Ecce ego declinabo (Wortlaut)

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Weihnachtsansprache
Ecce ego declinabo

von Papst
Pius XII.
über Frieden und "kalten Krieg"
24. Dezember 1954 bzw. 3./4. Januar 1955

(Offizieller italienischer Text: AAS 4 [195] )

(Quelle: Herder-Korrespondenz, Herder Verlag, 9. Jahrgang 1954/55;

Viertes Heft, Januar 1955, S. 170-171; Fünftes Heft, Februar 1955, S. 212-217)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


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Hintergrund

In diesem Jahr hat Papst Pius XII. infolge seines Gesundheitszustandes darauf verzichten müssen, wie bisher alljährlich während seines 15 jährigen Pontifikats über den Rundfunk eine große Weihnachtsbotschaft an die ganze Welt zu richten, in der er die jeweilige Weltlage und ihre Hauptprobleme an der christlichen Botschaft maß. Er hat nur einen kurzen weihnachtlichen Gruß an die Christenheit richten und ihr seinen Segen geben können. Die große Weihnachtsbotschaft soll aber nicht einfach ausfallen. Der Heilige Vater arbeitet sie aus, so oft es ihm seine Kräfte gestatten, und will sie, sobald sie vollendet ist, der Öfentlichkeit übergeben.

Der kurze Weihnachtsgruß des Papstes hatte folgenden Wortlaut:

Einfachen Herzens wie die Kinder, die dem Heiland so teuer sind, bereiten Wir uns vor, die Herrlichkeit des Weihnachtsfestes in Unser Herz aufzunehmen und seine reine Freude zu verkosten, gestärkt von der Einladung des Apostels: "Freuet Euch im Herrn immerdar, der Herr ist nahe." Der Herr ist nahe! Es erwarten ihn bereits mit schüchternen Lichtern tausend und abertausend Krippen, die fromme und liebende Hände aufgebaut haben, in den Gotteshäusern oder in der trauten Innigkeit des Heims. Er ist geboren, so wird in wenigen Stunden im geheimnisvollen Schweigen der Heiligen Nacht die Liturgie verkünden und so auf der Erde erneut die Friedensbotschaft der Engel ertönen lassen.

Nehmt auch ihr, geliebte Söhne und Töchter der christlichen Welt, diese innige und verklärte Freude des Weihnachtsfestes in euch auf, das so reich ist an frommen Gedanken, beglückendem Erleben und zarten Hoffnungen. Ach, könnten doch die Menschen ihr ganzes Leben in echter Freude und in der Gesinnung der Güte und des Friedens leben, die das Weihnachtsfest überallhin verbreitet. Wie ganz anders und glücklicher wäre die Welt!

Die göttliche Vorsehung hat es Uns in diesem Jahr nicht erlaubt, Unsere übliche Weihnachtsbotschaft zu verkünden, an der Wir gleichwohl arbeiten, insoweit es Uns Unsere Gesundheit erlaubt. Aber Wir geben der Hoffnung Ausdruck, sie zu veröffentlichen, sobald sie, wenn es Gott gefällt, ausgearbeitet sein wird, um die nunmehr schon lange Reihenfolge der Weihnachtsbotschaften nicht zu unterbrechen.

Voll Dankbarkeit gegenüber der katholischen Welt, die Uns durch ihre Gebete unausgesetzt gestärkt hat, sind Uns jetzt bei dieser Weihnachtsansprache in der Einsamkeit des Leidens geistig alle Unsere Söhne auf dem weiten Erdenrund, ja die gesamte Menschheitsfamilie nahe. Nahe sind Uns vor allem, um ihnen jegliche Gnade des Herrn zu wünschen, Unsere engsten Mitarbeiter, die geliebten Mitglieder des Kardinalkollegiums, dessen fromme Wünsche der hochverehrte Kardinaldekan in beredten Worten zum Ausdruck brachte. Nahe sind Uns die Mitglieder der Päpstlichen Anticamera, die Prälatur, die römische Kurie und die anderen Angehörigen des Päpstlichen Hofes, die Hirten der Herde Gottes in den Obliegenheiten des bischöflichen Amtes und in jeglicher priesterlicher Tätigkeit, die religiösen Orden und Kongregationen, die treue Schar der Katholischen Aktion, die allzeit mit Uns einsatzbereit ist im Eifer des guten Kampfes. Ebenso nahe endlich sind Uns alle Menschen auf der Welt, in allen sozialen Schichten, in jeder Lebenslage, die die Hoffnung aufrechterhalten, dass Christus, der Erlöser, ihr Friede in der Erdenzeit sein soll, ihre Freude in der Ewigkeit.

Mit besonderer Liebe möchten Wir Trost und Stärke jenen wünschen, für die der Heiland seine Vorliebe bezeugt hat, indem er sie an seinem Kreuz teilnehmen ließ, alle jene also, die krank an Leib und Seele darniederliegen, die allein in der Welt dastehen mit ihrer Trauer oder mit ihrem Leid, Opfer der Menschen oder eines harten Geschicks. Blutenden Herzens erflehen Wir himmlischen Trost und Tapferkeit all jenen Unserer Söhne, die gewaltsam in die Gefangenschaft oder in die Konzentrationslager geführt wurden und so gewürdigt sind, um des Glaubens, um der Wahrheit und um der Gerechtigkeit willen zu leiden.

Zu allen Völkern endlich, zu deren Lenkern, zu jenen, die Verantwortung tragen für die Geschicke der Welt, komme die Botschaft der Liebe und des Friedens des menschgewordenen Gottessohnes und finde Aufnahme in der Lauterkeit ihrer Handlungen.

Als Unterpfand überreicher himmlischer Gnadenerweise erteilen Wir allen im Namen des göttlichen Erlösers Unsern väterlichen Apostolischen Segen.

Die Weihnachtsbotschaft 1954

Hintergrund: Die Weihnachtsbotschaft 1954, die Papst Pius XII. in diesem Jahr nicht am Heiligen Abend persönlich durch den Rundfunk an die Welt richten konnte, ist am 3./4. Januar 1955 im "Osservatore Romano" veröffentlicht worden und hat folgenden Wortlaut:

"Ecce ego declinabo super eam quasi fluvium pacis - Siehe, ich werde einen Strom des Friedens über sie ausgießen" (Jes 66,12). Diese Verheißung, erfüllt Vom menschgewordenen Wort Gottes im neuen Jerusalem, der Kirche, möge - das ist Unser Wunsch, geliebte Söhne und Töchter des katholischen Erdkreises - noch einmal über die ganze Menschenfamilie hin erschallen, als Segensgruß Unseres Herzens am heutigen Heiligen Abend.

