Sendschreiben vom 23. Januar 1894 (Wortlaut)

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Sendschreiben

von Papst
Leo XIII.
an alle Christgläubigen, die von gegenwärtigem Sendschreiben Kenntnis erhalten werden
betreffend der 6. Zentenarfeier der Übertragung des Heiligen Hauses nach Loreto

23. Januar 1894

(Quelle: Leo XIII., Lumen de coelo - Bezeugt in seinen Allocutionen, Rundschreiben, Constitutionen, öffentlichen Briefen und Akten, Verlag "St. Norbertus" Buch- und Kunstdruckerei Wien 1903, Buch VI, S. 27-31; in Fraktur abgedruckt).

Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Gruß und Apostolischen Segen

Das segensreiche Haus zu Nazareth, in welchem auf den Gruß des Engels an die erkorene Mutter Gottes "das Wort ist Fleisch geworden", wird mit Recht als eines der heiligsten Denkmäler des christlichen Glaubens geschätzt und verehzrt, wie das auch zahlreiche amtliche Beurkundungen, Gnadenverleihungen und Privilegien Unserer Vorgänger klar dartun. Dieses Haus hat, wie die urkundlichen Verzeichnisse der Kirche bezeugen, sobald es nach Gottes allgütigem Ratschluss auf wunderbare Weise nach Italien in das Gebiet von Picenum übertrgagen und auf den Hügeln von Loreto der Verehrung zugänglich geworden war, sogleich die frommen Gelübde und den andächtigen Eifer aller auf sich gelenkt und durch Jahrhunderte Lauf in ungeschwächter Glut erhalten. Es ist denkwürdig, wie zahlreiche und glänzende Pilgerzüge aus aller Welt zu dieser Stätte zogen, mit welcher Pracht dort ein Gotteshaus erbaut worden ist, weit berühmt durch künstlerischen Schmuck und die Würde des heiligen Dienstes. Wie glücklich ringsum, gleichsam ein zweites Nazareth, eine neue Stadt unter dem Schutze der heiligen Jungfrau empor gewachsen ist. Vermehrt haben die Verehrung des Ortes und genährt das Vertrauen der Besucher sehr viele und große Gnadenbeweise sowohl in der Öffentlichkeit wie in den Einzelanliegen, Wohltaten, durch deren Ergießung von hier, wie vor einem unversieglichen Quell aus, Gott den naqmen Marias, der hier angerufen wird, so zu verherrlichen pflegt, dass hier aufs glänzendste in Erfüllung geht jene Weissagung von ihr: "Selig werden mich alle Geschlechter preisen." Es ist erfreulich zu sehen, wie die Dankbarkeit dieser Wohltaten gedenk, der hoch und niedrig in gleicher Weise sich durch mannigfachen Liebeseifer bekundet und zum herrlichsten Ruhmeskranz für ihr Haupt alltäglich erblüht.

Wir aber, die Wir schon längst im selben heiligen Hause in Ehrfurcht verharrend, die Wohltaten der göttlichen Mutter empfunden haben,sind jetzt umsosehr erfreut über die glückliche Fügung, dass vornehmlich durch die Umsicht und die ungemein emsige Arbeit Unseres ehrwürdigen Bruders, des Bischof von Recananti und Loreto, eine Art freudiger Bewegung weithin die Gemüter ergriffen hat, um außerordentliche Feierlichkeiten für den nächsten Dezember vorzubereiten, weil dann das sechste Jahrhundert vollendet wird, seitdem jener Schatz unter besonders glücklichen Umständen im Schoße der Kirche niedergelegt worden ist. Wir haben nämlich Kenntnis erhalten von den Plänen und Werken, die dieserhalb unternommen und mit freigebigem Wetteifer bereits gefördert worden sind und die besonders dahin zielen, den ehemaligen Glanz der Basilika zu erneuern und zu vermehren. Indem Wir diesen und ähnlichen Unternehmungen und deren Förderern das verdiente Lob spenden, nehmen Wir gern die Gelegenheit wahr, die Verehrung der Gläubigen für das irdische Heim der heiligen Familie und die in demselben vollzogenen Geheimnisse nach Kräften anzufachen. Mögen alle, insbesondere aber die Italiener, sich zum Bewusstsein bringen, von welchem Werte jenes Geschenk Gottes ist, mag es nun durch die Vorsehung nur einer unwürdigen Fremdherrschaft entrissen oder mag es ihnen in Erzeigung besonderer Liebe anvertraut worden sein. Denn in dieser hochseligen Behausung sind die Anfänge des menschlichen Heiles kundgegeben worden durch das große und wunderbare Geheimnis der Menschwerdung Gottes, der das verlorne Geschlecht mit dem der Vater wiederversöhnte und alles wiederherstellte, ein Geheimnis von so unendlicher Güte und so freudig, dass die Kirche in ihrer mütterlichen Fürsorge dreimal täglich zu seiner Verehrung aufruft. In der ärmlichen Einfachheit dieser abgeschiedenen Wohnung erblühten jene Beispiele häuslichen Lebens und ehelicher Verbindung - ein Schauspiel für Engel - zu deren Befolgung Wir alle Familien aufzurufen und zu gewinnen Uns oft bemüht haben, auch durch Begründung einer Vereinigung zu diesem besonderen Zwecke. Aus diesem selben ehrwürdigen Heiligtum hat sich eine überaus große Fülle göttlicher Gnade und Tugendkraft über die Kirche ergossen. Dort hat auch eine große Anzahl Heiliger die Begeisterung zu hervorragender Tugend zuerst empfangen oder zu größerer Vollkommenheit gesteigert. Was nun den frommen Vätern zur Zierde oder zum Wachstum im Glauben gereichte, das Verlangen und die Freude an der Gerechtigkeit nährte, als bestes Hilfsmittel zur Erflehung der göttlichen Barmherzigkeit sich erwies, das möge auch unserer Zeit erhalten bleiben, zumal ihr, da alle Verhältnisse wankend geworden und verworren sind, von keiner Seite außer von der Religion eine sichere Schutzwehr und Erleichterung geboten werden kann. Mögen also bei der heiligen Säkularfeier von Loreto, die sich günstig fügt, alle Gläubigen, dem eigenen frommen Triebe und Unserer Mahnung gehrsam, sich bemühen, ihre dankbare Herzensfreude und höchste Zuversicht Christus dem Herrn, seiner heiligsten Mutter und dem fürsorglichen Pfleger mit allen möglichen Mitteln zu beweisen Dass aber die Italiener sich vor allen hierin hervortun müssen, ist durchaus billig. Mögen sie also besondere Segnungen ihrer besonderen Andacht für sich und die Ihrigen empfangen und - was hauptsächlich zu erflehen ist - für die von schwerstem Ungemach bedrängte Kirche erlangen. Mit Rücksicht hierauf wie auch in Erwägung der außerordentlichen Feierlichkeit haben Wir Uns entschlossen, die Bitte Unseres ehrwürdigen Bruders zu gewähren, die säkulare Gedenkfeier mit außergewöhnlichen Ablassverleihungen auszustatten und zu verherrlichen.

