Beitrag zu einer authentischen Kultur der Begegnung

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Rundschreiben

Kongregation für das katholische Bildungswesen
im Pontifikat von Papst
Franziskus
Beitrag zu einer authentischen Kultur der Begegnung an die Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen
10. September 2020

(Quelle: Osservatore Romano 18. September 2020, S. 9)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Einleitend

Die Verbreitung von COVID-19 hat unsere Existenz- und Lebensweise tiefgreifend verändert: »Wir sind verängstigt und fühlen uns verloren. Wie die Jünger des Evangeliums wurden wir von einem unerwarteten heftigen Sturm überrascht«.<ref> Papst Franziskus, Besondere Andacht zur Zeit der Pandemie auf dem Vorplatz des Peters­domes, 27.03.2020.</ref> Neben den gesundheitlichen Schwierigkeiten sind zusätzlich wirtschaftliche und soziale Schwierigkeiten zu bewältigen. Die Bildungs­systeme auf der ganzen Welt haben sowohl auf schulischer als auch auf akademischer Ebene unter der Pandemie gelitten. Überall wurden Maßnahmen ergriffen, um eine schnelle Reaktion durch digitale Plattformen für den Fernunterricht zu ermöglichen, deren Wirksamkeit jedoch durch ein ausgeprägtes Ungleichgewicht bei den pädagogischen und technologischen Möglichkeiten begrenzt wurde. Jüngsten Daten internationaler Organisationen zufolge werden in den kommenden Jahren rund zehn Millionen Kinder keinen Zugang zu Bildung haben, was die bereits bestehenden Bildungsdefizite noch vergrößert.

Hinzu kommt die dramatische Situation katholischer Schulen und Universitäten, die ohne wirtschaftliche Unterstützung durch den Staat Gefahr laufen, geschlossen oder drastisch reduziert zu werden. Dennoch ist es den katholischen Bildungseinrichtungen (Schulen und Universitäten) auch in diesem Fall gelungen, zur Vorhut des Bildungssystems zu werden, indem sie sich in den Dienst der kirchlichen und zivilen Gemeinschaft stellten und einen öffentlichen Bildungs- und Kulturauftrag zum Wohle der gesamten Gemeinschaft gewährleisteten.

Bildung und Beziehung

In diesem Bereich, der in verschiedenen Teilen der Welt leider immer noch unkontrolliert ist, sind leider auch einige Schwierigkeiten aufgetreten. Zunächst einmal hat der Fernunterricht – auch wenn er in diesem äußerst kritischen Moment notwendig ist – gezeigt, dass das pädagogische Umfeld, das aus Menschen besteht, die sich begegnen, direkt und »in Anwesenheit« inter­agieren, nicht einfach ein Beiwerk zur pädagogischen Tätigkeit ist, sondern die eigentliche Substanz dieser Beziehung des Austauschs und des Dialogs (zwischen Lehrenden und Lernenden), die für die Bildung der Person und für ein kritisches Verständnis der Wirklichkeit unerlässlich ist. In Unterrichtsräumen, Klassenzimmern und Workshops wachsen wir zusammen und bauen eine gemeinsame Beziehungsidentität auf. In allen Lebensaltern, besonders aber in der Kindheit, Jugend und im frühen Erwachsenenalter kann der Prozess des psychopädagogischen Wachstums nicht ohne die Begegnung mit anderen stattfinden, und die Gegenwart des anderen schafft die notwendigen Voraussetzungen dafür, dass sich Kreativität und Integration entfalten können. Im Bereich der wissenschaftlichen Forschung und der Lehre bilden die zwischenmenschlichen Beziehungen den »Ort«, an dem Transdisziplinarität und Interdisziplinarität als grundlegende kulturelle Prinzipien für die Vermeidung von Risiken der Fragmentierung und Desintegration von Wissen sowie für die Öffnung dieses Wissens im Lichte der Offenbarung entstehen.

