Quanta cura (Wortlaut): Unterschied zwischen den Versionen

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Nachfolgend dokumentiert kathpedia die [[Enzyklika]] Quanta cura von Papst [[Pius IX.] (8. Dezember 1864) in deutscher Übersetzung:
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[[Pius IX.]]<br>
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an alle die [[Patriarch]]en, [[Primas|Primaten]], [[Erzbischof|Erzbischöfe]] und [[Bischof|Bischöfe]], <br>
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die in [[Friede]]n und Eintracht mit dem [[Apostolischer Stuhl|Apostolischen Stuhle]] leben <br>
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'''den Irrtum des [[Naturalismus]]''' <br>
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[[8. Dezember]] [[1864]]<br>
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(Offizieller [[latein]]ischerText: [[ASS]] 3 [1867] 160-176;  AP/IX, I 3, 687-700)</center>
  
'''<div align="center">An alle Ehrwürdigen Brüder, die Patriarchen, Primaten, Erzbischöfe und Bischöfe, </div>'''
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(Quelle: [[Die katholische Sozialdoktrin in ihrer geschichtlichen Entfaltung]], Hsgr. [[Arthur Fridolin Utz]] + Birgitta Gräfin von Galen, Band I, II 26-39; S. 162-179, Scientia humana Institut Aachen 1976, [[lateinisch]]-[[deutsch]], [[Imprimatur]] Friburgi Helv., die 2. decembris 1975 Th. Perroud, V.G.; Die Nummerierung folgt dem Text bei www.papalencyclicals.net - siehe Weblink; in deutsch auch in: Emil Marmy, (Hrsg.), ''[[Mensch und Gemeinschaft in christlicher Schau]]'', Dokumente, [[Paulusdruckerei]] Freiburg/Schweiz 1945, S. 33-41, mit [[Imprimatur]])
'''<div align="center">welche die Gnade und die Gemeinschaft des Apostolischen Stuhles haben.</div>'''
 
'''<div align="center">Ehrwürdige Brüder, Gruß und Apostolischen Segen!</div>'''
 
  
Mit welcher Sorge und Hirtenwachsamkeit die Römischen Päpste, Unsere Vorgänger, der ihnen von Christus, dem Herrn selbst, in der Person des seligsten Apostelfürsten, des hochheiligen Petrus, anvertrauten Aufgabe und Amtspflicht, die Lämmer und Schafe zu weiden, nachgekommen sind, und es niemals unterlassen haben, die gesamte Herde des Herrn sorgfältig mit den Aussagen des Glaubens zu nähren, sie mit der heilsamen, unverletzten Lehre zu tränken und vertraut zu machen, und sie von vergifteten Weiden fernzuhalten, ist allen und besonders Euch, Ehrwürdige Brüder, wohlbekannt und offenkundig.
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{{Hinweis Lehramtstexte}}
In der Tat, Unsere Vorgänger, die Vertreter und Verteidiger der erhabenen katholischen Religion, der Wahrheit und der Gerechtigkeit, kannten in ihrer großen Fürsorge um das Heil der Seelen kein wichtigeres Anliegen, als mit ihren höchst weisen Hirtenbriefen und Konstitutionen alle Irrlehren und Irrtümer aufzudecken und zu verurteilen, die im Widerspruch zu unserem Göttlichen Glauben, zur Lehre der katholischen Kirche, zur Ehrbarkeit der Sitten und zum ewigen Seelenheil der Menschen stehen, die häufig schwere Gefahren hervorgerufen und in beklagenswerter Weise die Kirche und die staatliche Gemeinschaft verheert haben.
 
Darum haben Unsere Vorgänger mit apostolischem Starkmut, den ruchlosen Umtrieben gegen die gottlosen Menschen, stets Widerstand geleistet. Den Fluten der tobenden See gleich, schäumen diese ihre eigene Verwirrung und Ordnungslosigkeit aus und versprechen die Freiheit, während sie selbst Sklaven der Verderbnis sind. Mit ihren trügerischen Meinungen und höchst verderblichen Schriften waren sie bemüht, die Grundlagen der katholischen Religion und der bürgerlichen Gesellschaft zu erschüttern, jede Tugend und Gerechtigkeit aus der menschlichen Gemeinschaft auszurotten, die Seele und den Geist zu verderben, die Unvorsichtigen und die unerfahrene Jugend von den rechten Grundsätzen der Sitten abzubringen, sie zugrundezurichten, in die Fallstricke des Irrtums zu führen und sie schließlich vom Schoß der katholischen Kirche gewaltsam zu entfernen.
 
Wie Euch wohlbekannt ist, Ehrwürdige Brüder, haben Wir, kaum durch den verborgenen Ratschluß der Göttlichen Vorsehung und ohne irgendwelche eigenen Verdienste, als Wir auf diesen Stuhl Petri erhoben wurden, zum unermeßlichen inneren Schmerz Unserer Seele, den furchtbaren, durch so viele verkehrte und verruchte Meinungen erregten Sturm und die schweren, nie genug zu beweinenden Schäden gewahrt, die aus derartig vielen Irrtümern heraus das christliche Volk treffen. Nach der Pflicht Unseres Apostolischen Amtes, folgend der glorreichen Fährte Unserer Vorgänger, haben Wir Unsere Stimme erhoben und mit mehreren veröffentlichten Enzykliken, Apostolischen Ansprachen im Konsistorium und anderen Apostolischen Schreiben, die hauptsächlichsten Irrtümer unseres höchst betrüblichen Zeitalters verurteilt.
 
Zugleich haben Wir Eure ausgezeichnete bischöfliche Wachsamkeit angeregt und alle Unsere geliebten Kinder der katholischen Kirche immer wieder ermahnt und ermuntert, die Wirkungen einer so grauenvollen Suche absolut zu verabscheuen und zu vermeiden. Namentlich in Unserer ersten Enzyklika, die Wir Euch am 9. November 1846 geschrieben haben, sowie mit den beiden, im Konsistorium gehaltenen Ansprachen vom 9. Dezember 1854 und 9. Juni 1862, in denen Wir die ungeheuerlichen Meinungen verurteilten, die vor allem in diesem Zeitalter zum allergrößten Schaden der Seelen und zum Nachteil der bürgerlichen Gesellschaft herrschen. Diese stehen im äußersten Widerspruch nicht nur zur katholischen Kirche, zu ihrer heilsamen Lehre und zu ihren ehrwürdigen Rechten, sondern auch zu dem ewigen natürlichen Gesetz, das Gott in das Innere und in das Herz aller Menschen eingegraben hat, sowie zu der rechten Vernunft. Aus ihnen erhalten fast alle anderen Irrtümer ihren Ursprung.
 
Obwohl Wir es nicht unterlassen haben, die wichtigsten Hauptirrtümer dieser Art häufig öffentlich zu verbieten und zu verwerfen, so verlangt dennoch das Interesse der katholischen Kirche, das Uns von Gott anvertraute Heil der Seelen und die Wohlfahrt der bürgerlichen Gesellschaft, daß Wir Eure Hirtensorgfalt wiederholt zur Bekämpfung anderer verkehrter Meinungen aufrufen, welche aus den erwähnten Irrtümern und aus ihrem Ursprung hervorbrechen. Diese falschen und verkehrten Meinungen müssen umso mehr verabscheut werden, als sie gerade danach streben, die heilsame Gewalt zu hemmen und zu beseitigen, welche die katholische Kirche nach der Anordnung und dem Gebot ihres göttlichen Stifters bis an das Ende der Zeiten, sowohl gegenüber dem einzelnen Menschen, als auch gegen die Nationen, Völker und ihre Herrscher, unbehindert ausüben muß, sowie die gegenseitige Gemeinsamkeit und Eintracht der Absichten zwischen Kirche und Staat abzuschaffen, die zu allen Zeiten dem geistlichen und bürgerlichen Bereich förderlich und heilsam war [FN: Gregor XVI., Enzyklika Mirari vos vom 15. August 1832.].
 
Ihr wißt sehr wohl, Ehrwürdige Brüder, daß es heutzutage viele gibt, die das absurde und gottlose Prinzip des sogenannten Naturalismus auf die staatliche und bürgerliche Gesellschaft anwenden und zu lehren wagen. Die beste Staatsverfassung und der bürgerliche Fortschritt erforderten unbedingt, daß die menschliche Gesellschaft aufgebaut und regiert werde, ohne dabei irgendeine Rücksicht auf die Religion zu nehmen, als ob diese nicht existieren würde, oder zumindest keinen Unterschied zwischen der wahren und der falschen Religion zu machen. Im Gegensatz zur Lehre der Heiligen Schrift, der Kirche und der heiligen Väter behaupten sie ohne zu zögern: Der beste Zustand der Gesellschaft sei, der Staatsgewalt nicht die Verpflichtung zuzuerkennen, durch gesetzlich festgelegte Strafen die Übeltäter und Entehrer der katholischen Religion in Schranken zu halten, außer wenn die öffentliche Ruhe dies erfordern sollte.
 
Von dieser absolut falschen Vorstellung über die Regierung des Staates, scheuen sie sich nicht, die irrige Meinung zu begünstigen, welche für die katholische Kirche und das Heil der Seelen im höchsten Grad zum Untergang führt, die bereits Unser unmittelbarer Vorgänger seligen Andenkens, Gregor XVI., als Wahnsinn bezeichnet hat [FN: Ebd.], und zwar, die Gewissens- und Religionsfreiheit sei das eigene Recht eines jeden Menschen. Dieses Recht müsse das Gesetz in jeder wohlgeordneten Gesellschaft proklamieren und sicherstellen. Für die Bürger bestehe ein Recht auf eine allgemeine Freiheit, die weder durch die kirchliche, noch durch die staatliche Autorität eingeschränkt werden darf, und die ihnen erlaubt, ihre Ansichten und Empfindungen durch das gesprochene Wort, durch Druckschriften, oder auf andere Weise offen bekanntzugeben und zu erklären. Während sie dies leichtfertig behaupten, bedenken und erwägen sie nicht, daß sie die Freiheit des Verderbens [FN: Augustinus, Epist. 105 al. 166.] verkünden. Es wäre ihnen freigestellt, alles mit den Mitteln menschlicher Überzeugung zu erörtern, da es an solchen Menschen niemals fehlen würde, die es wagen, der Wahrheit zu widerstehen und auf die Geschwätzigkeit der menschlichen Weisheit zu vertrauen. Der christliche Glaube und die christliche Weisheit vermögen es, aus der Lehre unseres Herrn Jesus Christus selbst zu erkennen, wie sehr diese höchst lügenhafte Eitelkeit gemieden werden muß [FN: Leo, Epist. 164 al. 133, § 2 edit. Ball.].
 
