Nikolaus von Kues: Docta ignorantia

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Von der Wissenschaft des Nichtwissens
Nikolaus von Kues, Entstanden 1440. Erstdruck: [Straßburg 1488].

Quelle: Des Cardinals und Bischofs Nicolaus von Cusa wichtigste Schriften. Freiburg im Breisgau 1862, Der Text folgt der ersten deutschen Übersetzung durch F. A. Scharpff von 1862. Lizenz: Gemeinfrei. Es wurde die deutsche Rechtschreibreform aus dem Jahre 2006 angestrebt.

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Nicolaus von Cusa an den hochehrwürdigen Cardinal Julian, seinen Lehrer

Deinen großen und gepriesenen Geist wird es mit Recht befremden, dass ich, indem ich aus dem Barbarenlande meine Albernheiten (meas barbaras ineptias) allzu unüberlegt zu veröffentlichen wage, Dich um ein Gutachten ersuche (te arbitrum eligo), als hättest Du bei Deiner Stellung am apostolischen Stuhle als Cardinal und bei der angestrengtesten Tätigkeit im öffentlichen Dienste noch einige Muße übrig, oder als könnte Dich, den feinsten Kenner der gesamten lateinischen und nun auch der griechischen Literatur, das Ungewöhnliche des Titels für diese meine vielleicht ganz ungereimte Schrift gewinnen. Meine Geistesrichtung ist Dir längst hinlänglich bekannt. Ich gebe mich der Hoffnung hin, dass nicht so fast der Gedanke, hier bisher Unbekanntes zu finden, als vielmehr das Befremden über die Kühnheit, mit der ich mich an eine Abhandlung über die Wissenschaft des Nichtwissens gewagt, Deine große Wissbegierde zum Einsehen meiner Arbeit bewegen werde. Die Naturlehre sagt uns, dem Appetite gehe eine unangenehme Empfindung im Gaumen vorher, auf dass die Natur bei ihrem Selbsterhaltungstriebe hierdurch angereizt neue Kräfte sammle. So geht wohl auch mit Recht das Staunen, das uns zum Philosophieren anregt (admirari, propter quod philosophari), dem Wissenstriebe vorher, damit unsere Vernunft, der das Begreifen ihr Sein ist, im Streben nach Wahrheit zur Vollkommenheit gelange. Das Seltene fesselt uns, wenn es auch abenteuerlich (monstra) ist. So glaube denn, mein einziger Lehrer! in Deiner Humanität, dass hier etwas Deiner Würdiges verborgen sei und nimm dieses wie immer gestaltete Philosophen eines Deutschen über göttliche Dinge wohlwollend auf! Die große Mühe, die ich darauf verwendet, hat es mir zu einer äußerst lieben Beschäftigung gemacht.

Erstes Buch

Erstes Kapitel:: Unser Wissen ist Nichtwissen

Als Gabe Gottes liegt in allen Dingen, wie wir sehen, ein natürliches Verlangen, auf eine bessere Weise zu existieren, wie es ihr natürlicher Zustand zulässt. Für dieses Ziel sind besonders diejenigen Wesen thätig und mit den geeigneten Hilfsmitteln versehen, denen der Verstand angeboren ist, entsprechend dem Zweck des Erkennens, auf dass jenes Verlangen nicht ein vergebliches sei, sondern in dem Gegenstande des Verlangens durch den Zug (pondere) der eigenen Natur seine Ruhe finde. Geht es etwa anders, so kann dies nur akzidentiell sein, z. B. wenn Kränklichkeit den Gaumen oder die Meinung den Verstand in die Irre führt. Daher sagen wir, die gesunde und freie Vernunft erkenne das Wahre, das sie in einem ihr angeborenen unersättlichen Suchen, Alles durchforschend, zu erreichen strebt, wenn sie es in liebendem Umfassen ergreift (Quamobrem sanum liberum intellectum verum [quod insatiabiliter indito discursu, cuncta perlustrando attingere cupit], apprehensum amoroso amplexu cognoscere dicimus), und wir zweifeln nicht, vollkommen wahr sei das, dem kein gesunder Verstand widersprechen kann. Alle Forschung ermisst aber das Ungewisse durch proportionale Vergleichung mit etwas vorausgesetztem Gewissen. Jede Forschung ist mithin eine vergleichende (comparativa est omnis inquisitio), mittelst einer Proportion. Läßt sich das Gesuchte in nahe liegender Proportion mit dem vorausgesetzten Gewissen in Verbindung bringen, so ergibt sich das (die Wahrheit) erfassende Urteil auf leichte Weise, bedarf es aber einer vielfachen Vermittlung (multis mediis), dann entstehen Schwierigkeiten und Mühe. Bekannt ist dies von der Mathematik, wo die ersten Lehrsätze auf die ersten und ganz bekannten Prinzipien leichter zurückgeführt werden, die spätern Lehrsätze aber schwieriger, weil es nur durch die Vermittlung jener möglich ist. Jedes Forschen bewegt sich also in einer leichten oder schwierigen vergleichenden Proportion nach einem Unendlichen hin, das als Unendliches, indem es sich jeder Proportion entzieht, unbekannt ist. Da die Proportion ein Zusammenstimmen in einem gewissen Einen und zugleich ein Anderssein ist, so lässt sie sich ohne Zahl nicht denken. Die Zahl schließt somit alles Proportionale in sich. Nicht also bloß in der Quantität ist die Zahl, sondern in Allem, was wie immer substantiell oder akzidentiell zusammenstimmen und differieren kann. Deshalb hat wohl Pythagoras gelehrt, Alles werde durch die Kraft der Zahlen geordnet und erkannt. Indessen eine präzise Combination im Körperlichen und eine kongruente Anreihung des Unbekannten an das Bekannte geht über den menschlichen Verstand, weshalb Sokrates meinte, er wisse nichts, außer dass er nichts wisse. Der weise Salomo sagte, alle Dinge seien schwierig und nicht durch Worte zu erklären. Und ein anderer Mann voll des göttlichen Geistes sagt, verborgen sei die Weisheit und die Stätte der Erkenntnis vor den Augen aller Lebenden. Wenn dem so ist, wie auch der tiefdringende Aristoteles in seiner »ersten Philosophie« sagt, dass selbst in den von Natur ganz unbekannten Dingen uns dieselben Schwierigkeiten begegnen, wie der Eule, wenn sie die Sonne sehen will, so geht offenbar, da der Erkenntnistrieb nicht umsonst in uns ist, unser Verlangen dahin, zu wissen, dass wir nichts wissen. Bringen wir dieses Verlangen zur Vollendung, so erlangen wir die Wissenschaft des Nichtwissens (doctam ignorantiam). Auch der Wißbegierigste kann es in seiner Bildung zu keiner höheren Vollkommenheit bringen, als wenn er über die Unwissenheit, die dem Menschen eigen ist, recht unterrichtet erfunden wird (in ipsa ignorantia doctissimum reperiri). Zu dem Ende habe ich mir die Mühe genommen, über eben diese Wissenschaft des Nichtwissens Einiges zu schreiben.

Zweites Kapitel: Einleitender Überblick des Ganzen

Die Erörterung über das größte Nichtwissen erfordert allererst einer Erläuterung der Natur des Größten.

Das Größte ist das, über welches hinaus es nichts Größeres gibt. Die höchste Fülle (abundantia) kommt aber der Einheit zu. Es koinzidiert also mit dem Größten die Einheit, die auch das Sein (entitas) ist. Da diese Einheit von allem Verhältnis und allem Konkreten (contractione) ganz und gar frei ist, so hat sie offenbar keinen Gegensatz. Das absolut Größte ist daher eine Einheit, die Alles ist und in der Alles ist, weil es das Größte ist. Weil es keinen Gegensatz hat, so koinzidiert mit ihm das Kleinste, es ist daher auch in Allem. Weil es absolut ist, so ist es in Wirklichkeit (actu) alles mögliche Sein, ohne durch die Dinge beschränkt zu sein, da alle Dinge von ihm sind.

Dieses Größte, das im einstimmigen Glauben aller Nationen Gott genannt wird, werde ich im ersten Buche in nicht begriffsmäßiger Weise, über den menschlichen Verstand hinausgreifend (supra humanam rationem incomprehensibiliter inquirere laborabo) zu erforschen suchen, unter der Leitung Dessen, der allein in einem unzugänglichen Lichte wohnet.

Wie das absolute Größte das absolute Sein ist, durch welches Alles ist, was ist, so gibt es auch eine universale Einheit des Seins aus jener, die das absolut Größte ist. Sie existiert konkret (contracte) als Universum, dessen Einheit in konkreter Vielheit besteht, ohne welche sie nicht sein könnte. Obwohl dieses Maximum in seiner universalen Einheit Alles umfasst, und Alles, was aus dem Absoluten stammt, in ihm ist und es in Allem, so hat es doch seinen Bestand nicht außer dem Bereiche der Vielheit, da es nicht ohne konkrete Beschränkung (contractione) besteht, von der es sich nicht losmachen kann. Von diesem Maximum, dem Universum, werde ich im zweiten Buche Einiges sagen.

Consequent wird sich dann das Maximum der dritten Betrachtung herausstellen. Denn da das Universum nur ein beschränktes Sein in der Vielheit hat, so werden wir aus dem Vielen Ein Größtes heraussuchen, in dem das Universum auf die größte und vollkommenste Weise actuell, als in seinem Ziele, Subsistenz findet. Dieses muss sich mit dem Absoluten, das der Höhepunkt des Universums (terminus universalis) ist, vereinen, weil es das vollkommenste Ziel sein soll, über alle menschliche Fassungskraft. Von diesem Größten, das zugleich konkret und absolut ist, das wir Jesus, den ewig gepriesenen nennen, will ich im dritten Buche Einiges, soweit mich Jesus selbst hiezu erleuchtet, beifügen. Wer aber meinen Sinn erforschen will, muss über die Wortbedeutung hinaus sich zum geistigen Verständnis erheben und nicht an der eigentlichen Bedeutung der Worte hängen bleiben (oportet potius supra verborum vim intellectum efferre, quam proprietatibus vocabulorum insistere), die zur Bezeichnung solcher Mysterien des Geistes in ihrer gewöhnlichen Bedeutung nicht ausreichen (quae tantis intellectualibus mysteriis proprie adaptari non possunt). Auch Vergleichungen aus der Sinnenwelt muss man zur Anleitung anwenden, indem man sie auf das Geistige überträgt, auf dass der Leser leichter sich zur einfachen Vernunfterkenntnis (ad intellectualitatem simplicem) erhebt. Den Weg hiezu bemühte ich mich auch gewöhnlichen Talenten so deutlich als möglich, mit Vermeidung aller Härte der Darstellung zu zeigen. Zu dem Ende werde ich sogleich zu dem Wurzelbegriff der Wissenschaft des Nichtwissens – die Unmöglichkeit einer präzisen Erfassung der Wahrheit, übergehen.

Drittes Kapitel: Die präzise Wahrheit ist unerfassbar

Da es an und für sich klar ist, dass das Unendliche und Endliche in keiner Proportion zu einander stehen, so ist auch das ganz klar, dass man da, wo sich Ausschreitungen (excedens et excessum) finden, auf ein einfach Größtes nicht kommt, weil die Ausschreitungen endlich sind, das Größte aber als solches notwendig unendlich ist. Nimmt man also irgend einen Gegenstand, der nicht das schlechthin Größte selbst ist, so lässt sich immer ein größerer auffinden. Und da die Gleichheit eine stufenmäßige ist, so dass etwas dem Einen gleicher ist, als dem Andern, nach der generischen, spezifischen, räumlichen, zeitlichen etc. Übereinstimmung und Verschiedenheit, so erhellt, dass nicht Zwei oder Mehrere so ähnlich und gleich sich finden lassen, dass sie nicht unendlich ähnlicher sein könnten. Zwischen dem Mamaßß und dem Gemessenen wird bei der größten Gleichheit immer noch eine Differenz übrig bleiben. Der endliche Verstand kann mithin die Wahrheit der Dinge durch Aufsuchung der Ähnlichkeit (per similitudinem) nicht präzis erkennen. Denn die Wahrheit ist ein nicht Mehr und nicht Weniger, ein gewisses Unteilbare, was von Allem, das nicht die Wahrheit selbst ist, nicht präzis gemessen werden kann, so wenig, was nicht Kreis ist, den Kreis, dessen Sein in einem gewissen Unteilbaren besteht, messen kann. Unser Verstand, der nicht die Wahrheit ist, erfasst daher die Wahrheit nie so präzis, dass nicht ein unendlich präziseres Erfassen möglich wäre, er verhält sich zur Wahrheit wie das Polygon zum Kreise. Mögen auch der Winkel noch so viele gemacht werden, so wird doch das Polygon nie dem Kreise gleich, bis es sich in die Identität mit demselben auflöst. Wir wissen somit von der Wahrheit nichts Anderes, als dass sie in präziser Weise unerfassbar ist. Sie ist die absoluteste Notwendigkeit, die nicht mehr und nicht weniger ist, als sie ist, unser Verstand ist die Möglichkeit. Das Was (quidditas) der Dinge, das die Wahrheit des Seienden ist, bleibt in seiner Reinheit unerreichbar. Alle Philosophen haben es gesucht, aber Keiner, wie es an sich ist, gefunden. Je gründlicher aber unsere Überzeugung von diesem Nichtwissen ist, desto mehr werden wir uns der Wahrheit selbst nähern.

Viertes Kapitel: Das absolut Größte wird nur als unbegreiflich erkannt. Mit ihm koinzidiert das absolut Kleinste

Das einfach und absolut Größte erfassen wir, da es zu groß ist, als dass es von uns begriffen werden könnte, weil es die unendliche Wahrheit ist, nicht anders, denn als unbegreiflich (non aliter quam incomprehensibiliter attingimus). Denn da es nicht von der Natur der Dinge ist, welche Ausschreitungen zulassen, so geht es über alles das hinaus, was wir begreifen können. Was wir nämlich durch Sinne, Verstand (ratione) oder Vernunft (intellectu) erfassen, ist unter sich gegenseitig so verschieden, dass keine präzise Gleichheit stattfindet. Die größte Gleichheit, die von nichts verschieden ist, geht somit über allen Begriff.

Da das absolut Größte alles Das ist, was sein kann, so ist es ganz und gar Wirklichkeit (in actu). Wie es nicht größer sein kann, so auch aus demselben Grunde nicht kleiner, da es alles Das ist, was sein kann. Das Kleinste ist, was nicht mehr kleiner sein kann. Da das Größte eben das ist, so ist klar, dass das Größte und Kleinste koinzidieren. Dies wird dir deutlicher, wenn du beide Begriffe auf das Gebiet der Quantität herüberträgst. Die größte Quantität ist die am meisten (maxime) große, die kleinste – die am meisten kleine. Denke nun die Quantität hinweg, so bleibt das Größte, der Superlativ, in beiden gleich ... Gegensätze kommen daher nur im Gebiete des Konkreten vor (oppositiones igitur his tantum excedens admittunt atque excessum, et his differenter conveniunt, maximo absoluto nequaquam), nicht im absolut Größten, es ist über allem Gegensatz. Es ist eben deshalb über aller Bejahung und Verneinung, Alles, was es nach unseren Begriffen ist, ist es eben so, als dass es dasselbe auch nicht ist (omne id, quod concipitur esse, non magis est, quam non est) und umgekehrt, es ist in der Weise das Einzelne (hoc), dass es zugleich Alles ist, und in der Weise Alles, dass es nichts von Allem ist, und in der Weise am meisten Dieses, dass es dieses auch am wenigsten ist. Sage ich: Gott, die absolute Größe, ist das Licht, so heißt dies nichts Anderes, als: Gott ist am meisten (maxime) Licht, er, der am wenigsten (minime) Licht ist. Das absolut Größte wäre nicht alles Mögliche in Wirklichkeit, wenn es nicht unendlich wäre, der Begriff (terminus) von Allem, aber durch nichts von Allem zu begreifen (terminabilis), wie ich im Folgenden mit Gottes Hilfe zeigen werde. Das geht über unsern Verstand, der Kontradiktorisches auf logischem Wege (via rationis) in seinem (dem Kontradiktorischen) Prinzipe nicht verbinden kann; denn wir stehen auf dem Boden Dessen, was uns die Betrachtung der Natur offenbart, die, weit von der unendlichen Kraft abstehend, ihre unendlichen kontradiktorischen Gegensätze nicht vereinigen kann.

Fünftes Kapitel: Das Größte ist Eines

Ohne Zahl kann die Vielheit der Dinge nicht bestehen; denn ohne Zahl giebt es keine Unterscheidung, Ordnung, Proportion, Harmonie. Wäre die Zahl selbst unendlich, so wäre dasselbe der Fall. Denn dass die Zahl unendlich und dass sie gar nicht ist, kommt auf Eines hinaus. Man kommt daher bei der Zahl in aufsteigender Richtung auf kein absolut Größtes. Wäre bei der absteigenden Richtung dasselbe der Fall, so wäre wieder alle Ordnung, Proportion etc. unmöglich. Man muss daher in der Zahl auf ein Kleinstes kommen, das nicht kleiner sein kann, und dies ist die Einheit. Sie ist als das schlechthin Kleinste mit dem schlechthin Größten identisch; diese Einheit kann nicht selbst Zahl sein, wohl aber ist sie das Prinzip aller Zahl, weil das Kleinste, und das Ende aller Zahl, weil das Größte. Diese absolute Einheit, die keinen Gegensatz hat, ist das absolut Größte – Gott. Sie ist nicht der Vervielfältigung fähig, weil sie Alles ist, was sein kann. Sie kann daher selbst nie Zahl werden. Die Zahl hat uns also zu der Einsicht geführt, Gott sei die absolute Einheit, vermöge welcher er Alles wirklich ist, was sein kann. Wer daher sagte, es gebe mehrere Götter, der würde so viel sagen, als, es gebe keinen Gott und kein Universum...

Sechstes Kapitel: Das Größte ist die absolute Notwendigkeit

Im Vorhergehenden ist gezeigt, dass außer dem Einen Größten Alles endlich und begrenzt ist. Das Endliche und Begrenzte hat notwendig etwas, von dem es seinen Anfang und Begrenzung hat. Und da man nicht sagen kann, jenes absolute Größte sei größer, als ein gegebenes Endliches, da man nicht so ins Unendliche fortsteigen kann, da sonst das Größte von der Natur des Endlichen wäre, so ist das absolut Größte notwendig, als Anfang und Ende alles Endlichen. Überdies könnte nichts sein, wenn jenes nicht wäre. Wäre das Endliche aus sich, so existierte es, bevor es existiert, und in den Ursachen und Prinzipien gibt es, wie die Regel sagt, keinen Regressus in infinitum. Sodann müssen wir sagen: das Größte hat keinen Gegensatz, weder das konkrete Sein, noch das Nichtsein. Wie lässt es sich also denken, das Größte könne nicht sein, da gar nicht sein (minime esse) bei ihm heißt: am meisten sein (maxime esse)? Es lässt sich also kein Sein denken, ohne das Sein. Ferner: die größte Wahrheit ist das absolut Größte. Nun aber die größte alle denkbaren Fälle erschöpfende Wahrheit ist die, dass das absolut Größte entweder sei oder nicht sei, oder sei und nicht sei, oder endlich weder sei noch nicht sei. Welches Glied dieser Disjunction du als das am meisten wahre (maxime verum) bezeichnen magst, so ist der Beweis damit geliefert, denn ich habe jedesmal die größte Wahrheit, die das schlechthin Größte ist. Wenn gleich auch das Wort Sein keine präzise Bezeichnung für das Größte ist, das alle Namen übersteigt, so muss doch dieser Name noch am ehesten ihm zukommen.

Durch diese und unendlich viele ähnliche Beweise vom Standpunkte der Wissenschaft des Nichtwissens erhellt, dass das schlechthin Größte notwendig existiere, weshalb es die absolute Notwendigkeit ist.

Siebentes Kapitel: Von der dreifachen und Einen Ewigkeit

Es hat keine Nation gegeben, die nicht Gott verehrte und an ihn als das absolut Größte glaubte. Wir finden von Minar in den Büchern der Alterthümer aufgezeichnet, dass die Sissenier hauptsächlich die Einheit angebetet. Phythagoras dagegen, zu seiner Zeit von unerschüttertem Ansehen, fasste jene Einheit als eine dreifache auf. Um die Wahrheit hievon zu erforschen, müssen wir den Blick des Geistes erhöhen und nach unsern Prämissen sagen:

Was allem Anderssein vorhergeht, ist ohne Zweifel ewig; denn das Anderssein ist so viel als das Veränderlichsein. Das Anderssein besteht aber aus Einem und einem Andern, es ist daher, wie die Zahl, nach der Einheit; diese geht ihm naturgemäß (naturaliter) voran; sie ist somit ewig. Alle Ungleichheit ist aus einem Gleichen und etwas darüber (excedente), sie geht also der Gleichheit nach; denn sie kann durch Wegnehmen des darüber Hinausgehenden in Gleichheit verwandelt werden. Die Gleichheit geht also naturgemäß der Ungleichheit, die das Anderssein ist, vorher, sie ist also ewig. Die Einheit endlich ist entweder Verbindung (connexio) oder Ursache der Verbindung. Verbunden ist, was zugleich geeint ist. Die Zweiheit dagegen (binarius) ist Trennung oder Ursache der Trennung. Wie nun die Einheit der Natur nach der Zweiheit vorhergeht, so auch die Verbindung der Trennung. Folglich ist die Verbindung, wie die Einheit, ewig.

Nun kann es aber nicht mehrere Ewigkeiten geben, sonst wäre etwas vor der Ewigkeit, was unmöglich ist. Auch würde sonst Eines dem Andern fehlen, und es wäre daher keine der drei Ewigkeiten vollkommen; es wäre etwas ewig, was nicht ewig wäre, da es nicht vollkommen ist. Folglich sind Einheit, Gleichheit und Verbindung Eines (unum). Das ist die Dreieinigkeit, welche Pythagoras, der erste unter allen Philosophen, die Zierde Italiens und Griechenlands, als Gegenstand der Anbetung lehrte. Wir wollen jedoch noch einiges Bestimmtere über die Zeugung (generatione) der Gleichheit aus der Einheit beifügen.

Achtes Kapitel: Von der ewigen Zeugung

Zeigen wir nun ganz kurz, dass aus der Einheit die Gleichheit der Einheit erzeugt werde, und die Verbindung aus der Einheit und der Gleichheit der Einheit hervorgehe.

Die Einheit ist das Sein (unitas dicitur quasi onitas von on = ens, woher entitas). Gott ist das Sein der Dinge, denn er ist das Prinzip des Seins. Die Gleichheit der Einheit ist daher die Gleichheit des Seins, d.i. dass in einem Dinge nicht mehr und nicht weniger ist, nichts darüber, nichts unter seinem Sein. Ist in einem Wesen mehr, so ist es ein Monstrum, ist weniger, so findet keine Zeugung der Gleichheit aus der Einheit statt. Denn Zeugung (generatio) ist Wiederholung der Einheit oder Vermehrung derselben Natur, wie z.B. der Sohn. Diese Zeugung findet sich nur im Irdischen, aber die Zeugung der Einheit aus der Einheit ist Eine Wiederholung der Einheit (una unitatis repetitio) oder die Einheit einmal, wodurch die Einheit kein Anderes, wie bei zwei, drei etc. erzeugt, sondern nur die Gleichheit der Einheit, was nichts Anderes heißen will, als: die Einheit erzeugt die Einheit, und diese Zeugung ist ewig.

Neuntes Kapitel: Von dem ewigen Hervorgehen der Verbindung

Wie die Zeugung der Einheit aus der Einheit eine einmalige Wiederholung der Einheit ist, so ist das Hervorgehen aus Beiden die Einigung (unitio) der Wiederholung jener Einheit, oder besser: die Einigung der Einheit und der Gleichheit der Einheit. Sie heißt ein Hervorgehen (processio), weil sie gleichsam eine Ausdehnung von Einen auf das Andere ist. Wenn zwei Dinge gleich sind, so breitet sich gleichsam die Gleichheit von dem einen auf das andere aus, sie verbindet und verknüpft sie. Mit Recht sagt man daher, die Verbindung gehe aus der Einheit und Gleichheit der Einheit hervor, denn die Verbindung (connexio) bezieht sich nicht bloß auf eines, sondern die Einheit geht aus der Einheit in die Gleichheit und von der Gleichheit der Einheit in die Einigung (unitionem) hervor. Sie dehnt sich also von dem einen in das andere aus. Nicht von einem Gezeugtwerden aus der Einheit oder der Gleichheit der Einheit sprechen wir bei jener Verbindung, weil sie nicht aus der Einheit durch Wiederholung oder Vermehrung entsteht. Wiewohl die Gleichheit der Einheit aus der Einheit gezeugt wird und aus Beidem die Verbindung hervor geht, so ist doch Einheit, Gleichheit der Einheit und aus beiden hervorgehende Verbindung Eines und Dasselbe, wie wenn man von demselben Gegenstande sagt: hoc, id, idem.

Wenn unsere Kirchenlehrer die Einheit den Vater, die Gleichheit den Sohn, die Verbindung den hl. Geist genannt haben, so haben sie hiebei auf die Ähnlichkeit mit irdischen Verhältnissen Rücksicht genommen. Denn in dem Vater und Sohn ist eine gewisse Gemeinsamkeit der Natur, welche Eine ist (quaedam communitas naturae, quae una est), so dass der Sohn dem Vater in der Natur gleich ist. Denn es ist nicht mehr oder weniger Menschheit in dem Sohne, als in dem Vater (nihil enim magis vel minus humanitatis est in filio, quam in patre), und es besteht unter ihnen eine gewisse Verbindung. Denn eine natürliche Liebe verbindet den einen mit dem andern, wegen der Ähnlichkeit (similitudinem) derselben Natur, die vom Vater auf den Sohn übergeht. Deshalb liebt er den Sohn mehr, als einen Andern, der mit ihm in der Menschheit übereinstimmt (secum in humanitate convenientem). Dies ist meiner Ansicht nach, gemäß der pythagoreischen Forschung, die klarste Auffassung der Dreiheit in der Einheit und der Einheit in der Dreiheit.

Zehntes Kapitel: Das Verständnis der Dreiheit in der Einheit geht über alle Begriffe

Untersuchen wir nun, was Martianus wollte, wenn er sagte, eine Philosophie, die sich zum Verständnisse dieser Dreieinigkeit erheben wolle, müsse zuvor Kreise und Sphären aufgegeben haben (evomuisse). Es ist oben gezeigt, dass es nur Ein einfachstes Größtes giebt. Es ist nicht die vollkommenste körperliche Figur – die Kugel, nicht Kreis, nicht Dreieck, nicht Linie, sondern über alles dieses hinaus. Man muss daher, was Sinn, Einbildung oder Verstand darbietet, aufgeben, um zu der einfachsten und abstraktesten Vernunfteinsicht (intelligentia) zu gelangen: Alles ist Eines; die Linie ist Dreieck, Kreis und Kugel, die Einheit Dreiheit u.s.f., das Akzidenz Substanz, der Körper Geist, die Bewegung Ruhe etc. Dann erkennen wir, dass Jegliches in dem Einen Eines ist und das Eine Alles und folgerichtig Jegliches in ihm Alles. Namentlich hat man nicht vollständig Kugel, Kreis etc. aufgegeben, so lange man nicht zur Einsicht gelangt, die größte Einheit sei notwendig dreieinig. Die Einheit des vernünftigen Erkennens (intellectus) besteht in dem Erkennenden, dem Erkennbaren und dem Erkennen. Willst du dich nun von dem Erkennenden zum absolut Größten erheben und sagen, es sei das am meisten Erkennende, dabei aber nicht beifügen, es sei auch das am meisten Erkennbare und das höchste Erkennen, so hättest du keine rechte Auffassung der größten und vollkommensten Einheit. Die Einheit schließt ferner die Unteilbarkeit, Unterscheidung und Verbindung in sich, da alle drei aus der Einheit stammen; die größte Einheit ist mithin alle drei zumal. Als Unteilbarkeit ist sie die Ewigkeit ohne Anfang, wie denn das Ewige von Nichts getrennt oder geschieden ist; als Unterscheidung ist sie aus der unveränderlichen Ewigkeit, als Verbindung geht sie aus Beiden hervor. Folglich, indem ich sage: die Einheit ist die größte, spreche ich damit die Trinität aus. Mit dem Worte: Einheit bezeichne ich den Anfang ohne Anfang (prinzipium sine prinzipio), mit dem Worte: »größte« den Anfang aus dem Anfang, mit der Copula »ist« – das Hervorgehen aus Beiden.

Ich sagte oben, im Größten sei die Linie zugleich Oberfläche, Kreis und Kugel. Um nun deinen Geistesblick zu schärfen, will ich dich zu der Einsicht dieses Satzes erheben, die dir dann, wenn du dich von den (mathematischen) Figuren zur geistigen Wahrheit selbst erhebst, einen überaus großen Genuß gewähren wird, und du wirst auf diesem Wege in der Wissenschaft des Nichtwissens große Fortschritte machen.

Elftes Kapitel: Die Mathematik ist ein treffliches Hilfsmittel im Erfassen göttlicher Wahrheiten

Alle unsere weisen und frommen Kirchenlehrer sagen einstimmig, die sichtbaren Dinge seien Abbilder der unsichtbaren Welt, der Schöpfer könne auf diesem Wege wie in einem Spiegel und Räthsel erkannt werden. Dass aber die geistigen, an sich von uns unerfassbaren Dinge auf dem Wege des Symbols von uns erkannt werden, hat seinen Grund in dem oben Gesagten, weil alle Dinge in einem uns freilich unbekannten Verhältnis zu einander stehen, so dass aus allen das Eine Universum sich herausstellt, und Alles in dem Einen Größten das Eine selbst ist. Und wiewohl jedes Abbild dem Urbilde ähnlich ist, so ist doch außer dem größten Abbilde, welches dasselbe, was das Urbild ist, in der Einheit der Natur kein Abbild so ähnlich oder auch gleich, dass es nicht unendlich ähnlicher oder gleicher sein könnte. Bedient sich nun unser Forschen des Abbildes, so darf natürlich hinsichtlich des Abbildes kein Zweifel obwalten, da der Weg zum Ungewissen nur durch das vorausgesetzte Gewisse geht. Nun bewegt sich aber alles Sinnliche wegen der in ihm überwiegenden materiellen Möglichkeit in einem gewissen beständigen Schwanken. Dagegen hat das Abstrakte (abstractiora istis), nicht als ob es der materiellen Zuthat, ohne welche es sich nicht vorstellen lässt, ganz und gar entbehrte, große Festigkeit und Gewissheit, wohin die Sätze der Mathematik gehören. Daher haben die Philosophen in ihnen eine Anleitung zur philosophischen Forschung (exempla indagandarum rerum) gefunden; Keiner von den berühmten Alten hat schwierige Untersuchungen anders als mittelst der Ähnlichkeiten, welche die Mathematik darbietet, angestellt. So lehrte Boëtius, der berühmte römische Gelehrte, Niemand könne es in den göttlichen Dingen zu einer Wissenschaft bringen, der keine Übung in der Mathematik habe. Setzte nicht Pythagoras, der erste Philosoph dem Namen und der That nach, alle Untersuchung der Wahrheit in das Verständnis der Zahl? Ihm folgten die Platoniker und die ersten christlichen Philosophen in dem Grade, dass unser Augustin und nach ihm Boëtius behaupteten, die Zahl sei im Geiste des Schöpfers das Urbild der zu erschaffenden Dinge gewesen. Wie konnte uns Aristoteles, der durch Widerlegung seiner Vorgänger als einzig dastehen wollte, in der Mathematik anders die Differenz der Arten lehren, als, indem er sie mit den Zahlen verglich? Indem er uns über die Gestalt der Naturwesen und wie eine in der andern enthalten ist, belehren wollte, nahm er zu den mathematischen Formen seine Zuflucht, wenn er sagte: wie das Dreieck in dem Viereck, so ist das Niedere in dem Höheren enthalten, um nichts von unzähligen andern Vergleichungen zu sagen ... Hat nicht die Lehre der Epikuräer von den Atomen und vom leeren Raume, eine Ansicht, die Gott leugnet und alle Wahrheit aufhebt, nur durch den mathematischen Beweis der Pythagoräer und Peripatetiker ihre Widerlegung gefunden, indem sie zeigten, man könne nicht auf unteilbare und einfache Atome kommen, die Epikur als Prinzip annahm? Auf diesem Wege der Alten also, mit ihnen vorgehend, sagen wir, dass wir uns, da man einmal zum Göttlichen nur mittelst der Symbole gelangen kann, der mathematischen Zeichen wegen ihrer unzerstörbaren Gewissheit am Passendsten bedienen können.

Zwölftes Kapitel: Wie man sich der mathematischen Zeichen für den vorliegenden Zweck zu bedienen habe

Da aus dem Früheren bekannt ist, dass das schlechthin Größte nicht zu dem gehört, was wir wissen oder erfassen, so muss man, wenn man es auf dem Wege des Symbols erforschen will, über die Ähnlichkeit hinausgehen (transilire). Da alle mathematischen Zeichen endlich sind, so muss man zuerst die mathematischen Figuren mit den Veränderungen, die sie zulassen (cum suis passionibus), als endliche betrachten, sodann die endlichen Verhältnisse entsprechend auf derlei unendliche Figuren übertragen, endlich diese Verhältnisse der unendlichen Figuren auf das schlechthin Unendliche, das von jeder Figur frei ist, übertragen. Dann wird unser Nichtwissen auf eine unbegreifliche Weise belehrt werden, wie wir, die wir in räthselhaftem Erkennen uns abmühen (nobis in aenigmate laborantibus), über das Höchste mit mehr Wahrheit urteilen können. So verglich der fromme Anselm die höchste Wahrheit mit der unendlichen Linie; nach seinem Vorgange bringe ich die Linie der Geradheit als gerade Linie in Anwendung. Andere haben die hochheilige Trinität mit einem Dreieck von drei gleichen Seiten und rechten Winkeln verglichen. Und weil ein solches Dreieck notwendig unendliche Seiten hat, so ist es ein unendliches Dreieck. Wir folgen auch dieser Auffassung. Wieder Andere wollten die unendliche Einheit darstellen und nannten Gott den unendlichen Kreis. Diejenigen endlich, welche die höchste Wirksamkeit (aetualitatem) Gottes darstellen wollten, bezeichneten Gott als die unendliche Kugel. Ich werde zeigen, dass sie Alle zusammen eine richtige Auffassung Gottes gehabt und Alle Ein und Dasselbe gedacht haben.

Dreizehntes Kapitel: Von den möglichen Veränderungen (de passionibus) der größten und unendlichen Linie

Ich sage also: gäbe es eine unendliche Linie, so wäre sie ein Dreieck, Kreis und Kugel; ebenso, gäbe es eine unendliche Kugel, so wäre sie Dreieck, Kreis und Linie; das Gleiche gilt vom unendlichen Dreieck und Kreise.

(Bild: Von den möglichen Veränderungen [de passionibus] der größten und unendlichen Linie)

Fürs Erste erhellt, dass die unendliche Linie eine gerade ist. Denn der Durchmesser eines Kreises ist eine gerade Linie, die Peripherie eine krumme, größer als der Durchmesser. Wenn nun diese krumme Linie kleiner wird, je größer der Kreis ist, so ist die Peripherie des größtmöglichsten Kreises gar nicht krumm, folglich ganz gerade; es koinzidiert also das Kleinste mit dem Größten, wie aus der hier stehenden Figur erhellt. Fürs Zweite, um zu zeigen, dass die Linie das größte Dreieck, Kreis und Kugel sei, müssen wir sehen, was aus der endlichen Linie werden kann (quid sit in potentia lineae finitae); was sie werden kann, ist die unendliche Linie wirklich (actu). Erstens wissen wir, dass die endliche Linie länger und gerader sein kann, und es ist bereits gezeigt, dass die größte Linie die längste und geradeste ist. Zweitens, wenn die Linie a b um den festen Punkt a so herumbewegt wird, bis b zu c kommt, so entsteht ein Dreieck. Wird die Umdrehung vollendet, bis b zu seinem Anfang zurückkehrt, so entsteht ein Kreis. Wird endlich b zu seinem entgegengesetzten Punkte, d, gebracht, so entsteht ein Halbkreis; und wird nun dieser Halbkreis um den unbeweglichen Durchmesser b d herumbewegt, so entsteht die Kugel. In ihr gelangt die Potenz der Linie zur letzten und vollsten Entfaltung. Ist nun die unendliche Linie Alles actu, was die endliche in der Potenz ist, so folgt, dass sie Dreieck, Kreis und Kugel zugleich ist, was zu beweisen war.

Ich werde jedoch noch deutlicher im Folgenden zeigen, dass, was in der Potenz endlich, in Wirklichkeit unendlich ist.

Vierzehntes Kapitel: Die unendliche Linie ist Dreieck

Was die Vorstellung (imaginativa), die über das Sinnliche nicht hinauskommt, nicht fassen kann, die Linie könne ein Dreieck sein, ist der Vernunft leicht verständlich.

Nach einem geometrischen Lehrsatz können von einem Dreieck, dessen eine Seite eine unendliche ist, die beiden andern zusammen nicht kleiner sein. Weil nun jeder Teil des Unendlichen unendlich ist, so müssen auch diese beiden andern Seiten unendlich sein. Da es nun aber nicht mehrere Unendliche geben kann, so kann das unendliche Dreieck nicht aus mehreren Linien zusammengesetzt sein. Es ist daher Eine unendliche Linie, aber als wahres Dreieck hat es doch drei Linien: Eine Linie sind Drei und Drei Eine. Ebenso verhält es sich mit den Winkeln: es ist nur Ein unendlicher Winkel und dieser ist drei Winkel und drei Winkel sind Einer. Das größte Dreieck ist nicht aus Seiten und Winkeln zusammengesetzt, sondern die unendliche Linie und Winkel ist Ein und Dasselbe. Denkt man sich den einen der drei Winkel bis zu 2 R erweitert, so jedoch, dass das Dreieck bleibt, so fällt das Dreieck zu einer Linie zusammen und es ist nur Ein Winkel, der zugleich die drei Winkel darstellt. Im Konkreten ist dies freilich unmöglich, aber übergetragen auf das höhere Gebiet, wo das Quantum aufhört, sehen wir die Notwendigkeit hievon ein.

