Columba Marmion: Sponsa Verbi

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Sponsa Verbi

Die Seele als Braut Christi

Seliger Abt Columba Marmion; als Sterbender noch gutgeheißen (wohl 1923)

Quelle: Abt D. Columba Marmion OSB, Sponsa Verbi, Die Seele als Braut Christi, übertragen von M. Benedicta von Spiegel OSB, Ferdinand Schöningh Verlag Paderborn 1932 (DIN A 6, 107 Seiten, Imprimatur Paderbornae, d. 19 m. Julii 1931, Vicarius Generalis, v. c. Pieper, in Frakturschrift). Bearbeitet von Benutzer:Oswald. → Vorlage:Columba Marmion Opera

DER BERUF ZUR WÜRDE ElNER BRAUT CHRlSTl

Das höchste Geschenk, das Gott uns Menschen gemacht hat, ist die Gnade der übernatürlichen Annahme an Kindes Statt in Jesus Christus, dem menschgewordenen Wort. Gott, das unendlich vollkommene, höchste Wesen, das von niemandem abhängt und in keiner Weise bedürftig ist, ergießt seine unermessliche Liebe über das Geschöpf, um diesem Anteilnahme zu geben an seinem Leben und an seiner Glückseligkeit. Dieses Gnadengeschenk, das alle Forderungen und Kräfte unserer Natur übersteigt, macht den Menschen in Wahrheit zum Kinde des himmlischen Vaters, zum Bruder Jesu Christi und zum Tempel des Heiligen Geistes.

Für die gottgeweihte Seele aber besteht eine noch innigere und in gewissem Sinne noch tiefere Verbindung mit Gott, als jene, die sich aus ihrer Eigenschaft als Gotteskind ergibt. Christus lädt diese Seele ein, seine Braut zu werden.

Im Evangelium hören wir wiederholt, wie Jesus Christus das Reich Gottes mit einem Hochzeitsmahl vergleicht (1. Mt 21, 1 f; 25, 1 f; Lk 14, 16 f); in seinem "Wort" und durch sein "Wort" ruft Gott die Seelen zum Liebesmahl der göttlichen Vereinigung. Bei einem Hochzeitsmahl sieht man verschiedene Arten von Personen erscheinen.

Da sind zunächst die Diener. - Sie unterstehen voll Ehrerbietung dem Herrn des Hauses und führen seine Befehle aus. Dafür erhalten sie von ihrem Herrn den ausbedungenen Lohn. Wenn sie ihren Dienst treu erfüllen, wird der Herr sie schätzen, aber er zieht sie nicht zur Tafel, tritt nicht in ein trauliches Verhältnis zu ihnen, enthüllt ihnen nicht seine Geheimnisse. - Hier haben wir ein Bild jener Christen, die sich für gewöhnlich von der knechtischen Furcht leiten lassen. Sie verkehren mit Gott wie mit einem Entferntstehenden, mit einem großen Herrn, den sie nach dem Beispiel des Knechtes im Evangelium zuweilen "hart" finden (Mt 25, 24). Aus Furcht vor Strafe erfüllen sie nur gerade das, was ihre Pflicht ist. Solche Seelen, die noch in der Furcht "im Geiste der Knechtschaft" (Röm 8, 15) leben, haben keinen vertrauten Umgang mit Gott.

Es folgen sodann die Geladenen, die Freunde. Der König hat sie zu seiner Tafel geladen. Er spricht mit ihnen in einem Ton, der gegenseitiges Wohlwollen voraussetzt. Er teilt mit ihnen Speise und Trank. Dennoch aber kann man in dieser Freundschaft verschiedene Abstufungen bemerken. - Hier haben wir das Bild jener Christen, die Gott lieben, ohne ihm alles gegeben zu haben. Wenn sie in der Nähe des Königs sind, schenkt er ihnen seine Gunst; aber sie sind nicht immer bei ihm. Sie verlassen ihn, um ihren Geschäften nachzugehen. Sie beweisen ihm ihre Freundschaft nur zeitweilig.

Wenn die Freunde Abschied genommen, bleiben noch die Kinder. Sie gehören zum Haus. Es ist ihr Heim, wo sie wohnen. Sie tragen den Namen des Vaters und sind Erben seiner Güter. Ihr Leben besteht darin, dem Vater Ehre, Liebe und Gehorsam zu beweisen und dafür empfangen sie als Gegengabe die Beweise einer Vertraulichkeit, welche den Freunden nicht zuteil wird. Diese sind das Sinnbild jener treuen Seelen, die als Kinder Gottes leben und handeln und in vollkommener Weise das Wort des hl. Paulus wahr machen: "So seid ihr denn nicht mehr Fremde und Beisaßen, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen" (Eph 2, 19)<ref>Jede Seele, die sich im Stande der Gnade befindet, ist zweifelsohne Kind Gottes. Viele Christen aber werden sich dieser göttlichen Wirklichkeit nicht bewusst oder bemühen sich nicht, sie zur Entfaltung zu bringen. Sie leben und handeln so, als wären sie nur Diener oder Freunde. Näheres darüber im 19. Kapiel, § 4, S. 387 des Buches "Christus in seinen Geheimnissen", Verlag Schöningh, Paderbom.</ref>; sie leben in Glaube, Hoffnung und Liebe, den Tugenden, die in besonderer Weise den Gotteskindern eigen sind, und deren Entfaltung in völliger Hingabe an den Willen des himmlischen Vaters besteht. "Alle, die sich vom Geiste Gottes leiten lassen, sind Kinder Gottes" (Röm 8, 14). Solch kindlichen Seelen schenkt sich Gott als das höchste Gut, das alle Wünsche überreich erfüllt.

Siehe dann endlich die Braut. - Vor ihr hat der Bräutigam keine Geheimnisse. Sie lebt mit ihm in der größten Vertrautheit, in der zärtlichsten Liebe. Keine Vereinigung ist vollkommener als diese. Die Vereinigung zweier Liebender lässt die Vereinigung zwischen Eltern und Kindern weit hinter sich. Der Liebende "verlässt Vater und Mutter und hängt seiner Frau an" (Mt 19, 5). Diese Vereinigung übertrifft jede andere an Innigkeit, an Zartheit und an Fruchtbarkeit.

Eine ähnliche Vereinigung nun ist es, zu welcher das menschgewordene Wort die Seele einlädt, die ihm durch die Gelübde des klösterlichen Standes geweiht ist.<ref> Mögen die Ausdrücke von Liebenden, von Brautschaft und Hochzeit, die irdisch und fleischlich gesinnten Menschen, die kein Verständnis haben für die geistlichen Dinge und denen die Sprache der göttlichen Liebe fremd ist, auch sonderbar anmuten, so finden sie doch so häufig und in so kühner Weise Anwendung in der Heiligen Schrift und sind so unzertrennlich mit dem Dogma und der katholischen Theologie verknüpft, dass man sie nicht verschweigen oder verändern kann, ohne damit zugleich die christliche Religion selbst anzugreifen. Msgr. Farges, Les phénomènes mystiques, p. 218.</ref>

Da könnte man nun vielleicht sagen: Ist denn nicht jede getaufte Seele gewissermaßen Braut Christi? Gewiss. Der hl. Paulus wandte sich nicht nur an die Jungfrauen, sondern an alle Gläubigen der Kirche von Korinth, als er schrieb: Ich habe eure Seelen "mit einem Mann verlobt, um euch als reine Jungfrau Christus zuzuführen" (2 Kor 11, 2). Bei der Taufe widersagt ja die Seele aus freien Stücken<ref>Oder die Taufpaten tun es an ihrer Stelle, im Vertrauen, dass sie dieses Versprechen einmal wahr machen wird.</ref> dem Teufel, all seiner Pracht und seinen Werken, der Welt und ihren Grundsätzen, um Christus anzuhangen und sich seinem Dienste zu weihen. Die Gnade des Heiligen Geistes bindet die Seele an Gott, macht sie der Liebe des himmlischen Bräutigams würdig und gibt ihr das Recht, die unendlichen Freuden der ewigen Seligkeit zu erhoffen, welche unser Heiland selbst mit einem Hochzeitsmahl verglichen hat. So überaus heilig und heiligmachend ist schon diese Vereinigung der Seele mit Christus durch die Taufe. Viel inniger jedoch ist die Vereinigung, viel herrlicher die bräutliche Gemeinschaft jener Seelen, die sich durch die heiligen Gelübde dem Herrn geweiht haben. Diesen Seelen gebührt in aller Wahrheit der Titel einer Braut des Herrn, weil in ihnen diese erhabene Vereinigung sich in ihrer ganzen Fülle verwirklicht. Bildet nicht in der Tat diese Vereinigung, die in ihrer tiefen Innigkeit, wenn auch in ganz geistiger Weise, die Vereinigung zwischen Vermählten nachbildet, den Höhepunkt des ganzen religiösen Lebens? Gipfeln nicht in ihr ebensowohl die vielfachen Herablassungen Gottes zu den Seelen, wie auch deren großmütige Bemühungen, um alle Hindernisse auf dem Wege zu Gott zu entfernen und alle Mittel anzuwenden, die zu ihm führen? Würde eine dem Herrn geweihte Seele nicht ihre Berufung verkennen, würde sie nicht sagen müssen, dass sie ihr Ziel nicht erreicht und den Gedanken Gottes über sich nicht voll verwirklicht hat, wenn sie nicht aus allen Kräften diese glückselige Vereinigung erstrebte?

Allerdings wird eine Seele, wenn sie die unendliche Größe Gottes und seine unerreichbare Heiligkeit betrachtet, und dann ihr eigenes Nichts und ihr Elend erschaut, bei dem Gedanken, dass sie Gegenstand einer so außerordentlichen Bevorzugung ist, verwirrt, ja aufs tiefste beschämt werden? Sie muss ausrufen: "Ist es nicht Anmaßung, ist es nicht Verwegenheit, ja gar Wahnsinn, eine Vereinigung zu erträumen und anzustreben, die weit über alle menschlichen Wünsche hinausgeht?" "Wie kann das geschehen!" (Lk 1,34)

Gewiss hätte ohne die Offenbarung ein solch erhabener Gedanke dem Geiste des Geschöpfes niemals entspringen können. Der Herr selbst aber ersehnt diese Vereinigung. Er ist es, der die Seele zuerst auffordert, der durch sein Wort und sein Wirken die Seele zur Vereinigung einlädt.

Sogar das Alte Testament, das doch infolge seiner vielen Strengheiten als das Gesetz der Furcht bezeichnet wird, deutet schon in den zartesten Ausdrücken hin auf die unerhörten Erweise göttlicher Zärtlichkeit, die das Gesetz der Liebe kennzeichnen.

Die göttliche Weisheit sagt: "Meine Freude ist es, bei den Menschenkindern zu sein" (Spr 8,31). - "Ich war in Entzücken Tag um Tag, spielend auf dem Erdkreis" (ebd. 30). Sind das nicht erstaunliche Worte, wenn man bedenkt, dass sie sich auf den Verkehr der ewigen Weisheit mit dem Menschengeschlechte beziehen und viel mehr zum Ausdruck bringen als die bloße Zuneinung eines Freundes?

Ebenso feiert der Psalmist in den jubelvollsten Akkorden der Liebe die königliche Vereinigung zwischen Braut und Bräutigam: "Mein Herz wallt auf von herrlicher Kunde, meinen Sang will ich singen dem König ... Du bist der Schönste unter den Menschenkindern, Anmut ist ausgegossen über deine Lippen ... Höre, Tochter, und sieh her, neige dein Ohr! Vergiss dein Volk und dein Vaterhaus, es begehrt der König nach deiner Schönheit ... (45, 2-3; 11-12).<ref>Diesen Vers verwendet die heilige Kirche selbst in ihrem Pontifikale bei der Jungfrauenweihe.</ref>

Und das Hohelied, was ist es anders als ein vom Heiligen Geiste selbst verfasster Hochzeitsgesang, der unter dem Bild der irdischen Liebe die Vereinigung des göttlichen Wortes mit seiner allerheiligsten Menschheit, sowie die Vereinigung Christi mit seiner Kirche und den einzelnen Seelen feiert?

Aber erst im Neuen Bund, im heiligen Evangelium, findet sich dieser Gedanke in seiner ganzen umfassenden Fülle ausgesprochen und mit überzeugender Kraft begründet. Das menschgewordene Wort, die unfehlbare Wahrheit, stellt sich hier selbst dar als der Bräutigam (Mt 9, 15; Joh. 3, 29), dem die hier zu seinem Hofstaat bestimmten Jungfrauen entgegengehen (Mt 25, 1-13). Und hier fällt von seinen göttlichen Lippen das beseligende Wort, das Menschenherzen aufjubeln lässt: "Alles ist bereit, kommt zur Hochzeit" (Mt 22,44).

Paulus, der hervorragendste Verkündiger des Geheimnisses Jesu Christi, zeigt uns diesen Bräutigam der Seelen, der die Kirche seine Braut "geliebt und sich für sie dahingegeben hat", um sie mit seinen schönsten Kleinodien zu schmücken, so dass er sie, gewaschen in seinem heiligen Blut, "herrlich gestalte, ohne Flecken oder Runzeln oder etwas dergleichen, sondern dass sie vielmehr heilig sei und makellos" (Eph 5, 25-27)<ref> Die Worte des Apostels beziehen sich zunächst auf die heilige Kirche, dürfen aber, ja müssen in gleicher Weise auf die einzelne Seele angewendet werden, die sich Christus in bräutlicher Eigenschaft vereint durch die die Gelübdeweihe. </ref>, wahrhaft würdig der "Hochzeit des Lammes", die vom hl. Johannes in der Geheimen Offenbarung besungen wird (Offb 9, 7-8; 21, 2-9). Unter Leitung des Heiligen Geistes hat die Kirche in ihrer Liturgie sich diesen Gedanken zu eigen gemacht. Im Stundengebet von den Jungfrauen spricht sie beständig von diesen innigen Beziehungen zwischen Braut und Bräutigam. Am Feste der hl. Agnes legt sie der jungfräulichen Märtyrerin diese Worte voll heiliger Kühnheit auf die Lippen: "Christus ist mein Geliebter; er führt mich ein in sein Brautgemacht" (Benediktiner-Brevier, 3. Resp. d. Matutin). Bei der Jungfrauenweihe redet der Bischof die Jungfrau, während er ihr den Ring an den Finger steckt, an als "Braut Jesu Christi, des Sohnes des himmlischen Vaters. So nimm denn hin den Ring der Treue ... so dass du Braut des Herrn genannt werdest" (Pontificale Romanum in benedictione et consecratione virginum).

Ganz gewiss, um dies noch einmal zu betonen, dürfen wir niemals die tiefste Anbetung vor der unendlichen Majestät des dreimal heiligen Gottes außer acht lassen. Wir dürfen niemals vergessen, dass Jesus Christus der unumschränkte Herr und Gebieter aller Dinge ist. "Ihr nennt mich Meister und Herr, und ihr habt recht, denn ich bin es" (Joh 13, 13). Aber dieser göttliche Meister, dieser Herr, vor dem die Kräfte der Himmel erzittern, hat sich selbst vor den gleichen Jüngern, an die er dieses Wort richtet, soweit erniedrigt, dass er ihnen die Füße waschen wollte. Ebenso veranlasst ihn seine Liebe auch, dass er seinen Blick auf jene auserwählten Seelen richte, die er zu der unaussprechlichen Würde seine Bräute zu sein, erheben will. Eine solche Liebe macht die menschliche Vernunft zuschanden. Der Glaube aber jubelt in seligem Entzücken: "Wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und an sie geglaubt" (Joh 1,4-16). Jede Seele, die sich durch die Gelübde Gott geweiht hat, ist somit berufen zu dieser Brautschaft mit dem göttlichen Wort. Sie darf diesen Titel tragen und genießt, wenn sie treu ist, alle mit ihm verknüpften Rechte. Der göttliche Bräutigam überschüttet sie mit Beweisen seiner zärtlichen Liebe und ihre Vereinigung mit ihm wird zur Quelle geheimnisvoll wunderbarer Fruchtbarkeit.

