Gewissen: Unterschied zwischen den Versionen

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(Def., Verantwortlichkeit)
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Das '''Gewissen''' ist das unmittelbare praktische [[Urteil]] der [[Vernunft]], das in einer konkreten Situation erkennt, was gut oder böse ist, was man tun oder lassen soll. Es ist als solches die letzte subjektive Richtschnur für das Handeln des [[Mensch]]en. Wenn es nicht verbildet ist, entspricht es der objektiven sittlichen Ordnung.<ref>vgl. Bernhard Brinkmann: Katholisches Hand[[lexikon]], [[Butzon & Bercker Verlag]] Kevelaer 1960, S. 95, Gewissen (2. Auflage; [[Imprimatur]] N. 4-18/60 Monasterii, die 2. Februarii 1960, Böggering Vicarius Eppi Generalis).</ref>
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Das '''Gewissen'''<ref>'''1.''' Dem Wortlaut nach besagt «Gewissen» ein Wissen, genauer ein Mit- oder Zugleich wissen, d. h. ein gesamthaftes oder zusammenfassendes sittliches Urteil über das Handeln. Darauf deuten auch die griechische und lateinische Bezeichnung (Syneidesis, Conscientia) hin.<br>
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'''2.''' Der Sache nach ist das Gewissen das moralische Bewusstsein als befehlendes oder richterliches Urteil der Vernunft über die sittliche Beschaffenheit des menschlichen Tuns und Lassens.<br>
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Es kann in doppelter Bedeutung genommen werden: <br>
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a) als natürliche Anlage oder Fertigkeit der praktischen Vernunft, die obersten sittlichen Grundsätze leicht zu erkennen. Das ist das Gewissen im uneigentlichen Sinne; es wird auch Urgewissen genannt;<br>
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b) als aktuelles sittliches Werturteil der praktischen Vernunft über die vom Handelnden augenblicklich zu vollziehenden Handlungen. Das ist das eigentliche Gewissen.<br>
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entnommen aus: Bernhard Kälin OSB: Lehrbuch der [[Philosophie]], Einführung in die [[Ethik]], umgearbeitet von Dr. P. Raphael Fäh OSB, Selbstverlag Benediktinerkollegium Sarnen 1954, S. 88, Nr. 130, Gewissen ([[Imprimatur]] Curiae, die 8, Juni 1954 † Christianus Caminada. Episcopus).</ref> ist die subjektive [[Sittennorm]], d.h. jenes [[Urteil]] der praktischen [[Vernunft]], das die objektive Sittennorm in der konkreten Einzelhandlung zur Anwendung bringt ([[Veritatis splendor|VS]], [[Veritatis splendor (Wortlaut)#Das Heiligtum des Menschen|Nr. 55]]). Es ist ein Akt der [[Einsicht]] der [[Person]], der es obliegt, die allgemeine Erkenntnis des Guten auf eine bestimmte Situation anzuwenden und so ein Urteil über das richtige zu wählende Verhalten zu fällen ([[Veritatis splendor|VS]], [[Veritatis splendor (Wortlaut)#"Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch befreien" (Joh 8, 32)|32]]). Wenn das Gewissen nicht verbildet ist, entspricht es der objektiven sittlichen Ordnung,<ref>Bernhard Brinkmann: Katholisches Hand[[lexikon]], [[Butzon & Bercker Verlag]] Kevelaer 1960, S. 95, Gewissen (2. Auflage; [[Imprimatur]] N. 4-18/60 Monasterii, die 2. Februarii 1960, Böggering Vicarius Eppi Generalis).</ref> d.h. „Im Falle des rechten Gewissens handelt es sich um die vom Menschen angenommene objektive [[Wahrheit]], im Falle des irrenden Gewissens handelt es sich um das, was der [[Mensch]] ohne [[Schuld]] subjektiv für wahr hält ([[Veritatis splendor|VS]], [[Veritatis splendor (Wortlaut)#Nach dem Wahren und Guten suchen|Nr. 62]]).
  
Wenn der Mensch auf das Gewissen hört, kann der kluge Mensch die Stimme Gottes, der zu ihm spricht, vernehmen. Denn der Mensch hat ein Gesetz, das von [[Gott]] seinem Herzen eingeschrieben ist, dem zu gehorchen seine Würde ist. Das Gewissen ist der verborgenste Kern und das Heiligtum des Menschen, in dem er allein ist mit Gott, dessen Stimme in seinem Innersten widerhallt“ ([[GS]] 16). Das Gewissen ist „ein Gesetz des Geistes“ und ist darüber hinaus „eine unmittelbare Einsprechung“, die „auch den Begriff der Verantwortlichkeit, der Pflicht, einer Drohung und einer Verheißung“ in sich schließt. Es ist ein Bote dessen, der sowohl in der Natur als auch in der Gnade hinter einem Schleier zu uns spricht und uns durch seine Stellvertreter lehrt und regiert ([[KKK]] 1778).  
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Die Stimme des Gewissens spricht primär, indem sie uns warnt, in einer konkreten Situation das sittlich Schlechte zu tun, von dem wir bereits prinzipiell wissen, dass es sittlich schlecht und unerlaubt ist. Es bezieht sich mehr auf die Vermeidung eines sittlichen Übels als auf das rein sittlich Positive, das zu tun wir nicht verpflichtet sind.<ref> [[Dietrich von Hildebrand]]: Die Enzyklika „[[Humanae vitae]], Ein Zeichen des [[Widerspruch]]es 1968, S. 37 ([http://www.kathtube.com/player.php?id=8787 zum Herunterladen bei Kathtube]).</ref>
  
==Verantwortlichkeit==
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Wenn der Mensch auf das Gewissen hört, kann der kluge Mensch die Stimme Gottes, der zu ihm spricht, vernehmen. Denn der Mensch hat ein [[Sittengesetz|Gesetz]], das von [[Gott]] seinem Herzen eingeschrieben ist, dem zu gehorchen seine  Würde ist und gemäß dem er [[Einzelgericht|gerichtet]] werden wird. Das Gewissen ist die verborgenste Mitte und das Heiligtum im Menschen, wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Innersten zu hören ist ([[GS]], [[Gaudium et spes (Wortlaut)#16. Die Würde des sittlichen Gewissens|Nr. 16]]). Das Gewissen ist „ein Gesetz des Geistes“ und ist darüber hinaus „eine unmittelbare Einsprechung“, die „auch den Begriff der Verantwortlichkeit, der Pflicht, einer Drohung und einer Verheißung“ in sich schließt. Es ist ein Bote dessen, der sowohl in der [[Natur]] als auch in der [[übernatürlich]]en [[Gnade]] hinter einem Schleier zu uns spricht und uns durch seine Stellvertreter lehrt und regiert.<ref>[[KKK]] 1778: von [[John Henry Newman]].</ref>
  
