Ansprache vom 13. Dezember 1985

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Ansprache

von Papst
Johannes Paul II.
an die Vollversammlung des Päpstlichen Rates für die Familie
Gelebtes Zeugnis nach der Lehre der Kirche
13. Dezember 1985

(Quelle: Der Apostolische Stuhl 1985, S. 1705-1710)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Herr Kardinal,
Liebe Brüder und Schwestern !

1. Ich freue mich, euch anläßlich eurer Vollversammlung zu begrüßen, die besonders wegen des Beitrags der aus allen Gegenden kommenden Eheleute die hohe Zeit der Tätigkeit eures Päpstlichen Rates ist.

Wir haben eben erst die außerordentliche Bischofssynode beendet, die aus Anlass der 20-Jahr-Feier des Abschlusses des Zweiten Vatikanischen Konzils zusammengetreten war. Wir haben zusammen mit den Präsidenten der Bischofskonferenzen und den anderen Synodenvätern versucht, die geistlichen Früchte des Konzils zu bewerten, wobei wir unseren Willen erneuerten, offen für das Wirken des Heiligen Geistes zu sein, der seine Kirche dazu anspornt, sich des Geheimnisses ihrer Identität im Verhältnis zu Christus und der Verantwortung, die ihr vor der Welt und vor den Menschen von heute zukommt, immer klarer bewußt zu werden.

Wir haben seit einem Monat mehrere Konzilsdokumente erwähnt, die vor nunmehr zwanzig Jahren angenommen und veröffentlicht worden sind. Eines der wichtigsten Dokumente war die Pastoralkonstitution Gaudium et spes, die am 7. Dezember 1965 angenommen wurde. Sie macht eine christliche Sicht des Menschen und der Gesellschaft und die Wechselwirkung zwischen der Kirche als Volk Gottes und den menschlichen Gemeinschaften geltend. Sie behandelt eine Vielzahl von Problemen, die für die heutige Welt von entscheidender Bedeutung sind und von denen an erster Stelle die Lehre über die Ehe und Familie genannt werden muss.

Diese beiden Themen sind seitdem Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit seitens des kirchlichen Lehramtes. Die Enzyklika Humanae vitae meines Vorgängers Paul VI., die Synode über die Aufgabe und Sendung der Familie und das Apostolische Schreiben Familiaris consortio sowie die katechetischen Überlegungen, die ich den konkreten Aspekten der christlichen Lehre über die Ehe gewidmet habe, abgesehen von den vielen Pastoraldokumenten meiner Brüder im Bischofsamt, haben die Gläubigen auf die rechte menschliche und christliche Ordnung der Bindung hingewiesen, die sie am sakramentalen Geheimnis der Ehe teilhaben läßt. Das Familienkomitee - das dann zum Päpstlichen Rat für die Familie geworden ist - wurde errichtet, um besser zur Darstellung und Verbreitung der Lehre über die Ehe und Familie beizutragen und so eine unmittelbare und angemessene Hilfe bei der spezifischen Seelsorge in verschiedenen, das Familienleben berührenden Situationen zu leisten. Ihr alle, die ihr völlig rechtmäßig diesem Dikasterium der Kirche angehört, seid also Mitarbeiter des Papstes in seiner Sorge für alle Kirchen. Ich danke euch herzlich für eure Zusammenarbeit. Eure Aufgabe bezieht sich zugleich auf die Lehre und die Pastoral der Familien.

2. Ihr müsst euch daher zuerst auf die Wahrheit beziehen, die die Kirche über die Ehe darlegt und weitergibt. Das Lehramt der Kirche erfindet die Lehre nicht, es lehrt die Forderungen der sittlichen Ordnung, damit in ihrem Licht das Urteil des Gewissens wahr sein kann. Der Gläubige hat das Recht, vom Lehramt die Unterweisung über die sittliche Wahrheit zu erhalten. Und man kann nicht sagen, dass das Lehramt der Kirche den "Rechten des Gewissens" entgegensteht. Wenn die menschliche Vernunft und das auf die Offenbarung gegründete Lehramt, freilich in verschiedener Weise, Zugang zu der Wahrheit haben, die in Gott begründet ist, wird das von der Vernunft aufgeklärte Gewissen in diesem anderen Licht, das ihm durch das Lehramt zukommt, nicht bloß eine Auffassung unter anderen sehen, sondern die Hilfe, die unserer menschlichen Natur in ihrer Schwachheit und Begrenztheit von der göttlichen Vorsehung zuteil wird.

