Iura bona

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Erklärung
Iura bona

Kongregation für die Glaubenslehre
im Pontifikat von Papst
Johannes Paul II.
zur Euthanasie
5. Mai 1980
(Offizieller lateinischer Text: AAS LXXII [1980] 542-552)

(Quelle: Die deutsche Fassung auf der Vatikanseite; auch in: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, Nr. 20)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


EINLEITUNG

Die Rechte und Werte der menschlichen Person sind von großer Bedeutung bei den Fragen, die von den Menschen unserer Tage diskutiert werden. Das II. Vatikanische Konzil hat, was dieses Thema angeht, die überragende Würde der menschlichen Person, besonders ihr Recht auf Leben, feierlich bekräftigt. Deshalb hat das gleiche Konzil auch die Anschläge gegen das Leben, zu denen „jede Art Mord, Völkermord, Abtreibung, Euthanasie und auch der freiwillige Selbstmord“ gehören, angeprangert (Pastoralkonstitution Gaudium et Spes, Nr. 27).

Vor einiger Zeit hat die Kongregation für die Glaubenslehre allen Gläubigen die Lehre der katholischen Kirche zum Schwangerschaftsabbruch in Erinnerung gerufen.<ref> Erklärung über den Schwangerschaftsabbruch, 18. November 1974, AAS 66 (1974), S. 730-747.</ref> Nun hält es die gleiche Kongregation für angebracht, die Lehre der Kirche zur Euthanasie darzulegen.

Die letzten Päpste<ref> Pius XII. Ansprache an die Delegierten der Internationalen Vereinigung katholischer Frauen, 11. September 1947, AAS 39 (1947) S. 483. Ansprache an die Mitglieder des katholischen Hebammenverbandes Italiens, 29. Oktober 1951, AAS 43 (1951) S. 835-854. Ansprache an die Mitglieder des Internationalen Forschungsrates für Militärmedizin, 19. Oktober 1953, AAS 45 (1953) S. 744-754. Ansprache an die Teilnehmer des IX. Kongresses der italienischen Gesellschaft für Anästhesiologie, 24. Februar 1957, AAS 49 (1957) S. 146. Vgl. auch Ansprache zur Frage der „Wiederbelebung“, 24. November 1957, AAS 49 (1957) S. 1027-1033. Paul VI. Ansprache an die Mitglieder der Sonderkommission der Vereinten Nationen zur Frage der Rassentrennung, 22. Mai 1974, AAS 66 (1974) S. 346. Johannes Paul II. Ansprache an die Bischöfe der Vereinigten Staaten von Nordamerika, 5. Oktober 1979, AAS 71 (1979) S. 1225.</ref> haben bereits die Grundsätze dieser Lehre herausgestellt, welche ihr volles Gewicht behalten; doch haben die Fortschritte der Medizin bewirkt, dass in den letzten Jahren in der Frage der Euthanasie neue Aspekte sichtbar wurden. Diese machen es erforderlich, dass die betreffenden ethischen Normen noch mehr verdeutlicht werden.

In der heutigen Gesellschaft, in der sogar die grundlegenden Werte des menschlichen Lebens oft in Frage gestellt werden, wirken sich die Veränderungen im Bereich der Zivilisation auch auf die Bewertung von Tod und Schmerz aus. Es ist ferner zu beachten, dass die Fähigkeit der ärztlichen Kunst, zu heilen und das Leben unter bestimmten Bedingungen zu verlängern, zugenommen hat, wobei sich natürlich zuweilen einige moralische Fragen ergeben. Menschen, die sich in einer solchen Lage befinden, fragen sich besorgt nach dem Sinn eines extrem hohen Alters und des Todes. Es versteht sich, dass sie in der Folge auch die Frage stellen, ob sie das Recht haben, sich selber oder ihren Angehörigen einen „gnädigen Tod“ zu verschaffen, der die Leiden abkürzen könnte und der nach ihrer Ansicht der Würde des Menschen besser entspreche.