Maßgeblich für die sittliche Verantwortlichkeit bezüglich einer Handlung ist das Urteil des Gewissens im Augenblick der Tat, nicht eine spätere Einsicht. Einem unüberwindlich irrtümlichen Gewissen darf der Mensch folgen, wenn es ihm etwas als sittlich erlaubt hinstellt, und muss ihm folgen, wenn es ihm etwas als geboten oder verboten erklärt. Solange einer ernstlich zweifelt, ob etwas sittlich erlaubt ist oder nicht, darf er es nicht tun, es sei denn, er habe ein ängstliches oder skrupulöses Gewissen, das aus nichtigen Gründen etwas für unerlaubt hält. Ein solches Gewissen ist das Gegenteil von einem laxen Gewissen, das sich ohne hinreichende Gründe einredet, etwas sei, jedenfalls unter den gegebenen Umständen, erlaubt. Wenn ein wirklicher Zweifel bezüglich einer sittlichen Verpflichtung besteht, etwas zu tun oder zu lassen, brauchen die Gründe gegen die Verpflichtung nicht sicher zu sein, um sich mit Sicherheit sagen zu können, dass die Verpflichung jedenfalls in diesem Falle nicht besteht, aber sie müssen wenigstens wirklich wahrscheinlich sein (Probabilismus).<ref>Brinkmann: Katholisches Hand[[lexikon]], S. 95.</ref>
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== Verantwortlichkeit und Einteilungen<ref>'''Einteilungen:’’’<br>
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'''1.''' Bezüglich der Handlung unterscheidet man das vorausgehende (conscientia antecedens) und das nachfolgende Gewissen (conscientia consequens).<br>
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Entscheidend für die Sittlichkeit der Handlung ist das vorausgehende Gewissen; denn dieses ist die unmittelbare Norm des Handelns. Es kann gebietend, verbietend oder erlaubend sein. <br>
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Das nachfolgende Gewissen ist entweder lobend, tadelnd oder entschuldigend. Das tadelnde Gewissen offenbart sich besonders in den Gewissensbissen oder Gewissensqualen.<br>
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'''2.''' Hinsichtlich der Übereinstimmung mit der objektiven Sittennorm (Richtigkeit) unterscheidet man das wahre (richtige) Gewissen und das irrige (falsche) Gewissen. Letzteres kann verschuldet oder unverschuldet falsch sein. <br>
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'''3.''' Hinsichtlich der Sicherheit des Urteils im Handelnden unterscheidet man ein  sicheres, ein wahrscheinliches und ein zweifelndes Gewissen. <br>
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Beim sicheren Gewissen bestehen keinerlei Bedenken oder Befürchtungen, das gefällte Gewissensurteil könnte falsch sein.<br>
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Doch beachte: Subjektive Sicherheit und sachliche Richtigkeit sind nicht dasselbe; denn auch das unüberwindlich irrige Gewissen kann als subjektiv sicheres Gewissensurteil auftreten. <br>
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Beim wahrscheinlichen Gewissen sind die Gründe vorwiegend zugunsten des Gewissensurteils; aber es bestehen doch Befürchtungen, es könnte vielleicht auch falsch sein.<br>
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Beim zweifelnden Gewissen bleibt das Urteil sozusagen unentschieden, ob eine Handlung gut oder schlecht, erlaubt oder unerlaubt sei. Beruht diese Unentschiedenheit darauf, weil keine oder keine beachtlichen Gründe weder dafür noch dagegen bestehen, so spricht man von negativem Zweifel. Beruht die Unentschiedenheit jedoch darauf, weil für die Erlaubtheit und Nichterlaubtheit der Handlung ungefähr gleich wichtige Gründe sprechen, so nennt man das einen positiven Zweifel. <br>
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'''4.''' Ferner unterscheidet man ein wohl ausgebildetes und ein verbildetes Gewissen. Das verbildete Gewissen ist entweder zu weit (lax, abgestumpft) oder zu eng, ängstlich (perplex, verwirrt, ratlos). <br>
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a) Das wohlausgebildete Gewissen ist wachsam, da es nicht bloß den wichtigen Pflichten, sondern auch den gewöhnlichen Entscheidungen die gebührende Beachtung schenkt. <br>
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Es wird zartes Gewissen genannt, wenn es feinfühlig auch kleine und kleinste Pflichten, selbst bloße Ratschläge zum Bessern wahrnimmt und willig erfüllt, und auch in heiklen Fällen die richtige sittliche Norm zu finden und anzuwenden weiß.<br>
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b) Das verbildete Gewissen ist zu weit (lax, abgestumpft), wenn es größere Fehler für gering, kleine Fehler überhaupt nicht mehr achtet. Es beruht auf einem vernachlässigten Pflichtbewusstsein und ist darum in der Regel ein (wenigstens teilweise) bewußt irriges Gewissen.<br>
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Das verbildete Gewissen ist zu eng, ängstlich, wenn es ohne sachlichen Grund sittliche Übertretung ([[Sünde]], [[Schuld]]) fürchtet, wo keine vorhanden ist; es sieht kleine Fehler und Unvollkommenheiten für schwer schuldbar an und ist häufig grundlosen Zweifeln und Unsicherheiten ausgesetzt.<br>
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Das ängstliche Gewissen wird in Konfliktsfällen zum perplexen (verwirrten, ratlosen) Gewissen, so dass es in jedem Fall (beim Handeln wie beim Nichthandeln, beim so oder so Handeln) eine Übertretung erblickt.<br>
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entnommen aus: Bernhard Kälin OSB: Lehrbuch der [[Philosophie]], Einführung in die [[Ethik]], umgearbeitet von Dr. P. Raphael Fäh OSB, Selbstverlag Benediktinerkollegium Sarnen 1954, S. 90+91, Nr. 133, Gewissen, Einteilungen ([[Imprimatur]] Curiae, die 8, Juni 1954 † Christianus Caminada. Episcopus).</ref>==
  
==Gewissensbisse==
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Bei allem, was der [[Mensch]] sagt und tut, ist er verpflichtet, sich genau an das zu halten, wovon er weiss, dass es recht und richtig ist.<ref>vgl. [[KKK]] 1778; Kälin: Lehrbuch der [[Philosophie]], Nr. 86.</ref> Maßgeblich für die sittliche Verantwortlichkeit bezüglich einer Handlung ist das Urteil des Gewissens im Augenblick der Tat, nicht eine spätere [[Einsicht]]. Einem unüberwindlich irrtümlichen Gewissen darf der Mensch folgen, wenn es ihm etwas als sittlich erlaubt hinstellt, und muss ihm folgen, wenn es ihm etwas als geboten oder verboten erklärt. Solange einer ernstlich zweifelt, ob etwas sittlich erlaubt ist oder nicht, darf er es nicht tun, es sei denn, er habe ein ängstliches oder skrupulöses Gewissen, das aus nichtigen Gründen etwas für unerlaubt hält. Ein solches Gewissen ist das Gegenteil von einem laxen Gewissen, das sich ohne hinreichende Gründe einredet, etwas sei, jedenfalls unter den gegebenen Umständen, erlaubt. Wenn ein wirklicher Zweifel bezüglich einer sittlichen Verpflichtung besteht, etwas zu tun oder zu lassen, brauchen die Gründe gegen die Verpflichtung nicht sicher zu sein, um sich mit Sicherheit sagen zu können, dass die Verpflichung jedenfalls in diesem Falle nicht besteht, aber sie müssen wenigstens wirklich wahrscheinlich sein (Probabilismus).<ref>Brinkmann: Katholisches Hand[[lexikon]], S. 95, Gewissen.</ref>
Der Schuldspruch des schlechten Gewissens bleibt ein Unterpfand der [[Hoffnung]] und des Erbarmens. Indem er die begangene [[Verfehlung]] bezeugt, mahnt er, um Vergebung zu bitten, das Gute doch noch auszuführen und mit Hilfe der Gnade Gottes die Tugend unablässig zu pflegen.
 
  
 
== Das Gesetz und das Gewissen ==
 
== Das Gesetz und das Gewissen ==
Durch das Gewissensurteil vernimmt und erkennt der Mensch die Anordnungen des natürlichen [[Sittengesetz]]es. Dieses drückt die ersten, wesentlichen [[Gebot]]e aus, die das sittliche Leben regeln. Es ist das vornehmste von allen, das in die Herzen der einzelnen Menschen durch den Schöpfer geschrieben und eingemeißelt ist, weil es selbst die menschliche Vernunft ist, die recht zu handeln befiehlt und zu sündigen verbietet. Diese Vorschrift der menschlichen Vernunft kann aber nur dann die Kraft eines Gesetzes haben, wenn sie die Stimme und Auslegerin einer höheren Vernunft ist, der unser Geist und unsere Freiheit unterworfen sein müssen.
 
  
== Zwang und Gewissen ==
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Das Urteil des Gewissens begründet nicht das Gesetz, aber es bestätigt die Autorität des Naturgesetzes und der praktischen Beziehung in Beziehung zum höchsten Gut, dessen Anziehungskraft die menschliche Person erfährt und dessen Gebote sie annimmt: "Das Gewissen ist keine autonome und ausschließliche Instanz, um zu entscheiden, was gut und was böse ist; ihm ist vielmehr ein Prinzip des [[Gehorsam]]s gegenüber der objektiven Norm tief eingeprägt, welche die Übereinstimmung seiner Entscheidungen mit den Geboten und Verboten begründet und bedingt, die dem menschlichen Verhalten zugrunde liegen ([[Veritatis splendor|VS]], [[Veritatis splendor (Wortlaut)#Das Gewissensurteil|Nr. 60]]).
Der Mensch darf nicht gezwungen werden, gegen sein Gewissen zu handeln, und man darf ihn - innerhalb der Grenzen des Gemeinwohls - auch nicht daran hindern, in Übereinstimmung mit seinem Gewissen zu handeln, vor allem im Bereich der [[Religion]] ([[Religionsfreiheit]]).
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Durch das Gewissensurteil vernimmt und erkennt der Mensch die Anordnungen des natürlichen [[Sittengesetz]]es. Dieses drückt die ersten, wesentlichen [[Gebot]]e aus, die das sittliche Leben regeln. Es ist das vornehmste von allen, das in die Herzen der einzelnen Menschen durch den [[Schöpfer]] geschrieben und eingemeißelt ist, weil es selbst die menschliche Vernunft ist, die recht zu handeln befiehlt und zu sündigen verbietet. Diese Vorschrift der menschlichen Vernunft kann aber nur dann die Kraft eines Gesetzes haben, wenn sie die Stimme und Auslegerin einer höheren Vernunft ist, der unser Geist und unsere Freiheit unterworfen sein müssen ([[KKK]] 1954f). „Die Frage, ob etwas an sich gut oder böse ist, kann nie vom Gewissen beantwortet werden; sie ist für das Sprechen des Gewissens immer schon vorausgesetzt.“<ref> [[Dietrich von Hildebrand]]: Die Enzyklika „[[Humanae vitae]]“, S. 36. </ref>
  
 
== Die Gewissensbildung ==
 
== Die Gewissensbildung ==
Das richtige und wahrhaftige Gewissen muss geformt und das sittliche Urteil erhellt werden. Es wird durch die Erziehung und durch die Aneignung des Wortes Gottes und der Lehre der Kirche gebildet. Für uns Menschen, die schlechten Einflüssen unterworfen und stets versucht sind, dem eigenen Urteil den Vorzug zu geben und die Lehren der kirchlichen Autorität zurückzuweisen, ist die Gewissenserziehung unerlässlich. Dazu gehört die Wahrnehmung der Moralprinzipien, ihre Anwendung durch eine Beurteilung der Gründe und der Güter unter den gegebenen Umständen, und schließlich das Urteil über die auszuführenden oder bereits durchgeführten konkreten Handlungen. Das Gewissen wird durch die Gaben des Heiligen Geistes unterstützt und durch die Ratschläge weiser Menschen orientiert. Darüber hinaus sind das Gebet und die Gewissenerforschung für die sittliche Bildung von großem Nutzen.
 