Wo die Religion aus der bürgerlichen Gesellschaft verbannt sowie die Lehre und Autorität der göttlichen Offenbarung verworfen wurde, wird sogar der wahre Begriff der Gerechtigkeit und des menschlichen Rechts verdunkelt und geht verloren. Materielle Gewalt tritt an die Stelle der Gerechtigkeit und des gesetzmäßigen Rechts. Daher ist es verständlich, weshalb einige Menschen, indem sie die sichersten Grundsätze der gesunden Vernunft mißachten und an die letzte Stelle setzen, miteinander auszurufen wagen: Der Wille des Volkes, kundgegeben durch die sogenannte „öffentliche Meinung“ oder auf irgendeine andere Weise, begründe das oberste Gesetz, unabhängig von jedem göttlichen und menschlichen Recht. In der politischen Ordnung haben vollendete Tatsachen bereits durch ihre Vollendung die Bedeutung einer Rechtskraft. Wer versteht und empfindet nicht ganz deutlich, daß die menschliche Gesellschaft, gelöst von der Bindung an die Religion und des wahren Rechts, keine andere Ausrichtung mehr haben kann, als sich den Erwerb und die Anhäufung von Reichtümern zum Ziel zu setzen? Sie folgen in ihren Handlungen keinem anderen Gesetz mehr, als der ungezähmten Begierde des Herzens, den eigenen Gelüsten und dem persönlichen Vorteil zu dienen.
 
Deshalb verfolgen diese Menschen mit bitterem Haß die Ordensgemeinschaften, obgleich sie sich um die Kirche, die Zivilisation und die Wissenschaft überaus verdient gemacht haben. Sie bekunden, daß diese Gemeinschaften keinen gesetzlichen Anspruch auf ihr Fortbestehen haben und stimmen den Lügen der Irrlehrer zu. Unser Vorgänger seligen Andenkens, Pius VI., erklärte mit großer Weisheit: Die Aufhebung der Orden verletzt den Stand der öffentlichen Ausübung der Evangelischen Räte sowie die von der Kirche empfohlene Lebensweise, die im Einklang mit der Lehre der Apostel steht. Sie beleidigt die ausgezeichneten Ordensgründer persönlich, die Wir auf den Altären verehren, und die unter der Eingebung Gottes diese Gesellschaften gegründet haben [FN: Schreiben an Kardinal de la Rochefoucault vom 10. März 1791.]. Außerdem verkünden sie in gottloser Weise, den Bürgern und der Kirche die Befugnis zu entziehen, die diesen genehmigt, Almosen um der christlichen Liebe willen austeilen zu dürfen. Auch das Gesetz sei abzuschaffen, welches an gewissen Tagen die knechtliche Arbeit aus Rücksicht auf den Gottesdienst verbietet, wobei sie höchst trügerisch einwenden, das Verbot und Gesetz stehe im Widerspruch zu den Grundsätzen einer guten Volkswirtschaft.
 
Nicht damit zufrieden, die Religion aus der Öffentlichkeit des Staates zu verdrängen, wollen sie die Religion selbst aus dem privaten Bereich der Familien fernhalten. Diese Menschen lehren den verderblichen und todbringenden Irrtum des Kommunismus und des Sozialismus. Indem sie sich dazu bekennen, vertreten sie den Irrtum, die häusliche Gemeinschaft oder die Familie leite den Grund ihres Bestehens nur aus dem bürgerlichen Recht ab. Alle Rechte der Eltern über ihre Kinder und an erster Stelle das Recht ihrer Unterweisung und Erziehung, stammen nur aus dem bürgerlichen Recht und hängen von diesem ab. Mit diesen gottlosen Meinungen und Umtrieben beabsichtigen diese Betrüger, vor allem die heilbringende Lehre und die Gewalt der katholischen Kirche aus dem Unterricht und aus der Erziehung der Jugend vollständig zu verbannen, und dadurch die noch beeinflußbaren Gemüter der Jugend mit der schädlichen Irrlehre und jeglichen Lastern anzustecken und zu verderben.
 
Diejenigen, die sich das Ziel gesetzt haben, die Kirche und den Staat in Verwirrung zu stürzen, die Ordnung in der Gesellschaft umzustoßen und alle göttlichen und menschlichen Rechte zu vernichten, richten, wie bereits erwähnt, alle ihre verruchten Pläne und Künste, ihr Handeln und ihr Tun, besonders auf die unerfahrene Jugend, um diese zu betrügen und zu verderben. Stets haben diese Menschen gerade alle Hoffnung auf die Verführung der Jugend gesetzt. Darum hören sie niemals auf, dem Welt- und Ordensklerus, von welchem, wie es zuverlässige Urkunden und Denkmäler der Geschichte glänzend bezeugen, viele große Vorteile auf die christliche und bürgerliche Gesellschaft und auf die Wissenschaft ausgegangen sind, auf die schändlichste Weise übel mitzuspielen. Sie verkünden, dieser Klerus müsse als Feind der nützlichen Wissenschaft und des Fortschrittes der Zivilisation von jeder Sorge und Verantwortung für den Unterricht und der Erziehung der Jugend entfernt werden.
 
Andere hingegen wagen es, die ruchlosen und oft verurteilten Lügen der Erneuerer wieder aufzugreifen und mit einer besonderen Unverschämtheit die höchste Gewalt der Kirche und des Heiligen Stuhles, die ihr von Christus dem Herrn übertragen wurde, der Willkür der staatlichen Macht zu unterwerfen und alle Rechte dieser Kirche und des Heiligen Stuhles zu leugnen, welche zur äußeren Ordnung gehören. Sie schämen sich nicht zu behaupten: Die Gesetze der Kirche verpflichteten nur dann im Gewissen, wenn sie durch die staatliche Behörde veröffentlicht würden. Die Verfügungen und Dekrete der Römischen Päpste, welche die Religion und die Kirche betreffen, bedürften der Bestätigung und Billigung, zumindest aber der Zustimmung der Staatsgewalt. Die Apostolischen Konstitutionen [FN: Clemens XI., In eminenti; Benedikt XIV., Providas Romanorum; Pius VII., Ecclesiam; vgl. Leo XIII., Quo graviora.], durch welche die geheimen Gesellschaften, ganz gleich, ob von ihnen der Eid auf Geheimhaltung verlangt wird oder nicht, und deren Anhänger und Begünstiger mit dem Ausschluß aus der Kirche bestraft werden, hätten keine bindende Kraft in den Ländern des Erdkreises, wo solche Vereinigungen von der staatlichen Regierung geduldet werden. Die Exkommunikation, die vom Konzil von Trient und von den Römischen Päpsten über diejenigen verhängt wurde, die gegen die Rechte und Besitztümer der Kirche vorgehen und an sich reißen, beruhe auf einer Vermischung der geistlichen Ordnung mit der politischen und staatlichen Ordnung zur Verfolgung eines rein weltlichen Gewissens. Die Kirche dürfe nichts verfügen und entscheiden, was die Gewissen der Gläubigen im Hinblick auf den Gebrauch der zeitlichen Dinge binden könnte. Der Kirche stehe nicht das Recht zu, die Verletzer ihrer Gesetze mit zeitlichen Strafen zu bedrohen. Es entspreche den Grundsätzen der heiligen Theologie und des öffentlichen Rechts, das Eigentumsrecht an Gütern, welche sich im Besitz der Kirche, der Ordensgemeinschaften und anderen frommen Institutionen befinden, der Staatsregierung zuzuerkennen und für sie in Anspruch zu nehmen.
 
Sie schämen sich nicht, sich offen und vor der ganzen Welt zu dem Ausspruch und Grundsatz der Irrlehrer zu bekennen, aus dem so viele verkehrte Meinungen und Irrtümer hervorgehen. Sie erklären nachdrücklich: Die Gewalt der Kirche sei nicht kraft göttlichen Rechtes getrennt und unabhängig von der staatlichen Gewalt. Eine solche Trennung und Unabhängigkeit könne nicht aufrechterhalten werden, ohne daß die Kirche in wesentliche Rechte der staatlichen Gewalt eingreifen und dieselbe an sich reißen würde.
 
Ferner können Wir die Verwegenheit von denjenigen nicht übergehen, welche die gesunde Lehre nicht ertragen und behaupten: Den Entscheidungen und Dekreten des Apostolischen Stuhles, die das allgemeine Wohl der Kirche, ihre Rechte und Disziplin zum Gegenstand haben, sofern diese die Glaubens- und Sittenlehre nicht berühren, könne ohne Sünde und ohne irgendeine Gefährdung die Zustimmung und der Gehorsam des katholischen Bekenntnisses verweigert werden. Jeder muß klar und offen sehen und verstehen, wie sehr dies im Widerspruch zum katholischen Glaubenssatz der Vollgewalt steht, die dem römischen Papst durch Christus unserem Herrn selbst aus göttlicher Macht übertragen wurde, um die gesamte Kirche zu weiden, zu regieren und zu verwalten.
 
Inmitten einer so großen Anzahl von verkehrten und entarteten Meinungen haben Wir, im vollen Bewußtsein Unserer Apostolischen Pflicht und in Unserer höchsten Sorge um unsere heilige Religion, die gesunde Lehre und das Uns von Gott anvertraute Heil der Seelen sowie für das Wohl der menschlichen Gesellschaft selbst, erneut Unsere Apostolische Stimme erhoben. Deshalb verwerfen, verbieten und verurteilen Wir, kraft Unserer Apostolischen Autorität, alle und jede in diesem Schreiben einzeln erwähnten verkehrten Meinungen und Lehren. Wir wünschen und befehlen, daß dieselben von allen Kindern der katholischen Kirche als verworfen, verboten und verurteilt betrachtet werden. Ihr selbst, Ehrwürdige Brüder, wißt am besten, daß in diesen Zeiten die Hasser der Wahrheit und Gerechtigkeit sowie die verbissensten Feinde unserer Religion durch verderbliche Bücher, Flugschriften und Zeitungen, die auf dem ganzen Erdkreis verbreitet werden, die Völker betrügen und mit böswilligen lügenhaften Vorspiegelungen weitere gottlose Lehren aussäen. Ferner ist Euch bekannt, daß es auch in unserem Zeitalter einige Personen gibt, die, getrieben und aufgestachelt durch den Geist Satans, bei dem Grad an Gottlosigkeit angelangt sind, daß sie unseren Herrn Jesus Christus leugnen und seine Gottheit mit unheilvoller Frechheit bekämpfen. Wir müssen Euch, Ehrwürdige Brüder, Unser höchstes und wohlverdientes Lob aussprechen. Ihr habt keineswegs versäumt, Eure bischöfliche Stimme gegen eine derartig große Gottlosigkeit zu erheben.
 