Einen Strom des Friedens über die Welt! Das ist die Sehnsucht, die Wir am längsten in Unserem Innern gehegt, für die Wir am inbrünstigsten gebetet und Uns eingesetzt haben seit dem Tag, andem es der göttlichen Güte gefiel, Unserer bescheidenen Person das hohe und furchtbare Amt des gemeinsamen Vaters der Völker aufzuerlegen, das Amt des Stellvertreters gerade Dessen, dem die Völker als Erbe gehören (Ps 2,8).

Wenn Wir in einer Gesamtschau die verflossenen Jahre Unseres Pontifikates unter dem Blickpunkt des Auftrags zusammenfassen, der sich für Uns aus der alle umschließenden Vaterschaft ergibt, mit der Wir betraut wurden, so scheint Uns, die göttliche Vorsehung habe Uns die besondere Sendung zuweisen wollen, in geduldiger und schier aufreibender Tätigkeit zur Rückführung der Menschheit auf die Pfade des Friedens beizutragen.

Während in Uns beim Herannahen des Weihnachtsfestes die Sehnsucht immer heftiger wurde, zur Krippe des Friedensfürsten hinzueilen, um ihm sein liebstes Geschenk, die befriedete und ganz wie in einer einzigen Familie zusammengefasste Menschheit darzubringen, war Uns statt dessen - in den ersten sechs Jahren - die unsagbare Bitterkeit beschieden, um Uns herum nur Völker in Waffen zu sehen, die die unsinnige Wut gegenseitiger Zerstörung fortriss.

Wir hofften - und mit Uns hofften viele -, dass, nachdem sich die Erregung des Hasses und der Rache endlich erschöpft hätte, alsbald das Morgenrot einer Zeit beständiger Eintracht anbrechen würde. Statt dessen dauerte jener beängstigende Zustand der Not und Gefahr fort, den die öffentliche Meinung mit dem Namen "kalter Krieg" bezeichnet, da er in Wirklichkeit wenig oder nichts mit dem wahren Frieden gemein hatte, vieles aber mit einem Waffenstillstand, der beim geringsten Anstoß ins Wanken kommt. Unsere jährliche Rückkehr Zur Krippe des Erlösers bestand weiterhin in einer kummervollen Darbringung von Schmerzen und Ängsten mit dem sehnlichen Wunsch, daraus den notwendigen Mut zu schöpfen, um nicht nachzulassen, die Menschen Zum Frieden zu mahnen und ihnen den rechten Weg dazu zu weisen.

Können Wir wenigstens jetzt, an der sechzehnten Weihnacht Unseres Pontifikats, jenes Verlangen erfüllen? Wie von vielen versichert wird, ist langsam an die Stelle des kalten Krieges ein Zustand der Entspannung zwischen den streitenden Parteien getreten, gleichsam eine gegenseitige Gewährung des Atemholens, eine Entspannung, der man nicht ohne eine gewisse Ironie den Namen "kalter Friede" gab. So gerne Wir anerkennen, dass er irgendwie einen Fortschritt in dem mühsamen Heranreifen des eigentlichen Friedens darstellt, ist er doch noch nicht das Geschenk, das des Geheimnisses von Bethlehem würdig wäre, wo erschienen ist "die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, unseres Erlösers" (Tit 3, 4). Er widerspricht doch zu sehr dem Geist der Herzlichkeit, Offenheit und Klarheit, der um die Krippe des Erlösers weht.

Was sonst versteht man tatsächlich in der Welt der Politik unter dem kalten Frieden als das bloße Nebeneinanderbestehen verschiedener Völker, das aufrechteterhalten wird durch die gegenseitige Furcht und wechselseitige Ernüchterung? Nun ist es klar, dass die einfache Koexistenz nicht den Namen "Frieden" verdient, den die christliche Überlieferung in der Schule jener hohen Geister Augustinus und Thomas von Aquin als "tranquillitas ordinis - Ruhe in der Ordnung" zu bestimmen gelernt hat. Der kalte Friede ist nur eine vorläufige Ruhe, deren Dauer bedingt ist von der wandelbaren Empfindung der Furcht und der schwankenden Berechnung der jeweiligen Kräfte, während sie nichts von wirklicher "Ordnung" hat, die eine Reihe Von Beziehungen voraussetzt, die auf ein gemeinsames gerechtes und richtiges Ziel ausgerichtet sind. Da zudem jedes Band religiöser Ordnung zwischen den Völkern, die so bruchstückartig "koexistieren", im kalten Frieden fehlt, ist er weit entfernt von jenem Frieden, den der göttliche Meister predigte und wollte und der auf der Einheit der Geister in der gleichen Wahrheit und in der Liebe beruht; der heilige Paulus bezeichnet ihn als "pax Dei", als einen Frieden, der vor allem die Gedanken und die Herzen verpflichtet (vgl. Phil 4,7) und sich auswirkt in einträchtiger Zusammenarbeit auf allen Lebensgebieten, das politische, soziale und wirtschaftliche nicht ausgeschlossen.

Dies ist es, weshalb Wir nicht wagen, den kalten Frieden dem göttlichen Kinde darzubringen. Er ist nicht der einfache und feierliche Friede, von dem die Engel vor den Hirten in der Heiligen Nacht sangen; noch weniger ist er der Friede Gottes, der alles Begreifen übersteigt und der ein Quell tiefinnerer und voller Freude ist (vgl. ebd.); aber er ist nicht einmal jener Friede, von dem die gegenwärtige, schon so sehr heimgesuchte Menschheit träumt. Doch möchten Wir den Mängeln des kalten Friedens im einzelnen nachspüren, damit seine Leere und unsichere Dauer im Herzen der Lenker der Völker und derjenigen, die einen Einfluss auf diesem Gebiet ausüben können, gebieterisch das Verlangen wachrufe, ihn schnellstens in den wahren Frieden zu verwandeln, der in Wirklichkeit Christus selber ist. Ist nämlich der Friede Ordnung und die Ordnung Einheit, so ist Christus der Einzige, der die Menschengeister in der Wahrheit und Liebe einen kann und will. In diesem Sinn zeigt ihn die Kirche den Völkern mit den Worten des Propheten als den Frieden selbst: "Et erit Iste pax" (Mich 5, 5 - vgl. Liturg. Off. D. N. J. c. Regis, passim).