  
Die Erziehung des Gewissens ist eine lebenslange Aufgabe. Schon in den ersten Jahren leitet sie das Kind dazu an, das durch das Gewissen wahrgenommene innere Gesetz zu erkennen und zu erfüllen. Eine umsichtige Erziehung regt zu tugendhaftem Verhalten an. Sie bewahrt oder befreit vor Furcht, Selbstsucht und Stolz, falschen Schuldgefühlen und Regungen der Selbstgefälligkeit, die durch menschliche Schwäche und Fehlerhaftigkeit entstehen können. Gewissenserziehung gewährleistet die Freiheit und führt zum Frieden des Herzens.
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Das richtige und wahrhaftige Gewissen muss geformt und das sittliche Urteil erhellt werden. Ein gut gebildetes Gewissen urteilt richtig und wahrhaftig. Es folgt bei seinen Urteilen der Vernunft und richtet sich nach dem wahren Gut, das durch die Weisheit des [[Schöpfer]]s gewollt ist. Es wird durch die Erziehung und durch die Aneignung des [[Wort Gottes|Wortes Gottes]] und der Lehre der [[Kirche]] gebildet.<ref>Es gibt verschiedene Ausdrucksformen des [[Gesetz]]es. Das [[Ewiges Gesetz|ewige Gesetz]] ist der [[Gott|göttliche]] Ursprung aller Gesetze. Daraus fließt das [[Erschaffung|erschaffene]] natürliche [[Sittengesetz]], dann das [[Offenbarung|geoffenbarte]] Gesetz, das aus dem Gesetz des [[Altes Testament|Alten Bundes]] und dem Gesetz des [[Neues Testament|Neuen Bundes]] besteht; schließlich die [[staat]]lichen und [[Kirche|kirchlichen]] Gesetze (vgl. [[KKK]] 1950-1986).</ref> Das zweite Vatikanische Konzil sagt: "Bei ihrer Gewissensbildung müssen jedoch die Christgläubigen die heilige und sichere Lehre der Kirche sorgfältig vor Augen haben. Denn nach dem Willen Christi ist die katholische Kirche die Lehrerin der [[Wahrheit]]; ihre Aufgabe ist es, die Wahrheit, die [[Christus]] ist, zu verkündigen und authentisch zu lehren, zugleich auch die Prinzipien der sittlichen Ordnung, die aus dem Wesen des Menschen selbst hervorgehen, autoritativ zu erklären und zu bestätigen" ([[Veritatis splendor|VS]], [[Veritatis splendor (Wortlaut)#Nach dem Wahren und Guten suchen|Nr. 64]]).
  
Es gibt drei allgemeine Regeln, um sich ein Gewissensurteil zu bilden:  
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Für uns Menschen, die schlechten Einflüssen unterworfen und stets versucht sind, dem eigenen Urteil den Vorzug zu geben und die Lehren der kirchlichen Autorität zurückzuweisen, ist die Gewissenserziehung unerlässlich (vgl. [[KKK]] 1783, [[KKKK]] 374). Dazu gehört die Wahrnehmung der Moralprinzipien, ihre Anwendung durch eine Beurteilung der Gründe und der Güter unter den gegebenen Umständen, und schließlich das Urteil über die auszuführenden oder bereits durchgeführten konkreten Handlungen. Das Gewissen wird durch die [[Gaben des Heiligen Geistes]] unterstützt und durch die Ratschläge weiser Menschen orientiert. Darüber hinaus sind das Gebet und die Gewissenerforschung für die sittliche Bildung von großem Nutzen (vgl. [[KKK]] 1780; [[KKKK]] 374).
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Die [[Erziehung]] des Gewissens ist eine lebenslange Aufgabe. Schon in den ersten Jahren leitet sie das [[Kind]] dazu an, das durch das Gewissen wahrgenommene innere Gesetz zu erkennen und zu erfüllen. Eine umsichtige Erziehung regt zu tugendhaftem Verhalten an. Sie bewahrt oder befreit vor Furcht, Selbstsucht und Stolz, falschen Schuldgefühlen und Regungen der Selbstgefälligkeit, die durch menschliche Schwäche und Fehlerhaftigkeit entstehen können. Gewissenserziehung gewährleistet die Freiheit und führt zum Frieden des Herzens ([[KKK]] 1784).
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Es gibt drei allgemeine Regeln ([[KKK]] 1789, [[KKK]] 375), um sich ein Gewissensurteil zu bilden:  
 
#Es ist nie erlaubt, Böses zu tun, damit daraus etwas Gutes hervorgehe.  
 
#Es ist nie erlaubt, Böses zu tun, damit daraus etwas Gutes hervorgehe.  
#Die sogenannte goldene Regel: „Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen“ (Mt 7, 12).  
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#Die sogenannte [[goldene Regel]]: „Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen“ (Mt 7, 12).  
 
#Die christliche Liebe achtet immer den Nächsten und sein Gewissen; dies bedeutet freilich nicht, dass etwas als gut angenommen wird, was objektiv schlecht ist.
 
#Die christliche Liebe achtet immer den Nächsten und sein Gewissen; dies bedeutet freilich nicht, dass etwas als gut angenommen wird, was objektiv schlecht ist.
  
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Sinnvoll ist hierbei die Benutzung des [[Gewissensspiegel]]s und die Kenntnis der [[Formeln der katholischen Lehre]].
 
Sinnvoll ist hierbei die Benutzung des [[Gewissensspiegel]]s und die Kenntnis der [[Formeln der katholischen Lehre]].
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==Gewissenserforschung==
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Um die Stimme des Gewissens vernehmen und ihr folgen zu können, muss man in sich gehen. Dieses Streben nach Innerlichkeit ist umso nötiger, als das Leben uns oft in Gefahr bringt, jegliche Überlegung, Selbstprüfung und Selbstbesinnnung zu unterlassen ([[KKK]] 1779).
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Die Gewissenserforschung ist eine persönliche Rechenschaft des Menschen über sein sittliches Verhalten, um die [[Sünde|sittlichen Verfehlungen]] aufrichtig zu be[[reue]]n. Sie ist eine notwendige Voraussetzung für die [[Beichte]] und sollte wenigstens am Abend, regelmäßig gemacht werden.<ref>Brinkmann: Katholisches Hand[[lexikon]], S. 96, Gewissenserforschung.</ref>
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Das Gewissen spricht immer nur dann, wenn es sich um unser eigenes Tun und Lassen handelt; es sagt uns nicht, ob das Verhalten eines anderen sittlich richtig ist.<ref> [[Dietrich von Hildebrand]]: Die Enzyklika „[[Humanae vitae]]“, S. 36.</ref>
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==Gewissensbisse==
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Das nachfolgende Gewissen ist entweder lobend, tadelnd oder entschuldigend. Das tadelnde Gewissen offenbart sich besonders in den Gewissensbissen oder Gewissensqualen.<ref> Kälin OSB: Lehrbuch der [[Philosophie]], S. 90, Nr. 133.</ref> Der Schuldspruch des schlechten Gewissens bleibt ein Unterpfand der [[Hoffnung]] und des Erbarmens. Indem er die begangene [[Verfehlung]] bezeugt, mahnt er, um [[Vergebung]] zu bitten, das Gute doch noch auszuführen und mit Hilfe der Gnade Gottes die [[Tugend]] unablässig zu pflegen ([[KKK]] 1781)
  