Daher wenden Wir Uns mit Unserem Schreiben wiederum liebevoll an Euch. Ihr, die Ihr zur Teilnahme an Unserer Hirtensorge berufen, Uns in Unserer bitteren Trübsal, durch Eure vorzügliche Frömmigkeit und Ergebenheit, zur Freude und zum Trost gereicht sowie durch Eure außerordentliche Liebe, Treue und Ehrerbietung, auf das engste mit Uns und diesem Apostolischen Stuhl verbunden seid, erfüllt Euer erhabenes und wichtiges bischöfliches Amt mit Kraft und Eifer. Von Eurem hervorragenden Hirteneifer erwarten Wir, daß Ihr das Schwert des Geistes ergreift, welches das Wort Gottes ist, und gestärkt in der Gnade unseres Herrn Jesus Christus, mit doppelter Bemühung täglich mehr darauf achtet, daß sich die Eurer Sorge anvertrauten Gläubigen der schädlichen Kräuter enthalten, die Jesus Christus nicht pflegt, da sie nicht vom Vater gepflanzt sind [Ignatius Antioch., ad Philad. 3.]. Hört niemals auf, den Gläubigen einzuprägen, daß jedes wahre Glück auf die Menschen unserer hocherhabenen Religion, ihrer Lehre und Übung zuströmt, und daß selig ist das Volk, dessen Herr sein Gott ist [FN: Ps. 143.]. Lehret, daß die Reiche auf der Grundlage des katholischen Glaubens bestehen [Coelestinus, epist. 22 ad Synod. Ephes.], und daß nichts so tödlich, ins Verderben stürzend und derartig der Gefahren ausgesetzt ist, als wenn wir der Meinung sind, es wäre für uns völlig ausreichend, bei unserer Geburt den freien Willen empfangen zu haben und daher nichts weiter von Gott verlangen. Das bedeutet, daß wir unseren Urheber vergessen und Seiner Herrschaft abschwören, um zu zeigen, daß wir frei sind [FN: Innocentius I., epist. 29 ad episc. Conc. Carthag.]. Unterlasset auch nicht zu lehren, daß die Herrschergewalt nicht nur der Regierung der Welt, sondern besonders zum Schutz der Kirche verliehen wurde [Leo I., epist. 156 al. 125.]. Nichts kann den Oberhäuptern und Königen der Staaten einen größeren Nutzen und Ruhm erlangen, als wenn sie, wie Unser Vorgänger, der höchst weise und starkmütige hl. Papst Felix, an Kaiser Zeno schrieb, die katholische Kirche von ihren Gesetzen Gebrauch machen lassen und niemandem erlauben, ihrer Freiheit entgegenzutreten. Es steht fest, daß es für ihre Angelegenheiten heilsam ist, sofern es sich um die Sache Gottes handelt, wenn sie sich nach seiner Anordnung bemühen, den königlichen Willen den Priestern Jesu Christi zu unterwerfen anstatt vorzuziehen [Pius VII., Enzykl. Diu satis vom 15. Mai 1800.].
 
Ehrwürdige Brüder, es ist in jeder Beziehung notwendig, ganz besonders während dieser großen Nöte innerhalb der Kirche und der bürgerlichen Gesellschaft, die einer gewaltigen Verschwörung der Feinde gegen die katholische Kirche und gegen den Heiligen Stuhl sowie dem Chaos der Irrtümer gegenüberstehen, mit Vertrauen dem Thron der Gnade zu nahen, um Barmherzigkeit zu erlangen und die Gnade in rechtzeitiger Hilfe zu finden. Daher hielten Wir es für notwendig, die Frömmigkeit aller Gläubigen aufzumuntern, damit sie ohne Unterlaß mit Uns und mit Euch den gütigsten Vater des Lichtes und Erbarmens höchst demütig mit inständigen Bitten anflehen, und in der Fülle des Glaubens immer zu unserem Herrn Jesus Christus fliehen, der uns in Seinem Blut mit Gott versöhnt hat, um Sein teuerstes Herz, das Opfer Seiner glühenden Liebe zu uns, mit Eifer und Beständigkeit anzurufen. Möge Er mit Seiner großen Liebe alles an Sich ziehen, damit alle Menschen durch Seine heiligste Liebe entflammt werden und nach Seinem Herzen würdig wandeln, um Gott in allem wohlgefällig zu sein und Früchte in jedem guten Werk zu bringen.
 
Ohne jeden Zweifel sind jedoch für Gott die Gebete der Menschen angenehmer, die mit reinen Seelen und ohne jeden Makel behaftet vor Ihn treten. Mit Apostolischer Freigebigkeit haben wir es daher für ratsam erachtet, die Unserer Obhut anvertrauten himmlischen Schätze der Kirche zu ergründen, damit die Gläubigen, die in wahrer Frömmigkeit entbrannt und durch das Sakrament der Buße von ihren Sünden gereinigt, mit großem Vertrauen ihre Gebete Gott darbringen und dadurch Seine Barmherzigkeit und Gnade erlangen können.
 
Kraft Unserer Apostolischen Autorität verleihen Wir daher durch dieses Schreiben einen vollkommenen Jubiläumsablaß, der jedem einzelnen der Gläubigen beider Geschlechter auf dem ganzen Erdkreis zukommt, und von Euch, Ehrwürdige Brüder, sowie von den rechtmäßigen Ortsordinarien in der Frist eines Monats bis zum ganzen zukünftigen Jahre 1865, jedoch nicht darüber hinaus, anzusetzen ist. Dies geschehe in der gleichen Art und Weise, wie Wir es zu Beginn Unseres Pontifikates in Unserem Apostolischen Rundschreiben in Breve-Form, Arcano divinae providentiae consilio, erlassen am 20. November 1846 an den gesamten Episkopat, verliehen haben, sowie mit allen Vollmachten, die durch dieses Schreiben von Uns erteilt wurden. Wir wollen jedoch, daß alles, was in dem erwähnten Breve geschrieben steht, beobachtet und das ausgenommen werde, was durch Uns als ausgenommen erklärt wurde. Dies verleihen Wir, ohne daß etwas Entgegenstehendes, auch wenn es einer speziellen und besonderen Erwähnung oder Derogation verdienen würde, dagegen aufkommen soll. Damit jeder Zweifel und jede Schwierigkeit ausgeräumt werde, haben Wir befohlen, ein Exemplar dieses Breves an Euch zu senden.
 
Ehrwürdige Brüder, flehen wir aus innerstem Herzen und mit aller Kraft des Geistes die Barmherzigkeit Gottes an. Er selbst hat hinzugefügt: Meine Barmherzigkeit aber werde ich von ihnen nicht abziehen. Lasset uns bitten, und wir werden empfangen. Sollte sich jedoch die Gewährung um eine Weile verzögern, da wir schwer gesündigt haben, so lasset uns anklopfen – denn wer anklopft, dem wird aufgetan werden, solange nur unsere Gebete, Seufzer und Tränen an den Pforten anklopfen, in welchen wir verharren und ausdauern müssen, und das Gebet einmütig ist. Ein jeder bete zu Gott, nicht nur für sich, sondern für alle Brüder, wie der Herr uns zu beten gelehrt hat [FN: Cyprian, Epist. 11.].
 
Damit Gott umso eher Unsere, Eure und die Gebete und Wünsche aller Gläubigen erhört, wollen Wir voll Vertrauen die Vermittlung der Allerseligsten und Unbefleckten Jungfrau und Gottesgebärerin Maria anrufen, die alle Irrlehren in der ganzen Welt vernichtet hat. Unsere liebreichste Mutter ist ganz lieblich und voll von Erbarmen. Sie neigt sich allen zu, ist gütig und erbarmt sich der Nöte aller in ihrer allumfassenden Liebe [FN: Bernhard v. Clairv., Serm. de duodecim praerogat. B. M. V. ex verbis Apocal.. Da sie als Königin zur Rechten ihres Eingeborenen Sohnes, Unseres Herrn Jesus Christus, im goldenen, vielfach geschmückten Gewande steht, gibt es nichts, was sie nicht von Ihm zu erlangen imstande wäre.
 
Rufen Wir auch die Fürbitte des heiligen Petrus, des Apostelfürsten, seines Mitapostels Paulus und aller Heiligen an, die bereits in das himmlische Reich gelangt, zu Freunden Gottes geworden sind und gekrönt die Palme besitzen. In ihrer Unsterblichkeit sind sie mit Sicherheit um das Heil unserer Seelen besorgt.
 
Erbitten Wir für Euch schließlich aufrichtig die Fülle aller himmlischen Gaben von Gott. Als besonderes Unterpfand Unserer Liebe erteilen Wir Euch, Ehrwürdige Brüder, allen Geistlichen und den Eurer Obhut anvertrauten gläubigen Laien, in aller Liebe und von ganzem Herzen den Apostolischen Segen.
 
  
Gegeben zu Rom bei Sankt Peter, am 8. Dezember 1864, im zehnten Jahre seit der dogmatischen Erklärung von der Unbefleckten Empfängnis der Gottesgebärerin und Jungfrau Maria, im neunzehnten Jahre Unseres Pontifikates.
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==Einleitung: Der Kampf der Kirche gegen die freigeistigen Irrlehren ==
  
Pius PP. IX.
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'''1.''' Allen und besonders Euch, Ehrwürdige Brüder, ist wohlbekannt, mit welcher Sorge und oberhirtlichen Wachsamkeit die Römischen Päpste, Unsere Vorgänger, ihre Amtspflichten allzeit erfüllten, die ihnen unser Herr [[Jesus Christus]] in der Person des heiligen Apostelfürsten Petrus anvertraut hatte: die Lämmer und Schafe zu weiden, die gesamte Herde des Herrn mit den Worten des Glaubens zu nähren, mit heilsamer Lehre zu tränken und von vergifteten Weideplätzen fernzuhalten. Wahrlich, Unsere Vorgänger erwiesen sich als Verteidiger und Schützer des erhabenen katholischen Glaubens, der Wahrheit und Gerechtigkeit, wachten über das Seelenheil und gaben sich alle Mühe, durch ihre weisen Briefe und Verordnungen alle Irrlehren und Irrtümer aufzudecken und zu verurteilen, die unserem göttlichen Glauben, der Lehre der katholischen Kirche, der Lauterkeit der Sitten und dem ewigen Heile der Menschen entgegenstehen, oft zu schweren Unruhen führten und Kirche und Staat in entsetzlicher Weise verwüsteten. Daher haben Unsere Vorgänger mit apostolischer Kraft den verderblichen Bestrebungen jener unseligen Menschen beharrlich Widerstand geleistet, die ihre wirren Vorstellungen wie Fluten eines aufgepeitschten Meeres auswarfen, Freiheit versprachen, während sie Knechte des Verderbens sind, und die darauf hinzielten, mit ihren trügerischen Meinungen und verderblichen Schriften die Grundlagen des katholischen Glaubens und der weltlichen. Herrschaft einzureißen, alle Tugend und Gerechtigkeit auszumerzen, alle Geister und Herzen zu verderben, besonders die noch unvorsichtige und unerfahrene Jugend vom rechten Wege der Sitten abzubringen, sie elend zu verführen, in die Fallstricke des Irrtums zu verlocken und schließlich vom Hort der katholischen Kirche loszureißen.  
  
