Anna Katharina Emmerich: Geheimnisse des Alten Bundes: Unterschied zwischen den Versionen

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<big>Das arme Leben und bittere Leiden unseres Herrn Jesus Christus und seiner heiligsten Mutter Maria nebst den Geheimnissen des [[Alter Bund|Alten Bundes]] nach den [[Vision]]en der gottseligen [[Anna Katharina Emmerick]] </big></center>
 
<big>Das arme Leben und bittere Leiden unseres Herrn Jesus Christus und seiner heiligsten Mutter Maria nebst den Geheimnissen des [[Alter Bund|Alten Bundes]] nach den [[Vision]]en der gottseligen [[Anna Katharina Emmerick]] </big></center>
  
aus den Tagebüchern des [[Clemens Brentano]], Herausgegeben von [[Pater]] [[Karl Erhard Schmöger|C. E. Schmöger]] von der Kongregation des allerheiligsten Erlösers ([[CSSR]]), Mit kirchlicher [[Druckerlaubnis]], 1. Band des 4 Bände umfassenden Gesamtwerkes, [[Immaculata Verlag]] Reussbühl / Luzern 1970 (414 Seiten, Erste Auflage; Seiten: 9-271). Bei der Digitalisierung wurde einige Worte und die Grammatik behutsam angepasst.<br>
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aus den Tagebüchern des [[Clemens Brentano]], Herausgegeben von [[Pater]] [[Karl Erhard Schmöger|C. E. Schmöger]] von der Kongregation des allerheiligsten Erlösers ([[CSSR]]), Mit kirchlicher [[Druckerlaubnis]], 1. Band des 4 Bände umfassenden Gesamtwerkes, [[Immaculata Verlag]] Reussbühl / Luzern 1970 (414 Seiten, Erste Auflage; Seiten: 129-271).
 
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== ZUR PERSON ANNA KATHARINA EMMERICKS ==
 
 
"Anna Katharina Emmerick, ekstatische Augustinernonne, wurde am 8. September 1774 als Tochter armer, aber frommer Eltern in der Bauernschaft Flamske bei Coesfeld geboren. Von Kindheit an war sie durch wunderbare Gnaden bevorzugt. Die Gabe des mystischen Gesichts wurde ihr schon in frühester Jugend in einer Fülle verliehen, welche nur bei wenigen Begnadigten gefunden wird. Ihr Engel war ihr sichtbar gegenwärtig. Die Heiligen Gottes verkehrten mit ihr in vertraulichster Weise... Im Jahre 1798 hatte Christus der Herr ihr während eines Gesichtes die Dornenkrone aufs Haupt gesetzt; sie litt seitdem heftige Schmerzen an der Stirn und an den Schläfen; auch häufige Blutungen traten ein, die sie jedoch zu verbergen wußte. Etwa neun Jahre später wurden ihr die Schmerzen der Wundmale an Händen und Füßen mitgeteilt. Nun war die Zeit da, wo der Herr seiner treuen Braut auch die äußeren Zeichen derselben einprägen wollte. Am Feste des heiligen Augustinus bezeichnete er sie mit einem daumenbreiten Kreuze unterhalb der Brust, einige Wochen später auf der Brust mit einem doppelten blutigen Gabelkreuze. In den letzten Tagen des Jahres 1812 endlich trat die vollständige Stigmatisation ein...
 
 
Seit November 1812 war sie nicht mehr imstande, ihr Zimmer zu verlassen; um dieselbe Zeit begann auch ihre gänzliche Enthaltung von Nahrung. Außer etwas Wasser oder dem ausgesogenen Safte gekochten Obstes vermochte sie nichts zu genießen. Die wunderbarsten Gaben begleiteten diese Zustände. Sie unterschied mit Sicherheit die Reliquien der Heiligen, bestimmte deren Namen und sah ihre Geschichte.
 
 
In ihren Gesichten wurde sie geistigerweise in das Heilige Land geführt, sah die heiligen Stätten und das Leben der Heiligen des Alten und des Neuen Testamentes, insbesondere das Leben der Mutter Gottes und des göttlichen Heilandes.
 
 
Öfters war ihr innerlich bedeutet worden, daß diese Gesichte nicht für sie allein bestimmt seien; sie müsse dieselben mitteilen. Als Clemens Brentano im September 1818 sie zum erstenmal besuchte, erkannte sie in ihm den Mann, dem von Gott die Aufgabe geworden, dieselben aufzuzeichnen. Mit ausdrücklicher Gutheißung ihrer geistlichen Oberen unterzog sich Clemens Brentano dieser schwierigen Aufgabe; er ließ sich in Dülmen nieder und blieb dort, wenige Unterbrechungen abgerechnet, bis zum gottseligen Tode Anna Katharinas, der am 9. Februar 1814 erfolgte. Zweimal im Tage, am Morgen und am Abend, ging er zu ihr, um ihre Mitteilungen entgegenzunehmen. Sie pflegte ihre Gesichte in westfälischer Mundart zu erzählen und er notierte währenddessen auf Papierstreifen die Hauptpunkte, die er unmittelbar nachher, aus dem Gedächtnis ergänzend, ins reine schrieb. Diese Reinschrift las er beim nächsten Besuche Anna Katharina vor, verbesserte, ergänzte, tilgte je nach erhaltener Weisung und behielt nichts bei, was nicht von ihr bestätigt worden war..." (Kirchen-Lexikon)
 
 
P.S. Clemens Brentano hatte seine auf Anna Katharina Emmerick sich beziehenden Manuskripte seinem Freunde, dem Professor Haneberg, dem nachmaligen Bischof von Speyer, testamentarisch hinterlassen, der sie hinwieder dem Redemptoristenpater Schmöger übergab.
 
Der Letztere veröffentlichte "Das Leben unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus nach den Gesichten der gottseligen Anna Katharina Emmerick", 3 Bände, 1858-1860. Etwas später, im Jahre 1881, gab er in neuer Überarbeitung dieses hiermit neuaufgelegte Werk in einem starken, reich illustrierten Quartbande heraus. (Johann Seidl)
 
 
== Einige gewichtige Urteile ==
 
 
Einer der frömmsten Bischöfe des vergangenen Jahrhunderts, der selige Michael Wittmann, hatte wenige Stunden vor seinem heiligmäßigen Ende mit ernster Bitte den Pilger (Clemens Brentano) gemahnt, die Gnadengaben der treuen Dienerin Gottes der Gesamtheit fruchtbringend zu machen. "O mein Allerliebster! o arbeiten Sie treu! arbeiten Sie treu fort für die Ehre Jesu Christi! arbeiten Sie unerschütterlich fort!" sprach der sterbende Bischof, den Pilger segnend und ihn noch vor andern rühmend, daß er die Gesichte Anna Katharina's aufgezeichnet habe, um deren Herausgabe er ihn schon bei der ersten Begegnung gebeten hatte. (Leben und Wirken des frommen Bischofs Michael Wittmann, von P. Mittermüller, O.S.B., S. 246)
 
 
"Längst hat die Erfahrung mit den früheren Ausgaben dieses Werkes gezeigt, daß jene Gesichte auch für andere seien, was sie nach dem weisen Plane der göttlichen Vorsehung für Katharina waren: ganz besondere Mittel, um, im engsten Anschluss an die Wahrheiten des Glaubens, die Erkenntnis und Liebe unseres Herrn und seiner gebenedeiten Mutter zu mehren. Es gereicht uns daher zu großem Troste, daß gerade jetzt, da unsere heilige Kirche in so schwerer Bedrängnis und Trübsal seufzt, und Glaube und Hoffnung und Liebe ihrer Kinder so hart geprüft werden, dem katholischen Volke in der vorliegenden Gesamtausgabe der Gesichte der begnadigten Dienerin Gottes ein so schönes Werk über das Geheimnis unserer Erlösung geboten wird." (+Ignatius, Bischof von Regensburg)
 
 
"Indem Anna Katharina Emmerick die auf den Reisen des Heilandes betretenen Orte mit ausgesprochener Bestimmtheit beschreibt und benennt, nahm ich zu der Geographie und den Reisebeschreibungen Palästinas meine Zuflucht, um die Richtigkeit der Angaben zu kontrollieren; und je mehr ich Vergleiche machte, desto mehr wurde ich zu der Überzeugung gedrängt, daß K. Emmerick über das Heilige Land, über die Gebräuche der Juden usw. mehr Kenntnis hatte, als alle Geographen und Archäologen der ganzen Welt." (Domherr Anton Urbas, Laibach)
 
 
"Bibel und Wissenschaft beweisen, daß die Visionen der gottseligen deutschen Seherin, wie sie in den verschiedenen Publikationen Brentanos und des auf ihm fußenden Schmöger vorliegen, volle Wahrheiten enthalten und in viele biblische und theologische Streitfragen Aufklärung, Licht und volle Klarheit bringen, während die derzeit herrschenden Lehrmeinungen weder Fachgelehrte noch Schüler noch Volk befriedigen. Kirche und Wissenschaft beweisen, daß die Gesichte der gottseligen Anna Katharina Emmerick über die Heiligenleben nur Tatsachen, nicht Dichtungen, nicht poetische Ausschmückungen bringen." (Johann Seidl)
 
