Convenientes ex universo mundo (Wortlaut)

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Dokument der Zweiten Vollversammlung der Bischofssynode
Convenientes ex universo mundo

unter Vorsitz von Papst
Paul VI.
über die Gerechtigkeit in der Welt
30. September bis 6. November 1971

(Offizieller lateinischer Text: AAS LXIII [1971] 923-942)

(Quelle: Römische Bischofssynode 1971, Der priesterliche Dienst, Gerechtigkeit in der Welt, Herausgegeben von der Deutschen Bischofskonferenz, Paulinus Verlag Trier 1972, S. 41-70, Mit kirchlicher Druckerlaubnis ISBN 3-7902-4230-6)

Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


EINLEITUNG

Mit allen, die an Christus glauben, und mit allen Menschen verbunden, sind wir aus der ganzen Welt zusammengekommen. Wir haben unser Herz dem Geist geöffnet, der alles erneuert, und über den Auftrag beraten, den das Volk Gottes zur Förderung der Gerechtigkeit in der Welt hat.

Wir haben uns bemüht, die Zeichen der Zeit und den Sinn des heutigen Geschehens zu erkennen. Wir machten uns die Mühen und Fragen jener zu eigen, die eine menschlichere Welt aufbauen wollen. So bemühen wir uns, auf das Wort Gottes zu hören, durch das wir uns der Aufgabe zuwenden, den Heilsplan Gottes mit der Welt zu verwirklichen. Auch wenn es uns nicht möglich ist, eine genauere Analyse der Weltsituation zu erarbeiten, so können wir doch schlimme Ungerechtigkeiten feststellen. Sie überspannen wie ein Netz die ganze Erde mit Herrschafts­ansprüchen, Unterdrückungen und anderen üblen Methoden, die die Freiheit ersticken und den größten Teil der Menschheit daran hindern, sich am Aufbau einer gerechteren und brüderlicheren Welt zu beteiligen und davon Nutzen zu haben.

Zugleich aber haben wir eine Bewegung entdeckt, die die Welt zuinnerst ergriffen hat. Es zeichnen sich Vorgänge ab, die zu einer größeren Gerechtigkeit führen. In kleineren Gruppen und auch in ganzen Völkern wächst ein neues Bewußtsein, das sie aus der untätigen Hinnahme eines blinden Schicksals herausreißt und sie antreibt, sich daraus zu befreien und selbst die Verantwortung für ihr Schicksal auf sich zu nehmen. Unter den Menschen lassen sich Bewegungen feststellen, in denen sich die Hoffnung auf eine bessere Welt und der Wille abzeichnet, alles zu ändern, was nicht länger geduldet werden kann.

Während wir den Schrei derer hören, die Gewalt leiden und durch ungerechte Systeme und Mechanismen mit Füßen getreten werden, während wir den Protest der Welt hören, die durch ihre Verkehrtheit dem Plan des Schöpfers widerspricht, sind wir uns gemeinsam der Berufung der Kirche bewußt, in der sie mitten in der Welt den Armen die frohe Botschaft, den Unterdrückten die Befreiung und den Unglücklichen die Freude verkündet. Die Hoffnungen und Antriebe, die die Welt zutiefst bewegen, sind der Dynamik des Evangeliums nicht fremd, das in der Kraft des Heiligen Geistes den Menschen von seiner persönlichen Schuld und deren Folgen für das soziale Leben befreit.

Die Ungewißheit der Geschichte und die gemeinsamen in Schmerzen geborenen Bemühungen der Menschheit auf dem Weg nach oben führen uns zur Heilsgeschichte. In ihr hat sich Gott uns geoffenbart und uns seinen Plan zur Erlösung und zu unserem Heil kundgetan, wie es sich allmählich verwirklicht und ein für allemal im Pascha Christi erfüllt ist. Der Einsatz für die Gerechtigkeit und die Teilnahme an der Umgestaltung der Welt erscheinen uns als wesentlicher Bestandteil der Verkündigung des Evangeliums und der Sendung der Kirche zur Erlösung der Menschen und zur Befreiung von jeder Art Unterdrückung.


I. GERECHTIGKEIT UND MENSCHLICHE GESELLSCHAFT

Die Krise der weltweiten Solidarität

Die Welt, in der die Kirche lebt und handelt, ist in furchtbare Widersprüche verwickelt. Niemals zuvor haben sich die Kräfte, die sich für die Einheit der Menschen und ihre Gesellschaft einsetzen, so stark und mächtig erwiesen. Sie wurzeln in dem Bewußtsein der fundamentalen Gleichheit und Würde aller Menschen. Da sie Glieder der einen Menschheitsfamilie sind, sind sie unlösbar in der einen Bestimmung der Welt verbunden, für die sie mitverantwortlich sind.

Die modernen technischen Errungenschaften sind getragen von der Einheit der Wissenschaft, von einer weltumspannenden und blitzartigen Nachrichten­vermittlung und nicht zuletzt vom Entstehen einer weltweiten Wirtschafts­gemeinschaft, in der alles zusammenhängt. Weil die Menschen einsehen, daß die Naturschätze, der lebensnotwendige Vorrat an Luft und Wasser und die kleine anfällige Biosphäre auf Erden nicht unbegrenzt, sondern als gemeinsames Gut der ganzen Menschheit sorgsam zu schützen sind, gewinnen sie allmählich eine neuere, tiefere und kostbarere Sicht der Einheit.

Der Widerspruch liegt darin, daß innerhalb dieser Sicht die trennenden und parteiischen Kräfte ihren Einfluß zu vergrößern scheinen. Die Nationen und Staaten, die Stämme und Klassen haben heute für ihre alten Spannungen neue technische Zerstörungswaffen. Der Rüstungswettlauf bedroht das hohe Gut des Menschen, das Leben. Er macht die armen Völker und Menschen noch ärmer und bereichert nur die Mächtigen. Er schafft eine ständige Kriegsgefahr und droht, bei Anwendung von Nuklearwaffen, alles Leben auf der Erde zu zerstören. Gleichzeitig entstehen neue Spaltungen, durch die die Menschen voneinander getrennt werden: Wenn man dem Einfluß der neuen industriellen und technischen Organisationsverbände nicht durch soziales und politisches Handeln entgegentritt und ihn in seine Grenzen verweist, dann fördert er die Konzentration von Reichtum, Macht, Entscheidungsbefugnissen eines kleinen Kreises öffentlicher und privater Manager. Die wirtschaftliche Ungerechtigkeit und das Fehlen sozialer Mitbeteiligung schließen den Menschen von den fundamentalen Menschen- und Bürgerrechten aus.