Mehrere Bischofskonferenzen haben der Kongregation für die Glaubenslehre hierzu einige Fragen vorgelegt. Die Kongregation hat zu den verschiedenen Aspekten der Euthanasie das Urteil von Fachleuten eingeholt und möchte nun mit dieser Erklärung auf die Anfragen der Bischöfe antworten, damit diese leichter die ihnen anvertrauten Gläubigen richtig unterweisen und den Regierungsstellen zu dieser schwerwiegenden Frage Gesichtspunkte zur Reflexion anbieten können.

Die in diesem Dokument vorgelegten Überlegungen richten sich vor allem an jene, die an Christus glauben und auf ihn ihre Hoffnung setzen; denn aus Christi Leben, Tod und Auferstehung haben das Leben und besonders der Tod der Christen eine neue Bedeutung gewonnen, wie der hl. Paulus sagt: „Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Ob wir leben oder ob wir sterben, wir gehören dem Herrn“ (Röm 14,8; vgl. Phil 1,20).

Was aber die Gläubigen anderer Religionen betrifft, werden die meisten von ihnen sicher darin mit uns übereinstimmen, dass der Glaube an Gott, den Schöpfer und Herrn des Lebens, und an seine Vorsehung – sofern sie diesen teilen – jeder menschlichen Person eine erhabene Würde verleiht und deren Achtung schützt.

Es ist zu hoffen, dass diese Erklärung bei allen Menschen guten Willens Zustimmung finden kann; denn auch wenn sie unterschiedliche philosophische Lehren und Ideologien vertreten, so haben sie doch ein waches Bewusstsein von den Rechten der menschlichen Person. Gerade diese Rechte sind ja auch im Verlauf der letzten Jahre in Erklärungen internationaler Gremien oft proklamiert worden.<ref> Zu berücksichtigen ist besonders die Empfehlung 779 (1976) über die Rechte der Kranken und Sterbenden, die vom Parlament des Europarates auf seiner XXVII. Ordentlichen Sitzung angenommen worden ist: Vgl. Sipeca, Nr. 1 (März 1977) S. 14-15.</ref> Da es sich hier um fundamentale Rechte handelt, die jeder menschlichen Person zukommen, darf man sich keineswegs auf Argumente aus dem politischen Pluralismus oder der Religionsfreiheit berufen, um die universale Geltung dieser Rechte zu leugnen.

I. WERT DES MENSCHLICHEN LEBENS

Das menschliche Leben ist die Grundlage aller Güter und zugleich die notwendige Quelle und Vorbedingung für alle menschliche Tätigkeit sowie auch für jegliches gesellschaftliche Zusammensein. Während die meisten Menschen das menschliche Leben als etwas Heiliges betrachten und zugeben, dass niemand darüber nach Willkür verfügen darf, so vermögen die an Christus Glaubenden in ihm noch etwas Höheres zu erkennen, nämlich das Geschenk der Liebe Gottes, das sie bewahren und fruchtbar machen müssen. Aus dieser letzteren Überlegung ergibt sich Folgendes:

1. Niemand kann das Leben eines unschuldigen Menschen angreifen, ohne damit der Liebe Gottes zu ihm zu widersprechen und so ein fundamentales unverlierbares und unveräußerliches Recht zu verletzen, ohne also ein äußerst schweres Verbrechen zu begehen.<ref> Ganz außer acht gelassen werden hier die Fragen der Todesstrafe und des Krieges. Diese erfordern weitere besondere Überlegungen, die das Thema dieser Erklärung überschreiten.</ref>

2. Jeder Mensch muss sein Leben nach dem Ratschluß Gottes führen. Es ist ihm als ein Gut anvertraut, das schon hier auf Erden Frucht bringen soll, dessen volle und endgültige Vollendung jedoch erst im ewigen Leben zu erwarten ist.

3. Der Freitod oder Selbstmord ist daher ebenso wie der Mord nicht zu rechtfertigen; denn ein solches Tun des Menschen bedeutet die Zurückweisung der Oberherrschaft Gottes und seiner liebenden Vorsehung. Selbstmord ist ferner oft die Verweigerung der Selbstliebe, die Verleugnung des Naturinstinktes zum Leben, eine Flucht vor den Pflichten der Gerechtigkeit und der Liebe, die den Nächsten, den verschiedenen Gemeinschaften oder auch der ganzen menschlichen Gesellschaft geschuldet werden – wenn auch zuweilen, wie alle wissen, seelische Verfassungen zugrunde liegen, welche die Schuldhaftigkeit mindern oder auch ganz aufheben können.