 
"Ich kann nicht umhin, alle Schriften, welche über das Leben und die Gesichte der gottsel. Anna Katharina erschienen sind, mit möglichstem Nachdruck allen zu empfehlen. Es gebührt ihnen Ruhm, weil nach meiner Überzeugung jeder Priester, der dieselben aufmerksam liest, mit solchem Seeleneifer und mit solchem Verlangen nach dem eigenen Heile entzündet werden muß, daß er wohl schwerlich verlorengehen kann. Denn er findet hier das Bild unseres Herrn mit so lebendigen Farben gezeichnet und seine unendliche Güte mit solcher Anschaulichkeit vor Augen gestellt, daß er der Liebe zur Welt gerne entsagt und, wenn er etwa straucheln sollte, schnell wieder sich erhebt, und daß er von Tag zu Tag mehr mit dem Geiste Gottes erfüllt wird; von diesem Geiste beseelt, wird er aber auch die weltlich gesinnten Herzen seiner Beichtkinder zur Buße bewegen, soweit dies überhaupt möglich ist." (Dr. A. Rohling)
 
 
"Nur das wollen wir hervorheben, daß Emmerick sich stets gleich blieb: stets derselbe Gehorsam, dieselbe Abgestorbenheit gegenüber der Schmach und Ehre, dieselbe Flucht und Scheu vor jeglichem Bekanntwerden, dieselbe unerschütterliche Geduld in ununterbrochenen Schmerzen und Leiden. ... Auf alle, die mit ihr in Berührung kamen und guten Willens waren, übte sie jenen wundersam heiligenden Einfluß aus und führte nicht wenige zum Glauben zurück. Bis ins kleinste erwies sie sich stets als gehorsames Kind der Kirche; alles unkirchliche schwärmerische Wesen verwarf sie aufs entschiedenste. In allen Beziehungen, in denen wir sie treffen, finden wir sie tadellos, einfältig, mit heiligem Ernste und mit überirdischer Weisheit nach den Grundsätzen des Christentums denken, reden und handeln. Dieses Resultat scheint uns das Buch des P. Schmöger über jeden Zweifel sicher zu stellen, und bildet diese erprobte Tugend und Frömmigkeit der Emmerick die sichere Grundlage zur Würdigung jener mystischen Erscheinungen, wovon das ganze Leben derselben erfüllt ist. ... Viel Segen ist von ihr ausgegangen und geht noch von ihr aus. Wenn der Verfasser dieser Bedeutsamkeit der Emmerick gebührend hervorhebt, so gibt er nur der Wahrheit Zeugnis und Gott die Ehre." (Dr. J.B. Heinrich)
 
 
"Gott der Herr wählt sich zu jeder Zeit Werkzeuge, durch welche Er große Gnaden der Erleuchtung, Tröstung und Stärkung an die armen Erdenpilger gelangen lassen will. Ein solches Werkzeug war die gottselige Anna Katharina Emmerick, wie ein jeder, der ihr wunderbares und heiliges Leben kennt, gerne zugeben wird. Möge der Segen, den sie durch ihre großen Tugenden, durch ihre unbeschreiblichen, in Liebe ertragenen Leiden, und insbesondere durch ihr mächtiges Gebet auf sich und ihre Mitmenschen herabgezogen hat, an recht vielen Lesern dieser Gesamtausgabe fruchtbar werden! Möge vor allem der Glaube an die heiligen Geheimnisse der Erlösung, die Hoffnung auf unseren Herrn und Heiland, sowie die Liebe zu Ihm und zu seiner heiligsten Mutter Maria durch dieses Werk in recht vielen geweckt, gefördert und erhalten werden!" (P. Gebhard Wiggermann, C.SS.R., 1891)
 
 
"Durch vieljährige Erfahrung belehrt, wie viel Gutes die Lesung der frommen und anmutigen Betrachtungen der gottseligen Klosterfrau Anna Katharina Emmerick über das Leben, Leiden und Sterben unseres göttlichen Heilandes und über die Geheimnisse des Lebens seiner hochgebenedeiten Mutter gestiftet hat, und fest überzeugt, daß dies auch in Zukunft in immer reicherem Maß der Fall sein wird, schließe ich mich hierdurch mit wahrer Freude den warmen Empfehlungen an, welche diesem Werke von dem hochwürdigsten Herrn Bischof Ignatius von Regensburg und von meinem hochsel. Amtsvorfahren Peter Joseph erteilt worden sind. Zugleich spreche ich den innigen Wunsch aus, daß diese herrliche Ausgabe allenthalben in den christlichen Familien Eingang finden und die Liebe zu Jesus und Maria, die Treue in ihrer gewissenhaften Nachfolge, die Hingebung an die unvergänglichen Wahrheiten der göttlichen Offenbarung mächtig fördern möge." (+Karl, Bischof von Limburg, 1892)
 
 
"Anna Katharina Emmerick nimmt in der visionären Mystik eine durchaus einzigartige Stellung ein: durch den tief bedeutungsvollen universellen Charakter ihrer Visionen und dadurch, daß ihre Gesichte nur zum geringsten Teil auf symbolischer, zum überwiegenden vielmehr auf historisch-realer Anschauung der heiligsten Gegenstände beruhen. Ganze Ketten von Visionsanschauungen tun sich vor ihrem Auge auf. Sie lebt und wirkt in dem geistigen Reich dieser Bilder. Aus der Mitte der Gesichte tritt die Gestalt Jesu hervor, erhaben und alles Menschliche überragend in ihrer Gottheit, und ergreifend nahe und natürlich in ihrer Menschlichkeit. Die biblische Welt beider Testamente ist ihr durch Gnade lebendig mit einer Unmittelbarkeit und dramatischen Wucht, die überwältigen. Bei all dem sind die Schauungen Anna Katharina Emmericks spontan, schlicht erfaßt und von einer nie dagewesenen Fülle der einzelnen Beobachtungen. Damit ist ihre Art des Sehens und Erfassens der Bilder zugleich charakteristisch für die weibliche Anschauungsweise überhaupt, die sich mit aller Liebe, ja mit besonderer Aufmerksamkeit auch den kleinsten Tatsachen erschließt." (Dr. Anton Brieger, 1960)
 
 
"Von besonders heilsamer Bedeutung für das innerliche Leben und ein ernstes Streben nach wahrer Frömmigkeit ist alles, was die erhabenen Gesichte der gottbegnadigten Jungfrau über die heiligste Menschwerdung, den ganzen irdischen Wandel und das bittere Leiden unseres göttlichen Heilandes, sowie über seine heiligste jungfräuliche Mutter und das Geheimnis ihrer Mitwirkung zur Erlösung der gefallenen Menschheit uns mitteilen. Es ist nicht jedem vergönnt und gegeben, täglich in einsamer Betrachtung zu Füßen unseres göttlichen Meisters zu weilen und im innerlichen Gebet in die Geheimnisse seines hochheiligen Lebens und Leidens einzudringen. Aber kein gläubiges Christenherz wird es geben, welches nicht bei frommer Lesung dieser Gesichte die Person Jesu Christi in unmittelbarster Nähe vor sich sähe und oft und oft sich gedrängt fühlen möchte, im Geiste vor Ihm anbetend niederzuknien und mit dem heiligen Apostel Thomas auszurufen: Mein Herr und mein Gott!" (+Peter Joseph Blum, Bischof von Limburg, 1881)
 
 
"Die Schriften der gottseligen Anna Katharina Emmerick atmen einen so tiefen Geist des Glaubens und eine so herzinnige Liebe zu Gott, daß deren andächtige Lesung einen reichen Schatz des Segens und der Erbauung der Gläubigen bringen muß. Ich erteile daher mit Freude der Prachtausgabe des Werkes meine bischöfliche Approbation, und wünsche demselben eine weite Verbreitung unter dem christlichen Volke." (+August Maria Toebbe, Bischof von Covington, 1882)
 
 
"Der Wohlgeruch wahrer Heiligkeit, der Geist der Kirche weht durch alle ihre Worte, und es ist wunderbar zu sehen, wie genau ihre Beschreibungen sind, wenn sie von Tatsachen spricht, und wie groß die Menge der Kenntnisse war, welche dieses ungebildete Landmädchen entfaltete. Eine solche Genauigkeit und eine solche Fülle von Kenntnissen sind ganz und gar unerklärlich, wenn man nicht eine übernatürliche Offenbarung dabei annimmt. Ihre Erzählung ist allzeit in vollkommenem Einklang mit der Lehre der Theologen und Kirchenväter, mit den Entscheidungen der Konzilien und mit den Regeln des Glaubens überhaupt. Wenn sie die Sitten und Gebräuche verschiedener Länder und Zeitalter schildert, so gibt sie niemals Berichte, welche von der wissenschaftlichen Wahrheit oder historischen Genauigkeit abweichen würden." (P. A.M. Clarke, S.J., "The Month", London, 1885)
 
 
== VORWORT VON [[Karl Erhard Schmöger]] (S. 9-128) ==
 
 
Die vorliegende Gesamtausgabe umfasst alle Mitteilungen, welche die begnadigte Dienerin Gottes aus dem reichen Schatz der von Gott ihr gebotenen Anschauungen der Geschichte unseres Heiles zu geben im Stande war. Also nicht allein den heiligsten Lehrwandel und das bittere Leiden unseres göttlichen Heilandes, sondern auch die Vorbereitungen und Führungen Gottes an der gefallenen Menschheit von Erschaffung der Welt herab bis zur Fülle der Zeit, in welcher der Sohn Gottes im Fleische erschien, um in Knechtsgestalt unser Heil zu wirken.
 