Die in den letzten 25 Jahren in der Menschheit aufgekeimte Hoffnung, der wirtschaftliche Fortschritt werde so viele Güter erzeugen, daß sich die Armen wenigstens mit den Brosamen vom Tisch der Reichen nähren könnten, ist in den Entwick­lungsländern und in armen Gebieten reicherer Länder zunichte geworden. Die Gründe dafür sind: der rasche Geburten­zuwachs, die große Zahl der Arbeiter, die Stagnation der Landwirtschaft und das Ausbleiben der Agrarreform, die allgemeine Abwanderung in die Städte, wo einträgliche, reich subventionierte Industrien doch nur wenige Arbeitsplätze bie­ten, so daß einer von vieren arbeitslos bleiben muß. Diese erstickende Unterdrückung schafft unablässig eine Menge von Randexistenzen des sozialen Lebens, die ungenügend ernährt, menschenunwürdig untergebracht, Analphabeten sind, ohne politische Rechte, ohne entsprechende Voraussetzung zu Ver­antwortung und sittlicher Würde.

Außerdem ist die Nachfrage der reichen Länder – kapitalisti­scher wie sozialistischer – nach Rohstoffen oder Energie (ähnlich wie die durch deren Verbrauch verursachte Ver­schmutzung von Luft und Wasser) so groß, daß wesentliche Elemente des Lebens auf Erden, wie Luft und Wasser, unheilbar vergiftet würden, wenn der hohe Konsum und die hohe Verschmutzung noch weiter wachsend auf die ganze Menschheit übergriffe.

Daß sich in der heutigen Welt neue Erkenntnisse der mensch­lichen Würde herausbilden, hat seinen Grund in dem mächtigen Verlangen nach Einheit der Welt, in der ungleichen Verteilung, wodurch drei Viertel der Einkünfte, des Geldes, des Handels bei einem Drittel der Menschheit, dem fortgeschrittenen, liegen. Zugleich erkennen wir, wie wenig der rein wirtschaftliche Fortschritt genügen kann und wie sehr die Biosphäre begrenzt ist.


Recht auf Fortschritt

  Angesichts der internationalen Machtsysteme hängt die Ver­wirklichung der Gerechtigkeit mehr und mehr vom Willen ab, sie zu fördern.

In den Entwicklungsländern und in der sozialistischen Welt zeigt sich dieses Bemühen vor allem in der Bereitschaft, für das Recht auf Meinungsfreiheit und die Rechte der Person zu kämpfen, was die Entwicklung des Wirtschafts­systems selbst mit sich bringt.

Dieses Verlangen nach Gerechtigkeit wird dann deutlich, wenn der Punkt überwunden wird, an dem jemand – gleich ob ein einzelner oder alle Menschen – sich bewußt wird, daß er mehr ist und mehr gilt (Populorum progressio Nr. 5 AAS 59 [1967] 265). Es zeigt sich ebenso in dem Wissen um das Recht auf Fortschritt. Dieses Recht ist in der gegen­seitigen lebendigen Durchdringung jener menschlichen Grund­rechte zu erkennen, in denen die Hoffnungen des einzelnen und der Völker gründen.

Aber dieses Streben kann das, was unsere Zeit wünscht, nicht erfüllen, wenn es die Hindernisse übersieht, die von seiten der Sozialstrukturen einer Bekehrung der Herzen oder auch der Verwirklichung der echten Liebe entgegenstehen. Es fordert im Gegenteil, daß das Los eines Randdaseins in der Gesellschaft und die Schranken und Unheilskreise, die schon System geworden sind, beseitigt werden. Diese verhindern den Aufstieg der Gesellschaft zu einer gerechten Entlohnung der Arbeiter und verfestigen die Ungleichheit sogar so weit, daß sie manche von den allgemeinen Vorteilen und Dienstleistungen ausschließen. So wird ein großer Teil der Bürger benachteiligt. Wenn die einzelnen Entwicklungs­länder und Entwicklungs­gebiete durch den Fortschritt ihre Befreiung nicht erreichen, besteht die ernste Gefahr, daß sich ihre Lebensbedingungen, die einst die Kolonialherrschaft schuf, zu einer neuen Form des Kolonialismus entwickeln, wodurch sie dem Kräftespiel der internationalen Wirtschaft ausgeliefert würden. Das Recht auf Fortschritt ist vor allem ein Recht auf eine Hoffnung, die dem Stand entspricht, den die heutige Menschheit tatsächlich erreicht hat. Die rechte Antwort auf diese Hoffnung verlangt, daß der Begriff der Evolution von den mythischen und falschen Vorstellungen befreit wird, denen eine Geisteshaltung zugrunde liegt, die im Fortschritt einen vorherbestimmten und gleichsam auto­matisch ablaufenden Prozeß sieht.

In dem Maß die Entwicklungsländer – auch wenn es ihnen nicht ganz gelingt – mit starkem Willen zum Fortschritt ihr künftiges Schicksal selbst in die Hand nehmen, machen sie ihre Eigenart authentisch klar. Als Abhilfe gegen die Ungerechtigkeit und Ungleichheit der heutigen Sozialstrukturen läßt ein verantwortungsvolles Nationalbewußtsein diese Völker ihr eigenes Wesen suchen. Die grundsätzliche Selbstbestimmung kann zu Versuchen führen, neue politische Gebilde aufzu­bauen, die diesen Völkern einen vollen Fortschritt ermöglichen. Sie kann Pläne zur Überwindung der Trägheit reifen lassen, die – wie der demographische Druck – diese Bemühungen vereiteln. Sie kann auch von der Generation, die ihre Zukunft selbst aufbauen will, neue, durch die zunehmende Planung geforderte Opfer verlangen.