1. Die Koexistenz in der Furcht

Der allgemeine, aus der einfachen Beobachtung der Tatsachen gewonnene Eindruck ist der, dass die hauptsächliche Grundlage, auf welche der gegenwärtige Zustand verhältnismäßiger Ruhe sich stützt, die Furcht ist. Jede der Gruppen, in welche die Menschheitsfamilie geteilt ist, duldet das Bestehen der anderen, weil sie nicht selbst zugrunde gehen will. Auf diese Weise das verhängnisvolle Risiko vermeidend, leben die beiden Gruppen nicht zusammen, sondern sie koexistieren. Es ist kein Kriegszustand, aber auch kein Friede: es ist ein Zustand kalter Ruhe. In jeder der beiden Gruppen herrscht Furcht vor der militärischen und wirtschaftlichen Macht des anderen, in beiden lebt die Angst vor den vernichtenden Wirkungen der neuesten Waffen. Mit sorgenvoller Aufmerksamkeit verfolgt jede Gruppe die technische Entwicklung der Rüstung und die Kapazität wirtschaftlicher Produktion des anderen, während sie der eigenen Propaganda die Aufgabe zuweist, aus der Furcht des Gegners Nutzen zu ziehen und ihre Wirkung noch zu erhöhen und weiter zu verbreiten. Auf dem Feld der praktischen Politik rechnet man, so scheint es, nicht mehr mit anderen Grundsätzen, nämlich solchen der Vernunft oder der Moral; nach so vielen Enttäuschungen scheinen sie von einem vollständigen Zusammenbruch in Skeptizismus hinweggefegt.

Der offensichtlichste Widersinn, der sich aus einem so erbarmungswürdigen Sachverhalt ergibt, ist dieser: die heutige politische Praxis fürchtet zwar den Krieg als schlimmste Katastrophe, verlässt sich aber doch ganz auf ihn, als ob er der einzige Weg zum Fortbestand und die einzige Richtschnur der internationalen Beziehungen wäre. In gewissem Sinne vertraut man auf das, wovor man sich in höchstem Maße fürchtet.

Nun hat aber eine solche politische Praxis viele - auch unter den Regierenden selbst - dazu geführt, das ganze Problem von Friede und Krieg neu zu überprüfen und sich aufrichtig zu fragen, ob die Vermeidung eines Krieges und die Sicherung des Friedens nicht in höheren und menschlicheren Regionen zu suchen seien als in der ausschließlich vom Schrecken beherrschten. So ist die Zahl derer gewachsen, die sich gegen den Gedanken auflehnen, man müsse sich mit der bloßen Koexistenz begnügen und auf lebendigere Beziehungen zu der anderen Gruppe verzichten und man sei gezwungen, alle Tage des Lebens in einer Atmosphäre entnervender Furcht zu verbringen. So sind sie wieder dazu gekommen, die Frage Friede oder Krieg als Gegenstand einer höheren, einer christlichen Verantwortung vor Gott und dem Sittengesetz zu betrachten. Gewiss spricht auch in dieser veränderten Form der Fragestellung das Element "Furcht" mit als Rückhalt gegen den Krieg und Antrieb zum Frieden; aber es handelt sich um die heilsame Furcht Gottes, der der Hüter und Rächer der sittlichen Ordnung ist, und folglich, wie der Psalmist lehrt (Ps 110,10), um den Beginn der Weisheit.

Hat man die Frage auf diese höhere und Vernunftwesen einzig angemessene Ebene verlagert, so stellt sich der Widersinn jener Lehre wieder klar heraus, die in den politischen Schulen der letzten Jahrzehnte tonangebend war: der Krieg sei eine der vielen erlaubten Formen des politischen Handeins, die notwendige, fast natürliche Art, nicht beizulegende Zwistigkeiten zwischen zwei Ländern auszutragen; der Krieg sei also etwas außerhalb jeder sittlichen Verantwortung Liegendes. Als ebenso widersinnig und unannehmbar hat sich der gleichfalls lange Zeit in Geltung stehende Grundsatz erwiesen, wonach der Regierende, der einen Krieg erklärt, nur der Möglichkeit ausgesetzt ist, einen politischen Fehler zu begehen, wenn nämlich der Krieg verloren wird; dass er aber keinesfalls einer sittlichen Schuld oder eines Verbrechens angeklagt werden könne, wenn er, obwohl er es gekonnt hätte, den Frieden nicht gewahrt hat.

Gerade diese unsinnige und unsittliche Auffassung des Krieges ließ in den verhängnisvollen Wochen des Jahres 1939 Unsere Bemühungen, bei bei den Parteien die Bereitschaft zum Verhandeln aufrechtzuerhalten, scheitern. Der Krieg wurde damals als ein Würfel betrachtet, den man mit größerer oder geringerer Vorsicht und Geschicklichkeit werfen kann, nicht als eine sittliche Tat, die das Gewissen und die höhere Verantwortung anging. Es bedurfte der riesigen Gräber- und Ruinenfelder, damit sich das wahre Gesicht des Krieges enthüllte: nicht ein mehr oder weniger glückliches Interessenspiel, sondern die mehr noch seelische als materielle Tragödie von Millionen von Menschen; nicht der Einsatz einiger materieller Werte, sondern der Verlust von allem: eine Sachlage von ungeheurem Ernst.