 
== Das irrende Gewissen ==
 
== Das irrende Gewissen ==
Dem sicheren Urteil seines Gewissens muss der Mensch stets Folge leisten. Würde er bewusst dagegen handeln, so verurteilte er sich selbst. Es kann jedoch vorkommen, dass das Gewissen über Handlungen, die jemand plant oder bereits ausgeführt hat, aus Unwissenheit Fehlurteile fällt.  
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Das Gewissensurteil ist kein unfehlbares Urteil: es kann irren.
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Dem sicheren Urteil seines Gewissens muss der Mensch stets Folge leisten. Würde er bewusst dagegen handeln, so verurteilte er sich selbst. Es kann jedoch vorkommen, dass das Gewissen über Handlungen, die jemand plant oder bereits ausgeführt hat, aus Unwissenheit Fehlurteile fällt ([[KKK]] 1790).
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An dieser Unkenntnis ist der betreffende Mensch oft selbst schuld, z. B. dann, wenn er „sich zuwenig darum müht, nach dem Wahren und Guten zu suchen, und das Gewissen aufgrund der Gewöhnung an die Sünde allmählich fast blind wird“ ([[GS]] 16). In diesem Fall ist er für das Böse, das er tut, verantwortlich ([[KKK]] 1791).
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Unkenntnis über Christus und sein Evangelium, schlechte Beispiele anderer Leute, Verstrickung in Leidenschaften, Anspruch auf eine falsch verstandene Gewissensautonomie, Zurückweisung der Autorität der Kirche und ihrer Lehre, Mangel an Umdenkungswillen und christlicher Liebe können der Grund für Fehlurteile im sittlichen Verhalten sein ([[KKK]] 1792).
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Wenn hingegen die Unkenntnis unüberwindlich<ref>Nichtsdestoweniger kann der Irrtum des Gewissens das Ergebnis einer unüberwindbaren Unwissenheit sein, das heißt einer Unkenntnis, derer sich der Mensch nicht bewußt ist und aus der er allein nicht heraus gelangen kann. In dem Fall, wo diese unüberwindliche Unkenntnis nicht schuldhaft ist, verliert das Gewissen - so erinnert uns das II. Vatikanische Konzil - nicht seine Würde, weil es, auch wenn es uns tatsächlich in einer von der objektiven sittlichen Ordnung abweichenden Weise anleitet, dennoch nicht aufhört im Namen jener Wahrheit vom Guten zu reden, zu deren aufrichtiger Suche der Mensch aufgerufen ist. ([[Veritatis splendor]], [[Veritatis splendor (Wortlaut)#Nach dem Wahren und Guten suchen|Nr. 62]])</ref> oder der Betreffende für das Fehlurteil nicht verantwortlich ist, kann ihm seine böse Tat nicht zur Last gelegt werden. Trotzdem bleibt sie ein Mangel, eine Unordnung. Aus diesem Grund müssen wir uns bemühen, Irrtümer des Gewissens zu beheben ([[KKK]] 1793).
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== Gewissensfreiheit, Zwang und moralische Beeinflussung==
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Die Würde der menschlichen [[Person]] verlangt die Gewissensfreiheit (vgl. [[KKKK]] 373). Gewissensfreiheit bedeutet jedoch nicht [[Freiheit]] von sittlichen Bindungen, sondern die Freiheit, der Stimme des eigenen Gewissens zu folgen, jedenfalls soweit es mit der objektiven sittlichen Norm übereinstimmt; und diese Freiheit hat auch der [[Staat]] zu achten. Darüber hinaus hat der Staat auch dann die persönliche Gewissensüberzeugung zu achten, wenn sie unüberwindlich irrtümlich sein sollte, solange das [[Gemeinwohl]] dadurch nicht betroffen wird. Die Gewissensfreiheit  schließt zwar einen physischen Zwang aus, aber nicht eine moralische Beeinflussung im Sinne des [[Sittengesetz]]es durch [[Erziehung]], Ermahnungen und Strafen, die durch das Gemeinwohl gefordert werden. Dagegen sind Zwangsbekehrungen unerlaubt,<ref>Brinkmann: Katholisches Hand[[lexikon]], S. 96, Gewissensfreiheit.</ref> vor allem im Bereich der [[Religion]] ([[Religionsfreiheit]]).<ref>[[Dignitatis humanae]], [[Dignitatis humanae (Wortlaut)#I. ALLGEMEINE GRUNDLEGUNG DER RELIGIONSFREIHEIT|Nr. 2]].</ref>
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==Verfehlte Theologenmeinungen - das Gewissen soll entscheiden ([[Veritatis splendor|VS]], [[Veritatis splendor (Wortlaut)#Das Heiligtum des Menschen|Nr. 55+56]])==
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„Nach der Meinung verschiedener Theologen habe man, zumindest in bestimmten Perioden der Vergangenheit, die Funktion des Gewissens lediglich auf die Anwendung allgemeiner sittlicher Normen auf Einzelfälle des persönlichen Lebens beschränkt gesehen. Solche Normen - heißt es - sind aber nicht in der Lage, die unwiederholbare Besonderheit aller einzelnen konkreten Akte der Personen in ihrer Gesamtheit zu umfassen und zu berücksichtigen; sie können in gewisser Weise bei einer richtigen Bewertung der Situation behilflich sein, sie können aber nicht an die Stelle der Personen treten und ihre Aufgabe übernehmen, eine persönliche Entscheidung über ihr Verhalten in bestimmten Einzelfällen zu treffen. Ja, die vorgenannte Kritik an der traditionellen Interpretation der menschlichen Natur und ihrer Bedeutung für das sittliche Leben verleitet einige Autoren zu der Behauptung, diese Normen seien nicht so sehr ein bindendes objektives Kriterium für die Urteile des Gewissens, als vielmehr eine allgemeine Orientierung, die in erster Linie dem Menschen hilft, seinem persönlichen und sozialen Leben eine geregelte Ordnung zu geben. Darüber hinaus enthüllen sie die dem Phänomen des Gewissens eigene Komplexität: Diese steht in tiefem Zusammenhang mit dem gesamten psychologischen und affektiven Bereich und mit den vielfältigen Einflüssen der gesellschaftlichen und kulturellen Umgebung des Menschen. Andererseits wird der Wert des Gewissens hochgepriesen, das vom Konzil als "Heiligtum im Menschen, wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Innersten zu hören ist",  definiert wurde. Diese Stimme - so wird gesagt - veranlasse den Menschen nicht so sehr zu einer peinlich genauen Beachtung der universalen Normen, als zu einer kreativen und verantwortlichen Übernahme der persönlichen Aufgaben, die Gott ihm anvertraut.
  
An dieser Unkenntnis ist der betreffende Mensch oft selbst schuld, z. B. dann, wenn er „sich zuwenig darum müht, nach dem Wahren und Guten zu suchen, und das Gewissen aufgrund der Gewöhnung an die Sünde allmählich fast blind wird“ (GS 16). In diesem Fall ist er für das Böse, das er tut, verantwortlich.  
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In dem Wunsch, den "kreativen" Charakter des Gewissens hervorzuheben, bezeichnen manche Autoren die Akte des Gewissens nicht mehr als "Urteile", sondern als "Entscheidungen": Nur dadurch, dass der Mensch "autonom" diese Entscheidungen trifft, könne er zu seiner sittlichen Reife gelangen. Einige vertreten auch die Ansicht, dieser Reifungsprozeß würde von der allzu kategorischen Haltung behindert, die in vielen moralischen Fragen das Lehramt der Kirche einnimmt, dessen Eingriffe bei den Gläubigen das Entstehen unnötiger Gewissenskonflikte verursachen würden.
  
Unkenntnis über Christus und sein Evangelium, schlechte Beispiele anderer Leute, Verstrickung in Leidenschaften, Anspruch auf eine falsch verstandene Gewissensautonomie, Zurückweisung der Autorität der Kirche und ihrer Lehre, Mangel an Umdenkungswillen und christlicher Liebe können der Grund für Fehlurteile im sittlichen Verhalten sein.
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Zur Rechtfertigung solcher und ähnlicher Einstellungen haben einige eine Art doppelter Seinsweise der sittlichen Wahrheit vorgeschlagen. Außer der theoretisch-abstrakten Ebene müßte die Ursprünglichkeit einer gewissen konkreteren existentiellen Betrachtungsweise anerkannt werden. Diese könnte, indem sie den Umständen und der Situation Rechnung trägt, legitimerweise Aus- nahmen bezüglich der theoretischen Regel begründen und so gestatten, in der Praxis guten Gewissens das zu tun, was vom Sittengesetz als für in sich schlecht eingestuft wird. Auf diese Weise entsteht in einigen Fällen eine Trennung oder auch ein Gegensatz zwischen der Lehre von der im allgemeinen gültigen Vorschrift und der Norm des einzelnen Gewissens, das in der Tat letzten Endes über Gut und Böse entscheiden würde. Auf dieser Grundlage maßt man sich an, die Zulässigkeit sogenannter "pastoraler" Lösungen zu begründen, die im Gegensatz zur Lehre des Lehramtes stehen, und eine "kreative" [[Hermeneutik ]]zu rechtfertigen, nach welcher das sittliche Gewissen durch ein partikulares negatives Gebot tatsächlich nicht in allen Fällen verpflichtet würde.
  