Anderseits kann man sich keine echte Entwicklung der Gesell­schaft vorstellen, ohne im Rahmen der gewählten politischen Konzeption die Notwendigkeit eines Fortschritts anzuerkennen, der wirtschaftliches Wachstum und Mitbeteiligung verbindet. Außerdem gilt es, den Reichtum so zu mehren, daß er den sozialen Fortschritt der gesamten Menschheit mit sich bringt, damit diese die ungerechten regionalen Unterschiede beseitigt und den Überfluß mancher Gebiete verteile. Die Mitbeteiligung aber ist ein Recht, das im wirtschaftlichen, sozialen und politischen Bereich angewendet werden muß.

Wir bejahen das Recht der Völker auf ihre Eigenart, sehen jedoch immer klarer, daß der Kampf gegen eine Moderni­sierung, die sie verwischt, völlig aussichtslos ist, wenn er sich nur auf heilige geschichtliche Überlieferungen und ehr­würdiges Brauchtum beruft. Die Menschen vermögen nur dann eine Kultur zu schaffen, wenn eine Modernisierung durchgeführt wird, die dem Wohl des Volkes dient. Eine solche Kultur bildet ein wahres und eigentliches Erbe nach Art eines sozialen Gedächtnisses heraus, von dem eine Wirkung ausgeht und das im Konzert der Völker eine schöpferische Kraft formt.


Schweigende Opfer der Ungerechtigkeit

Wir müssen leider in der Welt ein Knäuel von Ungerechtig­keiten feststellen, die das Kernproblem unserer Zeit bilden. Es zu lösen müssen sich alle Schichten der Gesellschaft mühen und plagen, auch die der Weltgesellschaft, auf die wir uns im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts hinbewegen. Wir müssen bereitwillig neue Aufgaben und Pflichten in allen Bereichen menschlicher Tätigkeit vor allem auf Weltebene übernehmen, wenn die Gerechtigkeit verwirklicht werden soll. Dabei sollen wir besonders die Menschen und die Nationen im Auge haben, die auf Grund der verschiedensten Formen von Unterdrückung und wegen der Struktur und Haltung unserer Gesellschaft schweigen müssen und nicht einmal das Recht zum lauten Protest haben.

Da sind die Emigranten, die sich oft gezwungen sehen, ihre Heimat zu verlassen, um Arbeit zu finden. Sie werden oft sozial diskriminiert und stehen damit vor verschlossenen Türen. Wenn ihnen aber eine aufgetan wird, dann bleibt ihr Leben ungesichert oder ihre Behandlung menschenunwür­dig. Da gibt es die sozial Zurückgebliebenen, zum Beispiel die Arbeiter und vor allem die Bauern, die am meisten am Fortschritt mitwirken. Besonders beklagenswert ist das Los der Unzähligen aus allen Gruppen und Nationen, die im Exil leben müssen und – manchmal sogar auf Grund von Gesetzen – wegen ihrer Rasse oder Abstammung verfolgt werden. Ja, die Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stamm kann geradezu die Formen eines Völkermordes annehmen. Vielerorts wird die Gerechtigkeit dadurch verletzt, daß man Menschen um ihres Glaubens willen verfolgt, daß politische Parteien oder staatliche Be­hörden sie mit Gewalt und gegen jedes Recht zu Atheisten machen wollen und sie der Religionsfreiheit berauben: Ent­weder man verweigert ihnen, Gott öffentlich zu verehren, oder es wird ihnen der öffentliche Religionsunterricht oder die Verbreitung ihres Glaubens nicht erlaubt, oder es wird ihnen nicht gestattet, ihr Leben und Tun nach dem Glauben zu richten. Die Gerechtigkeit wird weiter durch alte und neue Formen der Unterdrückung verletzt, durch die die persönlichen Rechte bis hin zu den elementaren Voraussetzungen der persönlichen Existenz eingeschränkt werden, wie das durch repressive Maß­nahmen der politischen Macht und durch Gewalttaten ein­zelner geschieht. Bekannt sind Fälle von Folterungen, vor allem politischer Gefangener, denen nicht selten ein ordent­liches Gerichtsverfahren verweigert wird oder die rein will­kürlich verurteilt werden. Man darf auch die Kriegsgefangenen nicht vergessen, die entgegen der Genfer Konvention un­menschlich behandelt werden.

Der Protest gegen den legalisierten Schwangerschaftsabbruch, gegen den Zwang zur Anwendung von Verhütungsmitteln, gegen den Krieg ist eine deutliche Form des Rechtsanspruches auf das Leben.

Das heutige Bewußtsein verlangt überdies Wahrhaftigkeit in den Massenmedien. Das schließt auch das Recht auf objektive Bildbericht­erstattung ein und auf die Möglichkeit von Kor­rekturen, wenn die Wirklichkeit verzerrt wird.

Ebenso ist darauf hinzuweisen, daß heute das Recht, vor allem der Kinder und jugendlichen auf Erziehung, auf Lebens­raum und auf sittlich einwandfreie Kommunikationsmittel bedroht ist. Die Rolle der Familie im sozialen Leben wird von den Regierungen nur selten und nur unzureichend anerkannt. Nicht zu vergessen ist die immer größer werdende Zahl derer, die von der Familie und der Gesellschaft im Stich gelassen werden: die Alten, die Waisen, die Kranken.


Die Notwendigkeit des Dialogs

Die menschliche Gesellschaft verlangt eine Gemeinsamkeit der Ziele. Dazu braucht man „Vermittlung", um täglich die Gegensätze, Hindernisse und veralteten Privilegien zu über­winden, die sich dem Bemühen um eine menschlichere Gesell­schaft in den Weg stellen. Das setzt aber voraus, daß eine verläßliche Atmosphäre des Gesprächs geschaffen wird. Um sie zu verwirklichen, könnten sich alle zusammentun, für die geopolitische, ideologische, soziale und wirtschaftliche sowie Generations­unter­schiede nichts bedeuten. Um dem Leben durch Anerkennung der wahren menschlichen Werte wieder einen Sinn zu geben, ist die Teilnahme und das Zeugnis der heranwachsenden Generation ebenso wichtig wie die Verständigung unter den Völkern.