Wie ist es möglich - so fragten sich damals viele mit der Einfalt und Wahrhaftigkeit des gesunden Menschenverstandes -, dass, während jeder die sittliche Verantwortung für die eigenen ganz gewöhnlichen Handlungen lebendig in sich fühlt, die entsetzliche Tatsache des Krieges, die doch auch die Frucht freier Entschließung irgendeines Menschen ist, sich der Herrschaft des Gewissens soll entziehen können und dass es keinen Richter geben soll, an den die unschuldigen Opfer sich wenden könnten? In jener beginnenden Wiederbesinnung des Volkes fand Unser Ruf: "Krieg dem Kriege" weite Zustimmung, der Ruf, mit dem Wir im Jahr 1944 dem leeren Formalismus politischen Handelns und den von Gott und seinen Geboten losgelösten Lehren vom Krieg den Kampf ansagten. Jene heilsame Wiederbesinnung hat sich in den Jahren des kalten Krieges nicht verflüchtigt, sie hat sich im Gegenteil vertieft und Boden gewonnen, vielleicht weil die anhaltende Erfahrung die Sinnlosigkeit eines von der Furcht überwachten Lebens noch deutlicher gezeigt hat. So hat es also den Anschein, dass der kalte Friede selbst, mit all seinen Ungereimtheiten und Nöten, die ersten Schritte auf eine wirklich sittliche Ordnung und auf die Anerkennung der hohen Lehre der Kirche vom gerechten und ungerechten Krieg, vom erlaubten und unerlaubten Griff nach den Waffen hin tue.

Es wird gewiss dazu kommen, wenn man von der einen wie der anderen Seite mit aufrichtigem, gleichsam religiösem Sinn wieder lernt, den Krieg als Gegenstand der sittlichen Ordnung zu sehen, deren Verletzung wirklich eine Schuld schafft, die nicht ungestraft bleibt. Es wird dazu kommen, wenn die Staatsmänner ganz konkret, noch bevor sie die Vorteile und die Gefahren ihrer Entscheidungen abwägen, sich als persönlich verantwortlich vor den ewigen sittlichen Gesetzen erkennen und die Sache des Krieges als eine Gewissensfrage vor Gott betrachten. In der gegenwärtigen Lage gibt es kein anderes Mittel, die Welt von dem beklemmenden Alp zu befreien, als die Hinwendung zur Gottesfurcht, die den nicht erniedrigt, der sie in sich aufnimmt; die ihn vielmehr vor der Schande des unmenschlichen Verbrechens eines nicht aufgezwungenen Krieges bewahrt. Und wer könnte sich darüber wundern, dass Friede und Krieg sich dabei als eng mit der religiösen Wahrheit verbunden erweisen? Die ganze Wirklichkeit ist von Gott: und gerade im Loslösen der Wirklichkeit von ihrem Ausgangspunkt und Endziel liegt die Wurzel jedes Übels.

Daraus ergibt sich auch klar, dass eine pazifistische Bemühung oder eine Friedenspropaganda, die von ausgesprochenen Gottesleugnern ausgeht, immer höchst zweifelhaft und nicht geeignet ist, das angstvolle Gefühl der Furcht zu mindern oder zu beheben, wenn sie nicht gar absichtlich als taktischer Einsatz verwendet wird, um Unruhe und Verwirrung zu stiften.

Die gegenwärtige Koexistenz in Furcht hat demnach nur zwei Möglichkeiten vor sich: entweder erhebt sie sich zur Koexistenz in Gottesfurcht, und dann zum Zusammenleben in wahrem Frieden, beseelt und überwacht von Gottes sittlicher Ordnung; oder aber sie zieht sich immer mehr zu einer eisigen Lähmung des internationalen Lebens zusammen, deren schwere Gefahren schon jetzt vorauszusehen sind. Die natürliche Lebensentfaltung der Völker auf die Dauer zu unterbinden, könnte diese tatsächlich zuletzt zu eben dem verzweifelten Ausweg führen, den man vermeiden will: zum Krieg. Überdies würde kein Volk auf unbeschränkte Zeit den Wettlauf des Rüstens ertragen, ohne dessen verheerende Wirkungen auf seine normale wirtschaftliche Entwicklung zu spüren. Nutzlos wären selbst Vereinbarungen über eine Begrenzung der Rüstungen. Wenn die sittliche Grundlage der Gottesfurcht fehlt, würden solche Vereinbarungen, wenn sie überhaupt zustande kommen, zur Quelle neuen gegenseitigen Misstrauens werden.

Es bleibt also als leuchtende Hoffnung der andere Weg, der, von der Furcht Gottes ausgehend, mit seiner Hilfe zum wahren Frieden führt; der aber ist Aufrichtigkeit, Wärme, Leben und dadurch würdig Dessen, der uns geschenkt wurde, damit die Menschen in Ihm, und zwar in Fülle, das Leben hätten (vgl. Joh 10,10).

2. Die Koexistenz in der Täuschung

Wenngleich der "kalte Krieg" - und das gleiche gilt für den "kalten Frieden" - die Welt in einer schädlichen Spaltung hält, verhindert er doch bis zu diesem Augenblick nicht, dass in ihr ein intensiver Lebensrhythmus pulsiert. In Wirklichkeit handelt es sich um ein Leben, das sich fast ausschließlich auf wirtschaftlichem Gebiet abspielt. Es ist aber unleugbar, dass die Wirtschaft mit Hilfe des sich überstürzenden Fortschritts der modernen Technik in fieberhafter Tätigkeit so überraschende Ergebnisse erzielt hat, dass man eine tiefgreifende Umformung des Lebens der Völker, auch jener, die man bisher als zurückgeblieben betrachtete, voraussehen darf. Zweifelsohne kann man der Wirtschaft die Bewunderung für das, was sie geleistet hat, wie für das, was sie verspricht, nicht versagen. Dennoch übt sie mit ihrer scheinbar unbegrenzten Fähigkeit, Güter ohne Zahl zu erzeugen, und mit ihren vielfältigen Verflechtungen auf eine große Zahl Zeitgenossen einen Zauber aus, der ihre Möglichkeiten übersteigt und sich auf ihr fremde Gebiete erstreckt. Die Täuschung, die in einem solchen der modernen Wirtschaft entgegengebrachten Vertrauen liegt, verbindet noch einmal die bei den Teile, in welche die Welt von heute zerfällt. In dem einen von ihnen wird gelehrt: Wenn der Mensch eine so große Macht bewiesen hat, dass er die technisch-wirtschaftliche Wunderwelt schaffen konnte, auf die er heute stolz ist, so wird er auch die Fähigkeit haben, die Befreiung des menschlichen Daseins von allen Entbehrungen und allen Übeln, unter denen es leidet, zu organisieren und so eine Art Selbsterlösung zu vollbringen. In dem anderen Teil aber gewinnt die Auffassung Raum, dass von der Wirtschaft, genauer von einer ihrer Sonderformen, dem freien Handel, die Lösung des Friedensproblems zu erwarten sei.

