder eines Adagio annimmt, die zweite Strophe aber, Genitori usw., heiteren Charakter trägt.

d) Die Antiphonen in der Vesper sollen gewöhnlich in den ihnen eigenen gregorianischen Melodien vorgetragen werden. Will man sie bisweilen, in Ausnahmefällen, mehrstimmig singen, so dürfen sie nicht in Konzertweisen komponiert sein, noch auch den Umfang einer Motette oder Kantate haben.

V. Die Sänger

12 Einige Melodien sind dem Offizianten am Altare und den Dienern des Altares vorbehalten und dürfen stets nur im Gregorianischen Gesang und ohne jede Orgelbegleitung ausgeführt werden. Die anderen Stücke des Gregorianischen Gesanges fallen dem Chor der Leviten zu. Ihre Stelle vertreten recht eigentlich die Kirchensänger. Daher müssen die Kompositionen, die sie vortragen, wenigstens zum größten Teil den Charakter der Chormusik haben.

Damit soll Sologesang nicht vollständig ausgeschlossen sein. Doch darf er beim Gottesdienst nie in einer Weise die Oberhand gewinnen, dass der größte Teil des Textes auf diese Art zum Vortrag gelangt. Vielmehr soll der Sologesang den Charakter eines einfachen Vortrages oder Ausdruckes des melodischen Gedankens haben und aufs engste mit der übrigen Komposition verbunden sein.

13 Die Sänger bekleiden in der Kirche ein liturgisches Amt im eigentlichen Sinne. Daraus folgt, dass die Frauen, die doch zu einem solchen Amt nicht „fähig“ sind, zu keiner Partie des Chores und überhaupt zu keiner Mitwirkung beim Kirchenchor zugelassen werden dürfen. Will man Sopran und Altstimmen verwenden, so haben nach uraltem Brauch der Kirche Knaben diese Aufgabe zu erfüllen.

14 Es sollen endlich keine Sänger in den Kirchenchor aufgenommen werden, von deren Frömmigkeit und Unbescholtenheit man nicht überzeugt ist. Sie müssen sich durch sittsames Wesen und Gottesfurcht auszeichnen, wie es sich gebührt für den heiligen Dienst, dem sie sich weihen. Auch wird es geziemend sein, dass die Sänger, wenn sie im Gotteshause singen, das geistliche Gewand und den Chorrock tragen. Wenn sie auf einer Tribüne ihren Platz haben, wo sie allzu sehr den Blicken der Gläubigen ausgesetzt wären, sollen sie durch ein Gitter verdeckt sein.

VI. Orgel und Instrumente

15 Die eigentliche Musik der Kirche ist zwar Vokalmusik; doch ist Orgelbegleitung erlaubt. Aus besonderen Rücksichten können unter Einhaltung der gehörigen Grenzen und unter Beobachtung der gebotenen Vorsichtsmaßregeln auch andere Instrumente verwendet werden; doch immer nur mit besonderer Erlaubnis des Ordinarius, wie sie das Caeremoniale Episcoporum vorschreibt.

16 Der Gesang muss stets die Vorherrschaft haben. Daher sollen die Orgel und die anderen Musikinstrumente den Gesang unterstützen, nicht aber unterdrücken.

17 Es ist nicht gestattet, durch Instrumentalmusik dem Gesang lang zu präludieren oder die einzelnen Teile zu zerreißen.

18 Das Orgelspiel muss bei der Begleitung des Gesanges, den Präludien, Zwischenspielen usw., nicht nur die Natur dieses Instrumentes berücksichtigen, sondern auch alle die Eigenschaften wahrer Kirchenmusik an sich tragen, die wir oben erwähnt haben.

19 Verboten ist in der Kirche der Gebrauch des sogenannten Pianoforte, sowie aller Instrumente, die mehr oder weniger großen Lärm machen, wie die Trommeln aller Formen und Größen, Kastagnetten, Schellen und dergleichen.

20 Streng verboten ist das Spiel sogenannter Musikkorps in der Kirche. Nur aus besonderen Rücksichten und mit Erlaubnis des Ordinarius mag es gestattet sein, eine ausgewählte nicht zu große Gruppe (numero circumscriptum) zuzulassen, die in geschickter, dem Ort angepasster Weise auf Blasinstrumenten spielt. Auch muss die Komposition und die den Blasinstrumenten zugeteilte Stimme in ernstem, dem Orgelspiel verwandten und ihm ganz ähnlichem Stil geschrieben sein.

21 Bei Umzügen außerhalb der Kirche kann der Ordinarius die Mitwirkung eines Musikkorps gestatten, doch darf dieses unter keinen Umständen weltliche Stücke spielen. Wünschenswert ist, dass in solchen Fällen dem Musikkorps nur die Begleitung einiger geistlicher Lieder zugeteilt werde, die in der liturgischen oder der Landessprache von den Sängern oder den frommen Vereinen, die an der Prozession teilnehmen, vorgetragen werden.