II. DIE BOTSCHAFT DES EVANGELIUMS UND DIE SENDUNG DER KIRCHE

Angesichts der heutigen Weltsituation, die durch die große Sünde der Ungerechtigkeit gezeichnet ist, erfahren wir unsere Verantwortung und zugleich unser Unvermögen, sie mit unse­ren eigenen Kräften zu überwinden. Diese Situation ruft uns auf, demütig und offen auf Gottes Wort zu horchen, der uns neue Wege zum Durchsetzen der Gerechtigkeit in der Welt zeigt.

Gottes Gerechtigkeit als Heil durch Christus

  Im Alten Testament offenbart sich uns Gott als Befreier der Unterdrückten und als Verteidiger der Armen, der von den Menschen den Glauben an ihn und die Gerechtigkeit gegen den Nächsten fordert. Nur wo die Gerechtigkeit und ihre Forderungen erfüllt werden, wird Gott wirklich als Be­freier der Unterdrückten erkannt.

In seinem Wirken und seiner Lehre verband Christus unlösbar die Beziehung des Menschen zu Gott mit der Beziehung zum Nächsten. Er lebte sein Leben in der Welt als radikale Hingabe seiner selbst an Gott zum Heil und zur Erlösung der Menschen. In seiner Botschaft verkündigte er, daß Gott der Vater aller Menschen ist und in seiner Gerechtigkeit für alle Armen und Unterdrückten eintritt (Lk 6, 21-23). So machte sich Christus mit seinen geringsten Brüdern solida­risch: „Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan" (Mt 25, 40).

Von den allerersten Anfängen an lebte die Kirche Tod und Auferstehung Christi und erkannte darin den Ruf Gottes zur Bekehrung im Glauben an Christus und zur Bekehrung in der Bruderliebe, die sich in gegenseitiger Hilfe bis zur freiwilligen Gütergemeinschaft erfüllte.

Der Glaube an Christus, den Sohn Gottes und den Erlöser der Menschen, und die Nächstenliebe bilden das Grundthema der Schriften des Neuen Testaments. Nach dem heiligen Paulus wird die christliche Existenz im Glauben zusammen­gefaßt, der sich in Nächstenliebe und Dienst, zu denen auch die Erfüllung der Gerechtigkeitspflichten gehört, wirksam er­weist. Der Christ lebt unter dem Gesetz der inneren Freiheit: Er ist immer neu herausgerufen zur Umkehr des Herzens: aus seiner Selbstgenügsamkeit zum Vertrauen auf Gott und aus seinem Egoismus zur wahren Nächstenliebe. So wird er selbst wirklich frei und kann sich für die Befreiung des Menschen einsetzen.

Wie die Botschaft Christi lehrt, findet das Verhältnis des Menschen zu seinen Mitmenschen die Erfüllung im Verhältnis zu Gott. Seine Antwort auf die Liebe Gottes, der uns in Christus das Heil schenkt, findet ihren Ausdruck in der Liebe zum Nächsten und im Dienst an ihm. Aber christliche Nächstenliebe und Gerechtigkeit lassen sich nicht voneinander trennen. Denn die Liebe schließt die radikale Forderung nach Gerechtigkeit ein, die Anerkennung der Würde und der Rechte des Nächsten. Die Gerechtigkeit aber erreicht ihre innere Fülle allein in der Liebe. Weil jeder Mensch das sichtbare Bild des unsichtbaren Gottes und der Bruder Christi ist, findet der Christ in jedem Menschen Gott selbst und Gottes absolute Forderung nach Gerechtigkeit und Liebe. Die heutige Weltlage ruft uns, wenn wir sie im Licht des Glaubens betrachten, zurück zum Kern der christlichen Bot­schaft: Sie macht uns ihren eigentlichen Sinn und ihre vordring­lichen Forderungen bewußt. Der Auftrag, das Evangelium zu verkünden, fordert heute, daß wir uns, solange der Mensch in der Welt lebt, für seine volle Befreiung einsetzen. Wenn die christliche Botschaft von der Liebe und Gerechtigkeit ihre Kraft nicht im Einsatz für die Gerechtigkeit in der Welt erweist, dann wird sie für die heutigen Menschen unglaubwürdig.


Die Sendung der Kirche, der Hierarchie und der Christen

Die Kirche erhielt von Christus den Auftrag, das Evangelium zu verbreiten. Sie sollte die Berufung des Menschen zur Abkehr von der Sünde hin zur Liebe des Vaters verkündigen, die Bruderschaft aller Menschen und damit die Forderung nach Gerechtigkeit in der Welt. Deshalb hat die Kirche das Recht, ja sogar die Pflicht, für die Gerechtigkeit im sozialen, nationalen und internationalen Bereich einzutreten und die Ungerechtigkeit anzuprangern, wo die Grundrechte des Menschen und sein Heil es verlangen. Die Kirche ist nicht die einzige, die für die Gerechtigkeit in der Welt verantwortlich ist. Aber sie hat eine besondere und eigene Verantwortung für sie. Diese ist identisch mit ihrer Sendung, Zeugnis zu geben von der im Evangelium enthaltenen Forde­rung nach Liebe und Gerechtigkeit. Dieses Zeugnis muß in den kirchlichen Institutionen und im Leben des einzelnen sichtbar werden.

Es ist nicht Sache der Kirche, als einer religiösen und hierarchi­schen Gemeinschaft, für die Gerechtigkeit in der Welt konkrete Lösungen im sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bereich zu geben. Ihre Sendung schließt vielmehr die Verteidigung und Förderung der Würde und der Grundrechte des Menschen ein.