Wenn hingegen die Unkenntnis unüberwindlich oder der Betreffende für das Fehlurteil nicht verantwortlich ist, kann ihm seine böse Tat nicht zur Last gelegt werden. Trotzdem bleibt sie ein Mangel, eine Unordnung. Aus diesem Grund müssen wir uns bemühen, Irrtümer des Gewissens zu beheben.
+
Es gibt wohl niemanden, der nicht begreifen wird, dass mit diesen Ansätzen nichts weniger als die Identität des sittlichen Gewissens selbst gegenüber der [[Freiheit]] des Menschen und dem Gesetz Gottes in Frage gestellt wird. Erst die vorausgehende Klärung der auf die Wahrheit gegründeten Beziehung zwischen Freiheit und Gesetz macht eine Beurteilung dieser "schöpferischen" Interpretation des Gewissens möglich.“ (siehe: [[Situationsethik]])
  
„Je mehr also das rechte Gewissen sich durchsetzt, desto mehr lassen die Personen und Gruppen von der blinden Willkür ab und suchen sich nach den objektiven Normen der Sittlichkeit zu richten“ (GS 16).
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Zu beachten ist, dass unterschiedliche Meinungen und Lehren zu schwerwiegenden und heiklen Fragen der christlichen Moral (in der [[Theologie]], [[Verkündigung]], [[Katechese]] und geistlicher Führung) die Gewissen der Gläubigen in Verwirrung führt. Damit wird das echte Sündenbewusstsein gemindert und nahezu ausgelöscht ([[Reconciliatio et paenitentia|RP]], [[Reconciliatio et paenitentia (Wortlaut)#Verlust des Sündenbewusstseins|Nr. 18]]).
  
==Zitate==
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[[Dietrich von Hildebrand]] befasst sich mit der Frage der künstlichen Geburtenkontrolle (und nennt auch später den [[Ehebruch]]). Dieselbe Erwägung gilt auch für die Zulassung [[Wiederverheiratete Geschiedene|wiederverheirateter Geschiedener]] zu den [[Sakrament]]en. Er sagt: Die Behauptung, über die Frage, ob die künstliche Geburtenkontrolle sittlich erlaubt sei, solle das Gewissen des Einzelnen entscheiden, ist irreführend, weil sie vom Gewissen etwas verlangt, was dieses niemals leisten kann. Diese Behauptung heißt in Wirklichkeit: Nicht die [[Kirche]] weiß, was sittlich gut und böse ist, sondern der Einzelne kann dies entscheiden - eine Auffassung, die sowohl die [[Offenbarung]] als auch das [[Lehramt]] der Kirche leugnet, was aber letzten Endes überhaupt jede objektiv gültige [[Moral]] auflöst und zu einem völligen Amoralismus führt.<ref>vgl. [[Dietrich von Hildebrand]]: Die Enzyklika „[[Humanae vitae]]“, S. 37.</ref>
*''Die Würde der menschlichen Person verlangt, dass das Gewissen richtig urteilt (das heißt, dass es mit dem übereinstimmt, was gemäß der Vernunft und dem göttlichen Gesetz gerecht und gut ist).'' (aus KKKK 373)
 
  
 
== Literatur ==
 
== Literatur ==
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* [[Dietrich von Hildebrand]]: Die [[Enzyklika]] „[[Humanae vitae]]“, Ein Zeichen des [[Widerspruch]]es 1968, S. 36-40 - Lehramt und Gewissen ([http://www.kathtube.com/player.php?id=8787 zum Herunterladen bei Kathtube]).
 
* [[Josef Bordat]]: "Das Gewissen. Ein katholischer Standpunkt". [[Lepanto Verlag]] 2013 (TB; ISBN: 978-3942605076).
 
* [[Josef Bordat]]: "Das Gewissen. Ein katholischer Standpunkt". [[Lepanto Verlag]] 2013 (TB; ISBN: 978-3942605076).
 
* [[Josef Beeking]]: Gewissen und Gewissenhaftigkeit : Ein Büchlein von der sittlichen Verantwortung [[Felizian Rauch Verlag]] Innsbruck 1937 (18 Seiten).
 
* [[Josef Beeking]]: Gewissen und Gewissenhaftigkeit : Ein Büchlein von der sittlichen Verantwortung [[Felizian Rauch Verlag]] Innsbruck 1937 (18 Seiten).
 
* Franz Joseph Grüner: Seelenfriede, Anleitung zur Lösung von Gewissenszweifeln nebst Meß-, Beicht-, Kommunion-Andachten usw., Pfeiffer Verlag München 1928 (19.-20. Auflage; 222 Seiten).
 
* Franz Joseph Grüner: Seelenfriede, Anleitung zur Lösung von Gewissenszweifeln nebst Meß-, Beicht-, Kommunion-Andachten usw., Pfeiffer Verlag München 1928 (19.-20. Auflage; 222 Seiten).
* Victor Marchal: Das Gewissen wie es sein soll, Pustet Verlag Regensburg 1869 (499 Seiten).
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* Victor Marchal: Das Gewissen wie es sein soll, [[Pustet Verlag Regensburg]] 1869 (499 Seiten).
  
 
==Päpstliche Schreiben==
 
==Päpstliche Schreiben==
 
'''[[Pius XII.]]'''
 
'''[[Pius XII.]]'''
* [[23. März]] [[1952]] Rundfunkansprache [[La famiglia è la culla]] zum »Tag der [[Familie]]" der [[Katholische Aktion|Katholischen Aktion]] Italiens, über das [[Wesen]] des christlichen Gewissens, seine Bedeutung und Stellung innerhalb der christlichen [[Moral]] und über die Gewissens[[erziehung]].
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* [[23. März]] [[1952]] Rundfunkansprache ''[[La famiglia è la culla]]'' zum »Tag der [[Familie]]" der [[Katholische Aktion|Katholischen Aktion]] Italiens, über das [[Wesen]] des christlichen Gewissens, seine Bedeutung und Stellung innerhalb der christlichen [[Moral]] und über die Gewissens[[erziehung]].
* 30. September 1954 [[Ansprache am 30. September 1954 über ärztliche Gewissensfragen|Ansprache vor den Teilnehmern des 8. ärztlichen Weltkongresses über ärztlichen Gewissensfragen]].
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* 30. September 1954 ''[[Ansprache am 30. September 1954 über ärztliche Gewissensfragen|Ansprache vor den Teilnehmern des 8. ärztlichen Weltkongresses über ärztlichen Gewissensfragen]]''.
  
 
'''[[Paul VI.]]'''
 
'''[[Paul VI.]]'''
* 7. Dezember 1965 [[Zweites Vatikanisches Konzil]] Pastorale Konstitution [[Gaudium et spes]] [[Gaudium et spes (Wortlaut)#KAPITEL I: DIE WÜRDE DER MENSCHLICHEN PERSON|Nr. 16: Die Würde des sittlichen Gewissens]].
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* 7. Dezember 1965 [[Zweites Vatikanisches Konzil]] Pastorale Konstitution ''[[Gaudium et spes]]'' [[Gaudium et spes (Wortlaut)#KAPITEL I: DIE WÜRDE DER MENSCHLICHEN PERSON|Nr. 16: Die Würde des sittlichen Gewissens]].
  
 
'''[[Johannes Paul II.]]'''
 
'''[[Johannes Paul II.]]'''
* 1997 [[Katechismus der Katholischen Kirche]], Nr. 1776-1802 (Hauptquelle des Artikels)
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* 1997 [[Katechismus der Katholischen Kirche]], Nrn. 1776-1802.
* 6. August 1993 Enzyklika [[Veritatis splendor]] über einige grundlegende Fragen der kirchlichen Morallehre, Nr. 32, 54-61.
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* 6. August 1993 Enzyklika ''[[Veritatis splendor]]'' über einige grundlegende Fragen der kirchlichen [[Moral]]lehre, Nrn. [[Veritatis splendor (Wortlaut)#"Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch befreien" (Joh 8, 32)|32]], [[Veritatis splendor (Wortlaut)#Das Heiligtum des Menschen|Nr. 54-61]] !
  
'''siehe:''' [[Situationsethik]]
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'''[[Benedikt XVI.]]'''
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* 2005 [[Kompendium des Katechismus der Katholischen Kirche]], Nrn. 372-376.
  