Sankt Bernhard, der große Mönch, sprach mit besonderer Vorliebe und in Ausdrücken überfließend von unnachahmlicher Salbung vor seinen Mitbrüdern von dieser wunderbaren Vereinigung, die unser Herr Jesus Christus sich würdigt, mit den ihm geweihten Seelen einzugehen. Dieser redegewaltige Heilige war zutiefst eingedrungen in den "Weinkeller des Königs" (Hld 2, 4) und verstand es, den seinen Worten begierig lauschenden Mönchen die überreiche Lichtfülle mitzuteilen, mit der die menschgewordene Weisheit ihn überströmte. Seine leider unvollendete Erklärung des Hohenliedes besteht, wie bekannt, aus einer Folge von 86 Predigtseiten, die der heilige Abt vor seinen Mönchen in Clairvaux gehalten hat. In einer dieser Predigten zeichnet der große Abt mit Meisterhand das Bild einer Seele, die wahrhaft zur Braut Christi geworden ist. Er drückt sich aus wie folgt: "Wenn eine Seele alles verlassen hat, um aus all ihren Kräften dem menschgewordenen Wort anzuhangen, ihm zu leben, sich von ihm leiten, von seiner Liebe all ihr Wirken befruchten zu lassen, so dass sie sagen kann, Christus ist mein Leben, und Sterben mein Gewinn, dann nenne sie in Wahrheit Braut, ja dem ewigen Wort Vermählte!"<ref>Quam videris animam, relictis omnibus, Verbo votis omnibus adhaerere, Verbo vivere, Verbo se regere, de Verbo concipere quod pariat Verbo; quae possil dicere: mihi vivere Christus est et mori lucrum: puta conjugem, Verboque maritatam. (In Cant. sermo LXXXV, 12). </ref>

In dieser Abhandlung über das Hohelied spricht der hl. Bernahrd immer wieder von den mystischen Zuständen im eigentlichen Sinne, von der mystischen Brautschaft, der geistlichen Hochzeit, den außergewöhnlichen Wirkungen der Gnade und der göttlichen Liebe, zu welcher der Herr manche Seelen beruft, die er in besonderer Weise auserwählt hat. Wir wollen hier nicht von diesen Zuständen handeln, auf die keine Seele irgendeinen Anspruch erheben kann. Aber selbst, wenn die obigen, dem großen Mystiker entlehnten Worte, sich zunächst auf jene Seelen bezogen, die das ewige Wort einlädt, auf solch geheimnisvollen Höhen zu wandeln, so wäre es dennoch zulässig, auf sie zurückzugreifen, um die besonderen Merkmale und die wesentlichen Pflichten einer Seele zu kennzeichnen, die durch die Weihe zum Ordensstand zur Braut Christi wird.

Diese wunderbar schöne Stelle aus dem hl. Bernhard soll uns zur Grundlage der folgenden Erwägungen dienen.<ref>Im Gegensatz zum hl. Bernhard, der zu seinen Mönchen sprach, richten sich die Worte Marmions an Klosterfrauen. Daher kommt es, dass er mehr als einmal sich der Texte aus dem Pontifikale für die Jungfrauenweihe bedient. Dennoch gilt seine Lehre in ihren wesentlichen Punkten für jede Seele, die sich dem Herrn zu eigen gibt. (Anmerkung des Herausgebers) </ref> Wir wollen freudig versuchen, in ihren Sinn einzudringen, überzeugt, dass wir damit den Wünschen unseres Heilandes selbst entgegenkommen. Und werden Sie nicht den schwerwiegenden Ernst der Pflichten Ihres heiligen Berufes um so tiefer erfassen, je mehr Sie sich dessen Erhabenheit vor Augen führen? Wird nicht bei Betrachtung Ihrer hohen Würde Ihr Herz in großmütiger Liebe aufflammen für jenen, der ohne irgendein Verdienst von Ihrer Seite Sie zu solch erhabener Größe berufen hat?

Wir wollen zunächst versuchen darzulegen, wie die allerheiligste Menschheit Jesu Christi selbst Braut des Wortes ist. In ihr finden wir in der Tat das bewunderungswürdigste Vorbild dieser innigen Vereinigung, die unsere Seele mit Christus eingeht. Sodann werden wir, gestützt auf die Worte des heiligen Kirchenlehrers, die notwendigen Voraussetzungen dieser Vereinigung zeigen, sowie die verschiedenartigen Hilfsmittel, die uns zu Gebote stehen, um sie in uns zu erhalten, und die wunderbaren Früchte, die sich aus ihr ergeben.

Möge die Unbefleckte Jungfrau, deren fruchtbare Jungfräulichkeit uns den König der Könige schenkte, unsere Mühen segnen!

DlE MENSCHLlCHE NATUR CHRlSTl ALS BRAUT DES WORTES

Die Väter der Kirche erkennen im Hohenlied zunächst das Bild jener unaussprechlichen Vereinigung, welche in Jesus Christus, zwischen dem Worte Gottes und der menschlichen Natur besteht.

Das Wort, die ewige Weisheit ist der Bräutigam; er selbst erwählt sich eine Braut: eine menschliche Natur. Der jungfräuliche und unbefleckte Schoß Mariens ist das Brautgemach, in dem diese unaussprechliche Vereinigung sich vollzieht, eine Vereinigung, so unausdenkbar erhaben, dass kein anderer, als der Heilige Geist selbst ihr Urheber ist, und so über alle Begriffe innig, dass die wesenhafte Liebe selbst sie besiegelt. Wenn wir nun die heilige Menschheit im Zustand dieser Vereinigung mit dem Wort betrachten, so müssen wir erkennen, dass sie auf höchst wunderbare Weise in überschwänglicher Fülle jene Wesenszüge verwirklicht, an denen der hl. Bernhard die Braut des Wortes uns zu erkennen lehrt. Die menschliche Natur Jesu hat sich in Wahrheit ganz von sich selbst entäußert und ist losgelöst von allem Geschaffenen: sie hat "alles verlassen". Gewiss kann es keinem Zweifel unterliegen, dass sie eine durchaus wahre, menschliche Natur ist, dass sie ganz und gar unserem Geschlecht angehört; Jesus ist "vollkommener Mensch" ebensowohl, wie "vollkommener Gott"<ref>Perfectus Deus, perfectus homo: Athanasisches Glaubensbekenntnis.</ref>. Die menschliche Natur Jesu Christi besteht unversehrt in allen ihren Teilen: Ihre unsterbliche, mit einem menschlichen Leib vereinigte Seele, hat alle Fähigkeiten, alle Sinne, alle Betätigungsmöglichkeiten der menschlichen Natur. Christus musste in allem seinen Brüdern ähnlich werden ... doch ist er ohne Sünde" (Heb. 2, 17; 4, 15).

Dennoch aber besitzt diese Menschheit nichts zu eigen. Sie gehört sich selbst so wenig, dass sie keine Eigenpersönlichkeit hat. So bleibt ihr das versagt, was in uns den innersten Mittelpunkt, diese Fülle von Selbständigkeit<ref> Diese Selbständigkeit kann natürlich nur eine bedingte sein, denn abgesehen davon, dass jedes Geschöpf wesentlich beschränkt ist, sind wir auch abhängig von Gott nach unserer Seinsbegründung und Seinsverhaltung.</ref> bildet, die das "Ich" darstellt<ref> Gemäß Seins- und Rechtsordnung. </ref> und die gleichsam die letzte Krönung der vernunftbegabten, persönlichen Natur bildet. In Jesus sind wohl zwei Naturen, aber nur eine einzige Person, die göttliche Person des Wortes, die in überragender Weise die menschliche Persönlichkeit ersetzt und ihre Stelle einnimmt. Wo könnten wir bei einer menschlichen Natur eine ähnliche völlige, gründliche Selbstentäußerung suchen oder finden. Relictis omnibus - sie hat alles verlassen.

Da also die menschliche Natur Jesus aus sich selbst nichts hat, "hängt sie wahrhaft aus all ihren Kräften dem Wort an". Die Innigkeit dieser Vereinigung ist unaussprechlich. Außerhalb jener überinnigen Einigkeit, mit welcher die drei göttlichen Personen in der wesenhaften Einheit ihrer Natur verbunden sind, gibt es keine andere Vereinigung, die so eng wäre, kein Ineinanderverschmelzen, das sich diesem vergleichen ließe. Die heiligste Menschheit ist in Wahrheit eins mit dem Wort. So sehr eins, dass zwischen ihnen alles gemeinsam ist, dass die Handlungen der menschlichen Natur Christi teilhaben an der einzigartigen und wesenhaften Schönheit, in der alle Werke der ewigen Weisheit erglänzen, dass sie von solch übernatürlichem und unendlichem Wert sind, wie er nur den Werken Gottes selbst eigen ist. Die allerheiligste Menschheit ist so durchaus eins mit dem Wort Gottes, dass um seinetwillen auch ihr, als göttlich, Anbetung gebührt.

Es ist dies eine unlösbare Verschmelzung. Nachdem sie einmal verwirklicht ward, hört sie nicht mehr auf. Der Tod selbst konnte sie nicht brechen und seitdem, wie in nie endender Ewigkeit, betrachten, bewundern und lobsingen alle Auserwählten anbetend, die dem Wort Gottes vereinte allerheiligste Menschheit.

So unbeschränkt diese Besitznahme der allerheiligsten Menschheit durch das Wort, ebenso rückhaltlos ist umgekehrt auch die Selbsthingabe dieser Menschennatur, ebenso machtvoll in ihrer freien Betätigung die Hingerissenheit ihrer Liebe zum Wort. Zwischen ihr und dem Wort Gottes herrscht vollkommene und ununterbrochene Gemeinschaft der Gedanken, der Gefühle, des Wollens und Wirkens. Ihr ganzes Leben, all ihre Tätigkeit ist in Wahrheit wie ihr Wesen der Verherrlichung des Wortes geweiht. Sie "lebt dem Wort". Wie sie von ihm Leben, Dasein und all die höchsten Gaben und Gnadengeschenke erhalten hat, so gibt sie sich mit ihrem ganzen Sein und all ihrem Tun dem Worte hin. Das Gleiche, was Christus als Wort Gottes, von seinem Leben für den Vater sagte, kann die allerheiligste Menschheit gewissermaßen sich zu eigen machen, in Bezug auf ihr, ganz dem Wort Gottes hingegebenes Leben. "Meine Lehre habe ich nicht aus mir" (Joh 7, 16), sondern von jenem, dem ich innigst vereint bin. "Ich kann nichts aus mir selbst tun", sondern nur nach den Weisungen dessen, der mich in sich besitzt ... "ich richte, wie ich es höre" (vgl. Joh 5, 19; 30).

So ist denn auch diese allerheiligste Menschheit in den Händen des göttlichen Wortes ein Werkzeug von wunderbarer Vollkommenheit und Gelehrigkeit. Sie lässt sich "von ihm leiten". Wie sie in der Ordnung des Seins keine Eigenpersönlichkeit hat, so besitzt sie eine solche auch nicht auf dem Gebiete der Tätigkeit. Das Wort Gottes verfügt über alles, hat alles in der Hand. Die menschliche Natur ist emporgehoben und das ewige Wort erniedrigt sich in keiner Weise: Unbeweglich und unveränderlich beherrscht es in allem und überall die ihm geeinte, menschliche Natur; daher kommt es, dass in Jesus Christus, der vom ewigen Worte erhobene und seiner Weisung durchaus unterworfene Mensch, nur göttliche Gedanken, nur göttliche Regungen kennt. All sein Denken, sein Wollen, sein Reden, alles was er innerlich verbirgt, wie alles, was er äußerlich an den Tag legt, ist vom Wort belebt, vom Wort geleitet, des Wortes würdig. Die allerheiligste Menschheit dient dem Worte Gottes als Kanal seiner Gnaden. Durch sie erscheint er den Menschen, offenbart ihnen die göttlichen Geheimnisse, ergießt über sie die Worte seiner Weisheit und offenbart durch sie die ewige Güte und die unwandelbare Liebe.

Ihre Brautgabe hingegen, die Mitgift jener, die aus sich selbst nichts besitzt, besteht darin, dass sie dem ewigen Wort gibt, hinieden leben zu können als Mensch, dass es vermittels der menschlichen Erscheinung die Herzen entzücken und an sich ziehen könne, dass es sein Reich zu erobern vermöge. Sie lebt so durchaus der Verherrlichung des Wortes, dass sie sich ihm anheimgibt in völligster, aber liebeglühendster Abhängigkeit bis zum Tod. In seiner allerheiligsten Menschheit besitzt ja das Wort das, was sich in seinem göttlichen Reichtum nicht findet und nicht finden kann; dass es nämlich leiden, sühnen und sterben könne für die Menschen. Diese Menschheit hat dem Wort Gottes vom ersten Augenblicke ihrer Vereinigung mit ihm sagen können: "Du bist mir ein Blutbräutigam" (Ex 4, 25). Nachdem sie sich einmal hingegeben hatte, um mit ihm und in ihm den Willen des Vaters ganz und gar zu erfüllen, hat sie während ihres ganzen irdischen Daseins nicht aufgehört, nach dieser "Bluttaufe" zu verlangen (Lk 12, 50), in der die wunderbare und seither unerschöpfliche Fruchtbarkeit dieser unaussprechlichen Vereinigung sich erfüllen sollte.

Durch den Tod vor allem hat ja die allerheiligste Menschheit "all ihr Wirken vom Wort befruchten lassen". Aus dem Tod ist das Leben hervorgegangen. Aus dem durchbohrten Herzen Jesu ist die Flut lebendigen Wassers hervorgeströmt, welche "die heilige Stadt erfreuen soll", nach dem die Seelen wiedergeboren wurden durch die Gnade. Die Frucht dieser Vereinigung, die sich auf Kalvaria zwischen dem Wort und der menschlichen Natur vollzogen hat, ist die Kirche, ist die Schar der Auserwählten, eine Schar, die der hl. Johannes "unzählbar" nennt (Offb 7,9); die da durch das göttliche Blut "erworben ist aus allen Stämmen und Sprachen, aus allen Völkern und Nationen" (Offb 5, 9), um in alle Ewigkeit das herrliche und sieghafte Königreich des Bräutigams und der Braut zu bilden.

All diese wunderbar erhabenen Werke hat nur die Liebe vollbracht, die Liebe des ewigen Wortes zu seiner menschlichen Natur und die Liebe der allerheiligsten Menschheit zum Wort Gottes. Ihre Vereinigung hat sich vollzogen unter dem Wirken des Heiligen Geistes, der da die wesenhafte Liebe ist. Die Liebe hat sie zusammengeführt im Schoße der allerreinsten Jungfrau, so dass sie "empfing vom Heiligen Geiste". Von der Liebe begonnen, ward diese Vereinigung geweiht und geheiligt durch die Liebe, von der Liebe genährt, in der Liebe vollendet. "Christus", sagt der hl. Paulus, "hat sich selbst kraft des ewigen Geistes als makelloses Opfer Gott dargebracht... " (Hebr. 9, 14).