Fünfzehntes Kapitel: Das unendliche Dreieck ist Kreis (und Kugel)

Das unendliche Dreieck ist Kreis (und Kugel)

(Bild: Das unendliche Dreieck ist Kreis [und Kugel])

Denkt man sich das Dreieck a b c, entstanden durch Herumführen der Linie a b von dem festen Punkte a bis zu c, so müsste, wenn a b eine unendliche Linie ist und b ganz zu seinem Anfang herumbewegt wird, ein größerer Kreis entstehen, von welchem b c ein Teil ist. Weil Teil eines unendlichen Bogens, so wäre b c eine gerade Linie, und da jeder Teil des Unendlichen unendlich ist, so wäre b c nicht mehr bloß ein Teil, sondern der ganze Umkreis. Da ferner b c eine gerade Linie ist, so ist die unendliche Linie a b nicht größer, da es im Unendlichen kein Mehr oder Weniger gibt, und aus demselben Grunde sind es keine zwei Linien. Es ist folglich die unendliche Linie, die Dreieck ist, auch Kreis.

Endlich: die Linie a b ist die Peripherie des größten Kreises, ja selbst, wie bewiesen ist, ein Kreis. Sie ist aus b nach c geführt, b c aber, wie ebenfalls bewiesen ist, eine unendliche Linie. Daher kehrt a b in c zurück, nachdem es sich um sich selbst bewegt hat, aus welcher Bewegung die Kugel entsteht. Es ist somit die unendliche Linie auch Kugel.

Sechzehntes Kapitel: Das Größte verhält sich zu Allem, wie die größte Linie zu den Linien

Nachdem wir nun gezeigt haben, dass die unendliche Linie Alles in unendlicher Wirklichkeit ist, was die endliche der Potenz nach ist, sagen wir mit Übertragung auf das absolut Größte, dass es in Wirklichkeit (actu) im höchsten Grade Alles ist, was in der Potenz des absoluten einfachsten Wesens liegt. Was möglich ist, ist das Größte in Wirklichkeit auf die größte Weise, nicht sofern es aus dem Möglichen ist, sondern sofern es dies im höchsten Grade ist (non ut ex possibili est, sed ut maxime est), wie aus der Linie das Dreieck entsteht (educitur). Die unendliche Linie ist aber nicht ein Dreieck, wie es aus einer endlichen Linie entsteht, sondern in Wirklichkeit das unendliche Dreieck, das mit der (unendlichen) Linie Eins ist. Sodann ist die absolute Möglichkeit im Größten nicht etwas Anderes (non aliud), als das Größte in Wirklichkeit selbst, wie die unendliche Linie die Kugel in Wirklichkeit ist. Aus dem Obigen folgt auch die wichtige philosophische Wahrheit, dass im Größten das Kleinste das Größte ist und dass es über allen Gegensätzen steht. Ja, die ganze Gotteslehre, so weit sie von uns erkennbar ist, folgt aus unserm Prinzipe, weshalb der große Erforscher der göttlichen Dinge, Dionysius der Areopagite in seiner mystischen Theologie sagt, der selige Barptolemäus habe die Theologie meisterhaft verstanden, indem er sage, dieselbe sei die größte und kleinste zugleich; denn wer dies versteht, versteht Alles, er geht über den natürlichen Verstand hinaus. Denn Gott, das absolut Größte, ist nicht Dieses und ein Anderes nicht, er ist nicht da und dort nicht, sondern gleichwie Alles, so auch nichts von Allem. Eben deshalb ist er unbegreiflich, nur er begreift sich selbst. Dionysius suchte von keinem andern Prinzipe aus, als dem unsrigen, zu zeigen, dass Gott nur durch die Wissenschaft des Nichtwissens gefunden werde. In Anwendung dieses Prinzips müssen wir sagen: Gott ist die einfachste Wesenheit (essentia) von allen Wesenheiten; alle sind, was sie sind, waren oder sein werden, actuell und ewig nur in ihm. Die Wesenheit von Allem ist in der Art eine jede, dass sie zugleich Alle ist (ita est quaelibet, quod simul omnes), und keine besonders. Die größte Wesenheit ist wie die unendliche Linie das adäquateste Maß von allen.

Siebenzehntes Kapitel: Folgerungen voll tiefer Weisheit

Die endliche Linie ist teilbar, die unendliche nicht, allein die endliche ist nicht teilbar in eine Nichtlinie, daher ist die endliche Linie im Wesen der Linie (in ratione lineae) unteilbar, denn die Linie eines Schuhes ist eben so gut Linie, als die eines Kubikfußes. Hieraus folgt, dass die unendliche Linie der rationelle Grund (ratio) der endlichen ist. So ist denn auch das Größte der rationelle Grund (ratio) von Allem und als solcher das Maß von Allem. Mit Recht sagt daher Aristoteles in der Metaphysik, das Erste sei das Maß von Allem, weil der Grund von Allem. Ferner: wie die unendliche Linie unteilbar, deshalb auch ewig und unveränderlich ist, so auch Gott als der Grund von Allem. Hier zeigt sich wieder der Geist des großen Dionysius, wenn er sagt, das Wesen der Dinge sei unzerstörbar. Der göttliche Plato sagte mit den Worten des Calcidius im Phädon, Eines sei das Urbild oder die Idee von Allem, so ferne es in sich ist, in Hinsicht aber auf die Vielheit der Dinge scheint es mehrere Urbilder zu geben. Allein wenn ich eine Linie von 2 und eine andere von 3 Fuß habe, so ist das Wesen der Linien in beiden gleich, die Verschiedenheit bezieht sich auf die Länge. In der unendlichen Linie fällt diese Verschiedenheit weg und nur der rationelle Grund der Linie bleibt in ihr für beide. Beide haben somit Einen rationellen Grund; nicht in diesem liegt der Grund ihrer Verschiedenheit, sondern darin, dass nicht beide auf vollkommen gleiche Weise an jenem Einen Grunde participiren können. Eben hieraus erhellt auch, warum dieser rationelle Grund aller Linien insofern ganz in jeder ist, als er in keiner besonders ist, weil er im letzten Falle nicht mehr das absolute Maß aller sein könnte. Es ist daher die unendliche Linie in jeder Linie ganz, so dass jede in ihr ist, und diese beiden Sätze sind in ihrer Verbindung (conjunctim) aufzufassen. Sagen wir daher: das Größte ist in jedem und in keinem Dinge, so heißt dies nichts Anderes, als: da das Größte in demselben Verhältnisse (ratione) in jedem Dinge ist, in welchem jedes Ding in ihm ist und es dieses Verhältnis selbst ist (et sit ipsamet ratio) so ist das Größte in sich selbst. Kein Ding ist also in sich selbst, sondern nur das Größte, jedes Ding ist nur in seinem rationellen Grunde in sich selbst, weil dieser Grund das Größte ist.

Auf diesem Wege kann die Vernunft durch Vergleichung des Größten mit der unendlichen Linie sich helfen und im Heiligthum des Nichtwissens (in sacra ignorantia) große Fortschritte machen; denn das sehen wir nun klar, dass wir Gott nur durch Entfernung der Participation aller Dinge finden. Alles participirt an dem Sein. Nehmen wir dieses Participiren hinweg, so bleibt das einfachste Sein selbst, die Wesenheit der Dinge übrig. Der große Dionysius sagt, die Erkenntnis Gottes führe mehr zum Nichts, als zu Etwas hin. Das heilige Nichtwissen belehrt uns aber, dass, was der Vernunft Nichts zu sein scheint, eben das unbegreiflich Größte ist.

Achtzehntes Kapitel: Das Bisherige führt uns auch zum Verständnisse des Participirens an dem Sein

Lebhaft durch das Bisherige angeregt, forscht unser unersättlicher Erkenntnistrieb mit größter Lust weiter, wie er sich das Participiren an dem Einen Größten noch deutlicher denken möge, und indem er wieder die Vergleichung mit der unendlichen, der geradesten Linie zu Hilfe zieht, sagt er:

Die krumme Linie, die ein Mehr oder Weniger zulässt, kann nicht die absolut größte sein, sie ist als krumme Linie an sich nichts, weil das Krumme der Abfall vom Geraden ist. Das Sein der krummen Linie rührt also von der Teilnahme an der geraden Linie her, denn die absolut größte oder kleinste Krümmung ist eben das Gerade. In ähnlicher Weise participiren nun die Dinge an dem Sein, wie das Krumme am Geraden. Wie aber die gerade endliche Linie einfacher und unmittelbarer, die krummen aber vermittelst der geraden an der unendlichen Linie participiren, so ist es auch bei den wirklichen Dingen, woraus sich der Unterschied von Substanz und Akzidenz und der größere oder geringere Werth der Substanzen und Accidenzen ergibt. Das adäquateste Maß für beide ist das Größte, das eben deshalb selbst weder Substanz noch Akzidenz ist, indeß doch eher den Namen von dem unmittelbar am Sein Participirenden, der Substanz, entlehnt und daher mit dem großen Dionysius das mehr als Substanziale d.i. das Supersubstantiale genannt wird.

Neunzehntes Kapitel: Übertragung des Dreiecks auf die Trinität des Größten

Lassen wir uns nun über den Satz: »Die größte Linie ist das größte Dreieck« durch unser System des Nichtwissens belehren! Die größte Linie ist ein Dreieck, und weil die größte Linie die einfachste ist, so ist sie das einfachste Dreifache (trinum) und jeder Winkel des Dreiecks eine Linie, da das ganze Dreieck Linie ist. Die unendliche Linie ist also dreifach, und da es nicht mehrere unendliche geben kann, ist diese Dreiheit Einheit. Ferner: da der der größern Seite entgegenstehende Winkel größer und hier von einem Dreieck die Rede ist, das unendliche Seiten hat, so sind die Winkel die größten und unendlich. Einer ist daher nicht kleiner, als die andern, noch zwei zusammen größer als der dritte. Einer ist daher im andern, und alle drei sind das Eine Größte. Sodann: wie die größte Linie nicht mehr Linie ist, als Dreieck, Kreis oder Kugel, sondern in Wahrheit alles dieses ist, ohne Zusammensetzung, so ist auch das Größte wie die größte Linie, und dies können wir die Wesenheit nennen, wie das größte Dreieck, – das ist die Dreieinigkeit, wie der größte Kreis – die Einheit, wie die größte Kugel – die höchste Wirksamkeit. Die Wesenheit ist nichts Anderes, als die Dreieinigkeit, diese nichts Anderes, als die Einheit etc. Wir haben hier nicht einen Winkel, dann noch einen und endlich einen dritten, wie bei endlichen Dreiecken, die etwas Zusammengesetztes sind, sondern das Eine ist ohne Vervielfältigung dreifach (unum triniter est). Mit Recht sagt daher der gelehrte Augustin: so wie du anfängst die Dreieinigkeit zu zählen, so verlierst du die Wahrheit. In den göttlichen Dingen muss man in einem einfachen Begriffe, so weit es nur immer möglich ist, die Gegensätze in Eins zusammenfassen, indem man ihrem Auseinanderfallen in Gegensätze zuvorkommt. (Oportet enim in divinis simplici conceptu, quantum hoc possibile est, complecti contradictoria, ipsa antecedenter praeveniendo.) So darf man in den göttlichen Dingen nicht Unterscheiden und Nichtunterscheiden als zwei Gegensätze (contradicentia) auffassen, sondern muss sie a priori (antecedenter) in ihrem einfachsten Prinzip fassen, wo Unterscheiden und Nichtunterscheiden noch nicht etwas Verschiedenes sind; dann versteht man, dass Dreiheit und Einheit Dasselbe sind. Denn wo Unterscheiden zugleich Nichtunterscheiden ist, da ist die Dreiheit Einheit, und umgekehrt: wo Nichtunterscheiden zugleich Unterscheiden ist, da ist die Einheit Dreiheit. So verhält es sich auch mit der Mehrheit der Personen und der Einheit des Wesens; denn wo Mehrheit Einheit ist, ist die Dreiheit der Personen dasselbe, wie die Einheit des Wesens, und umgekehrt: wo die Einheit Mehrheit ist, ist die Einheit des Wesens Dreiheit in den Personen. Klar sieht man dies an unserem Beispiele, wo die einfachste Linie Dreieck ist und das einfachste Dreieck eine Linie. Man sieht hier auch, dass man die Winkel dieses Dreiecks nicht zählen kann, denn jeder ist in jedem, wie der Sohn sagt: »ich im Vater und der Vater in mir.«...

Zwanzigstes Kapitel: Fortsetzung; Vierheit etc. ist im Göttlichen nicht möglich

Das Dreieck ist die einfachste Figur, auf welche jedes Polygon reducirt werden kann. Das absolut größte, oder was dasselbe ist, das absolut kleinste Dreieck fasst alle möglichen Polygone in sich; die vier- und mehrseitige Figur ist also nicht die kleinste, weil die dreiseitige kleiner als sie ist, sie ist folglich auch nicht ohne Zusammensetzung. Es kann mithin dem Größten als dem Einfachsten, das nur mit dem Kleinsten koinzidiert, die vier- und mehrseitige Figur, die stets zusammengesetzt ist, nicht correspondiren, sie könnte auch unmöglich das adäquateste Maß der Dreiecke sein. So wie daher nur das Dreieck die nächst höhere Potenz der Linie ist für alle rechtwinklichten, der Kreis für alle kreisförmigen Flächen, die Kugel für alle Breiten und Tiefen, diese aber, unendlich gedacht, Eines sind, und weitere Potenzen der Linie unmöglich, so ist auch in dem Größten keine Vierheit oder Vielheit möglich, sondern die Dreiheit, welche Einheit, ist das einzige und adäquateste Maß aller Dinge. Dahin gehören alle Tätigkeiten, die sich in Potenz, Gegenstand und Wirksamkeit verlaufen, alle Operationen des Erkennens, alle Tätigkeit der Natur, die aus einem Wirkenden, Leidenden und dem Resultate aus beiden besteht.

Einundzwanzigstes Kapitel: Übertragung des unendlichen Kreises auf die Einheit

Der Kreis ist die vollkommene Figur der Einheit und Einfachheit. Das Größte, unter dem Bilde des unendlichen Kreises betrachtet, ist daher die absolute Einheit und Identität seines Wesens, ohne Verschiedenheit und Anderssein, so dass seine Güte nicht etwas Anderes ist, als seine Weisheit, sondern dasselbe. Alle Verschiedenheit (diversitas) ist in ihm Einheit. Da mithin seine Macht, wenn ich so sagen darf, die geeinetste (unissima) ist, so ist sie auch die stärkste und unendlichste (infinitissima). In der geeinigten Dauer des Größten ist die Vergangenheit nicht etwas Anderes, als die Zukunft und die Zukunft nichts Anderes, als die Gegenwart – Ewigkeit ohne Anfang und Ende. Da im größten Kreise auch der Durchmesser der größte ist, und es nicht mehrere Größte geben kann, so ist der größte Kreis so sehr geeinet (in tantum unissimus), dass Durchmesser und Umkreis Eines sind. Ein unendlicher Durchmesser hat aber auch eine unendliche Mitte oder Zentrum. Im größten Kreise sind mithin Zentrum, Durchmesser und Peripherie Eines. Daraus folgert unser System des Nichtwissens (ignorantia nostra), dass das Größte auch auf das Vollkommenste in Allem ist, einfach und unteilbar, weil das unendliche Zentrum, außer Allem, Alles umfassend, weil unendliche Peripherie, Alles durchdringend, weil unendlicher Durchmesser; Anfang von Allem, als Zentrum, Ende von Allem als Peripherie, die Mitte von Allem als Durchmesser; die wirkende Ursache (causa efficiens) als Zentrum, die gestaltende (formalis) als Durchmesser, die zielgebende oder Endzweck (finalis) als Peripherie; Schöpfer (dans esse) als Zentrum, Regierer (gubernans) als Durchmesser, Erhalter als Peripherie.

Nun begreifst du, dass das Größte mit keinem Wesen identisch noch von ihm verschieden ist (maximum cum nullo est idem neque diversum) und dass Alles in ihm, aus ihm und durch es ist, weil es Umkreis, Durchmesser und Zentrum ist. Es umfasst also Alles, was ist und nicht ist, so dass nicht sein in ihm heißt am meisten sein (non esse in ipso est maximum esse). Es ist das Maß aller kreisförmigen Bewegung, wie der des Übergangs aus der Möglichkeit in die Wirklichkeit und der Rückkehr dieser in jene, der Verbindung des Prinzips mit dem Individualleben und der Auflösung des Letztern in sein Prinzip, das Maß aller vollkommenen kreisförmigen Gestalten und kreisförmigen Tätigkeiten, aller Bewegung über sich (super se) und zu dem Anfang zurück. Nur das Eine bemerke ich noch: die ganze Gotteslehre ist kreisförmig und bewegt sich im Kreise (omnis theologia circularis est et in circulo posita existit), so dass die (göttlichen) Attribute sich gegenseitig bewahrheiten: die höchste Gerechtigkeit ist die höchste Wahrheit und die höchste Wahrheit ist die höchste Gerechtigkeit. Dehnst du diesen Gedanken weiter aus, so werden dir viele theologische Materien, die dir jetzt noch verborgen sind, ganz klar werden.

Zweiundzwanzigstes Kapitel: Die göttliche Vorsehung einigt das Entgegengesetzte

Um die Probe zu machen, dass wir durch unsere Prämissen zu tiefer Erkenntnis geführt werden, wollen wir nun das Gesagte auf die göttliche Vorsehung anwenden.

Da gezeigt ist, dass Gott der Inbegriff (complicationem) von Allem ist, auch von dem Entgegengesetzten (etiam contradictoriorum), so kann seiner Vorsehung nichts entgehen. Wir mögen etwas thun oder das Gegenteil hievon, oder auch gar nichts, so war Alles in dem Vorhersehen Gottes enthalten (totum in Dei providentia implicitum fuit). Nichts wird sich also ereignen, außer gemäß der göttlichen Vorsehung. Wenn man daher auch annehmen wollte, Gott habe Vieles vorhersehen können, was er nicht vorhersah und nicht vorhersehen wird, und wenn er auch Vieles vorhergesehen hat, was er auch konnte nicht vorhersehen, so erleidet doch die göttliche Vorsehung keinen Zuwachs oder Verminderung, wie folgende Vergleichung zeigt. Die menschliche Natur ist Eines und einfach. Würde nun auch ein Mensch geboren, dessen Geburt man nie erwartete, so würde doch die menschliche Natur da durch eben so wenig einen Zuwachs erhalten, als durch sein Nichtgeborenwerden einen Abgang erleiden, wie sie auch durch das Sterben der Geborenen keinen Abgang erleidet; denn die menschliche Natur fasst eben so wohl Die in sich, welche existieren, als auch Die, welche nicht existieren und auch nicht existieren werden, wiewohl sie hätten existieren können. Würde sich daher auch ereignen, was sich nie ereignen wird, für die göttliche Vorsehung wäre dies kein Zuwachs (nihil adderetur divinae providentiae), weil sie sowohl das umfasst, was geschieht, als auch das, was nicht geschieht, aber geschehen kann. Denn gleichwie in der Materie Vieles möglich ist, was nie geschehen wird, so ist im Gegenteile Alles, was nicht geschieht, obgleich es geschehen kann, in der göttlichen Vorsehung nicht möglich, sondern wirklich (non possibiliter, sed actu), woraus nicht folgt, dass Jenes (das Mögliche) auch wirklich eintrete. Wie die unendliche Einheit alle Zahl, so fasst die Vorsehung Gottes Unendliches in sich, sowohl was geschieht, als auch was nicht geschieht, aber geschehen kann, und das Gegenteil, wie die Gattung die entgegengesetzten Differenzen in sich fasst. Und was die göttliche Vorsehung weiß, weiß sie nicht mit einem Zeitunterschiede, denn sie weiß die Zukunft nicht als Zukunft, die Vergangenheit nicht als Vergangenheit, sondern ewig, das Veränderliche in unveränderlicher Weise. Daher ist sie unveränderlich und nichts kann ihr entgehen (inevitabilis), nichts ihr entweichen. Alles hat in Bezug auf sie Notwendigkeit (omnia ad ipsam providentiam relata necessitatem habere dicuntur), und zwar mit Recht, weil Alles in Gott Gott ist, der die absolute Notwendigkeit. Hieraus erhellt, dass das, was sich nie ereignen wird, in der oben dargegebenen Weise in Gottes Vorsehung enthalten ist, auch wenn es nicht als künftig eintretend vorhergesehen ist. Gott muss notwendig vorausgesehen haben, was er vorausgesehen hat, weil seine Vorsehung notwendig und unveränderlich ist, wiewohl er auch das Gegenteil von dem vorhersehen konnte, was er vorhergesehen hat; denn mit dem Inbegriffe ist noch nicht der inbegriffene Gegenstand, wohl aber mit der Entwicklung der Inbegriff gesetzt (posita complicatione non ponitur res complicata, sed posita explicatione ponitur complicatio). Ich kann morgen lesen oder nicht lesen – was ich immer tue, ich entgehe der Vorsehung nicht, die das Entgegengesetzte umfasst, weshalb, was ich immer tue, der göttlichen Vorsehung gemäß geschieht.

So sehen wir, wie wir nach den Prämissen, die uns zeigen, dass das Größte allen Gegensätzen vorausgehe, weil es Alles in sich fasst, über die göttliche Vorsehung und verwandte Gegenstände uns einen richtigen Begriff bilden können.

Dreiundzwanzigstes Kapitel: Übertragung der unendlichen Kugel auf die Alles wirkende Existenz Gottes

Nun noch einige Betrachtungen über die unendliche Kugel! In der unendlichen Kugel sehen wir die drei größten Linien der Länge, Breite und Tiefe im Zentrum zusammenlaufen. Das Zentrum der größten Kugel ist aber gleich dem Durchmesser und der Peripherie; es ist folglich das Zentrum jenen drei Linien gleich, ja, das Zentrum ist sie alle: Länge, Breite und Tiefe. Im Größten sind daher alle Länge, Breite und Tiefe das Eine einfachste und unteilbare Größte selbst. Und wie das Zentrum aller Breite, Länge und Tiefe vorhergeht, das Ende und die Mitte von ihnen ist (denn in der unendlichen Kugel sind Zentrum, Dichtigkeit und Peripherie Ein und Dasselbe), wie die unendliche Kugel ganz in actu und auf die einfachste Weise ist, so ist auch das Größte ganz in Wirklichkeit (in actu) auf die einfachste Weise. Wie die Kugel die volle Wirksamkeit der Linie, des Dreiecks und des Kreises ist, so ist das Größte die Wirksamkeit von Allem (omnium actus). Jedes wirksame Sein hat also von ihm alle seine Wirksamkeit; jedes Sein existiert in Wirksamkeit insoweit, wie weit es in dem Unendlichen wirksam ist. Daher ist das Größte das bildende Prinzip von Allem (forma formarum), das Prinzip des Seins (forma essendi) oder das höchste wirksame Sein (maxima actualis entitas). Sehr scharfsinnig sagt daher Parmenides, Gott sei es, für den jegliches Sein all das Sein ist, das es ist (Deum esse, cui esse quodlibet, quod est, est esse omne id, quod est). Wie die Kugel die höchst mögliche Vollendung der Figuren ist, so ist das Größte die vollkommenste Vollendung von Allem, so dass alles Unvollkommene in ihm das Vollkommenste ist, wie die unendliche Linie Kugel und in ihr das Krumme gerade, das Zusammengesetzte einfach, das Verschiedene identisch, das Anderssein Einheit ist. Wie könnte dort eine Unvollkommenheit sein, wo die Unvollkommenheit die höchste Vollkommenheit, die Möglichkeit die unendliche Wirksamkeit ist etc.? Ist das Größte wie die größte Kugel, so ist es das einfachste, adäquateste Maß des ganzen Universums und aller Wesen im Universum, denn in ihm ist das Ganze nicht größer, als der Teil, wie die Kugel nicht größer ist, als die unendliche Linie. Gott ist daher der einzige einfachste rationelle Grund (ratio) des ganzen Universums, und wie aus unendlich vielen Umkreisen (circulationes) die Kugel entsteht, so ist Gott als die größte Kugel das einfachste Maß aller kreisförmigen Bewegungen; denn alle Belebung (vivificatio), Bewegung und Intelligenz ist aus ihm, in ihm und durch ihn, bei dem Eine Kreisbewegung der achten Sphäre nicht kleiner ist, als die der unendlichen, weil er das Ziel aller Bewegung ist, in dem alle Bewegung als in ihrem Ziele zur Ruhe kommt. Es ist nämlich Dasjenige die größte Ruhe, in dem alle Bewegung Ruhe ist. So ist denn die größte Ruhe das Maß aller Bewegung, wie das größte Gerade das Maß aller Umkreise, die größte Gegenwart oder die Ewigkeit das Maß aller Zeiten ist. Und weil Gott das Sein alles Seins ist und alle Bewegung sich auf das Sein bezieht, so ist er, das Ziel der Bewegung, auch die ruhe der Bewegung, d.i. das Prinzip (forma) und die Wirksamkeit des Seins. Alles Seiende hat daher einen Zug zu ihm (ad ipsum tendunt). Weil es aber endlich ist und nicht auf gleiche Weise an ihm participiren kann, so participiren die einen Wesen an dem Ziele aller Dinge mittelst der andern, wie die Linie mittelst des Dreiecks und Kreises, das Dreieck mittelst des Kreises, der Kreis durch sich selbst zur Kugel wird.

Vierundzwanzigstes Kapitel: Vom Namen Gottes und der affirmativen Theologie

Nachdem wir nun mit Gottes Hilfe durch ein mathematisches Beispiel in unserem Nichtwissen über das erste Größte zu größerer Erkenntnis zu gelangen gestrebt, wollen wir zur Ergänzung unseres Wissens noch über den Namen des Größten eine Untersuchung anstellen, die, wenn wir das Bisherige festhalten, von keiner Schwierigkeit sein wird.

Da das Größte das schlechthin Größte ist, das keinen Gegensatz hat, so ist klar, dass ihm eigentlich kein Name zukommen könne. Denn alle Namen entstehen aus einer gewissen singulären Verstandestätigkeit, durch welche Eines vom Andern unterschieden wird. Wo nun Alles Eins ist, kann es keine besondere Namen geben. Mit Recht sagt daher Hermes Trismegistus: da Gott das All der Dinge ist (universitas rerum), so hat er keinen besondern Namen, denn man müsste entweder Gott mit jedem Namen, oder Alles mit seinem Namen benennen, da er in seiner Einfachheit das All der Dinge in sich begreift, daher muss auch der Gott eigentlich zukommende Namen (jener von uns unaussprechliche Name, der tetragrammaton ist oder aus vier Buchstaben besteht, und deshalb der eigentliche Name Gottes heißt, weil er ihm nicht in Folge eines Verhältnisses zu den Kreaturen, sondern nach seiner eigentlichen Wesenheit zukommt) übersetzt werden: Einer und Alles (unus et omnia) oder besser: Alles in Einheit (omnia uniter). Und so hat sich uns ja oben die höchste Einheit, die so viel ist, als: »Alles in Einheit,« ergeben, ja der Name »Einheit« scheint noch näher bezeichnend zu sein, als: Alles in Einheit. Daher sagt auch der Prophet: »an jenem Tage wird Gott sein und sein Name ist: Einer,« und ein andermal: »Höre Israel! (d.i. du, der du Gott mit der Vernunft schaust) dein Gott ist Einer.« Die Einheit ist aber nicht in dem Sinne der Name Gottes, wie wir die Einheit verstehen. Der Einheit steht die Vielheit gegenüber. Eine solche Einheit kommt Gott nicht zu, sondern jene, der kein Anderssein, keine Vielheit entgegensteht. Dies ist der größte Name, der Alles in der Einfachheit der Einheit zusammenfasst, dies der unaussprechliche Name, der über allen Verstand geht. Denn wer könnte die unendliche Einheit begreifen, die unendlich allem Gegensatz vorausgeht, wo Alles ohne Zusammensetzung in der Einfachheit der Einheit begriffen ist, ohne Anderes und Gegensatz, wo der Mensch nicht vom Löwen, der Himmel nicht von der Erde verschieden und doch jedes auf die wahrste Weise ist, nicht nach seiner Endlichkeit, sondern als die größte Einheit selbst! Wer diese Einheit zu begreifen oder zu benennen vermöchte, die als Einheit – Alles, und als das Kleinste – das Größte ist, der hätte den Namen Gottes gefunden. Allein da der Name Gottes Gott selbst ist, so kennt Niemand Gott, außer derjenige Geist, der das Größte selbst ist und der größte Namen. Durch die Wissenschaft des Nichtwissens sehen wir also ein, dass die Einheit, wenn sie gleich eine nähere Bezeichnung des Größten ist, doch hinter dem wahren Namen des Größten, der das Größte selbst ist, noch unendlich zurückbleibt.

Hieraus erhellt, dass die affirmativen Namen Gottes nur im unendlich kleinsten Grade (per infinitum diminute) ihm zukommen, denn sie werden ihm nach irgend einer Eigenschaft der Kreaturen beigelegt. Da nun aber Gott etwas Partikulares, das einen Gegensatz hat, nur im allerkleinsten Grade zukommen kann, so sind alle affirmativen Namen, wie Dionysius sagt, nicht genug zusammenfassend (incompactae). Nennst du ihn die Wahrheit, so ist der Gegensatz die Lüge, nennst du ihn die Tugend (virtutem), so ist der Gegensatz die Sünde (vitium) –, Substanz, so ist der Gegensatz das Akzidenz u.s.f. Da er aber nicht eine Substanz ist, die nicht Alles ist, ohne einen Gegensatz, nicht Wahrheit, die nicht Alles ohne Gegensatz ist, so können ihm jene Namen nur im ganz verminderten Grade zukommen. Alle Affirmationen, die in sein Wesen etwas aus dem von ihnen bezeichneten Gegenstande hineinlegen (quasi in ipso aliquid sui significati ponentes), können ihm nicht zukommen, der nicht irgend Etwas mehr ist, als er Alles ist (qui non est plus aliquid quam omnia). Daher werden ihm die affirmativen Namen, wenn sie anders ihm zukommen, nur im Verhältnisse zu den Kreaturen beigelegt, nicht als ob die Kreaturen die Ursache hievon wären, da das Größte von den Kreaturen nichts haben kann, sondern sie kommen ihm vermöge seiner unendlichen Macht im Verhältnisse zu den Kreaturen zu (sed ei ex infinita potentia ad creaturas conveniunt); denn von Ewigkeit konnte Gott schaffen; hätte er dies nicht gekonnt, so wäre er nicht die höchste Allmacht. Wenn ihm daher gleich der Name: Schöpfer im Verhältnisse zu den Geschöpfen zukommt, so kommt er ihm doch auch zu, bevor noch ein Geschöpf war, weil er von Ewigkeit schaffen konnte. So verhält es sich auch mit der Gerechtigkeit und andern affirmativen Namen, die wir auf Gott aus dem Leben der Geschöpfe wegen einer gewissen Vollkommenheit, die durch diese Namen bezeichnet wird, übertragen. Alle diese Namen waren von Ewigkeit, ehe wir sie Gott beilegten, in Wahrheit in seiner höchsten Vollkommenheit und seinem unendlichen Namen enthalten, so wie auch alle Dinge, die durch diese Namen bezeichnet, und von denen sie durch uns auf Gott übertragen werden. Das Gesagte hat so sehr Gültigkeit, dass auch der Name der Trinität und der Personen: Vater, Sohn und heiliger Geist im Verhältnisse zu den Geschöpfen ihm beigelegt werden. Denn da Gott als Einheit erzeugend und Vater, als Gleichheit der Einheit – gezeugt oder Sohn, als Verbindung beider – der heilige Geist ist, so ist klar, dass der Sohn Sohn heißt, weil er die Gleichheit der Einheit oder des Seins ist. Weil Gott von Ewigkeit die Dinge erschaffen konnte, wenn er sie auch nicht erschaffen hätte, so wird er in Rücksicht auf die Dinge Sohn genannt; denn deshalb ist er Sohn, weil er die Gleichheit des Seins ist, über oder unter welcher die Dinge nicht bestehen könnten, die Gott machen konnte, wenn er sie auch nicht gemacht haben würde. Könnte Gott sie nicht machen, so wäre er weder Gott Vater, noch Sohn, noch heiliger Geist, überhaupt nicht Gott. Betrachtest du die Sache tiefer, so heißt: »der Vater erzeugt den Sohn,« so viel als: er erschafft Alles durch das Wort (quod si subtilius consideras, patrem filium gignere, hoc fuit omnia in verbo creare). Deshalb nennt auch Augustin das Wort die Kunst und Idee im Verhältnis zu den Geschöpfen. Die Kreatur beginnt dadurch, dass Gott – Vater ist, ihr Sein; dadurch, dass er Sohn ist, erlangt sie ihre Vollendung (perficitur), dadurch, dass er heiliger Geist ist, ist sie mit der ganzen Weltordnung im Einklang. Dies sind die Spuren der Trinität in jeglichem Dinge. Dies ist der Sinn der Worte Augustins, wenn er die Stelle der Genesis: »Im Anfang erschuf Gott Himmel und Erde« also erklärt: Gott hat als Vater die Prinzipien der Dinge erschaffen.

Was also in der affirmativen Theologie von Gott ausgesagt wird, gründet sich auf das Verhältnis zu den Geschöpfen. Dies gilt auch in Bezug auf jene heiligsten Namen, die sich bei den Hebräern und Chaldäern finden, und in denen die größten Geheimnisse der Erkenntnis Gottes enthalten sind. Keiner dieser Namen bezeichnet Gott anders, als nach einer besonderen Eigenthümlichkeit, außer jenem Namen mit vier Buchstaben, welche sind:

(Bild: Vom Namen Gottes und der affirmativen Theologie)

das der eigentliche und unaussprechliche Name ist und oben erklärt wurde. Hierüber handeln Hieronymus und der Rabbiner Salomon in dem Buche: dux neutrorum ausführlich, was man nachlesen mag.

Fünfundzwanzigstes Kapitel: Die Heiden gaben Gott im Verhältnisse zu den Geschöpfen verschiedene Namen

Die Heiden benannten Gott nach den verschiedenen Verhältnissen zu den Geschöpfen. Jupiter nannten sie ihn wegen seiner bewunderungswürdigen Güte (propter mirabilem pietatem). Julius Firmicus sagt nämlich, Jupiter sei ein so günstiges Gestirn, dass, wenn er allein im Himmel regierte, die Menschen unsterblich wären. Saturn heißt Gott wegen der Tiefe der Gedanken und der Erfindungen in dem, was zum Leben notwendig ist, Mars von den Siegen im Kriege, Merkur wegen der Klugheit im Rathe, Venus wegen der die Natur erhaltenden Liebe, Sonne wegen der Stärke der Bewegungen in der Natur, Mond wegen der Erhaltung der zum Leben notwendigen Feuchtigkeit, Cupido wegen der Einheit beider Geschlechter, weshalb man ihn auch die Natur nannte, weil er durch das Geschlechtliche die Gattungen der Dinge enthält. Hermes sagt, Alles, sowohl Lebendes als nicht Lebendes, sei doppelten Geschlechts, weshalb die Ursache von Allem, Gott, männliches und weibliches Geschlecht in sich enthalte, wovon Cupido und Venus die äußere Erscheinung sei. In gleichem Sinne besang der Römer Valerius den allmächtigen Jupiter als die zeugende und gebärende Gottheit (genitorem genitricemque Deum). Daher nannte er auch Cupido, sofern nämlich ein Wesen nach dem andern begehrt (cupit), die Tochter der Venus, d.i. der natürlichen Schönheit. Die Venus nannten sie die Tochter des allmächtigen Jupiters, von dem die Natur und Alles, was mit ihr gegeben ist, herstammt. Auch die Tempel des Friedens, der Ewigkeit und der Eintracht, das Pantheon, in dem ein Altar des Unendlichen (termini infiniti), der keine Grenze hat, in der Mitte unter freiem Himmel errichtet war, und ähnliche Erscheinungen zeigen uns, dass die Heiden Gott nach dem Verhältnisse zu den Geschöpfen verschieden benannt haben. Alle diese Namen sind nur die Entfaltung des Einen unaussprechlichen Namens, und sofern der eigentlich Gott zukommende Name unendlich ist, fasst er unzählige solche den besondern Vollkommenheiten entnommene Namen in sich. Daher ist auch die Entfaltung dieses Namens eine vielfache, die immer der Vermehrung fähig ist, und jeder einzelne Name verhält sich zu dem eigentlichen und unaussprechlichen Namen wie das Endliche zum Unendlichen.