Wir hatten schon andere Male Gelegenheit, auseinanderzusetzen, wie wenig solche Lehren begründet sind. Vor ungefähr hundert Jahren erwarteten die Anhänger des Freihandelssystems von diesem wunderbare Dinge und entdeckten in ihm eine geradezu magische Kraft. Einer seiner begeistertsten Vertreter stand nicht an, den Grundsatz des Freihandels nach seiner Tragweite für die Welt mit dem Gesetz der Schwerkraft, das die Körperwelt beherrscht, zu vergleichen und als ihm eigentümliche Wirkungen die Wiederannäherung der Menschen, das Verschwinden der Gegensätze von Rasse, Glaube und Sprache sowie die Einheit aller Menschen in einem unerschütterlichen Frieden zuzuschreiben (vgl. Richard Cobden, Speeches on questions of public Policy, London, Macmillan & Co., 1870, Bd. I, S. 362-363).

Der Lauf der Ereignisse hat gezeigt, wie trügerisch die Illusion ist, den Frieden dem freien Handel allein anzuvertrauen. Es würde in Zukunft nicht anders gehen, wenn man in diesem blinden Glauben beharrte, der der Wirtschaft eine eingebildet-mystische Macht zuschreibt. Übrigens fehlen gegenwärtig die tatsächlichen Grundlagen, die die allzu rosigen, auch heute von den Nachfolgern jener Lehre gehegten Hoffnungen irgendwie verbürgen könnten. In der Tat, während bei der einen der im kalten Frieden nebeneinander bestehenden Parteien die so hoch gepriesene wirtschaftliche Freiheit noch nicht Wirklichkeit geworden ist, wird sie von der anderen als sinnloses Prinzip schlechthin verworfen. Es besteht zwischen den beiden Gegnern ein durchgehender Gegensatz in der Auffassung der Grundlagen des Daseins selbst, ein Gegensatz, der mit rein wirtschaftlichen Kräften nicht überwunden werden kann. Ja wenn, wie es der Fall ist, Beziehungen von Ursache und Wirkung zwischen der sittlichen und wirtschaftlichen Welt bestehen, muss ihre Wertordnung die sein, dass jener der Vorrang zukommt: der sittlichen Welt kommt es zu, mit ihrem Geist maßgebend auch die Volkswirtschaft zu durchdringen. Ist diese Rangordnung anerkannt und lässt man sie sich praktisch auswirken, dann wird auch die Wirtschaft, soweit sie kann, die sittliche Welt festigen, indem sie die geistig-sittlichen Voraussetzungen und die Kräfte des Friedens stärkt. Andererseits könnte das wirtschaftliche Element dem Frieden, besonders dem als Gleichgewicht von Gruppen verstandenen kalten Frieden ernste Hindernisse entgegenstellen, wenn es mit irrigen Systemen eine der Parteien schwächte. Das würde u. a. geschehen, wenn einzelne Völker einer Gruppe sich ohne Unterscheidung und ohne Rücksicht auf die andern der unaufhörlichen Steigerung der Produktivität und der dauernden Erhöhung der eigenen Lebenshaltung überließen. Unvermeidlich würden sich in diesem Fall Verstimmungen und Rivalitäten bei den anliegenden Völkern und infolgedessen eine Schwächung der ganzen Gruppe ergeben.

Um aber von dieser Sonderüberlegung abzusehen - es ist notwendig, sich davon zu überzeugen, dass die internationalen Wirtschaftsbeziehungen insofern dem Frieden dienen werden, als sie den Forderungen des Naturrechts gehorchen, sich von der Liebe beseelen lassen, Rücksicht auf die anderen Völker nehmen und Quellen der Hilfe sind. Man sei dessen sicher, dass in den Beziehungen der Menschen, auch in den rein wirtschaftlichen, nichts von selbst wird, wie es in der Natur geschieht, die mit Notwendigkeit wirkenden Gesetzen unterworfen ist, sondern dass alles im wesentlichen vom Geist abhängt. Nur der Geist, Ebenbild Gottes und Ausführer seiner Pläne, kann auf Erden Ordnung und Einklang schaffen, und er wird zum Ziel kommen in dem Maß, als er sich zum treuen Künder und gelehrigen Werkzeug des einen und einzigen Erlösers Jesus Christus macht, der selber der Friede ist. Aber noch auf einem anderen Gebiet, einem noch heikleren als dem wirtschaftlichen, sind beide im kalten Frieden koexistierenden Parteien im gleichen Irrtum befangen: er betrifft die Prinzipien, die die Einheit hier und dort beseelen. Während die eine der Parteien ihren festen inneren Zusammenhalt auf eine falsche, ja sogar menschliches und göttliches Recht verletzende, aber doch wirksame Idee gründet, scheint die andere zu vergessen, dass sie schon eine Idee hat, die in sich eins, wahr, mit gutem Erfolg in der Vergangenheit erprobt ist, und sich politischen Grundsätzen zuzuwenden, welche offensichtlich auflösend auf die Einheit wirken.

Im letzten Jahrzehnt, dem nach dem Krieg, brachte eine große Sehnsucht nach geistiger Erneuerung die Gemüter in Wallung: eine starke Einigung Europas zu schaffen, ausgehend von den natürlichen Lebensbedingungen seiner Völker, mit dem Zweck, den überlieferten Gegensätzen zwischen ihnen ein Ende zu machen und den gemeinsamen Schutz ihrer Unabhängigkeit und ihrer friedlichen Entwicklung zu sichern. Diese edle Idee gab der außereuropäischen Welt keine Veranlassung zu Anklage oder Misstrauen, soweit sie Europa guten Willen entgegenbrachte. Es herrschte außerdem die Überzeugung, dass Europa leicht in sich selbst die treibende Idee zur Einheit finden könnte. Aber die späteren Ereignisse und die jüngsten Vereinbarungen, von denen man hofft, dass sie den Weg zum kalten Frieden öffnen, haben den Leitgedanken einer umfassenderen Einigung Europas nicht mehr zur Grundlage. Viele glauben in der Tat, dass die hohe Politik daran sei, zum Typ des Nationalstaates zurückzukehren, der, geschlossen in sich selbst, die Kräfte in sich zusammenballend, unruhig wechselnd in der Wahl seiner Bündnisse, ebenso schädlich wäre wie der im vergangenen Jahrhundert herrschende Typ.