 
Die Mehrzahl der auf die Schöpfung, den Sündenfall und die Zeit des Alten Bundes bezüglichen Mitteilungen erscheint hier zum ersten Mal und zwar in sorgfältigster Wiedergabe der ersten Aufschreibung, welche Clemens Brentano eine Reihe von Jahren hindurch in Dülmen unter den Augen der seligen Emmerick gemacht hatte. In gleicher Weise hat der Herausgeber auch die daran sich reihenden Bilder von den Geheimnissen der Abstammung und des Lebens der allerseligsten Jungfrau mit möglicher Sorgfalt aus den Tagebüchern von Clemens Brentano erhoben und sie in derselben einfachen, kurzen und bruchstückhaften Form dem Leser hier vorgelegt, in welcher Brentano sie von Anna Katharina zu vernehmen hatte und soweit er unter dem Eindruck ihrer ursprünglichen Mitteilung sie zu Papier hatte bringen können. Dass hierbei eine gewisse Härte und Lückenhaftigkeit der Darstellung, dass unvermittelte Übergänge von einem Gedanken, einer Wahrheit oder Tatsache auf die andere nicht zu vermeiden waren, das liegt in der Natur der spärlichen und so mannigfach durch ihre unermessliche Leidensaufgabe erschwerten Mitteilung von Seiten der Schauenden, und der Herausgeber unterließ es absichtlich, durch, wenn auch noch so einfache und den Sinn nicht ändernde, Einschiebungen diesen Charakter zu mildern, damit der Leser stets die volle Gewissheit habe, es werde ihm nur das und das nur so geboten, was und wie die selige Emmerick es zu erzählen vermocht hatte. Mag darum auch der aufmerksame Leser nicht selten bedauern, dass die Mitteilungen nicht vollständiger ausgefallen, so besitzt er doch des Schönen und Tiefsinnigen immer noch so viel, dass es ihm an stets neuer Anregung zu eigener Meditation nie fehlen, und dass er der Konformität des Mitgeteilten mit den Tatsachen und Mysterien unseres heiligen Glaubens immer klarer sich bewusst werden wird. Es wird auch keinem Leser entgehen, dass, wenn Clemens Brentano irgendwie ergänzend oder erweiternd einzugreifen gewagt hätte, gerade die Bilder vom Paradiese, von der Schönheit des ersten Menschenpaares vor dem Falle und ähnliche für ein Talent, wie das seinige, die verlockendste Versuchung geworden wären, aus seiner scheuen Zurückhaltung herauszutreten und mit eigenem Pinsel die Lücken weiter auszumalen. Allein es findet sich in seinen Tagebüchern keine Spur eines derartigen Versuches; wohl aber zahllose Klagen, dass die Erzählende ihm nicht eine größere Vollständigkeit zu bieten vermocht habe. So wird der Leser für die Treue seiner Aufschreibung und für die lauterste Wahrhaftigkeit und Absichtslosigkeit der Erzählerin den klarsten Beweis gerade in dem dürftigen und bruchstückhaften Charakter des Mitgeteilten erkennen.
 
 
'''1.''' Bei Veranstaltung der ersten Ausgabe des dreibändigen Lebens Jesu war der Unterzeichnete von der Absicht geleitet, den Inhalt der Tagebücher des Clemens Brentano unverkürzt und unverändert vorzulegen, damit jeder unbefangene Leser mit leichter Mühe daraus entnehme, wie der Schreiber nichts anderes hatte geben wollen und geben können, als was die selige Emmerick aus ihren Anschauungen mitzuteilen im Stande war. Es lagen somit dem Leser alle Ungenauigkeiten, alle Wiederholungen, alle später von der Erzählenden gemachten Ergänzungen oder Einschaltungen in derselben Weise und Gestalt vor Augen, in der sie entstanden waren, damit ihm gerade hierin der deutlichste Beweis geboten wäre, dass der Erzählenden irgendwelche Absichtlichkeit ebenso ferne gelegen, wie dem Schreiber eigenmächtige Zutaten. In der vorliegenden Ausgabe aber ist nicht nur die für den Leser oft so störend gewordene Anführung der Wochen- und Monatstage, an denen die Erzählung und Aufzeichnung des Geschauten geschehen war, hinweggelassen, sondern auch alle Wiederholungen und Ungenauigkeiten in Beschreibung der Örtlichkeiten des Heiligen Landes, während die von der Erzählenden nachträglich gemachten Verbesserungen an jenen Stellen eingefügt wurden, wohin sie ursprünglich gehört hatten. Auch die Einleitungen, welche vom Herausgeber bei Besorgung der ersten Auflage jedem der drei Bände vorangestellt waren, erscheinen der Raumersparung wegen hier nicht mehr. Dagegen wird der Nachweis der durchgehenden Übereinstimmung gegeben, in welcher alles, was die selige Emmerick von den Tatsachen und Geheimnissen des heiligsten Lebens Mariä berichtet, mit der ältesten Überlieferung und mit den Offenbarungen der [[Birgittaq von Schweden|heiligen Brigitta]] und der «[[Maria von Agreda: Mystische Stadt Gottes (Buch 1-4)|Mystischen Stadt Gottes]]» der selige [[Maria von Agreda]] sich findet.
 
 
'''2.''' Alle Bilder der Geschichte unseres Heiles, wie sie hier dem Leser geboten werden, sind Früchte, welche auf dem Baume unermesslicher Leiden gereift sind. Wohl hatte Anna Katharina das Licht des Schauens als ein reines Gnadengeschenk Gottes schon in der Taufe empfangen, aber sie hatte dasselbe wie alle anderen ihr von Gott verliehenen Gaben und Vorzüge durch beharrlichste Treue im Streben nach höchster Vollkommenheit in allen christlichen Tugenden und durch heroische Geduld und Standhaftigkeit in Erduldung unaufhörlicher, bis zum letzten Augenblicke ihres Lebens sich steigernder Leiden jeden Tag wie aufs neue zu verdienen. Auch wurde für sie die von Gott ihr gebotene Mitteilung des Geschauten eine Quelle von Pein und eine so harte Aufgabe, dass sie nur auf den Befehl ihres Beichtvaters und Seelenführers und in der gewissen Überzeugung, sie erfülle damit den heiligsten Willen Gottes, sich derselben zu unterziehen vermochte.
 
 
Diese Tatsachen allein schon, abgesehen von der näheren Würdigung des Inhaltes ihrer Mitteilungen, berechtigen von vorneherein zu dem Schluss, dass dieselben nach den weisesten Absichten Gottes nicht etwa nur einer geistlichen Unterhaltung oder der Befriedigung tatloser Wissbegierde, sondern einem viel höheren und ernsteren Zweck zu dienen haben. Gar oft hatte Anna Katharina, wenn sie, überwältigt von dem Eindruck der unendlichen Liebe und Barmherzigkeit des göttlichen Heilandes, wie solche jeder Zug seines heiligsten Wandels ihr offenbarte, in Schmerz und Rührung ausrief: «O dass doch alle Menschen dies auch so mitansehen könnten, wie ich arme Sünderin!» die Worte zu vernehmen: «Gehe hin und erzähle es, gib Zeugnis von dem, was dir gezeigt wird, damit auch andere es inne werden!» Und in dieser Mahnung liegt der Schlüssel zu dem tieferen Verständnis der barmherzigsten Absichten Gottes, die Er an jedem Leser dieser Mitteilungen seiner begnadigten Dienerin erreichen will. Es sollen die Herzen bewegt, belebt und befruchtet werden mit den Keimen der göttlichen Liebe, der Hoffnung, des Vertrauens, der Reue und Beschämung über ihre so vielfache Untreue, Kälte und Gleichgültigkeit gegen ihren gütigsten Herrn und Erlöser, der die ganze Mühsal, Niedrigkeit, Armut und Bitterkeit seines irdischen Wandels sie empfinden lassen will. Diese heiligenden Anregungen sind es, welche wie mit geheimer, süßer Gewalt das Auge des Lesers an den Bildern festhalten, um Jesus den guten Hirten näher kennen zu lernen, seine Stimme aufmerksamer zu vernehmen und sich leichter zu entschließen, die Absichten, Neigungen und Gesinnungen des eigenen Herzens in größere Übereinstimmung und Gleichförmigkeit mit den Worten und dem Vorbilde des guten Hirten, das ist, mit den Grundsätzen und Forderungen der wahren christlichen Frömmigkeit zu bringen.
 
 
Würde unserer Gegenwart auch das vollkommenste Buch geboten, das aber nur in belehrenden und ermahnenden Unterweisungen zur Übung der Gottseligkeit bestünde, so würde es bei der fast allgemeinen Unlust und Scheu vor ernsten Wahrheiten nur einen sehr beschränkten Kreis von Lesern finden, denn es sind heutzutage nur wenige, die es noch ertragen können, an die ernsten Pflichten eines wahrhaft christlichen Wandels erinnert zu werden, und die sich nicht gegen die unleugbare Wahrheit des Evangeliums verschließen, dass ohne Überwindung und Selbstverleugnung, ohne Buße und Abtötung, ohne Verdemütigung und Gehorsam, dass endlich ohne beständigen Kampf gegen die inneren und äußeren Anreize zur Sünde das Reich Gottes nicht in Besitz genommen werden kann. Darum erscheint es als eine unbegreifliche Güte und Herablassung des göttlichen Heilandes an die seiner Hilfe und seiner Erbarmungen so sehr bedürftige Zeit, dass Er sich gewürdigt hat, ihr in den Gesichten seiner begnadigten Dienerin nicht einfache Belehrungen zu bieten, sondern ihr ein treues Spiegelbild seines armen, demütigsten, mühseligsten irdischen Wandels aufzurollen, damit sie Ihn auf jedem Schritt und Tritt begleiten, und gleichwie mit den leiblichen Augen betrachten möge, welch ein Übermaß unendlicher innerer und äußerer Leiden, Peinen und Trübsale Er für die Rettung unserer Seelen auf sich genommen hat, und wie unermesslich seine Liebe und Geduld, seine Langmut und Barmherzigkeit gegen uns, in der es Ihm nicht zu viel wurde, nicht allein sein eigenes Leben im bittersten Tode für uns am Kreuze zu opfern, sondern auch seine unbefleckte, sündelose, heiligste Mutter, die seiner zärtlichsten Liebe mehr als alle Engel und Menschen zusammen würdig war, von dem Mit-Erdulden aller Peinen, Beschwerden und Nöten seines irdischen Wandels und von dem vollständigen Mit-Erleiden seines bittersten Leidens und Sterbens nicht auszunehmen.
 