 
==Weblinks==
 
==Weblinks==
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* [http://www.stjosef.at/morallexikon/gewissen.htm Gewissen im Morallexikon] von [[Karl Hörmann]]
 
* [http://jobo72.wordpress.com/2013/03/05/das-gewissen/ Vortrag zum Gewissen aus katholischer Perspektive] von [[Josef Bordat]] am 5. März 2013
 
* [http://jobo72.wordpress.com/2013/03/05/das-gewissen/ Vortrag zum Gewissen aus katholischer Perspektive] von [[Josef Bordat]] am 5. März 2013
 
*[http://www.kath.net/news/45544 Gewissen und Glaube, untrennbare Geschwister] [[Kath.net]] am 9. April 2014 von [[Andreas Laun]]
 
*[http://www.kath.net/news/45544 Gewissen und Glaube, untrennbare Geschwister] [[Kath.net]] am 9. April 2014 von [[Andreas Laun]]
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Version vom 3. Mai 2016, 07:39 Uhr

Das Gewissen<ref>1. Dem Wortlaut nach besagt «Gewissen» ein Wissen, genauer ein Mit- oder Zugleich wissen, d. h. ein gesamthaftes oder zusammenfassendes sittliches Urteil über das Handeln. Darauf deuten auch die griechische und lateinische Bezeichnung (Syneidesis, Conscientia) hin.
2. Der Sache nach ist das Gewissen das moralische Bewusstsein als befehlendes oder richterliches Urteil der Vernunft über die sittliche Beschaffenheit des menschlichen Tuns und Lassens.
Es kann in doppelter Bedeutung genommen werden:
a) als natürliche Anlage oder Fertigkeit der praktischen Vernunft, die obersten sittlichen Grundsätze leicht zu erkennen. Das ist das Gewissen im uneigentlichen Sinne; es wird auch Urgewissen genannt;
b) als aktuelles sittliches Werturteil der praktischen Vernunft über die vom Handelnden augenblicklich zu vollziehenden Handlungen. Das ist das eigentliche Gewissen.
entnommen aus: Bernhard Kälin OSB: Lehrbuch der Philosophie, Einführung in die Ethik, umgearbeitet von Dr. P. Raphael Fäh OSB, Selbstverlag Benediktinerkollegium Sarnen 1954, S. 88, Nr. 130, Gewissen (Imprimatur Curiae, die 8, Juni 1954 † Christianus Caminada. Episcopus).</ref> ist die subjektive Sittennorm, d.h. jenes Urteil der praktischen Vernunft, das die objektive Sittennorm in der konkreten Einzelhandlung zur Anwendung bringt (VS, Nr. 55). Es ist ein Akt der Einsicht der Person, der es obliegt, die allgemeine Erkenntnis des Guten auf eine bestimmte Situation anzuwenden und so ein Urteil über das richtige zu wählende Verhalten zu fällen (VS, 32). Wenn das Gewissen nicht verbildet ist, entspricht es der objektiven sittlichen Ordnung,<ref>Bernhard Brinkmann: Katholisches Handlexikon, Butzon & Bercker Verlag Kevelaer 1960, S. 95, Gewissen (2. Auflage; Imprimatur N. 4-18/60 Monasterii, die 2. Februarii 1960, Böggering Vicarius Eppi Generalis).</ref> d.h. „Im Falle des rechten Gewissens handelt es sich um die vom Menschen angenommene objektive Wahrheit, im Falle des irrenden Gewissens handelt es sich um das, was der Mensch ohne Schuld subjektiv für wahr hält (VS, Nr. 62).

Die Stimme des Gewissens spricht primär, indem sie uns warnt, in einer konkreten Situation das sittlich Schlechte zu tun, von dem wir bereits prinzipiell wissen, dass es sittlich schlecht und unerlaubt ist. Es bezieht sich mehr auf die Vermeidung eines sittlichen Übels als auf das rein sittlich Positive, das zu tun wir nicht verpflichtet sind.<ref> Dietrich von Hildebrand: Die Enzyklika „Humanae vitae“, Ein Zeichen des Widerspruches 1968, S. 37 (zum Herunterladen bei Kathtube).</ref>

Wenn der Mensch auf das Gewissen hört, kann der kluge Mensch die Stimme Gottes, der zu ihm spricht, vernehmen. Denn der Mensch hat ein Gesetz, das von Gott seinem Herzen eingeschrieben ist, dem zu gehorchen seine Würde ist und gemäß dem er gerichtet werden wird. Das Gewissen ist die verborgenste Mitte und das Heiligtum im Menschen, wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Innersten zu hören ist (GS, Nr. 16). Das Gewissen ist „ein Gesetz des Geistes“ und ist darüber hinaus „eine unmittelbare Einsprechung“, die „auch den Begriff der Verantwortlichkeit, der Pflicht, einer Drohung und einer Verheißung“ in sich schließt. Es ist ein Bote dessen, der sowohl in der Natur als auch in der übernatürlichen Gnade hinter einem Schleier zu uns spricht und uns durch seine Stellvertreter lehrt und regiert.<ref>KKK 1778: von John Henry Newman.</ref>

== Verantwortlichkeit und Einteilungen<ref>Einteilungen:’’’
1. Bezüglich der Handlung unterscheidet man das vorausgehende (conscientia antecedens) und das nachfolgende Gewissen (conscientia consequens).
Entscheidend für die Sittlichkeit der Handlung ist das vorausgehende Gewissen; denn dieses ist die unmittelbare Norm des Handelns. Es kann gebietend, verbietend oder erlaubend sein.
Das nachfolgende Gewissen ist entweder lobend, tadelnd oder entschuldigend. Das tadelnde Gewissen offenbart sich besonders in den Gewissensbissen oder Gewissensqualen.
2. Hinsichtlich der Übereinstimmung mit der objektiven Sittennorm (Richtigkeit) unterscheidet man das wahre (richtige) Gewissen und das irrige (falsche) Gewissen. Letzteres kann verschuldet oder unverschuldet falsch sein.
3. Hinsichtlich der Sicherheit des Urteils im Handelnden unterscheidet man ein sicheres, ein wahrscheinliches und ein zweifelndes Gewissen.
Beim sicheren Gewissen bestehen keinerlei Bedenken oder Befürchtungen, das gefällte Gewissensurteil könnte falsch sein.
Doch beachte: Subjektive Sicherheit und sachliche Richtigkeit sind nicht dasselbe; denn auch das unüberwindlich irrige Gewissen kann als subjektiv sicheres Gewissensurteil auftreten.
Beim wahrscheinlichen Gewissen sind die Gründe vorwiegend zugunsten des Gewissensurteils; aber es bestehen doch Befürchtungen, es könnte vielleicht auch falsch sein.
Beim zweifelnden Gewissen bleibt das Urteil sozusagen unentschieden, ob eine Handlung gut oder schlecht, erlaubt oder unerlaubt sei. Beruht diese Unentschiedenheit darauf, weil keine oder keine beachtlichen Gründe weder dafür noch dagegen bestehen, so spricht man von negativem Zweifel. Beruht die Unentschiedenheit jedoch darauf, weil für die Erlaubtheit und Nichterlaubtheit der Handlung ungefähr gleich wichtige Gründe sprechen, so nennt man das einen positiven Zweifel.
4. Ferner unterscheidet man ein wohl ausgebildetes und ein verbildetes Gewissen. Das verbildete Gewissen ist entweder zu weit (lax, abgestumpft) oder zu eng, ängstlich (perplex, verwirrt, ratlos).
a) Das wohlausgebildete Gewissen ist wachsam, da es nicht bloß den wichtigen Pflichten, sondern auch den gewöhnlichen Entscheidungen die gebührende Beachtung schenkt.
Es wird zartes Gewissen genannt, wenn es feinfühlig auch kleine und kleinste Pflichten, selbst bloße Ratschläge zum Bessern wahrnimmt und willig erfüllt, und auch in heiklen Fällen die richtige sittliche Norm zu finden und anzuwenden weiß.
b) Das verbildete Gewissen ist zu weit (lax, abgestumpft), wenn es größere Fehler für gering, kleine Fehler überhaupt nicht mehr achtet. Es beruht auf einem vernachlässigten Pflichtbewusstsein und ist darum in der Regel ein (wenigstens teilweise) bewußt irriges Gewissen.
Das verbildete Gewissen ist zu eng, ängstlich, wenn es ohne sachlichen Grund sittliche Übertretung (Sünde, Schuld) fürchtet, wo keine vorhanden ist; es sieht kleine Fehler und Unvollkommenheiten für schwer schuldbar an und ist häufig grundlosen Zweifeln und Unsicherheiten ausgesetzt.
Das ängstliche Gewissen wird in Konfliktsfällen zum perplexen (verwirrten, ratlosen) Gewissen, so dass es in jedem Fall (beim Handeln wie beim Nichthandeln, beim so oder so Handeln) eine Übertretung erblickt.
entnommen aus: Bernhard Kälin OSB: Lehrbuch der Philosophie, Einführung in die Ethik, umgearbeitet von Dr. P. Raphael Fäh OSB, Selbstverlag Benediktinerkollegium Sarnen 1954, S. 90+91, Nr. 133, Gewissen, Einteilungen (Imprimatur Curiae, die 8, Juni 1954 † Christianus Caminada. Episcopus).</ref>==

Bei allem, was der Mensch sagt und tut, ist er verpflichtet, sich genau an das zu halten, wovon er weiss, dass es recht und richtig ist.<ref>vgl. KKK 1778; Kälin: Lehrbuch der Philosophie, Nr. 86.</ref> Maßgeblich für die sittliche Verantwortlichkeit bezüglich einer Handlung ist das Urteil des Gewissens im Augenblick der Tat, nicht eine spätere Einsicht. Einem unüberwindlich irrtümlichen Gewissen darf der Mensch folgen, wenn es ihm etwas als sittlich erlaubt hinstellt, und muss ihm folgen, wenn es ihm etwas als geboten oder verboten erklärt. Solange einer ernstlich zweifelt, ob etwas sittlich erlaubt ist oder nicht, darf er es nicht tun, es sei denn, er habe ein ängstliches oder skrupulöses Gewissen, das aus nichtigen Gründen etwas für unerlaubt hält. Ein solches Gewissen ist das Gegenteil von einem laxen Gewissen, das sich ohne hinreichende Gründe einredet, etwas sei, jedenfalls unter den gegebenen Umständen, erlaubt. Wenn ein wirklicher Zweifel bezüglich einer sittlichen Verpflichtung besteht, etwas zu tun oder zu lassen, brauchen die Gründe gegen die Verpflichtung nicht sicher zu sein, um sich mit Sicherheit sagen zu können, dass die Verpflichung jedenfalls in diesem Falle nicht besteht, aber sie müssen wenigstens wirklich wahrscheinlich sein (Probabilismus).<ref>Brinkmann: Katholisches Handlexikon, S. 95, Gewissen.</ref>