Das kirchliche Lehramt ersetzt also nicht das sittliche Gewissen der Menschen; es hilft ihm, sich herauszubilden, die Wahrheit der Dinge, das Geheimnis und die Berufung der menschlichen Person, den tiefen Sinn ihrer Handlungen und ihrer Beziehungen zu entdecken. Denn das Gewissen darf sich niemals der Willkür überlassen; es kann sich täuschen, wenn es sich nach dem richtet, was ihm vernünftigerweise gut erscheint; aber es hat die Pflicht, sich dem der Wahrheit entsprechenden Guten zuzuwenden.

Es ist nicht verwunderlich, dass die Ehe und die ehelichen Beziehungen einen der Bereiche darstellen, über die innere Unordnung als Folge der Ursünde und der persönlichen Sünden jedes einzelnen weithin den Schleier der Desorientierung und des Zweifels gebreitet hat. Das ist genau ein Punkt, wo das kirchliche Lehramt die Wahrheit darlegen und dabei besonders darauf achten muss, das Wohl der einzelnen Personen und der menschlichen Gesellschaft zu fördern, die so eng von der Grundzelle abhängt, die die Familie darstellt.

Zusammenhang zwischen dem Wesen der Ehe, der gegenseitigen Selbsthingabe und der Offenheit für das Leben

Mit der Darlegung der Moralgesetze, die die Wahrheit von der Hingabe der Eheleute umfassen, fördert die Kirche nicht allein das moralisch richtige Verhalten jedes Ehepartners, sondern sie verteidigt die Wahrheit von der Ehe selbst als Ursprung und Garantie der Familie. Deshalb nennt die Pastoralkonstitution Gaudium et spes, wenn sie die objektiven Kriterien - "die sich aus dem Wesen der menschlichen Person und ihrer Akte ergeben" -, die die Sittlichkeit des Intimlebens der Ehegatten bestimmen, anführt, diese "Kriterien, die sowohl den vollen Sinn gegenseitiger Hingabe als auch den einer wirklich humanen Zeugung in wirklicher Liebe wahren" (Nr. 51). Aber zugleich sind die wirkliche gegenseitige Hingabe und die humane Zeugung im ehelichen Leben nichts anderes als das getreue Abbild des Wesens der Ehe. Logischerweise bestimmen die entscheidenden Zusammenhänge zwischen dem Wesen der Ehe selbst, der gegenseitigen Selbsthingabe und der Öffnung für das Leben die Wahrheit der spezifischen ehelichen Akte und bilden zugleich die Ursache dafür, ob diese gut sind oder nicht.

In diesem Sinne kann man sagen, dass die Lehre der Kirche eine tiefe Weise ist, die Liebe zu üben: eine Liebe, die sich nicht darauf beschränkt, "Lösungen" zu fördern, die vielleicht einfach und von unmittelbarer Wirkung sind, sondern wie ein guter Arzt die Ursachen der Unordnung zu heilen versucht, selbst dann, wenn man nicht sofort die Ergebnisse sieht. Dort nun, wo die Unordnung des ehelichen Lebens überwiegt, sind die Fundamente der Institution Ehe und der Stabilität der Familie bedroht, und es müssen, je nach Ausmaß des Übels, gründliche Heilmittel vorbereitet werden.

Aber es kommt sehr darauf an, die Lehre richtig darzulegen, mit Argumenten und Beispielen, die geeignet sind, unsere Zeitgenossen besser zu packen und zu überzeugen.