 
Dies alles tritt in den einfachen, schmucklosen Berichten so anschaulich, so wahr und ergreifend und in solcher Übereinstimmung mit den heiligen Evangelien und der ganzen kirchlichen Überlieferung dem Leser vor Augen, dass man sich des Gedankens nicht erwehren kann, es wolle Jesus, der gütigste Hirte, auch die unwissenden, die lauen, die gleichgültigen Glieder seiner Herde auf lieblichste, unwiderstehliche Weise zu sich rufen und einladen, nach Ihm auch einmal ihr Auge zu wenden und Ihm nur einen kleinen Teil ihrer so flüchtigen und so wenig geachteten, aber unendlich kostbaren, weil unersetzlichen, Zeit der kurzen Lebensdauer zu schenken, um Ihn besser kennen, mehr lieben und auf die Rettung ihrer Seelen mehr achten zu lernen. Er will der tatlosen Lesesucht der Gegenwart, die es gewohnt ist, aus tausendfachen Kanälen müßige Zerstreuung und Erschlaffung des Geistes einzusaugen, einen unversiegbaren Quell lebendigen Wassers erschließen, damit sie aus ihm wahre und gesunde Erquickung schöpfen möge, welche nicht wie eine ungründliche, flüchtige Erregung wieder verrinne, sondern bleibende Früchte des Geistes hervorbringe, wenn nur der Leser ihren Wirkungen sich nicht verschließen will.
 
 
'''3.''' Dieser wahrhaft providentielle Charakter der Mitteilungen der gottseligen Anna Katharina gerade für unsere Zeit tritt besonders klar und deutlich in allen jenen Eröffnungen hervor, welche die Geheimnisse und Tatsachen des Lebens der allerseligsten Jungfrau zum Gegenstand haben. Diese umfassen in der einfachsten, schlichtesten Form das Schönste und Tiefinnigste, was die heiligen Väter und großen Lehrer von Maria bezeugen, und was die ganze Kirche in ihrer heiligen Liturgie in Lobpreisungen, Danksagungen und Gebeten als ihr untrügliches Bekenntnis von der alles Begreifen übersteigenden Reinheit, Heiligkeit, Würde und Gnadenfülle der heiligsten Gottesgebärerin ablegt. Es erscheint nämlich in den Gesichten der seligen Emmerick das wunderbare Leben der seligsten Jungfrau ähnlich, wie es in den heiligen Tageszeiten des kirchlichen Festkreises uns vor Augen geführt wird, als ein zweifaches: als ein inneres, geheimes, in Gott verborgenes, d. i. nur Gott allein und den Engeln und wenigen Bevorzugten aus den Menschen nur so weit bekanntes, als es Gott selber ihnen zu schauen verleiht; und als ein äußeres und offenbares oder unter den Augen ihrer nächsten Umgebung in der Ordnung, den Umständen und Verhältnissen ihres armen, demütigsten irdischen Wandels verlaufendes. Im Geheimnis ihrer heiligsten und unbefleckten Empfängnis nimmt das zeitliche Leben Mariä seinen Anfang; und in diesem Anfang, also schon im MutterSchoß, ist Maria mit jener Heiligkeit und Gnadenfülle ausgerüstet, von welcher [[Pius IX.]] in der dogmatischen Bulle «[[Ineffabilis Deus]]» den Glauben der Kirche mit den Worten bezeugt: «Maria leuchtet in so mächtiger Begabung mit allen Schätzen des Himmels, in solcher Fülle der Gnade, in solchem Glanze der Unschuld, dass sie ein Wunder der Allmacht Gottes ist, dessen Größe keine Zunge zu erreichen vermag, ja dass sie der Gipfel aller seiner Wunderwerke und würdig ist, die Mutter Gottes zu sein. Sie ist in solche Nähe zu Gott erhöht, soweit eine erschaffene Natur solcher Erhöhung überhaupt teilhaft werden kann und darum vermögen die Zungen der Engel so wenig als die der Menschen, ihr Lob zu erreichen.»
 
 
Und im Offizium auf das Fest der heiligsten Unbefleckten Empfängnis betet die Kirche: «Maria ist der Abglanz des ewigen Lichtes, der Spiegel ohne Makel. Sie ist schöner als die Sonne und reiner als der Strahl des Lichtes. Nur Gott allein ist über ihr. Sie aber über allen anderen Kreaturen. Von Natur aus ist sie schöner, als selbst die Cherubim, die Seraphim und alle englischen Heerscharen. Sie nach Würdigkeit zu preisen, sind die Zungen der Himmlischen, der Irdischen und der Engel nicht vermögend. Deine Heiligkeit, o unbefleckte Jungfrau, erfüllt selbst die Chöre der Engel mit staunender Bewunderung.»
 
 
'''4.''' Diese Schönheit, Herrlichkeit und Gnadenfülle der allerseligsten Jungfrau wurde im Anbeginn der Zeit von Gott den Engeln und dem Stammvater unseres Geschlechtes, dann Noe, Abraham und allen Patriarchen und Propheten geoffenbart, indem ihnen Maria als die unbefleckte Jungfrau vorgestellt wurde, aus welcher die Rettung und das Heil der gefallenen Menschheit und die Ergänzung der englischen Chöre hervorgehen solle. Diese Offenbarungen hatten, wie alle Führungen, Institutionen und Mysterien, welche im Laufe der Zeit der barmherzigste Gott dem auserwählten Volke zu verleihen sich würdigte, kein anderes Ziel, als die Fülle der Zeit herbeizuführen und aus dem Schoß der Kirche des Alten Bundes das von Ewigkeit her vorbestimmte reinste und heiligste Gefäß der Gnade hervorzubringen, von dessen ausdrücklicherZustimmung und beharrlichster treuester Mitwirkung die Vollführung der heiligsten Menschwerdung und Erlösung Gott selber abhängig machen wollte. Alle diese vorbereitenden Veranstaltungen Gottes finden in den Mitteilungen der seligen Emmerick eine sehr einfache und anschauliche Darstellung und zwar in tiefsinnigen Bildern und Anschauungen, welche nicht bloße Figuren oder leere Sinnbilder, sondern der, wenn auch schwache und dürftige, doch reine und wahre Widerschein des wirklich Geschehenen, der Wahrheit und Geschichte sind, ähnlich wie z. B. die Worte der lauretanischen Litanei die volle Wahrheit und die ewigen und wirklichen Tatsachen in sich schließen, wenngleich die engen Grenzen der menschlichen Sprache den unbegreiflichen Geheimnissen der Größe und Herrlichkeit Mariä nicht den vollen Ausdruck zu leihen im Stande sind.
 
 
Es erscheint nicht überflüssig, dies hervorzuheben, denn das Leben Mariä auf Erden ist für das sinnliche oder nur natürliche menschliche Auge ein so einfaches, ein scheinbar in so engen Grenzen verlaufendes, armes und demütiges, dass nur zu leicht ein flüchtiger Leser über dieser Einfachheit und über den mit ihr verknüpften äußeren Beschwerden, Mühsalen und Nöten dieses demütigsten Lebens vergisst, dass Maria schon bei ihrem ersten Eintreten in die Zeit des irdischen Wandels, also schon im Mutterschoß, bleibend, dauernd, für ewig, nicht etwa nur vorübergehend, das in voller Wirklichkeit und lebendiger Fülle war und besaß und in sich trug, was an Schönheit, Gnade, Erleuchtung, Macht, Weisheit, Würde und Erhabenheit über alle Geschöpfe Himmels und der Erde für sie von Ewigkeit her von Gott bestimmt war, und im Geheimnis der heiligsten unbefleckten Empfängnis ihr mitgeteilt wurde. Selbst unter solchen Lesern, welche die kirchlichen Tageszeiten beten, also das Bekenntnis des heiligen Glaubens der ganzen Kirche an die unbegreifliche Größe und Herrlichkeit Mariä in Hymnen, Antiphonen und Lektionen lobpreisend so oft zu wiederholen die Gnade haben, gibt es manche, die viel zu wenig Gewicht darauf legen, dass alles, was sie im Namen der Kirche von Maria betend und lobpreisend bekennen, nicht etwa nur von Maria als im Himmel thronend gilt, sondern dass alle diese Lobpreisungen in erster Reihe die Tatsachen und Geheimnisse ihres Eintrittes in die Welt und des ganzen Zeitraumes, ihres irdischen Lebens zum Gegenstande haben, welche Tatsachen ja die notwendige Vorbedingung ihrer Herrlichkeit im Himmel waren. Die Offizien der Kirchenfeste Mariä sind nicht etwa nur musikalische Symphonien, mit welchen die Kirche ihrer Feier einen möglichst festlichen Charakter verleihen will, deren Worte aber der Beter oder Leser nicht im vollen, buchstäblichen Sinne als Bekenntnis der Tatsachen der heiligen Geschichte und als den Inhalt des göttlich-geoffenbarten, untrüglichen Glaubens zu nehmen hätte. Nein, sie sind im strengsten Sinne das letztere und darum enthüllen sie uns in dem Lichte des göttlichen Glaubens nicht allein das Geheimnis der unbegreiflichen Hoheit und Würde, sondern auch das Geheimnis der Demut des Lebens Mariä.
 