Daher verleihen Wir nach des allmächtigen Gottes Erbarmung und gestützt auf das Ansehen der heiligen Apostel Petrus und Paulus mit Belassung und Bestätigung der Privilegien und Gnaden, die von Unseren Vorfahren der Lauretanischen Basilika verliehen worden sind, einen vollkommenen Ablass in Form eines Jubiläums allen Christgläubigen, die innerhalb des Zeitraumes vom ersten Adventssonntag dieses Jahres bis einschließlich zum Dreifaltigkeitssonntag des nächsten Jahres die nachstehenden Bedingungen erfüllen. Sie sollen die lauretanische Kirche drei Mal, entweder an verschiedenen Tagen oder an ein und demselben Tage besuchen und sich dort einige Zeit nach Unserer Meinung frommen Gebete zu Gott hingeben für die Freiheit und Erhöhung unserer heiligen Mutter, der Kirche, für den Frieden und die Einigkeit des christlichen Volkes und für die Bekehrung der Sünder. Ebenso sollen sie an einem Tag, der nicht schon von der Kirche verordneter Fasttag ist, unter Beachtung der Speisevorschriften fasten, ferner die heiligen Sakramente der Buße und des Altares würdig empfangen und als Almosen einen Betrag zu irgend einem frommen Werke geben. Wir gestatten auch, dass dieser Ablass den Seelen, welche in Liebe mit Gott vereint aus diesem Leben geschieden sind, fürbittweise zugewandt werde, denjenigen Bewohnern der beiden Diözesen Loreto und Recanati aber, welche aus irgendeinem gerechten Grunde verhindert werden, die auferlegten Werke oder einige davon zu vollbringen, dürfen die Beichtväter solche umwandeln in andere Werke der Frömmigkeit. Jenen aber, die von auswärts, das heißt von außerhalb der beiden Diözesen gelegenen Gegenden herkommen, gewähren Wir die Erleichterung, dass diese Wallfahrt das vorgeschriebene Fasten ersetzen soll. Wir ermächtigen auch die Beichtväter, solche Kinder, die noch nicht zur ersten heiligen Kommunion zugelassen sind, vom Empfange derselben zu dispensieren. Überdies verleihen Wir allen rechtmäßig verordneten Beichtvätern der beiden erwähnten Diözesen, aber nur diesen, für die Dauer dieses Zeitraumes und zum Zwecke der Erlangung des Jubiläumsablasses alle jene Vollmachten, die Wir durch das Apostolische Sendschreiben vom 15. Februar 1879 gewährt haben, mit Ausnahme aller Fälle, die in den erwähnten Schreiben bezeichnet sind. Endlich gestehen Wir zur geistlichen Förderung aller Christgläubigen für ebenso diesen selben Zeitraum allen und jeden, welche die Lauretanische Litanei mit Andacht beten werden, einen Ablass von sieben Jahren einmal des Tages, zu einem vollkommenen Ablass aber denjenigen, welche die Litanei einen Monat hindurch täglich mit Andacht beten, sofern sie nur würdig beichten und die heilige Kommunion empfangen und die übrigen gewohnten Bedingungen erfüllen. Ebenso gestatten Wir, dass auch diese Ablässe den Seelen im Fegefeuer zugewandt werden.

Den Abschriften aber wie auch gedruckten Exemplaren gegenwärtigen �Schreibens, sofern sie von der Hand eines öffentlichen Notars unterzeichnet und mit dem Siegel einer in kirchlicher Würde bestellten Person beglaubigt sind, soll nach Unserem Willen der gleiche Glaube geschenkt werde, wie wenn das Original vorgelegt würde.

Gegeben zu Rom bei St. Peter unter dem Fischerring, am 23. Januar 1894,

im 16. Jahre Unseres Pontifikates.
Für den Kardinal Serafini

In Vertretung: Nikolaus Marini