Das ist, in der Unzulänglichkeit menschlicher Worte ausgedrückt, das unaussprechliche Geheimnis der göttlichen Vermählung zwischen dem Wort und der menschlichen Natur. Und dieses Geheimnis ist zugleich Quelle und Urbild der Vereinigung des ewigen Wortes mit den ihm geweihten Seelen. Obwohl einzig in ihrer Eigenart, wird die hypostatische Vereinigung durch eine geheimnisvolle Erweiterung doch zu einer allumfassenden. Christus, der Gottmensch, das menschgewordene Wort, geht mit den Seelen eine wahrhaft bräutliche Verbindung ein, die sich zwar, je nach den Seelen, in verschiedene Abstufungen gliedert. Gewiss ist die Stellung einer solch bräutlichen Seele in unendlich weitem Abstand von jener der menschlichen Natur in Jesus Christus.<ref>Die Vereingung des Wortes mit der menschlichen Natur in Jesus Christus ist eine wesentliche und persönliche. Zwei Naturen sind hier in der Einheit der Person verbunden. In der menschlichen Seele ist die Vereinigung mit dem Wort Gottes ihrer Natur nach eine akzidentelle und moralische, weil ja das menschliche Geschöpf in der Seinsordnung seine Eigenpersönlichkeit bewahrt. Die Vereinigung mit dem Worte verwirklicht sich in der Ordnung der Tätigkeit (Erkenntnis, Liebe und Werke).</ref> Immerhin ist sie noch so erhaben, von solch außerordentlicher Fruchtbarkeit, dass sie die Seelen entzückt und jene beseligt, die dazu auserwählt wurden.

O Herr, mein Gott, wenn der Psalmist sagen konnte, dass, "deine Freunde überaus hoch geehrt sind" (Ps 138, 17), wie sollen wir dann die unendliche Herablassung deiner Liebe genügend preisen, die sich in unbegreiflicher Güte den Seelen zuneigt, die du nach dem Vorbild deiner allerheiligsten Menschheit zur bräutlichen Würde berufen hast!

'ALLES VERLASSEN'

Die Vereinigung des ewigen Wortes mit der menschlichen Natur in Jesus Christus ist nach einem Gedanken des hl. Paulus das Bild der Vereinigung Christi mit der Kirche. Mag nun diese letztere auch noch so schön und ihre fromme Betrachtung überaus nützlich für unsere Seelen sein, so wollen wir uns hier doch nicht dabei aufhalten. Übrigens verwirklicht sich ja diese Vereinigung Jesu Christi mit seiner Kirche, als Braut, in besonderer und greifbarer Form auch nur in den einzelnen Seelen. Somit werden wir uns hier mit der Vereinigung der einzelnen Seele mit dem menschgewordenen Worte beschäftigen.

Die erste Eigenschaft, die der hl. Bernhard von der Seele verlangt, die zur Würde der Braut Christi gelangen will, ist die freiwillig zugestandene, und in Aussicht auf die übernatürliche Verbindung verwirklichte Loslösung von allen Dingen: Alles verlassen. Es ist das die Trennung von allem, was das Herz teilen, was ein Hindernis der vollkommenen Vereinigung sein könnte.

Im "Gleichnis vom großen Abendmahl" zählt unser Herr und Heiland selbst die wichtigsten Hindernisse auf, die den Seelen im Weg stehen, um der Einladung des Königs zu folgen. "Ich habe fünf Joch Ochsen gekauft und gehe hin, sie zu erproben; ich bitte dich, halte mich für entschuldigt": Da sehen wir die allzu fesselnde Beschäftigung mit den Dingen dieser Welt. - "Ich habe ein Landgut gekauft, und muss hingehen, es anzusehen": Das ist die Eitelkeit des Besitzes, vereint mit der befriedigenden Ruhe in der Unabhängigkeit. - "Ich habe eine Frau genommen und kann deshalb nicht kommen" (Lk 14, 18-20). Da sind es die Bande der Sinne, die Anhänglichkeit des Fleisches. Diese drei Ausreden des Gleichnisses weisen uns hin auf die drei hauptsächlichen Hindernisse, welche der Seele zur vollkommenen Vereinigung mit dem himmlischen König im Wege stehen.

Diese Hindernisse nun werden durch die Gelübde entfernt. Wir haben schon an anderer Stelle<ref>S. Marmion-Spiegel, Christus unser Ideal, II. Die Nachfolge Christi, S. 24-48, VI. Die klösterliche Profess, Seite 125-140. Verlag Schöningh, Paderborn. </ref> im allgemeinen die Rolle betrachtet, welche die Gelübde bei dem Werke der Losschälung einer Seele spielen. Hier wollen wir in besonderer Weise das Hindernis ins Auge fassen, das sich der gänzlichen Vereinigung der Seele mit dem ewigen Worte, als Bräutigam, schnurstracks entgegensetzt. Dieses Hindernis liegt nach dem Wort des Apostels (1 Kor 7,33) in der Teilung, welche die menschliche Liebe mit sich bringt. Und dieses Hindernis wird durch die gottgeweihte Jungfräulichkeit beseitigt.

Die Fruchtbarkeit ist eine göttliche Eigenschaft. Mehr als das, in Gott ist sie Voraussetzung des Lebens. Leben heißt für Gott "dreifaltig sein, also im eigenen Schoße die Fruchtbarkeit betätigen". Gottsein, im höchsten Sinne fruchtbar sein, ist ein und dasselbe. Das eine wie das andere ist wesentlich Tätigkeit. Für Gott also heißt leben in sich selbst fruchtbar sein, heißt, in sich selbst sowohl Ursprung und Ziel einer immer tätigen Fruchtbarkeit sein. Der Vater zeugt den Sohn. Vater und Sohn teilen sich ihre gegenseitige Liebe mit, die da ist der Heilige Geist. So groß ist die Fülle dieser unendlichen Fruchtbarkeit, dass durch sie sozusagen die Gottheit erschöpft wird. Gott hat nur einen Sohn, der ihm gleich ist an Vollkommenheit, so gleich, dass er nur einer ist, so vollkommen, dass der Vater, ihn betrachtend, in diesen Ruf des Wohlgefallens ausbricht: "Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt" (Ps 2, 7; Hebr 1, 5; 5, 5). Es ist nur ein Geist, nur eine wesenhafte Liebe, durch welche die Vereinigung vom Vater und Sohn auf ewig besiegelt und der innere Kreislauf göttlicher Mitteilungen vollendet wird.

Gott gibt dem Menschen, indem er ihm das Dasein schenkt, die Macht und das Recht der Nachahmung seiner allerheiligsten Vaterschaft: Er hat den Menschen fruchtbar gemacht. Mehr noch. In Bezug auf seine Art hat der Mensch von Gott den Befehl erhalten, sich zu vermehren. Denn nachdem Gott die Erde für den Menschen erschaffen hat, will er auch, dass sie erfüllt werde von den Sprösslingen menschlicher Fruchtbarkeit: "Seid fruchtbar und mehrt euch und erfüllt die Erde" (Gen. 1,28).

Diese Fruchtbarkeit ist gleichsam ein Widerschein der göttlichen Fruchtbarkeit. Im ursprünglichen Plane Gottes würde sie die höchste Entwicklung der natürlichen Vollkommenheit des Menschen gewesen sein. Selbst nach der Sünde Adams ist ihr noch eine übermenschliche Größe eigen, ist sie noch umstrahlt vom Glanze eines ursprünglichen Adels, weil sie ein Abbild jener Fruchtbarkeit ist, "von der alle Vaterschaft im Himmel und auf Erden ihren Namen hat" (Eph 3, 15). Daher hören wir auch die Stammutter Eva, als sie ihren Erstgeborenen im Arme hält, voll Freude ausrufen: "Ich habe durch Gott einen Menschen erhalten" (Gen 4, 1). Dieser Ruf frohlockender Freude ist ein, in der Schöpfung widerklingendes, zwar schwaches, aber treues Echo jenes Rufes, den Gott "im Glanze der Heiligen" (Ps 109,3) erschallen lässt, um seine ewige Fruchtbarkeit zu preisen.

So verstehen wir auch, wie der hl. Paulus in Bezug auf die menschliche Ehe sagen konnte: "dieses Geheimnis ist groß", doch fügt er alsogleich hinzu: "ich meine wegen der Beziehung zu Christus und seiner Kirche"(Eph 5, 32).

Was will der Apostel damit sagen? Er will andeuten, dass die Größe dieses Sakramentes darauf beruht, dass es die Vereinigung Christi mit seiner Kirche, mit den Seelen, versinnbildet. Es gibt also eine erhabenere, aber nicht weniger innige Vereinigung, als jene der Vermählten auf Erden. Es gibt eine höhere Wirklichkeit, einen erhabeneren Stand. Welches ist dieser? Jener, in welchem man nach dem Ausdruck des Pontifikale zur Jungfrauenweihe "nicht irdische Vermählung begehrt", sondern eine viel tiefere Innigkeit, eine weit ausgedehntere Fruchtbarkeit erstrebt, nämlich "die göttliche Vereinigung, die durch den Ehebund versinnbildet wird". Hier Schatten und Gleichnis, dort die tiefe, lichtvolle und überragende Wirklichkeit.

Die gottgeweihte Jungfräulichkeit aber, die zu dieser geistlichen Vermählung befähigt, ist nicht der Anteil aller; sie stellt eine Gnade der Auserwählung dar. Sagt der Heiland nicht selbst, dass "nicht alle dieses Wort fassen"? (Mt 19, 11.) In der wundervollen, altehrwürdigen Präfation der Jungfrauenweihe preist die Kirche in den erhabensten Ausdrücken die Größe dieser gottgeweihten Jungfrauschaft. Sie zählt die Hindernisse auf, die sich diesem hohen Gnadenstande in einer noch mit sterblichem Fleisch bekleideten Seele entgegenstellen: "Das Gesetz der Natur, der Reiz der Freiheit, die Macht der Gewohnheit und die Lockungen der Jugend." "Gott allein kann daher", so fügt sie hinzu, "das Verlangen eines solchen Lebens eingeben. Du bist es, o Herr, der in der Seele jene Liebe zur Jungfräulichkeit entflammtest, jenes keusche Verlangen in ihrem Herzen durch deine Güte nährtest, und ihr die nötige Stärke verliehen hast... - Die selige Jungfräulichkeit hat ihren Urheber erkannt, und eifersüchtig, der Reinheit der Engel nachzustreben, sich ganz der Verbindung mit dem geweiht, der in der Weise der Bräutigam der ewigen Jungfräulichkeit sein will, wie er der Sohn derjenigen ist, die beständig Jungfrau war" (Pontificale Romanum). Dieser jungfräuliche Stand ist nach dem hl. Bernhard Voraussetzung für jede Seele, die nach der innigen und vollkommenen Vereinigung mit dem Worte verlangt. Sagt das nicht auch der hl. Paulus, da er von den Jungfrauen spricht? "Ich wünschte, ihr möchtet ohne Sorge sein ... wer verheiratet ist, der ist um weltliche Dinge besorgt, wie er der Frau gefalle." Die Folge davon ist dann, dass er "geteilt" ist. Er kann nicht all seine Aufmerksamkeit auf Gott wenden, ihm nicht ungeteilt seine Liebe weihen. "Die unverheiratete Frau und die Jungfrau ist auf die Sache des Herrn bedacht" (1. Kor 7, 32; 34). Sie sucht nur ihm allein zu gefallen. Ihre Liebe und ihr Herz sind unversehrt und ganz Gott hingegeben. "Die Jungfrau will an Leib und Seele heilig sein und nur dem Herrn gefallen" (ebd.). Das Gelübde der Jungfräulichkeit bezeichnet also die Seele mit jenem Merkmal gänzlicher Loslösung von allen Geschöpfen, die eine im voraus verlangte Bedingung ist, auf dass die Seele sich als Braut mit dem Worte Gottes vereine.

Am Tag der Gelübdeablegung haben die Gottgeweihten diese Bedingung erfüllt. In jener Stunde haben sie in ungezwungener Erwiderung auf den göttlichen Ruf nicht nur dem Heim Lebewohl gesagt, wo ihre Wiege stand und wo sie herangewachsen sind, sie haben auch in vollster Freiheit auf jede irdische Verbindung, wie auf das Recht, eine Familie zu gründen, verzichtet; "sie haben allem entsagt", sie haben den entschiedensten Verzicht auf alle Dinge und auf sich selbst verwirklicht: "Alles verlassen", um sich mit Leib und Seele dem ewigen Worte zu weihen. Diese gänzliche Hingabe, die sie auf Eingebung Gottes vollzogen und mit seiner Gnade verwirklicht haben, erfüllt sie mit tiefinnerer Freude. Möge sie ihnen auch Veranlassung zu unaufhörlicher Danksagung sein! Ist sie es ja doch, die ihnen die wundervolle Möglichkeit verschafft "auf ungestörte Hingabe an den Herrn im Gebet" (1 Kor 7, 35)<ref>Nach dem hl. Augustin, dessen Ansicht auch der hl. Thomas teilt, genügt es nicht, die körperliche Unversehrtheit zu bewahren, um das den Jungfrauen gezollte Lob zu verdienen. Es gehört dazu auch die Absicht, diese Unversehrtheit Gott zu weihen: Nec nos hoc in virginibus praedicamus quod virgines sunt, sed quod Deo dicatae, pia continentia virgines sunt. De virginit, c. 8. Cf. Summa theolog., lI-lI, q. CLII, a. 1 et 3.</ref>. Diese Hingabe ist es auch, die sie für immer in den "geschlossenen Garten" (HI4, 12) des Bräutigams führt, um sich dort seiner Gaben und seiner Gegenwart zu erfreuen! Ist sie es nicht, die ihr Seele zum "besiegelten Brunnen" (ebd.) macht, voll von lebendigem, immer fruchbringendem Wasser? …

Sehr wichtig aber ist es, nicht das zurückzunehmen, was ein für allemal so großmütig hingegeben wurde. All jene, die sich mit Leib und Seele Gott geweiht haben, müssen aufs sorgfältigste von den Zugängen ihres Herzens nicht nur all das entfernen, was dessen Reinheit trüben könnte, sondern auch alles, was dazu angetan wäre, den innigen Verkehr der Seele mit Jesus Christus zu vermindern oder zu schwächen.

In der oben genannten Präfation der Jungfrauenweihe bittet die Kirche, Gott möge "mit seinem Beistand und seiner schützenden Hilfe die Seele umgeben", die sich in jungfräulicher Liebe ganz dem Herrn geweiht hat. Sie bittet "um Segen und Erleuchtung von oben, damit nicht die alte Schlange, die die höheren Bestrebungen mit feineren Nachstellungen verfolgt, bei etwaiger Fahrlässigkeit des Geistes sich einschleiche, um den Sieg vollkommener Jungfräulichkeit zu verdunkeln"<ref>Da protectionis fuae munimen et regimen ne hostis antiquus qui excellentiora studia subtilioribus infestat insidiis ad obscurandam perfectae continenttae palmam per aliquam mentis serpat incuriam. Po nt. Rom. </ref>. In der Tat wird eine Seele nur durch die Wachsamkeit, mit der sie die geringsten Gelegenheiten vermeidet und augenblicklich den bösen Einflüsterungen, den ungesunden Träumereien Einhalt gebietet, rein und unbefleckt die Palme bewahren, die diesem erhabenen Stand gebührt.

Diese Wachsamkeit darf niemals ermüden, diese Standhaftigkeit niemals versagen. Ein jungfräuliches Herz, das seine Reinheit nicht durch strengste Bewachung und Abtötung der Sinne verteidigt, läuft Gefahr, der Versuchung zu erliegen, vor allem, wenn es dieser durch Unvorsichtigkeit Gelegenheit gibt. Hier gilt es die kleinsten Unordnungen nicht gering achten, denn sie sind der Anfang zu größeren, und ein vernichtendes Feuer ward oft durch den kleinsten Funken entzündet.