 
'''5.''' Es wird gesagt: «Das Geheimnis der Demut», denn die Demut Mariä ist das Geheimnis aller Geheimnisse, das Geheimnis d. i. der Grund, das Fundament wie die Vollendung aller ihrer Gaben, ihrer Vorzüge, ihrer Größe und Herrlichkeit und der Gipfel ihrer Heiligkeit und Tugendfülle, wie alle heiligen Väter und Lehrer mit einstimmiger Bewunderung dieses unbegreiflichen Wunders es bezeugen. Dass gerade dieses Geheimnis so wahrhaftig, in so hinreissender Einfalt in jedem Wort, das die selige Emmerick über Maria vorbringt, geschildert ist, das ist in den Augen des Herausgebers der größte und entscheidendste Beweis, dass ihre Gesichte aus dem Geist der Wahrheit stammen, dass sie eine reine, echte Gabe Gottes sind, der nur eine Seele, die selbst in der tiefsten Demut fest begründet war, zu einem so reinen, lauteren Spiegel der ewigen Wahrheit machen konnte. Dichtung, Täuschung oder Lüge sind nicht vermögend, ein der Wirklichkeit annäherndes Bild auch nur der für einen vollkommenen Christen erreichbaren Demut zu entwerfen, um wie viel weniger aber das Urbild der Demut. wie es in Maria offenbar wurde, so treu, so lebenswahr, so absichtslos, so unwillkürlich in jedem Wort, in jedem Zuge, in jeder Handlung zu zeichnen, wie es in den Mitteilungen der seligen Emmerick geschieht, die eben in dieser puritas et simplicitas das Siegel der Echtheit und ihres höheren Ursprunges an sich tragen. Sie zeigen, wie Maria als die vollkommenste, heiligste, weiseste, mächtigste und schönste aller Kreaturen Himmels und der Erde, als die Bewunderung und das Entzücken aller Chöre der Engel, als die Erfüllung der tausendjährigen Sehnsucht und Erwartung der Patriarchen und Propheten und aller Gerechten von Adam herab bis auf Joachim und Anna auf wunderbarste Weise geboren wurde, und schon jetzt an Stärke und Umfang der Erkenntnis und Weisheit, an Fülle aller Gaben die höchsten Chöre der englischen Geister übertraf, wie in der Bulle Ineffabilis bezeugt ist: <br>
 
«Hoch über alle englischen Geister und alle Heiligen ist sie mit der aus dem Schatz der Gottheit entnommenen Fülle aller himmlischen Gnadengaben so wunderbar ausgerüstet, dass sie allzeit ganz und gar frei von jeglicher Makel einer Sünde, und ganz schön und vollkommen, und mit solcher Fülle der Unschuld und Heiligkeit begabt ist, wie eine größere nach Gott nicht gedacht werden kann, und welche außer Gott kein erschaffener Verstand auch nur zu begreifen vermag. Sie ist der Sitz aller göttlichen Gnaden, sie ist geschmückt mit allen Gaben des Heiligen Geistes, ja sie ist dieser Gaben unversiegbare Schatzkammer und unerschöpflicher Abgrund.»
 
 
Diesen unermesslichen Reichtum aber besitzt Maria, nach den Schilderungen der seligen Emmerich, als ein jedem menschlichen Auge verborgenes, nur dem Auge Gottes allein durchdringliches Geheimnis, ja wie ein Geheimnis, das selbst den Blicken ihres eigenen Geistes wie verschlossen scheint. In Wirklichkeit freilich liegt diese unendliche Fülle der Gaben, Zierden und Vorzüge offen vor ihren Augen. Aber so unbegreiflich hoch wie diese Fülle, so unbegreiflich tief ist das Geheimnis ihrer Demut, der es eigen ist, sich vor allen Geschöpfen auf Erden verborgen zu erhalten, ja um alle ihre Schätze und Reichtümer wie nicht zu wissen, um sie nur allein dem Auge Gottes, nicht sich selber, offenbar sein zu lassen. Durch die Übermacht ihrer tiefsten Demut sind sie vor ihr wie mit einer undurchdringlichen Hülle umgeben, damit ihr Auge nie darauf ruhe, sondern wie Johannes Damascenus sagt, allzeit unverwandt nur nach ihrem Gott und Herrn in dem ewigen unzugänglichen Lichte gerichtet sei.
 
 
Oder, wie der heilige Bernhardin von Siena sich ausdrückt: «So groß ist die Vollkommenheit der seligsten Jungfrau, dass, sie zu schauen, Gott sich allein vorbehalten wollte.» «Nicht nur um ihrer höchsten Reinheit willen, sagt Albert der Grosse, sondern mehr noch um ihrer tiefsten Demut willen verdiente Maria den Sohn Gottes zu empfangen. Wohl konnte sie auf den Gruß des Engels erwidern: «Siehe ich bin die Braut des Vaters, die Mutter des Sohnes, das Heiligtum des Heiligen Geistes», aber sie hielt sich in ihrer Demut für so gering, dass sie nur antwortete: «Siehe ich bin die Magd des Herrn». Auch im Magnifikat spricht die Jungfrau der Jungfrauen nicht: « Er hat angesehen die Reinheit, sondern die Niedrigkeit seiner Magd». Dasselbe sagt der heilige Bernardus: «Wie sehr auch Gott ihre Jungfräulichkeit gefiel, so war es doch ihre Demut, in der Maria vom Heiligen Geist empfangen hat.» Indem der heilige Augustinus Maria der Eva gegenüberstellt, bedient er sich der Worte: «Eva bedachte nicht, dass sie nur ein Geschöpf und ein Werk Gottes sei, sondern wollte aus Stolz Gott gleich werden. Die Demut Mariä aber fühlt sich nur als Geschöpf und nennt sich die Magd ihres Herrn und Erschaffers. Darum ward Eva verworfen, Maria aber auserwählt; und was Eva's Stolz verlor, das rettete wieder die Demut Mariä.»
 
 
Maria ist schöner, weiser und mächtiger, als Luzifer, der oberste Engel, vor seinem Falle. Sie ist aber von Anbeginn sein vollkommenstes Gegenbild. Verloren in das Anschauen seine Schönheit und Größe empörte sich Luzifer gegen Gott, seinen Herrn und Schöpfer, und ward mit seinem ganzen Anhang in die Hölle gestürzt. Maria aber fühlt und weiß sich nur als aus dem Nichtsein von der Allmacht Gottes zum Leben gerufen. Sie denkt sich niedriger, als jedes andere Geschöpf und begehrt als deren letztes Gott allein nach allen ihren Kräften zu dienen. Demgemäß zeigen die Mitteilungen der seligen Emmerick in rührender Einfachheit Maria, den Sitz der Weisheit, den Spiegel der Gerechtigkeit, als das äußerlich unmündige, gehorsamste, untertänigste Kind von Joachim und Anna, die nur Tränen der Liebe und Ehrfurcht haben, wenn sie den Glanz seiner Heiligkeit und Weisheit nicht selten die engen Schranken dieser schwachen Kindheit durchbrechen sehen.
 
 
'''6.''' Ausführlich und von hoher Bedeutung sind ihre Schilderungen der Vorbereitung des Kindes Maria im ersten Monat seines vierten Lebensjahres zur Aufnahme unter die Tempeljungfrauen zu Jerusalem, der Reise dahin und der Aufnahme selber. Nach der einstimmigen Überlieferung der ganzen Kirche des Morgen- und Abendlandes hatte Maria in ihrem dritten Jahre das Gelübde gemacht, in gänzlicher Abgeschiedenheit von der Welt sich nur allein dem Dienste Gottes als Jungfrau zu weihen. Schon vor ihrer Geburt hatten Joachim und Anna Gott ihr Kind geschenkt und sich verlobt, Maria als Eigentum Gottes zum Tempel zu bringen, sobald sie das Alter dazu erlang haben würde.
 
 
Der heilige Johannes Damascenus (Dieses und alle folgenden Zitate aus dem griechischen Vätern sind dem unsterblichen Werke des P. Passaglia: «De immaculata Deiparae semper Virgins Conceptu Commentarius» entnommen) nennt diese Opferung Mariä und ihr elf jähriges Verweilen am Tempel als Tempeljungfrau: «eine vollkommen verbürgte, gewisseste Tatsache und ein aller Ehre und Lobpreisung würdiges Geheimnis, welches unvergängliche Segnungen und Heil allen gebracht habe.» Die morgenländische Kirche hat von den ältesten Zeiten her diese Opferung als ein hohes Fest gefeiert, und die Worte ihrer heiligen Väter und Lehrer geben Zeugnis von der hohen Bedeutung, welche die Kirche in dieser durch ununterbrochene Überlieferung bezeugten Tatsache der Opferung und des Aufenthaltes Mariä am Tempel erkannt hat. Wenn die Kirche an den Festen der heiligsten Unbefleckten Empfängnis und der wunderbaren Geburt Mariä die Geheimnisse der ewigen Vorherbestimmung Mariä zur höchsten Würde der Mutter des göttlichen Sohnes und ihrer Ausrüstung mit allen dieser unmesslichen Würde gebührenden Gnaden, Auszeichnungen und Vorrechten, also das, was von Gott an und für Maria geschah, in Lobpreisung und Danksagung feiert, so feiert sie am Feste der Opferung die Größe und Herrlichkeit der Tugenden und Verdienste, welche Maria von erster Kindheit an bis zur Vermählung mit dem heiligen Joseph und bis zum Gruß des Engels durch treueste Mitwirkung mit der empfangenen Gnadenfülle sich erworben hat, durch welche Vorbereitung sie auch ihrerseits, d. i. durch eigene Verdienste sich würdig machte, zur höchsten Würde der Mutter des Sohnes Gottes erhöht zu werden, wie dies von dem heiligen Papst Gregorius in den Worten bezeugt wird: <br>
 
«Ist nicht Maria der hohe Berg, welcher, um bis zur Empfängnis des ewigen Wortes hinan zu reichen, den Gipfel seiner Verdienste hinauf über alle Chöre der Engel bis an den Thron der Gottheit erhöht hat?»
 