Zu schnell hat man die ungeheuer gehäuften, von diesem Staatstyp erpressten Opfer an Leben und Gut sowie die von ihm auferlegten erdrückenden wirtschaftlichen und seelischen Lasten vergessen. Aber das Wesen dieses Irrtums besteht in der Verwechslung nationalen Lebens im eigentlichen Sinn mit nationalistischer Politik: das erste, Recht und Ehre eines Volkes, kann und soll gefördert werden; die zweite, die Keim unendlichen Übels ist, wird man nie genugsam abweisen. Das nationale Leben ist an sich die Gesamtheit aller jener Kulturwerte, die eigentümlich und charakteristisch für eine bestimmte Gruppe sind und das Band ihrer geistigen Einheit bilden. Gleichzeitig bereichert es als ein besonderer Beitrag die Kultur der ganzen Menschheit. Seinem Wesen nach ist das nationale Leben also etwas Unpolitisches, ja wie Geschichte und praktische Erfahrung beweisen, kann das nationale Leben sich neben anderen im Bereich desselben Staates entwickeln, sich aber auch über dessen politische Grenzen hinaus erstrecken. Das nationale Leben wurde zum Prinzip der Auflösung der Völkergemeinschaft erst dann, als man anfing, es als Mittel zu politischen Zwecken auszunützen, das heißt also, als der zentral organisierte Machtstaat das Nationale zur Grundlage seiner Expansion, seines Ausbreitungsdranges machte. Damit haben wir den· nationalistischen Staat, Keim von Rivalitäten und Zündstoff für Zwietracht.

Wenn die europäische Gemeinschaft auf diesem Weg weiterginge, so würde sich ihr Zusammenhalt als sehr schwach herausstellen im Vergleich zu dem jener Gruppe, die ihr gegenübersteht. Ihre Schwäche würde bestimmt offenbar werden am Tag eines zukünftigen Friedens, der die Aufgabe hätte, mit Klugheit und Gerechtigkeit die noch in der Schwebe gebliebenen Fragen zu regeln. Man sage nicht, dass unter den neuen Verhältnissen die Dynamik des nationalistischen Staates keine Gefahr mehr darstelle für die übrigen Völker, weil ihm in der Mehrzahl der Fälle die entscheidende wirtschaftliche und militärische Kraft fehle; denn auch die Dynamik einer eingebildeten nationalstaatlichen Macht, die mehr in Gefühlen zum Ausdruck kommt als in Taten, weckt gleicherweise Widerwillen, nährt das Misstrauen und den Verdacht bei den Bündnissen, verhindert das gegenseitige Verstehen und infolgedessen die ehrliche Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe, nicht mehr und nicht weniger, als wäre sie im Besitz wirklicher Macht.

Was würde unter solchen Bedingungen aus dem gemeinsamen Band, das die einzelnen Staaten zu einer Einheit zusammenfügen sollte? Was könnte die große und wirksame Idee sein, die sie zuverlässig in der Verteidigung machte und sie nach einem gemeinsamen Kulturprogramm handeln ließe? Manche wollen sie in der einmütigen Ablehnung der der anderen Gruppe eigenen Lebensform sehen, die der Freiheit Gewalt antut. Zweifellos, der Widerwille gegen die Sklaverei hat seine Bedeutung, aber er ist etwas Negatives und hat nicht die Kraft, die Menschen mit der gleichen Kraft zum Handeln anzuspornen wie eine positive und absolute Idee. Eine solche könnte dagegen die Liebe zu der gottgewollten, in Einklang mit den Erfordernissen des Gemeinwohls stehenden Freiheit oder die Idee des Naturrechts als Grundlage des inter- und überstaatlichen Aufbaus sein. Nur diese und ähnliche geistig-sittliche Ideen, die schon seit vielen Jahrhunderten zum Erbgut des christlichen Europa gehören, können den Vergleich mit der falschen, aber kraftvollen Idee aushalten - und sie sogar in dem Maß, als sie lebendige Tat werden, übertreffen -, die dem Anschein nach, nicht ohne das Zutun der Gewalt, den Zusammenhalt der anderen Gruppe schafft: die Idee eines irdischen Paradieses, das Wirklichkeit wird, sobald es gelingt, eine bestimmte Organisationsform des menschlichen Zusammenlebens aufzubauen. Sosehr diese Idee eine Täuschung ist - es gelingt ihr doch, wenigstens äußerlich, eine geschlossene und harte Einheit herzustellen und von unwissenden Massen angenommen zu werden; sie vermag ihre Anhänger zur Tat zu begeistern und sie zu Opfern zu verpflichten. Die gleiche Idee gibt ihren Führern in dem politischen Zusammenschluss, der sie sichtbar verkörpert, eine starke Macht der Verführung und ihren Anhängern die Kühnheit, als Vortrupp die Reihen der andern Gruppe zu durchsetzen.

Europa dagegen wartet noch auf das Erwachen eines eigenen Bewusstseins. In dem, was es als Erfahrung und Weisheit, als Organisation gesellschaftlichen Lebens und als Kultureinfluss darstellt, scheint es inzwischen in nicht wenigen Gebieten der Erde an Boden zu verlieren. In Wirklichkeit ist dieser Rückzug der seiner nationalstaatlichen Vertreter; sie sind gezwungen, sich vor Gegnern zurückzuziehen, die sich gerade ihre Methode zu eigen gemacht haben. Besonders bei gewissen Völkern, die bisher als Kolonialvölker galten, wandelte sich der Prozess organischen Reifens zu staatlichem Eigensein, den Europa mit Umsicht und Eifer hätte lenken müssen, jählings in Explosionen eines Nationalismus, der nach Macht drängt. Wir müssen bekennen, dass auch diese unvorhergesehenen Brände zum Schaden für das Ansehen und die Interessen Europas wenigstens zum Teil die Frucht seines schlechten Beispiels sind.