Die Heiden verlachten die Juden, welche den Einen unendlichen Gott, den sie nicht kannten, anbeteten, und doch verehrten sie selbst ihn in der Entfaltung seines Wesens (quem tamen ipsi in explicationibus venerabantur), da sie ihn verehrten, wo immer sie seine göttlichen Werke erblickten. Der Unterschied im ganzen Menschengeschlechte bestand damals darin, dass Alle an den Einen größten Gott, über dem es keinen größern gibt, glaubten, den die Einen, wie die Juden und Sissennier, in seiner einfachsten Einheit, als den Inbegriff (complicatio) aller Dinge, die Andern dagegen da verehrten, wo sie die Entfaltung seiner Gottheit wahrnahmen, wobei sie das für die Sinne Bekannte als einen Wegweiser zu der Ursache und dem Prinzip nahmen (recipiendo notum sensibiliter pro manuductione ad causam et prinzipium). Auf der letzten Stufe (in hac ultima via) dieses Weges gerieth das schlichte Volk in Irrtum, das die Entfaltung (der Gottheit) nicht als Bild, sondern als Wahrheit nahm, wodurch der Götzendienst im Volke sich ausbildete, während die Verständigeren in der Regel über die Einheit Gottes richtig dachten. Das ist Jedem bekannt, der Tullius (Cicero) über die Natur der Götter und die alten Philosophen mit Aufmerksamkeit gelesen hat. Wir stellen indeß nicht die Abrede, dass einige Heiden nicht eingesehen haben, dass Gott, das Sein der Dinge, in andere Weise existiere, denn als eine bloße Abstraction außerhalb der Dinge, wie z.B. die erste Materie außerhalb der Dinge nur als eine Abstraction existiert (Non negamus tamen, quosdam ex paganis non intellexisse, Deum, cum sit entitas rerum, aliter, quam per abstractionem extra res esse, sicut prima materia extra res nonnisi per abstrahentem intellectum existit). Diese haben Gott in den Geschöpfen angebeten und den Götzendienst auch philosophisch begründet (rationibus astruebant). Einige glaubten auch, man könne Gott in etwas hineinzaubern (Deum devocabilem putarunt), wie denn die Sissannier ihn in Engel hineinzauberten; die Heiden zauberten ihn in Bäume hinein, nach dem, was man von dem Sonnen- und Mondsbaume liest. Andere zauberten ihn durch bestimmte Zauberformeln in Luft, Wasser oder Tempel. In welch großer Täuschung sie alle waren und wie weit von der Wahrheit entfernt, geht aus dem oben Gezeigten hervor.

Sechsundzwanzigstes Kapitel: Von der negativen Theologie

Da die Gottesverehrung im Geiste und in der Wahrheit sich notwendig auf positive Aussagen von Gott gründet, so erhebt sich jede Religion in ihrer Gottesverehrung notwendig mittelst der affirmativen Gotteslehre zur Anbetung Gottes als des Einen und Dreieinigen, weisen, gnädigen, des Lebens, der Wahrheit etc., indem sie dieser Verehrung durch den Glauben, den sie durch die Wissenschaft des Nichtwissens richtiger auffasst (verius attingit), die Richtung gibt, durch den Glauben nämlich, der, den sie als den Einen anbetet, sei Alles in Einheit, und den sie als das unzugängliche Licht verehrt, sei nicht ein physisches Licht, das die Finsternis zum Gegensatz hat, sondern das einfachste und unendliche Licht, in dem die Finsternis unendliches Licht ist, das beständig in der Finsternis unseres Nichtwissens leuchtet, aber von dieser Finsternis nicht erfasst werden kann. Daher ist die negative Gotteslehre eine so notwendige Ergänzung der positiven, dass ohne sie Gott nicht als unendlicher Gott, sondern vielmehr als Geschöpf verehrt würde. Diese Letztere ist Götzendienst, der dem Abbilde erweist, was nur der Wahrheit gebührt. Daher dürfte es zweckmäßig sein, über die negative Gotteslehre noch einige Worte beizufügen.

Unsere heilige Wissenschaft des Nichtwissens (sacra ignorantia) hat uns belehrt, dass Gott unaussprechlich ist, weil er größer ist, als Alles, was genannt werden kann. Da dies ausgemacht ist, so werden wir von ihm richtiger auf dem Wege des Ausschließens und Negirens, gleich dem großen Dionysius, der ihn weder Wahrheit, noch Vernunft, noch Licht, noch irgend Etwas, was sich aussprechen lässt, genannt wissen wollte, denken. Ihm folgte der Rabbiner Salomon und alle Philosophen. Nach dieser negativen Gotteslehre ist daher Gott weder Vater, noch Sohn, noch heiliger Geist, sondern nur unendlich. Die Unendlichkeit als solche ist weder zeugend, noch gezeugt, noch hervorgehend. Daher hat Hilarius von Poitiers sehr scharfsinnig in der Unterscheidung der göttlichen Personen gesagt: Im Ewigen ist Unendlichkeit, Idee, Ausübung (in aeterno infinitas, species in imagine, usus in munere). Er will sagen: obwohl wir in der Ewigkeit nur die Unendlichkeit sehen könne, so kann doch sie Unendlichkeit, die die Ewigkeit ist, weil negativ, nicht als zeugend aufgefasst werden, wohl aber die Ewigkeit, weil sie die Affirmation der Einheit oder größten Gegenwart ist. Sie ist daher der Anfang ohne Anfang, die Idee (species in imagine) ist der Anfang vom Anfang (prinzipium a prinzipio), die Ausübung (usus in munere) ist das Hervorgehen aus Beidem. Dies ist durch das früher Gezeigte ganz klar; denn obwohl die Ewigkeit Unendlichkeit ist, so dass die Ewigkeit eben so wenig Ursache des Vaters ist, als die Unendlichkeit, so wird doch in der Betrachtungsweise (secundum considerationem modum) die Ewigkeit dem Vater, nicht dem Sohne und heiligen Geiste zugeschrieben, die Unendlichkeit hingegen nicht einer Person mehr, als der andern, weil die Unendlichkeit als Einheit betrachtet (secundum considerationem unitatis) der Vater, als Gleichheit der Einheit der Sohn, als Verbindung Beider der heilige Geist ist. Dagegen die Unendlichkeit, schlechthin betrachtet, ist weder Vater, noch Sohn, noch heiliger Geist. Wenn also gleich die Unendlichkeit und Ewigkeit jede der drei Personen ist und umgekehrt jede Person Unendlichkeit und Ewigkeit, so gilt dies doch nicht nach der Betrachtungsweise der Sache. Die Unendlichkeit, als solche betrachtet, ist Gott weder Einer noch Mehreres, vom Standpunkte der negativen Gotteslehre finden wir in Gott nichts Anderes, als die Unendlichkeit. Er ist daher auch nach derselben weder in dieser, noch in der künftigen Welt erkennbar, weil jede Kreatur, da sie das unendliche Licht nicht fassen kann, im Verhältnis zu diesem verdunkelt wird. Gott ist nur sich selbst bekannt.

Aus dem Gesagten erhellt, dass in der Gotteserkenntnis die Negationen wahr, die Affirmationen unzureichend sind. Je mehr Unvollkommenheit eine Negation von dem vollkommensten Wesen entfernt, desto wahrer ist sie. So ist es wahrer, Gott sei kein Sein, als er sei nicht das Leben oder die Intelligenz, wahrer, er sei nicht die Trunkenheit, als er sei nicht die Tugend. Das Gegenteil gilt von den Affirmationen. Es ist eine wahrere Affirmation, Gott sei die Intelligenz oder das Leben, als er sei Erde, Stein, Körper. Alles dies ist aus dem früher Gesagten ganz klar.

Als Schlusswahrheit ergibt sich, dass die präzise Wahrheit in der Finsternis unseres Nichtwissens in unerfassbarer Weise leuchtet, und das ist die Wissenschaft des Nichtwissens, die wir gesucht haben, durch die wir allein dem größten, dreieinigen Gott von unendlicher Güte auf den Stufen dieser Wissenschaft des Nichtwissens uns nahen können, um ihn aus allen unsern Kräften ewig dafür zu loben, dass er selbst sich uns als unbegreiflich zu erkennen gibt, der über Alles gepriesen sei in Ewigkeit. Amen.

Zweites Buch

Vorrede

Nachdem die Wissenschaft des Nichtwissens über die Natur des absolut Größten mittelst einiger symbolischen Figuren dargestellt ist, so wollen wir nun mittelst dieses Größten, das einigermaßen wie in Umrissen in uns wiederscheint, in derselben Methode das untersuchen, welches Alles, was es ist, durch das absolut Größte ist. Da aber das Verursachte ganz aus seiner Ursache und nichts aus sich ist, und da es sich an den Ursprung und Grund, durch den es das ist, was es ist, so nahe und so ähnlich als möglich anschließt (originem et causam quanto propinquius et similius potest, concomitetur), so ist klar, dass die Natur des Konkreten (contractionis) schwer zu erkennen ist, wenn das absolute Urbild nicht erkannt ist. Wir müssen also auch hier über unser Begreifen hinaus ein gewisses Nichtwissen als Prinzip festhalten (in quadam ignorantia nos doctos esse convenit), um, da wir die präzise Wahrheit an sich nicht erfassen, wenigstens dahin zu gelangen, dass wir dieselbe als seiend erkennen (ut ipsam esse videamus), da wir sie für jetzt nicht ganz begreifen können.

Dies ist mein Ziel in diesem zweiten Teil, den deine Nachsicht beurteilen und wohlwollend aufnehmen möge.

Erstes Kapitel: Einleitende Folgesätze aus dem Bisherigen, um den Begriff des Einen unendlichen Universums festzustellen

Es dürfte für unsere Wissenschaft sehr förderlich sein, vorerst einige Folgesätze aus unserm Prinzip vorauszuschicken. Sie werden eine gewisse Gewandtheit geben, unendlich vieles Aehnliche auf gleiche Weise aus dem Prinzip zu entwickeln, und werden über das Folgende größere Klarheit verbreiten. Als Wurzelbegriff stellten wir auf, dass man da, wo sich Ausschreitungen finden (in excessis et excedentibus), zum Größten, in Sein und Können, nicht gelange. Daher zeigten wir, die präzise Gleichheit komme nur Gott zu, woraus folgt, dass Alles außer ihm sich differenziere. Es kann daher nicht eine Bewegung der andern gleich, nicht eine das Maß für die andere sein, da das Maß und das Gemessene notwendig verschieden sind. Dies lässt eine Anwendung auf unendlich Vieles zu. Was die Astronomie betrifft, so ersiehst du daraus, dass der astronomische Calcul der Präzision entbehre, weil er voraussetzt, durch die Bewegung der Sonne könne die Bewegung aller andern Planeten gemessen werden. Auch die ganze Situation des Himmels (coeli dispositio), man mag was immer für eine Stelle annehmen, seien es die östlichen oder westlichen Himmelszeichen oder die Elevation des Pols und was damit zusammenhängt, lässt keine präzise Erkenntnis zu. Und da keine zwei Orte in Zeit und Lage präzis übereinstimmen, so ist klar, dass die Urteile über die Gestirne nach deren partikularem Wesen weit von Präzision entfernt sind. Wendest du diese mathematische Regel auf die Geometrie an, so findest du auch hier, dass in der Wirklichkeit (actu) eine Gleichheit der geometrischen Figuren unmöglich sei, und kein Ding mit dem andern in Figur und Größe präzis übereinstimmen könne. Wenn gleich die Regeln rationell (in sua ratione) richtig sind, eine einer gegebenen Figur gleiche zu beschreiben, so ist doch in Wirklichkeit die Gleichheit unmöglich. Hieraus erkennst du, dass die Wahrheit, losgetrennt vom Materiellen, rationell die Gleichheit sieht, die man in den Dingen unmöglich durchführen kann, weil hier immer ein Mangel bleibt. Auch in der Musik gibt es keine Präzision. Kein Ding stimmt mit dem andern in Gewicht, Länge und Dichtigkeit überein, und zwischen den verschiedenen Tönen von Fisteln, Glocken, Menschen und Instrumenten lässt sich keine präzise harmonische Proportion herstellen, die nicht noch präziser sein könnte. Eine präzise Proportion besteht daher nur rationell; in der Sinnenwelt ist auch die schönste Harmonie nicht ohne Mangel, weil sie dort nicht zu finden ist. Erhebe dich hier zu dem Gedanken, dass die präziseste, größte Harmonie Proportion in der Gleichheit ist, die der im Fleische lebende Mensch zu hören nicht im Stande ist, weil sie, da sie ganz rationell ist, das Rationelle unserer Seele vollständig an sich ziehen (absorbiren) würde, wie das unendliche Licht alles Licht (absorbirt), so dass die von der Sinnlichkeit ganz losgelöste Seele ohne eine Entzückung (sine raptu) eine auf das Höchste übereinstimmende Harmonie mit dem Ohre des Verstandes nicht hören würde. Eine schöne und wichtige Betrachtung ließe sich hier anknüpfen, sowohl über die Unsterblichkeit unserer geistigen Natur, die das unzerstörbar Rationelle (rationem incorruptibilem) in sich trägt, vermöge welchem sie dessen Abbild, den Einklang in der Musik aus sich selbst erzeugt, als auch über die ewige Freude, in welche die Seligen, losgelöst von der Welt, erhoben werden. Doch hierüber ein andersmal. Wenden wir unser Prinzip auf die Arithmetik an, so sehen wir, dass keine zwei Dinge in der Zahl übereinstimmen, weil hinsichtlich der Wahrheit der Zahl die Zusammensetzung, Proportion, Harmonie, Bewegung etc. sich verändern. Wir sehen hieraus, dass wir nichts wissen (ignorare); denn Keiner ist wie der Andere in Sinn, Einbildung, Vernunft, in allen Tätigkeiten, im Schreiben, Malen und jeglicher Kunst, wenn er auch tausend Jahre lang den Andern nachahmen wollte. Die Kunst ist eine Nachahmung der Natur, aber zur Präzision bringt sie es nicht. Daher fehlt der Medizin, Alchimie, Magie und andern verwandelnden Künsten die Präzision der Wahrheit, wenn gleich die Medizin wahrer ist als die verwandelnden Künste. Aus unserm Prinzip folgern wir ferner den Satz: weil wir in den Gegensätzen immer eine Ausschreitung finden, wie im Einfachen und Zusammengesetzten, Abstrakten und Konkreten, Formalen und Materialen, Zerstörlichen und Unzerstörbaren etc., so gelangt man nie zu dem reinen Gegensatz, oder zu der präzisen und ganz gleichen Indifferenz der Gegensätze (ad alterum purum oppositorum non devenitur, aut in quo concurrant praecise aequaliter). Alles ist daher in den Gegensätzen in gradueller Verschiedenheit; nach dem Übergewicht des einen über den andern nimmt der eine von der Natur des andern mehr oder weniger in sich auf. Daher wird die Kenntnis der Dinge rationell der Art erforscht, dass wir einsehen, wie die Zusammensetzung in dem einen Dinge eine gewisse Einfachheit annimmt, während in einem andern die Einfachheit eine zusammengesetzte ist, Zerstörbarkeit in Unzerstörbarkeit in dem einen, umgekehrt in einem andern Dinge etc., wie wir im Buche von den Muthmaßungen (in libro conjecturarum) zeigen werden, wo hierüber ausführlicher gehandelt werden wird. Dies Wenige möge genügen, um die hohe Bedeutung der Wissenschaft des Nichtwissens zu zeigen (pro mirabili potestate doctae ignorantiae ostendenda).

Um meinem Zweck näher zu kommen, sage ich: da ein Hinaufsteigen zum schlechthin Größten oder Hinabsteigen zum Kleinsten unmöglich ist, weil sonst ein unendliches Auf- oder Absteigen entstünde, so lässt sich bei jedem gegebenen endlichen Dinge immer ein größeres oder kleineres geben. Denn da jeder Teil des Unendlichen unendlich ist, so involvirt es einen Widerspruch, dass ein Mehr oder Weniger sich da finden sollte, wo man zum Unendlichen gelangt, da ein Mehr oder Weniger dem Unendlichen nicht zukommen und auch kein Verhältnis zum Unendlichen haben kann, indem notwendig auch dieses unendlich ist. Denn in der unendlichen Zahl wäre Zwei nicht weniger als Hundert. Es gibt daher nichts, was die göttliche Macht begrenzte; bei jedem Gegebenen kann durch sie ein Größeres oder Kleineres gegeben werden, es wäre denn das Gegebene zugleich das absolut Größte, wie im dritten Buche gezeigt werden soll. Es ist demnach nur das absolut Größte negativ unendlich, es ist allein das, was sein kann, in voller Allmacht. (Solum illud est id, quod esse potest, omnipotentia.) Das Universum dagegen kann, da es Alles umfasst, was nicht Gott ist, nicht negativ unendlich sein, obwohl es ohne Grenze (sine termino) und so privativ unendlich ist. Nach dieser Betrachtung ist es daher weder endlich noch unendlich; denn es kann nicht größer sein, als es ist, und zwar dies in Folge eines Mangels (hoc quidem ex defectu evenit), denn die Möglichkeit oder Materie hat kein Streben über sich hinaus (possibilitates enim sive materia ultra se non extendit.) Zu sagen, das Universum kann actu immer größer werden, ist so viel als zu sagen: das Sein-Können geht über in das wirkliche (actu) unendlich Sein, was unmöglich ist, da die unendliche Wirklichkeit (actualitas), die die absolute Ewigkeit ist, aus dem Sein-Können nicht entstehen kann, sie, die in Wirklichkeit die ganze Möglichkeit des Seins ist. (Nam non est aliud dicere, universum posse semper actu esse majus, quam dicere, posse esse transire in actu infinitum esse, quod est impossibile, cum infinita actualitas, quae est absoluta aeternitas, ex posse oriri nequeat, quae est actu omnis essendi possibilitas.) Wiewohl daher das Universum in Rücksicht auf die unendliche Allmacht Gottes, die unbegrenzbar ist, größer sein könnte, so kann es doch nicht größer sein, da die Möglichkeit des Seins oder die Materie, welche nicht actu ins Unendliche ausdehnbar ist, widerstrebt. Es ist daher unbegrenzt (interminatum), da es ein wirklich Größeres nicht gibt, nach dem es begrenzt würde. In diesem Sinne ist es privativ unendlich. In Wirklichkeit (actu) ist es aber nur in konkret beschränkter Weise (contracte), so dass es in so guter Weise existiert, als es seine Natur zulässt. Denn es ist Geschöpf, das notwendig aus dem absolut göttlichen Sein stammt (es enim creatura, quae necessario est ab esse divino simpliciter absoluto), wie ich nun im Folgenden aus der Wissenschaft des Nichtwissens so klar und einfach als möglich zeigen werde.

Zweites Kapitel: Das Sein der Kreatur stammt auf eine uns unbegreifliche Weise aus dem Sein des ersten Größten. (Quod esse creaturae sit inintelligibiliter ab essse primi.)

Unser System hat uns gezeigt, dass nichts aus sich ist, als das schlechthin Größte, in dem aus sich, in sich, durch sich Sein identisch ist, nämlich das absolute Sein selbst, so wie dass Alles, was ist, das was es ist und soweit es ist, aus jenem sei; denn wie könnte, was nicht aus sich ist, anders sein, als aus dem ewigen Sein? Da nun aber das Größte fern von jeder Missgunst (invidia) ist, so ist es ihm unmöglich, ein vermindertes Sein (als solches) mitzuteilen. Es hat somit die Kreatur, die aus dem Sein ist, Alles das, was sie ist: Zerstörbarkeit, Teilbarkeit, Unvollkommenheit, Verschiedenheit, Vielheit etc., nicht von dem ewigen, unteilbaren, vollkommensten, ununterschiedenen Einen Größten, überhaupt nicht von einer positiven Ursache; denn wie die unendliche Linie das unendlich Gerade ist und die Ursache alles Seins der Linien, die krumme Linie aber als Linie ihr Sein von der unendlichen hat, als krumme Linie aber nicht von dieser, da die Krümmung eine Folge der Endlichkeit ist, indem sie deshalb krumm ist, weil sie nicht die größte Linie ist, (wäre sie die größte, so wäre sie, wie oben gezeigt wurde, nicht krumm), so geht es auch mit den Dingen. Sofern sie vermindert, getrennt etc. sind, können sie nicht aus dem Größten sein, weil diese Zustände keine positive Ursache haben. Von Gott also hat es das Geschöpfliche, einig, unterschieden und mit dem Universum verbunden zu sein, und zwar je mehr geeint, desto ähnlicher ist es Gott. Dass aber seine Einheit in Vielheit, sein Unterschiedenes in Verwirrung (discretio in confusione), seine Verbindung in Disharmonie sich befindet, das hat es nicht von Gott, noch von irgend einer positiven Ursache, sondern zufällig (contingenter). Wer will nun, indem er in dem Geschöpflichen die Begriffe der absoluten Notwendigkeit, aus der es ist, und der Zufälligkeit, ohne die es nicht ist, zugleich denkt, ihr Sein begreifen? Scheint es nicht, als ob das Geschöpfliche, das weder Gott, noch auch Nichts ist, gleichsam nach Gott und vor dem Nichts ist, zwischen Gott und dem Nichts, wie ein Philosoph sagt: Gott ist der Gegensatz des Nichts durch Vermittlung des Seins (Deus est oppositio nihil mediatione entis); und doch kann das Geschöpfliche nicht aus dem Sein und Nichtsein zusammengesetzt sein. Es scheint also weder zu sein, weil es aus dem Sein herabsteigt, noch auch nicht zu sein, weil es vor dem Nichts ist, und nicht aus jenen beiden zusammengesetzt. Unser Verstand, der über Gegensätze nicht hinauskommt, er mag diese getrennt oder verbunden auffassen (divisive aut compositive), erfasst das Sein des Geschöpflichen nicht, obwohl er weiß, dass dessen Sein nur aus dem Sein des Größten stamme. Das Sein des Geschöpflichen ist demnach nicht zu begreifen, da das Sein, aus dem es ist, nicht zu begreifen ist, sowie auch das Dasein des Akzidenz nicht zu begreifen ist, wenn die Substanz, an der es ist nicht begriffen wird. Weil aber das Geschöpfliche durch das Sein des Größten erschaffen ist und in dem Größten Sein, Machen und Erschaffen identisch sind, so scheint das Erschaffen nichts Anderes zu sein, als dass Gott Alles ist. (Quoniam vero creatura per esse maximi creata est, in maximo vero idem est esse, facere et creare, tunc non aliud videtur esse creare, quam Deum omnia esse.) Ist aber Gott Alles und heißt dieses Erschaffen, wie lässt sich denken, dass das Geschöpfliche nicht ewig ist, da das Sein Gottes ewig, ja die Ewigkeit selbst ist? So weit also das Geschöpfliche das Sein Gottes ist, ist es ohne Zweifel die Ewigkeit, soweit es jedoch der Zeit anheimfällt (cadit sub tempore), ist es nicht von Gott, weil dieser ewig ist. Wer begreift es nun, dass das Geschöpfliche aus dem Ewigen und dabei zeitlich ist? Es musste im Sein selbst in der Ewigkeit sein, und konnte auch nicht vor der Zeit sein, weil es vor der Zeit kein Vorher gab; und so war es denn immer, seit es sein konnte (et ita semper fuit, quando esse potuit). Sodann wer kann es begreifen, dass Gott das bildende Prinzip des Seins (essendi formam) ist, und doch sich nicht mit dem geschöpflichen Sein vermischt (nec tamen immisceri creaturae)? Denn es kann nicht aus der unendlichen Linie und der endlichen krummen ein Zusammengesetztes entstehen, das ohne Verhältnisbestimmung (absque proportione) nicht denkbar ist. Dass aber zwischen Unendlichem und Endlichem kein Verhältnis besteht, bestreitet Niemand. Wie kann also der Verstand es begreifen, dass das Sein der krummen Linie aus der unendlich geraden stamme, wenn doch diese jene nicht bildet als ihr bildendes Prinzip, sondern als ihre Ursache und Grund (quae tamen ipsam non informat ut forma, sed ut causa et ratio)? Und diesem ihrem Grunde kann sie nicht so participiren, dass sie einen Teil davon ausmacht (non potest participare partem capiendo), da derselbe unendlich und unteilbar ist, also nicht wie die Materie an der Form participirt, oder Sokrates und Plato an der Menschheit oder die Teile am Ganzen, die Teile des Universums am Universum oder mehrere Spiegel an derselben Gestalt, die sie abspiegeln, da das Sein der Kreatur nicht von dem Dasein derselben ist; denn sie ist wie ein Spiegel; nun ist aber der Spiegel da, ehe er das Bild eines Gegenstandes in sich aufnimmt. Wer will es also begreifen, wie ein unendliches Bildungsprinzip (forma) von verschiedenen Geschöpfen verschieden participirt wird, da doch das Sein des Geschöpflichen nur der Widerschein ist, der nicht in einem andern positiv aufgefasst wird, sondern zufälliger Weise ein verschiedener ist (cum creaturae esse non possit aliud esse, quam ipsa resplendentia, non in aliquo alio positive recepta, sed contingenter diversa)? gleichwie ein vollendetes Kunstwerk, das ganz von der Idee des Künstlers abhängig ist, kein anderes Sein hat, als das der Abhängigkeit von dem, aus dem es das Sein hat, und durch dessen Einfluss es erhalten wird, oder wie eine Gestalt, die in einem Spiegel sich abspiegelt, der vorher und nachher an sich und in sich nichts ist. Ebenso wenig lässt es sich begreifen, wie Gott durch sichtbare Geschöpfe uns offenbar werden kann, denn es ist da nicht wie bei unserem Geiste. Wenn dieser zu denken anfängt, so nimmt er, der zuerst formlos (informis) ist, aus gewissen Anschauungen ein Bild einer Farbe, eines Tones u. dgl. in das Gedächtnis auf, nachher nimmt er wieder ein anderes Bild von andern Zeichen, Stimmen oder Buchstaben in sich auf und versenkt sich in sie (se aliis insinuat). Anders ist es bei Gott; denn obwohl Gott zur Offenbarung seiner Güte (vom religiösen Standpunkte betrachtet – ut pii volunt) oder weil er die absolute Notwendigkeit ist, die Welt erschaffen hat, auf dass sie ihm gehorche oder damit Wesen da sind, die seine Befehle annehmen und ihn fürchten, die er einst richte u. dgl., so ist doch klar, dass er keine andere Form annehmen kann, da er die Form aller Formen ist, noch auch in positiven Zeichen erscheinen kann, da diese Zeichen als solche notwendig wieder andere Zeichen zu ihrer Vermittlung und so ins Unendliche fort erforderten. Wer wollte es begreifen, dass Alles ein Abbild des Einen unendlichen Bildungsprinzips sei, und die Verschiedenheit nur zufällig (ex cotingenti) habe, gleichsam als wäre das geschöpfliche Sein Gott aus Zufall, wie man das Akzidenz Substanz aus Zufall, das Weib Mann aus Zufall nennen könnte (quasi creatura sit Deus occasionatus, sicut Akzidenz substantia occasionata, et mulier vir occasionatus), weil das unendliche Prinzip nur endlich recipirt ist, so dass das ganze geschöpfliche Sein gleichsam eine endliche Unendlichkeit oder ein geschaffener Gott ist, auf dass es so auf die bestmögliche Weise existiere (ut omnis creatura sit quasi infinitas finita aut Deus creatus, ut sit eo modo, quo hoc melius esse possit); als wenn der Schöpfer gesagt hätte: Es werde! und weil Gott, der die Ewigkeit selbst ist, nicht werden konnte, so ist geworden, was Gott am ähnlichsten werden konnte. Eine Folgerung aus dem Bisherigen ist, dass jedes Geschöpf als solches vollkommen ist, wenn es auch im Verhältnisse zu einem andern weniger vollkommen zu sein scheint; denn der gütige Gott teilt das Sein Allen in der Weise mit, in der es aufgefasst werden kann. Da Gott ohne Verschiedenheit und Missgunst das Sein mitteilt, und es in der Art aufgenommen wird, dass es anders nicht aufgenommen werden könnte, so ruht jedes erschaffene Sein in der Vollkommenheit, die es auf das Reichlichste (liberaliter) von dem göttlichen Sein erhalten hat, und begehrt kein anderes Geschöpf zu sein, als wäre es dann vollkommener, sondern hat eine Vorliebe (praediligens) zu dem Sein, das es von dem Größten hat, als zu einem göttlichen Geschenk, das es unzerstörbar zu erhalten und zu vervollkommnen sucht.

Drittes Kapitel: Das Größte ist auf eine uns unbegreifliche Weise der Inbegriff und die Entfaltung des Alls

Nichts lässt sich über die unerforschliche Wahrheit, von der im ersten Buche die Rede war, aussagen oder denken, was nicht in der ersten Wahrheit enthalten ist. Denn was mit dem, was dort von der ersten Wahrheit gesagt wurde, übereinstimmt, ist wahr, was nicht übereinstimmt, falsch. Nun aber ist dort gezeigt, es gebe nur Ein Größtes von allen Größen. Das Größte ist, das keinen Gegensatz hat, wo auch das Kleinste das Größte ist. Die unendliche Einheit ist also der Inbegriff (complicatio) von Allem. Das nennt man Einheit, was Alles einet, nicht nur wie die Einheit der Zahl, sondern des Alls. Wie man in der Zahl als der Entfaltung der Einheit nichts als die Einheit findet, so findet sich in Allem, was ist, nur das Größte wieder. In der Quantität ist die Einheit der Punkt; daher finden wir in der Linie, Oberfläche und dem Körper nichts als den Punkt. Und es ist nicht mehr als Ein Punkt, der der Inbegriff alles Quantums ist. So ist die Ruhe der einheitliche Inbegriff der Bewegung, die, genau betrachtet, nichts Anderes ist, als die Reihenfolge der Ruhe (motus est quies seriatim ordinata). Die Bewegung ist mithin die Entfaltung der Ruhe. Das Jetzt oder die Gegenwart ist der Inbegriff der Zeit. Die Vergangenheit war Gegenwart, die Zukunft wird Gegenwart sein. Die Zeit ist daher die aneinandergereihte Gegenwart. Es gibt also nur Eine Gegenwart, als der Inbegriff aller Zeiten, und diese Gegenwart ist die Einheit selbst. So ist die Identität der Inbegriff der Verschiedenheit, die Gleichheit der der Ungleichheit. Gott ist demnach der Inbegriff von Allem, in dem Sinne, dass Alles in ihm ist; er ist die Entfaltung von Allem, sofern er in Allem ist (Deus ergo est omnia complicans, in hoc, quod omnia in eo, es omnia explicans, in hoc, quia ipse in omnibus). Und wie aus unserm Geiste dadurch, dass wir vieles Einzelne als Einem Gemeinsamen zugehörig erkennen, die Zahl entsteht, so entsteht die Vielheit der Dinge aus dem göttlichen Geiste, in dem das Viele ohne Vielheit ist, weil in der zusammenfassenden Einheit; deshalb nämlich, weil die Dinge an der Gleichheit des Seins nicht auf gleiche Weise participiren können, hat Gott in der Ewigkeit das eine so, das andere anders gedacht, woraus die Vielheit, die in ihm Einheit, entstanden ist. Die Art und Weise dieses Insichfassens und Entfaltens geht über unsern Verstand. Wer sollte es begreifen, dass aus dem göttlichen Geiste die Vielheit der Dinge entsteht, da das Denken Gottes sein Sein und dieses die unendliche Einheit ist? Ziehst du die Vergleichung mit der Zahl, dem Veilfachen der Einheit herbei, so scheint Gott gleichsam in den Dingen vervielfältigt, da sein Denken sein Sein ist, und doch siehst du die Unmöglichkeit davon ein, dass sich die unendliche und höchste Einheit vervielfältige. Wie lässt sich also die Vielheit begreifen, deren Sein aus dem Einen ohne Vervielfältigung stammt? oder wie die Vervielfältigung der Einheit, ohne Vervielfältigung? Offenbar nicht wie die Vielheit der Individuen in Einer Art oder mehrerer Arten in Einer Gattung, außerhalb welcher die Gattung und Art nur eine leere Abstraction ist! Wie also Gott, dessen Sein und Einheit weder eine Abstraction des Verstandes, noch eine Vermengung mit den Dingen ist, durch die Zahl der Dinge sich entfalte, das begreift Niemand. Betrachtest du die Dinge ohne ihn, so sind sie nichts, wie die Zahl ohne die Einheit. Betrachtest du ihn ohne die Dinge, so ist er, und die Dinge sind nichts. Betrachtest du ihn, sofern er in den Dingen ist, so stellst du dir vor, die Dinge seien etwas, in denen er ist; allein das ist ein Irrtum, wie das vorige Kapitel: gezeigt hat, weil das Sein eines Dinges nicht etwas ist, wie ein abgesondertes Sein, sondern sein Sein ist von dem Sein des Größten. Betrachtest du endlich das Ding, sofern es in Gott ist, so erhälst du Gott und die Einheit. Es bleibt nichts Anderes übrig, als zu sagen: die Vielheit der Dinge entsteht dadurch, dass Gott im Nichts ist (quod pluralitas rerum exoriatur eo, quod Deus est in nihilo). Denn nimm Gott von dem Geschöpfe hinweg, so bleibt Nichts; nimm die Substanz von dem Zusammengesetzten hinweg, und es bleibt kein Akzidenz übrig; so bleibt denn das Nichts übrig. Wie mag unser Verstand dies begreifen? Denn hört auch nach Aufhebung der Substanz das Akzidenz auf, so ist deshalb das Akzidenz nicht Nichts; es hört aber auf (perit), weil sein Sein nur ein Dabeisein (adesse) ist. Wenn gleich z.B. die Quantität nur durch das Sein der Substanz ist, so ist doch die Substanz nur, weil die Quantität dabei ist (adest), ein Quantum. Nicht so ist es hier; denn das Geschöpfliche ist nicht so bei Gott (Deo adest), denn es bringt Gott nichts bei (nihil confert Deo), wie das Akzidenz der Substanz. Ja das Akzidenz bringt der Substanz so viel bei, dass diese, obwohl jenes von ihr das Sein hat, doch ohne alles Akzidenz nicht sein kann. Das kann bei Gott nicht so sein. Wie können wir also das Geschöpfliche als solches begreifen, das von Gott ist, aber nichts ihm, der der Größte ist, beibringen (tribuere) kann? Und wenn es als Geschöpfliches auch nicht einmal so viel Sein als ein Akzidenz hat, sondern ganz und gar Nichts ist, wie lässt es sich denken, dass die Vielheit der Dinge dadurch sich entfalte, dass Gott im Nichts ist, da das Nichts kein Sein ist? Sagst du: sein allmächtiger Wille ist die Ursache, Wille und Allmacht sind sein Sein (denn die ganze Gotteslehre bewegt sich im Kreise), so gestehst du eben damit, dass du die Art des Insichfassens und Entfaltens nicht kennest, obwohl du das weißt, dass Alles in ihm er selbst, und er in Alles das, was sie sind, ist, wie das Urbild in dem Abbilde; wie wenn ein Antlitz sein eigenes Abbild hätte, das von ihm bald nahe, bald fern vervielfältigt wird, die Entfernung nicht räumlich gefasst, sondern graduell, nach der Ähnlichkeit mit dem Original, so würde das Eine Antlitz in verschiedenen Abbildern verschieden vervielfältigt erscheinen, in einer dem Sinn und Verstande unbegreiflichen Weise.

Viertes Kapitel: Das Universum, das konkret Größte, ist nur ein Abbild des absolut Größten

Wenn wir das durch die Wissenschaft des Nichtwissens bisher Ermittelte weiter verfolgen, so werden sich uns auch aus dem Satze, dass Alles das absolut Größte oder von demselben ist, über die Welt oder das Universum, das ich als das konkret (contractum) Größte betrachte, manche Ausschlüsse ergeben. Denn da dieses konkret Größte Alles, was es ist, vom Absoluten hat, so ist es eine größtmögliche Nachahmung desselben. Wir sagen daher, dass, was sich uns im ersten Buche über das absolut Größte ergeben hat und diesem als Absoluten absolut zukommt, dem konkret Größten konkret zukomme. Wir wollen Einiges zum Nutzen des Verständnisses erläutern. Gott ist das absolut Größte, die absolute Einheit, die allen Unterschieden und Gegensätzen vorausgeht und sie einigt (wie z.B. das Kontradiktorische, von dem es keine Vermittlung gibt), die absolut das ist, was Alles ist, in Allem das absolute Prinzip und Ende der Dinge, das Sein, in dem Alles ohne Vielheit das absolut Größte selbst ist, einfach ununterschieden, wie die unendliche Linie alle Figuren in sich begreift. Auf ähnliche Weise ist die Welt oder das Universum das konkret Größte und Eine, den konkreten Gegensätzen vorausgehend; es ist in konkreter Weise das, was Alles ist, das konkrete Prinzip und Ende in Allem, konkretes Sein, konkrete Unendlichkeit; Alles ist in ihm ohne Vielheit das konkret Größte selbst, in konkreter Einfachheit und Ununterschiedenheit, wie die konkret größte Linie alle Figuren konkret in sich begreift. Hält man den Begriff des Konkreten richtig fest, so ist Alles klar. Es steigt nämlich die konkrete Unendlichkeit oder Einfachheit in unendlicher Weise, ohne Proportion aus dem Absoluten und Einen herab. Daher ist die konkrete Einheit nicht ohne Vielheit, das Unendlich beschränkt, das Einfache zusammengesetzt, das Ewige ein Nacheinander, die Notwendigkeit durch die Möglichkeit beschränkt etc. Vieles lässt sich hieraus entwickeln. Wie Gott in seiner Unermesslichkeit weder in der Sonne, noch im Monde ist, obwohl er in ihnen das, was sie sind, absolut ist, so ist auch das Universum weder in der Sonne, noch im Monde, es ist aber in ihnen das, was sie sind, in konkreter Weise. Und da das absolute Sein der Sonne nichts Anderes ist, als das absolute Sein des Mondes (weil es Gott selbst ist, der das absolute Sein und Wesen der Dinge ist), dagegen das konkrete Sein der Sonne ein anderes ist, als das des Mondes, so ist zwar nicht das absolute Sein einer Sache, wohl aber das konkrete die Sache selbst. Da demnach das konkrete Sein des Universums anders in der Sonne, anders im Monde ist, so besteht die Identität des Universums in Verschiedenheit, wie seine Einheit in Vielheit. Obwohl daher das Universum weder Sonne noch Mond ist, so ist es doch in der Sonne Sonne, im Monde Mond, es ist aber das, was Sonne und Mond ist, ohne Vielheit und Verschiedenheit. Universum bezeichnet die Universalität, d. i. die Einheit von Vielem. Wie die Menschheit weder Sokrates, noch Plato, wohl aber im Sokrates Sokrates, im Plato Plato ist, so verhält sich das Universum zu allen Dingen. Da gesagt wurde, das Universum sei der konkrete Anfang von Allem, und in sofern das Größte, so erhellt, dass das ganze Universum durch eine einfache Emanation des konkret Größten aus dem absolut Größten in's Dasein getreten ist. Alle Wesen, welche Bestandteile des Universums sind, ohne die es nicht Eines, ganz und vollkommen sein könnte, sind zugleich mit dem Universum in's Dasein getreten, nicht zuerst die Intelligenz, dann die Seele, dann die Natur, wie Avicenna und andere Philosophen lehrten. Wie in der Intention des Künstlers vorher das Ganze, z.B. ein Haus ist, ehe er an die Teile, z.B. die Wände denkt, so sagen wir, dass, da Alles nach der Intention Gottes in's Dasein getreten ist, zuerst das Universum und in Folge dessen (et in ejus consequentiam) Alles, ohne was weder ein Universum, noch ein vollkommenes Universum sein kann, entstanden ist. Wie also das Abstrakte im Konkreten ist, so betrachten wir das absolut Größte im konkret Größten als das Erste (prioriter consideramus), das in Folge dessen in allem partikularen Sein ist, weil es auf absolute Weise in dem ist, was Alles in konkreter Weise ist. Gott ist nämlich das absolute Sein des Universums, dieses ist das konkrete Sein, das Konkrete bezieht sich auf das Einzelne, auf Dies oder Jenes. Es ist also Gott das Eine, im Einen Universum, das Universum aber in Allem konkret. So begreifen wir, wie Gott mittelst des Universums in Allem und die Vielheit der Dinge mittelst des Einen Universums in Gott ist.