Vom Selbstmord muss jedoch jenes Lebensopfer deutlich unterschieden werden, das jemand aus einem übergeordneten Grund – wie Gottes Ehre, das Heil der Seelen oder der Dienst an den Brüdern – bringt, indem er sein Leben hingibt oder der äußersten Gefahr aussetzt (vgl. Joh 15,14).

II. EUTHANASIE

Um die Frage der Euthanasie richtig zu behandeln, muss zunächst die Bedeutung der verwendeten Begriffe genau erklärt werden.

Etymologisch bezeichnete Euthanasie in der Antike den sanften Tod, ohne übermäßige Schmerzen. Heute denkt man nicht mehr an diese ursprüngliche Bedeutung des Ausdrucks, sondern vielmehr an einen ärztlichen Eingriff, durch den die Schmerzen der Krankheit oder des Todeskampfes vermindert werden, wobei zuweilen die Gefahr besteht, das Leben vorzeitig zu beenden. Schließlich wird das Wort in einem noch engeren Sinn verstanden, und zwar: töten aus Barmherzigkeit, in der Absicht, extreme Schmerzen endgültig zu beenden oder um Kindern mit Geburtsfehlern, unheilbar Kranken oder Geisteskranken eine Verlängerung ihres harten Lebens zu ersparen, das vielleicht noch etliche Jahre dauern würde und den Familien und der Gesellschaft eine allzu schwere Last aufbürden könnte.

Es muss daher klar sein, in welchem Sinn der Ausdruck in diesem Dokument verwendet wird.

Unter Euthanasie wird hier eine Handlung oder Unterlassung verstanden, die ihrer Natur nach oder aus bewusster Absicht den Tod herbeiführt, um so jeden Schmerz zu beenden. Euthanasie wird also auf der Ebene der Intention wie auch der angewandten Methoden betrachtet.

Es muss erneut mit Nachdruck erklärt werden, dass nichts und niemand je das Recht verleihen kann, ein menschliches Lebewesen unschuldig zu töten, mag es sich um einen Fötus oder einen Embryo, ein Kind, einen Erwachsenen oder Greis, einen unheilbar Kranken oder Sterbenden handeln. Es ist auch niemandem erlaubt, diese todbringende Handlung für sich oder einen anderen zu erbitten, für den er Verantwortung trägt, ja man darf nicht einmal einer solchen Handlung zustimmen, weder explizit noch implizit. Es kann ferner keine Autorität sie rechtmäßig anordnen oder zulassen. Denn es geht dabei um die Verletzung eines göttlichen Gesetzes, um eine Beleidigung der Würde der menschlichen Person, um ein Verbrechen gegen das Leben, um einen Anschlag gegen das Menschengeschlecht.

Es kann vorkommen, dass wegen langanhaltender und fast unerträglicher Schmerzen, aus psychischen oder anderen Gründen jemand meint, er dürfe berechtigterweise den Tod für sich selbst erbitten oder ihn anderen zufügen. Obwohl in solchen Fällen die Schuld des Menschen vermindert sein oder gänzlich fehlen kann, so ändert doch der Irrtum im Urteil, dem das Gewissen vielleicht guten Glaubens unterliegt, nicht die Natur dieses todbringenden Aktes, der in sich selbst immer abzulehnen ist. Man darf auch die flehentlichen Bitten von Schwerkranken, die für sich zuweilen den Tod verlangen, nicht als wirklichen Willen zur Euthanasie verstehen; denn fast immer handelt es sich um angstvolles Rufen nach Hilfe und Liebe. Über die Bemühungen der Ärzte hinaus hat der Kranke Liebe nötig, warme, menschliche und übernatürliche Zuneigung, die alle Nahestehenden, Eltern und Kinder, Ärzte und Pflegepersonen ihm schenken können und sollen.