Die Glieder der Kirche haben als Glieder der bürgerlichen Gemeinschaften wie jedermann das Recht und die Pflicht, sich für das Gemeinwohl einzusetzen. Die Christen müssen ihre weltlichen Aufgaben treu und mit Sachkenntnis erfüllen. Sie sollen als Sauerteig in Familie und Beruf, im sozialen, kulturellen und politischen Leben wirken. Auf all diesen Gebieten sollen sie im Geist des Evangeliums und geleitet durch die Lehre der Kirche ihre Verantwortung übernehmen. So bezeugen sie durch ihr Wirken im Dienst der Menschen die Kraft des Heiligen Geistes in den Bereichen, die für die Existenz und das künftige Schicksal der Menschheit ent­scheidend sind. Bei diesen Tätigkeiten handeln sie aus eigener Initiative, ohne daß davon die Verantwortung der kirchlichen Hierarchie berührt wird. Aber es berührt die Verantwortung der Kirche, da sie deren Glieder sind.


III. DIE VERWIRKLICHUNG DER GERECHTIGKEIT

Das Zeugnis der Kirche

Viele Christen fühlen sich zum Bekenntnis der Gerechtigkeit gedrängt – sie erwächst aus der Liebe nach dem Maß der Gnade, das sie von Gott erhalten haben – und sie setzen sich auf verschiedene Weise für sie ein. Manche von ihnen engagie­ren sich in sozialen und politischen Auseinandersetzungen, wo sie als Christen das Evangelium bezeugen und erkennen las­sen, daß in der Geschichte nicht der Kampf die Quelle des Fortschritts ist, sondern Liebe und Recht. Dieser Vorrang der Liebe in der Geschichte führt andere Christen dazu, eher den Weg der Gewaltlosigkeit zu gehen und auf die öffentliche Mei­nung einzuwirken.

Wenn die Kirche Zeugnis von der Gerechtigkeit ablegen soll, dann weiß sie sehr wohl, daß der, der öffentlich von der Ge­rechtigkeit zu sprechen wagt, zunächst selbst in den Augen der anderen gerecht sein muß. Wir müssen deshalb unser Tun, unseren Besitz und unser Leben in der Kirche überprüfen. Man soll auch die Rechte in der Kirche achten, der man auf verschiedene Weise verbunden sein kann. Niemandem dürfen auf Grund dieser verschiedenen Zugehörigkeit die allgemein zustehenden Rechte entzogen werden. Wer der Kirche mit sei­ner Arbeit dient – Priester und Ordensleute eingeschlossen -, muß auch den für seinen Lebensunterhalt notwendigen Entgelt und die Sozialleistungen erhalten, die in dem betreffenden Land üblich sind. Die Laien sollen gerecht entlohnt werden und Aufstiegsmöglichkeiten haben. Wir wiederholen den Wunsch, daß die Laien eine größere Verantwortung für das kirchliche Vermögen und dessen Verwaltung übernehmen. Wir dringen darauf, daß die Frauen ihre Verantwortung und Mitbeteiligung am Leben der Gesellschaft und der Kirche haben.

Wir schlagen vor, daß diese Frage sachgerecht und gründlich studiert werde, zum Beispiel durch gemischte Kommissionen aus Männern und Frauen, aus Ordens­leuten und Laien, die aus den verschiedensten Verhältnissen stammen.

Die Kirche erkennt allen das Recht auf Meinungs- und Gedan­kenfreiheit zu. Dazu gehört auch das Recht eines jeden, im Geist eines Dialogs gehört zu werden, der auf die legitime Verschiedenheit in der Kirche Rücksicht nimmt.

Das gerichtliche Prozeßverfahren gesteht dem Angeklagten das Recht zu, seine Ankläger zu kennen, ebenso das Recht auf eine richtige Verteidigung. Zur vollen Gerechtigkeit gehört auch, daß das Verfahren schnell abgewickelt wird, was vor allem für Eheprozesse gilt.

Nach den vom Zweiten Vatikanischen Konzil und dem Aposto­lischen Stuhl erlassenen Normen sollen auch die Glieder der Kirche eine Mitbeteiligung an der Vorbereitung von Entschei­dungen haben, zum Beispiel bei der Errichtung von Räten auf allen Ebenen.

So verschieden der Gebrauch der irdischen Güter auch sein mag, niemals darf er das evangelische Zeugnis, das die Kirche geben muß, ins Zwielicht geraten lassen. An diesem Grundsatz soll man auch die Privilegien abwägen, die man für manche Ämter und Würden aufrechterhalten zu müssen glaubt. Wenn es auch im allgemeinen schwierig ist, das, was unbedingt not­wendig ist, gegen das, was vom prophetischen Zeugnis ver­langt wird, abzugrenzen, so muß doch daran festgehalten wer­den, daß unser Glaube eine gewisse Sparsamkeit im Gebrauch der irdischen Dinge fordert. Die Kirche muß so leben und ihre Güter so verwalten, daß dadurch den Armen das Evangelium verkündet wird. Wenn dagegen die Kirche als reich unter den Reichen, als mächtig unter den Mächtigen auftritt, leidet ihre Glaubwürdigkeit.

Unsere Gewissenserforschung geht den Lebensstil aller an: der Bischöfe, der Priester, der Ordensleute, der Laien. Bei den armen Völkern muß man fragen, ob nicht die Zugehörigkeit zur Kirche den Zutritt zu einer Insel des Wohlstandes öffnet, während ringsum bittere Armut herrscht. In den Konsum­gesellschaften muß man fragen, ob der Lebensstil Beispiel des Konsumverzichts ist, den wir anderen predigen, damit Millio­nen und aber Millionen Hungernde auf der ganzen Welt zu essen haben.


Erziehung zur Gerechtigkeit

Das Alltagsleben der Christen, die vom Evangelium her wie ein Sauerteig in Familie, Schule, Arbeit, im sozialen und bür­gerlichen Leben wirken, ist ein besonderer Beitrag zur Gerech­tigkeit. Außerdem können sie den menschlichen Bemühungen Sinnrichtung und Sinngehalt geben. Jede Erziehung muß des­halb den Menschen dazu führen, aus der Fülle seiner Wirk­lichkeit zu leben, wie es das Evangelium über das Leben des einzelnen und der Gesellschaft lehrt und wie es durch das Leben des Christen bezeugt wird.