Fünftes Kapitel: Jegliches ist in Jeglichem

Wenn du das Bisherige wohl erwägst, so wirst du unschwer den Sinn jenes Satzes des Anaxagoras: »Jegliches ist in Jeglichem« erkennen, ja vielleicht noch tiefer erfassen, als Anaxagoras selbst. Denn da im ersten Buch gezeigt ist, Gott sei in dem Sinne in Allem, dass Alles in ihm ist, und da jetzt erwiesen ist, Gott sei mittelst des Universums in Allem, so folgt, dass Alles in Allem und Jegliches in Jeglichem ist. Das Universum geht nämlich als das Vollkommenste naturgemäß (ordine naturae) allen Dingen vorher, damit Jedes in Jedem sein kann. So ist das Universum in jedem Geschöpfe dieses Geschöpf, und Jegliches nimmt Alles in sich auf, so dass dieses in ihm konkret existiert. Da jedes Einzelne nicht in Wirklichkeit (actu) Alles sein kann, weil es beschränkt ist, so schränkt es Alles in sich ein, auf dass Alles dieses Einzelne sei (cum quodlibet non possit esse actu omnia, cum sit contractum, contrahit, omnia, ut sint ipsum). Ist folglich Alles in Allem, so scheint Alles dem Einzelnen vorherzugehen. Alles ist somit nicht die Vielheit, weil die Vielheit nicht dem Einzelnen vorhergeht. Alles ist daher ohne Vielheit Jeglichem naturgemäß vorhergegangen. In Jeglichem ist daher nicht die Vielheit in Wirklichkeit (actu), sondern Alles ist ohne Vielheit eben dieses Einzelne. Da nun das Universum konkret in den Dingen ist, so ist jedes wirklich (actu) existierende Wesen eine konkrete Darstellung des Universums (contrahit universa), so dass dieses in Wirklichkeit das ist, was jenes Wesen ist. Jedes wirklich Existierende ist aber in Gott, weil er die Wirklichkeit von Allem ist. Die Wirklichkeit (actu) ist Vollendung und Ziel der Möglichkeit. Da nun das Universum in jedem wirklich Existierenden konkret erscheint, so folgt, dass Gott, der im Universum ist, in Jeglichem sei und jedes wirklich Existierende unmittelbar in Gott wie das Universum. Jegliches ist in Jeglichem – heißt also so viel als: Gott ist durch Alles in Allem, und Alles ist durch Alles in Gott. Einem tieferen Nachdenken sind diese schwierigen Dinge ganz klar, sowohl: dass Gott ohne Verschiedenheit in Allem, weil Jegliches in Jeglichem, als auch, dass Alles in Gott ist, weil Alles in Allem ist. Ein Beispiel. Bekanntlich ist die unendliche Linie – Linie, Dreieck, Kreis und Kugel. Jede endliche Linie hat ihr Sein von der unendlichen, die alles das ist, was sie ist. In der endlichen Linie ist daher Alles, was sie ist, endliche Linie: Dreieck, Kreis, Kugel. Jede Figur in der endlichen Linie ist daher diese Linie; in ihr ist kein Dreieck, Kreis oder Kugel in Wirklichkeit (actu), weil aus mehrerem Wirklichen (ex pluribus actu) nicht Ein Wirkliches wird, da nicht jedes Ding auch actu in jedem ist, sondern das Dreieck in der Linie ist Linie, der Kreis in der Linie ist Linie etc. Alles am Stein ist Stein, an der Seele Seele, am Leben Leben, am Gesichte Gesicht, an der Einbildung Einbildung, am Verstande Verstand, an der Vernunft Vernunft, an Gott Gott. Und nun betrachte, wie das Universum in Vielheit ist und die Vielheit in Einheit. Erwäge noch reiflicher und du wirst einsehen, dass jegliches wirklich existierende Ding darin seine Ruhe findet, dass Alles in ihm es selbst ist, und es selbst in Gott – Gott. Wir bemerken eine wunderbare Einheit, eine staunenswerthe Gleichheit und eine unbegreifliche Verbindung der Dinge, auf dass Alles in Allem sei. Die Verschiedenheit und Verbindung der Dinge entsteht auf folgende Weise: da jedes Ding nicht in Wirklichkeit (actu) Alles sein konnte, weil es sonst Gott wäre, und deshalb Alles in Jedem auf die Art ist, wie es nach Dem sein kann, was es ist, so konnte nicht jedes in Allem dem andern ähnlich sein. Deshalb schuf Gott Alles in verschiedenen Stufen, wie er denn auch jenes Sein, welches nicht zugleich unzerstörbar sein konnte, durch das zeitliche Nacheinander unzerstörbar machte, auf dass Alles das sei, was es ist, weil es nun einmal nicht anders und besser sein konnte. Es hat daher Alles in Jedem seinen Ruhepunkt, weil keine Stufe ohne die andere sein könnte, wie am Körper jedes Glied dem andern dient und alle Glieder in allen ihr Genüge finden (contentantur). Weil das Auge nicht Hand und Fuß und alle anderen Glieder in Wirklichkeit sein kann, so begnügt es sich, Auge, der Fuß begnügt sich, Fuß zu sein. Alle Glieder unterstützen sich gegenseitig, auf dass jedes auf die bestmögliche Weise das sei, was es ist. Die Hand ist nicht Hand, der Fuß nicht Fuß im Auge, sondern im Auge sind sie Auge, und so als Auge unmittelbar im Menschen. Ebenso sind alle Glieder im Fuße und als Fuß unmittelbar im Menschen, so dass jedes Glied durch jedes unmittelbar im Menschen und der Mensch oder das Ganze durch jedes Glied in jedem ist. Oder betrachtest du die Menschheit als ein gewisses absolutes, nicht zu vermengendes und einzuschränkendes Sein und dann den Menschen, in welchem die absolute Menschheit auf absolute Weise sich vorfindet, aus welcher die konkrete Menschheit – der Mensch – herstammt, so entspringt die absolute Menschheit Gott, die konkrete dem Universum. Die absolute Menschheit ist im Menschen nach der Priorität, und in Folge dessen in jedem Gliede oder Teile. Die konkrete Menschheit ist im Auge Auge, im Herzen Herz etc., in jeglichem jegliches konkret. Auf diesem Wege ergibt sich die Ähnlichkeit zwischen Gott und der Welt und die Veranschaulichung alles dessen, was in den zwei letzten Kapitel:n besprochen wurde, sammt mehreren Folgerungen daraus.

Sechstes Kapitel: Über den Organismus (de complicatione) und die Stufen des konkreten Universums

Wir haben gesehen, dass das Universum oder die Welt Eines sei, aber eine Einheit in Vielheit. Ist die absolute Einheit die erste, so ist die des Universums die zweite. Da nun die zweite Einheit (wie in dem Buche über die Muthmaßungen gezeigt werden wird) die des Zehners (denaria) ist und zehn Prädicamente in sich begreift, so entfaltet das Eine Universum die erste absolute Einheit in der konkreten Form des Zehners (denaria contractione). Im Zehner ist Alles inbegriffen, weil es keine Zahl über ihn hinaus gibt. Wie nun der Zehner die Wurzel des Quadrats – Hundert – und des Cubus – Tausend ist, so ist die Einheit des Universums die Wurzel, aus der die quadratische Einheit als die dritte und die cubische als die vierte und die letzte hervorgeht. So ergeben sich uns drei universelle Einheiten, die stufenmäßig zum partikularen Sein herabsteigen, in dem sie konkret werden, um actu dieses selbst zu sein. Die erste absolute Einheit umfasst Alles in absoluter, die erste in konkreter Weise; allein die Ordnung bringt es mit sich, dass die absolute Einheit die erste konkrete in sich zu fassen scheint, um mittelst ihr alles Andere zu umfassen. Die erste konkrete Einheit scheint die zweite konkrete und mittelst ihr die dritte zu umfassen, um mittelst ihr in das Gebiet des Partikularen herab zu kommen. So sehen wir, wie das Universum in jedem partikularen Sein in drei Stufen sich concentrirt (contrahitur). Das Universum ist demnach die Gesamtheit von zehn höchsten Allgemeinheiten (quasi decem generalissimorum universitas), auf welche die Gattungen, dann die Arten folgen. Sie alle bilden, je nach ihren Stufen, die Universalien, welche gemäß der Ordnung der Natur (ordine quodam naturae) stufenweise vor dem Dinge, das ihr konkreter wirklicher Ausdruck ist, existieren (ante rem, quae actu ipsa contrahit, existunt). Da das Universum konkret ist und somit nur in Gattungen, diese nur in den Arten bestehen, und da das Universum nur in den Individuen zur Wirklichkeit gelangt, so existieren nach dieser Betrachtung die Universalien nur in der konkreten Wirklichkeit (universalia non sunt nisi contracte actu). In diesem Sinne sagen die Peripatetiker mit Recht, die Universalien hätten außer den Dingen keine Wirklichkeit, denn nur das Einzelwesen, in welchem die Universalien konkret es selbst sind, hat Wirklichkeit. Indessen haben die Universalien naturgemäß ein gewisses universelles Sein, das der singulären Ausgestaltung fähig ist (contrahibile per singulare), nicht als ob sie vor diesem Konkretwerden in Wirklichkeit (actu) anders, als gemäß der natürlichen Ordnung existieren, nämlich als ein der konkreten Ausprägung fähiges Universale, das nicht in sich besteht, sondern nur in seiner Verwirklichung (ut universale contrahibile, non in se subsistens, sed in eo, quod actu est), wie Punkt, Linie, Oberfläche nach der Ordnung der Progression dem Körper, in dem sie allein zur Wirklichkeit gelangen, vorhergehen. Wie das Universum deshalb, weil es in Wirklichkeit nur konkret existiert, noch keineswegs ein bloßer Verstandesbegriff ist, so sind auch die Universalien nicht bloße Verstandesbegriffe, wenn sie gleich außer dem Einzelnwesen in Wirklichkeit nicht existieren, gleichwie Linie und Oberfläche, obschon sie außer dem Körper nicht vorkommen, dennoch nicht bloße Verstandesbegriffe (entia rationis) sind, weil sie im Körper eben so sind, wie die Universalien in den Einzelndingen. Der Verstand gibt ihnen jedoch durch Abstraction ein Sein außerhalb den Dingen, und diese Abstraction ist ein Verstandesbegriff, da ihnen doch ein absolutes Sein nicht zukommen kann. Denn das völlig absolute Universale ist Gott. Wie aber das Universale in unserem Geiste ist, werden wir im Buche von den Muthmaßungen sehen, wiewohl es schon aus dem Gesagten erhellen kann, da sie im Geiste nur Geist und somit auf geistiger Weise konkret (intellectualiter contracte) existieren. Da das Denken des Geistes ein helleres und höheres Sein ist, so erfasst es die Universalien, wie sie konkret in ihm und im anderen Sein existieren (cujus intelligere cum sit esse clarius et altius, apprehendit universalium contractionem in se et in aliis). Der Hund und andere Tiere derselben Art sind durch das in der Natur liegende Gemeinsame der Art, das in ihnen sich findet, zu einer Art verbunden, und dies wäre auch so, wenn auch nicht der Geist eines Plato durch Vergleichung des Aehnlichen sich Artbegriffe bilden würde. Es folgt also das Erkennen hinsichtlich seiner Tätigkeit dem Sein und Leben (sequitur igitur intelligere, esse et vivere quoad operationem suam), weil es durch seine Tätigkeit weder Sein, noch Leben, noch auch das Erkennen des Geistes selbst setzen kann; hinsichtlich der erkannten Dinge dagegen folgt das Sein und Leben als Abbild dem Erkennen der Natur (quo ad res intellectas sequitur esse et vivere intelligere naturae in similitudine). Es sind daher die Universalien, welche sich der Geist durch Vergleichung bildet, ein Abbild (similitudo) der in den Dingen konkret existierenden Universalien. Die Universalien existieren im Geiste bereits und zwar auf konkrete Weise, bevor dieser sich derselben durch denkende Betrachtung der Außenwelt, was seine Tätigkeit ist, bewusst wird. Denn er kann nichts erkennen, was nicht schon in ihm in konkreter Weise – er selbst ist. Erkennt er also die Welt, so bringt er mittelst sinnbildlicher Zeichen ein Bild der Welt, das in ihm auf konkrete Weise liegt, zum Bewusstsein und zur Entwicklung (intelligendo mundum quendam similitudinarium, qui est in ipso contractus, notis et signis similitudinariis explicat).

Siebentes Kapitel: Von der Dreieinigkeit des Universums

Da die absolute Einheit notwendig, zwar nicht konkret, wohl aber absolut dreieinig ist (denn die absolute Einheit ist nichts Anderes, als die Dreieinigkeit, die in ihren inneren Beziehungen gleichsam intimer erfasst wird) (quae quidem in quadam correlatione familiarius apprehenditur), wie im ersten Buche hinlänglich gezeigt ist, so ist auch die konkret größte Einheit, als Einheit, gleichfalls dreieinig, nicht absolut, so dass die Dreieinigkeit Einheit ist, sondern konkret, so dass die Einheit nur in Dreiheit besteht, wie das Ganze in seinen Teilen. In der Gottheit ist jede Person die Einheit selbst, und weil die Einheit Dreieinigkeit ist, so ist eine Person nicht die andere. Im Universum kann es nicht so sein; deshalb haben die drei Correlationen, die im Göttlichen Personen heißen, kein anderes wirkliches Sein, außer in ihrer Einheit zumal (nisi in unitate simul). Man muss das genau beachten, denn im Göttlichen ist die Vollkommenheit der Einheit, die Dreieinigkeit ist, so groß, dass der Vater wirklich (actu) Gott, der Sohn wirklich Gott, der hl. Geist wirklich Gott ist, der Sohn und hl. Geist wirklich im Vater, der Sohn und Vater im hl. Geiste, der Vater und hl. Geist im Sohne ist. Im konkret Größten kann dies nicht sein, denn die Beziehungen (correlationes) haben kein Bestehen aus und durch sich, außer in ihrer Verbindung (correlationes non sunt subsistentes per se, nisi copulate). Es kann daher nicht jede das Universum sein, sondern nur alle zusammen. Es ist nicht eine in Wirklichkeit in der andern, sondern sie sind, so gut es nur immer die Natur des konkreten zulässt, auf das Vollkommenste gegenseitig verbunden, so dass sich aus ihnen das Eine Universum gestaltet, dass ohne diese Dreifachheit nicht Eines sein könnte. Denn die Konkretheit kann nicht ohne ein der Konkretheit Fähiges (contrahibile), ein konkret Machendes (contrahens) und eine Verbindung, die sich in der gemeinsamen Tätigkeit der beiden Erstgenannten vollzieht, gedacht werden. Jene Fähigkeit bezeichnet die Möglichkeit, die aus der zeugenden göttlichen Einheit herabsteigt, die allem Sein vorhergeht. So geht im konkreten Sein nichts dem Sein-Können vorher. Denn wie sollte etwas sein, wenn es nicht sein könnte? Die Möglichkeit steigt somit von der ewigen Einheit herab. Das konkret Machende steigt, da es die Möglichkeit begränzt, von der Gleichheit der Einheit herab. Die Gleichheit der Einheit ist die Gleichheit des Seins. Sein und Einheit sind Wechselbegriffe. Da nun das konkret Machende die Möglichkeit gleichmacht, dass sie Dieses oder Jenessei, so sagt man mit Recht, dass es aus der Gleichheit des Seins, welche im Göttlichen das Wort ist, herabsteige. Und da dieses Wort oder die Vernunft und Idee oder auch die absolute Notwendigkeit der Dinge die Möglichkeit durch das konkret Machende nöthiget und bindet, so haben Einige das Konkretmachende das bildende Prinzip der Welt oder die Weltseele genannt, die Möglichkeit – die Materie, Andere das Fatum der Substanz (fatum in substantia), wieder Andere, wie die Platoniker, das Alles umschließende Band (necessitatem complexionis), weil es von der absoluten Notwendigkeit herabsteigt, so dass es eine Art konkreter Notwendigkeit ist, ein konkretes bildendes Prinzip, in dem alle andern Bildungsprinzipien als in ihrem Urbilde enthalten sind, wovon später die Rede sein wird. Endlich gibt es eine Verbindung des konkret Machenden und des der Konkretheit Fähigen oder der Materie und Form, oder der Möglichkeit und Notwendigkeit, die sich durch einen gewissen Geist der Liebe, der durch seine Bewegung jene Vereinigung bewirkt, vollzieht. Es ist klar, dass diese Verbindung von dem hl. Geiste, der die unendliche Verbindung ist, herabsteige.

Es ergeben sich sonach vier allgemeine Modalitäten des Seins: jene Modalität des Seins, welche die absolute Notwendigkeit – Gott ist; in dieser Weise des Seins ist Alles in Gott – die absolute Notwendigkeit. Die zweite Art des Seins ist jene, vermöge welcher die Dinge in dem Alles umschlingenden Bande sind, wo die an sich wahren Bilder der Dinge sind, wie in unserm Geiste (ob das wirklich so sei, werden wir unten sehen). Die dritte Weise des Seins ist die der determinirten Möglichkeit, in Wirklichkeit Dies oder Jenes zu sein. Die letzte Weise ist die der reinen Möglichkeit – wie die Dinge sein können. Die letzten drei Wesen des Seins bilden im Universum Eine universelle Art des Seins, jedoch nicht so, als wäre es aus jenen drei Weisen wie aus Teilen zusammengesetzt, sondern aus besondern Weisen des Seins, wie z.B. eine Rose, die an einem Rosenstocke im Winter der Potenz nach, im Sommer in der Wirklichkeit sich befindet, aus der einen Seinsweise der Möglichkeit in die andere der Determination durch die Wirklichkeit übergegangen ist.

Achtes Kapitel: Von der Möglichkeit oder der Materie des Universums

Um nun, wenn auch nur in Kürze das vorzuführen, was unserer Unwissenheit zur Belehrung dienen kann, wollen wir die genannten drei Weisen des Seins etwas weiter erörtern und dabei mit der Möglichkeit beginnen.

Die Alten haben sich viel mit ihr beschäftigt; ihre übereinstimmende Lehre war: aus Nichts wird Nichts, weshalb sie eine gewisse absolute Möglichkeit, Alles zu sein, als ewig annehmen, in der sie sich Alles der Möglichkeit nach enthalten dachten. Den Begriff dieser Materie oder Möglichkeit haben sie durch eine verkehrte Denkoperation, wie man sie sonst nur bei der Ermittlung der absoluten Notwendigkeit anwendet, gesucht; auf dem Wege des Hinwegnehmens der Form der Körperlichkeit vom Körper meinten sie den Körper sich nichtkörperlich denken zu können. Bei dieser Unwissenheit konnten sie das Wesen der Materie nicht erfassen; denn wie lässt sich ein Körper ohne Form an einem Körper denken? Sie sagten dann weiter, die Möglichkeit gehe jedem Dinge der Natur nach vorher, so dass man nie in Wahrheit sagen konnte: Gott ist, ohne dass man nicht auch in Wahrheit sagen musste: die absolute Möglichkeit ist. Doch nahmen sie dieselbe nicht gleichewig mit Gott, weil sie, die nicht Etwas und nicht Nichts, nicht Eine und nicht Mehrere, nicht Dieses und nicht Jenes ist, von Gott ist; sie fassten sie, als die Möglichkeit zu Allem, die nichts von Allem wirklich ist. Da sie aller Gestalt entbehrt, nannten die Platoniker sie den Mangel (carentiam). Weil sie Mangel hat, will sie (quia caret, appetit); sie ist daher die Willfährige (aptitudo), die der ihr gebietenden, d.i. sie zum wirklichen Sein führenden Notwendigkeit gehorcht, wie das Wachs dem Künstler, der etwas aus demselben machen will. Die Formlosigkeit (informitas) geht aus dem Mangel und der Willfährigkeit hervor, und ist deren Verbindung, so dass die absolute Möglichkeit gleichsam eine dreifache, ohne Zusammensetzung, ist; denn Mangel, Willfährigkeit und Formlosigkeit können nicht ihre Teile sein, sonst würde der absoluten Möglichkeit etwas vorhergehen, was unmöglich ist. Es sind daher Modalitäten (modi), ohne welche die absolute Möglichkeit als solche nicht wäre. Der Mangel ist zufällig (contingenter) in der Möglichkeit: weil sie die Form nicht hat, die sie haben kann, heißt sie Mangel. Die Formlosigkeit ist gleichsam die Form der Möglichkeit, die nach den Platonikern gleichsam die Materie der Formen ist. Denn indem sie die Weltseele mit der Möglichkeit verbindet, wird jene formlose Vegetation (vegetabilitas) in die wirklich vegetative Seele gebracht, in Folge der Bewegung, die von der Weltseele ausgeht und der Bewegungsfähigkeit der Möglichkeit oder Vegetation. Sie lehrten daher auch, die Formlosigkeit sei die Materie der Formen, die dann durch Sinn, Verstand und Vernunft zur Wirklichkeit gestaltet wird. Daher nannte Homer die hylê den Stoff für Körper (nutricem corporum), die Formlosigkeit aber den Stoff für die Seelen. Einer der Unsrigen sagte, das Chaos sein der Welt naturgemäß vorhergegangen, als Möglichkeit der Dinge, im Chaos sei der formlose Geist gewesen, in dem alle Seelen der Möglichkeit nach sind. Die Stoiker sagten daher, alle Formen seien in der Möglichkeit wirklich (actu), allein verborgen, es dürfe nur die sie verdeckende Hülle hinweggenommen werden, damit sie hervortreten (et per sublationem tegumenti apparere), wie wenn ein Löffel aus Holz nur durch Hinwegnehmen (von Holzteilen) entstünde. Nach den Peripatetikern aber sind die Formen nur der Möglichkeit nach in der Materie, und werden durch eine bildende Kraft hervorgebracht (per efficientem educi dicebant). Offenbar ist es das Richtige, dass die Formen nicht aus der Möglichkeit entstehen, sondern aus einer bildenden Kraft. Denn wer vom Holz Teile hinwegnimmt, um aus dem Holze eine Statue zu machen, der gibt ihm Form (addit de forma); das ist klar. Denn wenn man aus Stein keinen Kasten machen kann, so liegt der Fehler in der Materie; kann aber ein Anderer als der Künstler nicht aus Holz einen Kasten herstellen, so liegt der Fehler im Verfertiger. Es ist also Materie und eine wirkende Kraft erforderlich. Im einem gewissen Sinne sind daher die Formen der Möglichkeit nach in der Materie, die, wie es dem Bildner convenirt, in Wirklichkeit gesetzt werden. So ist nun nach den Peripatetikern in der absoluten Möglichkeit die Gesamtheit der Dinge der Möglichkeit nach, die absolute Möglichkeit ist unbegrenzt und unendlich, wegen des Mangels an Form und der Gefügigkeit zu Allem. Diese Unendlichkeit ist das Gegenteil der Unendlichkeit Gottes; jene entsteht aus Mangel, diese aus Überfluß, weil Alles in ihm er selbst in Wirklichkeit ist. So ist die Unendlichkeit der Materie privativ, die Gottes negativ.

Das sind die Sätze Derer, die über die absolute Möglichkeit sich ausgesprochen haben.

Wir finden durch unsere Wissenschaft des Nichtwissens, dass eine absolute Möglichkeit unmöglich ist. Denn da unter den möglichen Dingen nichts weniger sein kann, als die absolute Möglichkeit, die auf das Allernächste an das Nichtsein grenzt, auch nach der Ansicht mehrerer Autoren, so käme man auf ein Kleinstes und somit auch auf ein Größtes in dem, was ein Mehr oder Weniger zulässt, was unmöglich ist. Daher ist die absolute Möglichkeit nur in Gott und Gott selbst; außer ihm ist sie nicht möglich, denn es gibt nichts, das in absoluter Potenz wäre, da Alles außer Gott notwendig beschränkt (contracta) ist. Wenn sich auch in der Welt verschiedene Dinge finden, von denen aus dem einen mehr entstehen kann, als aus dem andern, so kommt man doch zu keinem absolut Größten oder Kleinsten, sondern gerade aus ihrem Vorhandensein folgt, dass es keine absolute Möglichkeit gebe. Jede Möglichkeit ist also beschränkt, ihre Beschränkung ist die Wirklichkeit. Es gibt folglich keine reine Möglichkeit, die ganz unbeschränkt wäre durch was immer für eine Wirklichkeit. Auch die Gefügigkeit (aptitudo) der Möglichkeit kann nicht unendlich und absolut sein, frei von jeder Beschränkung. Denn indem Gott die unendliche Wirklichkeit (actus) ist, ist er die Ursache dieser Wirklichkeit, die Möglichkeit des Seins ist zufällig (est contingenter). Ist nun die Möglichkeit absolut, zu was bildet sie dann das Zufällige (cui contingit)? Das Zufällige kommt aber der Möglichkeit schon dasshalb zu, weil das Sein aus dem Ersten nicht die vollständig und schlechthin absolute Wirklichkeit sein kann. Die Wirklichkeit wird daher gleichfalls durch die Möglichkeit beschränkt, so dass sie nie absolut, sondern in Potenz, und die Potenz nie absolut, sondern durch die Wirklichkeit beschränkt ist. Es gibt übrigens Unterschiede und Stufen: Eines ist mehr in Wirklichkeit, ein Anderes mehr in Potenz, ohne dass man jedoch je auf ein schlechthin Größtes und Kleinstes kommt, weil die größte und kleinste Wirklichkeit mir der größten und kleinsten Potenz koinzidiert und das absolut Größte ist, wie im ersten Buche gezeigt ist. Ferner: wäre die Möglichkeit der Dinge nicht beschränkt, so gäbe es keinen vernünftigen Grund der Dinge (non posset ratio rerum haberi), sondern Alles wäre durch Zufall, wie Epikur fälschlich lehrte. Denn dass diese Welt nach vernünftigem Grunde (rationabiliter) aus der Möglichkeit hervorging, erfolgte notwendig deshalb, weil die Möglichkeit nur die Gefügigkeit hatte, gerade nur diese Welt zu sein. Die Gefügigkeit der Möglichkeit war also beschränkt, nicht absolut. Dies gilt von Erde, Sonne und den übrigen Geschöpfen. Wären sie nicht in einer gewissen beschränkten Möglichkeit in der Materie verborgen gewesen, so wäre kein größerer Grund für ihr Hervortreten in die Wirklichkeit, als für das Gegenteil vorhanden gewesen. Wenn daher gleich Gott unendlich ist und demgemäß eine unendliche Welt hätte erschaffen können, so konnte doch die Welt, weil die Möglichkeit notwendig beschränkt und nicht absolut, auch die Gefügigkeit der Materie keine unendliche war, hinsichtlich der Möglichkeit ihres Seins nicht in Wirklichkeit (actu) unendlich, oder größer oder anders sein, als sie ist. Die Beschränkung der Möglichkeit ist die Wirklichkeit, diese aber stammt aus der absolut größten Wirklichkeit. Da demnach die Beschränkung der Möglichkeit aus Gott kommt und die Beschränkung der Wirklichkeit aus dem Zufall, so ist die mit Notwendigkeit beschränkte Welt durch Zufall endlich. (Quare cum contractio possibilitatis sit ex Deo, et contractio actus ex contigenti, hinc mundus necessario contractus ex contingenti finitus est.)

Aus dem Begriffe der Möglichkeit sehen wir also, dass das konkret Größte aus der notwendig beschränkten Möglichkeit entstanden ist, eine Beschränkung, die nicht zufällig ist, weil sie durch die Wirklichkeit erfolgt. So hat denn das Universum eine vernünftige notwendige Ursache seiner Konkretheit, so dass die Welt, die nur ein beschränktes Sein hat, nicht zufällig aus Gott ist, dem absolut Größten. Das ist ganz besonders in's Auge zu fassen. Da also Gott die absolute Möglichkeit ist, so ist die Welt, wenn wir sie als in der absoluten Möglichkeit seiend betrachten, in Gott und die Ewigkeit selbst; betrachten wir sie als beschränkte Möglichkeit, so geht die Möglichkeit nur der Natur nach der Welt vorher, und diese beschränkte Möglichkeit ist nicht die Ewigkeit, noch gleichewig mit Gott, sondern ein Abfall von ihr (cadens ab ipsa) und wie Endliches und Absolutes in unendlichem Abstande.

Auf diese Weise müssen die Ansichten über die Möglichkeit oder Materie nach den Prinzipien der Wissenschaft des Nichtwissens ihre Berichtigung erhalten.

Wie die Möglichkeit stufenweise zur Wirklichkeit vorschreite, wollen wir uns im Buche über die Muthmaßungen zu erörtern vorbehalten.

Neuntes Kapitel: Über die Seele oder das belebende Prinzip des Universums

Alle Philosophen stimmen darin überein, dass das Seinkönnen nur durch das wirkliche Sein zur Wirklichkeit gebracht werden kann, weil nichts sich selbst in Wirklichkeit setzen kann, weil es sonst die Ursache seiner selbst und somit da wäre, bevor es ist. Man sagte daher, was die Möglichkeit in Wirklichkeit setzt, handle nach Absicht (ex intentione), so dass die Möglichkeit aus vernünftiger Anordnung, nicht durch Zufall zur Wirklichkeit gelangt. Diese Wirkungsweise nannte man teils Geist (mentem), teils Vernunft (intelligentiam), teils Weltseele, teils Fatum der Substanz, teils, wie die Platoniker, das umschließende Band (necessitatem complexionis). Diese glaubten nämlich, die Möglichkeit werde mit Notwendigkeit durch sich selbst determinirt, so dass sie jetzt in Wirklichkeit ist, was sie vorher sein konnte. In jenem Geiste liegen nach den Platonikern die Formen der Dinge geistig ebenso, wie in der Materie der Möglichkeit nach. Das Alles umschließende Band, das in sich das Urbild der Formen hat, bewegt der natürlichen Ordnung gemäß den Himmel, so dass mittelst der Bewegung als des Werkzeugs die Möglichkeit zu einer dem geistigen Urbilde möglichst entsprechenden Wirklichkeit gelangt. Mittelst dieser Operation des Geistes werde durch die Bewegung die in die Materie gelangte Form sein, wenn auch nicht wahres, so doch der Wahrheit nahekommendes Abbild der idealen Form des Geistes. Demnach sind nach den Platonikern in der Weltseele die Ideen (veras formas) der Dinge, zwar nicht der Zeit, wohl aber der Natur nach vorher, als sie in den Dingen sind. Die Peripatetiker geben dies nicht zu, indem sie behaupten, die Ideen (formas) hätten kein anderes Sein, außer in der Materie und durch Abstraktion, die den Dingen folgt, im Geiste. Die Platoniker nehmen eine Mehrheit solcher unter sich verschiedenen Ideen, die aus der Einen unendlichen Vernunft stammen, an, in welcher sie alle Eines seien. Doch ließen sie diese Ideen nicht aus der Einen Vernunft geschaffen werden, sondern so herabsteigen, dass sie in der Weltseele die Entfaltung des göttlichen Geistes erblickten, und was in Gott Eine Uridee ist, in der Weltseele mehrere und verschiedene Ideen sind. Sie fügten bei, Gott gehe naturgemäß dem umschließenden Bande der Notwendigkeit vorher, wie die Weltseele der Bewegung und diese der zeitlichen Entfaltung der Dinge. Diese zeitliche Entwicklung folgt dem Naturgesetze, das in der Weltseele liegt, und heißt substantielles Fatum, die zeitliche Entfaltung desselben ist das gewöhnlich sogenannte Fatum. So ist, was wir die geistige Welt nennen, die Art und Weise des Seins in der Weltseele. Das Sein in der Wirklichkeit, wo die Möglichkeit, durch die Wirklichkeit determinirt, die Entwicklung hervorbringt, ist die Sinnenwelt. Die Ideen, wie sie im materiellen Sein liegen, sind nach ihnen von denen, die in der Weltseele sind, nur in der Seinsweise verschieden; in dieser wahr und an sich, in der Materie dem Wahren sich nähernd (verisimiliter), nicht in ihrer Reinheit, sondern verdunkelt. Die Wahrheit der Ideen erweise nur die Vernunft (intellectum); Verstand, Einbildung und Sinne erfassen nur die Abbilder oder die Vermischung der Ideen mit der Möglichkeit, weshalb sie auch nicht die Wahrheit, sondern nur ein Meinen erzielen (non vere attingitur quidquam, sed opinative). Von der Weltseele geht nach den Platonikern alle Bewegung aus, denn sie ist im Ganzen und in jedem Teile der Welt, obwohl sie nicht dieselbe Tätigkeit in allen Teilen entfaltet, wie auch die Seele im Menschen in den Haaren und im Herzen nicht die gleiche Wirksamkeit zeigt, obgleich sie ganz im ganzen Menschen und in jedem Teile ist. In der Weltseele sind alle Seelen, in und außer den Körpern, enthalten, weil sie das ganze Universum durchdringt, nicht teilweise, da sie unteilbar und einfach ist. Sie ist ganz in der Erde, wo sie die Erde zusammenhält, ganz in Stein, wo sie das Feste der Teile bewirkt, ganz im Wasser, in den Bäumen etc. Sie ist die erste kreisförmige Entfaltung des göttlichen Geistes, der das Zentrum bildet, die natürliche Entfaltung der zeitlichen Ordnung der Dinge. Wegen der in ihr liegenden Unterscheidung und Ordnung nannten sie dieselbe auch die sich bewegende Zahl; sie bestehe, wie diese, aus Gleichem und Verschiedenem, und unterscheide sich auch nur durch die Zahl von der Seele des Menschen. Was die Seele für den Menschen, ist sie das Universum. Alle Seelen kommen von ihr und lösen sich schließlich, wenn nicht Missverdienste ein Hinderniß bilden, in sie wieder auf.

Viele Christen haben sich dieser Ansicht der Platoniker angeschlossen, und zwar hauptsächlich aus dem Grunde: da das Wesen des Steines ein anderes, als das des Menschen ist, und in Gott keine Verschiedenheit und kein Anderssein stattfindet, so hielten sie es für eine logische Notwendigkeit, dass die verschiedenen Ideen, nach welchen die Dinge verschieden sind, nach Gott und vor den Dingen seien (denn das Rationelle einer Sache geht ihr vorher). Diese Sonderung fanden sie befriedigt in dem Begriffe des die Welt regierenden Geistes (intelligentia rectrice orbium). Diese unterschiedenen Ideen sind die unzerstörbaren Begriffe der Dinge in der Weltseele, ja, diese selbst fassten sie als den Gesamtbegriff aller Begriffe; alle Begriffe haben in ihr substantielles Sein, wiewohl das schwer zu verstehen sei. Sie führen selbst die Autorität der heiligen Schrift zur Begründung an. Wenn Gott sprach: es werde Licht! und es ward Licht, wie hätte er sagen können: Es werde Licht! wenn die Wahrheit (Idee) des Lichtes nicht naturgemäß vorher dagewesen wäre? Und nachdem zeitlich das Licht in Wirklichkeit ungesetzt war, warum wurde es gerade Licht und nicht anders genannt, wenn die Idee des Lichts nicht vorher da war? Vieles Aehnliche wird zur Beschäftigung angeführt.

Die Peripatetiker geben zwar zu, das Werk der Natur sei ein Werk der Intelligenz, leugnen jedoch das Dasein der Ideen. Wenn sie nicht unter der Intelligenz Gott verstehen, so sind sie sicher im Irrtume. Denn wenn kein Wissen der Dinge und der Intelligenz ist, wie kann sie denn, was doch Voraussetzung ist, die Dinge bewegen? Hat sie aber eine Kenntnis der zeitlich zu entwickelnden Dingen, was das Vernünftige in der Bewegung (ratio motus) ist, so kann diese von den Dingen, die ja zeitlich noch existieren, nicht abstrahirt sein. Gibt es also ein Wissen ohne Abstraction, so ist es sicher dasjenige, von dem die Platoniker reden, das nicht den Dingen entnommen ist, sondern nach dem die Dinge gebildet sind (res secundum eam). Daher waren nach den Platonikern die Ideen der Dinge nicht etwas Gesondertes, verschieden von der Intelligenz selbst, sondern sie bildeten, obwohl unter sich geschieden, Eine einfache Intelligenz, die alles Vernünftige in sich begeistert. So ist zwar die Idee des Menschen nicht die des Seins, gleichwohl hat die Menschheit, von der der Mensch der konkrete Ausdruck ist, kein anderes Sein als in der Intelligenz, in ihr geistig, in der Wirklichkeit reell. Es gibt nicht eine andere (ideale) Menschheit des Plato und eine andere in der Realität, sondern dieselbe Menschheit Plato's ist in verschiedenen Seinsweisen, vorher in der Intelligenz, dann in der Wirklichkeit, was jedoch nicht als ein Vorher der Zeit zu denken ist, sondern so wie der rationelle Grund (ratio) einer Sache ihr naturgemäß vorhergeht. Sehr scharfsinnig und philosophisch sind hierin die Platoniker, und Aristoteles hat sie vielleicht nicht ganz philosophisch hierin getadelt, indem er mehr an der Schale der Worte hängen blieb, als in den Kern der Sache eindrang. Wo die Wahrheit liege, wollen wir nun durch die Wissenschaft des Nichtwissens ermitteln.