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'''2.''' Sobald Wir nach dem geheimen Ratschluss der göttlichen Vorsehung, ohne jedes Verdienst Unsererseits, auf den Stuhl des hl. Petrus berufen wurden und zu unserem großen Schmerz den furchtbaren Sturm, den so viele verkehrte Meinungen erregt hatten, und die schweren, unsäglich traurigen Schäden sahen, die aus so vielen Quellen des Irrtums auf das Christenvolk einstürzten, erhoben Wir, wie es Euch, Ehrwürdige Brüder, bekannt ist, entsprechend Unserer Amtspflicht und dem Vorbild Unserer erlauchten Vorgänger folgend, Unsere Stimme. In mehreren Rundschreiben und in Ansprachen im Konsistorium wie auch in sonstigen Apostolischen Briefen haben Wir die hauptsächlichsten Irrtümer unserer traurigen Zeit verurteilt, Wir riefen Eure wertvolle bischöfliche Wachsamkeit auf und mahnten alle Uns so teuren Söhne der katholischen Kirche, sie sollten sich vor der Ansteckung dieser gräßlichen Seuche in acht nehmen und hüten. Besonders in Unserem ersten Rundschreiben vom 9. November 1846 und in den beiden Ansprachen im Konsistorium vom 9. Dezember 1854 und vom 9. Juni 1862 haben Wir die ungeheuerlichen Irrtümer verdammt, die gerade in Unserer Zeit zum größten Unheil der Seelen und auch zum Schaden der weltlichen Gesellschaft grassieren, die nicht nur der katholischen Kirche, ihren heilsamen Lehren und ihren ehrwürdigen Rechten, sondern auch dem ewigen [[Natürliches Sittengesetz|Naturgesetz]], das Gott in die Herzen aller geschrieben hat, und der gesunden Vernunft völlig widersprechen und von denen sich alle anderen Irrtümer herleiten.
  
Anhang: [[Syllabus errorum]]
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'''3.''' Obwohl Wir es daher nicht im geringsten unterlassen haben, die wichtigsten derartigen Irrtümer immer wieder zurückzuweisen und zu verdammen, so verlangt doch die Sache der katholischen Kirche, das Heil der Seelen, das Uns Gott anvertraut hat, und auch das Wohl der menschlichen Gesellschaft, dass Wir erneut Eure Hirtensorge auf andere zu bekämpfende verderbliche Meinungen lenken, die aus denselben Irrtümern als ihren Quellen hervorgehen. Diese falschen, verkehrten Meinungen sind umso verwerflicher, als sie besonders darauf abzielen, jene heilsame Kraft zu behindern und aus der Welt zu schaffen, welche die katholische Kirche nach dem Gesetz und Auftrage ihres göttlichen Gründers bis ans Ende der Zeiten frei zur Auswirkung bringen soll, nicht nur den einzelnen Menschen gegenüber, sondern auch gegenüber den Staaten, den Völkern und ihren obersten Führern. Umso verwerflicher sind sie auch, als sie suchen, jene einträchtige Zusammenarbeit zwischen Sacerdotium und Imperium aufzuheben, die sowohl der kirchlichen als der bürgerlichen Sache immer heilsam und nützlich war.<ref>[[Gregor XVI.]], Enzykl. [[Mirari vos]], 15. August 1832.</ref>
  