Im übrigen beschränken sich die Probleme der Familie ja bei weitem nicht auf jene, die ich erwähnt habe, als ich von der Vereinigung der Eheleute sprach. Sie sind sehr vielfältig. Sie betreffen nicht nur die Zeugung, sondern die Erziehung der Kinder und die ganze Lebensatmosphäre der Familien.

Schließlich stellen uns die wissenschaftlichen Fortschritte, insbesondere jene, die das ungeborene Leben betreffen, vor viele neue und ernste Fragen. Die Kirche muss sie klar im Auge behalten. Euer Rat ist daran beteiligt und muss achtsam bleiben und darauf sehen, dass die umfassenden Antworten des Lehramtes das Ergebnis der Zusammenarbeit mehrerer Dikasterien sind und die Überlegungen hochqualifizierter Experten sowie das theologische und moralische Urteil verschiedener Theologen und ihrer Bischöfe verwendet werden. Auch das ist ein Dienst, den die Kirche an den Gewissen und an der Gesellschaft leisten muss.

Christliche Eheleute sind zu einem Apostolat der Familie aufgerufen

3. Die apostolische Wirksamkeit eures Rates muss, gestützt auf die Lehre, eine bessere Familienpastoral anstreben, die den Gläubigen ermöglicht, diese Wahrheit besser aufzunehmen und sie in ihr eigenes Leben ebenso eintreten zu lassen wie in die Gewohnheiten der Gesellschaft. Das ist der zweite Gesichtspunkt eures Auftrages, der vom ersten nicht zu trennen ist. Ihr habt übrigens während eurer Vollversammlung Überlegungen darüber angestellt, wie die in der Familienpastoral Tätigen vorzubereiten seien. Euer Beitrag bleibt sehr wertvoll und typisch. Denn ihr befindet euch in der Kurie, in direkter Beziehung zum Papst; der Horizont eurer Sorge ist die Universalkirche; und gerade auch die Zusammensetzung des Rates mit christlichen Ehepaaren aus verschiedenen Ländern, die die Lehre der Kirche über die Familie aufgenommen haben und sie zu leben versuchen, ist eine Voraussetzung für dieses Apostolat.

Aber ihr wisst um den gewaltigen Umfang des Werkes. Sämtliche Laien, die die Berufung der Ehe leben, sind zu diesem Apostolat, unterstützt von ihren Priestern, aufgerufen. Man muss wünschen, dass in diesem Sinne in den Ortskirchen vielfältige Initiativen ergriffen werden und dass die Familienverbände, die Bewegungen und dafür spezialisierten Zentren eine qualifizierte und hochherzige Zusammenarbeit leisten, die vom christlichen Geist inspiriert ist und treu an der Lehre der Kirche festhält. An Ort und Stelle sind die Bischöfe unmittelbar für die christliche Zuverlässigkeit und die Zweckmäßigkeit dieses Einsatzes verantwortlich. Sie zählen auf euer Verständnis und eure Unterstützung.

Ein solches Apostolat wird die Bildung und die besonderen Verhältnisse der Menschen berücksichtigen, um sie zu einem besseren Verständnis der Forderungen der christlichen Ehe und zu einem Fortschritt in der ehelichen und elterlichen Liebe, wie der Herr sie will, zu führen. Wenn es auch nicht zulässig ist, von der "Gradualität des Gesetzes" zu sprechen, als ob das Gesetz je nach der konkreten Situation mehr oder weniger hohe Anforderungen stelle, muss trotzdem das "Gesetz der Gradualität" beachtet werden (vgl. Familiaris consortio, Nr. 34), denn jeder gute Pädagoge berücksichtigt, ohne deshalb die Erziehungsgrundsätze zu mißachten, die persönliche Situation seiner Gesprächspartner, um ihnen eine bessere Annahme der Wahrheit zu ermöglichen. Diejenigen, die ihr Leben nach diesen Forderungen gestalten oder sich zumindest bemühen, sie mit einiger Konsequenz zu leben, sind besser imstande, deren Werte zu vermitteln. Außer dieser christlichen Kohärenz zur Wahrheit werden natürlich alle Wissenschaften, die eine Beziehung zur Pädagogik haben also jene, die zu einer besseren Kenntnis der Person verhelfen, und jene, die die Kommunikation fördern -, von großer Nützlichkeit sein.