Handelt es sich für Europa nur um ein augenblickliches Versagen? Auf jeden Fall: das, was bleiben muss und zweifellos bleiben wird, ist das echte Europa, die Fülle all der geistig-sittlichen und kulturellen Werte, die das Abendland aufgehäuft hat, aus den Reichtümern seiner einzelnen Nationen schöpfend, um sie der ganzen Welt auszuteilen. Europa wird nach den Fügungen der göttlichen Vorsehung auch noch weiterhin Hort und Spender dieser Werte sein können, wenn es versteht, sich auf sein eigenes geistiges Wesen zurückzubesinnen und der Vergötzung der Macht abzuschwören. Wie in der Vergangenheit die Quellen seiner Kraft und seiner Kultur im höchsten Grade christlich waren, so muss es sich zur Rückkehr zu Gott und den christlichen Idealen entschließen, wenn es Grundlage und Band seiner Einheit und seiner wahren Größe wieder finden will. Und wenn jene Quellen teilweise vertrocknet zu sein scheinen, wenn jenes Band zu zerreißen und das Fundament seiner Einheit zu zerbrechen droht, so fällt die geschichtliche oder gegenwärtige Verantwortung auf beide Parteien, die sich heute in angstvoller gegenseitiger Furcht gegenüberstehen.

Diese Gründe müssten für die Menschen guten Willens im einen wie im anderen Lager genügen, um zu ersehnen, zu beten und zu handeln, dass die Menschheit frei werde vom Rausch der Macht und der Vormachtstellung, und dass der Geist Gottes die Oberherrschaft über die Welt führe, wo einstmals der Allmächtige selbst kein anderes Mittel wählte, um die zu retten, die er liebte, als sich zum schwachen Kind in einer armen Krippe zu machen. "Denn ein Kind ist uns geboren, und ein Sohn ist uns geschenkt, und Herrschaft ruht auf seiner Schulter" (Jes 9, 6; vgl. Intr. der 3. Messe von Weihnachten).

3. Die Koexistenz in der Wahrheit

So traurig es ist, festzustellen, wie der gegenwärtige Bruch in der Menschheitsfamilie sich zuerst zwischen Menschen vollzog, die denselben Heiland Jesus Christus kannten und anbeteten, so scheint Uns trotzdem die Zuversicht begründet, in eben Seinem Namen könne eine Brücke von Ufer zu Ufer geschlagen und das schmerzhaft zerrissene gemeinsame Band wiederhergestellt werden.

Man hofft tatsächlich, dass die heutige Koexistenz die Menschheit dem Frieden näher bringt. Um aber diese Erwartung zu rechtfertigen, muss es irgendwie eine Koexistenz in der Wahrheit sein. Doch lässt sich aus der Wahrheit eine Brücke zwischen diesen beiden getrennten Welten nur errichten, wenn sie sich auf die in der einen und der anderen Welt lebenden Menschen stützt, nicht aber auf ihre Regierungsformen oder gesellschaftlichen Systeme. Denn während sich die eine der bei den Parteien noch in weitem Umfang, bewusst oder unbewusst, bemüht, das Naturrecht zu wahren, hat sich das auf der anderen Seite geltende System vollständig von dieser Grundlage gelöst. Ob nun ein einseitiger Supranationalismus eine solche Haltung einfach übersehen will, mit der Begründung, dass wir ja in der Welt der Erlösung leben und darum der Naturordnung entzogen seien; oder ob man darauf besteht, den kollektivistischen Grundcharakter jenes Systems als "geschichtliche Wahrheit" anzuerkennen, in dem Sinn, dass auch er dem Willen Gottes entspreche: dies sind Irrtümer, denen ein Katholik in keinem Fall unterliegen darf.

Der richtige Weg ist ein ganz anderer. In beiden Lagern gibt es Millionen, die mehr oder weniger lebendig die Spur Christi bewahrt haben: sie alle sollten nicht weniger als die treuen und eifrigen Gläubigen aufgerufen werden, mitzuwirken, die Grundlage der Einheit der Menschheitsfamilie zu erneuern. Es ist wahr, dass auf der einen Seite die Stimme der Menschen, die entschlossen für die Wahrheit, die Liebe, den Geist einstehen, durch den Druck der öffentlichen Gewalt erstickt wird und dass man auf der anderen das Verlangen nach dem Guten zu schüchtern kundgibt; es ist jedoch Pflicht der Politik der Einigung, die einen zu ermutigen und die Wünsche der anderen aufzugreifen. Auf der Seite besonders, wo es kein Verbrechen ist, sich gegen den Irrtum zu stellen müssten die Staatsmänner ein größeres Selbstvertrauen besitzen, den anderen mehr festen Mut zeigen beim Vereiteln der Drohungen der finsteren Mächte, die immer wieder versuchen, eine Herrschaft der Gewalt zu errichten; sie sollten klug und nachdrücklich die Scharen der Menschen guten Willens zusammenhalten und verstärken, an erster Stelle derer, die an Gott glauben. Ihrer zählt die Sache des wahren Friedens überall viele. Es wäre sicher eine irrige Politik der Vereinheitlichung, wenn nicht geradezu Verrat -, nationalstaatlichen Interessen völkische Minderheiten zu opfern, die nicht die Macht haben, ihre höchsten Güter, ihren Glauben und ihre christliche Kultur zu verteidigen. Die das täten, wären unglaubwürdig und handelten nicht ehrlich, wenn sie sich dann in den Fällen, wo ihr Interesse es verlangte, auf die Werte der Religion und die Achtung vor dem Recht beriefen.