Sehr häufig liegt solcher Nachlässigkeit in der Bewachung des Herzens der Hochmut zugrunde. Sich der Gefahr aussetzen, heißt in der Tat so viel, als behaupten, dass man aus eigener Kraft die Keuschheit zu bewahren vermöge. Es ist aber immer nur der Sieg der Gnade und niemals der unsere, wenn wir in unserem verderbten Fleisch jungfräulich zu leben vermögen. Die Jungfräulichkeit ist ein Gnadengeschenk Gottes<ref>"Nicht alle", so sagt der Heiland selbst, "fassen dieses Wort (von der gottgeweihten Jungfräulichkeit), sondern nur die, denen das Verständnis dafür gegeben ist (Mt 19, 11- 12). So heißt es auch in der Präfation der Jungfrauenweihe "unter den übrigen Tugenden, die du deinen Kindern ... eingepflanzt, hat deine überströmende Freigebigkeit in einzelne Seelen auch diese Gabe ausgegossen", siehe auch Anmerkung oben.</ref>, deren zarter Hauch nur durch Hilfe von oben uns erhalten bleibt. Und da Gott vor allem den demütigen Herzen seine Gnade in reichster Fülle zuteil werden lässt, ist es leicht erklärlich, dass zwischen der Demut und dem hohen Vorrecht der Jungfräulichkeit die innigste übernatürliche Wechselbeziehung bestehe.<ref>Der hl. Augustin betont sehr nachdrücklich, wie notwendig der Jungfrau die Demut sei. Im Anschluss an das Wort der Schrift "erniedrige dich um so tiefer, je höher du erhoben bist, und du wirst Gnade finden vor den Augen Gottes" fügt er bei. Weil die beständige Enthaltsamkeit und vor allem die gottgeweihte Jungfräulichkeit für die Heiligen Gottes von unendlichem Werte ist, bedarf es der aufmerksamsten Wachsamkeit, um diese kostbare Gnadengabe nicht durch Hochmut zu erniedrigen. De sancta virginitate, c. XXIII, n. 33.Cf. c. XXVllI, n. 39; c. XXXI et sq.</ref>

Da gilt es also für die jungfräuliche Seele in demütigster Gesinnung über sich selbst zu wachen, und niemals irgendeinem Geschöpf die Unversehrtheit ihrer Liebe preiszugeben. Der geweihte Schleier, mit dem die heilige Kirche das Haupt der Jungfrau am Tage ihrer feierlichen Hingabe bedeckt, ist das äußere Kennzeichen der ausschließlichen Liebe, die der himmlische Bräutigam von ihr verlangt: "Er hat ein Zeichen meinem Angesicht eingeprägt, dass ich außer ihm keinen Geliebten zulasse."<ref> Posuit signum in faciem meam ut nullum praeter eum amatorem admittam. Pont. Rom.</ref>

Gewiss handelt es sich hier nicht um eine solch gänzliche Ausschließlichkeit, dass die Liebe eines gottgeweihten Herzens sich nicht auch auf alle, in göttlichem Licht geschauten Geschöpfe, ausdehnen dürfte und müsste. Ja, wir müssen unsern Nächsten lieben nicht wie ein abstraktes Wesen, sondern so wie er sich uns in der konkreten Wirklichkeit darstellt. Wir haben an anderer Stelle die ganz umfassende Macht des Gebotes der Nächstenliebe betont.<ref>Siehe Marmion-Spiegel, Christus das Leben der Seele, Kap. 11. Liebt einander, S. 385- 402, ferner Christus unser Ideal, S. 466-502. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn. </ref> Nur die Heiligen, das heißt, die völlig von sich selbst entäußerten Seelen, werden in der Tiefe ihres Herzens die unübertrefflichen Reichtümer wahrer Liebe finden.

So der hl. Bemhard. Es ist bekannt, wie gänzlich sein Herz frei war von aller Anhänglichkeit an die Geschöpfe und wie innig gottgeeint es war. Er verlangte völlige Loslösung als erste und unumgänglich notwendige Voraussetzung der Vereinigung mit Gott, nur deshalb, weil er selbst in seiner eigenen Seele diesen Verzicht auf alles verwirklicht hatte. Und doch ist es derselbe Heilige, der seinem, vor allem geliebten Sohn, dem Mönche Robert, der von Clairvaux nach Cluny übergetreten war, schrieb: "O wie unglücklich bin ich, seit ich dich nicht mehr habe, dich nicht mehr sehe, seit ich leben muss ohne dich! Für dich zu sterben, wäre mein Leben; ohne dich zu leben, ist mein Tod" (PL t. 182, epist. I, n. 1).

Am Tage nach dem Tode seines Bruders Gerhard, dessen Beisetzung er vollzogen hatte, ohne eine Träne zu vergießen, musste er plötzlich vor dem versammelten Kapitel der Mönche, in seinem üblichen Vortrag, die Erklärung des Hohenliedes unterbrechen, um öffentlich und vor allen seiner zu lang zurückgedämmten Bewegung freien Lauf zu lassen. Wie beredt wird hier der Ausdruck seiner Trauer! "Mein zu lange zurückgehaltener Schmerz ist um so heftiger geworden, je weniger ich ihm gestattet habe, sich zu äußern; jetzt aber muss ich gestehen, dass ich mich als besiegt ergebe. Das, was ich innerlich leide, muss ich nach außen kundtun ... O geliebter Gerhard, du mein Bruder der Natur nach, und mehr noch durch die Gnade, du, dem alle Liebe meines Herzens gehörte, warum musstest du mir entrissen werden? Wie ist es nur möglich, dass wir, die wir uns so zärtlich liebten, durch den Tod getrennt wurden? .. Wir waren nur ein Herz und eine Seele, und so hat das Schwert des Todes meine Seele zugleich mit der deinen durchbohrt (In Cantic. XXVI)." Diese ganze Rede ist nichts anderes als ein immer erneuter Ausruf aus tiefstem Herzen kommender, sehnender Bruderliebe.

Das war die Liebe eines hl. Bernhard. In gleicher Weise liebte ein hl. Anselm, eine hl. Theresia, ja die Heiligen aller Zeiten. Das Geheimnis der Kraft und zugleich der Zartheit ihrer Gefühle liegt in der Reinheit ihrer Liebe.

So sollten auch wir uns bestreben, dem himmlischen Bräutigam die Fülle der Liebe zu schenken, die er von uns verlangt. Wohl gibt er uns das Gebot, einander zu lieben, wie er selbst uns geliebt hat. Wohl macht er dieses Gebot ausdrücklich zu dem seinen und zum Gegenstand seines letzten, des hochpriesterlichen Gebetes (Joh 13, 34; 15, 12; 17, 21-22). Dennoch aber ist seine göttliche Liebe eine eifersüchtige Liebe. Der himmlische Bräutigam nimmt in der Liebe der ihm geweihten Seelen in umfassendster Weise für sich den ersten Platz in Anspruch.<ref> Diesen ersten Rang büßt er ein, wenn die Liebe zu einem Geschöpfe zu natürlich ist, wenn sie das Gefühlsleben zu stark beschäftigt oder den Geist, besonders zur Zeit des Gebetes, zu sehr in Anspruch nimmt, wenn sie die Seele beunruhigt, wenn sie zur Quelle kleiner Untreuen wird oder wenn sie andere Personen ausschließt. </ref>

Er will mit unumstößlich souveränem Rechte, dass die ihm geweihte Seele ganz und gar ohne Rückhalt, ohne Teilung, ohne Anhänglichkeit an irgendeine Person oder eine Sache ihm gehöre; dass sie in völligem Verzicht auf alles, in vollständiger Entäußerung lebe. Sie muss: "alles verlassen".<ref>"Besitzt der Mensch irgend etwas, was er liebt und woran er seine Lust hat, soll er bei sich gedenken, dass Gott ihm selbes gegeben hat, nur darum, dass er dadurch zur Gottesliebe bewegt werde ... Diese Liebe ist gar zart und geduldet nichts über sich oder neben sich. Jesus, der Sohn der väterlichen Liebe, will allein sein, allein der Geliebteste und Innerste deinem Herzen." Hl. Mechthild, Buch der besonderen Gnade, IV. Teil, Kap. 59, übersetzt von J. Müller, Regensburg, Verlag Manz. </ref> Diese Worte umfassen Tiefen, die nur im Gebete verstanden werden können. Sie setzen eine derartige Entäußerung voraus, dass manche Seele erschreckt zurückweicht. Es gibt in der Tat kein Gebiet, auf welchem Täuschung leichter ist als hier. Denn wir alle haben die eine oder andere Anhänglichkeit. Wir sollten aber imstande sein, Jesus Christus, unserem göttlichen Meister, ins Auge zu schauen und ihm in voller Wahrheit zu sagen: "Mein göttlicher Herr und Meister, du bist mein Gott und mein alles. Ich suche nur dich, dich ganz allein ... " Glücklich die Seele, die in voller Aufrichtigkeit diese Worte sagen darf. Ihr wird der Herr in unendlicher Zärtlichkeit, die da Unterpfand ist der geheimsten Segnungen, erwidern: "Und ich, mein Kind, ich bin ganz dein!"

Im Leben der hl. Gertrud finden wir ein Beispiel dieser gänzlichen Loslösung von allem Geschaffenen. Der Ruf ihrer Heiligkeit war so groß, dass Gertrud von allen Seiten um Rat gefragt wurde. Aus christlicher Nächstenliebe war die Heilige stets zu jeder Hilfeleistung bereit. Aufmerksam auf die leiseste Bitte, opferte sie in unerschütterlicher Geduld, Zeit und Kraft, um all jene, die oft von weither Rat suchend zu ihr kamen, liebevoll aufzunehmen und ihnen Hilfe und Trost zu gewähren. Während dieser Unterredungen jedoch konnte sie nicht umhin, sehnsüchtig nach dem Augenblick zu verlangen, wo sie wieder mit ihrem Geliebten allein sein dürfe. Die Beziehungen nach außen hin waren ihr in Wahrheit ein Kreuz. Und hätte sie nicht in diesem Verkehr mit der Welt eine Gelegenheit gefunden, die Verherrlichung Gottes zu fördern, so würde nichts sie dazu vermocht haben.

Hingerissen von der Glut der inneren Liebe, sprang Gertrud dann manchmal auf und begab sich in den Nonnenchor, um vor dem Herrn die Sehnsucht ihres Herzens zu ergießen: "Sieh doch, o mein süßester Meister", sagte sie, "wie sehr mir der Verkehr mit den Geschöpfen zur Last ist. Wenn es mir frei stünde zu wählen, würde ich nie eine andere Gesellschaft suchen als die deine, mit niemand reden als mit dir. Ich würde freudig alles hintansetzen und zu dir kommen, du mein höchstes Gut, du einzige Freude meines Herzens und Wonne meiner Seele!" Und dann ergriff sie wohl ihr Kruzifix, küsste voll Innigkeit die Wundmale des Herrn und. betete: "Ich grüße dich, du mein Bräutigam voll der Gnade und Süßigkeit, ich grüße dich, o Jesus, in der Freude deiner Gottheit, mit der Liebe des ganzen Weltalls umfange ich dich und küsse in heißer Liebesglut die Wundmale deiner Liebe." Diese Andachtsübung beanspruchte kaum einige Augenblicke und dennoch offenbarte ihr der Herr eines Tages, dass diese Beweise ihrer Liebe seinem allerheiligsten Herzen unendlich teuer seien, dass er ihrer gedenke und ihr jeden Beweis solcher Liebe dereinst hundertfältig lohnen werde.

So hatten also die häufigen Besuche, die infolge des durch sie veranlassten Verkehrs mit der Welt eine Gefahr für ihr Seelenleben hätten bedeuten können, nur den einen Erfolg, dass sie der heiligen Mittel waren zu einer noch innigeren Vereinigung mit ihrem himmlischen Bräutigam. "An nichts, an gar nichts kann mein Herz Gefallen finden", sagte sie, "als nur an dir, o mein süßester Meister." Christus aber erwiderte ihr voll Zärtlichkeit mit ihren eigenen Worten: "Auch mir kann nichts gefallen und ich finde keine Freude im Himmel und auf Erden, wenn du nicht bei mir bist, denn meine Liebe gesellt dich all meinen Freuden, und alle meine Wonnen teile ich mit dir, und wisse; je größer diese Wonnen sind, um so reicher ist auch die Frucht für deine Seele", (Aus dem Leben der hl. Gertrud).

'AUS ALLEN KRÄFTEN DEM MENSCHGEWORDENEN WORTE ANHANGEN'

Um zur geistlichen Vermählung zugelassen zu werden, genügt es nicht, die Jungfräulichkeit Leibes und der Seele zu bewahren. Sagt uns doch der Heiland selbst, dass von den zehn Jungfrauen nur fünf in den Hochzeitssaal eingelassen wurden. Alle zehn aber waren Jungfrauen. Was war es also, das ihnen fehlte? Das Öl, von dem das Licht ihrer Lampen genährt werden sollte!

Die Kirchenväter sehen mit Vorliebe in diesem Öl das Sinnbild der Liebe. Es war also die Liebe, die den törichten Jungfrauen fehlte. Einzig deswegen wurden sie vom Hochzeitsmahl ausgeschlossen, und dieser Grund ist von zwingender Kraft. Ist die Liebe nicht in der Tat jenes "vollkommene Geschenk", das alle anderen krönt und ohne welches alle anderen wertlos sind? Hören wir, was der hl. Paulus sagt: "Wenn ich mit Menschen- und Engelszungen redete, aber hätte die Liebe nicht, so wär ich wie ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich die Prophetengabe hätte, und wüsste alle Erkenntnis, und wenn ich allen Glauben hätte, so dass ich Berge versetzen könnte, hätte aber die Liebe nicht: ein Nichts wäre ich. Und wenn ich alle meine Habe den Armen austeilte und wenn ich meinen Leib hingäbe zum Verbrennen, aber hätte die Liebe nicht: nichts würde mir helfen" (1 Kor 13, 1-3). Wenn solch außerordentliche Gaben und solch hervorragende Werke ohne die Liebe wertlos sind, so gilt dasselbe von der Jungfräulichkeit, die nicht durch die Liebe erhoben ist. Mag sie in sich selbst noch so ausgezeichnet sein, sie findet nicht Gnade in den Augen des Bräutigams und die Tür des Hochzeitssaales bleibt ihr verschlossen: "Wahrlich, ich kenne euch nicht" (Mt 25, 12).

Die Liebe ist also eine unumgänglich notwendige Voraussetzung für die Seele, die zur Vermählung mit dem himmlischen Bräutigam zugelassen werden will. Die Liebe ist das Band der Vereinigung. Diese Liebe aber wird kund in den verschiedenen, vom hl. Bernhard aufgezählten Einzelbetätigungen: "Aus allen Kräften dem menschgewordenen Worte anhangen, ihm leben, sich von ihm leiten lassen." Es sind dieses ebenso viele Verpflichtungen, welche die überragende Würde einer Braut Christi notwendig mit sich bringt. Es sind aber auch ebenso viele Stufen des Aufstiegs, die zu einer immer vollkommeneren und stets fruchtbareren Vereinigung führen.<ref>"Der unsterbliche Bräutigam, dem eure Jungfräulichkeit sich zu eigen gibt, hat zwei wunderbare Eigenschaften. Er ist durch die Reinheit seines Wesens unendlich weit von allem geschieden und durch eine Wirkung seiner mitteilenden Güte zugleich allen unendlich nahe ... Die christliche Jungfräulichkeit besteht in einer heiligen Trennung und in einer keuschen Vereinigung. Diese Trennung bildet ihre Reinheit, die keusche, göttliche Vereinigung ist die Ursache jener geistlichen Wonnen, welche die Gnade in die wahrhaft jungfräulichen Seelen ergießt", so sagt Bossuet in seiner Predigt über die Jungfräulichkeit. </ref>

Um zum Rang einer Braut Christi aufzusteigen muss die Seele, "aus all ihren Kräften dem menschgewordenen Worte anhangen". Sie muss, wie der Psalmist, wahrheitsgemäß sagen können: "Mir ist es gut, Gott anzuhangen" (Ps 72, 28). Wenn "der Mann Vater und Mutter verlassen muss, um seiner Frau anzuhangen" (Gen 2, 24), so muss die gottgeweihte Braut ihrerseits sich ganz dem himmlischen Bräutigam zu eigen geben.