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==I. DER NATURALISMUS ==
  
[[Kategorie:Theologie]]
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===1. Der Naturalismus als Lehre von der ungezügelten Freiheit ===
[[Kategorie:Kirchengeschichte]]
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Denn Ihr wisst sehr gut, Ehrwürdige Brüder, dass es heute viele gibt, die auf die weltliche Gesellschaft den böswilligen, unsinnigen Grundsatz des sogenannten Naturalismus anwenden und dreist die Lehre verbreiten, "das Staatswohl und der menschliche Fortschritt verlange gebieterisch, dass die menschliche Gesellschaft aufgebaut und geleitet werde ohne jede Rücksicht auf den Glauben, als ob es einen solchen nicht gäbe oder mindestens ohne zwischen wahrem und falschem Glauben einen Unterschied zu machen." Und entgegen der Lehre der Heiligen Schrift, der Kirche und der heiligen Väter wagen sie die Behauptung: "In sehr guter Lage befindet sich die Gesellschaft, wenn in ihr der Staatshoheit nicht die Pflicht zugesprochen wird, die Verletzer des katholischen Glaubens mit gesetzlichen Strafen zu verfolgen, es sei denn, dass die öffentliche Ruhe es gebieterisch erheischt." Von dieser falschen Auffassung der Gesellschaftsordnung aus begünstigen sie weiter jene irrige Ansicht, die der katholischen Kirche und dem Seelenheile höchst verderblich ist und von Unserm unmittelbaren Vorgänger Gregor XVI.<ref>[[Gregor XVI.]], [[Enzyklika]] [[Mirari vos]], 15. August 1832.</ref> als "Wahnsinn" erklärt wurde, nämlich, "die Freiheit des Gewissens und die Gottesverehrung seien jedes einzelnen Menschen Eigenrecht, das in jedem Staat mit ordentlicher Verfassung gesetzlich umschrieben und gewahrt werden müsse, und die Bürger hätten ein Recht auf jede beliebige Freiheit, die weder durch kirchliche noch staatliche Hoheit eingeschränkt werden dürfe, sie sollten vielmehr ihre Meinung in Wort und Schrift oder sonst wie öffentlich verkünden und verbreiten können." Indem sie dies ohne Überlegung behaupten, bedenken sie nicht, dass sie damit "die Freiheit des Verderbens"<ref>[[Augustinus  von Hippo|Augustinus]], ep. 105 (166).</ref> predigen und dass "bei einer schrankenlosen Redefreiheit es immer Leute geben wird, die frech gegen die Wahrheit auftreten, und solche, die blindes Vertrauen auf die Geschwätzigkeit menschlicher Weisheit setzen, während Wir doch aus der Unterweisung unseres Herrn Jesus Christus selber wissen, wie sehr sich christlicher Glaube und christliche Weisheit vor diesem schädlichen Wahn in acht nehmen müssen".<ref>[[Leo I.]], ep. 164, [[PL]] LIV 1149.</ref>
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===2. Der Kampf des Naturalismus gegen die religiösen Orden und die religiöse Lebensauffassung ===
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'''4.''' Wo die Religion aus dem Staat verbannt wurde und Lehre und Autorität der göttlichen Offenbarung verachtet werden, da verdunkelt sich auch und geht verloren der wahre Begriff der Gerechtigkeit und des menschlichen Rechts. An die Stelle der wahren Gerechtigkeit und des legitimen Rechts tritt die rohe Gewalt. Daraus erklärt es sich, warum manche die sichersten Grundsätze gesunder Vernunft völlig vernachlässigen, beiseite werfen und zu verkünden wagen, "der Wille des Volkes, in der sogenannten öffentlichen Meinung oder in anderer Weise kundgetan, stelle das oberste Gesetz dar, losgelöst von allem göttlichen und menschlichen Recht, und in der staatlichen Ordnung hätten vollendete Tatsachen, gerade weil sie vollendet sind, Rechtskraft". Wer aber sieht nicht und begreift nicht, dass eine menschliche Gesellschaft, die sich von den Banden des Glaubens und der wahren Gerechtigkeit gelöst hat, keinen anderen Zweck mehr haben kann, als äußere Güter zu erwerben und aufzustapeln, dass sie in ihren Handlungen keinem anderen Gesetz folgt, als der ungezähmten Gier eines leidenschaftlichen Herzens, den eigenen Lüsten und Vorteilen zu frönen? Daher verfolgen solche Menschen mit bitterem Hass die religiösen Ordensgemeinschaften, die sich um das Christentum, um den Staat, um die Wissenschaft so verdient gemacht haben; sie streuen die Meinung aus, dass sie keinen rechtlichen Grund zu existieren hätten, und stimmen so dem Gesetz der Irrlehrer zu. Unser Vorgänger seligen Angedenkens Pius Vl. hat es treffend gesagt: "Die Abschaffung der Orden verletzt den Stand, der sich öffentlich zu den evangelischen Räten bekennt, verletzt eine Lebensweise der Kirche, die als übereinstimmend mit der apostolischen Lehre empfohlen wird, verletzt die ruhmreichen Gründer selbst, die wir auf den Altären verehren und die aus keinem anderen Grund als aus Gottes Eingebung diese Gesellschaften gegründet haben."<ref>[[Pius VI.]], ep. Quod aliquantum ad Card. de la Rochefoucault, 10. März 1791.</ref> Gottlos verteidigen sie die Ansicht, den Bürgern und der Kirche sei das Recht zu nehmen, "öffentlich Almosen für christliche Liebestätigkeit zu sammeln", und das Gesetz sei abzuschaffen, "gemäß welchem zur Verehrung Gottes an bestimmten Tagen knechtliche Arbeit zu ruhen hat", unter dem fälschlichen Vorwand, das erwähnte Recht und das erwähnte Gesetz seien den Grundsätzen einer gesunden Volkswirtschaft zuwider.
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===3. Der Naturalismus und die Kollektivierung von Familie und Erziehung ===
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Sie begnügen sich aber nicht damit, den Glauben aus der öffentlichen Gesellschaft zu entfernen, sondern wollen ihn auch von den einzelnen Familien fernhalten. Denn gemäß dem verhängnisvollen Irrtum des [[Kommunismus]] und [[Sozialismus]], den sie lehren und bekennen, behaupten sie, "die häusliche Gemeinschaft oder die Familie leite ihr Daseinsrecht vom staatlichen Recht ab; alle Rechte der Eltern gegenüber ihren Kindern, vor allem das Unterrichts- und Erziehungsrecht, stammten einzig vom staatlichen Recht und hingen von ihm ab." Mit diesen gottlosen Irrlehren und Wühlereien bezwecken diese Leute voll Lug und Trug vor allem die gänzliche Ausschaltung der wohltätigen Lehre und Einflusskraft der Katholischen Kirche aus dem Unterricht und der Erziehung der Jugend, um die zarten, aufnahmefähigen Seelen der Jugendlichen in verderbliche Irrtümer zu verstricken, sie elend in Sünde zu bringen und zu verwüsten. Denn wer immer je die heiligen oder weltlichen Dinge in Verwirrung zu bringen, die gute gesellschaftliche Ordnung zu zerstören, alle göttlichen und menschlichen Rechte zu vernichten suchte, hat, worauf Wir weiter oben hingewiesen haben, alle seine schandbaren Pläne, Bestrebungen und Machenschaften mit Vorzug auf die Täuschung und die Entsittlichung der noch unvorsichtigen Jugend gerichtet, hat seine ganze Hoffnung auf die Verderbnis der Jugend gesetzt. Daher verfolgt man hartnäckig mit allen Mitteln den Welt- und Ordensklerus, der nach dem unwiderlegbaren Zeugnis der Geschichte soviel Segen für das Christentum, für den Staat und die Wissenschaft brachte, und behaupten unablässig, die Geistlichkeit müsse "vom gesamten Jugendunterricht ausgeschaltet werden, weil sie dem wahren nutzbringenden Fortschritt der Wissenschaft und Bildung feind sei".
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===4. Die Unterjochung der kirchlichen Autorität unter die staatliche Gewalt ===
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'''5.''' Andere holen die irrigen, schon oft verworfenen Äußerungen der [[Neuerer]] wieder hervor und wagen es in unverschämter Anmaßung, die oberste Autorität der Kirche und dieses Apostolischen Stuhles, die auf Christus zurückgeht, der Willkür der staatlichen Macht zu unterwerfen, und alle Rechte der Kirche sowie des Apostolischen Stuhles hinsichtlich der zeitlichen Ordnung zu leugnen. Sie machen sich kein Gewissen daraus, zu behaupten, "die Gesetze der Kirche verpflichten nicht im Gewissen, außer sie seien von der weltlichen Gewalt verkündet; die Erlasse und Verfügungen der Römischen Päpste mit religiösem oder kirchlichem Inhalt benötigten der Bestätigung, Billigung oder mindestens der Zustimmung der weltlichen Macht; die apostolischen Konstitutionen,<ref>[[Klemens XII.]], [[In eminenti apostolatus specula|In eminenti]], 28. April 1738; [[Benedikt XIV.]], Providas, 18. März 1751; [[Pius VII.]], Ecclesiam, 13. September 1821; [[Leo XII.]], Quo graviora, 13. März 1825.</ref> in denen die [[Geheimgesellschaft|geheimen Gesellschaften]] verurteilt und ihre Anhänger und Förderer mit dem Bann bestraft werden, ob nun in ihnen ein Eid zur Schweigepflicht gefordert werde oder nicht, hätten keinerlei Kraft in Ländern, wo solche Vereinigungen geduldet werden; der Bannspruch, den das [[Konzil von Trient]] und die Römischen Päpste gegen jene erließen, welche in die Rechte und Besitztümer der Kirche eingreifen und sie an sich reißen, beruhe auf einer Vermengung von geistlicher und bürgerlich-staatlicher Ordnung, lediglich zu dem Zweck, einen irdischen Vorteil zu erreichen; die Kirche dürfe nichts beschließen, was die Gewissen der Gläubigen im Gebrauch zeitlicher Güter verpflichten könne; die Kirche habe nicht das Recht, die Übertreter ihrer Gesetze mit zeitlichen Strafen zu belegen; es stimme mit der heiligen Theologie und den Grundsätzen des öffentlichen Rechts überein, das Eigentum von Kirchen, Ordensgenossenschaften und anderen frommen Institutionen der staatlichen Macht zuzusprechen und zu unterstellen." Sie scheuen sich auch nicht, offen vor aller Welt zu jenem von den Ketzern geäußerten Grundsatz zu stehen, aus dem so viele verkehrte Meinungen und Irrtümer hervorgehen. Sie können sich nämlich nicht genugtun zu erklären, "die kirchliche Macht sei nicht, kraft des göttlichen Rechtes, von der weltlichen Macht verschieden und unabhängig; ferner könne eine solche Verschiedenheit und Unabhängigkeit nicht aufrechterhalten werden, ohne dass die Kirche in wesentliche Rechte der staatlichen Macht einbreche und sich dieselben anmaße." Wir können auch nicht die Dreistheit jener übergehen, welche die gesunde Lehre nicht ertragen und behaupten, "man könne ohne Sünde, ohne den christlichen Glauben zu verletzen, jenen Entscheidungen und Verfügungen des Apostolischen Stuhles, von denen erklärt wird, dass sie sich auf das Gemeinwohl der Kirche, ihre Rechte und ihre Ordnung beziehen, Billigung und Gehorsam verweigern, solange nicht Lehrsätze der Glaubens- und Sittenlehre berührt werden". Jedermann muss doch sehen, dass dies dem katholischen Lehrsatz völlig widerspricht, nach dem der Römische Papst von Christus selbst, Unserem Herrn, die volle Macht erhalten hat, die gesamte Kirche zu weiden, zu regieren und zu leiten.
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==II. VERURTEILUNG DER NATURALISTISCHEN IRRTÜMER UND AUFRUF ZUR ABWEHR ==
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===1. Feierliche Verurteilung ===
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'''6.''' Im Anblick eines solchen Durcheinanders von entarteten Anschauungen haben Wir im Bewusstsein Unserer apostolischen Pflicht in Sorge um Unsern heiligen Glauben, um die rechte Lehre, um das Heil der Seelen, das Uns von Gott anvertraut wurde, um das Wohl der menschlichen Gesellschaft selbst, abermals Unsere Stimme erhoben. Alle verkehrten Meinungen und Lehren also, die Wir in diesem Schreiben einzeln angeführt haben, weisen Wir kraft unserer apostolischen Vollmacht zurück, verbieten sie und verdammen sie und fordern, dass alle Söhne der Katholischen Kirche sie voll und ganz zurückgewiesen, verboten und verdammt betrachten.
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===2. Anerkennung des Eifers der Bischöfe und Aufmunterung zu weiteren seelsorglichen Bemühungen ===
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'''7.''' Ihr wisst sehr wohl, Ehrwürdige Brüder, dass in unserer Zeit die Hasser aller Wahrheit und Gerechtigkeit, die erbitterten Feinde Unseres Glaubens mittels unheilvoller, über die ganze Welt verbreiteter Bücher, Broschüren und Zeitungen unter den Völkern in verführerischer und gehässig lügenhafter Weise auch noch verschiedene andere gottlose Irrlehren ausstreuen. Auch ist es Euch bekannt, dass es heute viele gibt, die, vom Geiste des Teufels getrieben, sich zu einem solchen Grad frevelhafter Gesinnung verstiegen, dass sie Unseren Gebieter, den Herrn Jesus Christus, leugnen und in verbrecherischer Unverschämtheit seine Gottheit zu bestreiten wagen. Hier müssen Wir Euch, Ehrwürdige Brüder, volles Lob zollen, dass Ihr gegen derartigen Frevel mit allem Eifer Eure Stimme erhoben habt.
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'''8.''' Wir wenden Uns also mit diesem Briefe wiederum voll Liebe an Euch, die Ihr berufen seid, teilzunehmen an Unseren Sorgen, an Euch, die Ihr Uns inmitten Unserer übergroßen Bitternis reichlichen Trost, Freude und Erquickung schafft durch Euren hervorragenden Glaubenseifer, Eure Frömmigkeit und Eure bewundernswerte Liebe, Treue und Folgsamkeit, mit der Ihr Uns und dem Heiligen Stuhle verbunden seid und Euer schwieriges bischöfliches Amt voll Mut und Eifer zu erfüllen trachtet. Denn im Hinblick auf vortrefflichen Hirteneifer erwarten Wir, dass Ihr das Schwert des Geistes ergreift, nämlich das Wort Gottes, und, gestärkt in der Gnade unseres Herrn Jesus Christus, mit doppeltem Eifer Eure ganze Sorge darauf verwendet, dass sich die Gläubigen, die Eurer Obhut anvertraut sind, "von den schädlichen Pflanzen fernhalten, die Christus nicht hegt, weil sie sein Vater nicht gepflanzt hat".<ref> [[Ignatius von Antiochia|Ignatius Mart.]], ep. ad Philadelph. 3.</ref> Prägt den Gläubigen tief ein, dass den Menschen alles wahre Glück aus unserer erhabenen Religion, aus ihrer Lehre und ihrer Praxis zuströmt, und dass jenes Volk glücklich ist, dessen Herr Gott ist.<ref>  {{B|Ps|143|15}} (144) 15. </ref> Lehrt sie, "dass die irdischen Reiche auf dem katholischen Glauben als ihrem Fundament aufruhen;<ref> Coelestin, ep. 22 ad Synod. Ephes.</ref> dass nichts so tödlich, nichts dem Sturz so nahe, nichts den verschiedensten Gefahren so ausgesetzt ist, als zu glauben, es genüge uns der freie Wille, den wir von Geburt in uns haben, ohne weiter etwas vom Herrn erbitten zu müssen, d. h. dass wir, des Schöpfers vergessend, seinem Machtgebot uns entwinden könnten, um uns als frei zu erweisen."<ref> [[Innozenz I.]], ep. 29 ad Episc. conc. Carthag., [[Mansi]] IV 1283. [[PL]] XX 582. </ref> Unterlasst auch nicht zu lehren, "dass die Herrschergewalt nicht nur zur Leitung der Welt verliehen wurde, sondern besonders auch zum Schutze der Kirche,<ref> [[Leo I.]] ep.156, [[PL]] LIV 1130. </ref> dass nichts den Staatslenkern und Königen größeren Nutzen, größeren Ruhm bringen kann, als wenn sie", wie Unser weiser und tapferer Vorgänger, der hl. Felix, eindringlich dem Kaiser Zeno schrieb, "der katholischen Kirche freien Rechtsgebrauch zugestehen und nicht dulden, dass irgend jemand ihrer Freiheit schade... Denn es ist sicher für sie heilsam, wenn sie in göttlichen Dingen nach Gottes Gebot ihren Herrscherwillen den Priestern Christi unterzuordnen, statt ihn durchzusetzen trachten."<ref> [[Pius VII.]], [[Enzyklika]] Diu satis, 15. Mai 1800. </ref>
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===3. Ermunterung der Gläubigen zu vertieftem religiöösen Leben und zum Gebet ===
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'''9.''' Wenn aber je, Ehrwürdige Brüder, dann müssen wir uns heute in diesen ungeheuren Bedrängnissen von Kirche und Staat, bei dieser maßlosen Verschwörung der Feinde gegen die katholische Kirche und den Apostolischen Stuhl, bei dieser Überflut von Irrtümern, mit Vertrauen an den Thron der Gnade wenden, um von Gott Barmherzigkeit und das Geschenk wirksamer Hilfe zu erlangen. Aus diesem Grunde halten Wir es für angebracht, die Frömmigkeit aller Gläubigen anzuregen, damit sie mit Uns und mit Euch unablässig, inständig und demütig zum milden Vater des Lichtes und der Barmherzigkeit flehen, tiefgläubig ihre Zuflucht nehmen zu unserem Herrn Jesus Christus, der uns mit seinem Blut erkauft hat, und sein göttliches Herz, das Opfer glühender Liebe zu uns, beschwören, er möge alle Menschen mit seiner heiligen Liebe entzünden, nach seinem Herzen würdig und in allem gottgefällig wandeln und in guten Werken reiche Frucht bringen lassen. Da die Bitten der Menschen zweifellos dann Gott angenehmer sind, wenn sie mit reiner, makelloser Seele sich ihm nahen, so haben Wir beschlossen, den Christgläubigen mit apostolischer Freigebigkeit die Unserer Verwaltung anvertrauten himmlischen Schätze der Kirche zu öffnen. Die Gläubigen mögen, auf diese Weise zu vertiefter Frömmigkeit angeregt und durch das Bußsakrament von den Makeln der Sünde gereinigt, ihre Bitten mit größerem Vertrauen Gott vortragen und so sein Erbarmen und seine Gnade erlangen.
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'''10.''' Durch dieses Schreiben erteilen Wir deshalb in Unserer Apostolischen Machtvollkommenheit allen und jedem Gläubigen beiderlei Geschlechts in der ganzen katholischen Welt einen vollkommenen Jubiläumsablass während eines Monats im Laufe des Jahres 1865 nach der von Euch, Ehrwürdige Brüder, und den übrigen rechtmäßigen Ortsoberhirten zu treffenden Bestimmung. Wir gewähren diesen Ablass in der Art und Weise, wie dies zu Anfang Unseres Pontifikates geschehen ist, und zwar durch Unser Apostolisches Schreiben in Form eines Breve vom 20. November 1846, das an den gesamten Episkopat der Welt gesandt wurde und mit den Worten "Arcano divinae providentiae consilio" beginnt, mit all den Vollmachten, die durch jenes Schreiben von Uns gegeben wurden. Es soll auch alles beobachtet werden, was in dem genannten Breve vorgeschrieben wurde, und es soll ausgenommen sein, was Wir als solches erklärten. Und dies gewähren wir unbeachtet all der Gegengründe, die etwa in irgendeiner Weise in gegenteiligem Sinn angeführt werden könnten, auch wenn diese eine ausdrückliche Erwähnung oder Nichtigkeitserklärung verdienen würde. Damit jeder Zweifel und jede Auslegungsschwierigkeit ausgeschaltet werde, verordnen Wir, dass Euch ein Exemplar jenes Schreibens übersandt werde.
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'''11.''' "Flehen wir, Ehrwürdige Brüder, aus tiefstem Grund des Herzens und der Seele zur Barmherzigkeit Gottes; denn Gott hat uns dazu aufgefordert, indem er sagt: Ich werde ihnen meine Barmherzigkeit nicht entziehen. Bitten wir und wir werden empfangen; und wenn die Erhörung vielleicht geraume Zeit auf sich warten lässt, weil wir ihn schwer beleidigt haben, so lasst uns anklopfen, weil dem Anklopfenden geöffnet wird, wenn nur unsere Gebete, Seufzer und Tränen, in denen wir inständig ausharren müssen, an der Pforte hörbar werden und das Gebet einmütig ist ... Ein jeder bitte Gott nicht für sich allein, sondern für alle Brüder, wie der Herr uns zu beten gelehrt hat."<ref>Cyprian, Ep. VII. </ref> Damit aber Gott Unsern und Euren Gebeten und Wünschen und denen aller Gläubigen geneigter sei, lasst uns in vollem Vertrauen als Fürsprecherin bei ihm die unbefleckte und heilige Gottesmutter und [[Jungfrau Maria]] erwählen, die alle Häresien in der ganzen Welt vernichtet hat und als unser aller gute Mutter "gütig und voller Barmherzigkeit allen zugänglich ist und sich gegen alle gnädig zeigt und sich mit umfassender Liebe aller erbarmt",<ref>[[Bernhard von Clairvaux|Bernhard]], Serm. de duodecim praerogativis [[Jungfrau Maria|B. M. V.]] ex verbis Apocalyp. </ref> die, als Königin zur Rechten ihres Sohnes, unseres Herrn [[Jesus Christus]], sitzend, strahlend in goldenem Gewand und in reichem Schmuck, alles von dem Herrn zu erhalten vermag. Flehen wir auch um die Fürbitte des heiligen Petrus, des Apostelfürsten, und seines Mitapostels Paulus und aller Heiligen des Himmels, die schon Freunde Gottes geworden und in das himmlische Reich gelangt sind, wo sie, mit der Krone geschmückt, die Siegespalme tragen und, ihrer eigenen Unsterblichkeit gewiß, sich um unser Heil sorgen.
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'''12.''' Indem Wir innigst von Gott für Euch die Fülle aller seiner himmlischen Gaben erflehen, erteilen Wir aus ganzem Herzen als Unterpfand Unserer besonderen Liebe Euch, Ehrwürdige Brüder, allen Geistlichen und den Eurer Obhut anvertrauten Gläubigen Unsern Apostolischen Segen.
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<center>Gegeben zu Rom bei Sankt Peter am 8. Dezember 1864, <br>
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dem zehnten Jahrestag der Verkündigung des Dogmas von der unbefleckten Empfängnis der jungfräulichen Gottesmutter Maria, <br>
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im neunzehnten Jahr unseres [[Pontifikat]]s. <br>
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[[Pius IX.]] [[Papst]]</center>
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'''Siehe auch:''' [[Syllabus errorum]] (Anhang zur Enzyklika)
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==Weblinks==
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* [http://www.domus-ecclesiae.de/magisterium/quanta-cura.teutonice.html Der deutsche Text] bei www.domus-ecclesiae.de
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* [http://www.papalencyclicals.net/pius09/p9quanta.htm Der englische Text] bei /www.papalencyclicals.net
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== Anmerkungen ==
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<references />
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[[Kategorie:Lehramtstexte (Wortlaut)]]
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[[Kategorie:Lehramtstexte (Pius IX.)]]