 
Der heilige Johannes Damascenus sagt: <br>
 
« Die heiligste Gottesgebärerin ist ein Kind der Verheißung.
 
 
Durch den Engel wird den Eltern ihre Empfängnis verkündet. Denn es geziemte sich, dass auch hierin Maria keiner anderen nachstehe und geringere Auszeichnung empfange, sie, welche bestimmt ist, den Einen wahren Gott im Fleische zu gebären. Darnach opfert und weiht sie sich dem geheiligten Tempel Gottes, und so lange sie hier in gänzlicher Abgeschiedenheit von der übrigen Welt verweilt, ist ihr ganzes Leben für alle Geschöpfe das Urbild der Vollkommenheit und Reinheit. Verpflanzt in die Wohnung Gottes und genährt mit dem Tau der Gaben des Heiligen Geistes wächst sie gleich einer fruchtbaren Olive heran zur Wohnung aller Tugenden, und abgewendeten Geistes von jeglichem Verlangen der Welt und des Fleisches bewahrt sie in Leib und Seele die erhabenste Jungfräulichkeit, die ihr geziemte, um in ihrem Schoß Gott zu empfangen, der als der Heiligste nur in den Heiligen wohnen kann. So wurde sie, stets zunehmend an Heiligkeit, der heilige, wunderbare, für die Einkehr Gottes würdigste Tempel.»
 
 
Und der heilige Andreas von Creta berichtet in gleicher Weise: <br>
 
« Da aus einer unfruchtbaren Mutter jene hervorgekommen war, aus deren Schoß die Ähre der Unsterblichkeit aufsprosste, so wurde sie schon im ersten Blütealter von ihren Eltern zum Tempel geleitet und gleich einer Weihegabe Gott dargebracht.
 
 
Der Priester aber, der in dieser Stunde den Dienst im Tempel hatte, brach in hohes Frohlocken aus, da er schon jetzt die Erfüllung der Erwartung des Kommenden zu schauen bekam. Demgemäß brachte auch er das glückselige Opfer und göttliche Weihegeschenk, das Kind Maria, Gott dar, indem er diesen großen Schatz des Heiles in dem Innersten des heiligen Tempels bewahrte, wo das zarte Kind mit himmlischer Nahrung gespeist werden sollte, bis der von Ewigkeit her bestimmte Zeitpunkt seiner Vermählung herankommen würde. Lasset nun auch uns in die Vorhöfe des Tempels eilen und mit den Maria voranziehenden Mägdlein in das Allerheiligste eintreten, wo nun diese Knospe zur lieblichsten Blume sich entfalten wird. Gott selbst hat ihr gleich einem Brautgemach die Wohnstätte hier bereitet, indem Er sie hier als sein ehrwürdigstes, herrlichstes Eigentum für sich aufbewahren will. Darum öffnet auch der Tempel seine Pforten, um die königliche Zierde des ganzen Weltalls in sich aufzunehmen. Ja offen steht jetzt das Allerheiligste, um die heiligste Mutter des Allerheiligsten in seinem für andere unbetretbaren Schoße zu beherbergen.»
 
 
Übereinstimmend hiermit bezeugt auch der heilige Georgius von Nikomedien: <br>
 
 
«Joachim und Anna opfern ihr dreijähriges Kind als das kostbarste und allen Engeln ehrwürdigste Weihegeschenk im Tempel, dieses reinste Gefäß, in welches alle Reichtümer der Gnade niedergelegt sind, das in unaussprechlicher Weise alle Schätze der Heilsordnung Gottes in sich schließt und worin alle Unterpfänder unseres Heiles geborgen sind. Denn es war geziemend, dass das unbefleckte Kind die heilige Dreizahl zuerst an sich selber verherrliche, da durch sie allen Menschenkindern die Macht der heiligsten Dreieinigkeit kund werden sollte, indem in ihr Gott der Vater den neuen Bund der Gnade schloss, in ihr Gott der Sohn Wohnung nahm, um mit dem Fleische sich zu bekleiden, in ihr Gott der Heilige Geist verweilte, um die ungeteilte Dreieinheit zu offenbaren, durch welche die dreifach geschiedene Welt, d. i. die Himmlischen, die Irdischen und Unterirdischen, in der einen Anbetung Gottes wieder geeint und der Urheber der Scheidung niedergeschlagen wurde. So schwingt sich also heute die makellose Taube auf in die verborgensten Räume des Tempels, der lauernden Bosheit ihres NachsteIlers (Luzifers) entgehend, über den sie von Gott von Anbeginn schon erhöht worden ist. Und heute wird im Tempel das Gefäß des Heiligen Geistes aufbewahrt, um würdig sich zur Empfängnis des Wortes zu bereiten, denn es geziemte sich nicht, dass das reinste Tabernakel in der Atmosphäre der unreinen Welt verweile, sondern dass es an einen untadelhaften Ort gebracht werde, um hier die ersten Regungen der Freude zu empfinden, hier das Unterpfand ihrer Benedeiung in Empfang zu nehmen und hier mit von Engelhänden bereiteter Speise, als einem Vorbilde des heiligen Sakramentes, genährt zu werden. Es geziemte sich, dass der reine, fleckenlose Schatz ferne von jeder Berührung menschlicher Sitten und Gewohnheiten erhalten werde, und billig war es, dass das so helle wie ein Lichtstrahl schimmernde Heiligtum bewahrt bleibe vor jeder Annäherung einer Schuld, dass seine Ohren unzugänglich seien irgendwelchen Worten des Truges. Denn in diesen Ohren wird ertönen die Stimme des Engels, durch welche die bittere Trauer aus Eva's Ohren verscheucht werden soll» Und im weiteren Verlaufe seiner Rede legt der heilige Georgius dem Maria bei ihrer Opferung begrüßenden Engeln die Worte in den Mund: «O scheinbar kleines und schwaches Gefäß, wir schauen dich voll Gnade! O Tochter der Menschen, wie hoch und in welch' unvergleichlichen Weisen erhebst du dich über alle Grenzen und Fähigkeiten der menschlichen Natur! O welche Erstlinge ihrer Früchte vermag in dir die Menschheit Gott ihrem Schöpfer darzubringen! Welch' ein Opfer hat sie mit dir Ihm gebracht! Ein Opfer, wie es Gottes vollkommen würdig ist und geistiger noch, als alle Opfergaben, die wir Geister Ihm darzubringen im Stande sind. Denn es ist geheiligter und reiner, als unsere Reinheit selbst. Und bringen wir unsere Unschuld mit der deinigen in Vergleich, so erkennen wir, dass die unsrige in dieser Vergleichung nicht bestehen kann, und dass sie der Hoheit deiner Heiligkeit und deiner unbefleckten Reinheit in keiner Weise gleichkommt.» «Sind auch», sagt der hl. Sophronius, «die Engel ihrer Natur nach höherer Ordnung, als die Menschen, so doch nicht der Gnade nach. Denn auch die Engel sind nur durch die ohne ihr Verdienst ihnen von Gott verliehene Gnade vor dem Falle bewahrt worden. In ihrer Tugendfülle aber, welche über jede Lobpreisung erhaben ist, ragt Maria empor über alle Ordnungen der englischen Geister. Ihre Hoheit reicht hinauf über die höchsten Kreise des Himmels. Ihre Heiligkeit strahlt heller als das Licht der Sonne und der Glanz ihrer Verdienste ist leuchtender als die Würde der Engel. Sie verdunkelt die strahlenden Erzengel, sie erhebt sich über die höchsten Sitze der Throne, sie ist höher als die Herrschaften, sie geht voran den Fürstentümern, stärker ist sie als die Kräfte, und ihre Augen dringen tiefer als die der Cherubim, und die von Gott bewegten Schwingen ihres Geistes streben höher als die sechsfach geflügelten Seraphim. Ja allen Kreaturen geht sie weit voran, denn über alle erglänzt sie in Reinheit.»
 
 
Dass die allerseligste Jungfrau, so lange sie im Tempel verweilte, auf übernatürliche Weise durch Engel gespeist wurde, wird nicht allein von den Vätern der morgenländischen Kirche ohne Ausnahme berichtet, sondern ist auch in den Lobpreisungen ihrer liturgischen Hymnen gefeiert. So sagt der heilige Germanus von Konstantinopel: <br>
 
«Voll Freudigkeit und frohlockend, wie eine Braut in ihr Brautgemach, zieht das Kind Maria in den Tempel Gottes ein: ihrem Alter nach erst dreijährig, jedoch der Gnade nach von Gott dem Lenker aller Dinge als höchst vollkommen und vollendet vorhergewusst, vorherbestimmt und auserwählt. Sie weil nun im Innersten des Heiligtums, durch Engel mit himmlische Speise genährt und mit himmlischem Getränke erquickt.»
 
 
Diese Speisung beschreibt näher der heilige Georgius von Nikomedien, wenn er sagt: <br>
 
«Der Priester, welcher das Kind Maria im Tempel in Empfang nahm, erkannte ihre Schönheit und ihr Wesen als den Ausdruck höchster Gottseligkeit. Er nahm aber auch die Dienstleistung des Engels wahr, und darum suchte er sich die hohe Bedeutung der Jungfrau klar zu machen, welche die Dienstleistung des Engels ihn ahnen ließ. Er blieb nicht bei dem stehen, was sein Auge zu schauen bekam, sondern suchte das viel Höhere zu ergründen, was ihm darunter verborgen schien. Die Nähe des Engels und sein Verweilen bei dem Kinde war nämlich eine Hinweisung auf die Ankunft des Erzengels Gabriel, welche Gott im voraus anzeigen und auf die Er Maria bereiten wollte. Die von dem Engel gebrachte Speise aber deutete auf das Brot des Lebens.»
 