Was will das besagen, sich dem Bräutigam zu eigen geben, ihm allein anhangen? Das heißt, ihm überall und in allem folgen, sich seine Gedanken zu eigen machen, auf seine Interessen eingehen, seine Arbeiten teilen, sich seiner Bestimmung zugesellen. Ein einziges Wort fasst alle diese Pflichten zusammen und drückt sie aus: Die Treue.

Diese Wahrheit gibt uns der Apostel zu verstehen und die heilige Kirche drückt in ihrem Pontifikale über die Jungfrauenweihe wiederholt den gleichen Gedanken aus.<ref>"Wenn Du (Christus) treu gedient hast, wirst du in Ewigkeit gekrönt werden, - halte treulich deinen Vorsatz; - mögest du unversehrte und vollkommene Treue bewahren" (Pont.Rom.). </ref> Handelt es sich in der Tat nicht um ein Versprechen, das gehalten werden, um einen Vertrag, der erfüllt werden muss? Und welches ist das Versprechen, das die gottgeweihte Seele gegeben, welches der Vertrag, den die Jungfrau unterzeichnet hat? Derjenige ihrer heiligen Gelübde. Darum ist die Treue in Beobachtung der Gelübde von so großer Wichtigkeit im Leben einer gottgeweihten Seele. Jede Übertretung dieser feierlichen Versprechungen beeinträchtigt ihre Vereinigung mit dem himmlischen Bräutigam.

"Aus allen Kräften" müssen wir durch solche Treue "dem Wort anhangen", unsere völlige Hingebung an den Bräutigam der Seele schützen. Diese Treue muss ein allumfassende sein. In Bezug auf den Bräutigam muss sie sich erstrecken auf alles, was seine Person, seine Rechte, seine Interessen, seine Verherrlichung angeht, - In Bezug auf die Seele muss sie all ihre Fähigkeiten umfassen, all ihre Handlungen veredeln, bis zum letzten Seufzer sich betätigen. Nichts, gar nichts darf dem Einfluss dieser Treue entzogen sein. Nichts darf sie vermindern oder beeinträchtigen. Sie muss ebenso beständig, wie frei von Ängstlichkeit seinl Die Seele muss dem Bräutigam verbunden bleiben, nicht nur in den Stunden der Freude, während welcher sie die Gegenwart des Geliebten genießt, sondern auch in Stunden der Finsternis, wo es scheint, als habe der Bräutigam sie verlassen, sodass sie überall unbeirrt, den suchend, den sie liebt, ohne ihn zu finden: "Auf meinem Lager ruhend, suchte ich in den Nächten, den meine Seele liebt, ich suchte ihn und fand ihn nicht" (HI 3, 1), wo sie ihn ruft, ohne eine Antwort zu erhalten, "ich rief, aber er antwortete mir nicht" (HId 5, 6).

Diese standhafte und beständige Treue jedes Augenblicks und auch in den allerkleinsten Dingen ist von außerordentlicher Wichtigkeit. Von ihr hängen die Vollkommenheit und die Fruchtbarkeit der Vereinigung ab. Diese bräutliche Treue in den kleinsten Einzelheiten ist dem ewigen Wort ungemein wohlgefällig. Von ihr sagt der Bräutigam: "Du hast mein Herz verwundet, meine Schwester, meine Braut! Du hast mein Herz verwundet mit einem Blicke deiner Augen und mit einer Locke deines Halses" (Hld 4, 9).

Bekannt ist auch dieses andere Wort des gleichen Liedes: "Fangt uns die kleinen Füchse, welche die Weinberge verwüsten, denn unser Weinberg steht in Blüten" (Hld 2, 15). Es sind dies Worte der Braut, die erfüllt von Liebe vor der Gefahr zittert, die den vom Geliebten gepflanzten und ihrer Sorge anvertrauten Weinberg bedroht. Sie fürchtet diese "ganz kleinen Füchse"; sie sind so klein, dass man sie kaum gewahrt, aber die Braut weiß, dass sie den Weinberg verwüsten, und weil die Interessen des Bräutigams die ihren sind - sie spricht ja von "unserem" Weinberg - ist es wohl kaum zu verwundern, dass sie sich darum bekümmert.

Welches ist nun dieser Weinberg und welches sind diese kleinen Schädlinge? Der Weinberg ist die Seele, die gottgeweihte Seele. Der Herr selbst hat sie gepflanzt oder vielmehr wir, die wir Gott gehören, wir "sind die Reben" dieses göttlichen Weinstockes, der er selbst ist. "Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben" (Joh 15, 5).

Auserwählte Reben, denn er hat uns geliebt mit einer Liebe der Bevorzugung. Er hat uns erwählt "vor unseren Genossinnen" (Ps 44, 8), um uns zur innigsten Vereinigung mit sich zu führen. Von jeder unserer Seelen kann der Herr sagen: Siehe da "meinen Weinberg" (Is 5, 3), den ich erkauft habe durch mein Blut, den ich mit schützenden Mauern umgeben, in dessen Mitte ich einen Brunnen lebendigen Wassers gegraben habe, um seine Wurzeln zu befruchten - die heiligen Sakramente nämlich, die da immer sprudelnde Quellen von Licht und Gnade sind! "Was ist es, das ich meinem Weinberg noch hätte tun sollen und nicht getan habe?" (Is 5, 4.). Daher auch verlangt der Herr mit vollem Recht von diesem, mit so viel Liebe gepflegten Weinberg zahlreiche Früchte, jene Früchte, deren Menge den Vater verherrlicht: "dadurch wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viele Frucht bringt" (Joh 15, 8). Der immer vorherrschende Gedanke ist die Verherrlichung seines Vaters und er kann mit vollem Recht von den Seelen, die er aus so vielen andern auserwählt hat, um sie bräutlich mit sich zu vereinen, verlangen, dass sie seinen Eifer für die Verherrlichung seines Vaters teilen, und daher reich seien an guten Werken und an Früchten der Heiligkeit.

Wie kann es nun geschehen, dass solch bevorzugte Seelen, denen der Herr mit den auserwähltesten Gnaden seiner Liebe zuvorgekommen ist, dennoch kaum fortschreiten, und jenen hohen Grad innigster Vereinigung mit dem himmlischen Bräutigam nicht erreichen, durch welche sie zu überaus fruchtbaren Reben sich entfalten würden? Was ist es, das diese Reben hindert, die überreiche Frucht zu tragen, an welcher das Herz des Bräutigams sich erfreuen könne? Daran sind die Verwüstungen "der kleinen Füchse" schuld. Klein sind diese Füchse nur dem Schein nach, nicht aber, was ihre List und ihre Schädlichkeit angeht. Ihre Verwüstungen sind in Wirklichkeit bedeutend, so dass die aufmerksame Braut sie fürchtet. Was ist es denn, das wir unter diesen Schädlingen, die den blühenden Weinberg verwüsten, und ihn hindern, für den Geliebten fruchtbar zu sein, verstehen müssen?

Sind es vielleicht unsere körperlichen oder geistigen Unvollkommenheiten? Gewiss nicht. Die Heiligen alle haben diese Schwächen und Fehler gekannt, die Schwerfälligkeit unseres Leibes, den Zwiespalt zwischen Geist und Fleisch, diese Mitgift unserer gefallenen Natur als Folge der Sünde, der Vererbung, des Temperamentes, der Erziehung. Der himmlische Bräutigam zögert nicht, sich mit einer Seele zu verbinden, die von Natur aus schwach ist und leicht strauchelt, weil sie von kleinen Fehlern häufig überrascht wird, denn er ist die unendliche Liebe und Barmherzigkeit, gekommen, um unser ererbtes Elend zu heilen, das ihn nicht abstößt, sondern vielmehr zum Mitleid bewegt.

Ebenso gewiss aber ist es auch, dass der Herr sich niemals auf innige Weise mit einer Seele vereinigen wird, die untreu ist. Die Treulosigkeiten, das ist es, was den Weinberg verwüstet. Solche Fehler können an sich "klein sein" und sind es inhaltlich sogar meistens. Aber sie sind gefährlich, sobald sie gewohnheitsmäßig oder mit Überlegung geschehen. Wenn man in den Übungen der Frömmigkeit nachlässig wird, ohne Not das Stillschweigen bricht, bewusst und überlegt gegen eine, wenn auch noch so geringe Vorschrift der Regel verstößt, wenn man die gewohnten Gebräuche, und seien es auch die unscheinbarsten und alltäglichsten, unter dem Vorwand von Weitherzigkeit beiseite lässt, wenn man die Zeit mit nichtssagenden Dingen vertändelt, sich schädlichen Träumereien hingibt, bewusst gegen die Liebe fehlt, die Anordnungen und das Verhalten der Oberen bekrittelt, so sind das alles Dinge, die die Treue schädigen und das Leben der Vereinigung schwächen. Was aber geschieht, wenn solche Treulosigkeiten immer wieder vorkommen und schließlich fast zur Gewohnheit werden? Dann wird man sehr bald aus dem Überfiuss der erhaltenen Gnaden nur mehr geringen Nutzen ziehen. Der innige Verkehr mit dem Herrn lässt nach, die Einwirkung des Heiligen Geistes wird seltener, der Fortschritt hört auf und das ganze innere Leben ist in Frage gestellt. Wie wäre es übrigens auch möglich, des vertraulichen Verkehrs mit dem Herrn zu genießen und die besonderen Wirkungen seiner Liebe zu empfinden, wenn man den ganzen Tag hindurch gegen die Liebe sich verfehlt? Eine jungfräuliche Seele, die nicht beständig und entschlossen diesen "kleinen Füchsen" den Zugang zum Weinberg versperrt, ist nicht in Wahrheit Braut, denn solche Treulosigkeiten verwunden tief das Herz des Bräutigams. Könne man nicht auf eine solche Seele die Klagen Gottes über sein Volk Israel anwenden, das er selbst mit einem sorgfältig gepflegten Weinberg vergleicht, und das seinen göttlichen Gnadenerweis nicht entsprochen hat: "Ich habe erwartet, dass er Trauben brächte und er hat wilde Reben gebracht" (Is 5, 4). Gerade bei innigster Vertraulichkeit sind ja solche kleinsten Verfehlungen gegen die Liebe am fühlbarsten und nehmen sehr bald einen Charakter verletzender Schwere an.

Die gottgeweihte Jungfrau muss sich daher in der Nachfolge und im Dienste ihres himmlischen Bräutigams äußersten Zartgefühls und aufmerksamster Gewissenhaftigkeit in der Treue befleißen. Sie wird diese Treue am wirksamsten zum Ausdruck bringen durch die beständige Wachsamkeit, mit der sie sich auch vor den allerkleinsten Verfehlungen hütet, die dem Herrn missfallen könnten.

Um die Treue zu schützen, bedarf es daher sehr großmütiger Gesinnung. Solche Treue ist der menschlichen Schwäche schwer und kann unserer Natur viel Überwindung kosten. Fragen wir uns aber, ob der himmlische Bräutigam unserer Seelen vor dem Kreuz zurückgeschreckt ist, da sein Vater ihm das bittere Leiden als Mittel zeigte, um unsere Seelen zu erlösen, und sie in alle Ewigkeit mit den herrlichsten Kleinodien zu schmücken? Wie sollten wir uns einem gekreuzigten Bräutigam vereinen können, ohne auch unser Teil an Verzicht und Hinopferung mitzubringen? Zwischen Braut und Bräutigam muss alles gemeinsam sein. Und wenn eine Seele die Wonnen der Vereinigung mit dem Herrn genießen wollte, ohne sein Leben der Selbstentäußerung und des Leidens zu teilen, so wäre sie unwert solch hoher Berufung. Sie würde sich übrigens selbst die Pforte vieler Gnaden verschließen, denn gerade unsere Treue ist häufig die Veranlassung, die Gott geneigt macht, uns seine Gnadenschätze mitzuteilen. Wenn so viele gottgeweihte Seelen den hohen Grad der Vereinigung, zu dem der himmlische Bräutigam sie berufen hat, nicht erreichen, so liegt das daran, dass sie beständig dem Wirken seines Heiligen Geistes widerstanden haben.<ref>Vgl. das 15. Kap. im Leben der hl. Theresia. </ref> Sollten wir somit in unserem Leben irgendeine Untreue bemerken, die uns daran hindert, uns ganz und gar dem ewigen Worte hinzugeben, so fassen wir den festen Entschluss, sie zu beseitigen. Fallen wir dem Herrn zu Füßen und sagen wir ihm: "O mein Herr und Heiland, ich liebe dich, ich möchte dir diese Liebe beweisen und mit dir deinen Vater verherrlichen. Ich verspreche dir, sorgfältig darüber zu wachen, dass nichts mehr deinen Weinberg verwüste und das Werk deiner Liebe zerstöre. Du hast von aller Ewigkeit her den Weinberg meiner Seele mit einem Blick unendlicher Liebe umfangen, du hast ihn gepflanzt am Tage meiner Taufe, ihn vor so vielen anderen, durch die jungfräuliche Weihe, zu deinem ganz besondern Eigentum erwählt. Du hast ihn so oft mit deinem kostbaren Blute begossen, du erquickst ihn alle Tage mit deinem anbetungswürdigen Fleisch. Aus Liebe zu dir will ich dafür sorgen, dass du in ihm nur mehr jene überreichen Früchte finden mögest, die dein göttliches Herz erfreuen und deinen Vater verherrlichen, der im Himmel ist."

Lassen wir uns niemals entmutigen, sei es durch die Erinnerung an frühere Untreue, sei es durch den Gedanken, der uns immer noch möglichen kleinen Rückfälle. Wenn diese letzteren nur Folge unserer menschlichen Schwäche und Armseligkeit sind, so lassen sie sich sehr gut mit dem guten Willen vereinen. Jene ersteren aber mögen für uns zur Veranlassung demütiger Zerknirschung und eines großmütigen Eifers werden.

Übrigens wird die Seele ja auch nach und nach "durch das Fortschreiten im geistlichen Leben", wie der hl. Benediktus sagt (Prol. z. hl. Regel), immer mehr durchleuchtet und das Herz unter dem täglich tiefer empfundenen Wirken des Heiligen Geistes immer mehr erweitert, so dass man "mit unaussprechlicher Liebeswonne auf dem Wege der Gebote Gottes rasch voranwandelt" (ebd.). Durch die Liebe wird die Vereinigung immer inniger, immer unzertrennlicher, das "dem Wort anhangen" wird immer beständiger, fester und freudiger, bis es schließlich ganz unerschütterlich geworden ist. Die Seele empfindet dann in etwa die Wahrheit der herrlichen Apostelworte: "Wer sollte mich trennen von der Liebe Christi, meines himmlischen Bräutigams? Etwa Trübsal oder Bedrängnis oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße, oder Gefahr oder das Schwert?" (Röm 8, 35). Nein, nichts ist imstande, die getreue Jungfrau von ihrem Geliebten zu trennen, den sie, mit der Braut des Hohenliedes, immer wieder bittet: "Ziehe mich dir nach, ich will dir nacheilen im Duft deiner Salben" (Hld 1, 3). Und wiederum: "Lege mich wie ein unauslöschliches Siegel auf dein Herz, denn meine Liebe und meine Treue sind stark wie der Tod ... viele Wasser sind nicht imstande die Liebe auszulöschen und die Ströme überfluten sie nicht" (HId 8, 6-7). "Weder der Tod mit seinen Schrecken, noch das Leben mit seinen Verführungen, weder Engel noch Herrschaften, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, noch irgendein Geschöpf kann sie scheiden" (vgl. Röm 8, 38-39) von ihrem göttlichen Herrn und Bräutigam. Obschon sie noch hienieden wandelt, kann man von ihr sagen, "dass sie in Treue dem Lamm folgt, wohin es geht" (Offb 14,4). So sehr ist es wahr, dass "wer dem Herrn anhängt, ein Geist ist mit ihm" (1 Kor 6, 17).