Viele bieten sich an, die Grundlage für die Einigung der Menschen zu schaffen. Da jedoch diese Grundlage oder Brücke geistig-sittlicher Natur sein muss, sind sicher die Skeptiker und Zyniker, die nach der Schule eines mehr oder minder verhüllten Materialismus sogar die erhabensten Wahrheiten und die höchsten geistigen Werte auf physische Reaktionen zurückführen oder von bloßen Ideologien sprechen, für diese Aufgabe nicht geeignet. Ebenso sind dafür jene nicht geeignet, die weder unbedingt verbindliche Wahrheiten anerkennen, noch sittliche Pflichten auf dem Gebiet des sozialen Lebens annehmen. Diese letzteren, die es schon in der Vergangenheit durch ihren Missbrauch der Freiheit und durch eine alles niederreißende und unvernünftige Kritik häufig unbewusst dahin brachten, dass sich ein günstiges Klima für Diktatur und Unterdrückung vorbereitete, drängen sich von neuem nach vorn, um das Werk einer sozialen und politischen Befriedung, die aus christlichem Geist in Angriff genommen wurde, in Verwirrung zu bringen. Da und dort kommt es immer wieder vor, dass sie ihre Stimme gegen solche erheben, die sich bewusst, als Christen, mit vollem Recht den Problemen der Politik wie überhaupt des öffentlichen Lebens widmen. Bisweilen setzen sie auch die Sicherheit und Kraft herunter, die der Christ aus dem Besitz der absoluten Wahrheit schöpft, und verbreiten im Gegensatz dazu die Überzeugung, es gereiche dem modernen Menschen.zur Ehre und es sei ein Vorzug seiner Erziehung, keine festen Ideen und keine bestimmten Ziele zu haben, auch nicht an irgendeine geistig-sittliche Welt gebunden zu sein. Inzwischen vergisst man, dass gerade in solchen Grundsätzen die heutige Verwirrung und Unordnung ihren Ursprung hat, und man will sich nicht daran erinnern, dass gerade die christlichen Kräfte, die sie heute bekämpfen, es in vielen Ländern fertigbrachten, die von ihnen selbst vergeudete Freiheit wiederherzustellen. Von solchen Menschen kann die Brücke der Wahrheit und die gemeinsame geistige Basis sicher nicht gebaut werden; vielmehr ist zu erwarten, dass sie, je nach der Lage, es nicht unangebracht finden, mit dem falschen System des anderen Ufers zu sympathisieren, wobei sie sich selbst damit abfinden würden, von ihm umgestürzt zu werden, wenn es vorübergehend triumphieren sollte. Während Wir also, im Vertrauen auf die göttliche Güte, darauf warten, dass die geistige, christliche Brücke, die zwischen den beiden Ufern in etwa schon besteht, breiter und tragfähiger werde, möchten Wir in erster Linie an die Christen jener Länder, in denen man sich noch des Gottesgeschenkes des Friedens erfreut, die Mahnung richten, alles nur mögliche zu tun, um die Stunde seiner allgemeinen Wiederherstellung zu beschleunigen. Vor allem mögen sie davon überzeugt sein, dass der Besitz der Wahrheit, wenn sie sie in sich selbst verschlossen halten als Gegenstand ihrer Kontemplation, um seelischen Genuss daraus zu ziehen, der Sache des Friedens nicht dienen würde. Die Wahrheit muss gelebt, weitergegeben, auf alle Lebensbereiche angewandt werden. Auch die Wahrheit, zumal die christliche, ist ein Talent, das Gott in die Hand seiner Diener legt, damit es durch ihre Unternehmungen Frucht bringe in Werken zum Heile aller. Die Besitzer der Wahrheit möchten Wir alle fragen, bevor es der ewige Richter tut, ob sie jenes Talent so angelegt haben, dass sie die Einladung des Herrn verdienen, einzugehen in die Freude seines Friedens. Wie viele, vielleicht auch katholische Priester und Laien, müssten sich den Vorwurf machen, dass sie stattdessen diesen und anderen geistigen Besitz wegen ihrer Trägheit oder ihrer Unempfindlichkeit gegenüber den menschlichen Nöten im eigenen Herzen vergraben haben! Insbesondere würden sie sich schuldig machen, wenn sie es duldeten, dass das Volk beinahe ohne Hirten bliebe, während der Feind Gottes mit Hilfe seiner mächtigen Organisation unter den nicht fest genug in der Wahrheit geformten Menschen Verheerungen anrichtet. Gleicherweise wären Priester und Laien verantwortlich, wenn das Volk von der christlichen Liebe nicht jene tätige Hilfe erhielte und erführe, die Gottes Wille vorschreibt. Auch jene Priester und Laien würden nicht ihre Pflicht erfüllen, die freiwillig Augen und Mund verschlössen gegenüber den sozialen Missständen, deren Zeugen sie sind, und so Anlass böten zu ungerechtfertigten Angriffen auf die Fähigkeit des Christentums zu sozialem Handeln und auf die Wirksamkeit der Soziallehre der Kirche, die dank der Gnade Gottes auch in den letzten Jahrzehnten so viele und offensichtliche Beweise ihrer Kraft geliefert hat. Wo das geschähe, würden auch sie die Verantwortung daran mittragen, dass in dem einen oder anderen Fall Jugendgruppen, ja sogar Seelsorger einem irrigen Radikalismus und Progressismus verfielen.

Noch schwerere Folgen für die soziale und auch für die politische Ordnung würde das Verhalten jener Christen nach sich ziehen - ob sie sich nun in gehobener oder niederer Stellung befinden und sie mehr oder weniger wohlhabend sind -, die sich nicht entschlössen, die eigenen sozialen Verpflichtungen in der Führung ihrer wirtschaftlichen Angelegenheiten anzuerkennen und zu beobachten. Jeder, der nicht bereit ist, den Gebrauch der privaten Güter im richtigen Maße mit der gemeinsamen Wohlfahrt in Übereinstimmung zu bringen, sei es frei gemäß der Stimme des eigenen Gewissens, sei es vermittels organisierter Formen öffentlichen Charakters, der trägt, soweit es auf ihn ankommt, dazu bei, das unentbehrliche Vorwalten der persönlichen Initiative und Verantwortung im sozialen Leben zu unterbinden.

In den demokratischen Systemen kann man leicht einem solchen Irrtum verfallen, wenn das Einzelinteresse unter den Schutz jener kollektiven oder Partei-Organisationen gestellt wird, von denen man den Schutz der Summe der Einzelinteressen anstatt die Förderung des Allgemeinwohls verlangt. Auf diese Weise wird die Wirtschaft leicht zur Beute anonymer Kräfte, die sie politisch beherrschen.

Geliebte Söhne und Töchter! Wir sind der göttlichen Güte dankbar, dass sie Uns noch einmal gewährt hat, als sorgender Vater euch die Wege des Guten zu weisen. Möge die Erde, überflutet vom Strom des wahren Friedens, Gott im höchsten Himmel lobsingen! "Transeamus usque Bethlehem!" (Lk 2,15.) Kehren wir zurück zur Krippe der Aufrichtigkeit, Wahrheit und Liebe, wo der Eingeborene Sohn Gottes sich als Mensch den Menschen schenkt, damit die Menschheit in ihm wieder ihr Band der Einheit und ihren Frieden entdecke. "Hodie nobis de coelo pax vera descendit" (Off. in Nativ. Dom., Resp. ad II lect.). Auf dass die Erde würdig sei, ihn zu empfangen, rufen Wir auf alle den Reichtum der göttlichen Segnungen herab.