Version vom 29. April 2019, 08:03 Uhr

Enzyklika
Quanta cura

von Papst
Pius IX.
an alle die Patriarchen, Primaten, Erzbischöfe und Bischöfe,
die in Frieden und Eintracht mit dem Apostolischen Stuhle leben
den Irrtum des Naturalismus
8. Dezember 1864

(Offizieller lateinischerText: ASS 3 [1867] 160-176; AP/IX, I 3, 687-700)

(Quelle: Die katholische Sozialdoktrin in ihrer geschichtlichen Entfaltung, Hsgr. Arthur Fridolin Utz + Birgitta Gräfin von Galen, Band I, II 26-39; S. 162-179, Scientia humana Institut Aachen 1976, lateinisch-deutsch, Imprimatur Friburgi Helv., die 2. decembris 1975 Th. Perroud, V.G.; Die Nummerierung folgt dem Text bei www.papalencyclicals.net - siehe Weblink; in deutsch auch in: Emil Marmy, (Hrsg.), Mensch und Gemeinschaft in christlicher Schau, Dokumente, Paulusdruckerei Freiburg/Schweiz 1945, S. 33-41, mit Imprimatur)

Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Einleitung: Der Kampf der Kirche gegen die freigeistigen Irrlehren

1. Allen und besonders Euch, Ehrwürdige Brüder, ist wohlbekannt, mit welcher Sorge und oberhirtlichen Wachsamkeit die Römischen Päpste, Unsere Vorgänger, ihre Amtspflichten allzeit erfüllten, die ihnen unser Herr Jesus Christus in der Person des heiligen Apostelfürsten Petrus anvertraut hatte: die Lämmer und Schafe zu weiden, die gesamte Herde des Herrn mit den Worten des Glaubens zu nähren, mit heilsamer Lehre zu tränken und von vergifteten Weideplätzen fernzuhalten. Wahrlich, Unsere Vorgänger erwiesen sich als Verteidiger und Schützer des erhabenen katholischen Glaubens, der Wahrheit und Gerechtigkeit, wachten über das Seelenheil und gaben sich alle Mühe, durch ihre weisen Briefe und Verordnungen alle Irrlehren und Irrtümer aufzudecken und zu verurteilen, die unserem göttlichen Glauben, der Lehre der katholischen Kirche, der Lauterkeit der Sitten und dem ewigen Heile der Menschen entgegenstehen, oft zu schweren Unruhen führten und Kirche und Staat in entsetzlicher Weise verwüsteten. Daher haben Unsere Vorgänger mit apostolischer Kraft den verderblichen Bestrebungen jener unseligen Menschen beharrlich Widerstand geleistet, die ihre wirren Vorstellungen wie Fluten eines aufgepeitschten Meeres auswarfen, Freiheit versprachen, während sie Knechte des Verderbens sind, und die darauf hinzielten, mit ihren trügerischen Meinungen und verderblichen Schriften die Grundlagen des katholischen Glaubens und der weltlichen. Herrschaft einzureißen, alle Tugend und Gerechtigkeit auszumerzen, alle Geister und Herzen zu verderben, besonders die noch unvorsichtige und unerfahrene Jugend vom rechten Wege der Sitten abzubringen, sie elend zu verführen, in die Fallstricke des Irrtums zu verlocken und schließlich vom Hort der katholischen Kirche loszureißen.

2. Sobald Wir nach dem geheimen Ratschluss der göttlichen Vorsehung, ohne jedes Verdienst Unsererseits, auf den Stuhl des hl. Petrus berufen wurden und zu unserem großen Schmerz den furchtbaren Sturm, den so viele verkehrte Meinungen erregt hatten, und die schweren, unsäglich traurigen Schäden sahen, die aus so vielen Quellen des Irrtums auf das Christenvolk einstürzten, erhoben Wir, wie es Euch, Ehrwürdige Brüder, bekannt ist, entsprechend Unserer Amtspflicht und dem Vorbild Unserer erlauchten Vorgänger folgend, Unsere Stimme. In mehreren Rundschreiben und in Ansprachen im Konsistorium wie auch in sonstigen Apostolischen Briefen haben Wir die hauptsächlichsten Irrtümer unserer traurigen Zeit verurteilt, Wir riefen Eure wertvolle bischöfliche Wachsamkeit auf und mahnten alle Uns so teuren Söhne der katholischen Kirche, sie sollten sich vor der Ansteckung dieser gräßlichen Seuche in acht nehmen und hüten. Besonders in Unserem ersten Rundschreiben vom 9. November 1846 und in den beiden Ansprachen im Konsistorium vom 9. Dezember 1854 und vom 9. Juni 1862 haben Wir die ungeheuerlichen Irrtümer verdammt, die gerade in Unserer Zeit zum größten Unheil der Seelen und auch zum Schaden der weltlichen Gesellschaft grassieren, die nicht nur der katholischen Kirche, ihren heilsamen Lehren und ihren ehrwürdigen Rechten, sondern auch dem ewigen Naturgesetz, das Gott in die Herzen aller geschrieben hat, und der gesunden Vernunft völlig widersprechen und von denen sich alle anderen Irrtümer herleiten.

3. Obwohl Wir es daher nicht im geringsten unterlassen haben, die wichtigsten derartigen Irrtümer immer wieder zurückzuweisen und zu verdammen, so verlangt doch die Sache der katholischen Kirche, das Heil der Seelen, das Uns Gott anvertraut hat, und auch das Wohl der menschlichen Gesellschaft, dass Wir erneut Eure Hirtensorge auf andere zu bekämpfende verderbliche Meinungen lenken, die aus denselben Irrtümern als ihren Quellen hervorgehen. Diese falschen, verkehrten Meinungen sind umso verwerflicher, als sie besonders darauf abzielen, jene heilsame Kraft zu behindern und aus der Welt zu schaffen, welche die katholische Kirche nach dem Gesetz und Auftrage ihres göttlichen Gründers bis ans Ende der Zeiten frei zur Auswirkung bringen soll, nicht nur den einzelnen Menschen gegenüber, sondern auch gegenüber den Staaten, den Völkern und ihren obersten Führern. Umso verwerflicher sind sie auch, als sie suchen, jene einträchtige Zusammenarbeit zwischen Sacerdotium und Imperium aufzuheben, die sowohl der kirchlichen als der bürgerlichen Sache immer heilsam und nützlich war.<ref>Gregor XVI., Enzykl. Mirari vos, 15. August 1832.</ref>