Glücklich die treue Seele, beneidenswert eine Jungfrau, die immer aufmerksam horcht auf die leisesten Zeichen der Ankunft ihres Bräutigams ... Wenn er kommt und ihre Lampe brennend findet, wird er sie einführen in den Hochzeitssaal, um sie zu berauschen mit jenen geistigen Wonnen, die keine Sprache künden kann und menschliche Worte nicht auszudrücken vermögen.

"DEM WORTE LEBEN, VOM WORTE SICH LEITEN LASSEN."

Solch allumfassende und beständige Treue führt die Seele notwendigerweise dazu, dass sie nur mehr "dem Wort lebt". Das ist die dritte Eigenschaft der Braut.

Was heißt nun für die Seele "leben"? Die Seele lebt durch die Bewegung und Betätigung ihrer Fähigkeiten. Sie "lebt dem Wort", wenn nichts in ihr sich rührt und sich in Bewegung setzt, als nur für die Interessen und Verherrlichung ihres Bräutigams, wenn sie ihr Gedächtnis, ihre Einbildung, ihren Verstand, ihr Herz, ihren Willen, all ihre Fähigkeiten und all ihre Tätigkeit nur im Dienste des Wortes verwendet, nur dazu, um ihren himmlischen Bräutigam immer mehr kennen und lieben zu lernen, um ihn andere kennen und lieben zu lehren. Eine Seele, "die dem Wort lebt", sucht in nichts ihre eigene Befriedigung, ihr persönliches Interesse, sondern immer nur das Wohlgefallen und die Verherrlichung ihres Herrn.

Sie ist belebt von heiligem Eifer für die Ehre ihres Bräutigams. Die Feigheiten, Treulosigkeiten und Beleidigungen so vieler Seelen verwunden sie selbst und spornen ihren Eifer und ihre Großmut an.

"Kummer erfasst mich ob der Gottlosen, die deine Gesetze verlassen" (Ps 118, 53). Sich selbst, alles, was sie hat, und alles, was sie ist, gibt sie hin, damit ihr himmlischer Bräutigam geehrt, verherrlicht und geliebt werde. Sie macht sich das Gebet Jesu zu eigen: "Heiliger Vater, gerechter Vater, verherrliche deinen Sohn" (vgl. Joh 17, 5), unaufhörlich ist sie darauf bedacht, diese Verherrlichung des Wortes zu verwirklichen, zunächst bei sich selbst und dann bei den andern. Darin besteht so recht eigentlich die "devotio", die Hingabe, jener Gesinnung einer großmütigen, opferbereiten, beschwingten Seele, die sie drängt, ihrer selbst, ihrer Bequemlichkeit, ihrer Ruhe, kurz all ihrer Wünsche zu vergessen, um sich vor allem dem Wollen und Wünschen ihres Bräutigams, seinen Interessen und denen seiner Kirche zu widmen.

Welches aber ist auf diesem Gebiet der große Leitgedanke, der die Seele stützt und anfeuert? Welches der mächtige Beweggrund, der sie erhebt und über sich selbst hinausträgt? Die Liebe ist es. Die den Willen beherrschende Liebe besitzt den Schlüssel zum Herzen, verfügt über alle Fähigkeiten der Seele, über alle Gebiete der Tätigkeit. Eine ganz der Liebe hingegebene Seele ist losgelöst von sich selbst. Sie lebt nicht mehr sich selbst, sie ist einzig und allein nur da für den Geliebten. "Was heißt lieben", sagt Bossuet,<ref>Betrachtungen über das Evangelium. 51. Tag. </ref> "anders, als in allem und überall gleichen Willens sein mit dem Geliebten bis zur gänzlichen Vernichtung auch des geringsten widerstrebenden Wunsches, bis zur gänzlichen Unterwerfung des Herzens."

Eine solche Liebe hat umgestaltende Kraft; sie macht die Seele dem Geliebten ähnlich. Hören wir, wie der hl. Bernhard, auf dessen schönen Worten wir ja all diese Betrachtungen aufbauen, die erstaunliche Größe dieser Vereinigung besingt: "Eine solche Gleichförmigkeit mit dem göttlichen Willen vermähIt die Seele mit dem menschgewordenen Wort, dem sie durch ihre geistige Natur ähnlich ist und nicht minder ähnlich durch den Willen, indem sie ihn liebt, wie sie von ihm geliebt ist. Wenn sie also vollkommen liebt, ist sie Vermählte des Wortes. Was gibt es Süßeres als diese Gleichförmigkeit zweier Willen. Was kann es Wünschenswerteres geben als diese Liebe, o Seele welche bewirkt, dass du, unbefriedigt von den Lehren der Menschen, dich voll Vertrauen dem Wort näherst, ihm vereint bleibst, in trauter Innigkeit hei ihm verharrst, ihn über alles befragst, ebenso kühn in deiner Wissbegierde, als du kraft deines Verstandes dich zur Erkenntnis befähigt fühlst. Dieser Vermählungsvertrag ist ein wahrhaft geistiger, ein wahrhaft heiliger: Vertrag ist zu wenig gesagt. Es ist eine Umarmung. Umarmung in Wahrheit, wo die Gleichförmigkeit der Willen bewirkt, dass zwei geistige Wesen nur mehr eines sind." (In Cantica serm. LXXXIII).

Die gänzliche Gleichförmigkeit der Absichten, der Gesinnungen, des Willens, die der hl. Bernhard hier im Auge hat, ist nur deshalb möglich, weil die Seele in allen Dingen sich vom Wort leiten lässt. Viel mehr noch als "die Augen der Magd auf die Hand der Herrin" (Ps 122, 2) gerichtet sind, um ihre Befehle zu gewahren und sie auszuführen, ist die wahre Braut Christi innerlich angetrieben, ständig ihren Blick voll Liebe auf den Herrn zu heften, um seine leisesten Wünsche abzulesen. Daher betrachtet sie, ohne je zu ermüden, die allerheiligste Person Jesu in seinen Lebensstufen und Geheimnissen.

Wohl weilt sie in dieser Betrachtung mit besonderer Vorliebe auf dem "Myrrhenberg" (Hld 6) zu Füßen des Kreuzes, weil der Bräutigam sie durch sein Blut gewonnen hat, aber sie findet auch ihre Freude darin, all die verschiedenen Lebensstufen des menschgewordenen Wortes betrachtend zu durchgehen. Sie schaut den Herrn, wie er in unaussprechlicher Weise im Schoße des Vaters lebt, im unbefleckten Schoß der Jungfrau, wo er Mensch wird, in der Krippe zu Bethlehem, in der Werkstätte zu Nazareth. Sie folgt ihm in die Wüste, auf den Straßen Judäas. Sie tritt mit ihm ein in den Tempel und in die Synagogen. Sie begleitet ihn nach Bethanien, in den Abendmahlsaal, in den Ölgarten, zur Gerichtsstätte, auf Golgotha. Sie verharrt mit ihm auf dem Kalvarienberg und teilt die Schmerzen und Demütigungen ihres Blutbräutigams. In der Frühe des Ostertages erkennt sie mit Magdalena in ihm den angebeteten "Meister" (Joh 20, 16). Sie empfängt seinen göttlichen Segen am Tag der Himmelfahrt, zu Pfingsten die Gaben seines Heiligen Geistes. Immer und überall ist es dasselbe ewige Wort, ihr Herr und Meister, ihr Freund und Bräutigam, den sie sucht, um das Geheimnis seiner Werke zu durchdringen, die Gesinnungen seiner Seele zu erforschen, um mit "den erleuchteten Augen des Herzens" (Eph 1, 18) "die Breite und Länge, die Höhe und Tiefe" (Eph 3, 18) des Geheimnisses ihres Geliebten zu ermessen. Sie betrachtet voller Liebe all seine Handlungen, auf dass sie das einzige Vorbild der ihrigen werden. Sie liest immer wieder seine Worte, damit sie ihr Quellen voll Weisheit und Licht und Richtlinien für ihr Leben werden. Sie beurteilt alle Dinge im Lichte des Evangeliums. Was Christus liebt, das liebt auch sie. Was er hasst - die Sünde nämlich - flößt ihr den tiefsten Abscheu ein. Sie sagt ihr Ja und Amen zu allem, was er offenbart, und ihr fiat zu allem, was er befiehlt oder erlaubt.

"Die Braut liebt mit feuriger Begeisterung", sagt der hl. Bernhard, "und doch scheint es ihr, weil sie sich so sehr geliebt weiß, dass sie zu wenig liebt, auch wenn sie sich ganz und gar der Liebe hingibt. Und darin hat sie nicht unrecht. Denn was kann ein solch kleines Staubkörnlein Großes tun, um eine so große, so kostbare Liebe zu erwidern, selbst wenn es all seine Kräfte zusammenfasst, um die allerhöchste Majestät wieder zu lieben, die ihm mit Liebe zuvorgekommen ist, und sich gänzlich dem Werk seiner Erlösung gewidmet hat?"

Die dem Worte ganz geweihte Seele der Braut ist völlig unter der Herrschaft des himmlischen Bräutigams, der sie an sich zieht, der all das ihre für sich beansprucht. "Ich will alles an mich ziehen" (Joh 12, 32). Das ewige Wort besitzt all das ihre, leitet alles in ihr: "du hast ihm alles zu Füßen gelegt" (Ps 8, 8), er herrscht über sie als ihr angebeteter Meister, als Gebieter, dessen Macht unbestritten ist, als Liebender, dessen Liebe sich alles unterwirft. Er herrscht über alle Wünsche der Seele und herrscht allein, weil sie nichts sucht als ihn und sein Wohlgefallen: "Ich tue immer, was ihm wohlgefällt" (Joh 8, 29). Dann darf die Seele in Wahrheit die Worte des Apostels sich zu eigen machen: "Ich lebe, aber nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir" (Gal 2, 20). "Christus ist ihr Leben und der Tod erscheint ihr als Gewinn" (Phil 1, 21), bedeutet er ja die Stunde, in welcher sie zur ewigen Vereinigung gerufen wird mit jenem, der das ein und alles ihres Lebens ist.

Der Bräutigam aber, weit entfernt davon, sich an Liebe übertreffen zu lassen, steht in der Größe seiner Liebe an erster Stelle und kommt der Liebe seiner Braut immer zuvor. Er zeigt sich der Seele gegenüber voll zarter Aufmerksamkeit. Immer wieder sagt er ihr diese Worte, die der umfassendste Ausdruck einer einzigartigen und gegenseitigen Liebe sind'. "All das meinige ist dein, und alles deinige ist mein" (Joh 17, 10). Mit einer Freigebigkeit, die der Größe seiner Liebe entspricht, überhäuft der Bräutigam die Braut mit seinen Gaben, mit dem Wert seiner Leiden, den Reichtümern seiner Verdienste, dem Adel und den·Schätzen seiner Gottheit, um sie zu versorgen, zu schmücken und zu beseitigen.

In diesem glückseligen Zustand erfüllt sich für die gottgeweihte Jungfrau das Wort des Psalmisten: "Der Herr ist mein Hirte, und nichts wird mir fehlen" (Ps 22, 1). An ihr bewahrheitet sich das Gebet, das der Bischof bei der Jungfrauenweihe im Augenblick der gegenseitigen Versprechungen an Gott gerichtet hat: Du, o Herr, sei ihre Ehre, ihre Freude, ihr Wille, du in Traurigkeit ihr Trost, du im Zweifel ihr Rat, du in Unbilden ihre Verteidigung, in Trübsal ihre Geduld, in Armut ihr Überfluss, im Fasten ihre Speise, in der Krankheit ihre Arznei. Lass sie alles haben in dir, den sie über alles zu lieben verlangt!" (Pontificale Romanum)

MITTEL ZUR VEREINIGUNG

Eine solch hohe Würde, ein so erhabener Stand, wie es diese Gottesbrautschaft ist, kann sich nur dann auf der ihm zukommenden Höhe erhalten, wenn die Seele die entsprechenden Mittel besitzt. Dafür trägt nun der Bräutigam selbst Sorge.

Was unternimmt er für diesen erhabenen Zweck? Meist wird er die Seele "in die Einsamkeit führen, um zu ihrem Herzen zu sprechen" (Hos 2, 14); gleichwie man einen Weinberg mit schützender Hecke umgibt, wird er sie in eine Klausur einschließen "in die Felsenklüfte" (HId 2, 14), wie in ein geheimnisvolles Grab, das zur Wiege des Lebens wird. Er wird sie verbergen "im Schutze seines Antlitzes" (Ps 31, 21), wird sie wohnen lassen im heiligen Schweigen, auf dass sie ganz gesammelt, um so leichter seine Stimme höre und nur ihm gefallen möge.<ref> O heilige Seele verharre in der Einsamkeit, damit du dich ganz allein für den bewahrest, den du unter allen erwählt hast ... weißt du nicht, dass dein Bräutigam voll Feingefühl ist und dir die Süßigkeit seiner Gegenwart nicht zu verkosten geben wird, wenn du dich um die Gegenwart anderer bemühst? Ziehe dich also in die Einsamkeit zurück, aber nicht nur äußerlich, sondern dem Geiste, der Absicht, der Andacht nach in ganz innerlicher Weise. (St. Bernhard, In Cant. serm. LX, 4). </ref> Er stellt sie unter eine Regel, die ihr jeden Augenblick seinen Willen kundgibt. Er gibt ihr, um sie zu erleuchten, die heiligen Schriften, die ihr von ihm erzählen und ihr seine Liebe offenbaren, und schenkt ihr zur Mutter, seine Braut, die Kirche. Er betraut sie mit der Aufgabe, sein Lob zu singen, "damit ihre Stimme in seine Ohren töne, denn ihre Stimme ist süß" (Hld 2, 14), er lässt für sie den Kreislauf seiner Geheimnisse wieder aufleben und teilt ihr durch die Sakramente deren tiefgreifende Wirkkraft mit. All das sind Mittel, die dem Bräutigam dazu dienen, um die Liebe und Treue seiner Auserwählten fest zu gründen, zu schützen, zu erhalten und zu befestigen.

Vor allem aber gibt das Wort sich selbst durch die heilige Eucharistie. Die hl. Kommunion ist so recht eigentlich das Hochzeitsmahl der Vereinigung, denn Christus ist hier zu gleicher Zeit Bräutigam, Gastgeber und Speise. Die hl. Kommunion ist das sicherste Mittel, um in der Seele die Vollkommenheit des Brautstandes mit dem Worte zu verwirklichen. Wir haben schon gesagt, dass eine Jungfrau, um dem himmlischen Bräutigam zu gefallen, sich frei machen muss von den Geschöpfen, von sich selbst, um mit eifersüchtiger Genauigkeit ihre jungfräuliche Weihe zu schützen.