III. DIE BEDEUTUNG DES SCHMERZES FÜR DEN CHRISTEN UND DIE VERWENDUNG SCHMERZSTILLENDER MITTEL

Der Tod tritt nicht immer unter allerschwersten Umständen, nach kaum erträglichen Schmerzen ein. Wir dürfen nicht nur an extreme Fälle denken. Zahlreiche übereinstimmende Zeugnisse lassen vermuten, dass die Natur selber Vorsorge getroffen hat, um jene im Tod zu vollziehenden Trennungen zu erleichtern, die, würden sie dem Menschen bei voller Gesundheit zugemutet, ungewöhnlich schmerzlich wären. So kommt es, dass die lange Dauer einer Krankheit, fortgeschrittenes Alter, Einsamkeit und Verlassenheit jene psychologischen Voraussetzungen schaffen, die die Annahme des Todes erleichtern.

Dennoch ist zuzugeben, dass der Tod ein Ereignis ist, das natürlicherweise das Herz des Menschen mit Angst erfüllt, zumal wenn ihm oft schwere und langdauernde Schmerzen voraufgehen oder ihn begleiten.

Der körperliche Schmerz gehört gewiß unvermeidlich zur Verfassung des Menschen; vom biologischen Standpunkt aus ist er ein Warnzeichen, dessen Nutzen außer Zweifel steht. Da er aber auch das psychische Leben des Menschen berührt, übersteigt seine Belastung oft den biologischen Nutzen, ja sie kann derart zunehmen, dass die Beseitigung des Schmerzes um jeden Preis wünschenswert erscheint.

Nach christlicher Lehre erhält der Schmerz jedoch, zumal in der Sterbestunde, eine besondere Bedeutung im Heilsplan Gottes. Er gibt Anteil am Leiden Christi und verbindet mit dem erlösenden Opfer, das Christus im Gehorsam gegen den Willen des Vaters dargebracht hat. Es darf deshalb nicht verwundern, wenn einzelne Christen schmerzstillende Mittel nur mäßig anwenden wollen, um wenigstens einen Teil ihrer Schmerzen freiwillig auf sich zu nehmen und sich sobewusst mit den Schmerzen des gekreuzigten Christus vereinigen zu können (vgl. Mt 27,34). Doch widerspricht es der Klugheit, eine heroische Haltung als allgemeine Norm zu fordern. Menschliche und christliche Klugheit rät im Gegenteil bei den meisten Kranken, solche Medikamente anzuwenden, welche den Schmerz lindern oder beseitigen können, auch wenn sich dadurch als Nebenwirkungen Schläfrigkeit und vermindertes Bewusstsein einstellen. Bei denen aber, die sich selbst nicht mehr auszudrücken vermögen, darf man mit Recht voraussetzen, dass sie diese schmerzstillenden Mittel haben möchten und wünschen, sie nach dem Rat der Ärzte zu erhalten.

Die intensive Anwendung schmerzstillender Mittel ist aber nicht problemlos; denn man muss, um ihre Wirksamkeit zu gewährleisten, wegen des Phänomens der Gewöhnung im allgemeinen immer größere Dosen verabreichen. Es ist hilfreich, an eine Erklärung von Papst Pius XII. zu erinnern, die weiterhin voll gültig bleibt. Einer Gruppe von Ärzten, die ihm die Frage vorgelegt hatten: „Kann es nach der Lehre der Religion und den Normen der Moral dem Arzt und dem Kranken erlaubt sein, mit Hilfe narkotischer Medikamente Schmerz und Bewusstsein auszuschalten (...) (auch beim Herannahen des Todes und wenn vorauszusehen ist, dass die Anwendung dieser Mittel das Leben abkürzt)?“, antwortete der Papst: „Wenn andere Mittel fehlen und dadurch den gegebenen Umständen die Erfüllung der übrigen religiösen und moralischen Pflichten in keiner Weise verhindert wird, ist es erlaubt.“<ref> Pius XII., Ansprache vom 24. Februar 1957, AAS 49 (1957) S. 147.</ref> In diesem Fall ist es klar, dass der Tod keineswegs gewollt oder gesucht wird, auch wenn man aus einem vernünftigen Grund die Todesgefahr in Kauf nimmt; man beabsichtigt nur, die Schmerzen wirksam zu lindern, und verwendet dazu jene schmerzstillenden Mittel, die der ärztlichen Kunst zur Verfügung stehen.