Es ist bewiesen, dass man auf kein einfach Größtes kommt, dass es daher keine absolute Möglichkeit und keine absolute Idee (formam) oder Wirklichkeit (actum) gebe, die nicht Gott ist, dass jedes Ding beschränkt ist und es nur Eine Idee aller Ideen (forma formarum) und Ein Urbild (veritas veritatum) gebe, und die absolute Idee des Kreises und Vierecks die gleiche ist. Die Ideen der Dinge sind daher nicht unterschieden, außer sofern sie konkret (contractae) erschienen; in ihrer Absolutheit sind sie Eine ununterschiedene Idee – das Wort Gottes. Die Weltseele hat daher kein anderes Sein, als ein mögliches, durch welches sie beschränkt wird, und der Geist ist nicht getrennt, nicht trennbar von den Dingen (mens non est separata a rebus aut separabilis). Denn betrachten wir den Geist in seiner gänzlichen Getrenntheit von der Möglichkeit, so ist dies der göttliche Geist, der allein ganz und gar Wirklichkeit ist. Es kann somit nicht mehrere gesonderte Ideen geben, denn jede wäre in Bezug auf ihre Abbilder das Größte und Wahrste. Nun kann es aber nicht mehrere Größte geben. Ein unendliches Urbild ist notwendig und hinreichend, in dem Alles geordnet enthalten ist, das allen rationellen Grund auch für die verschiedensten Dinge auf das Adäquateste in sich begeistert. Wenn wir die große Verschiedenheit betrachten, so staunen wir darüber, wie Eine einfachste Idee von allen auch der Grund der Differenz der Einzeldinge sein soll. Nach den Prinzipien unseres Systems muss dies so sein, weil sie alle Verschiedenheit als Identität in Gott nachweisen. Da wir erkennen, dass in Gott die Verschiedenheit der rationellen Gründe aller Dinge auf das Wahrste existiert, so erkennen wir eben darin, dass dies das Wahrste ist, den Einen wahren rationellen Grund aller Dinge, und dies ist die höchste Wahrheit selbst. Sagt man, Gott habe nach einer andern Idee (alia ratione) den Menschen, nach einer andern den Stein erschaffen, so ist dies wahr in Hinsicht auf die Geschöpfe, nicht auf den Schöpfer, wie wir an den Zahlen sehen. Der Ternar ist ein Einfachstes (ratio simplicissima), das weder ein Mehr noch ein weniger zulässt, in sich einig; ganz anders aber wird er in Bezug auf die Dinge. Anders ist der Ternar der Dreiecke, anders der von Materie, Form und Zusammensetzung in der Substanz, anders der von Vater, Mutter, Sohn, anders der von drei Menschen und drei Eseln. Da Alles mit Notwendigkeit umschließende Band ist daher nicht, wie die Platoniker wollten, ein Geist, geringer als der ihn zeugende, sondern der dem Vater in der Gottheit gleiche Sohn; er heißt logos oder Vernunft (ratio), weil er die Vernunft (der rationelle Grund) von Allem ist. Es heißt daher auch nichts, was die Platoniker von den Bildern der Formen (Ideen – de imaginationibus formarum) gesagt haben; sondern es gibt nur Eine unendliche Idee (forma formarum), von der alle Ideen Abbilder sind, wie wir oben gezeigt haben. Man muss dies genau in Auge fassen. Die Weltseele ist zwar als eine Art universeller Form, die alle Formen in sich fasst, zu betrachten; allein sie existiert in Wirklichkeit nur beschränkt und ist in jedem Dinge die konkrete Form des Dinges (forma contracta rei), wie in der Lehre vom Universum gezeigt wurde. Gott ist also die hervorbringende, gestaltende und zum Ziel führende Ursache von Allem, der in dem Einen Worte Alles noch so Verschiedene hervorbringt, und es gibt kein Geschöpf, das nicht durch Verendlichung weniger wäre (quae non sit ex contractione diminuta), in unendlichen Abfall von jenem göttlichen Wirken; denn nur Gott ist absolut, alles Andere ist beschränkt (solus Deus absolutus, omnia alia contracta). Es gibt auch kein Mittelding zwischen dem Absoluten und Beschränkten, wie sich Die einbildeten, die die Weltseele sich als einen Geist dachten, der nach Gott und vor der Verendlichung der Welt wäre. Nur Gott ist die Seele und der Geist der Welt, sofern man die Seele als etwas Absolutes denkt, in dem alle Formen der Dinge in Wirklichkeit sind.

Die Philosophen waren über das Wort Gottes und das absolut Größte nicht vollständig unterrichtet, daher fassten sie Geist, Seele und Notwendigkeit in einer gewissen Entwicklung dieser Notwendigkeit absolut, nicht beschränkt auf. Die Ideen im Worte sind in Wirklichkeit das Wort selbst, in allen Dingen sind sie beschränkt. Die Ideen, die in der erschaffenen Natur liegen, sind zwar gemäß der geistigen Natur gewissermaßen mehr absolut, jedoch nicht ohne Beschränkung, weil die einem Geiste angehören, dessen Tätigkeit, wie Aristoteles sagt, ein Erkennen durch abstrahirte Ähnlichkeit ist (per similitudinem abstractivam). Hierüber Einiges im Buche von den Muthmaßungen. Das über die Weltseele Gesagte mag genügen.

Zehntes Kapitel: Vom Geiste des Universums

Einige betrachten die Bewegung, welche die Verbindung der Form und Materie bewirkt, als eine Kraft (spiritum), die die Vermittlung zwischen Form und Materie vollzieht und dachten sich dieselbe über den freien Himmelsraum, die Planeten und die irdische Welt verbreitet. Sie nannten sie atropos, gleichsam das Bewegungslose, weil sie glaubten, der Eine Himmelsraum habe eine einfache Bewegung von Ost nach West; sodann klôthô, das ist: Umdrehung, weil sich die Planeten durch Umdrehung gegen den Himmelsraum von West nach Ost bewegen; endlich lachesis, d.i. Zufall (sors), weil der Zufall die Welt regiert. Die Bewegung der Planeten ist die Entfaltung der ersten Bewegung und die Bewegung im Zeitlichen ist die Entfaltung der Planetenbewegung. In den irdischen Dingen sind einige Ursachen von gewissen Folgen verborgen, wie die Saat im Samen enthalten ist; daher sagten die Alten, was in der Weltseele wie zu einem Knäuel eingewickelt sei, werde durch die Bewegung entwickelt und entfaltet. Die Philosophen gingen nämlich davon aus: wie ein Künstler, der eine Statue in Stein aushauen will, die Form derselben als Idee in sich hat, und dann mittelst einiger Instrumente die Form der Statue nach seinem idealen Bilde abbildlich darstellt, so trage die Weltseele die Ideen der Dinge in sich und bringe sie mittelst der Bewegung in der Materie zur Wirklichkeit; diese Bewegung erstrecke sich über Alles; dass ein Ding in Wirklichkeit gerade dieses Ding sei, werde durch diese Bewegung bestimmt. Diese verbindende Kraft (spiritum connexionis) gehe aus Beidem: der Möglichkeit und der Weltseele hervor. Denn da die Materie durch ihre Gefügigkeit ein gewisses Verlangen nach der Form hat, diese aber nach der Wirklichkeit strebt, jedoch nicht absolut bestehen kann, da sie kein eigenes Sein hat und auch nicht Gott ist, so senkt sie sich in die Möglichkeit (Materie) herab, um beschränkt in ihr zu sein, und wirkt begrenzend, vollendend und bestimmend. Aus dieser gegenseitigen Durchdringung entsteht die beide verbindende Bewegung. Diese bewegende Kraft geht durch das ganze Universum und alle seine Teile und heißt Natur. Die Natur ist demnach der Inbegriff (complicatio) von Allem, was durch Bewegung entsteht. Wie nun diese Bewegung aus dem Allgemeinen herab sich specialisire (quomodo ab universali contrahitur usque in particulare), mit Beibehaltung der stufenmäßigen Ordnung, mag aus folgendem Beispiele erhellen. Wenn ich sage: Gott ist, so gehen diese Worte aus einer gewissen Bewegung hervor, in einer bestimmten Ordnung, so dass ich zuerst die Buchstaben, dann die Silben, dann die Worte, zuletzt den ganzen Satz ausspreche, obwohl das Gehör diese Ordnung nicht unterscheidet. So steigt die Bewegung aus dem Allgemeinen in das Partikulare herab, und erlangt hier zeitlich oder natürlich eine konkrete Gestalt. Diese Bewegung, diese Kraft (spiritus) kommt von dem heiligen Geiste (descendit a sp. s.), der durch die Bewegung selbst Alles bewegt. Wie in dem Redenden ein gewisser Geist ist, der beim Reden von ihm ausgeht und in der oben angegebenen Weise sich konkret ausgestaltet, so geht von Gott, der ein Geist ist, alle Bewegung aus. Denn also spricht die Wahrheit: »Nicht ihr seid es, die da reden, sondern der Geist eures Vaters redet in euch.« Dies gilt auch von allen andern Bewegungen und Tätigkeiten. Dieser Geist nun (die Bewegung im Universum) ist ein erschaffener Geist, ohne den nichts eine Einheit ist und bestehen kann; die ganze Welt und Alles in ihr ist durch diesen Geist, der den Erdkreis erfüllt, in der naturgemäßen Verbindung; die Möglichkeit ist durch seine Vermittlung Wirklichkeit und die Wirklichkeit ebendadurch in der Möglichkeit. Es ist dies die Bewegung, die Alles zur liebenden Vereinigung und Einheit führt, so dass Alles Ein Universum bildet. Während Jedes seine besondere Bewegung hat, um auf die beste Weise das zu sein, was es ist, und Keines sich ganz gleich wie das Andere bewegt, so nimmt doch Jedes an der Bewegung eines Jeden in seiner Weise, mittelbar oder unmittelbar Anteil (wie die Elemente an der Bewegung des Himmels und alle Glieder an der Bewegung des Herzens), auf dass es Ein Universum sei. Durch diese Bewegung existieren alle Dinge auf die bestmögliche Weise, sie erhalten sich in sich und in ihrer Art durch die natürliche Verbindung der verschiedenen Geschlechter, die durch natürliche Bewegung geeint, wenn auch individuell gesondert sind. Keine Bewegung kann aber die absolut größte sein, weil diese mit der Ruhe koinzidiert. Keine Bewegung ist daher absolut, denn die absolute Bewegung ist Ruhe, ist Gott, der alle Bewegung in sich begreift. Wie demnach alle Möglichkeit in der absoluten ruht, welche der ewige Gott ist, jede Form und Wirklichkeit in der absoluten Form, die das Wort, der Sohn des Vaters ist, so ruht alle verbindende Bewegung, alle einigende Proportion und Harmonie in der absoluten Verbindung aus dem heiligen Geiste, auf dass Ein Prinzip von Allem ist – Gott, in dem und durch den Alles ist, in einer gewissen dreifaltigen Einheit, die ihren abbildlichen konkreten Ausdruck innerhalb dem schlechthin Größten und Kleinsten findet, in verschiedenen Stufen, so dass eine Stufe der Bewegung nach Möglichkeit, Wirklichkeit und Verbindung in den geistigen Naturen ist, wo Bewegen Denken ist, eine andere Stufe in dem körperlichen Sein nach Materie, Form und Verbindung, wo das Bewegen Sein ist. Doch hierüber ein anderes Mal. Das über die Dreieinigkeit des Universums Gesagte mag für jetzt genügen.

Elftes Kapitel: Folgerungen aus dem Wesen der Bewegung

Es staunen vielleicht Manche über diese bisher unerhörte Sätze, deren Wahrheit die Wissenschaft des Nichtwissens nachgewiesen hat. Wir wissen nun, dass das Universum dreieinig und dass es nicht ein Universum gibt, das nicht eine Einheit ist aus Möglichkeit, Wirklichkeit und vereinigender Bewegung, so wie dass kein Wesen absolut, ohne die andern bestehen kann, weshalb notwendig Alles in den verschiedensten Gradunterschieden besteht, so dass im ganzen Universum nicht zwei Dinge einander vollkommen gleich sind. Es ist daher, wenn man die Verschiedenheit der Bewegung der Weltkörper erwägt, unmöglich, dass etwas die Weltmaschine sei, oder dass diese sichtbare Erde oder Luft, Feuer oder sonst irgend Etwas das feste und unbewegliche (Welt-) Zentrum bilde. Denn man kommt in der Bewegung auf kein schlechthin Kleinstes, wie z.B. ein fixes Zentrum, weil das Kleinste notwendig mit dem Größten koinzidiert. Es würde also das Zentrum der Welt mit ihrer Peripherie koinzidieren. Die Welt hat daher keine Peripherie; hätte sie Zentrum und Peripherie, so hätte sie ihren Anfang und Ende in sich selbst, die Welt wäre in Bezug auf ein Anderes begrenzt, außer der Welt wäre ein Anderes und ein Raum, – Sätze, die alle der Wahrheit entbehren. Da es somit unmöglich ist, dass die Welt in ein körperliches Zentrum und eine bestimmte Peripherie eingeschlossen sei, so erkennen wir die Welt nicht, deren Zentrum und Peripherie Gott ist. Und wiewohl diese Welt nicht unendlich ist, so kann sie doch auch nicht als endlich gedacht werden, da sie keine Grenzen hat, in welche sie eingeschlossen ist. Es kann somit auch die Erde, die das Zentrum nicht sein kann, nicht ohne alle Bewegung sein, (terra igitur, quae Zentrum esse nequit, motu omni carere non potest); denn dass sie sich bewegen müssen, ist auch in dem Sinne zu fassen, dass sie sich noch unendlich weniger bewegen könnte (nam eam moveri taliter etiam necesse est, quod per infinitum minus moveri posset). Wie die Erde nicht das Zentrum der Welt ist, so ist es auch nicht die Sphäre der Fixsterne oder ein Anderer Umkreis derselben, wiewohl die Erde, im Verhältnis zu dem Himmel betrachtet, mehr dem Zentrum, der Himmel mehr der Peripherie ähnlich zu sein scheint. Die Erde ist also nicht das Zentrum, auch nicht für die erste oder irgend eine andere Sphäre; auch das Erscheinen der sechs Himmelszeichen über dem Horizonte berechtigt nicht zu dem Schluss, die Erde sei im Zentrum der achten Sphäre. Denn auch wenn diese von ihrem Zentrum entfernt wäre und sich in der Nähe einer durch die Pole gehenden Achse befände, so dass sie auf der einen Seite gegen den einen Pol erhoben, auf der andern gegen den andern Pol gesenkt wäre, würde Denjenigen, die so weit von den Polen entfernt stehen, als der Horizont sich ausdehnt, nur die Mitte der Sphäre sichtbar sein, was für sich klar ist. Es ist auch das Zentrum der Welt nicht mehr innerhalb, als außerhalb der Erde. Ja, weder die Erde, noch irgend eine Sphäre (Himmelskörper) hat ein Zentrum. Denn da das Zentrum der von der Peripherie gleichweit entfernte Punkt ist und es keinen vollkommen wahren Kreis oder Kugel gibt, die keine größere Vollkommenheit zuließe, so gibt es offenbar kein Zentrum, das nicht viel wahrer und präziser sein könnte. Eine präzise gleichweite Entfernung ist außer Gott unmöglich, weil er allein die absolute Gleichheit ist. Gott also, der das Zentrum der Welt ist, ist auch das Zentrum der Erde und aller Himmelskörper und von Allem, was in der Welt ist; er ist zugleich die unendliche Peripherie von Allem. Ferner: am Himmel sind keine unbeweglichen und fixen Pole, wiewohl auch der Himmel der Fixsterne in Folge der Bewegung Kreise von stufenweise verschiedener Größe, kleiner als die Meridiane oder als die Aequinoctiale (das Gleiche gilt von den dazwischen liegenden Kreisen) zu beschreiben scheint. Allein es muss sich jeder teil des Himmels bewegen, wiewohl ungleich, im Verhältnis zu den Kreisen, welche die Sterne in ihrer Bewegung beschreiben. Wie einige Sterne einen größten, so scheinen andere Sterne einen kleinsten Kreis zu beschreiben; es gibt aber keinen Stern, der keinen Kreis beschriebe. Gibt es in einem Himmelskörper (in sphaera) keinen fixen Pol, so gibt es auch keine Mitte, die gleichweit von den Polen entfernt wäre. Es gibt daher in der achten Sphäre keinen Stern, der durch seine Umdrehung einen größten Kreis beschreibt, weil derselbe gleichweit von den Polen, die es nicht gibt, entfernt sein müsste. Folglich gibt es auch keinen, der einen kleinsten Kreis beschreibt. Die Pollen der Himmelskörper koinzidieren daher mit dem Zentrum, so dass Zentrum und Pol nichts Anderes ist, als – Gott. Und da wir die Bewegung nur im Verhältnis zu etwas Unbeweglichem, zum Pole oder Mittelpunkt, wahrzunehmen im Stande sind und jene bei dem Messen der Bewegungen voraussetzen, so finden wir, dass wir nur in Muthmaßungen uns bewegen und in allen Stücken irre gehen; wir wundern uns, wenn wir nach den Regeln der Alten Sterne in ihrer Stellung nicht übereinstimmend finden, weil wir annehmen, dass die Alten über Zentrum, Pole und Messung richtige Begriffe gehabt haben.

Aus dem Gesagten geht klar hervor, dass die Erde sich bewege. Da wir aus Erfahrung wissen, dass sich die Elemente durch die Bewegung eines Kometen, der Luft und des Feuers bewegen, so wie, dass der Mond sich weniger von Ost nach West bewege als der Mercur, die Venus oder die Sonne und so stufenweise, so bewegt sich die Erde noch weniger, als alle andern (Sterne), jedoch ist sie nicht ein Stern, der um Zentrum oder Pol den kleinsten Kreis beschreibt, so wie nach dem eben Gesagten die achte Sphäre oder irgend eine andere keinen größten beschreibt. Beachte daher wohl: wie sich die Sterne zu den angenommenen (conjecturales) Polen der achten Sphäre verhalten, so sind Erde, Mond und Planeten Sterne, die sich am Pole in verschiedenen Abständen bewegen, so dass wir da den Pol suchen, wo man bisher das Zentrum annahm (conjecturando polum esse, ubi creditur centrum). Wenn daher gleich die Erde ein Stern ist, der sich in größerer Nähe von dem Zentralpole befindet, so bewegt sie sich doch und beschreibt nicht, wie gezeigt ist, einen kleinsten Kreis. Ja, weder Sonne, noch Mond oder Erde, oder irgend ein Himmelskörper kann, wenn es uns gleich anders scheint, eine wahre kreisförmige Bewegung beschreiben, weil sie sich nicht um etwas Festes bewegen. Es gibt auch keinen wahren Kreis, der nicht vollkommener sein könnte, und zu einer Zeit sich ganz genau wie zu einer andern bewegt oder einen ganz gleichen Kreis beschreibt, wenn wir dies gleich nicht wahrnehmen. Willst du daher über die Bewegung des Universums eine andere Ansicht, als die bisher übliche, gewinnen, so musst du Zentrum und Pole zusammenfassen (necesse est ut centrum cum polis complices) und dabei so gut, als es angeht, die Einbildungskraft zu Hilfe nehmen. Denn wenn Einer auf der Erde und unter dem Nordpole, ein Anderer im Nordpole stünde, so würde der auf der Erde Stehende ebenso glauben, der Pol sei im Zenith, wie der im Pole Stehende glauben würde, das Zentrum sei im Zenith. Wie die Gegenfüßler gleich uns den Himmel über sich haben, so würde den auf beiden Polen Stehenden die Erde im Zenith zu fein scheinen, und wo immer Einer steht, glaubt er, er sei im Zentrum. Fasse also jene entgegengesetzten Vorstellungen zusammen, so dass das Zentrum Zenith ist und umgekehrt, dann wird dein Verstand, dem nur die Wissenschaft des Nichtwissens gute Dienste leistet, einsehen, dass die Welt, ihre Bewegung und Gestalt nicht erkannt werden können, denn sie wird dir vorkommen wie ein Rad im Rade oder eine Kugel in der Kugel, die, wie gesagt, nirgends Zentrum und Umkreis hat.

Zwölftes Kapitel: Von den Zuständen der Erde

Das eben Ausgeführte kannten die Alten nicht, weil ihnen die Wissenschaft des Nichtwissens fehlte. Uns ist es jetzt ganz klar, dass diese Erde sich wirklich bewegt, wenn wir es gleich nicht bemerken, da wir die Bewegung nur durch Vergleichung mit etwas Unbeweglichem wahrnehmen. Wüßte Jemand nicht, dass das Wasser fließe und sähe er das Ufer nicht, wie würde er, wenn er in einem auf dem Wasser hingleitenden Schiffe steht, bemerken, dass das Schiff sich bewegt? Da es daher Jedem, er mag auf der Erde oder Sonne oder einem andern Sterne sich befinden, vorkommt, er stehe im unbeweglichen Mittelpunkte, während Alles um ihn her sich bewege, so würde er, in der Sonne, im Monde, Mars etc. stehend, immer wieder andere Pole angeben. Der Bau der Welt ist daher so, als hätte sie überall ihr Zentrum und nirgends eine Peripherie, denn Umkreis und Zentrum ist Gott, der überall und nirgends ist. Diese Erde ist nicht kugelförmig, wie Einige gesagt haben, wiewohl sie der Kugelform sich zuneigt, denn die Gestalt der Welt ist, wie auch ihre Bewegung, in ihren Teilen beschränkt. Wird aber die unendliche Linie als konkret gedacht, in der Art, dass sie, als konkret, nicht mehr vollkommener und umfassender (capacior) sein könnte, so ist sie kreisförmig, denn hier trifft Anfang und Ende zusammen. Wie daher die vollkommenerer Bewegung die kreisförmige ist, so ist die vollkommenere körperliche Gestalt die kugelförmige. Jede Bewegung des Teiles hat daher Beziehung zur Vollkommenheit des Ganzen; Das Schwere strebt nach der Erde, das Leichte nach Oben, Erde zu Erde, Wasser zu Wasser, Luft zu Luft, Feuer zu Feuer. Die Bewegung des Ganzen folgt so viel als möglich der kreisförmigen Bewegung, jede Figur der kugelförmigen Figur, wie wir an den Teilen der Tiere, an den Bäumen und dem Himmel sehen. Eine Bewegung ist kreisförmiger und vollkommener als die andere, ebenso sind auch die Gestalten verschieden. Die Gestalt der Erde ist beweglich und kugelförmig, ihre Bewegung kreisförmig, könnte aber vollkommener sein.

Da es in allen Vollkommenheiten, Bewegungen und Gestalten der Welt kein Größtes gibt (wie aus dem Gesagten erhellt), so ist es unwahr, dass diese Erde der geringste und unterste Teil der Welt ist; denn wenn sie gleich im Verhältnis zur Welt mehr im Zentrum zu sein scheint, so ist sie doch aus demselben Grunde, wie schon gezeigt, auch dem Pole näher. Die Erde ist nicht ein aliquoter Teil der Welt, denn da die Welt kein Größtes und Kleinstes hat, so hat sie auch keine Mitte und keine aliquoten Teile, wie dies auch nicht vom Menschen oder Tiere gilt, denn die Hand ist kein aliquoter Teil des Menschen, wiewohl ihr Gewicht ein Verhältnis zum Körper hat.

Auch die schwarze Farbe ist kein Beweis für die schlechte Beschaffenheit (vilitatis) der Erde. Wer in der Sonne wäre, der würde nicht die große Helle, wie wir auf Erden, wahrnehmen. Denn betrachtet man den Sonnenkörper, so hat er eine mehr concentrirte Erde und eine wie Feuer leuchtende Peripherie, dazwischen eine Art Wolken und reinere Luft, gerade wie unsere Erde ihre Elemente hat. Stünde daher Jemand außerhalb der Region des Feuers, so würde ihm diese Erde durch das Medium des Feuers wie ein heller Stein vorkommen, wie uns, die wir im Umkreis der Region der Sonne sind, die Sonne überaus hell leuchtend vorkommt. Der Mond erscheint uns nicht so hell, vielleicht weil wir in seinem Umkreis mehr den zentralen Teilen desselben zugekehrt sind, etwa der wässerigen Region desselben. Daher erscheint uns sein Licht nicht, obgleich er ein eigenes Licht hat, das nur denen erscheint, die in den äußersten Grenzen seines Umkreises stehen, während uns nur der Reflex des Sonnenlichtes sichtbar ist. Deshalb wird auch die Wärme des Monds, die ohne Zweifel durch die Bewegung entsteht, und daher in der Peripherie, wo die größere Bewegung ist, größer ist, uns nicht so mitgeteilt, wie von der Sonne. Unsere Erde ist zwischen die Region der Sonne und des Mondes gestellt, durch deren Vermittlung sie an der Einwirkung anderer Sterne participirt, die wir nicht sehen, weil wir außerhalb ihrer Region uns befinden, denn wir sehen nur die Region derjenigen Sterne, welche leuchten. Die Erde ist ein edler Stern, der Licht, Wärme und Einwirkung von allen andern Sternen in verschiedener Weise empfängt. Jeder Stern unterscheidet sich von jedem durch Licht, natürliche Beschaffenheit und Einwirkung, wie auch jeder Stern dem andern Licht und Einwirkung mitteilt, nicht absichtlich (ex intentione); denn alle Sterne haben nur Bewegung und Glanz, um auf die beste Weise zu sein, woraus als Folge das Participiren entsteht, wie das Licht seiner Natur nachleuchtet, nicht damit ich sehe, sondern das Participiren an demselben ist Folge, indem ich das Licht zum Zweck des Sehens benütze. Der gütige Gott hat Alles so erschaffen, dass jedes Wesen, indem es sein Sein wie ein göttlichen Beruf zu erhalten strebt, dieses in Gemeinschaft mit andern vollzieht. Wie der Fuß nicht sich allein, sondern auch dem Auge, den Händen, dem Leibe, ja dem ganzen Menschen dadurch dient, dass er nur zum Gehen gebildet ist, so gilt das Gleiche von den Teilen der Welt. Plato nannte die Welt ein lebendes Wesen; denkst du dir als ihre Seele – jedoch ohne Verschmelzung – Gott, so wird dir Vieles von dem bisher Gesagten klar werden.

Man kann auch nicht sagen, die Erde sei deßwegen von geringer Beschaffenheit, weil sie kleiner als die Sonne und ihrer Einwirkung unterworfen ist, denn die ganze Region der Erde, die sich bis zum Umkreis des Feuers ausdehnt, ist allerdings groß. Ist gleich die Erde kleiner als die Sonne, wie wir aus dem Schatten und den Eklipsen wissen, so ist doch nicht bekannt, um wie viel die Region der Sonne größer oder kleiner als die der Erde ist. Vollkommen gleich kann sie auf keinen Fall sein, da kein Stern dem andern gleich sein kann. Die Erde ist auch deshalb nicht der kleinste Stern, weil sie größer als der Mond ist, wie die Eklipsen beweisen, und als der Merkur, wie Einige sagen, vielleicht auch größer als andere Sterne. Aus ihrem Umfang ist man daher nicht auf ihre Unbedeutendheit zu schließen berechtigt.

Auch der Einfluss, den sie aufnimmt, beweist nicht ihre Unvollkommenheit, denn als Stern übt auch sie, wie gezeigt ist, auf die Sonne und ihre Region Einfluss aus, und da unsere unmittelbare Wahrnehmung keine andere ist, als dass wir im Zentrum sind, wo alle Einflüsse zusammenströmen, so haben wir von jenem Einfluss keine Erfahrung. Verhält sich die Erde wie die Möglichkeit, die Sonne, wie die Seele oder geistig bildende Kraft, der Mond als die vermittelnde Verbindung, so dass diese zu Einer Region gehörenden Sterne durch gegenseitigen Einfluss vereinigt sind, und diesen Einfluss auf andere Sterne, den Merkur und die Venus und die andern über ihnen stehenden (nach der Ansicht der Alten und auch einiger Neueren) mitteilen, so ist das Verhältnis des Einflusses der Art, dass der eine Stern ohne den andern nicht bestehen kann. Der Einfluss wird daher ein einiger und dreifacher, in jedem einzelnen Sterne nach seinen Graden sein. Daraus geht hervor, der Mensch könne nicht wissen, ob die Region der Erde sich in einem vollkommeneren oder weniger vollkommeneren Grade, im Verhältnis zu den Regionen der andern Sterne, der Sonne, des Mondes befinde. Dasselbe gilt von der Erde als Wohnplatz. Es lässt sich nicht sagen, dass die Erde ein Wohnplatz von Menschen, Tieren und Pflanzen sei, die graduell geringer sind, als die Bewohner der Region der Sonne und anderer Sterne. Denn, wenn gleich Gott das Zentrum und die Peripherie aller Sternenregionen ist, und von ihm Naturen von verschiedenem Werthe ausgehen, so dass jede Region bewohnt, und so viele Räume des Himmels und der Sterne nicht leer an Wesen sind, und wohl nicht diese Erde allein von geringeren Wesen bewohnt ist, so scheint es doch keine edlere und vollkommenere Natur, als die geistige, die sich auf unserer Erde vorfindet, zu geben, mögen auch Geschöpfe ganz andere Art in andern Sternen wohnen, denn der Mensch hat kein Verlangen nach einer andern Natur, er will nur in seiner Natur vollkommen sein. Es stehen daher die Bewohner anderer Sterne, wie sie nun auch sein mögen, in keinem Verhältnis (improportionabiles sunt) zu den Bewohnern dieser Erde, wenn auch jene ganze Region zu der ganzen Erde für den Zweck des Universums in einem verborgenen Verhältnis stehen mag, auf dass die Bewohner der Erdenregion zu den Bewohnern anderer Sterne durch Vermittlung der universellen Region in einem gegenseitigen angemessenen Verhältnis stehen, wie die einzelnen Glieder der Finger durch Vermittlung der Hand in einem Verhältnis zum Fuße, und die Zehen mittelst des Fußes in einem Verhältnis zur Hand stehen, so dass Alles die Proportion eines vollständigen lebenden Wesens annimmt. Da nun jene ganze Region uns unbekannt ist, so bleiben auch die Bewohner derselben uns ganz unbekannt, wie auch auf dieser Erde die Tiere Einer Spezies, indem sie gleichsam eine spezifische Region bilden, sich vereinigen, und wechselseitig an dem, was zu dieser Region gehört, participiren, von andern Spezies aber nichts annehmen. Ein Geschöpf einer Spezies kann nicht die Natur einer andern, die sich durch bestimmte Laute kennzeichnet, erfassen, außer in ganz wenigen Zeichen äußerlich, und auch dann nur nach langer Übung und nur annähernd. Aber noch weit weniger können wir von den Bewohnern einer andern Region, die in keinem Verhältnis zu uns stehen, wissen. Wir nehmen an, in der Region der Sonne seien mehr sonnige (solares), klare, lichte, geistige Bewohner, geistiger als im Monde, wo mehr mondartige (lunatici), und auf der Erde, wo mehr materielle und massive (grossi) Wesen wohnen. Die geistigen Sonnennaturen wären in hohem Grade in Wirksamkeit, wenig in bloßer Möglichkeit, bei den Erdenbewohnern wäre die Möglichkeit überwiegend über die Wirksamkeit, die Mondbewohner bewegten sich unstet (fluctuantes) in der Mitte von beiden. Dies vermuten wir aus dem Feuereinfluss der Sonne, dem Einfluss von Wasser und Luft aus dem Monde und der materiellen Schwere der Erde; ähnlich bei den Regionen anderer Sterne. Wir nehmen an, kein Stern sei unbewohnt. Der partikularen Teile des Einen Universums sind so viele, als viele Sterne es gibt, sie lassen sich nicht zählen, außer durch den, der Alles in der Zahl erschaffen hat.

Auch die Zerstörung der Dinge auf der Erde ist kein gültiger Beweis der geringen Beschaffenheit der Erde. Denn da die Welt ein Universum ist, und alle einzelnen Sterne gegenseitigen Einfluss auf einander ausüben, so ist es nicht ausgemacht, dass irgend etwas ganz und gar zerstörlich ist, wohl aber kann es in eine andere Seinsweise übergehen, wenn die konkreten Einwirkungen in Einem Individuum sich auflösen, so dass die Weise, so oder so zu sein, aufhört, ohne dass ein eigentlicher Tod eintritt, wie schon Virgil sagt. Denn der Tod scheint nichts anderes zu sein, als eine Auflösung des Zusammengesetzten in die Elemente der Zusammensetzung. Ob eine solche Auflösung nur bei den Erdenbewohnern stattfinde, wer kann das wissen? Einige sagten, es gebe so viele Arten der Dinge auf Erden, als Sterne sind. Wenn nur der Einfluss aller Sterne in allen einzelnen Arten der Erdenwesen seinen konkreten Ausdruck findet, warum soll nicht Aehnliches in den Regionen anderer Sterne, welche den Einfluss der übrigen Sterne aufnehmen, stattfinden? Wer kann wissen, ob die konkrete Gestaltung aller dieser Einwirkungen, die zuerst eine Zusammensetzung (zu einem Individuum) ist, in Auflösung übergehe, so dass ein lebendes Erdenwesen von irgend einer Art sich auflöse, oder ob es zu seinen Prinzipien (Elementen) zurückkehre, indem das Bildungsprinzip zu dem besonderen Sterne, von dem jene Art auf der Erde wirkliches Sein erlangt hatte, zurückkehrt? oder ob dieses Bildungsprinzip zu seinem Urbilde, der Weltseele (nach den Platonikern), oder zur Möglichkeit der Materie zurückkehrt, während der die Einigung bewirkende Geist in der Bewegung der Sterne verbleibt und zu einigen aufhört, indem er sich wegen Untauglichkeit der Organe oder aus einem andern Grunde zurückzieht und somit aus der nunmehr entgegengesetzten Bewegung Trennung verursacht? oder ob die gestaltenden Prinzipien (formae) jeder Region in einem höheren Prinzip, etwa dem geistigen, ihren Stützpunkt finden (quiescant) und durch dieses das Ziel der Welt erreichen, während dieses höhere Prinzip sein Ziel in Gott findet. Dieses letztere erhebt sich vielleicht zur Peripherie, die Gott ist, hinauf, während der Körper nach dem Zentrum, wo wieder Gott ist, hinabsinkt, so dass die Bewegung von Allem nach Gott hin geht, in welchem dereinst, wie Zentrum und Peripherie in Gott Eines sind, der Körper, wenn er gleich zum Zentrum hinabzusinken schien, und die Seele, die sich zur Peripherie erhoben, wieder vereinigt werden, indem alsdann nicht jegliche Bewegung, sondern nur die des Geschlechtlichen aufhört. Der Alles einigende Geist kehrt zurück und verbindet die Möglichkeit wieder mit dem belebenden Prinzip, das ihr im Leben angehört hatte. Alles das kann kein Mensch aus sich wissen, wenn er nicht eine besondere Belehrung darüber von Gott erhalten hat. Zweifelt auch Niemand daran, dass der gute Gott Alles für sich (ad se) erschaffen hat und nicht will, dass eines seiner Werke zu Grunde gehe, und wissen wir gleich, dass er der reiche Vergelter aller seiner Verehrer sei, so kennt doch die Art der göttlichen Wirksamkeit, der gegenwärtigen und zukünftigen Vergeltung nur Gott allein, er allein weiß, wie seine Wirksamkeit ist. Hierüber will ich jedoch nach dem Maße der göttlichen Eingebung weiter unten noch Einiges sagen.

Dreizehntes Kapitel: Von der wunderbaren göttlichen Kunst in Erschaffung der Welt und der Elemente

Da es die einstimmige Ansicht der Philosophen ist, dass wir durch die sichtbare Welt, die Größe, Schönheit und Ordnung der Dinge zur Bewunderung der göttlichen Kunst und Herrlichkeit hingerissen werden, und nachdem wir einige Kunstwerke der göttlichen Weisheit bei Erschaffung des Universums besprochen haben, so wollen wir zur Erhöhung dieser Bewunderung noch Einiges über die Lage und Ordnung der Elemente beifügen.