Das Gesetz und das Gewissen

Das Urteil des Gewissens begründet nicht das Gesetz, aber es bestätigt die Autorität des Naturgesetzes und der praktischen Beziehung in Beziehung zum höchsten Gut, dessen Anziehungskraft die menschliche Person erfährt und dessen Gebote sie annimmt: "Das Gewissen ist keine autonome und ausschließliche Instanz, um zu entscheiden, was gut und was böse ist; ihm ist vielmehr ein Prinzip des Gehorsams gegenüber der objektiven Norm tief eingeprägt, welche die Übereinstimmung seiner Entscheidungen mit den Geboten und Verboten begründet und bedingt, die dem menschlichen Verhalten zugrunde liegen (VS, Nr. 60).

Durch das Gewissensurteil vernimmt und erkennt der Mensch die Anordnungen des natürlichen Sittengesetzes. Dieses drückt die ersten, wesentlichen Gebote aus, die das sittliche Leben regeln. Es ist das vornehmste von allen, das in die Herzen der einzelnen Menschen durch den Schöpfer geschrieben und eingemeißelt ist, weil es selbst die menschliche Vernunft ist, die recht zu handeln befiehlt und zu sündigen verbietet. Diese Vorschrift der menschlichen Vernunft kann aber nur dann die Kraft eines Gesetzes haben, wenn sie die Stimme und Auslegerin einer höheren Vernunft ist, der unser Geist und unsere Freiheit unterworfen sein müssen (KKK 1954f). „Die Frage, ob etwas an sich gut oder böse ist, kann nie vom Gewissen beantwortet werden; sie ist für das Sprechen des Gewissens immer schon vorausgesetzt.“<ref> Dietrich von Hildebrand: Die Enzyklika „Humanae vitae“, S. 36. </ref>

Die Gewissensbildung

Das richtige und wahrhaftige Gewissen muss geformt und das sittliche Urteil erhellt werden. Ein gut gebildetes Gewissen urteilt richtig und wahrhaftig. Es folgt bei seinen Urteilen der Vernunft und richtet sich nach dem wahren Gut, das durch die Weisheit des Schöpfers gewollt ist. Es wird durch die Erziehung und durch die Aneignung des Wortes Gottes und der Lehre der Kirche gebildet.<ref>Es gibt verschiedene Ausdrucksformen des Gesetzes. Das ewige Gesetz ist der göttliche Ursprung aller Gesetze. Daraus fließt das erschaffene natürliche Sittengesetz, dann das geoffenbarte Gesetz, das aus dem Gesetz des Alten Bundes und dem Gesetz des Neuen Bundes besteht; schließlich die staatlichen und kirchlichen Gesetze (vgl. KKK 1950-1986).</ref> Das zweite Vatikanische Konzil sagt: "Bei ihrer Gewissensbildung müssen jedoch die Christgläubigen die heilige und sichere Lehre der Kirche sorgfältig vor Augen haben. Denn nach dem Willen Christi ist die katholische Kirche die Lehrerin der Wahrheit; ihre Aufgabe ist es, die Wahrheit, die Christus ist, zu verkündigen und authentisch zu lehren, zugleich auch die Prinzipien der sittlichen Ordnung, die aus dem Wesen des Menschen selbst hervorgehen, autoritativ zu erklären und zu bestätigen" (VS, Nr. 64).

Für uns Menschen, die schlechten Einflüssen unterworfen und stets versucht sind, dem eigenen Urteil den Vorzug zu geben und die Lehren der kirchlichen Autorität zurückzuweisen, ist die Gewissenserziehung unerlässlich (vgl. KKK 1783, KKKK 374). Dazu gehört die Wahrnehmung der Moralprinzipien, ihre Anwendung durch eine Beurteilung der Gründe und der Güter unter den gegebenen Umständen, und schließlich das Urteil über die auszuführenden oder bereits durchgeführten konkreten Handlungen. Das Gewissen wird durch die Gaben des Heiligen Geistes unterstützt und durch die Ratschläge weiser Menschen orientiert. Darüber hinaus sind das Gebet und die Gewissenerforschung für die sittliche Bildung von großem Nutzen (vgl. KKK 1780; KKKK 374).

Die Erziehung des Gewissens ist eine lebenslange Aufgabe. Schon in den ersten Jahren leitet sie das Kind dazu an, das durch das Gewissen wahrgenommene innere Gesetz zu erkennen und zu erfüllen. Eine umsichtige Erziehung regt zu tugendhaftem Verhalten an. Sie bewahrt oder befreit vor Furcht, Selbstsucht und Stolz, falschen Schuldgefühlen und Regungen der Selbstgefälligkeit, die durch menschliche Schwäche und Fehlerhaftigkeit entstehen können. Gewissenserziehung gewährleistet die Freiheit und führt zum Frieden des Herzens (KKK 1784).

Es gibt drei allgemeine Regeln (KKK 1789, KKK 375), um sich ein Gewissensurteil zu bilden:

  1. Es ist nie erlaubt, Böses zu tun, damit daraus etwas Gutes hervorgehe.
  2. Die sogenannte goldene Regel: „Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen“ (Mt 7, 12).
  3. Die christliche Liebe achtet immer den Nächsten und sein Gewissen; dies bedeutet freilich nicht, dass etwas als gut angenommen wird, was objektiv schlecht ist.

Das kluge Urteil des Gewissens anerkennt praktisch und konkret die Wahrheit über das sittlich Gute, die im Gesetz der Vernunft ausgedrückt ist. Als klug bezeichnet man den Menschen, der sich diesem Urteil gemäß entscheidet.

Um die Stimme des Gewissens vernehmen und ihr folgen zu können, muss man in sich gehen. Dieses Streben nach Innerlichkeit ist umso nötiger, als das Leben uns oft in Gefahr bringt, jegliche Überlegung, Selbstprüfung und Selbstbesinnnung zu unterlassen.

Sinnvoll ist hierbei die Benutzung des Gewissensspiegels und die Kenntnis der Formeln der katholischen Lehre.

Gewissenserforschung

Um die Stimme des Gewissens vernehmen und ihr folgen zu können, muss man in sich gehen. Dieses Streben nach Innerlichkeit ist umso nötiger, als das Leben uns oft in Gefahr bringt, jegliche Überlegung, Selbstprüfung und Selbstbesinnnung zu unterlassen (KKK 1779).

Die Gewissenserforschung ist eine persönliche Rechenschaft des Menschen über sein sittliches Verhalten, um die sittlichen Verfehlungen aufrichtig zu bereuen. Sie ist eine notwendige Voraussetzung für die Beichte und sollte wenigstens am Abend, regelmäßig gemacht werden.<ref>Brinkmann: Katholisches Handlexikon, S. 96, Gewissenserforschung.</ref>

Das Gewissen spricht immer nur dann, wenn es sich um unser eigenes Tun und Lassen handelt; es sagt uns nicht, ob das Verhalten eines anderen sittlich richtig ist.<ref> Dietrich von Hildebrand: Die Enzyklika „Humanae vitae“, S. 36.</ref>

Gewissensbisse

Das nachfolgende Gewissen ist entweder lobend, tadelnd oder entschuldigend. Das tadelnde Gewissen offenbart sich besonders in den Gewissensbissen oder Gewissensqualen.<ref> Kälin OSB: Lehrbuch der Philosophie, S. 90, Nr. 133.</ref> Der Schuldspruch des schlechten Gewissens bleibt ein Unterpfand der Hoffnung und des Erbarmens. Indem er die begangene Verfehlung bezeugt, mahnt er, um Vergebung zu bitten, das Gute doch noch auszuführen und mit Hilfe der Gnade Gottes die Tugend unablässig zu pflegen (KKK 1781)

Das irrende Gewissen

Das Gewissensurteil ist kein unfehlbares Urteil: es kann irren.

Dem sicheren Urteil seines Gewissens muss der Mensch stets Folge leisten. Würde er bewusst dagegen handeln, so verurteilte er sich selbst. Es kann jedoch vorkommen, dass das Gewissen über Handlungen, die jemand plant oder bereits ausgeführt hat, aus Unwissenheit Fehlurteile fällt (KKK 1790).