Die Eucharistie ist" der Weizen der Auserwählten und der Wein, der Jungfrauen sprossen lässt" (Sach 9, 17). Gewiss ist es die Seele, die zunächst durch die hl. Kommunion geheiligt wird. Die Eucharistie ist vor allem die Nahrung des geistlichen Lebens. In uns aber ist die Seele so eng mit dem Körper vereint, es besteht zwischen diesen beiden Wesensbestandteilen eine solch substantielle Einheit, dass die Kommunion die Seele auf die Höhen göttlicher Liebe erhebt, ihr zugleich Abscheu einflößt vor den sinnlichen und eitlen Freuden und die Gluten der Begierlichkeit löscht. Die Kirche bittet wiederholt in den Gebeten nach der hl. Kommunion, dass diese himmlische Nahrung in uns die Wirkung habe, "Irdisches zu verachten und Himmlisches zu lieben".<ref> 2. Adventsonntag; 4. Sonntag nach Epiphanie: "Mögen deine Gaben, o Gott, uns irdischer Lüste entledigen." Siehe auch die Postkommunion am Feste des heiligsten Herzens Jesu. </ref> Die hl. Kommunion entzündet uns zur Liebe Gottes und befestigt so den Willen in dem Entschluss, alles zu vermeiden, was ihn vom Dienste des Bräutigams abwenden könnte.<ref>Zur weiteren Entwicklung der in diesem IV. Abschnitt behandelten Gedanken möchten wir hinweisen auf die Betrachtung"Das Brot des Lebens" in dem Werk: Marmion-Spiegel, Christus das Leben der Seele, Verlag Schöningh, Paderborn. </ref> Diese starken und süßen Wirkungen des Altarssakramentes sind es ja auch, die wir im Breviergebet mit den Worten der hl. Agnes preisen: "Sein Leib ist dem meinigen vereint, von seinem Blut sind meine Lippen rot gefärbt. Seine Liebe verleiht mir Keuschheit, seine Berührung ist Reinheit, seine Einkehr in mich besiegelt meine Jungfräulichkeit."<ref>Quem cum amavero casta sum, cum tetigero munda sum, cum accepero virgo sumo (Respons. III ad Matutin.) </ref>

Vor allem aber bewirkt die hl. Kommunion, dass die Seele, "dem Worte anhängt". Es ist das eine ihrer vorzüglichsten Früchte. Hat der Heiland nicht selbst gesagt: "Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm"? (Joh 6, 57.) Könnten wir uns hienieden eine innigere, eine tiefere Anhänglichkeit denken? Das Wort "bleiben", ist es nicht der Hinweis auf die innigste und dauerndste Vereinigung? Und der gewollte, beabsichtigte Ausdruck von Beiderseitigkeit der Innewohnung - er bleibt in mir und ich in ihm - bedeutet er nicht den Austausch des gegenseitigen Wohlgefallens, die Beiderseitigkeit der Versprechungen und der Hingabe? Nichts kann die Treue besser festigen, als eine gute hl. Kommunion. In ihr findet die Jungfrau das Geheimnis, stark und großmütig zu bleiben, bereit, dem göttlichen Bräutigam immer und überallhin zu folgen. So ist es auch die Beobachtung der Gebote, die uns in der Liebe Christi bleiben lässt: "Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe" (Joh 15, 10).

Dadurch, dass die eucharistische Vereinigung die Seele in der Liebe des Wortes bleiben lässt, befähigt sie dieselbe, durch das Wort "für das Wort" zu leben. Unser göttlicher Heiland hat das deutlich gesagt: "Wie mich der lebendige Vater gesandt hat und ich durch den Vater lebe, so wird auch der, der mich isst, durch mich leben" (Joh 6,57). Müssen wir es hier noch einmal wiederholen? Das Wort hat alles vom Vater. Der Vater hat das Leben in sich. Er gibt dem Sohn, dem Worte, dass es gleichfalls diese unendliche Lebensfülle besitze. Das Wort aber wird Fleisch, nur um auch uns dieses Leben mitzuteilen. Er gibt es uns in der Taufe mit dem Glauben und der Gnade. Er erneuert dieses Geschenk aber vor allem und überreich (Joh 10, 10) im eucharistischen Gastmahl. Hier ist er das Brot des Lebens, das Leben gibt, das Früchte des Lebens hervorbringen lässt, so dass die Seele während sie durch Christus lebt, auch für ihn lebt. Wenn Jesus Christus in die Seele kommt, zieht er sie somit ganz an sich. Er begründet eine solche Vereinigung seiner Gedanken, seiner Gesinnungen, seiner Wünsche, seines Wollens mit den unsern, dass er, wenn er keinen Widerstand findet für sein Wirken, uns in sich verwandelt, gleich wie das Feuer seine Eigenschaften auf das Holz überträgt, das es verzehrt.

Daher sagt der hl. Bernhard: "Wir werden in Christus überbildet, wenn wir uns ihm gleichförmig machen."<ref> Transformamur cum conformemur. </ref>

Ein solcher Zustand bildet in Wahrheit den Gipfel der Vereinigung. Wenn man wirklich liebt, will man nur eins sein mit dem geliebten Gegenstand. Man möchte ihn eingehen lassen in sich, eindringen in ihn, ihn zu einem Teil seines Selbst machen. Der menschlichen Liebe bleibt dieses versagt, die göttliche Liebe, die da allmächtig ist, verwirklicht es in aller Fülle. Wenn die Seele in der hl. Kommunion Christus in sich aufgenommen, kann sie mit der Braut im Hohenlied sagen: "Mein Geliebter ist mein, und ich bin sein" (Hld 2, 16). Und doch ist dieses nur ein schwaches Abbild jener Vereinigung, die wir in Jesus Christus, zwischen dem Wort und der allerheiligsten Menschheit in wunderbarster Weise verwirklicht fanden.

Die hl. Kommunion bewirkt daher, wenn sie häufig und würdig empfangen wird, notwendigerweise die Befestigung des Reiches Christi in der Seele: "Vom Worte sich leiten lassen." Christus bleibt in uns nur zu dem Zweck, damit er in allem durch uns handle, so dass wir wandeln im Lichte seiner Wahrheit, mit Zustimmung seiner Weisheit auf Antrieb seines Geistes. Das ist das Geheimnis, und zugleich die schönste Frucht der vollkommenen Vereinigung.<ref> Nachdem, was wir hier gesagt haben über die wunderbaren Wirkungen, welche die hl. Kommunion in den gottgeweihten, bräutlichen Seelen hervorbringt, wird man sich nicht wundem, dass sie in der eigentlichen mystischen Ordnung, bei der Verwirklichung der geistlichen Vermählung, eine bedeutende Rolle spielt. Meistens geschieht es während der hl. Kommunion, dass das Wort mit der Seele diese geheimnisvolle Vermählung feiert und diesen göttlichen Vertrag in erfahrungsmäßiger Weise besiegelt. Die sakramentale Vereinigung wird dann zum Mittel und Sinnbild einer sehr innigen und unauflöslichen Verbindung. Msgr. Farges. </ref>

Gewiss. Es ist zunächst der Leib und das Blut Jesu Christi, das wir empfangen. Aber ist die menschliche Natur in Jesus nicht der Weg, um zum Wort zu gehen? Das Wort ist der Abglanz der Herrlichkeit" (Hebr 1, 3) und die unbegrenzte Ausstrahlung der Glorie des Vaters. Wir könnten unmöglich den unendlichen Glanz dieser Majestät ertragen. Das Wort ist auch "ein verzehrendes Feuer, mit dem wir nicht zusammenwohnen können" (Is 33, 14).

Welches Mittel hat nun Christus selbst gewählt, um zu uns zu kommen, um sich uns zu schenken, uns mit sich zu vereinigen? Er hat seine Herrlichkeit verhüllt unter der menschlichen Natur, damit unsere schwachen Augen und unsere zagen Herzen sich ihm nähern und in ihm Heil und Leben finden könnten. Das ist es auch, was die Braut im Hohenlied sagt: "Ich ruhe im Schatten dessen den ich liebe" (Hld 2, 3). Dieser "Schatten" ist die heiligste Menschheit Jesu. Die Seele flüchtet unter diesen Schatten, der ihr gestattet, das Wort zu betrachten, sich ihm zu nahen, in Berührung mit ihm zu treten, seiner zu genießen, weil er ihn verhüllt und zugleich offenbart. Im Laufe des liturgischen Jahres legt die Kirche uns wiederholt diese Worte auf die Lippen: "Deines Eingeborenen heilige Menschheit, o Herr, komme uns zu Hilfe".<ref>Stillgebet am Feste Mariä Heimsuchung und Mariä Geburt. </ref> Wie sehr bedarf die Seele dieser Hilfe, wenn sie einzutreten verlangt in das Heiligtum vertrauten Verkehres mit dem Worte! Die Menschheit Jesu führt uns zum Wort und gibt uns durch das Wort Zutritt zum geheimnisvollen "Schoße des Vaters" (Joh 1, l8). Durch den Glauben und die Liebe darf die Seele eindringen in diese ewige Herrlichkeit. Und wenn sie einmal eingeführt ist in dieses Allerheiligste, das die eigentliche Wohnung ihres göttlichen Bräutigams ist, dann darf sie sich in den Ergüssen ihrer Liebe gehen lassen. Sie darf in heiliger Kühnheit, voller Ehrfurcht ihrem Bräutigam den Wunsch ausdrücken, dass er sie berausche an seinen Wonnen: "Er küsse mich mit dem Kuss seines Mundes" (HId 1, 1). Ihr Vertrauen wird belohnt werden. Sie wird vom Bräutigam der innigsten und süßesten Mitteilungen gewürdigt werden, denn "die Frucht seiner Liebe ist voller Süßigkeit: seine Frucht ist meinem Gaumen süß" (Hld 2, 3).

"BEWUNDERUNGSWÜRDIGE FRUCHTBARKEIT DER BRAUT DES WORTES"

Wenn eine Seele die zahlreichen und wundervollen Mittel, die unser Herr und Heiland eingesetzt hat und die er täglich zu unserer Verfügung stellt, um uns an sich zu ziehen, mit Eifer benützt, wenn sie sich alle Tage in den notwendigen Gesinnungen von Glaube, Vertrauen und großmütiger Liebe mit Christus vereinigt, so bringt sie zahlreiche Früchte, sie erreicht jene übernatürliche Fruchtbarkeit, die der hl. Bernhard als letzte Vollkommenheit dieses bräutlichen Standes bezeichnet: "Von seiner Liebe all ihr Wirken befruchten zu lassen."

Was wollen diese Worte besagen, "all ihr Wirken vom Worte befruchten lassen"? Das heißt: alle Dinge unternehmen durch die Gnade des Wortes und unter dem Antrieb seiner Liebe, es heißt Früchte hervorbringen zu seiner Verherrlichung.

Darin aber besteht so recht eigentlich das Werk der wahren Gottesbraut. Losgelöst von den Geschöpfen und von sich selbst lebt sie in innigster Vereinigung mit dem Wort und lässt sich in allem von ihm leiten, so dass es in ihr nichts, weder Gedanke, noch Gefühl, noch Wunsch, noch Wollen, noch Handeln geben kann, was nicht von ihm seinen Ausgang nähme, nicht von seiner Gnade abhinge, nicht der Liebe entströmte. Daraus stammt die Fruchtbarkeit der Braut. Denn "wer in mir bleibt und ich in ihm", sagt Jesus, "der bringt viele Frucht" (Joh 15,5).

"Vom Worte muss das Wirken befruchtet werden." Wir dürfen nämlich nicht vergessen, dass die Vereinigung mit dem Worte der göttlichen Ordnung angehört, sowohl in Bezug auf das Ziel, auf den Endpunkt, dem es uns zuführt, als auch auf den Ausgangspunkt, dem es entspringt: keine bloß natürliche Kraft, kein bloß menschliches Vermögen könnte sie verwirklichen. "Was aus dem Fleisch stammt, ist Fleisch", sagt der hl. Johannes (Joh 3, 6). Was will das besagen? Dass alles, was von der Natur allein, von der Vernunft allein ausgeht, im rein natürlichen Gebiet verbleibt - "das Fleisch nützt nichts" (Joh 6,64). Es erreicht nicht die gewollte Höhe, um des Wortes würdig zu sein, es ist ohne übernatürliche Fruchtbarkeit: "Was aus dem Fleisch stammt, ist vom Fleisch, das Fleisch nützt nichts."

Was ist es denn, das unsere Handlungen übernatürlich befruchtet, das ihnen Leben gibt und sie für Gott glorreich macht? Das ist der Heilige Geist: "Was aus dem Geist stammt, ist Geist" (Joh 3, 6) und "der Geist ist es, der lebendig macht" (Joh 6, 64).

Wie aber verbindet uns der Geist mit dem Wort? Durch die Gnade und die Liebe. "Er gießt die Liebe Gottes aus in unsere Herzen" (Röm 5, 5) und durch sein Wirken werden wir vom Wort befruchtet. Vom Heiligen Geist nahm Christus Fleisch an im Schoße der Jungfrau, vom heiligen Geiste, von seiner Gnade und seiner Liebe entspringt alle Fruchtbarkeit auch unserer Werke. Die wesentlichen Bestandteile der übernatürlichen Fruchtbarkeit unserer Handlungen sind bekanntlich die Heiligmachende Gnade und die Reinheit der Absicht, welche hervorgeht aus der Liebe einer Seele zu ihrem himmlischen Bräutigam und aus ihrem Wunsche, ihm in allem zu gefallen. "Ich tue immer, was ihm wohlgefällig ist" (Joh 8, 29).

Daher ist diese Fruchtbarkeit bewunderungswürdig, viel wunderbarer als jene der irdischen Vereinigungen. Jedes übernatürliche Werk, jeder Tugendakt einer gottgeweihten Seele bereichert den Schatz der Gnade und das hinterlegte Pfand ihrer ewigen Herrlichkeit, vermehrt ihre Verdienste, vervollkommnet ihre Schönheit. Diese Seele "geht von Tugend zu Tugend" (Ps 83, 8), sie verwirklicht unablässig innerliche Aufstiege, die sie mehr und mehr dem Ziel der ewigen Hochzeit entgegenführen.

Ebenso wächst auch der Glanz ihrer Tugenden in dem Maße, als sie sich dem göttlichen Feuerherd aller Vollkommenheit nähert. Es ist unmöglich, diesen Glanz zu beschreiben, der sogar den Bräutigam selbst zur Bewunderung hinreißt: "Wie schön bist du, meine Braut" (HId 4, 1). Er sucht diese Schönheit, "zeige mir dein Antlitz, du meine Geliebte, denn dein Antlitz ist schön" (HId 2, 14). "Dein Wuchs gleicht dem Palmbaum ... und ich sprach: ich will die Palme ersteigen und ihre Früchte pflücken" (Hld 7,8), ich will mich erfreuen an den Tugenden, deren Quelle meine Gnade ist. Die hl. Katharina von Siena durfte eines Tages die Schönheit einer Seele betrachten, die nach der Sünde die Heiligmachende Gnade wiedererlangt hatte. Sie erklärte dem seligen Raimund, dass sie unfähig sei, den wunderbaren Glanz dieser Seele zu beschreiben. Was soll man dann aber sagen von einer dem Herrn geweihten Jungfrau, deren ganzes Wesen sich badet in den Strahlen der Sonne der Gerechtigkeit, deren Wege insgesamt erleuchtet sind von der ewigen Weisheit, die das göttliche Wort ist? Nur die Engel können sie bewundern. "Wer ist sie, welche dort heraufkommt aus der Wüste aus der Wüste ihrer angeborenen Armut - die heraufsteigt wie eine Weihrauchsäule, duftend von Myrrhe und Aloe, samt allen kostbaren Salben (HId 4, l4), überströmend von Wonne und auf ihren Geliebten gelehnt (HId 8, 5)?"

All diese Reichtümer aber, all diesen Glanz bezieht die Seele auf den Bräutigam, von dem dies alles kommt. Ihre Früchte gehören dem Wort. Da sie in der Wahrheit lebt, von der Weisheit erleuchtet ist, weiß sie, dass der Bräutigam sein Werk in ihr wirkt, wie die gebenedeite und einzigartige Jungfrau, die das Wort Gottes in ihrem unbefleckten Schoß empfangen hatte, so lässt auch die Seele voller Demut alles, was sie mit seiner Gnade und seiner Liebe durch ihn gewirkt hat, zur Ehre des Wortes emporsteigen: "Hochpreiset meine Seele den Herrn und mein Geist frohlockt in Gott meinem Heiland" (Lk 1, 46).