Gott hat sich bei der Erschaffung der Welt der Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie bedient, Künste, die auch wir jetzt anwenden, wenn wir die Verhältnis der Dinge, der Elemente und Bewegungen erforschen. Durch die Arithmetik hat er die Dinge in ein Ganzes gebracht (coadunativ), durch die Geometrie hat er sie geformt (figurativ), dass sie Festigkeit, Verstand und Beweglichkeit, je nach ihrer Beschaffenheit, erlangten. Durch die Musik hat er sie in solche Verhältnisse gebracht, dass nicht mehr Erde in der Erde ist, als Wasser im Wasser, Luft in der Luft, Feuer im Feuer, und dass kein Element sich ganz in das andere auflösen lässt, woher es kommt, dass der Weltbau nicht untergehen kann. Wiewohl ein Teil des Einen sich in ein Anderes auflösen lässt, so kann doch nie die ganze Luft, die mit Wasser vermischt ist, in Wasser verwandelt werden, weil die umgebende Luft dies verhindert. Gott hat es daher bewirkt, dass nur Teile der Elemente wechselseitig aufgelöst werden; geschieht dies langsam, so wird aus dem Zusammenwirken der Elemente etwas hervorgebracht, das so lange dauert, so lange jenes Zusammenwirken stattfindet. Mit ihr löst sich auch das durch sie Entstandene wieder auf. In wunderbarer Ordnung sind daher die Elemente durch Gott geschaffen, der Alles in Zahl, Maß und Gewicht erschaffen hat. Die Zahl bezieht sich auf die Arithmetik, das Gewicht auf die Musik, das Maß auf die Geometrie. Die Schwere wird durch Einwirkung des Leichten (levitate constringente) gehalten; die schwere Erde ist durch das Feuer wie in der Mitte schwebende. Das Leichte dringt auf das Schwere ein, wie das Feuer auf die Erde. Indem die ewige Weisheit dieses so ordnete, verfuhr sie nach einer nicht zu entziffernden Proportion. Sie wußte voraus, wie viel jedes Element das andere überwiegen müsse, indem sie die Elemente so abwog, dass das Feuer um so viel leichter wäre, als die Luft, als diese leichter ist als das Wasser, und dieses leichter als die Erde, so dass Gewicht mit Volumen übereinstimmte und das Einschließende einen größern Raum einnahm als das Eingeschlossene. Er verband sodann die Elemente so mit einander, dass eines notwendig im andern ist. Die Erde ist, wie Plato sagt, gleichsam ein lebendes Wesen, die Steine sind die Knochen, die Bäche die Adern, die Bäume die Haare; die Tiere, die zwischen diesen Haaren der Erden sich nähern, sind wie die Maden in den Haaren der Tiere. Zum Feuer verhält sich die Erde, wie die Welt zu Gott, mit welchem das Feuer in seiner Beziehung zur Erde viele Ähnlichkeit hat. Seine Entfaltung ist grenzenlos, es wirkt, durchdringt, erhellt, fördert und gestaltet Alles auf der Erde, und zwar mittelst der Luft und des Wassers, so dass Alles, was auf der Erde entsteht, nur eine immer wieder anders modificirte Wirksamkeit des Feuers ist, wie denn auch die Gestalten der Dinge (im Äußerlichen) durch den verschiedenen Wiederschein des Feuers entstehen. Indeß ist das Feuer mit den Dingen vermengt, ohne welche Vermengung weder es selbst, noch die Dinge auf Erden sein können. Gott aber ist absolut. Er wird daher von den Alten ein verzehrendes, absolutes Feuer, eine absolute Klarheit genannt, da er ein Licht ist, in dem keine Finsternis. An seinem feurigen klaren Wesen sucht Alles, was da ist, Teil zu nehmen, wie wir an allen Gestirnen sehen, wo sich diese Klarheit materiell beschränkt findet. Diese unterscheidende und Alles durchdringende Klarheit ist immateriell konkret in den lebenden und geistigen Wesen. Wer bewundert nicht den Künstler, der einer ähnlichen Kunst (Astronomie) auch in den Himmelskörpern, Sternen und Sternregionen sich bedient hat, so dass ohne Präzision bei der größten Verschiedenheit die schönste Harmonie besteht! Die Größe, Lage und Bewegung der Sterne hat er festgestellt, die Entfernungen der Sterne so geordnet, dass, wenn nicht jede Region so wäre, wie sie ist, sie weder selbst bestehen, noch in dieser bestimmten Lage und Ordnung, noch das Universum überhaupt bestehen könnte. Er gibt jedem Sterne ein anderes Licht, Einfluss, Gestalt, Farbe und Wärme. Das Verhältnis der Teile zu einander hat er so geordnet, dass in jedem die Bewegung der Teile eine Beziehung auf das Ganze hat: von Oben nach der Mitte beim Schweren, von der Mitte nach Oben beim Leichten, und um die Mitte, wie bei der kreisförmigen (orbicularem) Bewegung der Sterne.

Bei dieser so bewundernswürdigen, verschiedenartigen Ordnung der Welt sehen wir durch unser System, dass wir von allen Werken Gottes keine rationelle Einsicht erlangen, sondern nur staunen können, weil Gott groß und seiner Größe keine Grenze ist. Als die absolute Größe ist er von allen seinen Werken wie Urheber und Verständnis, so auch das Ziel. In ihm ist Alles, außer ihm nichts, er ist Anfang, Mitte und Ende von Allem, Zentrum und Umkreis des Universums, und in Allem wird nur er gesucht, weil ohne ihn Alles nichts ist, mit ihm haben wir Alles, in ihm wissen wir Alles; denn er ist die Wahrheit von Allem, und will, dass der wunderbare Weltbau uns zur Bewunderung hinreiße. Er verbirgt jedoch denselben vor uns um so mehr, je mehr wir ihn bewundern, weil er es ist, den wir mit ganzem Herzen und allem Eifer suchen sollen. Und da er das unzugängliche Licht bewohnt, das in Allem gesucht wird, so kann er allein den Anklopfenden die Thüre öffnen und den Bittenden geben. Kein Wesen von allen erschaffenen hat die Macht, sich dem Anklopfenden aufzuthun und zu zeigen, was es sei, da alle ohne ihn, der in allen ist, nichts sind. Wer aber nach Anleitung des Systems des Nichtwissens sie fragt, was und wie und wozu sie seien, dem antworten sie: aus uns sind wir nichts, und aus uns können wir auch die nichts anderes, als nichts antworten, da wir von uns selbst keine Erkenntnis haben, sondern allein der, durch dessen Denken wir das sind, was er in uns will, befiehlt und weiß. Wir alle sind stumm, er, der uns erschaffen hat, redet in uns allen, er allein weiß, was, wie und wozu wir sind. Willst du etwas über uns erkennen, so frage unsern Grund, unsere Ursache, nicht uns; dort findest du Alles, wenn du diesen Einen suchst, ja auch dich selbst kannst du nur in ihm finden. Strebe daher, sagt unsere gelehrte Unwissenheit, dass du dich in ihm findest, und da Alles in ihm er selbst ist, so kann dir nichts fehlen. Unsere Sache ist es nicht, uns dem Unzugänglichen zu nahen, sondern Dessen, der uns ein ihm zugewandtes Antlitz gegeben hat, damit wir ihn mit allem Eifer suchen. Thun wir dies, so wird er in seiner großen Güte uns nicht verlassen, er zeigt sich selbst uns, und wenn seine Herrlichkeit erscheint, wird er ewig uns sättigen. Er sei gepriesen in Ewigkeit! Amen.

Drittes Buch

Vorrede

Nach dieser kurzen Erörterung über das Universum und seine beschränkte (contractione) Existenz, will ich nun, um über das absolut und beschränkt Größte zugleich, Jesus Christus, der ewig gepriesen sei, eine Untersuchung in wissenschaftlichem Nichtwissen anzustellen, zur Vermehrung des Glaubens und unserer Vollkommenheit, Dir, dem Manne von bewundernswerther Tätigkeit, einen kurzen Lehrbegriff von Jesus überreichen, wobei ich ihn anrufe, er möge mir den Weg zu ihm, der die Wahrheit ist, sein, durch die wir jetzt im Glauben und dereinst durch seligen Genuß (per adeptionem) zum Leben gelangen, in ihm und durch ihn, der das ewige Leben ist.

Erstes Kapitel: Das in dieser oder jener konkreten Form erscheinende Größte, über welches es kein Größeres gibt, kann ohne das absolut Größte nicht bestehen

Im ersten Buche ist die Rede von dem Einen absolut Größten, das nicht mitgeteilt, in das endliche Sein vermengt (immersibile) und nicht auf Dieses oder Jenes eingeschränkt werden kann, sondern in sich ewig gleich und unbeweglich als die absolute Identität existiert. Im zweiten Buche wurde das konkrete Universum gezeigt, und wie Dieses und Jenes nur konkret existiert. Es ist also die Einheit des Größten in sich absolut, die Einheit des Universums in Vielheit beschränkt. Die Vielheit nun, in welcher das Universum in Wirklichkeit seinen Ausdruck findet, kann unmöglich mit der höchsten Gleichheit bestehen, denn sonst wäre es keine Vielheit. Somit besteht Alles notwendig indifferenter Weise, nach Gattung, Art und Zahl, so dass Jegliches in besonderer Zahl, Maß und Gewicht besteht. Es sind daher im Universum Gradunterschiede, und kein Wesen koinzidiert mit dem andern. Kein konkretes Sein kann daher den Grad der Konkretheit eines andern Seins präzis decken. Zwischen dem Größten und Kleinsten ist sonach Alles konkret und es gibt immer größere oder kleinere Grade des Konkreten, ohne dass jedoch dies in's Unendliche fortgeht, da eine Unendlichkeit von Graden unmöglich ist; denn unendlich viele Grade wären so viel als kein Grad, wie ich in der Lehre von der Zahl im ersten Buche gezeigt habe. Es gibt somit im Konkreten kein Auf- oder Absteigen zu dem absolut Größten oder Kleinsten. Wie daher die göttliche Natur, die absolut größte, keine Verminderung zulässt, so dass sie in die endliche und konkrete übergeht, so kann auch die konkrete, endliche ihrer Konkretheit so entkleidet werden, dass sie zur ganz absoluten wird. Sonach erreicht kein konkretes Sein, da es mehr oder weniger konkret sein kann, das Höchste (terminus) im Universum, in der Gattung oder Art, denn die erste generelle konkrete Ausgestaltung des Universums ist die Vielheit der Gattungen, die notwendig graduell verschieden ist. Die Gattungen aber bestehen konkret nur in den Arten, die Arten nur in den Individuen, die allein in Wirklichkeit existieren. Wie es daher nach der Natur des Konkreten kein Individuum gibt, das nicht hinter dem Höchsten seiner Spezies zurückbleibt, so kann auch kein Individuum das Höchste in der Gattung oder im Universum erreichen. Denn unter mehreren Individuen derselben Art muss notwendig eine Verschiedenheit der graduellen Vollkommenheit statt finden. Kein Wesen ist daher in seiner Art ganz vollkommen, so dass es kein vollkommeneres gibt, sowie keines so unvollkommen ist, dass es kein unvollkommeneres ist, dass es kein unvollkommeneres gibt: das höchste seiner Art erreicht keines. Es gibt somit nur Ein Höchstes (unus terminus) aller Arten, Gattungen und des ganzen Universums, es ist das Zentrum, die Peripherie und die Verbindung von Allem; das Universum erschöpft nicht die unendliche absolut größte Macht Gottes, so dass es als das schlechthin Größte die Grenze der göttlichen Allmacht bildet. Es erreicht somit das Universum nicht das Höchste des absolut Größten, wie die Gattungen nicht das Höchste des Universums, die Arten nicht das Höchste der Gattungen, die Individuen nicht das Höchste der Arten, so dass es Alles das, was es ist, auf die beste Art wäre, zwischen dem Größten und Kleinsten, und Gott Anfang, Mitte und Ende des Universums und jedes Einzelnen, auf dass alle Dinge, sie mögen nach Oben oder nach Unten oder nach der Mitte streben, sich Gott nähern. Wohl aber besteht eine Verbindung aller Dinge durch ihm, alles noch so Verschiedene ist verbunden. Unter den Gattungen, die der konkrete Ausdruck des Einen Universums sind, besteht eine solche Verbindung der niedern und höheren, dass sie in der Mitte koinzidieren. Die verschiedenen Arten sind so geordnet, dass die oberste Art eine Gattung mit der untersten der nächsthöheren koinzidiert, wodurch in Einer Continuität die Vollkommenheit des Universums sich darstellt. Jede Verbindung ist aber graduell, und man gelangt nicht auf die größte, weil diese Gott ist. Es sind daher verschiedene Arten der niedern und höheren Gattung nicht in einem gewissen Unteilbaren verbunden, das kein Mehr oder Weniger zulässt, sondern in einer dritten Art, dessen Individuen graduell verschieden sind, so dass keines derselben gleichmäßig an jeder Art, als wäre es ein aus beiden Arten Zusammengesetztes, participirt, sondern es ist in seinem Grade der konkrete Ausdruck einer besondern Art, die im Vergleich zu den übrigen aus der niedern und höheren zusammengesetzt scheint. Keine Art steigt demnach zum Minimum einer Gattung, denn bevor sie dieses wird, verändert sie sich in eine andere. Wenn in der Gattung der lebenden Wesen die Menschenart daran ist, sich im Gebiete des rein Sinnlichen auf eine höhere Stufe zu erheben, geht sie plötzlich die Verbindung mit der geistigen Natur ein, doch bleibt die niedere Seite überwiegend, weshalb sie noch lebendes Wesen (animal) genannt wird ... Die Arten sind daher wie eine progresive Zahl, die notwendig begrenzt ist, so dass Ordnung, Harmonie und Proportion bei aller Verschiedenheit besteht, und man muss zuletzt zu der untersten Art der niedrigsten Gattung, die in Wirklichkeit die kleinste ist, und zu der obersten Art der höchsten Gattung, die ebenso in Wirklichkeit die höchste ist, über die es jedoch noch eine kleinere oder größere geben könnte, kommen, ohne Progression ins Unendliche, so dass wir, wir mögen nun nach Oben oder nach Unten zählen, mit der absoluten Einheit, die Gott ist, als dem Prinzip aller Dinge den Anfang machen. Die Arten sind dann gleichsam die bei dem Fortschritt von dem Kleinsten (das das Größte ist), oder von dem Größten, dem kein Kleinstes entgegensteht, uns entgegentretenden Zahlen, so dass nichts im Universum ist, das sich nicht eines gewissen singulären Seins erfreuete, das sich in keinem andern Wesen findet. Kein Wesen vereinigt Alles in Allem, keines das Entgegengesetzte auf eine gleiche Weise, keines kann mit irgend einem andern zu irgend einer Zeit ganz gleich sein, wenn es auch zu einer Zeit weniger, zu einer andern Zeit mehr als das andere ist. Diesen Übergang macht es in einer gewissen Singularität des Seins, ohne je die präzise Gleichheit zu erreichen. So geht ein in einen Kreis beschriebenes Viereck zur Größe eines um den Kreis beschriebenen über: aus dem Viereck, das weniger als ein Kreis ist, geht es über zu dem Viereck, das größer als der Kreis ist, ohne jedoch je zur Gleichheit mit jenem zu gelangen. Der Einfallswinkel erhebt sich aus einem Winkel, der kleiner als ein rechter ist, zu einem solchen, der größer als ein rechter ist, ohne die volle Gleichheit zu erreichen. Mehreres hierüber in dem Buche über die Muthmaßungen. Es können nämlich die individualisierenden Prinzipien in keinem Individuum in derselben harmonischen Proportion, wie in einer andern zusammentreffen, so dass jedes Wesen für sich eine Einheit, und in seiner Weise vollkommen ist. Wenn sich gleich in einer Art, z.B. der Menschenart, zu einer bestimmten Zeit Einige finden, die vollkommener und in gewisser Hinsicht hervorragender sind, als Andere, wie Salomon Alle an Weisheit, Absalon an Schönheit, Samson an Stärke übertroffen hat, und wenn die geistig Hervorragenden von den Übrigen geehrt wurde, so können wir doch, weil die Verschiedenheit der Ansichten nach der Verschiedenheit der Religionen, Secten und Gegenden verschiedene Urteile erzeugt, so dass, was nach dem einen Gesichtspunkte Lob, nach einem andern Tadel erlangt, und weil uns die auf der ganzen Welt zerstreuten Menschen unbekannt sind, nicht sagen, wer unter Allem Vortrefflichste sei, da wir ja nicht einmal Einen aus Allen vollkommen zu erkennen im Stande sind. Dies ist von Gott so angeordnet, auf dass Jeder in sich selbst Genüge finde, wenn er gleich Andere bewundert, und auf dass ihm in seinem Heimathlande sein Geburtsort viel schöner vorkomme, eben so hinsichtlich der Landesgebräuche, Landessprache etc. So herrscht Einheit und Friede ohne Missgunst, so weit dies nur immer möglich ist; denn vollkommen herrscht der Friede nur bei Denen, die mit dem herrschen, der unser alle Sinne übersteigender Friede ist.

Zweites Kapitel: Das Größte, konkret und absolut zugleich, Schöpfer und Geschöpf

Es ist hinlänglich gezeigt, dass das Universum nur in konkret Vielem besteht, das in Wirklichkeit von der Art ist, dass Keines das schlechthin Größte erreicht.

Ich füge nun bei: wenn man sich das Größte konkret in einer bestimmten Art (species) wirklich existierend denkt, so wäre es, entsprechend dem Charakter der gegebenen konkreten Art, in Wirklichkeit Alles, was in der ganzen Möglichkeit jener Gattung oder Art liegt; denn das absolut Größte ist alles, was möglich ist, in absoluter Wirklichkeit. Dieses Größte in konkreter Erscheinung einer Gattung oder Art ist zugleich in Wirklichkeit die höchstmögliche Vollkommenheit derselben, entsprechend dem gegebenen Konkreten. Da es in dem Bereiche derselben kein Größeres gibt, so umfasst sie unendlich die ganze Natur des gegebenen Konkreten. Wie das absolut Kleinste mit dem absolut Größten koinzidiert, so auch das konkret Kleinste mit dem konkret Größten. Ein ganz deutliches Beispiel hievon ist die größte Linie, die keinen Gegensatz zulässt, jeder Figur gleich, und das adäquateste Maß von allen ist, mit der der Punkt koinzidiert, wie wir im ersten Buche gezeigt haben. Wäre daher das konkret Größte ein Individuum irgend einer Art, so müsste dieses die Vollkommenheit der ganzen Gattung oder Art sein, das Leben, das Prinzip, die Idee und Wahrheit in höchster Vollendung von Allem, was diese Art als Möglichkeit in sich begreift. Dieses konkret Größte wäre über alle Natur der Konkretheit hinaus deren Höhepunkt (terminus finalis) und würde ihre ganze Vollkommenheit in sich fassen. Jedem Gegebenen wäre es, über alle Proportionen erhaben, vollkommen gleich, nicht größer, nicht kleiner, als Jegliches; die Vollkommenheit von Allem würde es in ganzer Fülle in sich fassen. Hieraus erhellt, dass das konkret Größte nicht als rein Konkretes (pure contractum) gelten kann, nach dem kurz vorhin Gezeigten, wonach kein Konkretes innerhalb der Grenze der Gattung oder Art die höchste Vollkommenheit erreichen kann, aber auch als konkret nicht Gott, der absolut ist, sein kann. Es wäre somit notwendig das konkret Größte, das ist: Gott und Geschöpf, absolut und konkret, in einer Konkretheit, die nicht aus sich Bestand hätte, ruhte sie nicht in der absoluten Größe. Denn es gibt, wie im ersten Buche gezeigt ist, nur Ein Größtes, durch welches das Konkrete – Größtes genannt werden kann. Wenn nun die größte Macht das Konkrete so mit sich einet, dass es, unbeschadet der beiderseitigen Naturen, nicht noch mehr geeint sein könnte, und daher das so Geeinte mit Verhaltung der Natur der Konkretheit die konkrete und erschaffene Vollkommenheit einer bestimmten Art, in Folge der hypostatischen Einigung aber zugleich Gott und Alles ist, so würde diese wunderbare Einigung all unsern Verstand übersteigen. Denn denkt man sie als eine Vereinigung von Entgegengesetztem (quemadmodum diversa uniuntur), so wäre dies ein Irrtum; denn das absolut Größte ist kein Anderes oder Verschiedenes, da es Alles ist. Denkt man sie als Zwei, die vorher getrennt, jetzt verbunden (conjuncta) sind, – gefehlt! Denn in der Gottheit ist kein Vorher und Nachher, auch ist sie nicht Dieses mehr als Jenes. Das Konkrete konnte auch nicht vor der Vereinigung Dieses oder Jenes sein, denn es ist eine in sich bestehende individuelle Persönlichkeit. Jene Vereinigung ist endlich auch nicht die Verbindung von Teilen zu einem Ganzen, da Gott kein Teil sein kann. Wer sollte daher diese wunderbare Vereinigung begreifen, die auch nicht wie die Verbindung der Form mit der Materie ist, da Gott als absolut sich mit der Materie nicht vermengen kann! Sie ist daher erhabener als alle denkbaren Vereinigungen. Das Konkrete besteht hier, da es das Größte ist, nur in dem absolut Größten, ohne diesem einen Zuwachs zu geben, da es das absolut Größte ist, ohne in dessen Natur überzugehen, da es konkret ist. Das Konkrete ruhte (subsisteret) demnach in dem Absoluten in der Weise, dass, wenn wir es uns als Gott vorstellten, dies irrig wäre, da das konkrete Seine Natur nicht aufgibt; dächten wir als diese Natur (si ipsam esse imaginaremur), so irrten wir, da das absolut Größte, Gott, dieser Natur nicht bedarf. Nehmen wir es als aus Beiden zusammengesetzt, so täuschen wir uns, da eine Zusammensetzung aus Gott und Geschöpf, konkretem und absolut Größten, unmöglich ist. Man muss sich daher jenes konkret Größte so als Gott denken, dass es dabei zugleich Geschöpf ist, so als Geschöpf, dass es zugleich der Schöpfer ist, Schöpfer und Geschöpf ohne Vermischung und Zusammensetzung. Wer mag sich so weit hinauf erheben, dass er in der Einheit die Verschiedenheit (diversitatem) und in der Verschiedenheit die Einheit begreift! Diese Vereinigung übersteigt also alle unsere Begriffe.

Drittes Kapitel: Nur in der Natur der Menschheit ist dieses konkret Größte möglich (possibilius)

Es wird sich nun leicht untersuchen lassen, welcher Natur das konkret Größte angehören müsse (cujus naturae contractum maximum esse deberet). Da nämlich dasselbe notwendig Eines ist, wie das absolut Größte die absolute Einheit ist, und es dabei konkret Dieses oder Jenes ist, so ist für's Erste zu erwägen, dass es die Ordnung mit sich bringt, dass einige Dinge im Verhältnis zu andern von niederer Natur sind, wie alle die, welche kein Leben und geistige Tätigkeit haben, andere höhere Natur, wie z.B. die rein geistigen Naturen (intelligentiae), wieder andere die Mitte von beiden einnehmen. Wenn nun das absolut Größte das Sein von Allem in der universellen Weise ist, nicht mehr das Sein des Einen, als des Andern, so ist klar, dass jenes Sein mit dem Größten sich eher vereinen lässt, welches die größere Verwandtschaft mit der Gesamtheit alles Seienden hat (clarum est, hoc ens magis maximo sociabile, quod magis universitati entium est commune). Betrachten wir die Natur der niedern Dinge und denken wir uns eines derselben zur absoluten Größe erhoben, so wird es Gott und zu gleich es selbst sein, wie man an der größten Linie sieht. Da sie unendlich und die größte ist, so wird notwendig jede Linie, mit welcher sich die größte vereint, Gott sein durch die absolute Größe, während sie vermöge ihrer Konkretheit Linie bleibt; sie wird demnach Alles in Wirklichkeit sein, was aus einer Linie werden kann. Allein die Linie schließt Leben und Geist nicht in sich, wie kann daher die Linie zur höchsten Größe erhoben werden, wenn sie die Fülle der Naturen nicht erreicht? Sie wäre das Größte, das noch größer sein könnte und würde der Vollkommenheit ermangeln. Das Gleiche gilt von der obersten Natur, die die untere nicht in sich fasst, außer in dem Sinne, dass höhere und niedere Natur mehr gegenseitige Annäherung als Trennung zulassen. Dem größten aber, mit dem das Kleinste koinzidiert, wird es sich geziemen, so das Eine zu umfassen, dass es das Andere nicht ausschließt, sondern Alles zumal in sich fasst. Es ist daher die mittlere Natur, das Verbindungsglied der niedern und höheren, allein diejenige, welche zur Erhebung zum Größten durch die Macht des unendlich größten Gottes am besten sich eignet (quapropter natura media, quae est medium connexionis inferioris et superioris, est solum illa, quae ad maximum convenienter elevabilis est potentia maximi infiniti Dei). Denn da sie als die höchste der niedern und die niederste der höheren Natur alle Naturen in sich fasst, so ist klar, dass, wenn sie nach ihrem ganzen Wesen (secundum omnia sui) sich zur Einigung mit dem Größten erhebt, alle Naturen, ja das ganze Universum auf jede mögliche Weise in ihr zum höchsten Grade (ihrer Vollkommenheit) gelangen. Die menschliche Natur ist die Krone der Schöpfung (humana natura est illa, quae est supra omnia Dei opera elevata), nur wenig unter die Engel gesetzt, die Vereinigung der geistigen und sinnlichen Natur; sie fasst die ganze Welt in sich (universa intra se constringens), weshalb sie von den Alten mit Recht mikrokosmos oder Welt im Kleinen genannt wird. Sie ist es daher, die, zur Einigung mit dem Größten erhoben, die Fülle aller Vollkommenheiten des Universums und alles Einzelnen darstellen würde, so, dass in der Menschheit Alles zu seiner höchsten Stufe gelangte. Nun exisirt aber die Menschheit nur konkret in Diesem oder Jenem. Da es nun nicht möglich ist, dass mehr als Ein wirklicher Mensch sich zur Einigung mit dem Größten erheben kann, so wäre dieser in der Art Mensch, dass er zugleich Gott ist, und in der Art Gott, dass er zugleich Mensch ist, die Vollendung des Universums, der Primat von Allem (in omnibus primatum tenens). Kleinstes, Größtes und Mittleres, der Natur des absolut Größten geeinet, würde in ihm so koinzidieren, dass er die Vollkommenheit (perfectio) von Allem wäre und alles Konkrete in ihm als in seiner Vollkommenheit zur Ruhe gelangte. Er wäre das (absolute) Maß für Menschen und Engel (wie Johannes in der Apocalypse sagt) wie für alles Einzelne, weil er durch die Vereinigung mit dem absoluten Sein, das das absolute Sein von Allem ist, das konkret universelle Sein aller einzelnen Kreaturen (universalis contracta entitatis singularum creaturarum) wäre. Alles erhielte durch ihn den Anfang und das Ende des konkreten Seins; durch ihn, der das konkret Größte aus (a) dem absolut Größten ist, ginge Alles ins konkrete Sein über, durch seine Vermittlung kehrte es ins Absolute zurück; er wäre der Anfang (prinzipium) der Emanation und das Ziel der Rückkehr in Gott. Gott aber ist als die Gleichheit alles Seins der Schöpfer des Universums, da dieses für ihn (ad ipsum) erschaffen ist. Die höchste und größte absolute Gleichheit alles Seins ist es demnach, mit der die menschliche Natur geeinigt wird, so dass Gott durch Annahme der menschlichen Natur in der Sphäre der Menschheit Alles in konkreter Weise ebenso ist, wie er in absoluter Weise die Gleichheit alles Seins ist. Da nun jener Mensch durch die Einigung in der größten Gleichheit des Seins beharrete (cum in ipsa maxima aequalitate essendi per unionem subsisteret), so wäre er der Sohn Gottes oder das Wort, durch das Alles gemacht ist, oder die Gleichheit des Seins selbst, die, nach dem früher Gezeigten, Sohn Gottes genannt wird, ohne jedoch aufzuhören, Menschensohn zu sein, wie er auch nicht aufhören würde, Mensch zu sein. Da Gott, dem Besten und Vollkommensten, das nicht widerstreitet, was ohne Wechsel, Schwächung oder Verminderung seines Wesens durch ihn geschehen kann, vielmehr seiner unermesslichen Güte ganz entspricht, wie denn Alles auf das Beste und Vollkommenste in schöner Ordnung von ihm und für ihn erschaffen ist, so kann, da ohne die oben erwähnte Einigung (semota hac via) Alles zu höherer Vollkommenheit nicht gelangen kann, Niemand, der nicht Gott oder dessen höchste Güte leugnen will, der obigen Ausführung vernünftiger Weise entgegentreten. Denn alle Missgunst ist weit entfernt von Dem, der die höchste Güte ist und dessen Wirken nicht mangelhaft sein kann, sondern, wie er das Größte ist, so auch sein Werk so viel als möglich dem Größten nähern will. Es hat nämlich die größte Macht ihre Grenze nur in sich selbst, weil außer ihr nichts und sie unendlich ist. In keinem Geschöpfe findet sie somit eine Grenze, dass sie nicht im Verhältnis zu irgend einem gegebenen Geschöpfe ein besseres und vollkommeneres erschaffen könnte. Wird nun ein Mensch zur Vereinigung mit der Allmacht selbst erhoben, so dass dieser Mensch nicht mehr ein in sich, sondern in der Einheit mit der unendlichen Macht bestehendes Geschöpf ist, so ist hier die Allmacht nicht durch das Geschöpf, sondern nur durch sich selbst beschränkt. Es ist dies die vollkommenste Tätigkeit (perfectissima operatio) der unendlichen und unbegrenzbaren Allmacht Gottes, in der kein Mangel sein kann sonst wäre weder der Schöpfer, noch das Geschöpf. Denn wie könnte das Geschöpf in konkreter Weise sein aus dem absoluten göttlichen Sein, wenn die Konkretheit selbst keine Vereinigung mit Letzterem zuließe (Quomodo enim creatura esset contracte ab esse divino absoluto, si ipsa contractio ipsi unibilis non esset)? die Konkretheit, durch welche alle Dinge, sofern sie aus dem Absoluten sind, konkret existieren, und sofern sie konkret sind, aus dem Absoluten sind. Mit diesem Absoluten nun ist die Konkretheit selbst auf das Innigste geeinet. So ist denn in erster Linie Gott der Schöpfer, in zweiter Gott und der Mensch, dessen erschaffene Menschheit im höchsten Grade zur Einheit mit sich von Gott angenommen ist (creata humanitate supreme in unitatem sui assumta), gleichsam als die universelle Konkretheit aller Dinge, mit der Gleichheit alles Seins hypostatisch und persönlich geeint, so dass durch den absoluten Gott durch Vermittlung der universellen Konkretheit – die Menschheit – in dritter Linie Alles ins konkrete Sein hervorgeht, auf dass alle Dinge auf diesem Wege, was sie sind, in der besten Ordnung und Weise sein können. Diese Reihenfolge darf aber nicht zeitlich gefasst werden, als wäre Gott der Zeit nach vor dem Erstgebornen der Schöpfung, oder der erstgeborne »Gott und Mensch« der Zeit nach vor der Welt gewesen, sondern es bezeichnet jene Reihenfolge die über alle Zeit erhabene Natur und Ordnung der Vollkommenheit, so dass der bei Gott vor aller Zeit und allen Dingen Existierende in der Fülle der Zeit nach vielem Zeitumläufen der Welt erschienen ist.

Viertes Kapitel: Das konkret Größte ist Jesus, der Gottmensch

Nachdem wir nun durch diese Vernunftgründe in zweifellosem Glauben dahin gelangt sind, dass wir ohne Anstand das Gesagte als ausgemachte Wahrheit festhalten, so fahren wir weiter und sagen: die Fülle der Zeit ist vorüber und Jesus, der gepriesen sei in Ewigkeit, ist der Erstgeborne der ganzen Schöpfung. Teils aus dem, was er als Mensch in übermenschlicher, göttlicher Weise vollbracht hat, teils aus seinen Aussagen von sich selbst, der in Allem wahrhaftig erfunden worden, teils aus den mit Hingabe des eigenen Lebens bekräftigten Zeugnissen seiner vertrauten Freunde behaupten wir mit unerschütterlicher, durch unzählige Beweise längst feststehender Gewissheit, Er sei der, den die ganze Schöpfung, als in der Zeit erscheinend von Anfang an erwartet, der sein Erscheinen in der Welt durch die Propheten vorhergesagt hat. Er kam, um Alles zu erfüllen. Allen gab er wider gesundes Leben, alle verborgenen Tiefen und Geheimnisse der Weisheit schloß er auf, wie Einer, der Macht hat über Alles. Sünden vergab er wie Gott, er erweckte Tote, verwandelte die Natur, gebot den bösen Geistern, dem Meere und den Winden, schritt auf dem Wasser dahin und gab ein Gesetz, das die Ergänzung aller Gesetze zu ihrer Vollkommenheit bildet. Nach dem Zeugnisse jenes ganz ausgezeichneten Verkünders der Wahrheit, des heiligen Paulus, der in einer Entzückung die Erleuchtung von Oben erhielt, haben wir in Jesus die Vollendung von Allem (perfectionem omnium), die Erlösung und Vergebung der Sünden. Er ist das Abbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborne der ganzen Schöpfung; denn in ihm ist Alles erschaffen, im Himmel und auf Erden, Sichtbares und Unsichtbares, Thronen, Herrschaften, Fürstentümer und Gewalten. Alles ist durch ihn und in ihm erschaffen, er ist vor Allem und Alles besteht in ihm. Er ist das Haupt des Körpers der Kirche; denn er ist der Anfang selbst, der Erstling aus den Toten, so dass er in Allem den Primat einnimmt; denn dem Vater gefiel es, dass in ihm die ganze Fülle wohne und Alles durch ihn mit dem Vater versöhnt werde. Diese und viele andern Zeugnisse der Heiligen beständigen es, dass er Gott und Mensch ist; die Menschheit ist in ihm durch das Wort mit der Gottheit geeint, so dass er nicht in sich, sondern in dem Worte sein Bestehen hat, dieweil die Menschheit auf ihrer höchsten Stufe und in ihrer ganzen Fülle nicht anders, als in der göttlichen Person des Sohnes bestehen konnte. Und nun über unsern Verstand hinaus, gleichsam in gelehrtem Nichtwisssen die Person zu verstehen, die den Menschen mit sich geeinigt hat, so wollen wir für unser Verständnis einen höheren Standpunkt einnehmen und auf den Satz zurückgehen, den wir früher besprochen haben, dass nämlich Gott durch Alles in Allem und Alles durch Alles in Gott ist. Da diese Sätze copulativ zu verstehen sind und Gott insofern in Allem ist, als Alles in Gott, und da das göttliche Sein selbst die höchste Gleichheit und Einfachheit ist, so ist Gott, sofern er in Allem ist, nicht graduell in Allem, als ob er sich stufen- und teilweise mitteilte. Das All kann aber ohne graduelle Unterschiede nicht sein. Es ist daher mit gradueller Verschiedenheit in Gott. Da nun Gott insofern in Allem ist, als Alles in ihm, so erhellt, dass Gott ohne Veränderung seines Wesens in der Gleichheit des Seins Alles ist in der Einheit mit der größten Menschheit Jesu. Denn der größte Mensch kann in ihm nicht anders als in der größten Weise (maxime) sein. So sind denn in Jesus, der Gleichheit alles Seins, als in dem göttlichen Sohn, der die mittlere göttliche Person ist, der ewige Vater und der heilige Geist, und Alles ist in ihm als in dem Worte, jede Kreatur ist in der höchsten und vollkommensten Menschheit, welche universell Alles, was erschaffen werden kann, (omnia creabilia) in sich fasst, so dass Jesus die ganze Fülle ist, die in ihm wohnt. Wir können uns dies einigermaßen durch folgende Vergleichung veranschaulichen. Die Sinneserkenntnis ist ein beschränktes (contracta) Erkennen, weil der Sinn nur Einzelnes erfasst. Die Vernunfterkenntnis ist universell, weshalb sie im Vergleich zur Sinneserkenntnis absolut ist und frei von der Beschränktheit auf das Einzelne. Die Sinnestätigkeit (sensatio) erscheint nur in verschiedenen Graden, wodurch, je nach den edleren und vollkommeneren Graden, verschiedene Arten von Tieren entstehen. Wiewohl nun die Sinnestätigkeit sich nach dem oben Gezeigten nicht auf den schlechthin höchsten Grad erhebt, so tritt sie doch in jener Art, welche in der Gattung der tierischen Wesen die wirklich höchste ist, also in der menschlichen, als ein lebendiges Wesen auf, das insofern lebendes Wesen ist, dass es zugleich Geist ist (denn der Mensch ist als Geist Selbstbewusstsein – homo enim suus est intellectus), so dass hier die konkrete Sinnlichkeit gewissermaßen in der geistigen Natur hypostatisch ruht (suppositatur), indem die geistige Natur ein gewisses göttliches, abgesondertes, abstraktes Sein ist, während die Sinnlichkeit ihrer Natur nach zeitlich und zerstörlich bleibt. Nach dieser obwohl entfernten Vergleichung müssen wir Jesus auffassen. Die Menschheit ruht in ihm hypostatisch in der Gottheit, weil sie anders nicht in ihrer ganzen Fülle die größte sein könnte. Da nämlich die Vernunft Jesu (intellectus Jesu) die vollkommenste und ganz und gar actuell ist, so kann sie nur in der göttlichen Vernunft, die allein Alles in Wirklichkeit ist, persönlich ruhen (suppositari). Die Vernunft ist nämlich in allen Menschen der Möglichkeit nach Alles, sie geht stufenweise von der Möglichkeit in die Wirklichkeit über. Da nun die größte Vernunft der Höhepunkt (terminus) der Macht der ganzen vernünftigen Natur ist, in vollständiger Activität, so kann sie dies nur sein, wenn sie insofern Vernunft ist, als sie zugleich Gott ist, der Alles in Allem ist. Die menschliche Natur sei das in einem Kreis beschriebene Polygon, der Kreis die göttliche Natur. Soll nun das Polygon das größtmögliche sein, so dürfte es nicht in bestimmten Winkeln für sich bestehen, sondern in der Kreisform, so, dass es keine besondere Gestalt seines Bestehens hätte, die von der ewigen kreisförmigen Gestalt losgelöst werden könnten. Die höchste Vollendung der menschlichen Natur zeigt sich in ihrem Substantiellen und Wesentlichen, also in der Vernunft, der alles Körperliche dienen muss. Der vollkommenste Mensch braucht also nicht im Akzidentiellen hervorzuragen, außer so weit sich dieses auf die Vernunft bezieht. Es ist nicht erforderlich, dass er ein Riese oder uralt oder von dieser oder jener Größe, Farbe, Gestalt etc. sei. Nur das wird erfordert, dass sein Körper die Extreme vermeide, um ein ganz taugliches Werkzeug der Vernunft zu sein, der er ohne Widersetzlichkeit oder Ermattung gehorchen und Folge leisten muss. Von unserm Jesus, in dem alle Schätze der Wissenschaft und Weisheit, auch so lange er als das Licht in der Finsternis auf dieser Welt wandelte, verborgen waren, nimmt man zufolge der Überlieferung der heiligen Zeugen seines Lebens an, er habe einen dem Zweck der eminentesten Vernünftigkeit ganz entsprechenden, vollkommenen Körper gehabt.