 
Der hl. Bischof Tharasius sagt: <br>
 
«Ferne von allem Tun des kindlichen Alters diente Maria in der Verborgenheit des Tempels nur Gott, und empfangend vom Himmel her durch Engel ihre Nahrung, bedurfte sie nicht einer gewöhnlichen Speise. Und Tag für Tag die Freude der Engel betrachtend erschien sie hoch erhaben über die Sorgen dieser Welt, und in ununterbrochener Beschauung des HeiligenGeistes hielt sie in wunderbarer Kraft alle Scharen der bösen Geister von sich ferne. Denn was war das Tun der Jungfrau im Allerheiligsten des Tempels? Der Engel Brot empfing sie durch Engel und als die makellose Taube ihre Jungfräulichkeit bewahrend lag sie vor dem Werkmeister des Tempels, des Himmels und der Erde in Danksagung und in Ausgießung ihres Herzens zu Ihm flehend: Ich preise Dich, o höchster, allmächtiger Gott, der Du die Schmach meiner ersten Gebärerin, der Eva (durch meine unbefleckte Empfängnis) getilgt hast und in deiner unendlichen Erbarmung den Eingebornen zur Erde niedersenden willst, damit Er unter den Menschen wandle.»
 
 
Und der hl. Theophylactus ruft aus: <br>
 
«Gott selber offenbart, wie sehr Ihm die Opferung der heiligsten Jungfrau und alles, was von ihr im Tempel geschieht, gefällt. Denn Er lässt ihr durch den Dienst seines Engels die Speise bereiten, sie auf wunderbare Weise nähren, sie, die darnach Ihn selber gebären und ernähren soll, so dass an der süßesten Jungfrau nichts nach Art der gewöhnlichen Menschen, sondern alles als göttlich erscheine.»
 
 
In einem griechischen Hymnus auf das Fest der Opferung heißt es: <br>
 
« Nun ist der Tag des Heiles für jene angebrochen, die in der Nacht der Trübsal weilen. Die Himmelspforte schreitet über die Schwelle des Tempels und im Glanze seiner Leuchten betritt sie das Allerheiligste, um hier mit heiliger Stärkung zur geheiligten Wohnung Gottes ernährt zu werden. Das geistliche Brautgemach des ewigen Wortes wohnt nun im Allerheiligsten, wo es von des Engels Hand die himmlische Nahrung empfängt. Die Heilige, die Unbefleckte im Heiligen Geiste wird in das Allerheiligste eingeführt und vom Engel gespeist, sie, welche bestimmt ist, der wahre allerheiligste Tempel unseres Gottes zu werden.»
 
 
Der hl. Theophanes legt der hl. Anna bei der Opferung die Worte in den Mund: <br>
 
« Empfange, o Priester Zacharias, das Kind, von welchem die Propheten im Heiligen Geiste geweissagt, führe es ein in das Heiligtum, damit es hier in Heiligkeit erblühend für den Herrn aller Dinge sein göttlicher Thron, sein Palast, sein glänzendes Gewand werde.» Johannes Monachus sagt: «In zartester Kindheit, aber in höchster Stärke des Geistes wird Maria als die geheiligte Lade des Bundes in die Wohnung Gottes gebracht, um hier mit dem Tau der göttlichen Gnade gespeist und hier im Innersten des Tempels als unversehrte Jungfrau zur Wohnung des Sohnes Gottes wunderbar bereitet zu werden.» Der hl. Leo Magister: «Die herrliche Frucht der göttlichen Verheißung, die wahre Gottesgebärerin, erscheint in der Welt als das erhabenste ihrer Geschöpfe. Sie wird zum Tempel Gottes gebracht, erfüllend das Gelübde ihrer heiligen Eltern. Hier verbleibt sie, behütet vom Heiligen Geiste und mit himmlischer Speise genährt, damit sie der Welt gebären könne das Wort, als das Brot des Lebens. Darum wird sie als der auserwählte und vollkommen makellose Tempel geheimnisvoll mit dem Heiligen Geiste verbunden und dem himmlischen Vater verlobt.»
 
 
'''7.''' Aus den angeführten Stellen erhellt zur Genüge, warum die heiligste Jungfrau die ganze Zeit der Kindheit bis zu ihrer von Gott bestimmten und durch wunderbare Zeichen herbeigeführten Vermählung mit dem heiligen Joseph in der Verborgenheit des Tempels verweilte. Es brachte dies nicht nur die unbeschreibliche Heiligkeit und Reinheit mit sich, in der sie empfangen und geboren war, und für die es keinen würdigeren Ort auf Erden geben konnte, als das Haus Gottes, das Er selber zu seiner Wohnung sich erkoren hatte, sondern auch ihre ewige Vorherbestimmung zur Mutterschaft des Sohnes Gottes, auf welche sie so würdig sich zu bereiten hatte, dass sie verdiente, als der Inbegriff und Gipfel aller Tugenden, als die einzige makellose Lilie unter den Dornen und als die des höchsten Wohlgefallens Gottes einzig würdigste Jungfrau zur Mutter seines Eingebornen erhöht zu werden. Über diese geheimnisvollen Ursachen der Opferung des Kindes Maria im Tempel und ihres elfjährigen Verweilens daselbst, enthält auch die « Mystische Stadt Gottes» der seligen Maria von Agreda sehr bedeutsame Aufschlüsse, aus denen einzelne Aushebungen hier um so mehr ihre Aufnahme finden mögen, da sie die Mitteilungen der gottseligen Anna Katharina in bemerkenswerter Weise bestätigen und ergänzen und im Zusammenhalte mit den früheren Anführungen aus den alten griechischen Schriftstellern, zugleich den klaren Beweis liefern, in welcher Übereinstimmung die Gesichte beider begnadigten Seelen sowohl zu einander, als auch mit der ganzen Überlieferung und den Aussprüchen der Heiligen aus viel älterer Zeit sich befinden. Wie der Leser im weiteren Verlaufe sich noch überzeugen wird, herrscht dieselbe Übereinstimmung der Gesichte der gottseligen Anna Katharina auch mit den Offenbarungen der heiligen Brigitta.
 
 
Die selige Maria von Agreda (Mystica Ciudad de Dias. p. I. I. 2. c. 1 und 2) berichtet: <br>
 
«Unter den Vorbildern der heiligsten Jungfrau im Alten Bunde war keines von so ausgeprägter Deutlichkeit, wie die Bundeslade, und zwar sowohl in Hinsicht des Stoffes, aus dem sie ververfertigt war, als in Hinsicht ihres Inhaltes und ihrer ganzen Bedeutung für das Volk Gottes, sowie auch alles dessen, was Gott mittelst der Arche, oder um ihretwillen und durch sie in der alten Synagoge getan und gewirkt hat. Denn dieses alles war ein Vorbild unserer Herrin Maria und eine sehr deutliche Hinweisung auf alles, was in Maria und durch Maria für die neue Kirche des Evangeliums geschehen sollte.
 
 
Das unverwesliche Zedernholz, aus welchem die Lade, nicht etwa zufällig, sondern nach der ausdrücklichen Vorschrift Gottes zusammengefügt wurde, ist die klare Hindeutung auf Maria, welche als die geistliche Bundeslade ganz rein und sündelos und unberührt ist von der geheimen Fäulnis der Erbschuld und des mit ihr untrennbar verbundenen Zunders der Begierlichkeit. Das im Feuer geläuterte, feinste Gold, womit die alte Lade innen und außen überzogen war, deutet eben so klar und bestimmt auf die höchste Vollkommenheit und Erhabenheit der Gnade und der Gaben, welche in den Gottes würdigen Gedanken, Werken, Sitten und Tugenden der heiligsten Jungfrau erglänzt, so, dass an dieser neuen Bundeslade, von innen wie von außen, kein Teilchen, keine Zeit, kein Augenblick zu finden ist, das nicht mit Gnade, und zwar mit Gnade von der höchsten Würdigkeit voll und überdeckt gewesen wäre.»
 
 
«Die steinernen Gesetztafeln, das goldene Gefäß mit Manna, die wunderbare Rute Aarons, was alles in der Bundeslade eingeschlossen und bewahrt wurde, deuteten aufs klarste auf das fleischgewordene Wort, welches in der lebendigen Arche, d. i. im Schoß der heiligsten Jungfrau Maria eingeschlossen wurde. Es ist ja ihr Eingeborner der lebendige «Grundstein der Kirche» und der «Eckstein », welcher die beiden so weit getrennten Völkerschaften, Juden und Heiden, vereinigt, der Stein, welcher, vom Berge der ewigen Zeugung sich losreißend, als das neue Gesetz der Gnade, das der Finger Gottes auf ihn geschrieben, in der jungfräulichen Arche Maria niedergelegt wurde, auf dass diese höchste Königin von allen als die Bewahrerin dessen erkannt werde, was Gott sowohl in sich selber ist, als was Er an seinen Geschöpfen bewirken wollte.»
 
 
«In gleicher Weise enthielt Maria das Manna der Gottheit, der Gnade und Macht, und die Wunder und Zeichen wirkende Rute, auf dass nur allein in ihr, als der Gottes würdigen geistlichen Arche, der Urquell der Gnaden, nämlich die Wesenheit Gottes selbst sich finde und von ihr aus auf die übrigen Sterblichen sich ergiesse, dass in ihr und durch sie die Wunder und Zeichen des Armes Gottes gewirkt werden und alle erkennen, wie alles, was dieser unser Herr will, ist und wirkt, in Maria eingeschlossen und niedergelegt sei.»
 