VII. Umfang der liturgischen Musik

22 Es ist durchaus nicht erlaubt, dass der Priester am Altare, durch den Gesang oder das Spiel länger aufgehalten werde, als die liturgische Zeremonie erfordert. Nach den kirchlichen Vorschriften soll das Sanctus in der Messe vor der Wandlung beendigt sein. Doch soll auch der zelebrierende Priester auf die Sänger Rücksicht nehmen. Gloria und Kredo sollen gemäß der gregorianischen Tradition verhältnismäßig kurz sein.

23 Endlich muss man es verurteilen und als schweren Missbrauch betrachten, wenn bei den heiligen Zeremonien der Liturgie augenscheinlich die zweite Stelle zugewiesen wird, so dass sie wie eine Dienerin der Musik erscheint. Im Gegenteil ist doch die Musik nur ein Teil der Liturgie und ihre untergeordnete Dienerin.

VIII. Die hauptsächlichsten Mittel

24 Damit die hier gegebenen Vorschriften genauestens durchgeführt werden, sollen die Bischöfe, wenn sie es nicht bereits getan haben, in ihren Diözesen eine Kommission von gründlichen Kennern der Kirchenmusik einsetzen. Diesen sollen sie in der ihnen am besten erscheinenden Weise die Aufgabe übertragen, auf die musikalischen Werke zu achten, die in den Kirchen ihres Sprengels zum Vortrag gelangen. Sie sollen ihr Augenmerk nicht nur darauf richten, dass die Kompositionen an sich gediegen seien, sondern auch, dass sie den Kräften der Sänger entsprechen und gut aufgeführt werden.

25 In den Klerikalseminarien und kirchlichen Instituten soll gemäß den Dekreten des Tridentinums mit großer Sorgfalt und Liebe von allen der traditionelle Gregorianische Gesang gepflegt werden, von dem Wir oben so anerkennend gesprochen haben. Die Oberen sollen seine Pflege fördern, ihre Untergebenen kräftig dazu ermuntern und mit Lob nicht sparen. Auch soll, wo das möglich ist, unter den Klerikern die Gründung einer Sängerschule gefördert werden, um polyphone kirchliche Werke und gute liturgische Musik in vortrefflicher Weise aufzuführen.

26 Bei den regelmäßigen Vorlesungen über Liturgie, Moral und Kirchenrecht, die den Kandidaten der Theologie gehalten werden, soll man die Punkte nicht übergehen, die sich mit den Grundsätzen und Vorschriften der Kirchenmusik enger berühren. Man trage vielmehr Sorge, dass solche Unterweisungen durch einen besonderen Unterricht über das Schöne oder mit anderen Worten durch einen Ästhetik der heiligen Kunst ihre Vollendung finden. Denn die Kleriker sollen nicht das Seminar verlassen, ohne Kenntnis von diesen Dingen zu besitzen, die doch zur vollständigen kirchlichen Ausbildung notwendig sind.

27 Auch lasse man sich angelegen sein, wenigstens an hervorragenden Kirchen die alten Singschulen wieder ins Leben zu rufen, wie es an mehreren Orten bereits mit größtem Nutzen geschehen ist. Es wird aber einem Klerus, der für die Sache Gottes Eifer hat, auch nicht schwer fallen, solche Schulen an kleineren und Landkirchen zu errichten. Ja, man wird darin ein ganz einfaches Mittel finden, Kinder und Erwachsene um sich zu sammeln zu deren Nutzen und zum trefflichen Beispiel für das Volk.

28 Die höheren Schulen für Kirchenmusik sollen nach besten Kräften unterstützt und gefördert werden. Wo es solche noch nicht gibt, tue man sich zusammen zu deren Gründung. Denn es ist von größter Bedeutung, dass die Kirche selbst sich um die Ausbildung ihrer Dirigenten, Organisten und Sänger nach den wahren Grundsätzen der heiligen Kunst bemühe.

IX. Schluss

29 Zum Schluss sei den Chorleitern, Sängern, dem ganzen Klerus, den Oberen der Seminarien, Kollegien und religiösen Genossenschaften, den Pfarrern und Vorstehern der Kirchen, den Kanonikern der Kollegiat- und Kathedralkirchen und vor allem den Diözesanbischöfen ans Herz gelegt, mit aller Gewissenhaftigkeit diese so lang ersehnten und von allen beständig verlangten, weisen Reformen zu unterstützen. Denn das Ansehen der Kirche, die diese Reformen schon öfters angeordnet hat und nun von neuem einschärft, soll nicht der Verachtung preisgegeben werden.

Gegeben in Unserm Apostolischen Palaste des Vatikan,
am Tage der heiligen Jungfrau und Martyrin Cäcilia, den 22. November 1903,
im ersten Jahre Unseres Pontifikates.
Papst Pius X.