Die Ausbildung der Ausbilder

Die weite Verbreitung und das Fortbestehen der Pandemie über einen längeren Zeitraum hat auch bei Lehrern und Erziehern ein weit verbreitetes Gefühl der Unsicherheit hervorgerufen. Ihr unschätzbarer Beitrag – der sich im Laufe der Jahre sowohl in sozialer als auch in technischer Hinsicht tiefgreifend verändert hat – muss durch eine solide ständige Fortbildung begleitet werden, die es versteht, den Bedürfnissen der Zeit gerecht zu werden, ohne die Synthese zwischen Glaube, Kultur und Leben zu verlieren, die den eigentümlichen Schlussstein des Bildungsauftrags darstellt, der in den katholischen Schulen und Universitäten umgesetzt wird. Lehrer stehen in so großer Verantwortung, und ihr Engagement erfordert in zunehmendem Maße die Umsetzung in konkretes, kreatives und integratives Handeln. Dank ihrer wird ein Geist der Geschwisterlichkeit und des Austauschs nicht nur mit den Lernenden, sondern auch zwischen Generationen, Religionen und Kulturen sowie zwischen Mensch und Umwelt gefördert.

Die Person in der Mitte

Damit dies geschieht, ist es immer notwendig, die zwischenmenschliche Ebene und die Beziehung zur konkreten Person sowie zwischen den konkreten Menschen, die die Bildungsgemeinschaft ausmachen, in das Zentrum des pädagogischen Handelns zu stellen; eine Beziehung, die in der durch einen Bildschirm vermittelten Interaktion oder in den nicht-persönlichen Kontakten des digitalen Netzes keine ausreichende Berücksichtigung findet. Die konkrete und reale Person ist die wahre Seele der formellen und informellen Bildungsprozesse sowie eine unerschöpfliche Lebensquelle aufgrund ihres im Wesentlichen relationalen und gemeinschaftlichen Charakters, der immer die zweifache vertikale (offen für die Gemeinschaft mit Gott) und horizontale (Gemeinschaft unter Menschen) Dimension impliziert. Die katholische Bildung – inspiriert von der christlichen Sicht der Wirklichkeit in all ihren Ausdrucksformen – zielt auf die ganzheitliche Ausbildung der Person ab, die dazu berufen ist, verantwortungsvoll eine spezifische Berufung in Solidarität mit anderen Menschen zu leben.

In einer Welt, in der »alles eng miteinander verbunden ist«,<ref> Papst Franziskus, Enzyklika Laudato si’,24. Mai 2015, 137.</ref> fühlen wir uns vereint, wenn es darum geht, gemäß der christlichen Anthropologie neue Bildungswege zu finden, die es uns ermöglichen, gemeinsam zu wachsen, indem wir die Kommunikationsmittel einsetzen, die uns die heutige Technologie bietet, aber vor allem, indem wir uns für das unersetzliche aufrichtige Hören auf die Stimme des anderen öffnen, indem wir Zeit für eine gemeinsame Reflexion und Planung geben, persönliche Erfahrungen und gemeinsame Projekte, die Lehren der Geschichte und die Weisheit vergangener Generationen schätzen. In einem solchen Bildungsprozess der Beziehung und der Kultur der Begegnung findet auch das »gemeinsame Haus« mit allen Geschöpfen Raum und Wertschätzung, da die Menschen, so wie sie sich nach der Logik der Gemeinschaft und Solidarität bilden, bereits daran arbeiten, »die heitere Harmonie mit der Schöpfung wiederherzustellen«<ref> Papst Franziskus, Enzyklika Laudato si’, 24. Mai 2015, 225.</ref> und die Welt als »den Raum der wahren Brüderlichkeit« zu gestalten (vgl. Gaudium et spes, 37).

Der Dienst als Ziel

Die gegenwärtige Situation hat die Notwendigkeit eines zunehmend gemeinschaftlichen und gemeinsamen Bildungspakts deutlich gemacht, der – Kraft schöpfend aus dem Evangelium und der Lehre der Kirche – in großzügiger und offener Zusammenarbeit zur Verbreitung einer authentischen Kultur der Begegnung beitragen wird. Aus diesem Grund sind die katholischen Schulen und Universitäten aufgerufen, Menschen auszubilden, die bereit sind, sich in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen. Im Dienst können wir in der Tat erfahren, dass es mehr Freude am Geben als am Nehmen gibt (vgl. Apg 20,35) und dass unsere Zeit nicht länger eine Zeit der Gleichgültigkeit, des Egoismus und der Spaltungen sein kann: »Die ganze Welt leidet und muss sich vereint der Pandemie stellen«, denn »die Herausforderung, vor der wir stehen, eint uns alle und macht keine Unterschiede zwischen den Menschen«.<ref> Papst Franziskus, Botschaft Urbi et Orbi, 12. April 2020.</ref> Die Ausbildung im Dienst an der Gesellschaft zur Förderung des Gemeinwohls fordert alle auf, »die Bemühungen in einem breiten Bildungsbündnis zu vereinen, um reife Menschen zu formen, die in der Lage sind, Spaltungen und Gegensätze zu überwinden und das Gefüge der Beziehungen für eine geschwisterlichere Menschheit wiederherzustellen«.<ref> Papst Franziskus, Botschaft zur Ankündigung des Bildungspaktes, 12. September 2019.</ref>