Aber so notwendig diese lehrmäßige Bildungsarbeit sein mag, das Lebenszeugnis christlicher Eheleute ist ein ganz einmaliger Wert. Das kirchliche Lehramt legt keine Wahrheiten vor, die sich nicht leben lassen. Gewiss übersteigen die Forderungen des christlichen Lebens die Möglichkeiten des Menschen, wenn ihm nicht Hilfe von der Gnade zuteil wird. Aber diejenigen, die sich vom Geist Gottes stärken lassen, machen die Erfahrung, dass die Erfüllung des Gesetzes Christi möglich ist, ja, dass es sich um ein "Joch" handelt, "das nicht drückt" (vgl. Mt 11,30), und dass diese Treue große Segnungen vermittelt. Das Zeugnis dieser Erfahrung stellt nun für die anderen Ehepaare guten Willens, die häufig verwirrt und unbefriedigt sind, ein starkes Motiv der Glaubwürdigkeit und der Ermutigung dar; wie das Salz, von dem das Evangelium spricht, verleiht es Geschmack daran, so zu leben. Das Sakrament der Ehe befähigt die christlichen Eheleute zu diesem Charisma (vgl. Fami/iaris consortio, Nr. 5; vgl. auch Predigt zur Eröffnung der 6. Bischofssynode, AAS 72, 1980, S. 1008, Wort und Weisung, 1980, S. 138-141). Sie bekunden damit, dass die christlichen Werte die Krönung und Stärkung der menschlichen Werte darstellen. Das garantiert und sichert die volle Wahrheit über Christus, ohne der wahren Liebe im geringsten Abbruch zu tun; sie steht am Beginn des Wohles der Eheleute; sie ruft für die Gesellschaft Familien ins Leben, die die Triebkräfte einer besseren Menschheit sein sollen.

Viele Verantwortliche des bürgerlichen Lebens, die sich der tiefgreifenden Veränderungen und der Krise, die das Familienleben, die Stabilität der Familien, die Entwicklung von Eheleuten und Kindern so weitreichend in Mitleidenschaft ziehen, bewusst sind, sind zweifellos bereit, die Bedeutung dieses besonderen, von natürlichen und christlichen Moralgrundsätzen inspirierten und ehrenhaft und demütig angebotenen Beitrags in Betracht zu ziehen. Das also ist jedenfalls das, was wir mit Klarheit und Mut, in Verbindung mit den lebendigen Kräften, die bereits für die Familienpastoral arbeiten, in der Kirche fördern müssen.

Die nächste Synode über den Auftrag der Laien wird zweifellos dieses Bewusstwerden und diese Aufforderung, die bereits von der vorhergehenden ordentlichen Bischofssynode aufgefrischt worden waren, stärken, denn die Familie ist einer der spezifischen Bereiche, wo es Sache der Laien ist, die menschliche Gesellschaft mit dem Geist Christi zu durchtränken.

Ich danke euch nochmals für euren besonderen Dienst an der Kirche im Rahmen dieses Päpstlichen Rates; ich spreche den Wunsch aus, dass dieser Dienst immer fruchtbarer werden möge.

Ich empfehle Gott eure Arbeit und ebenso die Anliegen, die ihr auf dem Herzen habt, besonders das Glück und die Ausstrahlung eurer Familien - deren Kinder ich ganz herzlich grüße -, und auch die schwierigen Situationen der Familien, deren Not und Bedrängnis ihr kennt und die auf euch zählen. Ich wünsche euch schon heute den Frieden und die Freude der Weihnacht, während ich euch meinen Apostolischen Segen erteile.