Die Hindernisse für den Fortschritt, den wir für uns und alle Menschen ersehnen, sind jedoch bekannt. Die Erziehung, die weithin noch vorherrscht, begünstigt einen engstirnigen Indi­vidualismus. Ein Teil der Menschheit lebt in einer Geisteshal­tung, deren Einstellung zum Besitz jedes Maß verliert. Die Schule und die Kommunikations­mittel lassen, oft unter dem Zwang der etablierten Ordnung, nur solche Menschen heran­bilden, wie sie diese Ordnung wünscht, einen Menschen nach ihrem Bild, keinen neuen Menschen, sondern nur den Ab­klatsch des bisherigen.

Die Erziehung zur Gerechtigkeit fordert eine Wandlung der Herzen, die die Sünden des einzelnen und die der Gesellschaft anerkennt. Sie bildet auch zu einem wahren und vollen menschlichen Leben in Gerechtigkeit, Liebe und Einfachheit. Sie weckt auch die kritische Fähigkeit, die uns ein Urteil über unsere Gesellschaft und ihre Werte erlaubt und die den Men­schen bereit macht, sich von Werten zu trennen, die nicht mehr der Gerechtigkeit für alle Menschen dienen. Hauptziel einer Erziehung zur Gerechtigkeit bei den Entwicklungsvölkern muß vermutlich sein, sie zur Erkenntnis ihrer wirklichen Lage zu führen und sie aufzufordern, diese zu verbessern. So beginnt bereits die Umwandlung der Welt.

Da diese Erziehung alle zu größerer Menschlichkeit führt, wird sie helfen, daß der Mensch nicht weiter von den Massenmedien oder den politischen Kräften als Ding behandelt wird. Sie wird ihn vielmehr fähig machen, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und wahrhaft menschliche Gemeinschaften zu bil­den. Von einer solchen Erziehung sagt man mit Recht, daß sie nie ans Ende kommt; sie erstreckt sich auf jeden Menschen und auf jedes Alter. Sie ist darüber hinaus auch praktischer Natur, weil sie durch Erfahrung, Teilnahme und direkte Konfronta­tion mit der Ungerechtigkeit erzieht.

Die Erziehung zur Gerechtigkeit geschieht zunächst in der Fa­milie. Wir wissen sehr wohl, daß nicht nur kirchliche Institute, sondern auch andere Schulen, Gewerkschaften und politische Parteien dazu ihren Beitrag leisten.

Der Gegenstand einer solchen Erziehung ist notwendig mit der Achtung vor der Person und ihrer Würde verbunden. Weil es hier um die Gerechtigkeit in der ganzen Welt geht, ist beson­ders auf die Einheit der Menschheitsfamilie hinzuweisen, in der der Mensch nach Gottes Anordnung geboren wird. Für den Christen ist die Tatsache, daß alle Menschen geboren wer­den, um in Christus der göttlichen Natur teilhaft zu werden, das Zeichen für die umfassende Solidarität der Menschen.

Die tragenden Grundsätze des Evangeliums, in denen es seine Kraft im Leben der heutigen Gesellschaft erweist, finden sich in der Lehre, die seit der Enzyklika „Rerum Novarum" bis hin zu „Octogesima Adveniens" nach und nach den jeweiligen Situationen entsprechend vorgelegt wurde. In der Pastoralkon­stitution „Gaudium et Spes" des Zweiten Vatikanischen Kon­zils hat die Kirche klarer als je zuvor ihre Aufgabe in dieser Welt erkannt, in der der Christ durch den Dienst an der Ge­rechtigkeit sein Heil wirkt. Die Enzyklika „Pacem in Terris" hat uns die Magna Charta der Menschenrechte geschenkt. „Mater et Magistra" betonte vor allem die Gerechtigkeit zwi­schen den Völkern Lind Nationen. „Populorum Progressio" handelte über diese Gerechtigkeit geradezu in Form eines Trak­tats über das Recht auf Fortschritt, und „Octogesima Adve­niens" macht sie zum Grundriß politischen Handelns.

Wie der Apostel mahnen wir, gelegen und ungelegen, in allen menschlichen Situationen an Gottes Wort zu denken. Was wir hier vorlegen, soll den Glauben ausdrücken, der uns und alle Gläubigen heute bindet. Wir wünschten, daß diese Darlegun­gen allen Verhältnissen entsprächen. Unsere Aufgabe verlangt, mit Entschlossenheit und Liebe, Klugheit und Festigkeit die Ungerechtigkeit anzuprangern, im aufrichtigen Dialog mit allen, die es angeht. Unsere Kritik findet sicher nur dann Ge­hör, wenn sie mit unserem Leben und unserem gesamten Tun übereinstimmt.

Das Herz der Kirche, die Liturgie, bei der wir den Vorsitz haben, kann eine große Hilfe in der Erziehung zur Gerechtig­keit sein. Denn sie ist Danksagung an den Vater in Christus, und ihr Gemeinschaftscharakter zeigt unsere brüderliche Ver­bundenheit und weist uns immer von neuem auf die Sendung der Kirche hin. Wortgottesdienst, Katechese und Feier der Sa­kramente helfen uns zu erkennen, was die Propheten, der Herr Jesus Christus und die Apostel, über die Gerechtigkeit lehren. Die Taufvorbereitung ist der Anfang der christlichen Gewis­sensbildung. Die Bußpraxis soll die soziale Dimension der Sünde und des Sakraments deutlich machen. Die Eucharistie schließlich stiftet Gemeinschaft und stellt sie in den Dienst der Menschen.