Fünftes Kapitel: Christus, empfangen von dem hl. Geiste, ist geboren aus Maria der Jungfrau

Weiterhin ist zu erwägen, dass die vollkommenste, nach Oben geeinte Menschheit, da sie im Konkreten der Höhepunkt der Vollkommenheit ist, die Natur der (menschlichen) Art nicht ganz ablegt. Nun wird aber Gleiches von Gleichem erzeugt, das Erzeugte geht nach dem Naturgesetze aus dem Erzeuger hervor. Hat aber der Grenz- und Höhepunkt keine Schranke (terminus autem cum careat termino), so fehlt auch die Begrenzung und Proportion. Daher kann der größte Mensch nicht auf dem natürlichen Wege erzeugt werden. Auf der andern Seite kann er aber auch nicht des Anfangs als Gattungswesen ganz entbehren, da er die höchste Vollkommenheit der Gattung ist. Einerseits also tritt er als Mensch nach dem Gesetze der menschlichen Natur in die Welt, andererseits ist, weil er das Höchste im Anfang (altissimum prinzipiatum), ganz unmittelbar mit dem Anfang geeint ist (immediatissime prinzipio unitur), dieser Anfang selbst das Schaffende oder Zeugende, der Vater. Der menschliche Anfang ist passiver Natur, er gibt die empfängliche Materie; daher die Abstammung von einer Mutter, ohne männlichen Samen. Alle Tätigkeit aber geht aus einem Geist und einer Liebe hervor, die das Active mit dem Passiven vereint, wie früher gezeigt wurde. Die größte Tätigkeit daher, über allem Gesetze der Natur, durch welche der Schöpfer mit dem Geschöpfe geeint wird, muss aus der größten einigenden Liebe, somit aus dem hl. Geiste, der die absolute Liebe ist, hervorgehen. Durch ihn allein konnte die Mutter den Sohn Gottes, des Vaters ohne Hilfe einer wirkenden Kraft aus dem Bereiche der Gattung empfangen; so dass Gott der Vater, gleichwie er Alles durch seinen Geist gestaltet hat (formavit), was nicht aus schon Gegebenem durch ihn in's Dasein hervorgetreten ist, so in noch höherem Grade mittelst eben dieses heiligen Geistes wirkte, als er seine vollkommenste Tätigkeit entfaltete. Eine Vergleichung möge unserer Unwissenheit zu Hilfe kommen. Wenn ein ausgezeichneter Lehrer sein geistiges Wort, seinen Gedanken den Schülern mitteilen will, auf dass sie durch Darlegung der Wahrheit geistige Nahrung erlangen, so sorgt er dafür, dass der Gedanke seines Geistes zu einem Laute werde (vocem induat), weil er anderes nicht mitteilbar ist. Dies ist aber anders nicht ausführbar, als durch den natürlichen Hauch (spiritus) des Lehrers, der durch Benützung der Luft einen Laut bildet, welcher seinem geistigen Worte (Gedanken) entspricht. Mit diesem Laute vereinigt er dieses Wort, so dass der Laut in dem Worte sein Bestehen hat, und die Zuhörer mittelst des Lautes das Wort erfassen. Diese obwohl ganz entfernte Ähnlichkeit mag uns ein wenig in unserer Betrachtung behilflich sein. Indem der ewige Vater voll unendlicher Güte uns die Schätze seiner Herrlichkeit zu aller Fülle der Wissenschaft und Weisheit eröffnen wollte, hüllte er das ewige Wort, seinen Sohn, der die Fülle von Allem ist, aus Mittleid mit unserer Schwachheit, weil wir es anders als in sinnlicher und uns ähnlicher Form nicht erfassen konnten, um dasselbe nach dem Maße unserer Empfänglichkeit zu offenbaren, in die menschliche Natur, durch den hl. Geist, der gleichen Wesen mit ihm ist. Und wie der Hauch aus der an sich gezogenen Luft die Stimme, so hat der hl. Geist aus der reinen Fruchtbarkeit des jungfräulichen Blutes den Leib Jesu gebildet (contexuit), auf dass der Mensch das Wort Gottes des Vaters wäre, und hat diesen Leib innerlich so sehr mit sich geeinet, dass er das Zentrum der Substanz der menschlichen Natur wurde. Alles dies ist nicht in zeitlicher Reihenfolge, wie bei der menschlichen Empfängniß, sondern in einer momentanen überzeitlichen Wirksamkeit, durch den der unendlichen Allmacht conformen Willen vollzogen worden. Niemand wird zweifeln, dass die tugendreiche Mutter, welche die Materie (für die Menschwerdung des ewigen Wortes) darbot, alle Jungfrauen durch die höchste Tugend und Vollkommenheit übertroffen habe und unter allen fruchtbaren Weibern die gesegnetste gewesen. Sie, die zu einer so ausgezeichneten, ja einzigen jungfräulichen Geburt vorherbestimmt war, musste notwendig von Allem frei sein, was der Reinheit oder lebenskräftigen Einheit einer so ausgezeichneten Geburt im Wege stehen konnte. Wäre die Auserwählte nicht Jungfrau gewesen, wie hätte sie sich zu jungfräulichem Gebären ohne Zuthun eines Mannes geeignet? War sie nicht ganz heilig und reich gesegnet von Gott, wie hätte sie das heilige Gefäß (sacrarium) des hl. Geistes, in welchem dieser für den Sohn Gottes den Leib bildete, werden können? Blieb sie nicht nach der Geburt Jungfrau, so hätte sie nicht für jene ganz einzige Geburt den Mittelpunkt der mütterlichen Fruchtbarkeit in deren höchsten Vollkommenheit verwendet, sondern ihre Tätigkeit wäre geteilt und geschwächt gewesen, wie es sich für einen solchen, einzigen und höchsten Sohn nicht geziemte. Hat also die heiligste Jungfrau sich ganz Gott hingegeben, dem sie in der Wirksamkeit des hl. Geistes auch die ganze Natur der Fruchtbarkeit mitgeteilt hat, so ist in ihr die unbefleckte Jungfräulichkeit vor, bei und nach der Geburt, ganz über das Gesetz des gewöhnlichen Gebärens hinaus unversehrt geblieben. Somit ist der Gottmensch Jesus Christus aus dem ewigen Vater und einer zeitlichen Mutter, der glorreichen Jungfrau Maria, geboren: aus dem größten Vater von absoluter Fülle, aus einer Mutter in der Fülle jungfräulicher, reichgesegneter Fruchtbarkeit, – in der Fülle der Zeit. Der Mensch konnte nämlich aus der jungfräulichen Mutter nur zeitlich, aus Gott dem Vater nur ewig hervorgehen; aber die zeitliche Geburt erforderte hinsichtlich der Zeit die Fülle der Vollendung, wie in der Mutter die Fülle der Fruchtbarkeit. Als daher die Fülle der Zeit kam, wurde er in der geeignetsten Zeit und Raum, der jedoch allen Geschöpfen ganz verborgen blieb, geboren. Denn die höchste Fülle verträgt sich nicht mit den sonstigen Ereignissen des Tages. Daher kein Zeichen, an dem irgend welcher Verstand jene Fülle der Zeit hätte wahrnehmen können, obwohl durch eine ganz geheimnißvolle prophetische Eingebung einige dunkle Andeutungen, verhüllt in menschliche Bilder, überliefert waren, an denen die Verständigen die Menschwerdung des Worts in der Fülle der Zeit hätte vorhersehen können. Doch genau den Ort, die Zeit und Art und Weise hat nur der ewige Vater gewusst, der es anordnete, dass, während Alles in der Stille der Mitternacht ruhte, im Verlaufe der Nacht der Sohn aus der Himmelsburg in den Leib der Jungfrau hinabstieg und zur festgesetzten geeigneten Zeit in Knechtsgestalt sich der Welt offenbarte.

Sechstes Kapitel: Das Mysterium des Todes Jesu Christi

Ich muss mir eine kurze Digression erlauben, um das Mysterium des Kreuzes deutlicher darzustellen.

Der Mensch besteht aus Sinn und Vernunft, zwischen welchen sich der Verstand als Verbindungslied befindet. Der Ordnung nach ist der Sinn dem Verstande, dieser der Vernunft untergeordnet. Die Vernunft ist nicht zeitlich und weltlich, sondern hievon frei; der Sinn ist weltlich (de mundo), der Zeit und Bewegung unterworfen. Der Verstand ist der Horizont der Vernunft, das Auge des Sinnes; in ihm koinzidiert, was unter und über der Zeit ist. Der Sinn ist unfähig für das Überzeitliche und Geistige. Das Tier versteht nicht, was Gott ist, da Gott ein Geist, ja mehr als ein Geist ist. Daher bewegt sich die Sinneserkenntnis in einer Finsternis der Unkenntnis der ewigen Dinge; ihre Bewegung geht freilich nach den fleischlichen Gelüsten vermöge der Begierlichkeit, während sie vermöge der Zornmüthigkeit nicht im Stande ist, jene zurückzudrängen. Der Verstand, der sein Übergewicht durch die Teilnahme an der vernünftigen Natur gewinnt, bewahrt in sich einige Gesetze, durch die er die leidenschaftlichen Begierden regiert, leitet und auf das rechte Maß zurückführt, auf dass der Mensch nicht das Sinnliche sich zum Ziele setze und so der Sehnsucht nach dem Geistigen und Vernünftigen verlustig gehe. Ein Hauptgesetz des Verstandes ist, nichts dem Andern zu thun, was man selbst nicht wünscht, das Ewige dem Zeitlichen, das Lautere und Heilige dem Vergänglichen und Unlautern vorzuziehen. Behilflich sind hiezu auch jene Gesetze, die als Erzeugniß des Verstandes von heiligen Gesetzgebern nach Verschiedenheit von Ort zu Zeit als Heilmittel für den Verstand der Sünder gegeben wurden. Allein die Vernunft erkennt auf ihrem höheren Standpunkte, dass, wenn auch der Sinn sich in allen Stücken dem Verstande unterwirft und den ihm angebornen Affecten nicht huldigt, der Mensch gleichwohl aus sich das Ziel seines vernünftigen und ewigen Sehnens nicht erreichen kann. Denn da der Mensch aus dem Samen Adams in fleischlicher Lust gezeugt ist, so dass das Tierische durch die Fortpflanzung über das Geistige das Übergewicht hat, so ist die menschliche Natur in ihrer Wurzel (in radice originis) in das fleischliche Begehren eingetaucht (carnalibus deliciis immersa), in welchem jeder Mensch durch den Vater gezeugt ist, und er bleibt daher gänzlich unfähig, über das Zeitliche hinweg das Geistige zu ergreifen. Wenn nun das Gewicht der fleischlichen Gelüste Verstand und Vernunft abwärts zieht, dass beide diesen Gelüsten zustimmen, ohne ihnen Widerstand zu leisten, so ist klar, dass der solchergestalt abwärts gekehrte Mensch, von Gott abgewandt, des Genusses des höchsten Gutes, das für die Vernunft im Himmel und ewig ist, vollständig beraubt ist. Herrscht aber der Verstand über den Sinn, so ist noch weiter erforderlich, dass auch die Vernunft über den Verstand herrsche, damit der Mensch über den Verstand hinaus in lebendigem Glauben (fide formata) an den Mittler sich anschließe, und so durch Gott zur Glorie erhoben werden kann. Kein Mensch war je im Stande, erhoben über sich selbst und seine Natur, die von Anfang an den Sünden der fleischlichen Begierden unterworfen ist, über die Wurzel seines Lebens zum Ewigen und Himmlischen sich zu erheben. Nur der vom Himmel herabgestiegen ist, Jesus Christus, ist Derjenige, der auch in eigener Kraft wieder hinaufgestiegen; in ihm ist die menschliche Natur nicht aus dem Willen des Fleisches, sondern aus Gott geboren und fand daher kein Hinderniß, mit Macht zu Gott dem Vater zurückzukehren. In Christus ist daher die menschliche Natur durch jene Einigung zur höchsten Macht erhoben und dem Gewichte der zeitlichen und beschwerenden Begierde entrissen. Christus der Herr wollte nun alle Sünden der menschlichen Natur, die uns zum Irdischen herabziehen, an seinem menschlichen Leibe nicht um seinetwillen (da er keine Sünde begangen), sondern um unsertwillen gänzlich ertöten und durch das Ertöten wegschaffen, auf dass alle Menschen von gleicher Menschheit mit ihm die vollständige Reinigung von ihrer Sünden in ihm erlangten. Der freiwillige und so unverschuldete, so schmähliche und grausame Kreuzestod des Menschen Christus war für alle fleischlichen Begierden der menschlichen Natur deren Tilgung, Genugthuung und Reinigung. Was nur immer nach Menschenweise gegen die Liebe des Nächsten geschehen kann, das ist in der Fülle der Liebe von Christus, indem er sogar für seine Feinde sich dem Tode hingab, wirklich vollbracht worden. Die Menschheit in Christo Jesu hat demnach das Mangelhafte aller Menschen ergänzt (omnes omnium hominum defectus adimplevit). Denn da diese Menschheit die größte ist, so umfasst sie die ganze Potenz der Gattung und ist gegen jeden Menschen die Gleichheit des Seins, so dass Christus mit einem jeden Menschen weit inniger als der Bruder oder vertrauteste Freund verbunden ist. Das bewirkt das Vollmaß (maximitas) der menschlichen Natur, dass Christus in jedem Menschen, der sich in lebendigem Glauben an ihn anschließt, eben dieser Mensch ist, in vollkommenster Einigung, unbeschadet der Selbständigkeit des Einzelnen (cujuslibet numero salvo). So bewahrheitet sich, was er selbst sagt; »Was ihr einem der Geistigen aus den Meinigen tut, das habt ihr mir gethan«, woraus umgekehrt folgt, dass, was Jesus Christus durch sein Leiden verdient hat, Die verdient haben, die Eines mit ihm sind, wobei jedoch verschiedene Grade des Verdienstes stattfinden, nach dem Grade der Einigung eines Jeden mit ihm in einem von Liebe belebten Glauben (per fidem caritate formatam). In ihm sind demnach die Gläubigen beschnitten, in ihm getauft, gestorben, durch die Auferstehung wiederbelebt, in ihm mit Gott geeint und verherrlicht (glorificati). Unsere Rechtfertigung ist daher nicht aus uns, sondern aus Christus. Da er die ganze Fülle ist, so erlangen wir in ihm Alles, wenn wir ihn haben. Und da wir ihn in diesem Leben durch lebendigen Glauben besitzen, so können wir nicht anders als durch den Glauben gerechtfertigt werden, wie ich weiter unten ausführlicher zeigen werde.

Das ist das unaussprechliche Geheimniß des Kreuzes und unserer Erlösung. Durch dasselbe zeigt uns Christus (weit besser las durch das oben Berührte), dass wir Wahrheit, Gerechtigkeit, alle göttliche Tugenden dem zeitlichen Leben als das Ewige dem Hinfälligen vorziehen sollen, so wie das der vollkommene Mensch sich durch höchste Standhaftigkeit und Starkmuth, Liebe und Humanität auszeichnen soll, wie der Kreuzestod Christi zeigt, dass in ihm, dem größten Menschen, diese und alle andern Tugenden im größten Maße vorhanden waren. Je mehr daher der Mensch in den unsterblichen Tugenden fortschreitet, desto ähnlicher wird er Christus. Das Kleinste koinzidiert dann mit dem Größten: die größte Erniedrigung mit der größten Erhöhung, der schmähliche Tod des Frommen mit dem Leben in der Glorie etc., wie uns das Alles Christi Leben, Leiden und Kreuzestod zeigen.

Siebentes Kapitel: Das Mysterium der Auferstehung

Der dem Leiden und Tode unterworfene Mensch Christus konnte auf keinem andern Wege in die Herrlichkeit des Vaters, der als das absolute Leben die Unsterblichkeit selbst ist, eingehen, als wenn das Sterbliche die Unsterblichkeit anzog. Dies war ohne den Tod nicht möglich; denn wie sollte das Sterbliche die Unsterblichkeit anziehen, außer wenn es der Sterblichkeit entkleidet wird? und wie sollte dies geschehen, außer wenn dem Tode der Tribut entrichtet wird? Daher sagt die Wahrheit selbst, diejenigen seien unverständig und von langsamer Einsicht, welche nicht einsehen, »dass Christus sterben und so in seine Herrlichkeit eingehen musste.« Da wir nun vorhin gezeigt haben, Christus sei für uns des grausamsten Todes gestorben, so müssen wir folgerichtig sagen: weil die menschliche Natur nicht anders, als durch den Sieg über den Tod zum Tempel der Unsterblichkeit hinaufgeführt werden konnte, so starb Christus, damit die menschliche Natur mit ihm zum ewigen Leben auferstehe und der tierische sterbliche Körper ein geistiger und unzerstörbarer werde. Er konnte kein wahrer Mensch sein, wenn er nicht sterblich war, und er konnte die sterbliche Natur nicht zur Unsterblichkeit führen, wenn nicht die Sterblichkeit durch den Tod entwaffnet war. Höre, wie schön uns die Wahrheit selbst hierüber belehrt, wenn sie sagt: »Wenn das Waizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, so bleibt es allein; stirbt es aber, so bringt es viele Frucht.« Wäre also Christus immer sterblich geblieben, wenn er auch nie gestorben wäre, wie hätte er, ein sterblicher Mensch, der menschlichen Natur die Unsterblichkeit gegeben? Wäre er nie gestorben, so wäre er eben allein, ohne zu sterben, sterblich geblieben. Er musste also von der Möglichkeit des Sterbens durch den Tod befreit werden, wenn er viele Früchte bringen sollte, auf dass er so erhöhet Alles an sich ziehe, wenn seine Macht sich nicht bloß auf die Welt und vergängliche Erde, sondern auch auf den unvergänglichen Himmel erstreckte. Wir werden dies in unserer Unwissenheit einigermaßen erfassen, wenn wir das oft Gesagte uns vergegenwärtigen.

Wir haben gezeigt, Jesus, der größte Mensch, habe in sich, abgesondert von der Gottheit, kein Bestehen, weil er der größte ist. Deshalb wird der gegenseitige Austausch der göttlichen und menschlichen Prädicate (communicatio idiomatum) gestattet, so dass das Menschliche mit dem Göttlichen koinzidiert, weil jene Menschheit, unzertrennlich von der Gottheit, in Folge der höchsten Einigung, gleichsam durch die Gottheit angezogen und angenommen (quasi per divinitatem induta et assumta) abgesondert kein persönliches Sein und Bestehen hat. Nun ist der Mensch aus Körper und Seele geeint; die Scheidung ist der Tod. Da nun der größte Mensch in der göttlichen Person hypostatisch ruht (suppositatur), so konnte auch nach der localen Scheidung unmöglich entweder die Seele oder der Leib im Moment des Todes von der göttlichen Person, ohne welche der größte Mensch nicht bestand, losgetrennt werden. Christus starb also nicht in der Weise, als hätte seine Person einen Mangel gehabt, sondern, abgesehen von der localen Scheidung, blieb er in Hinsicht auf das Zentrum, in welchem seine Menschheit ruhte, mit der Gottheit hypostatisch geeint. Nach der niedern Natur, welche ihrem Wesen nach eine Scheidung von Seele und Leib gestattet, ist diese Scheidung zeitlich und räumlich erfolgt, so dass in der Todesstunde Seele und Leib nicht mehr in derselben Zeit und in demselben Raume zugleich waren. In Körper und Seele war eine Zerstörbarkeit nicht möglich, da sie mit der Ewigkeit geeint waren, allein die zeitliche Geburt war dem Tode und der zeitlichen Scheidung unterworfen, so dass, nachdem der Kreislauf von der Zusammensetzung zur Auflösung vollendet und namentlich der Leid von aller zeitlichen Bewegung frei geworden war, das wahre Wesen der Menschheit (veritas humanitatis), das überzeitlich mit der Gottheit geeint unversehrt geblieben, wie es dieses wahre Wesen erforderte, den wahren Leib mit der wahren Seele vereinte (veritatem corporis veritati animae adunaret), so dass das Schattenbild der Wahrheit (Idee) des Menschen entlassen wurde (dimissa umbrosa imagine veritatis hominis) und der in der Zeit erschienene wahre Mensch frei von aller Einwirkung der Zeitlichkeit auferstand. Es ist also ein und derselbe Jesus, erhoben über alle zeitliche Bewegung, um nicht mehr zu sterben, in Wirklichkeit auferstanden, durch eine Wiedervereinigung der Seele und des Leibes. Ohne diese Wiedervereinigung wäre die unzerstörbare Wahrheit (Idee) der Menschheit nicht auf das Wahrste, ohne Vermischung der Naturen, mit der göttlichen Person hypostatisch vereinigt gewesen. Unterstütze die Schwäche und Unwissenheit des Geistes durch das Beispiel Christi vom Waizenkorn! Das Waizenkorn wird als ein Einzelnes zerstört, aber die spezifische Wesenheit desselben bleibt unversehrt, durch welche die Natur eine Menge von neuen Körnern auferweckt. Wäre nun das einzelne Waizenkorn das größte und vollkommenste seiner Art, und würde es in dem besten und fruchtbarsten Erdreiche ersterben, so könnte es nicht bloß hundert- und tausendfache Frucht bringen, sondern so viele, als im Bereiche der ganzen Möglichkeit seiner Art enthalten ist. Das ist der Sinn jenes Wortes der ewigen Wahrheit: »es bringt viele Frucht«; denn das Viele ist eine zahllose Endlichkeit. Verstehe es wohl! Die Menschheit Jesu muss, so gut sie als konkrete Erscheinung des Menschen Christus aufgefasst wird, ebenso zugleich auch als vereint mit der Gottheit gedacht werden. In letzterer Hinsicht ist sie absolut (plurimum absoluta), sofern Christus als wahrer Mensch betrachtet wird, ist sie konkret, so dass er durch die Menschheit Mensch ist. So ist die Menschheit Jesu die Mitte zwischen dem rein Absoluten und rein Konkreten. Sie ist eben deshalb nur relativ zerstörlich, schlechthin aber unzerstörbar (non fuit corruptibilis, nisi secundum quid, et simpliciter incorruptibilis). Der Zeitlichkeit nach, auf die sie eingeschränkt war, war sie zerstörlich, als frei von der Zeit, über der Zeit, mit der Gottheit geeint, war sie unzerstörbar. Die Wahrheit in ihrer zeitlichen Erscheinung (veritas ut est temporaliter contracta) ist Symbol und Abbild der überzeitlichen Wahrheit. So ist auch die zeitliche Erscheinung des Körpers gleichsam Schattenbild des wahren überzeitlichen Körpers, und die konkrete Seele das Schattenbild der von der Zeitlichkeit befreiten Seele. So lange diese in der Zeit ist, wo sie ohne Bilder der Dinge (sine phantasmatibus) nichts auffasst, erscheint sie mehr als Sein oder Verstand, denn als Vernunft; ist sie aber über die Zeitlichkeit erhaben, so ist die Vernunft (von diesen Bildern) frei und unabhängig. Da nun die Menschheit Jesu unauflöslich nach Oben in der göttlichen Unzerstörbarkeit wurzelte, so konnte, nachdem der vergängliche zeitliche Lebenslauf vollendet war, die Lösung nur nach der Wurzel der Unzerstörbarkeit hin erfolgen. Daher ist Jesus nach dem Ende des zeitlichen Lebenslaufes, welches der Tod war, nach Entfernung von Allem, was sich zeitlich der Wahrheit der menschlichen Natur beigesellte, auferstanden, nicht mit einem schweren, zerstörlichen, unvollkommenen (umbrosa), leidensfähigen und mit den andern, der zeitlichen Zusammensetzung anklebende Mängel behafteten Leibe, sondern in einem wahren, verherrlichten, leidensunfähigen, beweglichen und unsterblichen Leibe, wie es die Wahrheit, frei von zeitlichen Bedingungen, erforderte. Diese Wiedervereinigung (von Seele und Leib) war durch die Wahrheit der hypostatischen Einigung der göttlichen und menschlichen Natur geboten. Es musste also Christus von den Toten auferstehen, wie er selbst sagte: »So musste Christus leiden und am dritten Tage von den Toten auferstehen.«

Achtes Kapitel: Christus, der Erstling der Entschlafenen, ist in den Himmel aufgefahren

Nach dem bisher Gezeigten ist nun leicht einzusehen, dass Christus der Erstling der Gestorbenen ist (primogenitum ex mortuis esse); denn kein Mensch konnte vor ihm auferstehen, weil die menschliche Natur noch nicht in der Zeit zu ihrem Höhepunkte (ad maximum) gelangt, noch nicht mit der Unzerstörbarkeit und Unsterblichkeit, wie in Christus, geeint war. Alle waren unfähig dazu, bis Der kam, welcher sagte: »ich habe die Macht mein Leben hinzugeben und es wieder zu nehmen.« In Christus, dem Erstlinge der Entschlafenen, hat daher die menschliche Natur die Unsterblichkeit angezogen. Nun gibt es aber nur Eine unteilbare Menschheit und nur eine spezifische Wesenheit aller Menschen, durch welche alle einzelnen Menschen unter sich der Zahl nach verschiedene Wesen sind, so dass die Menschheit Christi und aller andern Menschen die gleiche ist, unbeschadet des numerischen Unterschiedes der einzelnen Individuen. Hienach ist klar, dass die Menschheit aller Menschen, die zeitlich vor oder nach Christus lebten oder noch leben werden, in Christus die Unsterblichkeit angezogen haben. Der Schluss ist also gültig: der Mensch Christus ist auferstanden, folglich werden nach dem ganzen Ablaufe der zeitlichen Zerstörbarkeit alle Menschen durch ihn auferstehen, um ewig unzerstörbar zu sein. Wiewohl jedoch die Menschheit aller Menschen Eine und Dieselbe ist, so sind doch die individualisierenden Prinzipien, welche die Menschheit auf dieses oder jenes Subject einschränken, mannigfach und verschieden. Nur in Jesus Christus waren sie am vollkommensten und mächtigsten, dem Wesen der Menschheit am nächsten, die mit der Gottheit geeint war, in deren Kraft Jesus im Stande war, mit eigener Kraft aufzuerstehen, eine Kraft, die ihm aus der Gottheit zukam. Eben deshalb heißt es auch, Gott habe ihn von den Toten auferweckt, während er, da er Gott und Mensch war, durch eigene Kraft auferstanden ist. Christus, der nur nach seiner Abstammung von einer Mutter zeitlich geboren ist, hat bei seiner Auferstehung nicht den ganzen Abfluß der Zeit abgewartet, weil die Zeit seine Geburt durchaus nicht erfasst hat.

Beachte ferner: die menschliche Natur hat in Christus die Unsterblichkeit angezogen; daher werden wir zwar Alle, Gute wie Böse, auferstehen, aber nicht durch die Herrlichkeit (per gloriam), die uns durch Christus, den Sohn Gottes, zu Kindern Gottes (in filios adoptionis) umgestaltet, verwandelt werden. Alle werden durch Christus auferstehen, aber nicht Alle wie Christus und durch Einigung mit ihm, sondern nur Jene, die ihm durch Glaube, Hoffnung und Liebe angehören.

Hieraus siehst du, wenn ich mich nicht täusche, dass es keine vollkommene, den Menschen zum höchsten und ersehnten Ziel des Friedens führende Religion gibt, die Christus nicht als Mittler und Erlöser, als Gott und Menschen, als den Weg, die Wahrheit und das Leben auffasst. Wie widersinnig ist daher der Irrglaube der Saracenen, welche Christus für den größten und vollkommensten Menschen halten, geboren aus der Jungfrau, und glauben, dass er lebendig in den Himmel aufgefahren, aber seine Gottheit leugnen. Sie sind fürwahr verblendet, weil sie Unmögliches behaupten. Nach dem Gesagten muss es für jeden Menschen sonnenklar sein, dass kein Mensch der durchaus vollkommenste und größte und übernatürliche aus einer Jungfrau geboren sein kann, der nicht zugleich Gott ist. Die Saracenen sind daher unverständig, Feinde des Kreuzes, die dessen Mysterien nicht verstehen und darum auch die göttliche Frucht der Erlösung nicht verkosten werden. Auch von dem Gesetze ihres Mahomed, das nichts als Befriedigung sinnlicher Lust verheißt, die durch den Tod Christi in uns ertötet ist, dürfen sie nicht erwarten, wonach wir in Hoffnung auf den Besitz unvergänglicher Herrlichkeit eifrig streben. Mit den Saracenen glauben auch die Juden, der Messias sei der größte, vollkommenste, unsterbliche Mensch, leugnen aber gleichfalls seine Gottheit, von derselben teuflischen Blindheit geschlagen. Auch sie werden die höchste Seligkeit, Gott zu genießen, auf die sie nicht hoffen, auch nicht erlangen. Was am Befremdendsten ist, ist das, dass sowohl Juden als Saracenen an eine einstige allgemeine Auferstehung glauben, aber die Möglichkeit derselben durch einen Menschen, der zugleich Gott ist, nicht zulassen. Wollte man auch sagen, die Auferstehung sei schon darum notwendig, weil sonst, wenn die Bewegung des Entstehens und der Zerstörung aufhört, dass Universum nicht mehr seine Vollkommenheit hätte, und da die menschliche Natur ein wesentlicher Teil des Universums ist, das Universum ohne sie nicht nur nicht vollkommen, sondern überhaupt kein Universum mehr sein würde, und dass, wenn einmal die Bewegung aufhört, entweder das ganze Universum zu Grunde gehen oder die Menschen, deren Natur als die mittlere das Ganze in sich fasst, zur Unzerstörbarkeit auferstehen müssen (andere lebende Wesen brauchen nicht aufzuerstehen, da der Mensch die Vollkommenheit derselben ist); oder wollte man auch die Auferstehung nur deshalb annehmen, damit der ganze Mensch die ihm gebührende Vergeltung von dem gerechten Gott erhalte, so ist doch zu allem Dem vor Allem der Glaube an Christus als den Gottmenschen notwendig, durch welche allein die menschliche Natur zur Unvergänglichkeit gelangen kann. Blind sind daher Alle, welche an die Auferstehung glauben, aber Christus, die Vermittlung ihrer Möglichkeit, nicht bekennen, da der Glaube an die Auferstehung auch der Glaube an die Gottheit und Menschheit Christi, an seinen Tod und seine Auferstehung ist.

Auferstanden ist er, um durch die Himmelfahrt in seine Herrlichkeit einzugehen. Ich glaube, dass diese Himmelfahrt zu denken ist als über alle Bewegung der Zerstörbarkeit und über allen Einfluss der Himmel erhaben. Denn wiewohl Jesus seiner Gottheit und überall ist, so ist doch das sein ihm eignender Ort, wo kein Wechsel, Leiden, Traurigkeit, überhaupt nichts von dem ist, was der Zeitlichkeit angehört. Dieser Ort der ewigen Freude und des Friedens – sagen wir – ist über den Himmeln, wiewohl er weder zu beschreiben, noch zu definieren ist. Christus ist der Mittelpunkt und die Peripherie der vernünftigen Natur, und da die Vernunft Alles umfasst (omnia ambiat), so ist er über Allem. Indessen wohnt er in den heiligen Seelen und vernünftigen Geistern, welche die Himmel sind, die seine Herrlichkeit verkünden, als in seinem Tempel. Wir erkennen also, dass Christus über Raum und Zeit zu einer unzerstörbaren bleibenden Wohnung sich erhoben haben, wenn er heißt: er erhob sich über alle Himmel, um Alles zu erfüllen. Da er Gott ist, so ist er Alles in Allem; er herrscht in den Himmeln der vernünftigen Naturen, da er die Wahrheit selbst ist. Er ist nicht räumlich mehr in der Peripherie, als im Zentrum, da er der Mittelpunkt aller vernünftigen Geister und ihr Leben ist. Daher sagt er auch, er, der die Quelle des Lebens und das Ziel aller Geister ist, das Himmelreich sei in den Menschen.

Neuntes Kapitel: Christus ist der Richter der Lebendigen und der Toten

Welcher Richter ist gerechter, als der, welcher die Gerechtigkeit selbst ist? Christus, das Haupt und der Anfang jedes vernünftigen Geschöpfes, ist die größte Vernunft selbst, von der jede Vernunft stammt. Die Vernunft fällt das unterscheidende Urteil. Sonach ist der mit Recht der Richter der Lebendigen und der Toten, der mit allen vernünftigen Naturen die menschliche Natur angenommen hat und dabei Gott geblieben ist, der der Vergelter von Allem ist. Christus richtet Alles überzeitlich, durch sich und in sich, weil er alle Geschöpfe als der größte Mensch, in dem Alles ist, in sich begreift. Gott als Gott ist das unendliche Licht, in dem keine Finsternis ist, das Alles erleuchtet, so dass in diesem Lichte dem Lichte selbst Alles ganz klar und offenbar ist. Dieses unendliche vernünftige Licht umfasst überzeitlich so Gegenwart als Vergangenheit, Lebendes und Totes in sich, wie das physische Licht die Hyposthase aller Farben ist. Christus ist wie das reinste Feuer, das vom Lichte unzertrennlich ist, und nicht in sich, sondern im Lichte seinen Bestand hat. Er ist das Feuer des geistigen und vernünftigen Lebens, das, indem es Alles verzehrt und in sich aufnimmt, eben dadurch Alles prüft und beurteilt. Alle vernünftigen Geister werden in Christus so geprüft, wie das dem Feuer Uebergebene (ignibile) im Feuer. Einiges wird, während es im Feuer aushält, doch ganz in die Ähnlichkeit mit dem Feuer umgewandelt. So wird das beste und vollkommenste Gold im Feuer so in Feuer verwandelt, dass man nicht Gold mehr als Feuer wahrnimmt. Anderes nimmt an der Intensität des Feuers nicht in diesem Grade Anteil, wie das geläuterte Silber, Erz und Eisen. Jedoch scheint Alles in Feuer verwandelt, obwohl Jegliches in einem besondern Grade. Dieses Gericht übt jedoch nur das Feuer aus, nicht die vom Feuer ergriffenen Gegenstände (ignitum), da jeder der letztern in jedem andern nur das heftige Feuer bemerkt, nicht aber die Gradunterschiede der vom Feuer ergriffenen Gegenstände, gleichwie auch wir, wenn wir geschmolzenes Gold, Silber und Kupfer in einem sehr großen Feuer sehen, die Unterschiede der Metalle, wenn sie in die Form des Feuers umgestaltet sind, nicht wahrnehmen. Hätte nun dieses Feuer Bewusstsein und Vernunft, so kennete es die Grade der Vollkommenheit eines Jeden, und die Fähigkeit für die Aufnahme eines intensiven Feuers würde in Jedem graduell verschieden erscheinen. Wie es daher einige dem Feuer unterworfene Stoffe gibt, die im Feuer unzerstörbar verharrend Licht und Wärme in sehr hohem Grade aufnehmen und vermöge ihres geläuterten Zustandes leicht zur Ähnlichkeit des Feuers sich umgestalten lassen, während andere Stoffe wegen ihrer unreinen Beschaffenheit zwar wärmefähig, aber nicht in Licht verwandelbar sind, so teilt auch Christus der Richter in Einem einfachsten und unterschiedlosen Ausspruch (judicium), in Einem Momente, an Alle auf die gerechteste Weise, ohne alle Missgunst, nicht in zeitlicher, sondern natürlicher Ordnung, die Wärme der anerschaffenen Verständigkeit (calorem creatae rationis communicat) aus, und ist diese Wärme von Jedem aufgenommen, so gießt er das göttliche Licht der Vernunft von Oben ein, so dass Gott Alles in Allem ist und Alles durch ihn, den Mittler, in Gott und ihm (dem Mittler) gleich, so weit dies nach der Empfänglichkeit eines Jeden möglich ist. Dass aber einige Stoffe (quaedam), die mehr geeint und geläutert sind, nicht nur für Wärme, sondern auch für Licht empfänglich sind, andere kaum für Wärme, aber nicht für Licht, ist eine Folge der mangelhaften Disposition der Gegenstände. Da nun jenes unendliche Licht die Ewigkeit und Wahrheit selbst ist, so muss das verständige Geschöpf, das durch dasselbe erleuchtet werden will, sich über Welt und Zeit zu dem Wahren und Ewigen hinwenden. Denn Körperliches und Geistiges sind Gegensätze. Das bloße Vegetieren ist körperlicher Natur, es verwandelt die von Außen aufgenommene Nahrung in die Natur des Genährten, es verwandelt sich nicht das Tier in Brot, sondern umgekehrt. Der vernünftige Geist hingegen, dessen Tätigkeit überzeitlich, gleichsam am Horizont der Ewigkeit sich bewegt, kann das Ewige, weil es ewig ist, nicht in sich verwandeln; allein er kann auch sich, da er gleichfalls unzerstörbar ist, nicht so in das Ewige verwandeln, dass er aufhört, ein vernünftige Substanz zu sein. Er wird daher so in jenes verwandelt, dass er zur Ähnlichkeit mit dem Ewigen umgestaltet wird (absorbeatur), jedoch mit graduellem Unterschiede. Ist er stärker und inniger dem Ewigen zugewandt, so geht seine Vollendung durch das Ewige auch tiefer (profundius ab aeternis perficiatur) und sein Sein verbirgt sich in dem ewigen Sein (et abscondatur ejus esse in ipso esse aeterno). Da Christus unsterblich ist und fortlebt, ja das Leben und die Wahrheit ist, so wendet sich, wer zu ihm sich wendet, zum Leben und zur Wahrheit hin; mit je regerem Eifer es geschieht, desto mehr erhebt er sich über das Zeitliche und Vergängliche zum Ewigen hin, so dass sein Leben verborgen ist in Christus. Die Tugenden sind die ewige Gerechtigkeit, die in alle Ewigkeit dauert, das Leben und die Wahrheit. Wer sich der Tugend zuwendet, wandelt auf den Wegen Christi, auf den Wegen der Reinheit und Unsterblichkeit. Die wahren Tugenden sind eine göttliche Erleuchtung (divinae illuminationes). Wer sich daher in diesem Leben durch Christus, der die Tugend ist, zur Tugend wendet, wird, wenn er von diesem zeitlichen Leben befreit ist, in der Reinheit des Geistes erfunden werden, und eingehen dürfen in die Freude, Gott ewig zu besitzen. Die Hinkehr (conversio) unseres Geistes erfolgt, wenn er sich mit allen seinen geistigen Kräften zur reinsten ewigen Wahrheit im Glauben, dem er Alles hintansetzt, hinwendet und diese Wahrheit als das allein Liebenswürdige liebt. Die Hinkehr zu Christus, der die Wahrheit ist, im felsenfesten Glauben ist Verachtung der Welt und siegreiches Bezähmen alles Weltlichen (est mundum istum deserere atque in victoria calcare). Christus auf das Herzlichste lieben, heißt in geistiger Bewegung zu ihm hinziehen, der nicht nur liebenswürdig, sondern die Liebe (caritas) selbst ist. Zieht der Geist in den Stufen der Liebe zur Liebe selbst hin, so vertieft er sich, erhoben über die Zeit und alle weltliche Bewegung, in der Liebe (in ipsam caritatem profundatur). Wie jeder Liebende in der Liebe, so leben Alle, welche die Tugend lieben, in Christus. Und wie jeder Liebende durch die Liebe liebt, so lieben alle Freunde der Wahrheit die Wahrheit durch Christus. Niemand kennt also die Wahrheit, es sei denn der Geist Christi in ihm. Wie es unmöglich ist, dass ein Liebender ohne Liebe sei, so ist es unmöglich, dass Jemand Gott besitze ohne den Geist Christi, in welchem Geist wir allein Gott anbeten können. Daher sind die Glaubenslosen, die sich nicht Christus zuwenden, als unempfänglich für das zur Glorie umgestaltende Licht schon verurteilt zur Finsternis und zum Schatten des Todes; denn sie sind weggewandt von dem Leben, das Christus ist, von dessen Fülle allein Alle in der Herrlichkeit durch die Vereinigung mit ihm gesättigt werden. Hierüber will ich weiter unten in dem Abschnitte über die Kirche auf gleicher Grundlage zu unserem Troste noch Einiges beifügen.