Doch verdienen die schmerzstillenden Mittel, bei denen die Kranken das Bewusstsein verlieren, eine besondere Überlegung. Denn es liegt viel daran, dass die Menschen nicht nur ihren moralischen Verpflichtungen und den Aufgaben gegenüber ihren Verwandten nachkommen, sondern sich vor allem auch in vollem Bewusstsein auf die Begegnung mit Christus richtig vorbereiten können. Pius XII. ermahnt deshalb: „Es ist nicht recht, den Sterbenden ohne schwerwiegenden Grund des Bewusstseins zu berauben.“<ref> Ebd., 145, vgl. Ansprache vom 9. September 1958, AAS 50 (1958) S. 694.</ref>

IV. DAS RICHTIGE MASS IN DER VERWENDUNG THERAPEUTISCHER MITTEL

Es ist in unserer Zeit sehr wichtig, gerade in der Todesstunde die Würde der menschlichen Person und die christliche Bedeutung des Lebens zu wahren und sich vor einer gewissen „Technisierung“ zu hüten, die der Gefahr des Missbrauchs ausgesetzt ist. So spricht man heute ja auch vom „Recht auf den Tod“, versteht darunter aber nicht das Recht eines Menschen, sich durch eigene oder fremde Hand nach Gutdünken den Tod zu geben, sondern das Recht, in ruhiger Verfassung mit menschlicher und christlicher Würde sterben zu können. Unter diesem Gesichtspunkt kann die Anwendung therapeutischer Mittel zuweilen manche Frage aufwerfen.

In vielen Fällen kann die Situation derart verwickelt sein, dass sich Zweifel ergeben, wie hier die Grundsätze der Sittenlehre anzuwenden sind. Die betreffenden Entscheidungen stehen dem Gewissen des Kranken oder seiner rechtmäßigen Vertreter wie auch der Ärzte zu; dabei sind sowohl die Gebote der Moral wie auch die vielfältigen Aspekte des konkreten Falles vor Augen zu halten.

Jeder ist verpflichtet, für seine Gesundheit zu sorgen und sicherzustellen, dass ihm geholfen wird. Jene aber, denen die Sorge für die Kranken anvertraut ist, müssen ihren Dienst mit aller Sorgfalt verrichten und die Therapien anwenden, die nötig oder nützlich scheinen.

Muss man nun unter allen Umständen alle verfügbaren Mittel anwenden? Bis vor kurzem antworteten die Moraltheologen, die Anwendung „außerordentlicher“ Mittel könne man keinesfalls verpflichtend vorschreiben. Diese Antwort, die als Grundsatz weiter gilt, erscheint heute vielleicht weniger einsichtig, sei es wegen der Unbestimmtheit des Ausdrucks oder wegen der schnellen Fortschritte in der Heilkunst. Daher ziehen es manche vor, von „verhältnismäßigen“ und „unverhältnismäßigen“ Mitteln zu sprechen. Auf jeden Fall kann eine richtige Abwägung der Mittel nur gelingen, wenn die Art der Therapie, der Grad ihrer Schwierigkeiten und Gefahren, der benötigte Aufwand sowie die Möglichkeiten ihrer Anwendung mit den Resultaten verglichen werden, die man unter Berücksichtigung des Zustandes des Kranken sowie seiner körperlichen und seelischen Kräfte erwarten kann.

Damit diese allgemeinen Grundsätze leichter angewendet werden können, dürften die folgenden Klarstellungen hilfreich sein:

– Sind andere Heilmittel nicht verfügbar, darf man mit Zustimmung des Kranken Mittel anwenden, die der neueste medizinische Fortschritt zur Verfügung gestellt hat, auch wenn sie noch nicht genügend im Experiment erprobt und nicht ungefährlich sind. Der Kranke, der darauf eingeht, kann dadurch sogar ein Beispiel der Hochherzigkeit zum Wohl der Menschheit geben.