Zusammenarbeit unter den Ortskirchen

Damit die Kirche wirklich Zeichen der von den Völkern er­sehnten Einheit sei, muß es in ihr zwischen den Kirchen der reichen und armen Länder zu einer engeren Zusammenarbeit kommen, und zwar in der geistlichen Gemeinschaft sowie im Austausch kultureller und materieller Güter. Die Hilfsbereit­schaft, die heute so großzügig unter den Kirchen ausgeübt wird, könnte noch erfolgreicher sein durch eine wirkungsvolle Koordination (Kongregation für die Evangelisierung der Völ­ker und Päpstlicher Rat „Cor Unum"), durch weitsichtige Pla­nung bei der gemeinsamen Verwaltung der Gaben Gottes und durch brüderliche Verbundenheit, die bei der Aufstellung der Kriterien wie in der Auswahl und Durchführung konkreter Vorhaben Rücksicht nimmt auf die Selbständigkeit und Eigen­verantwortung der Empfänger. Diese Planung darf sich nicht auf wirtschaftliche Ziele beschränken. Sie soll vielmehr Maß­nahmen anregen, die die menschliche und geistliche Bildung, ohne die es keinen allseitigen Fortschritt für den Menschen geben kann, fördern.


Ökumenische Zusammenarbeit

In vollem Bewußtsein dessen, was auf diesem Gebiet bereits geschehen ist, empfehlen wir mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil eine enge Zusammenarbeit mit den von uns getrennten Brüdern zur Förderung der Gerechtigkeit in der Welt, den Fortschritt der Völker und die Festigung des Friedens. Diese Zusammenarbeit muß vor allem die Würde des Menschen und seine grundlegenden Rechte schützen, besonders das Recht der Religionsfreiheit. Daraus entsteht das gemeinsame Bemühen im Kampf gegen religiöse, rassische, kulturelle und andere Diskriminierungen. Sie bemüht sich auch um das Verständnis der Lehre des Evangeliums vom rechten Handeln des Christen. In gemeinsamer Planung sollen das Sekretariat zur Förderung der Einheit der Christen und die Päpstliche Kommission Justitia et Pax diese ökumenische Zusammenarbeit fortsetzen.

Im Geist der Ökumene empfehlen wir zur Förderung der sozia­len Gerechtigkeit, des Friedens und der Freiheit auch eine Zu­sammenarbeit mit allen, die an Gott glauben, ebenso mit denen, die zwar den Schöpfer der Welt nicht anerkennen, die aber in Achtung vor den menschlichen Werten aufrichtig und mit sittlich erlaubten Mitteln die Gerechtigkeit suchen.


Aktivität im internationalen Bereich

Da die Synode weltweiten Charakter hat, behandelt sie alle Fragen der Gerechtigkeit, die die gesamte Menschheitsfamilie unmittelbar angehen. Wir wissen sehr wohl um die Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit für den sozialen und wirt­schaftlichen Fortschritt und möchten an erster Stelle die un­schätzbare Arbeit hervorheben, die die Ortskirchen, die Mis­sionare und ihre Hilfsorganisationen bei den armen Völkern geleistet haben. Wir möchten auch jene Vorhaben und Einrich­tungen gefördert wissen, die für den Frieden, die internatio­nale Gerechtigkeit und den Fortschritt des Menschen arbeiten. Wir bitten daher alle Katholiken, folgende Vorschläge zu über­legen:

1. Es soll anerkannt werden, daß die internationale Ordnung in den unverlierbaren Rechten und in der unaufgebbaren Würde des Menschen gründet. Die Erklärung der Menschen­rechte der Vereinten Nationen soll von allen Regierungen, die dieser Konvention noch nicht beigetreten sind, ratifiziert und von allen ohne Abstrich beachtet werden.

2. Die Vereinten Nationen, die sich auf Grund ihrer Ziel­setzung um die Mitgliedschaft aller Nationen bemühen müssen, und die internationalen Organisationen sollen unterstützt wer­den. Sie sind nämlich der Anfang einer Ordnung, der es gelin­gen könnte, das Wettrüsten zu unterbinden, vor dem Handel mit Waffen und vor der Aufrüstung wirksam zu warnen und Streitigkeiten auf friedlichem Weg, durch Schiedssprüche und internationale Polizei zu bereinigen. Konflikte zwischen Völ­kern dürfen niemals durch Krieg gelöst werden. Statt dessen muß man Wege finden, sie auf eine Weise, die dem Menschen angemessen ist, zu lösen. Auch die Strategie der Gewaltlosig­keit soll gefördert werden, und alle Staaten sollen die Wehr­dienstverweigerung aus Gewissensgründen anerkennen und regeln.

3. Die Ziele eines zweiten Zehnjahresprogrammes für Ent­wicklung sollen unterstützt werden. Dazu gehören die Abgabe eines bestimmten prozentualen Anteils vom jährlichen Natio­naleinkommen der reichen Länder an die Entwicklungsländer, gerechte Rohstoffpreise, die Öffnung des Marktes bei den rei­chen Nationen um Vorzugsrechte für manche Artikel beim Export von Manufakturen aus den Entwicklungsländern. Darin zeichnen sich die ersten Umrisse eines gestaffelten Beitrages und einer weltweiten Voraussicht auf wirtschaftlichem und so­zialem Gebiet ab. Wir bedauern, daß sich die reichen Nationen diesem hohen Ziel einer Verteilung und weltweiten Verantwor­tung verschließen. Wir hoffen, daß keine ähnliche Schwächung der internationalen Solidarität den Erfolg der Gespräche über den Handel verhindert, die die Konferenz der Vereinten Natio­nen für Welthandel und Entwicklung vorbereitet (UNCTAD).

4. Die Konzentration der Macht durch die nahezu völlige wirtschaftliche Beherrschung von Forschung, Investitionen, Schiffahrt und Versicherungswesen muß allmählich abgebaut werden. Das kann durch institutionelle Maßnahmen geschehen, die den Willen und die Möglichkeiten der Entwicklungsländer zu verantwortlicher Entscheidung stärken, und durch ihre volle und gleichberechtigte Mitgliedschaft in internationalen Organi­sationen für den Fortschritt. Die Tatsache, daß diese Länder von den Gesprächen über den Welthandel und auch von den Entscheidungen über die Währungsmaßnahmen, die für sie von lebenswichtiger Bedeutung sind, ausgeschlossen wurden, ist Beispiel für einen Machtmißbrauch, der in einer gerechten und verantwortlichen Weltordnung nicht hingenommen werden kann.