I. DER NATURALISMUS

1. Der Naturalismus als Lehre von der ungezügelten Freiheit

Denn Ihr wisst sehr gut, Ehrwürdige Brüder, dass es heute viele gibt, die auf die weltliche Gesellschaft den böswilligen, unsinnigen Grundsatz des sogenannten Naturalismus anwenden und dreist die Lehre verbreiten, "das Staatswohl und der menschliche Fortschritt verlange gebieterisch, dass die menschliche Gesellschaft aufgebaut und geleitet werde ohne jede Rücksicht auf den Glauben, als ob es einen solchen nicht gäbe oder mindestens ohne zwischen wahrem und falschem Glauben einen Unterschied zu machen." Und entgegen der Lehre der Heiligen Schrift, der Kirche und der heiligen Väter wagen sie die Behauptung: "In sehr guter Lage befindet sich die Gesellschaft, wenn in ihr der Staatshoheit nicht die Pflicht zugesprochen wird, die Verletzer des katholischen Glaubens mit gesetzlichen Strafen zu verfolgen, es sei denn, dass die öffentliche Ruhe es gebieterisch erheischt." Von dieser falschen Auffassung der Gesellschaftsordnung aus begünstigen sie weiter jene irrige Ansicht, die der katholischen Kirche und dem Seelenheile höchst verderblich ist und von Unserm unmittelbaren Vorgänger Gregor XVI.<ref>Gregor XVI., Enzyklika Mirari vos, 15. August 1832.</ref> als "Wahnsinn" erklärt wurde, nämlich, "die Freiheit des Gewissens und die Gottesverehrung seien jedes einzelnen Menschen Eigenrecht, das in jedem Staat mit ordentlicher Verfassung gesetzlich umschrieben und gewahrt werden müsse, und die Bürger hätten ein Recht auf jede beliebige Freiheit, die weder durch kirchliche noch staatliche Hoheit eingeschränkt werden dürfe, sie sollten vielmehr ihre Meinung in Wort und Schrift oder sonst wie öffentlich verkünden und verbreiten können." Indem sie dies ohne Überlegung behaupten, bedenken sie nicht, dass sie damit "die Freiheit des Verderbens"<ref>Augustinus, ep. 105 (166).</ref> predigen und dass "bei einer schrankenlosen Redefreiheit es immer Leute geben wird, die frech gegen die Wahrheit auftreten, und solche, die blindes Vertrauen auf die Geschwätzigkeit menschlicher Weisheit setzen, während Wir doch aus der Unterweisung unseres Herrn Jesus Christus selber wissen, wie sehr sich christlicher Glaube und christliche Weisheit vor diesem schädlichen Wahn in acht nehmen müssen".<ref>Leo I., ep. 164, PL LIV 1149.</ref>

2. Der Kampf des Naturalismus gegen die religiösen Orden und die religiöse Lebensauffassung

4. Wo die Religion aus dem Staat verbannt wurde und Lehre und Autorität der göttlichen Offenbarung verachtet werden, da verdunkelt sich auch und geht verloren der wahre Begriff der Gerechtigkeit und des menschlichen Rechts. An die Stelle der wahren Gerechtigkeit und des legitimen Rechts tritt die rohe Gewalt. Daraus erklärt es sich, warum manche die sichersten Grundsätze gesunder Vernunft völlig vernachlässigen, beiseite werfen und zu verkünden wagen, "der Wille des Volkes, in der sogenannten öffentlichen Meinung oder in anderer Weise kundgetan, stelle das oberste Gesetz dar, losgelöst von allem göttlichen und menschlichen Recht, und in der staatlichen Ordnung hätten vollendete Tatsachen, gerade weil sie vollendet sind, Rechtskraft". Wer aber sieht nicht und begreift nicht, dass eine menschliche Gesellschaft, die sich von den Banden des Glaubens und der wahren Gerechtigkeit gelöst hat, keinen anderen Zweck mehr haben kann, als äußere Güter zu erwerben und aufzustapeln, dass sie in ihren Handlungen keinem anderen Gesetz folgt, als der ungezähmten Gier eines leidenschaftlichen Herzens, den eigenen Lüsten und Vorteilen zu frönen? Daher verfolgen solche Menschen mit bitterem Hass die religiösen Ordensgemeinschaften, die sich um das Christentum, um den Staat, um die Wissenschaft so verdient gemacht haben; sie streuen die Meinung aus, dass sie keinen rechtlichen Grund zu existieren hätten, und stimmen so dem Gesetz der Irrlehrer zu. Unser Vorgänger seligen Angedenkens Pius Vl. hat es treffend gesagt: "Die Abschaffung der Orden verletzt den Stand, der sich öffentlich zu den evangelischen Räten bekennt, verletzt eine Lebensweise der Kirche, die als übereinstimmend mit der apostolischen Lehre empfohlen wird, verletzt die ruhmreichen Gründer selbst, die wir auf den Altären verehren und die aus keinem anderen Grund als aus Gottes Eingebung diese Gesellschaften gegründet haben."<ref>Pius VI., ep. Quod aliquantum ad Card. de la Rochefoucault, 10. März 1791.</ref> Gottlos verteidigen sie die Ansicht, den Bürgern und der Kirche sei das Recht zu nehmen, "öffentlich Almosen für christliche Liebestätigkeit zu sammeln", und das Gesetz sei abzuschaffen, "gemäß welchem zur Verehrung Gottes an bestimmten Tagen knechtliche Arbeit zu ruhen hat", unter dem fälschlichen Vorwand, das erwähnte Recht und das erwähnte Gesetz seien den Grundsätzen einer gesunden Volkswirtschaft zuwider.

3. Der Naturalismus und die Kollektivierung von Familie und Erziehung

Sie begnügen sich aber nicht damit, den Glauben aus der öffentlichen Gesellschaft zu entfernen, sondern wollen ihn auch von den einzelnen Familien fernhalten. Denn gemäß dem verhängnisvollen Irrtum des Kommunismus und Sozialismus, den sie lehren und bekennen, behaupten sie, "die häusliche Gemeinschaft oder die Familie leite ihr Daseinsrecht vom staatlichen Recht ab; alle Rechte der Eltern gegenüber ihren Kindern, vor allem das Unterrichts- und Erziehungsrecht, stammten einzig vom staatlichen Recht und hingen von ihm ab." Mit diesen gottlosen Irrlehren und Wühlereien bezwecken diese Leute voll Lug und Trug vor allem die gänzliche Ausschaltung der wohltätigen Lehre und Einflusskraft der Katholischen Kirche aus dem Unterricht und der Erziehung der Jugend, um die zarten, aufnahmefähigen Seelen der Jugendlichen in verderbliche Irrtümer zu verstricken, sie elend in Sünde zu bringen und zu verwüsten. Denn wer immer je die heiligen oder weltlichen Dinge in Verwirrung zu bringen, die gute gesellschaftliche Ordnung zu zerstören, alle göttlichen und menschlichen Rechte zu vernichten suchte, hat, worauf Wir weiter oben hingewiesen haben, alle seine schandbaren Pläne, Bestrebungen und Machenschaften mit Vorzug auf die Täuschung und die Entsittlichung der noch unvorsichtigen Jugend gerichtet, hat seine ganze Hoffnung auf die Verderbnis der Jugend gesetzt. Daher verfolgt man hartnäckig mit allen Mitteln den Welt- und Ordensklerus, der nach dem unwiderlegbaren Zeugnis der Geschichte soviel Segen für das Christentum, für den Staat und die Wissenschaft brachte, und behaupten unablässig, die Geistlichkeit müsse "vom gesamten Jugendunterricht ausgeschaltet werden, weil sie dem wahren nutzbringenden Fortschritt der Wissenschaft und Bildung feind sei".

4. Die Unterjochung der kirchlichen Autorität unter die staatliche Gewalt

5. Andere holen die irrigen, schon oft verworfenen Äußerungen der Neuerer wieder hervor und wagen es in unverschämter Anmaßung, die oberste Autorität der Kirche und dieses Apostolischen Stuhles, die auf Christus zurückgeht, der Willkür der staatlichen Macht zu unterwerfen, und alle Rechte der Kirche sowie des Apostolischen Stuhles hinsichtlich der zeitlichen Ordnung zu leugnen. Sie machen sich kein Gewissen daraus, zu behaupten, "die Gesetze der Kirche verpflichten nicht im Gewissen, außer sie seien von der weltlichen Gewalt verkündet; die Erlasse und Verfügungen der Römischen Päpste mit religiösem oder kirchlichem Inhalt benötigten der Bestätigung, Billigung oder mindestens der Zustimmung der weltlichen Macht; die apostolischen Konstitutionen,<ref>Klemens XII., In eminenti, 28. April 1738; Benedikt XIV., Providas, 18. März 1751; Pius VII., Ecclesiam, 13. September 1821; Leo XII., Quo graviora, 13. März 1825.</ref> in denen die geheimen Gesellschaften verurteilt und ihre Anhänger und Förderer mit dem Bann bestraft werden, ob nun in ihnen ein Eid zur Schweigepflicht gefordert werde oder nicht, hätten keinerlei Kraft in Ländern, wo solche Vereinigungen geduldet werden; der Bannspruch, den das Konzil von Trient und die Römischen Päpste gegen jene erließen, welche in die Rechte und Besitztümer der Kirche eingreifen und sie an sich reißen, beruhe auf einer Vermengung von geistlicher und bürgerlich-staatlicher Ordnung, lediglich zu dem Zweck, einen irdischen Vorteil zu erreichen; die Kirche dürfe nichts beschließen, was die Gewissen der Gläubigen im Gebrauch zeitlicher Güter verpflichten könne; die Kirche habe nicht das Recht, die Übertreter ihrer Gesetze mit zeitlichen Strafen zu belegen; es stimme mit der heiligen Theologie und den Grundsätzen des öffentlichen Rechts überein, das Eigentum von Kirchen, Ordensgenossenschaften und anderen frommen Institutionen der staatlichen Macht zuzusprechen und zu unterstellen." Sie scheuen sich auch nicht, offen vor aller Welt zu jenem von den Ketzern geäußerten Grundsatz zu stehen, aus dem so viele verkehrte Meinungen und Irrtümer hervorgehen. Sie können sich nämlich nicht genugtun zu erklären, "die kirchliche Macht sei nicht, kraft des göttlichen Rechtes, von der weltlichen Macht verschieden und unabhängig; ferner könne eine solche Verschiedenheit und Unabhängigkeit nicht aufrechterhalten werden, ohne dass die Kirche in wesentliche Rechte der staatlichen Macht einbreche und sich dieselben anmaße." Wir können auch nicht die Dreistheit jener übergehen, welche die gesunde Lehre nicht ertragen und behaupten, "man könne ohne Sünde, ohne den christlichen Glauben zu verletzen, jenen Entscheidungen und Verfügungen des Apostolischen Stuhles, von denen erklärt wird, dass sie sich auf das Gemeinwohl der Kirche, ihre Rechte und ihre Ordnung beziehen, Billigung und Gehorsam verweigern, solange nicht Lehrsätze der Glaubens- und Sittenlehre berührt werden". Jedermann muss doch sehen, dass dies dem katholischen Lehrsatz völlig widerspricht, nach dem der Römische Papst von Christus selbst, Unserem Herrn, die volle Macht erhalten hat, die gesamte Kirche zu weiden, zu regieren und zu leiten.