Zehntes Kapitel: Vom Ausspruch des Richters

Es ist klar, dass kein Sterblicher jenes Gericht und den Ausspruch des Richters zu begreifen im Stande ist. Da es über alle Zeit und Bewegung ist, so vollzieht sich jenes Gericht nicht in einer vorausgehenden Erörterung, nicht im Aussprechen von Worten und ähnlichen Äußerlichkeiten, welche eine Zeitdauer in sich schließen, sondern wie in dem Worte (er sprach und es ward) Alles erschaffen ist, so wird in demselben Worte Alles gerichtet. Auch fällt zwischen den Ausspruch und dessen Vollzug keine Zeitdauer, sondern es ist Ein Moment: Auferstehen und Gelangen zum letzten Ziele. Letzteres nach zwei Richtungen: Verklärung durch Aufnahme unter die Kinder Gottes und Verdammung durch Ausschließen der von Gott Abgekehrten sind durch keinen Zeitmoment von einander getrennt.

Die vernünftige Natur, die über die Zeit erhaben und der zeitlichen Zerstörung nicht unterworfen ist, die in ihrer Natur die unzerstörbaren Formen der Mathematik und der Naturwesen begreift und daher der selbst unzerstörbare Ort dieser unzerstörbaren Formen ist, wir durch eine natürliche Bewegung zur reinen, von aller konkreten Vermischung freien Wahrheit (ad veritatem movetur abstractissimam), als zum Ziele ihres Sehens und zu ihrem höchsten, genußreichsten Objekt hingetrieben. Und da dieses Objekt Gott ist, so ist die unsterbliche und unzerstörbare Vernunft nicht befriedigt, bis sie ihn erreicht, da sie nur in dem ewigen Objekt Befriedigung findet. Wenn nun die Vernunft, frei vom Körper, in dem sie den Meinungen der Zeit unterworfen ist (in quo opinionibus ex tempore subjicitur), nicht zum erwünschten Ziele gelangt, sondern vielmehr, während sie doch nach der Wahrheit ein Verlangen hat, in Unwissenheit versinkt, und während ihr höchstes Sehnen kein anderes ist, als die Wahrheit selbst, nicht wie in Räthseln und Symbolen, sondern mit höchster Gewissheit von Angesicht zu erfassen, in der Stunde des Scheidens von dieser Welt wegen ihrer Abkehr von der Wahrheit und Hinkehr zu dem Vergänglichen in dieses von ihr erstrebten Vergängliche hinabsinkt, in die Ungewissheit und Verworrenheit, in das finstere Chaos der bloßen Möglichkeit, in der keine wirkliche Gewissheit ist (cum cadat ad incertitudinem et confusionem, in ipsum tenebrosum chaos merae possibilitatis, ubi nihil certi actu), so sagt man mit Recht, sie sei dem geistigen Tode verfallen (recte ad intellectualem mortem descendisse dicitur). Denn für die Seele ist das vernünftige Erkennen ihr Sein, das Ersehnte erkennen – ihr Leben. Wie es daher ihr ewiges Leben ist, zuletzt das Ersehnte, Beharrliche, Ewige zu erfassen, so ist es ihr ewiger Tod, von diesem ersehnten festen Ziele getrennt und in das Chaos der Verwirrung hinabgestürzt zu werden, wo sie nach ihrer Weise von dem ewigen Feuer gequält wird, das wir uns nicht anders denken können, als die Qual dessen, der der lebengebenden Nahrung und der Gesundheit, ja, was noch mehr ist, auch der Hoffnung, je diese Güter zu erlangen, beraubt ist, und daher, ohne je zu erlöschen, ohne Ende beständig stirbt in ewigem Todeskampfe (ut sine extinctione et fine semper moriatur agonizando). Das ist ein über allen Begriff qualvolles Leben, denn es ist ein solches Leben, das zugleich Tod ist, ein Sein, das ein Nichtsein, ein Erkennen, das ein Nichtwissen ist. In dem Früheren ist gezeigt, dass die Auferstehung der Menschen erhaben über alle Bewegung, Zeit, Quantität und über Anderes, was zur Zeit gehört, erfolgt, so dass das Zerstörliche ins Unzerstörbare, das Tierische ins Geistige verwandelt wird und der ganze Mensch volle Persönlichkeit und diese ganz geistiger Natur, und somit auch der wahre Leib vom Geistigen verschlungen ist (ut totus homo sit suus intellectus, qui est spiritus, et corpus verum sit in spiritu absorptum). Der Leib besteht nicht mehr in sich (in se) nach seinen körperlichen quantitativen und zeitlichen Verhältnissen, sondern ist in das Geistige aufgenommen (translatum in spiritum), das Gegenstück zu dem jetzigen Leibe, wo man nicht die Vernunft, sondern nur den Körper wahrnimmt, in dem die Vernunft selbst wie eingekerkert ist, während dort der Körper eben so im Geiste ist, wie hienieden der Geist im Körper, und mithin, während hier die Seele durch den Körper belastet, dort der Körper durch den Geist schwunghaft wird (alleviatur). Wie daher die geistigen Freuden des vernünftigen Lebens die größten sind, an denen auch der verklärte Leib im Geiste participirt, so ist auch die höllische Traurigkeit des geistigen Todes die größte, und auch der Leib empfindet sie im Geiste. Und da unser Gott, der, lebendig erfasst, das ewige Leben ist, über allen unsern Verstand erkennbar ist, so sind auch jene ewigen Freuden, die alle unsere Begriffe übersteigen, viel zu groß, als dass sie sich irgend wie schildern ließen. In gleicher Weise gehen auch die Strafen der Verdammten über alle denkbaren oder der Darstellung fähigen Strafen hinaus. Daher sind alle jene der musikalischen Harmonie entlehnten Zeichen der Freude, des Frohlockens und der Herrlichkeit, welche als uns bekannte Zeichen zum Ermessen des ewigen Lebens von den Vätern überliefert wurden, nur ganz entfernte sinnliche Zeichen, die unendlich von jener geistigen, keiner Phantasie zugänglichen Freude abstehen. Eben so halten auch die Höllenstrafen, sofern sie mit einem Elementarfeuer aus Schwefel und Pech auch ähnlich sinnlichen Qualen verglichen werden, keinen Vergleich aus, mit jenen feurigen Geistesqualen (ad igniles illas intellectuales aerumas), vor welchen uns Jesus Christus, unser Leben und Heil bewahren wolle. Er sei gepriesen in Ewigkeit. Amen.

Elftes Kapitel: Das Mysterium (die Natur) des Glaubens

Unsere Vorfahren sagen alle einstimmig, der Glaube sei der Anfang des Wissens (fidem initium esse intellectus). In jedem Gebiet des Wissens (in omni facultate) werden einige Sätze als erste Prinzipien (Axiome) vorausgesetzt, die man nur durch den Glauben erfasst, und aus welchen sodann die Erkenntnis des zu erforschenden Gegenstandes entwickelt wird (ex quibus intelligentia tractandorum elicitur). Wer zu einer Wissenschaft aufsteigen will, muss an die Dinge glauben, ohne die er nicht aufsteigen kann. Darum sagt Jesaias: wenn ihr nicht glaubet, werdet ihr nicht einsehen. Der Glauben fasst daher alles Erkennbare in sich, die Erkenntnis ist die Entfaltung des Glaubens (fides est in se complicans omne intelligibile, intellectus autem est fidei explicatio). Das Wissen erhält daher durch den Glauben seine Richtung (dirigitur), der Glaube durch das Wissen seine Entwicklung (extenditur). Wo daher kein gesunder Glaube ist, da gibt es auch kein wahres Wissen. Es ist bekannt, zu welchen Schlüssen falsche Prinzipien und ein unsicheres Fundament führen.

Es gibt keinen vollkommeneren Glauben, als die Wahrheit selbst – Jesus. Wer sieht es nicht ein, dass der rechte (recta) Glauben die herrlichste Gottesgabe ist? Der Apostel Johannes sagt, der Glaube an die Menschwerdung des Wortes Gottes führe uns die Wahrheit, so dass wir Kinder Gottes werden. Dies zeigt er im Eingange (seines Evangeliums) mit wenigen Worten und zählt dann viele Thaten Christi auf, im Einklang mit dieser Glaubenswahrheit, damit die Vernunft im Glauben erleuchtet werde; deshalb sagt er am Schluss: »Dies ist geschrieben, damit ihr glaubet, dass Jesus der Sohn Gottes ist.« Der süße Glaube an Christus, an dem die Gestalt des Herzens festhält, kann nun nach unserer Wissenschaft des Nichtwissens in stufenmäßigem Aufsteigen und entfaltet werden. Denn die größten und tiefsten Geheimnisse Gottes, die den Weltkindern, wie verständig sie auch sonst sein mögen, verborgen bleiben, werden dem kindlichen und demütigen Gemüthe im Glauben an Jesus offenbart, weil in Jesus alle Schätze der Weisheit und Wissenschaft verborgen sind. Ohne ihn kann Niemand etwas ausführen, denn er ist das Wort und die Allmacht, durch welche Gott die Welt erschaffen hat; er, der allein Höchste, hat Gewalt über Alles im Himmel und auf Erden. Da er in dieser Welt nicht erkennbar ist, und Verstand, Meinung und Unterricht uns durch Symbole vom Bekannten zum Unbekannten führen, so wird er nur da erfasst, wo das Überreden (persuasiones) aufhört und der Glaube beginnt, durch den wir in der Einfallt des Herzens dergestalt entzückt werden, dass wir ihn (ipsum) über Verstand und Einsicht im dritten Himmel der einfachsten Vernünftigkeit im Körper unkörperlich (weil im Geiste), in der Welt überweltlich, himmlisch in einer alle Begriffe übersteigenden Weise betrachten, wo wir auch das einsehen, dass er wegen seiner unendlichen Erhabenheit nicht begriffen werden kann. Das ist die gelehrte Unwissenheit, durch welche der heilige Paulus sich zu der Einsicht erhob, dass er Christus, von dem er eine Zeitlang nur ein Wissen hatte (quem aliquando solum scivit), dann nicht kenne (ignorare), wenn er sich höher hinauf zu ihm erhob. Wir Christgläubigen werden daher durch das gelehrte Nichtwissen zu dem Berge, der Christus ist, hinaufgeführt, den wir in unserm natürlichen Leiben und Leben (cum natura animalitatis nostrae) nicht berühren können. Wollen wir aber mit dem Auge der Vernunft ihn betrachten, so stoßen wir auf Finsternis und wissen, innerhalb dieser Finsternis sei der Berg, wo allein Alle, deren Stärke die Vernunft ist (omnibus intellectu vigentibus), wohnen dürfen. Besteigen wir diesen Berg mit festem Glauben, so werden wir den Augen der sinnlichen Weltkinder entrückt; wir hören innerlich (auditu interiori) die Stimmen, die Donner und schrecklichen Zeichen von Gottes Majestät und vernehmen unschwer den Herrn selbst, dem Alles gehorcht, indem wir stufenweise zu einigen unzerstörbaren Spuren seiner Fußtritte, wie zu göttlichen Kennzeichen gelangen, und so nicht die Stimme sterblicher Geschöpfe, sondern die Stimme Gottes selbst in seinen heiligen Organen, in Propheten und andern Heiligen vernehmen, und so ihn noch deutlicher durch eine Menge von Verstandesgründen erkennen. Allein auch von hier steigen die Gläubigen in glühendem Verlangen immer höher auf, und werden über alles Sinnliche hinweg zur einfachen, vernünftigen Anschauung erhoben (ad intellectualitatem simplicem rapiuntur), ein Fortschritt, wie aus dem Schlafe zum Wachen, vom Hören zum Sehen, wo sie sehen, was nicht geoffenbart werden kann, weil kein Gehör es zu fassen, keine Stimme es zu lehren vermag. Müsste das hier Geoffenbarte ausgesprochen werden, dann würde Unaussprechliches ausgesprochen und Unerhörtes gehört, wie das Unsichtbare dort gesehen wird. Jesus, der gepriesen sei in Ewigkeit, das Ziel der Vernunft als die Wahrheit, das Ziel der Sinne als das Leben, das Ziel alles Seins als das Sein, die Vollkommenheit jedes Geschöpfes als der Gottmensch, wird dort als das Höchste aller Worte in uns unbegreiflicher Weise gehört. Er ist nämlich Ausgang und Ziel jeden Wortes: was in einem Worte Wahres ist, kommt von ihm. Jedes Wort hat den Zweck der Belehrung. Er ist also dieser letzte Zweck, weil er die Weisheit selbst ist. Die Ursache jedes vergänglich verhallenden Wortes ist das unvergängliche Wort – die Vernunft. Christus ist die Fleisch gewordene höchste Vernunft, weil »das Wort Fleisch geworden ist«. Jesus demnach das Ziel von Allem.

Solche Wahrheiten enthüllen sich dem, der im Glauben zu Christus aufsteigt.

Die göttliche Wirksamkeit dieses Glaubens lässt sich nicht beschreiben; sie eint den Glaubenden mit Jesus und ist somit über Alles erhaben, was nicht in der Einheit mit Jesus ist. Der Gläubige hat, wenn sein Glaube groß ist, in der Kraft Jesu, mit dem er vereint ist, Gewalt über die Natur und Bewegung; er gebietet sogar den bösen Geistern, wie das Leben der Heiligen beweist. Der vollkommene christliche Glaube muss aber ganz lauter, sehr groß und so viel als nur möglich von Liebe belebt sein. Er duldet keine Beimischung, weil er der Glaube an die reinste, allvermögende Wahrheit ist. Oft genug haben wir es bisher ausgesprochen, dass das Kleinste mit dem Größten koinzidiert. Dies gilt auch vom Glauben, der nach Sein und Macht in keinem Erdenpilger der größte sein kann, wenn der Letztere nicht zugleich, wie Jesus, der lebendige Inbegriff des Glaubens ist (qui non sit et comprehensor simul, qualis Jesus fuit.) Der in Wirklichkeit größte Glaube muss zu einem solchen Grade unzweifelhafter Gewissheit erhoben sein, dass er auch im kleinsten Mamaßße (minime) Glaube, und vielmehr volleste, zweifelloseste Gewissheit ist. Das ist der machtvolle Glaube, der in der Weise der größte und kleinste zugleich ist, dass er alle Gegenstände des Glaubens in Ihm, der die Wahrheit ist, umfasst. Wenn auch der Glaube des Einen den Glaubensgrad des Andern nicht erreicht, weil volle Gleichheit unmöglich ist, so muss doch Jeder, so viel es an ihm liegt, in Wirklichkeit den größten Glauben haben (necesse est ut quisque quantum in se est, actu maxime credat). Dann ist der Glaube dessen, der im Vergleiche zu Andern nur einen Glauben wie ein Senfkorn erhalten hat, gleichwohl von so unermesslicher Kraft, dass selbst die Berge ihm Gehorsam leisten, wenn er in der Kraft des Wortes Gottes, mit dem er, so viel an ihm liegt, auf das Innigste im Glauben vereinigt ist, Befehle erteilt, da dem Worte Gottes nichts widerstehen kann. Wie groß ist also die Macht, die dem vernünftigen Geiste in der Kraft Christi zur Seite steht, wenn er sich an diesen vollständig anschließt, dass er durch ihn belebt wird, und, unbeschadet seiner Selbstständigkeit in ihm als in seinem Lebensgrunde ruht! Da dies nur durch die Hinkehr der Vernunft zu Christus im größten Glauben möglich ist, so muss dieser durch die einigende Liebe belebt sein; der Glaube kann ohne Liebe nicht der größte sein. Denn wenn jeder Lebende das Leben, jeder Denkende das Denken liebt, wie kann Jesus als das unsterbliche Leben und als die unendliche Wahrheit geglaubt werden, wenn er nicht auf das Höchste geliebt wird? Das Leben ist an sich der Liebe werth; ist also unser Glaube, Jesus sei das ewige Leben, sehr groß, so muss er notwendig geliebt werden; denn der Glaube ist kein lebendiger, sondern ein toter, ja kein Glaube, ohne Liebe. Die Liebe ist das belebende Prinzip (forma) des Glaubens, das ihm das wahre Sein verleiht, ja sie ist das Zeichen des felsenfesten Glaubens, denn wenn wir Christo Alles hintansetzen, wenn wir Leib und Seele im Vergleich zu ihm für nichts achten, so ist dies der Beweis eines sehr großen Glaubens. Ein großer Glaube ist auch ohne die Hoffnung, einst Jesus selbst zu genießen, nicht möglich. Oder wer könnte einen festen Glauben haben, und dabei nicht auf die Verheißung Christi hoffen? Wer nicht glaubt, er werde das ewige von Christus den Glaubenden verheißene Leben erhalten, wie kann der an Christus glauben, und ihn für die Wahrheit halten? Wer auf die Verheißung nicht zweifellos hofft, wie wird der für Christus in den Tod gehen, wenn er nicht auf die Unsterblichkeit hofft? Wer dagegen glaubt, dass Christus die nicht verlässt, die auf ihn hoffen, sondern ihnen die ewige Seligkeit verleiht, der hält es für etwas Geringes, um einer solchen Vergeltung willen Alles für Christus zu leiden.

So groß ist die Kraft des Glaubens; sie macht den Menschen Christus ähnlich (christiformem); er verlässt die Welt, entzieht sich der Befleckung des Fleisches, wandelt in Furcht auf den Wegen Gottes, folgt mit Freuden den Fußstapfen Christi, nimmt das Kreuz mit Frohlocken auf sich, im Fleische wandelnd, ist er ganz Geist; die Welt ist ihm der Tod für Christi, der Tod, der ihn zu Christus führt, ist ihm Leben. Wie edel ist doch ein Geist, in dem Christus durch den Glauben wohnt! Welch eine wunderbare Gabe Gottes, dass wir uns auf unserer Pilgerschaft im gebrechlichen Leibe durch die Kraft des Glaubens zur macht über Alles, was Christus nicht ist, erheben können! Wer stufenmäßig, durch Ertötung des Fleisches sich zur Einheit mit Christus erhebt, und in einer so tief gehenden Einigung, als es nur immer in diesem Leben möglich ist, in ihn aufgegangen ist (in ipsum absorbeatur), der erhebt sich über alles Sichtbare, ja über Alles in der Welt, und erlangt die complete Vollkommenheit der menschlichen Natur.

Das ist die Vollkommenheit der Natur, die wir durch Christus in Ertötung des Fleisches und der Sünde, umgestaltet zu seinem Bilde erlangen können, nicht aber jene eingebildete Vollkommenheit durch Magie, die den Menschen zu einem gewissen höheren Wesen durch die Tätigkeit der auf uns einwirkenden (höheren) Geister mittelst des Glaubens sich erheben lässt, so dass die Zauberer in der Kraft dieser Geister, mit denen sie sich durch den Glauben vereinigen, verschiedene undenkbare Dinge im Feuer, Wasser, in Kenntnis der Harmonien, in Verwandlungen, im Erraten verborgener Dinge etc. verrichten. Es ist klar, dass das Alles nur Trug und Täuschung ist, ohne Leben und Wahrheit. Die Zauberer sind durch Bündnisse und Verträge mit den bösen Geistern dergestalt gebunden, dass sie, was sie im Glauben festhalten, auch tatsächlich durch Huldigungen und Gebete beweisen, die sie statt Gott, dem sie allein gebühren, den bösen Geistern, als hätten diese die Macht, ihre Bitten zu erhören, mit größter Verehrung darbringen. Sie erlangen bisweilen durch den Glauben das flüchtige zeitliche Gut, durch ihre Vereinigung mit dem bösen Geiste, mit dem sie, getrennt von Christus, auch in dem Straforte werden ewig vereinigt bleiben müssen. Gepriesen sei Gott, der durch seinen Sohn uns der Finsternis einer so großen Unwissenheit entrissen hat, dass wir nun wissen, Alles sei Irrtum und Betrug, was immer durch einen andern Mittler als Christus, der die Wahrheit ist, und in einem andern Glauben, als den an Jesus vollbracht wird. Denn es ist nur Ein Herr Jesus, der Macht hat über Alles, allen Segen und zuwendet und alle unsere Unvollkommenheit im Übermaße ergänzt.

Zwölftes Kapitel: Von der Kirche

Obwohl das Verhältnis über die Kirche Christi schon aus dem Bisherigen gewonnen werden kann, so will ich doch, damit dem Werke nichts fehle, noch ein kurzes Wort beifügen. Da der Glaube in den verschiedenen Menschen graduell verschieden ist, so gelangt kein Mensch zum Glauben in der höchsten Potenz, so wenig als zur größten Liebe. Wäre in einem Erdenpilger der höchste Glaube, der keine Steigerung zulässt, so müsste er zugleich der lebendige Inbegriff des Glaubens (comprehensor fidei) sein. So kann auch die schlechthin größte Liebe in keinem Liebenden sein, er sei denn zugleich der Geliebte. Daher findet sich der schlechthin größte Glaube und die größte Liebe in Keinem, als in Jesus Christus, welcher Erdenpilger (viator) und Inbegriff des Glaubens, liebender Mensch und geliebter Gott zugleich war. Nun ist aber in dem Größten Alles eingeschlossen, weil es Alles umfasst. Der Glaube Jesu Christi schließt daher allen wahren Glauben, die Liebe Christi alle wahre Liebe in sich, wobei jedoch immer verschiedene Gradunterschiede bleiben. Da diese alle unter dem Größten und über dem Kleinsten sind, so kann Niemand, wenn er auch in Wirklichkeit, so viel an ihm liegt, den größten Glauben hat, zum schlechthin größten Glauben Christi gelangen, durch den er Christus als Gott und Menschen vollständig erfasste, sowie auch Niemand Christus so sehr lieben kann, dass diese Liebe keine Steigerung zuließe, weil Christus die Liebe (amor et caritas) und deshalb ins Unendliche liebenswürdig ist. Niemand kann in diesem oder dem zukünftigen Leben Christus so lieben, dass er selbst Christus der Gottmensch würde; denn Alle, die entweder in diesem Leben durch Glauben und Liebe, oder im andern durch unmittelbares Erlassen und Genießen mit Christus vereinigt sind, sind es nicht in der Art, dass sie nicht noch inniger vereinigt sein könnten, unbeschadet der graduellen Verschiedenheit, so dass ohne diese Vereinigung Niemand aus und durch sich besteht, sowie durch dieselbe Niemand seine graduelle Verschiedenheit verliert.

Diese Vereinigung nun ist die Kirche oder die Gemeinschaft Vieler in Einem, gleichwie viele Glieder an Einem Körper sind, jedes mit einem besonderen Range (gradus), wo Ein Glied nicht ein anderes und jedes Glied durch den Körper mit dem andern vereinigt ist, und keines ohne den Körper Leben und Bestand hat, wiewohl am Körper Ein Glied nicht alle Glieder in sich fasst, außer mittelst des Körpers. Die Wahrheit unseres Glaubens kann daher während unserer irdischen Pilgerschaft nur im Geiste Christi bestehen, unbeschadet der Stufenordnung der Gläubigen, so dass sich eine Verschiedenheit bei voller Übereinstimmung in dem Einen Jesus gestaltet (ut sit diversitas in concordantia in uno Jesu). Und scheiden wir durch die Auferstehung aus der streitenden Kirche, so können wir wieder nur durch Christus auferstehen, so dass auch die triumphierende Kirche (in ihm) eine Einheit ist, in der Jeder seinen eigenthümlichen Rang behauptet. Dann wird die Wahrheit unseres Fleisches nicht mehr in sich, sondern in der Wahrheit des Fleisches Christi, die Wahrheit unseres Leibes nur in der Wahrheit des Leibes Christi, die Wahrheit unseres Geistes in der Wahrheit des Geistes Jesu Christi bestehen, wie die Rebzweige in dem Weinstocke. Es wird die Eine Menschheit Christi in allen Menschen, der Eine Geist Christi in allen Geistern sein, so dass Jegliches in ihm und gleichsam Ein Christus aus Allem ist. Wer daher Einen aus Allem, die Christus angehören, in diesem Leben aufnimmt, nimmt Christus auf, und was Einem der Geringsten gethan wird, wird Christus gethan, wer die Hand Plato's verletzt, Plato selbst verletzt, und wer dort im wahren Vaterlande über den Geringsten sich freut, freut sich über Christus. In Allem sieht er Jesus und durch diesen – Gott. So wird unser Gott durch seinen Sohn Alles in Allem, Jeder im Sohne und durch diesen mit Gott und Allen sein; es herrscht volle Freude ohne Missgunst und Mangel.

Da Glaube und Liebe, so lange wir hienieden pilgern, einer beständigen Steigerung fähig sind, so müssen wir uns Mühe geben, dass die Möglichkeit durch die Gnade unseres Herrn Jesu Christi zu Wirklichkeit gelange, auf dass wir von Tugend zu Tugend, von einer Stufe zur andern weiter schreiten durch den, der der Glaube und die Liebe selbst ist, ohne den wir aus uns als solchen nichts vermögen, da wir Alles nur in ihm vermögen. Er allein kann uns geben, was uns fehlt, dass wir am Tage der Auferstehung als gesunde und wertvolle Glieder an ihm erfunden werden. Diese Gnade des Wachstums in Glaube und Liebe können wir sonder Zweifel durch anhaltendes Gebet erlangen, indem wir vertrauensvoll dem Throne dessen uns nahen, der voll Güte ist und kein heiliges Verlangen unbefriedigt lässt.

Wenn du dies tief im Geiste erwägst, durchströmt dich eine wunderbare geistige Wonne; innerlich verkostest du wie süßen Wohlgeruch die unaussprechliche Güte Gottes, die er dir, hienieden an dir vorübergehend, erweiset, die dich einst sättigen wird, wenn seine volle Herrlichkeit erscheint, ich sage: sättige, ohne satt zu werden (absque fastidio), weil jene unsterbliche Speise das Leben selbst ist. Und wie die Sehnsucht nach dem Leben immer wächst, so wird auch die Speise des Lebens immer genossen, ohne dass sie in die Natur des Genießenden übergeht, denn sonst wäre sie eine uns anwidernde Speise, die uns belästigte und uns das unsterbliche Leben nicht zu geben vermöchte, da sie in sich mangelhaft wäre, weil sie sich in die Natur des Genießenden verwandelte. Unser vernünftiger Geist aber will geistig leben und beständig weiter dringen zu Leben und Freude. Da diese unendlich sind, so werden die Seligen unaufhörlich zur Sehnsucht nach ihnen hingezogen. So finden sie Sättigung, indem sie dürstend aus der Quelle des Lebens trinken, und da dieses Trinken nicht in Vergangenheit übergeht, indem es ewig ist, so trinken die Seligen immer aus dieser Quelle und sind immer gesättigt, und nie geht Beides in die Vergangenheit über. Gepriesen sei Gott, der uns eine Vernunft gegeben hat, die in dieser Zeit nicht gesättigt wird, deren unbegrenztes Sehnen sich selbst als erhaben über die vergängliche Zeit, als unvergänglich erfasst und erkennt, dass sie ihre volle geistige Befriedigung nur in dem Genuss des höchsten, vollkommensten, nie abnehmenden Gutes finde, wo der Genuß nie in Vergangenheit übergeht, weil das Begehren durch den Genuß nicht abnimmt. Wenn ein Hungriger an der Tafel eines mächtigen Königs sich niederließe und ihm die gewünschte Speise vorgesetzt würde, so dass er nach einer andern nicht begehrte, und wenn es die Natur dieser Speise wäre, dass sie durch Sättigen den Appetit steigert, so ist klar, dass, wenn diese Speise nie ausginge, der Gast beständig gesättigt wäre und zugleich beständig nach derselben Speise ein Verlangen hätte, und immer fähig wäre, die Speise zu sich zu nehmen, deren Natur es mit sich bringt, den damit Gespeisten zu beständigem Verlangen nach dieser Speise hinzutreiben. Die vernünftige Natur nun hat die Fähigkeit, indem sie das Leben in sich aufnimmt, in dasselbe verwandelt zu werden, wie die Luft durch Aufnahme des Sonnenstrahls in Licht verwandelt wird. Daher erfasst die Vernunft, da ihre Natur eine Umwandlung zu dem vernünftigen Erkennbaren zulässt, nur das Universelle, Unzerstörbare und Bleibende. Die unzerstörbare Wahrheit ist ihr Objekt; in der Ewigkeit erfasst sie dieselbe in seligem Frieden in Jesus Christus.

Das ist die triumphierende Kirche, in der unser Gott ist, der gepriesen sei in Ewigkeit, und wo in höchster Einigung Jesus Christus als wahrer Mensch mit Gott dem Sohne so innig vereinigt ist, dass die Menschheit nur in der Gottheit ihren Bestand hat. Sodann ist jede vernünftige Natur mit Christus dem Herrn, unbeschadet der Persönlichkeit des Einzelnen, wenn sie in diesem Leben durch Glaube, Hoffnung und Liebe ihm zugewandt war, so fest vereinigt, dass sowohl Engel als Menschen nur in ihm bestehen, durch ihn in Gott, so dass jeder der Seligen mit Bewahrung seiner Besonderheit in Christo Jesu – Christus, und durch diesen in Gott – Gott ist, Gott aber, ohne aufzuhören, das absolut Größte zu sein, in Christo Jesu Jesus selbst ist und in ihm Alles in Allem. Dies ist der einzige Weg zur höchstmöglichen Einheit der Kirche, oder der Einheit Vieler (unbeschadet der wahren Selbstständigkeit des Einzelnen) ohne Vermengung der Naturen und Grade. Je mehr Einheit aber in der Kirche, desto größer ist sie. Die größte Kirche ist daher die Gemeinschaft der ewig Triumphierenden, denn eine größere Einheit der Kirche ist nicht möglich. Welch eine große Einigung (unio) – die absolut größte göttliche Einigung, dann die Einigung der Gottheit und Menschheit in Jesus, endlich die Einigung der in der Gottheit Jesu triumphierenden Seligen! Die absolute Einigung ist nicht größer oder kleiner, als die Einigung der Naturen in Jesus oder die Einigung der Seligen in dem himmlischen Vaterlande; denn jene ist die größte Einigung, die Einigung aller Einigungen, das Wesen jeder Einigung, ohne ein Mehr oder Weniger, aus der Einheit und Gleichheit, wie im ersten Buche gezeigt ist, hervorgehen. Ebenso ist die Einigung der Naturen in Christus nicht größer oder kleiner, als die Einheit der triumphierenden Kirche; denn da sie die größte Einigung der Naturen ist, so lässt sie kein Mehr oder Weniger zu. Somit erhalten alle Gegensätze, die zur Einheit verbunden sind, von dieser größten Einigung der Naturen in Christus ihre Einheit, durch welche die Einheit der Kirche das ist, was sie ist. Die Einheit der Kirche ist die größte kirchliche Einheit. Als diese größte koinzidiert sie nach Oben mit der hypostatischen Einigung der Naturen in Christus, und da diese die größte ist, mit der absoluten Einigung – Gott. So ist die kirchliche Einheit durch Jesus in die göttliche Einigung, von der sie den Anfang hat, aufgenommen (resolvitur). Dies erhellt noch deutlicher, wenn wir uns an das oben öfters Wiederholte erinnern, dass nämlich die absolute Einigung – der heilige Geist ist. Die größte hypostatische Einigung koinzidiert mit der absoluten Einigung; daher ist notwendig die Einigung der Naturen in Christus durch die absolute, welche der heilige Gott ist, und in ihr. Die kirchliche Einheit koinzidiert, wie oben gezeigt, mit der hypostatischen, weshalb im Geiste Jesu die Einigung der triumphierenden Kirche, die durch den hl. Geist besteht, enthalten ist. Daher sagt die Wahrheit selbst bei Johannes: »Die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, damit sie Eines sind, wie wir Eines sind, ich in ihnen, du in mir, auf dass sie vollkommen Eines seien,« auf dass die Kirche in ewiger Ruhe sei, so vollkommen, dass sie nicht vollkommener sein könnte, in so unaussprechlicher Umgestaltung zum Lichte der Glorie, dass in Allem nur Gott hervortritt. Nach dieser Glorie trachten wir in größtem Eifer mit Siegesgewissheit (ad quam tanto affectu cum triumpho aspiramus) und bitten Gott den Vater inständig, er möge durch seinen Sohn, unsern Herrn, Jesus Christus, und in ihm durch den hl. Geist in seiner unendlichen Güte uns in diese Glorie aufnehmen, um dieselbe ewig zu genießen. Er sei gepriesen in Ewigkeit. Amen.

Empfange hier, verehrter Vater! was ich längst in verschiedenen Systemen (variis doctrinarum viis) zu erreichen suchte, allein nicht eher zu Stande brachte, als bis ich auf der Rückkehr von Griechenland (ich glaube durch die Gnade von Oben, vom Vater des Lichtes, von dem jede gute Gabe kömmt) darauf kam, das Unbegreifliche als unbegreiflich aufzufassen (ut incomprehensibilia incomprehensibiliter amplecterer), in der Wissenschaft des Nichtwissens, durch Hinausgehen über die menschlichen Begriffe von der unzerstörbaren Wahrheit (per transcensum veritatum incorruptibilium humaniter scibilium). Diese Aufgabe habe ich nun in Dem, der die Wahrheit ist, in den vorliegenden Büchern gelöst, die, auf gleichem Prinzipe ruhend, eine Verengung und Erweiterung zulassen. Das ganze Streben unsers Geistes muss allen Ernstes dahin gerichtet sein, sich zu jener Einfachheit, in der die Gegensätze koinzidieren, zu erheben. (Debet autem in his profundus omnis nostri ingenii conatus esse, ut ad illam se elevet simplicitatem, ubi contradictoria coincidunt). Dies ist das Ziel des ersten Buches. Das zweite leitet daraus einige Sätze über das Universum ab, die sich über den gewöhnlichen Standpunkt der Philosophen erheben und Vielen als etwas Seltenes erscheinen werden (rara multis). Und nun habe ich schließlich auch das dritte Buch über Jesus, der gepriesen sei, vollendet, immer auf gleichem Fundamente weiter bauend, und im Wachstum des Glaubens ist auch Jesus mir für Geist und Herz immer größer geworden (et factus est mihi Jesus Dominus continue major in intellectu et affectu per fidei crementum). Denn Niemand, der den Glauben an Christus hat, wird in Abrede stellen, dass nicht durch dieses System seine Sehnsucht immer höher gesteigert wird, so dass er nach vielem immer höher sich erhebenden Nachdenken zuletzt den süßen Jesus als den allein Liebenswürdigen erkennt und freudig Alles verlässt, um ihn als das wahre Leben und die ewige Freude zu umfassen. Wer so in die Erkenntnis Jesu eindringt, dem gelingt Alles (omnia cedunt); keine Schrift, ja die ganze Welt kann ihm Schwierigkeit bereiten, weil er in Jesus umgewandelt wird durch den Geist Christi, der in ihm wohnt und das Ziel des vernünftigen Verlangens ist. Bitte, frommer Vater! um diesen Geist inständig und beständig für mich armen Sünder, auf dass wir vereint ihn ewig zu besitzen gewürdigt werden!

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