5. Wir geben zu, daß die internationalen Organisationen wie alle menschlichen Einrichtungen vervollkommnet und gestärkt werden müssen. Aber wir möchten doch die Bedeutung der Sonderorganisationen der Vereinten Nationen hervorheben, vor allem jener, die sich in erster Linie mit den eigentlichen und brennenden Problemen der Armut in der Welt befassen: der Agrarreform, dem Fortschritt in der Landwirtschaft, dem Gesundheitswesen, der Erziehung, der Schaffung von Arbeits­plätzen und Wohnraum sowie der explosiven Urbanisierung. Besonders notwendig scheint uns die Errichtung eines Fonds zu sein, durch den ausreichend Nahrung und Proteine für das geistige und körperliche Wachstum der Kinder zur Verfügung gestellt werden. Über das gewaltige Anwachsen der Weltbevöl­kerung wiederholen wir, was Papst Paul VI. über die Aufgaben der staatlichen Gewalt in „Populorum Progressio" schrieb: Der Staat hat zweifellos innerhalb der Grenzen seiner Zustän­digkeit das Recht, hier einzugreifen, eine zweckmäßige Auf­klärung durchzuführen und geeignete Maßnahmen zu treffen, vorausgesetzt, daß diese in Übereinstimmung mit dem Sitten­gesetz sind und die Freiheit der Eheleute nicht antasten" (Pop. Progr. Nr. 37).

Die Regierungen sollen weiter ihre Beiträge leisten und sie einem Entwicklungsfonds zuführen. Sie sollen aber zugleich Wege suchen, ihre Bemühungen multilateral zu gestalten und sie sollen den Entwicklungsländern, die auch an der Erstellung der Prioritäten und des Finanzierungsplanes zu beteiligen sind, ihre Verantwortung lassen.

Wir müssen noch auf ein neues weltweites Problem hinweisen, auf die Frage des Umweltschutzes, worüber zum erstenmal auf einer internationalen Konferenz im Juni 1972 in Stockholm verhandelt werden soll. Es ist unverständlich, wie die reichen Nationen sich anmaßen können, die materiellen Güter so zu mehren, daß entweder die übrigen Völker weiter in Elend und Armut leben oder die Gefahr entsteht, da(3 die physischen Grundlagen des Lebens in der Welt zerstört werden. Die Rei­chen müssen einen materiell weniger anspruchsvollen Lebens­stil annehmen und sollen weniger verschwenden, damit das gottgeschenkte Erbe nicht zerstört wird, das sie mit allen an­deren Menschen gerecht teilen müssen.

Damit das Recht auf Fortschritt auch verwirklicht werde,

a) darf man die Völker nicht hindern, den Fortschritt so an­zustreben, wie er ihrer Kultur entspricht;

b) sollen alle Völker in gemeinsamer Zusammenarbeit selbst die Baumeister ihres wirtschaftlichen und sozialen Fort­schrittes werden;

c) soll jedes Volk gleichberechtigt mit allen übrigen Völkern als tätiges und verantwortliches Glied der menschlichen Gesellschaft seinen Beitrag für das Gemeinwohl leisten können.


Die Durchführung der synodalen Vorschläge

Die Gewissenserforschung über die soziale Gerechtigkeit als Aufgabe der Kirche, wie wir sie angestellt haben, wird nur dann wirksam werden, wenn sie im Leben der Ortskirchen auf allen Ebenen Gestalt gewinnt. Wir bitten die Bischofskonferen­zen, jene Gesichtspunkte, die wir auf dieser Synode behandelt haben, weiter zu verfolgen, und unsere Empfehlungen zu ver­wirklichen, zum Beispiel die Errichtung von sozial-theologi­schen Forschungsstellen.

Wir bitten auch, daß der Päpstlichen Studienkommission Justitia et Pax zusammen mit dem Rat des Synodensekretariats und mit Fachleuten aufgetragen wird, einen Bericht über die von dieser Synode erarbeiteten Vorschläge auszuarbeiten, sie zu sichten und durch Studium zu vertiefen, damit das von uns begonnene Werk zu einem erfolgreichen Abschluß geführt werde.


Ein Wort der Hoffnung

Die Kraft des Geistes, der Christus von den Toten auferweckt hat, wirkt ohne Unterlaß in der Welt. Das Volk Gottes ist durch hochherzige Söhne der Kirche mitten unter den Armen, Unterdrückten und Verfolgten und erlebt so am eigenen Leib und im eigenen Herzen die Passion Christi und gibt Zeugnis von seiner Auferstehung.

Die gesamte Schöpfung seufzt bis zum heutigen Tag und liegt in Geburtswehen und wartet auf die Offenbarung der Herr­lichkeit der Kinder Gottes (Röm 8, 22), Die Christen sollen davon überzeugt sein, daß sie die Frucht ihres Wirkens und Mühens, rein von allem Makel, in der neuen Erde finden wer­den, die Gott ihnen schon jetzt bereitet und in der es ein Reich der Gerechtigkeit und Liebe geben wird, ein Reich, das voll­endet wird, wenn der Herr kommt.

Immer schneller erfüllt die Hoffnung auf das kommende Reich die Herzen der Menschen. Die radikale Umwandlung der Welt durch das Pascha des Herrn gibt den Bemühungen, Unrecht, Gewalt, Haß abzubauen und allen zu größerer Gerechtigkeit, Freiheit, Brüderlichkeit, Liebe zu verhelfen, einen tiefen Sinn. Solches Bemühen findet sich heute in der Welt, vor allem unter der Jugend.

Durch die Verkündigung des Evangeliums vom Herrn, dem Er­löser und Heiland, ruft die Kirche die Menschen, besonders die Armen, Unterdrückten, Niedergeschlagenen auf, mitzuarbeiten mit Gott an der Befreiung von der Sünde und am Aufbau einer Welt, die nur dann zur Sinnfülle der Schöpfung kommt, wenn sie ein Werk des Menschen für den Menschen ist.

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