An dieser Unkenntnis ist der betreffende Mensch oft selbst schuld, z. B. dann, wenn er „sich zuwenig darum müht, nach dem Wahren und Guten zu suchen, und das Gewissen aufgrund der Gewöhnung an die Sünde allmählich fast blind wird“ (GS 16). In diesem Fall ist er für das Böse, das er tut, verantwortlich (KKK 1791).

Unkenntnis über Christus und sein Evangelium, schlechte Beispiele anderer Leute, Verstrickung in Leidenschaften, Anspruch auf eine falsch verstandene Gewissensautonomie, Zurückweisung der Autorität der Kirche und ihrer Lehre, Mangel an Umdenkungswillen und christlicher Liebe können der Grund für Fehlurteile im sittlichen Verhalten sein (KKK 1792).

Wenn hingegen die Unkenntnis unüberwindlich<ref>Nichtsdestoweniger kann der Irrtum des Gewissens das Ergebnis einer unüberwindbaren Unwissenheit sein, das heißt einer Unkenntnis, derer sich der Mensch nicht bewußt ist und aus der er allein nicht heraus gelangen kann. In dem Fall, wo diese unüberwindliche Unkenntnis nicht schuldhaft ist, verliert das Gewissen - so erinnert uns das II. Vatikanische Konzil - nicht seine Würde, weil es, auch wenn es uns tatsächlich in einer von der objektiven sittlichen Ordnung abweichenden Weise anleitet, dennoch nicht aufhört im Namen jener Wahrheit vom Guten zu reden, zu deren aufrichtiger Suche der Mensch aufgerufen ist. (Veritatis splendor, Nr. 62)</ref> oder der Betreffende für das Fehlurteil nicht verantwortlich ist, kann ihm seine böse Tat nicht zur Last gelegt werden. Trotzdem bleibt sie ein Mangel, eine Unordnung. Aus diesem Grund müssen wir uns bemühen, Irrtümer des Gewissens zu beheben (KKK 1793).

Gewissensfreiheit, Zwang und moralische Beeinflussung

Die Würde der menschlichen Person verlangt die Gewissensfreiheit (vgl. KKKK 373). Gewissensfreiheit bedeutet jedoch nicht Freiheit von sittlichen Bindungen, sondern die Freiheit, der Stimme des eigenen Gewissens zu folgen, jedenfalls soweit es mit der objektiven sittlichen Norm übereinstimmt; und diese Freiheit hat auch der Staat zu achten. Darüber hinaus hat der Staat auch dann die persönliche Gewissensüberzeugung zu achten, wenn sie unüberwindlich irrtümlich sein sollte, solange das Gemeinwohl dadurch nicht betroffen wird. Die Gewissensfreiheit schließt zwar einen physischen Zwang aus, aber nicht eine moralische Beeinflussung im Sinne des Sittengesetzes durch Erziehung, Ermahnungen und Strafen, die durch das Gemeinwohl gefordert werden. Dagegen sind Zwangsbekehrungen unerlaubt,<ref>Brinkmann: Katholisches Handlexikon, S. 96, Gewissensfreiheit.</ref> vor allem im Bereich der Religion (Religionsfreiheit).<ref>Dignitatis humanae, Nr. 2.</ref>

Verfehlte Theologenmeinungen - das Gewissen soll entscheiden (VS, Nr. 55+56)

„Nach der Meinung verschiedener Theologen habe man, zumindest in bestimmten Perioden der Vergangenheit, die Funktion des Gewissens lediglich auf die Anwendung allgemeiner sittlicher Normen auf Einzelfälle des persönlichen Lebens beschränkt gesehen. Solche Normen - heißt es - sind aber nicht in der Lage, die unwiederholbare Besonderheit aller einzelnen konkreten Akte der Personen in ihrer Gesamtheit zu umfassen und zu berücksichtigen; sie können in gewisser Weise bei einer richtigen Bewertung der Situation behilflich sein, sie können aber nicht an die Stelle der Personen treten und ihre Aufgabe übernehmen, eine persönliche Entscheidung über ihr Verhalten in bestimmten Einzelfällen zu treffen. Ja, die vorgenannte Kritik an der traditionellen Interpretation der menschlichen Natur und ihrer Bedeutung für das sittliche Leben verleitet einige Autoren zu der Behauptung, diese Normen seien nicht so sehr ein bindendes objektives Kriterium für die Urteile des Gewissens, als vielmehr eine allgemeine Orientierung, die in erster Linie dem Menschen hilft, seinem persönlichen und sozialen Leben eine geregelte Ordnung zu geben. Darüber hinaus enthüllen sie die dem Phänomen des Gewissens eigene Komplexität: Diese steht in tiefem Zusammenhang mit dem gesamten psychologischen und affektiven Bereich und mit den vielfältigen Einflüssen der gesellschaftlichen und kulturellen Umgebung des Menschen. Andererseits wird der Wert des Gewissens hochgepriesen, das vom Konzil als "Heiligtum im Menschen, wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Innersten zu hören ist", definiert wurde. Diese Stimme - so wird gesagt - veranlasse den Menschen nicht so sehr zu einer peinlich genauen Beachtung der universalen Normen, als zu einer kreativen und verantwortlichen Übernahme der persönlichen Aufgaben, die Gott ihm anvertraut.

In dem Wunsch, den "kreativen" Charakter des Gewissens hervorzuheben, bezeichnen manche Autoren die Akte des Gewissens nicht mehr als "Urteile", sondern als "Entscheidungen": Nur dadurch, dass der Mensch "autonom" diese Entscheidungen trifft, könne er zu seiner sittlichen Reife gelangen. Einige vertreten auch die Ansicht, dieser Reifungsprozeß würde von der allzu kategorischen Haltung behindert, die in vielen moralischen Fragen das Lehramt der Kirche einnimmt, dessen Eingriffe bei den Gläubigen das Entstehen unnötiger Gewissenskonflikte verursachen würden.

Zur Rechtfertigung solcher und ähnlicher Einstellungen haben einige eine Art doppelter Seinsweise der sittlichen Wahrheit vorgeschlagen. Außer der theoretisch-abstrakten Ebene müßte die Ursprünglichkeit einer gewissen konkreteren existentiellen Betrachtungsweise anerkannt werden. Diese könnte, indem sie den Umständen und der Situation Rechnung trägt, legitimerweise Aus- nahmen bezüglich der theoretischen Regel begründen und so gestatten, in der Praxis guten Gewissens das zu tun, was vom Sittengesetz als für in sich schlecht eingestuft wird. Auf diese Weise entsteht in einigen Fällen eine Trennung oder auch ein Gegensatz zwischen der Lehre von der im allgemeinen gültigen Vorschrift und der Norm des einzelnen Gewissens, das in der Tat letzten Endes über Gut und Böse entscheiden würde. Auf dieser Grundlage maßt man sich an, die Zulässigkeit sogenannter "pastoraler" Lösungen zu begründen, die im Gegensatz zur Lehre des Lehramtes stehen, und eine "kreative" Hermeneutik zu rechtfertigen, nach welcher das sittliche Gewissen durch ein partikulares negatives Gebot tatsächlich nicht in allen Fällen verpflichtet würde.

Es gibt wohl niemanden, der nicht begreifen wird, dass mit diesen Ansätzen nichts weniger als die Identität des sittlichen Gewissens selbst gegenüber der Freiheit des Menschen und dem Gesetz Gottes in Frage gestellt wird. Erst die vorausgehende Klärung der auf die Wahrheit gegründeten Beziehung zwischen Freiheit und Gesetz macht eine Beurteilung dieser "schöpferischen" Interpretation des Gewissens möglich.“ (siehe: Situationsethik)

Zu beachten ist, dass unterschiedliche Meinungen und Lehren zu schwerwiegenden und heiklen Fragen der christlichen Moral (in der Theologie, Verkündigung, Katechese und geistlicher Führung) die Gewissen der Gläubigen in Verwirrung führt. Damit wird das echte Sündenbewusstsein gemindert und nahezu ausgelöscht (RP, Nr. 18).

Dietrich von Hildebrand befasst sich mit der Frage der künstlichen Geburtenkontrolle (und nennt auch später den Ehebruch). Dieselbe Erwägung gilt auch für die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten. Er sagt: Die Behauptung, über die Frage, ob die künstliche Geburtenkontrolle sittlich erlaubt sei, solle das Gewissen des Einzelnen entscheiden, ist irreführend, weil sie vom Gewissen etwas verlangt, was dieses niemals leisten kann. Diese Behauptung heißt in Wirklichkeit: Nicht die Kirche weiß, was sittlich gut und böse ist, sondern der Einzelne kann dies entscheiden - eine Auffassung, die sowohl die Offenbarung als auch das Lehramt der Kirche leugnet, was aber letzten Endes überhaupt jede objektiv gültige Moral auflöst und zu einem völligen Amoralismus führt.<ref>vgl. Dietrich von Hildebrand: Die Enzyklika „Humanae vitae“, S. 37.</ref>

Literatur

Päpstliche Schreiben

Pius XII.

Paul VI.

Johannes Paul II.

Benedikt XVI.

Weblinks

Anmerkungen

<references />