– Ebenso darf man die Anwendung dieser Mittel abbrechen, wenn das Ergebnis die auf sie gesetzte Hoffnung nicht rechtfertigt. Bei dieser Entscheidung sind aber der berechtigte Wunsch des Kranken und seiner Angehörigen sowie das Urteil kompetenter Fachärzte zu berücksichtigen. Diese können mehr als andere eine vernünftige Abwägung vornehmen, ob dem Einsatz an Instrumenten und Personal die erwarteten Erfolge entsprechen und ob die angewandte Therapie dem Kranken nicht Schmerzen oder Beschwerden bringt, die in keinem Verhältnis stehen zu den Vorteilen, die sie ihm verschaffen kann.

– Es ist immer erlaubt, sich mit den Mitteln zu begnügen, welche die Medizin allgemein zur Verfügung stellt. Niemand kann daher verpflichtet werden, eine Therapie anzuwenden, die zwar schon im Gebrauch, aber noch mit Risiken versehen oder zu aufwendig ist. Ein Verzicht darauf darf nicht mit Selbstmord gleichgesetzt werden: es handelt sich vielmehr um ein schlichtes Hinnehmen menschlicher Gegebenheiten; oder man möchte einen aufwendigen Einsatz medizinischer Technik vermeiden, dem kein entsprechender zu erhoffender Nutzen gegenübersteht; oder man wünscht, der Familie beziehungsweise der Gemeinschaft keine allzu große Belastung aufzuerlegen.

– Wenn der Tod näher kommt und durch keine Therapie mehr verhindert werden kann, darf man sich im Gewissen entschließen, auf weitere Heilversuche zu verzichten, die nur eine schwache oder schmerzvolle Verlängerung des Lebens bewirken könnten, ohne dass man jedoch die normalen Hilfen unterläßt, die man in solchen Fällen einem Kranken schuldet. Dann liegt kein Grund vor, dass der Arzt Bedenken haben müßte, als habe er einem Gefährdeten die Hilfe verweigert.

SCHLUSS

Die in dieser Erklärung enthaltenen Normen sind bestimmt vom aufrichtigen Bemühen, dem Menschen nach dem Plan des Schöpfers zu helfen. Wenn einerseits das Leben als Geschenk Gottes anzusehen ist, so ist andererseits der Tod unausweichlich. Darum müssen wir ihn im vollen Bewusstsein unserer Verantwortung und mit aller Würde annehmen können, ohne die Todesstunde in irgendeiner Weise zu beschleunigen. Der Tod beendet zwar den irdischen Lebenslauf, er eröffnet aber zugleich den Zugang zum unsterblichen Leben. Daher müssen sich alle Menschen schon im Licht menschlicher Werte auf dieses Ereignis innerlich richtig vorbereiten, ganz besonders aber die Christen im Licht ihres Glaubens.

Was diejenigen betrifft, die im öffentlichen Gesundheitswesen arbeiten, so werden sie nichts unterlassen, um ihr ganzes fachliches Können in den Dienst der Kranken und Sterbenden zu stellen. Sie sollen aber bedenken, dass diese noch einen anderen Trost viel notwendiger brauchen, nämlich uneingeschränkte Güte und liebende Anteilnahme. Ein solcher Dienst, den Menschen geschenkt, wird zugleich Christus dem Herrn erwiesen, der gesagt hat: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40).

Diese Erklärung, welche in der ordentlichen Versammlung dieser Kongregation verabschiedet wurde, hat Papst Johannes Paul II. in der dem unterzeichneten Kardinalpräfekten gewährten Audienz gebilligt und ihre Veröffentlichung angeordnet.

Rom, am Sitz der Glaubenskongregation, den 5. Mai 1980.

Franjo Kardinal Seper
Präfekt
Jerome Hamer, O.P.v Titularerzbischof

Sekretär

Anmerkungen

<references />

Weblinks