Netzwerke bilden

Der Beweis, dass »die Pandemie deutlich gezeigt hat, wie verwundbar wir sind und wie sehr wir alle miteinander verbunden sind«,<ref> Papst Franziskus, Generalaudienz, 12. August 2020.</ref> fordert die Bildungseinrichtungen – katholische und nichtkatholische – auf, zur Verwirklichung eines Bildungspaktes beizutragen, das wie in einer Gemeinschaftsbewegung das Ziel verfolgt, »den gemeinsamen Schritt zu finden, zur Wiederbelebung des Engagements für und mit den jungen Menschen, bei dem die Begeisterung für eine offenere und integrativere Bildung, die fähig ist, geduldig zuzuhören, einen konstruktiven Dialog und gegenseitiges Verständnis zu fördern, erneuert wird«.<ref> Papst Franziskus, Ansprache an die Teilnehmer der Vollversammlung der Kongregation für das Katholische Bildungswesen, 20. Februar 2020.</ref> Dies kann durch ein stärker vernetztes Kooperationsgeflecht gefördert werden, das als Ausgangsbasis dient, um einige wesentliche Ziele festzulegen und gemeinsam zu verfolgen, auf deren Grundlage – kreativ und konkret – alternative Zusammenlebensmodelle zu denen einer standardisierten und individualistischen Gesellschaft entwickelt werden können.<ref> Vgl. Kongregation für das Katholische Bildungswesen, Erziehung zum solidarischen Humanismus. Für den Aufbau einer Zivilisation der Liebe 50 Jahre nach Populorum progressio, 16. April 2017, VI.</ref> Dies ist eine umfangreiche Aufgabe und sie steht allen offen, die sich um den Aufbau eines erneuerten und langfristigen Bildungsprojektes bemühen, das auf gemeinsamen ethischen und normativen Forderungen beruht. Einen wertvollen Beitrag können die Schul- und Universitätsseelsorge sowie die einzelnen Christen, die in allen Bildungseinrichtungen präsent sind, leisten.

Schluss

Die Kongregation für das Katholische Bildungswesen erneuert – wie bereits in der Mitteilung vom 14. Mai 2020<ref> http://www.cec.va/content/dam/cec/Documenti/COMUNICATO%20global%20compact%20IT%2014-05-2020.pdf</ref> zum Ausdruck gebracht – ihre Verbundenheit und bringt ihre tiefe Wertschätzung gegenüber allen Bildungsgemeinschaften der katholischen Schulen und Universitäten zum Ausdruck, die trotz der Notsituation im Gesundheitsbereich die Durchführung ihrer Aktivitäten garantiert haben, um jene Bildungskette nicht zu unterbrechen, die nicht nur der persönlichen Entwicklung, sondern auch dem sozialen Leben zugrunde liegt. Im Hinblick auf die zukünftige schulische und akademische Planung sind die Verantwortlichen in der Gesellschaft trotz aller Unsicherheiten und Bedenken aufgerufen, der Bildung in all ihren formellen und informellen Dimensionen größere Bedeutung beizumessen und die Bemühungen zu koordinieren, um in diesen schwierigen Zeiten das Bildungsengagement aller zu unterstützen und sicherzustellen.

Es ist an der Zeit, mit Mut und Hoffnung nach vorn zu blicken. Die katholischen Bildungseinrichtungen haben in Christus – Weg, Wahrheit und Leben (vgl. Joh 14,6) – ihr Fundament und eine immerwährende Quelle «lebendigen Wassers» (vgl. Joh 4,7-13), die den neuen Sinn der Exis­tenz offenbart und sie verwandelt. Unterstützen Sie uns deshalb in unserer Überzeugung, dass in der Bildung der Same der Hoffnung wohnt: eine Hoffnung auf Frieden und Gerechtigkeit.

Vatikanstadt, den 10. September 2020

Giuseppe Kardinal Versaldi
Präfekt
Angelo Vincenzo Zani
Titularerzbischof von Volturno

Sekretär

Anmerkungen

<references />