Die Seele kann sich nicht nur freuen an den Werken, die durch den Herrn in ihr gewirkt wurden, ihr mit Jesus ganz vereintes Leben dehnt seinen Einfluss weit aus über den "geschlossenen Garten" (HId 4, 12), wohin der Bräutigam sie geführt hat, er strahlt aus über die ganze Kirche.

Der Heiland gab einst der hl. Katharina von Siena diese Wahrheit zu verstehen: "O wie süß ist diese Wohnung der Seele im Wort, süß über alle Süßigkeit, in der vollkommenen Vereinigung der Seele mit mir, der Wille selbst steht in dieser wunderbaren Vereinigung nicht mehr zwischen der Seele und mir, vielmehr ist er ganz eins geworden mit mir." Und gleichsam, als ob der Herr, nachdem er so den Grundsatz aufgestellt, auch gleich zu dem Ergebnis kommen wollte, fügte er hinzu: "Überall, durch die ganze Welt hindurch verbreitet sich, einem Wohlgeruch gleich, die Frucht ihrer demütigen und beständigen Gebete. Der Weihrauch ihres Verlangens steigt zu mir auf als ununterbrochenes Flehen für das Heil der Seelen. Es ist dies eine Stimme, die ohne menschliche Worte immer fürbittend fleht vor meiner göttlichen Majestät" (Dial. c. 9).

Können wir, die wir aus dem Glauben leben, uns wundern über solch ausgedehnte Macht? Ist denn Gott nicht der einzige Wächter über die Stadt der Seelen, der einzige Halt des Baues der Kirche? Trägt nicht das Wort die ewigen Schicksale der Seele in der Hand? Und ist dieses ewige Wort des Vaters nicht für jeden Menschen, der in diese Welt kommt, der einzige Weg, die alleinige Wahrheit und das wahre Leben? Gar groß ist aber trotzdem der Einfluss, die Macht einer Seele, die sich ihm ganz zu eigen gegeben. Sie ist allmächtig über das Herz ihres göttlichen Bräutigams, denn sie kennt die Zugänge dieses allerheiligsten Herzens, und ihr ganzes Leben ist ein beständiges Flehen zum Herrn um Gnade und Segnungen für sein Volk.<ref>Dieser apostolische Eifer für die Ehre des Bräutigams und die Heiligung der Seelen ist in der eigentlich mystischen Ordnung eine der hauptsächlichsten Wirkungen der geistlichen Vermählung. Die hi. Theresia betont das in besonders ausdrucksvollen Worten in der 7. Wohnung ihrer Seelenburg. Kap. 4.</ref>

Schon im Alten Testament sehen wir den Einfluss, den die heiligen Seelen auf das Herz Gottes ausübten. Zur Zeit Abrahams würde das Vorhandensein von zehn Gerechten in Sodoma genügt haben, um diese über alles Maß sündige Stadt zu verschonen (Gen 18, 32). Auf dem Sinai rettete das Gebet des Moses allein das ganze Volk vor den Strafgerichten Gottes. Moses hat aus den Händen des Herrn auf dem Berge die Gesetzestafeln erhalten. Er steht im Begriffe wieder herabzusteigen. In diesem Augenblick offenbart ihm Gott die Bosheit des Volkes, das durch Anbetung der Götzen seinen Zorn herausgefordert hat. "Lass mich", so schließt der Herr, "damit meine Gerechtigkeit sich auslasse an der Menge, lass mich!" Gott scheint sozusagen zu fürchten, dass die Bitte des Moses ihm die Verzeihung entreiße, und eben dieses ist es auch, was geschieht. Moses breitet seine Arme aus zugunsten Israels, er erinnert Gott an all seine Versprechungen und bittet ihn, seinem Zorn nicht freien Lauf zu lassen, und der heilige Text fügt hinzu: "Der Herr ward versöhnt, so dass er das Übel nicht tat, welches er wider sein Volk ausgesprochen hatte" (Ex 32, 7-14). Moses hatte die schuldigen Israeliten gerettet. Er hatte in diesem geheimnisvollen Kampf über den göttlichen Widerstand gesiegt, weil er Gott wohlgefällig war, der mit ihm, wie die Schrift sagt, "verkehrte, wie ein Freund mit seinem Freund" (Ex 33, 11).

Wenn es so geschah unter dem Gesetz der Furcht, wie wird es dann sein unter dem Gesetze der Liebe, wo, durch die Menschwerdung, alle Glieder des menschlichen Leibes Christi miteinander gleichberechtigt sind? Eine Seele, die das reine Leben der Vereinigung führt, würde in der übernatürlichen Welt einen bedeutenden Einfluss ausüben, auch wenn sie nicht durch ihren besonderen Beruf zu äußeren Werken bestimmt wäre, sondern einsam auf dem Berg wohnte, wenn sie immer der "versiegelte .Brunnen" (HId 4, 12) des Bräutigams wäre. Zeugt dafür nicht das überaus fruchtbare Leben einer hl. Gertrud, einer hl. Katharina von Siena, einer hl. Theresia? Weil ihr Willen gänzlich dem Willen Christi vereinigt war, erfüllte der göttliche Bräutigam ihre Wünsche: "Er willfahrt denen, die ihn fürchten" (Ps 144, 19). Es ist bekannt, mit welch unendlicher Herablassung der Heiland die Bitte der hl. Gertrud zu erfüllen sich würdigte, welch geradezu beherrschende Macht er ihr einräumte. So sagte er ihr eines Tages: "Ich sammle in deiner Seele, wie in einer Schatzkammer, den Reichtum meiner Gnade an in der Absicht, damit jeder in dir finde, was er sucht, gleich wie in einer Braut, die Mitwisserin aller Geheimnisse ihres Bräutigams ist, und all seine Wünsche erraten kann, weil sie durch die Gunst gegenseitiger Vertraulichkeit dieselben genau kennt."<ref>Ges. der göttlichen Liebe, 1. Teil, Kap. 17, S. 68, übersetzt von Weißbrodt, Herder, Freiburg. "Ich, der in dir wohnende Gott, wünsche, von dem Reichtum meiner Güte und Liebe gedrängt, vielen durch dich wohlzutun" (ebd. S. 57). - Ebenso sprach der Herr auch zur W. Mechthild: "Ich gebe mich in die Gewalt deiner Seele, damit ich dein Gefangener sei, und du in betreff meiner mir befehlst, was du willst. Und ich werde ... ganz nach deinem Willen bereit sein." Buch der besonderen Gnade, 2. Teil, Kap. 31, S. 190, übersetzt von Müller, Regensburg, Manz.</ref>

Hier tut sich uns eine der tiefsten Seiten des Dogmas von der Gemeinschaft der Heiligen auf. Je mehr eine von den auserwählten Seelen, die wir hier im Auge haben, Gott, dem Urheber und Quell aller Gaben, die die Herzen schmücken und erfreuen, nahe ist, um so mehr wird sie zur Wohltäterin für ihre Brüder. Wie viele Gnaden kann sie vom Bräutigam verlangen und erhalten, wie viel für die ganze Kirche ihm entreißen! Wie mächtig wirkt sie mit zur Bekehrung der Sünder, zur Beharrlichkeit der Gerechten, zum Heile der Sterbenden, zum Einzug der leidenden Seelen in die Seligkeit des Himmels. Wie wunderbar ist ihre Fruchtbarkeit! Jene der Natur ist begrenzt, diese aber kennt kein Maß. Es gehen von dieser Seele gleichsam Strahlen aus. Wer sich ihr nähert, ist durchtränkt vom "Wohlgeruch Christi" (2 Kor, 2, 15), es strömt sozusagen eine göttliche Kraft von ihr aus, um den Seelen nahezukommen, ihnen Verzeihung zu erlangen, ihnen zu helfen, sie zu trösten, zu stärken, zu versöhnen, zu erfreuen, um sie sich entfalten zu lassen zur Verherrlichung ihres Bräutigams. Das kommt daher, weil in ihr wahrhaft "das Wort lebt", und weil es als lebend niemals untätig ist. Sein Wirken aber ist Liebe und durch die Seele erleuchtet, belebt und rettet es die Herzen. Sie ist in Wahrheit Mitwirkerin der Erlösung. Es ist unmöglich, die Tragweite einer solchen Wirksamkeit, die Ausdehnung einer solchen Fruchtbarkeit zu ermessen. Diese Wirkweise gleicht den Gletschern, welche die höchsten Gipfel bedecken und, den Sonnenstrahlen am nächsten, unter ihrer Glut schmelzen, um als lebendige Wasser sich ergießend, die Täler und Ebenen zu befruchten.

Gewiss, Gott allein kennt den Einfluss der Seelen, die er erwählt hat. Wer nicht vom Glauben erleuchtet ist, versteht nichts von diesen unsichtbaren Wirklichkeiten. Er vermeint, dass solche vor der Welt zurückgezogene Seelen untätig und unfruchtbar seien für das Reich Gottes. Seine Vorliebe gilt jenen, die sich den äußeren, greifbaren Werken widmen. Solche Werke sind zweifellos notwendig unentbehrlich, vom Himmel geradezu gewollt und von der Kirche verlangt. Aber woher kommt ihnen die Fruchtbarkeit? Von Gott allein. "Ich habe gepflanzt, ein andrer hat begossen, aber Gott ist es, der das Wachstum gegeben hat" (1 Kor 3, 6). "Wenn Gott das Haus nicht baut, dann mühen sich die Bauleute umsonst" (Ps 127, 1).

In der Ordnung der Vorsehung gibt Gott im allgemeinen dieses Wachstum nur unter der Bedingung eifrigen, durch ein reines Leben unterstützten Gebetes. War es nicht diese apostolische Gesinnung, welche die hl. Theresia bei Gründung ihrer Klöster ihren Töchtern anempfahl? Wenn also eine Seele wirklich von diesem Leben der Vereinigung mit dem Wort lebt, das die Krönung ihres Berufes ist, was könnte sie dann nicht erlangen für das Heil und die Heiligung der Seelen!

Und wenn das wahr ist von einer einzigen, dem Wohlgefallen des himmlischen Bräutigams ganz hingegebenen Seele, was soll man dann sagen von der übernatürlichen Wirksamkeit eines Klosters, dessen Bewohner alle in großmütiger und beständiger Selbstvergessenheit, in gänzlicher Hingabe ihres Wesens an Gott, in unterbrochener Vereinigung mit Jesus Christus leben würden? Welch unberechenbaren Einfluss besitzt eine solche Gemeinschaft in der Welt der Seelen! Welch beständiges Gegengewicht gegen die auf der Welt sich immer aufs neue häufenden Verbrechen! WeIch fruchtbare Quelle von Licht und Gnaden für die Kirche Jesu Christi! Welche Quelle von Freuden für das Herz des Bräutigams! WeIch durchaus reine, dem Vater dargebrachte Verherrlichung!

Möchten doch alle jungfräulichen Seelen von diesen Wahrheiten leben! Möchte doch eine jede von ihnen den lebhaften und beständigen Wunsch haben, diesen glückseligen Stand zu erlangen und teilzunehmen an dem glühenden Eifer, der das Herz des menschgewordenen Wortes für die Verherrlichung seines Vaters und die Heiligung der Seelen verzehrte! Möchten sie dieses allerdings erhabene Ideal, welches das natürliche und folgerichtige, wenn auch nicht verpflichtende Ziel ihres herrlichen Berufes ist, zu verwirklichen suchen! Dabei dürfen sie sich nicht damit begnügen, gewissenhafte Klosterfrauen zu sein, die alle äußeren Vorschriften genau beobachten. Ohne Zweifel ist das vorausgesetzt und unumgänglich notwendig, aber darin besteht nur die äußere Schale des klösterlichen Lebens. - Sie sollten sich auch nicht damit zufrieden geben, fromm zu sein, aber mit begrenztem Streben, das sich zu leicht zufrieden gibt. Ein solches Leben würde weder der besonderen Liebe, die Gott durch ihre Berufung an den Tag gelegt hat, noch der Größe der Versprechungen, die sie ihm gemacht haben, noch der Höhe der Pflichten, die er von seinen Bräuten verlangt, noch der Überfülle von Gnaden, mit denen er sie überhäuft, entsprechen. - Sie sollten vielmehr unaufhörlich mit Hilfe der Gnade durch ein Leben demütiger und großmütiger Treue jene Höhe inniger Vereinigung, die unser Herr und Heiland mit ihren Seelen eingehen will, zu erreichen streben. Nichts erwartet er dringender von ihnen, nichts kann sein allerheiligstes Herz mehr entzücken.

Wenn sie sich bemühen, von diesem Leben der Vereinigung zu leben, so werden sie den Zweck ihres erhabenen Berufes verwirklichen, das höchste Ziel ihres klösterlichen Lebens erreichen. Auf diese Weise vorbereitet, kann die Seele, ohne zu erschrecken "um Mitternacht" den Ruf hören, der das Nahen des Bräutigams verkündet: "Siehe, der Bräutigam kommt! Geht hinaus, ihm entgegen!" (Mt 25, 6). Oder vielmehr ist es der Bräutigam selbst, der seine Stimme erhebt: "Komm vom Libanon, meine Braut, komm vom Libanon, komm! Du sollst gekrönt werden !" (HId 4, 8). Schon ist der Winter vorüber, der Regen hat aufgehört und ist vergangen ... die Zeit ist gekommen" (HId 2, 11-12), die Zeit des beseligendes Liedes der Ewigkeit<ref>Der Heiland offenbarte der hl. Mechthild, wie er die Seelen der Jungfrauen im Himmel empfangen werde: "Zur Stunde, wenn im Himmel vernommen wird, dass eine jungfräuliche Seele komme, wird die ganze Herrlichkeit des Himmels in Freude bewegt… Auch stehe ich selbst eilends auf und gehe ihr entgegen mit den Worten: Komme, meine Freundin, komme meine Braut, komme du wirst gekrönt. Diese meine Stimme ist von solchem Schall, dass sie den ganzen Himmel erfüllt... Steht dann meine Braut vor meinem Angesicht, so sieht sie sich mit meinen Augen und ich mich in ihren Augen, wie in einem Spiegel betrachten wir uns gegenseitig mit vielem Wohlgefallen. Hierauf drücke ich sie in liebevoller Umarmung an mich, wobei ich mit meiner ganzen Gottheit so in sie ein- und übergehe, dass ich, wohin sie sich auch wenden mag, ganz in ihr zu sein scheine. Anderseits ziehe ich sie so in mich ein, dass auch sie ganz herrlich in mir erscheint." (Buch der besonderen Gnaden, II. Teil, 36. Kapitel, wie oben).</ref> ... Die Jungfrauen ganz allein, mit Ausschluss aller anderen Auserwählten dürfen dieses Lied singen und seine unerschöpfliche und geheimnisvolle Süßigkeit verkosten.<ref>Niemand konnte das Lied verstehen als nur ... die erkauft sind von der Erde, ... sie sind jungfräulich". (Offb 14,3-4) - Auch der hl. Augustin sagt, dass die himmlischen Freuden der Jungfrauen andere sind als die aller übrigen Auserwählten Christi: Gaudia virginum ... a caeterorum omnium gaudiorum sorta dinstincta ... Gaudia propria virginum Christi non sunt eadem non virginum, quamvis Christi. (De sancta virginitate c: 37. n. 27). </ref> Unaussprechliche Wonnen sind solchen Seelen vorbehalten, denn weil sie hienieden alles verlassen haben, um in der jungfräulichen Treue einer vorbehaltlosen und ungeteilten Liebe einzig Christus anzuhangen, haben sie das unveräußerliche Vorrecht erlangt, "dem Lamm zu folgen, wohin es geht" (Offb 14,4).

Und der Bräutigam und die Braut sagen: "Komm"! (Offb 22, 17).

Anmerkungen

<references />

Literatur