II. VERURTEILUNG DER NATURALISTISCHEN IRRTÜMER UND AUFRUF ZUR ABWEHR

1. Feierliche Verurteilung

6. Im Anblick eines solchen Durcheinanders von entarteten Anschauungen haben Wir im Bewusstsein Unserer apostolischen Pflicht in Sorge um Unsern heiligen Glauben, um die rechte Lehre, um das Heil der Seelen, das Uns von Gott anvertraut wurde, um das Wohl der menschlichen Gesellschaft selbst, abermals Unsere Stimme erhoben. Alle verkehrten Meinungen und Lehren also, die Wir in diesem Schreiben einzeln angeführt haben, weisen Wir kraft unserer apostolischen Vollmacht zurück, verbieten sie und verdammen sie und fordern, dass alle Söhne der Katholischen Kirche sie voll und ganz zurückgewiesen, verboten und verdammt betrachten.

2. Anerkennung des Eifers der Bischöfe und Aufmunterung zu weiteren seelsorglichen Bemühungen

7. Ihr wisst sehr wohl, Ehrwürdige Brüder, dass in unserer Zeit die Hasser aller Wahrheit und Gerechtigkeit, die erbitterten Feinde Unseres Glaubens mittels unheilvoller, über die ganze Welt verbreiteter Bücher, Broschüren und Zeitungen unter den Völkern in verführerischer und gehässig lügenhafter Weise auch noch verschiedene andere gottlose Irrlehren ausstreuen. Auch ist es Euch bekannt, dass es heute viele gibt, die, vom Geiste des Teufels getrieben, sich zu einem solchen Grad frevelhafter Gesinnung verstiegen, dass sie Unseren Gebieter, den Herrn Jesus Christus, leugnen und in verbrecherischer Unverschämtheit seine Gottheit zu bestreiten wagen. Hier müssen Wir Euch, Ehrwürdige Brüder, volles Lob zollen, dass Ihr gegen derartigen Frevel mit allem Eifer Eure Stimme erhoben habt.

8. Wir wenden Uns also mit diesem Briefe wiederum voll Liebe an Euch, die Ihr berufen seid, teilzunehmen an Unseren Sorgen, an Euch, die Ihr Uns inmitten Unserer übergroßen Bitternis reichlichen Trost, Freude und Erquickung schafft durch Euren hervorragenden Glaubenseifer, Eure Frömmigkeit und Eure bewundernswerte Liebe, Treue und Folgsamkeit, mit der Ihr Uns und dem Heiligen Stuhle verbunden seid und Euer schwieriges bischöfliches Amt voll Mut und Eifer zu erfüllen trachtet. Denn im Hinblick auf vortrefflichen Hirteneifer erwarten Wir, dass Ihr das Schwert des Geistes ergreift, nämlich das Wort Gottes, und, gestärkt in der Gnade unseres Herrn Jesus Christus, mit doppeltem Eifer Eure ganze Sorge darauf verwendet, dass sich die Gläubigen, die Eurer Obhut anvertraut sind, "von den schädlichen Pflanzen fernhalten, die Christus nicht hegt, weil sie sein Vater nicht gepflanzt hat".<ref> Ignatius Mart., ep. ad Philadelph. 3.</ref> Prägt den Gläubigen tief ein, dass den Menschen alles wahre Glück aus unserer erhabenen Religion, aus ihrer Lehre und ihrer Praxis zuströmt, und dass jenes Volk glücklich ist, dessen Herr Gott ist.<ref> {{#ifeq: Buch der Psalmen | Quanta cura (Wortlaut) |{{#if: Ps|Ps|Buch der Psalmen}}|{{#if: Ps |Ps|Buch der Psalmen}}}} 143{{#if:15|,15}} EU | BHS =bibelwissenschaft.de">EU | #default =bibleserver.com">EU }} (144) 15. </ref> Lehrt sie, "dass die irdischen Reiche auf dem katholischen Glauben als ihrem Fundament aufruhen;<ref> Coelestin, ep. 22 ad Synod. Ephes.</ref> dass nichts so tödlich, nichts dem Sturz so nahe, nichts den verschiedensten Gefahren so ausgesetzt ist, als zu glauben, es genüge uns der freie Wille, den wir von Geburt in uns haben, ohne weiter etwas vom Herrn erbitten zu müssen, d. h. dass wir, des Schöpfers vergessend, seinem Machtgebot uns entwinden könnten, um uns als frei zu erweisen."<ref> Innozenz I., ep. 29 ad Episc. conc. Carthag., Mansi IV 1283. PL XX 582. </ref> Unterlasst auch nicht zu lehren, "dass die Herrschergewalt nicht nur zur Leitung der Welt verliehen wurde, sondern besonders auch zum Schutze der Kirche,<ref> Leo I. ep.156, PL LIV 1130. </ref> dass nichts den Staatslenkern und Königen größeren Nutzen, größeren Ruhm bringen kann, als wenn sie", wie Unser weiser und tapferer Vorgänger, der hl. Felix, eindringlich dem Kaiser Zeno schrieb, "der katholischen Kirche freien Rechtsgebrauch zugestehen und nicht dulden, dass irgend jemand ihrer Freiheit schade... Denn es ist sicher für sie heilsam, wenn sie in göttlichen Dingen nach Gottes Gebot ihren Herrscherwillen den Priestern Christi unterzuordnen, statt ihn durchzusetzen trachten."<ref> Pius VII., Enzyklika Diu satis, 15. Mai 1800. </ref>

3. Ermunterung der Gläubigen zu vertieftem religiöösen Leben und zum Gebet

9. Wenn aber je, Ehrwürdige Brüder, dann müssen wir uns heute in diesen ungeheuren Bedrängnissen von Kirche und Staat, bei dieser maßlosen Verschwörung der Feinde gegen die katholische Kirche und den Apostolischen Stuhl, bei dieser Überflut von Irrtümern, mit Vertrauen an den Thron der Gnade wenden, um von Gott Barmherzigkeit und das Geschenk wirksamer Hilfe zu erlangen. Aus diesem Grunde halten Wir es für angebracht, die Frömmigkeit aller Gläubigen anzuregen, damit sie mit Uns und mit Euch unablässig, inständig und demütig zum milden Vater des Lichtes und der Barmherzigkeit flehen, tiefgläubig ihre Zuflucht nehmen zu unserem Herrn Jesus Christus, der uns mit seinem Blut erkauft hat, und sein göttliches Herz, das Opfer glühender Liebe zu uns, beschwören, er möge alle Menschen mit seiner heiligen Liebe entzünden, nach seinem Herzen würdig und in allem gottgefällig wandeln und in guten Werken reiche Frucht bringen lassen. Da die Bitten der Menschen zweifellos dann Gott angenehmer sind, wenn sie mit reiner, makelloser Seele sich ihm nahen, so haben Wir beschlossen, den Christgläubigen mit apostolischer Freigebigkeit die Unserer Verwaltung anvertrauten himmlischen Schätze der Kirche zu öffnen. Die Gläubigen mögen, auf diese Weise zu vertiefter Frömmigkeit angeregt und durch das Bußsakrament von den Makeln der Sünde gereinigt, ihre Bitten mit größerem Vertrauen Gott vortragen und so sein Erbarmen und seine Gnade erlangen.

10. Durch dieses Schreiben erteilen Wir deshalb in Unserer Apostolischen Machtvollkommenheit allen und jedem Gläubigen beiderlei Geschlechts in der ganzen katholischen Welt einen vollkommenen Jubiläumsablass während eines Monats im Laufe des Jahres 1865 nach der von Euch, Ehrwürdige Brüder, und den übrigen rechtmäßigen Ortsoberhirten zu treffenden Bestimmung. Wir gewähren diesen Ablass in der Art und Weise, wie dies zu Anfang Unseres Pontifikates geschehen ist, und zwar durch Unser Apostolisches Schreiben in Form eines Breve vom 20. November 1846, das an den gesamten Episkopat der Welt gesandt wurde und mit den Worten "Arcano divinae providentiae consilio" beginnt, mit all den Vollmachten, die durch jenes Schreiben von Uns gegeben wurden. Es soll auch alles beobachtet werden, was in dem genannten Breve vorgeschrieben wurde, und es soll ausgenommen sein, was Wir als solches erklärten. Und dies gewähren wir unbeachtet all der Gegengründe, die etwa in irgendeiner Weise in gegenteiligem Sinn angeführt werden könnten, auch wenn diese eine ausdrückliche Erwähnung oder Nichtigkeitserklärung verdienen würde. Damit jeder Zweifel und jede Auslegungsschwierigkeit ausgeschaltet werde, verordnen Wir, dass Euch ein Exemplar jenes Schreibens übersandt werde.

11. "Flehen wir, Ehrwürdige Brüder, aus tiefstem Grund des Herzens und der Seele zur Barmherzigkeit Gottes; denn Gott hat uns dazu aufgefordert, indem er sagt: Ich werde ihnen meine Barmherzigkeit nicht entziehen. Bitten wir und wir werden empfangen; und wenn die Erhörung vielleicht geraume Zeit auf sich warten lässt, weil wir ihn schwer beleidigt haben, so lasst uns anklopfen, weil dem Anklopfenden geöffnet wird, wenn nur unsere Gebete, Seufzer und Tränen, in denen wir inständig ausharren müssen, an der Pforte hörbar werden und das Gebet einmütig ist ... Ein jeder bitte Gott nicht für sich allein, sondern für alle Brüder, wie der Herr uns zu beten gelehrt hat."<ref>Cyprian, Ep. VII. </ref> Damit aber Gott Unsern und Euren Gebeten und Wünschen und denen aller Gläubigen geneigter sei, lasst uns in vollem Vertrauen als Fürsprecherin bei ihm die unbefleckte und heilige Gottesmutter und Jungfrau Maria erwählen, die alle Häresien in der ganzen Welt vernichtet hat und als unser aller gute Mutter "gütig und voller Barmherzigkeit allen zugänglich ist und sich gegen alle gnädig zeigt und sich mit umfassender Liebe aller erbarmt",<ref>Bernhard, Serm. de duodecim praerogativis B. M. V. ex verbis Apocalyp. </ref> die, als Königin zur Rechten ihres Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus, sitzend, strahlend in goldenem Gewand und in reichem Schmuck, alles von dem Herrn zu erhalten vermag. Flehen wir auch um die Fürbitte des heiligen Petrus, des Apostelfürsten, und seines Mitapostels Paulus und aller Heiligen des Himmels, die schon Freunde Gottes geworden und in das himmlische Reich gelangt sind, wo sie, mit der Krone geschmückt, die Siegespalme tragen und, ihrer eigenen Unsterblichkeit gewiß, sich um unser Heil sorgen.

12. Indem Wir innigst von Gott für Euch die Fülle aller seiner himmlischen Gaben erflehen, erteilen Wir aus ganzem Herzen als Unterpfand Unserer besonderen Liebe Euch, Ehrwürdige Brüder, allen Geistlichen und den Eurer Obhut anvertrauten Gläubigen Unsern Apostolischen Segen.

Gegeben zu Rom bei Sankt Peter am 8. Dezember 1864,

dem zehnten Jahrestag der Verkündigung des Dogmas von der unbefleckten Empfängnis der jungfräulichen Gottesmutter Maria,
im neunzehnten Jahr unseres Pontifikats.

Pius IX. Papst

Siehe auch: Syllabus errorum (Anhang zur Enzyklika)

Weblinks

Anmerkungen

<references />