 
« Die alte Bundeslade hatte außerdem, und zwar nicht bloß nur im Schatten, oder figürlich, sondern in Wahrheit und Wirklichkeit, auch den Schemel und die Unterlage für den Gnadenthron zu bilden, auf welchem Gott den Sitz und Richterstuhl seiner Barmherzigkeit aufgeschlagen hatte, um von ihm herab sein Volk anzuhören, auf die vor Ihn gebrachten Anfragen zu antworten, die Bitten zu erhören und Gnaden auszuteilen. Jetzt aber ist von Gott aus allen seinen Geschöpfen nur allein Maria zum Throne seiner Gnade erhoben, so dass nun sie nicht allein die wahre geistliche Bundeslade, sondern auch zugleich der Gnadenthron ist, indem sie ja dazu erbaut wurde, um Gott selbst in sich zu beherbergen. So nach erscheint das Tribunal der Gerechtigkeit als in Gott verbleibend, der Gnadenthron aber und der Sitz der Barmherzigkeit als auf Maria übertragen, damit wir zu ihr als dem Throne der Gnade mit festem Vertrauen unsere Zuflucht nehmen und vor ihr um Gaben, Gnaden und Erbarmungen unsere Bitten ausgießen, welche außerhalb dieses Gnadenortes (der Königin des Weltalls), nicht erhört und nicht zu Gunsten der Bittenden beschieden werden.»
 
 
«Maria, als die mit so hohen Geheimnissen erfüllte, geheiligte und von der Hand Gottes selbst zu seiner Wohnung und zu Begnadigung seines Volkes erbaute Bundeslade, konnte nich außerhalb des Tempels verbleiben, in welchem ihr Vorbild, die nur aus Holz bestehende Lade, bewahrt wurde. Und darum fügte es Gott, der Erbauer der so wunderbaren geistlicher Arche, dass Maria nach Ablauf des dritten Jahres seit ihre gnadenreichsten Geburt in sein Haus und in seinen Tempel gebracht wurde. Für sterbliche Augen freilich nicht mit königliche Pracht, wie es ihr als der Königin der Barmherzigkeit gebührt hätte, sondern auf den Armen von Joachim und Anna, welche obwohl nicht arm, ihr geliebtes Kind aus Demut nicht mit Prunk und Aufsehen nach dem Tempel geleiten wollten. Die wahre und eigentliche Hoheit der Übertragung der geistlicher Arche, dieser Erfüllung des Vorbildes, blieb unsichtbar, weil in Gott verborgen, wie überhaupt die Geheimnisse der allerseligsten Jungfrau so erhaben und unerreichbar sind, dass gar viele davon noch heute wie damals, unbekannt ist, gemäß dem unerforschlichen Ratschluss Gottes, der für alles und jedes Zeit und Stunde sich vorbehalten hat.»
 
 
« Die heiligen Eltern Joachim und Anna machten sich von Nazareth aus, nur von wenigen ihrer Verwandten begleitet, auf die Reise nach Jerusalem, um ihr heiligstes Kind, die wahre uni lebendige Arche des Bundes, auf den mütterlichen Arme Anna's in den Tempel zu bringen. In der Sehnsucht feurigster Liebe eilte das lieblichste Kind «dem Wohlgeruch der Salbung ihres Geliebtem» (Hohes Lied 1,3) entgegen, Ihn im Tempel zu suchen, den sie im Herzen trug, Diese demütige Prozession zog, von den Erdbewohnern nur wenig beachtet, und ohne allen sichtbaren Glanz ihres Weges. Aber es umschwebte sie eine glänzende Schar der englischen Geister, welche zur Feier dieses Festes in größerer Zahl vom Himmel gekommen waren, als die ihrer Schutzengel war, welche für gewöhnlich ihre jugendliche Königin umgaben. Unter neuen Lob- und Preisgesängen in himmlischen Weisen gaben sie der heiligen Prozession das Geleit von Nazareth bis zur heiligen Stadt Jerusalem. Die Königin der Himmel, welche ihre Gott wohlgefälligsten Schritte der Betrachtung des Allerhöchsten, des wahren Salomon, entgegen richtete (Hohes Lied 7,1), sah und hörte sie alle. Die seligsten Eltern aber empfanden hohe Freudigkeit des Geistes und Trost im Herzen.»
 
 
«Vor dem Tempel angelangt, führte die heilige Anna ihr Kind und zugleich ihre Herrin, an der Hand durch die Vorhöfe. Der heilige Joachim gab ihnen voll Sorgfalt sein hilfreiches Geleit. Im Tempel selber aber goss diese glückseligste Dreizahl voll Andacht ihre feurigsten Gebete vor Gott aus: die Eltern, Ihm ihr Kind als Opfer darbringend, das Kind aber in tiefster Demut, Anbetung und Ehrerbietung sich selbst zum Opfer weihend. Dem Kinde allein ward es offenbar, wie wohlgefällig sein Opfer von Gott an- und aufgenommen wurde, denn es hatte aus dem himmlischen Glanze, der nun den Tempel erfüllte, die Stimme zu vernehmen, die sprach: < Komme, meine Braut, meine Auserlesene, komme zu meinem Tempel, wo Ich will, dass du Mich lobst und preißt! > Nach vollendetem Gebete standen sie auf und gingen zu dem diensttuenden Priester, dem die Eltern ihr Kind Maria übergaben und der darüber Gebete sprach. Darnach begleitete er mit den Eltern das Kind nach der Wohnung der Tempeljungfrauen, die hier in Abgeschiedenheit zur Gottseligkeit erzogen wurden, bis sie die Reife des Alters für Verehelichung erlangt hatten. Es waren vornehmlich die erstgeborenen Töchter aus dem königlichen Stamme Juda und aus dem priesterlichen Stamme Levi, welche sich hierher zurückzuziehen pflegten.»
 
 
«Der Aufgang zu dieser gemeinschaftlichen Wohnung hatte fünfzehn Stufen, über welche herab andere Priester entgegenkamen, Maria, das gebenedeite Kind, zu empfangen. Der Priester aber, der das Kind führte und es zuerst von den Eltern empfangen hatte, geleitete es auf die erste Stufe, wo das Kind ihn bat, von seinen Eltern Abschied nehmen zu dürfen. Dann wendete es sich zu Joachim und Anna, bat sie kniend um ihren Segen und küsste ihnen die Hände mit der Bitte, ihrer vor Gott im Gebet eingedenk zu bleiben. In tiefster Rührung und unter reichlicher Tränen nahmen die heiligen Eltern segnend von ihrem Kinde Abschied. Maria aber eilte, ohne umzublicken und ohne eine Träne zu vergießen, in heiligstem Eifer und voll Freudigkeit allein die fünfzehn Stufen hinan. Es war an ihr weder ein Zeichen irgendwelchen kindischen Wesens, noch einer Traurigkeit über die Trennung von ihren Eltern wahrzunehmen. Im Gegenteil riss sie durch ihre an so zartem Alter ganz ungewöhnlich! Hoheit und Lauterkeit alle zur Bewunderung hin.»
 
 
«In der Wohnung der Tempeljungfrauen wurde das Kind vor dem hl. Simeon, als dem Vorsteher derselben, den bejahrter Witwen übergeben, welche hier die Dienste der Lehrerinnen zu versehen hatten. Unter diesen befand sich die Prophetin Anna, welche im voraus von Gott einer besonderen Gnade und Erleuchtung gewürdigt worden war, um die Sorge für die Tochter Joachims und Anna's auf sich zu nehmen. Sie tat dies also auf göttliche Anordung. Da sie durch ihre Heiligkeit und ihre Tugenden die Gnade verdient hatte, jene zu ihrer Schülerin zu haben, welche die Mutter Gottes und die Lehrmeisterin alle Kreaturen werden sollte.»
 
 
«Joachim und Anna kehrten in tiefstem Schmerze nach Nazareth zurück, indem sie die volle Größe ihres Opfers empfanden, das sie mit der Hingabe ihres kostbarsten Schatzes gebracht hatten. Gott aber flößte ihnen Stärke und Tröstung des Geistes ein. Der heilige Simeon wusste freilich nicht, welch Geheimniss in dem Kinde Maria beschlossen waren. Doch empfing er von Gott viel Erleuchtung über ihre Heiligkeit und Auserwählung. Auch die andern Priester konnten sie nur mit hoher Ehrfurcht betrachten. Das Aufsteigen des heiligsten Kindes über die Stufen wurde zur eigentlichen und vollkommenen Erfüllung des Gesichtes des Patriarchen Jakob von der Himmelsleiter. Denn auf jenen Stufen stiegen Engel auf und nieder, jene zum Geleite, diese zum Empfange ihrer Königin in der Höhe aber war Gott selbst, um seine Tochter und Braut bei sich aufzunehmen, der seine Liebe zu erkennen gab, es sei hier in Wahrheit die Wohnung Gottes und die Pforte des Himmels.»
 
 
«Das Kind Maria warf sich vor seiner Meisterin demütig auf die Knie, bittend um den Segen, und dass sie unter ihre Leitung genommen und zum Gehorsam gegen alle Weisungen und Ratschläge angehalten werden wolle. Auch möge sie in Geduld die Sorge und Mühe auf sich nehmen, die sie mit ihr haben werde. Sie begrüßte auch in großer Demut alle anderen Jungfrauen, nannte sich ihre Dienerin und bat sie, als die älteren und erfahreneren, sie in allen Stücken zu unterweisen, ihr zu befehlen, oder sie zu mahnen und dankte ihnen letztlich, dass sie, obwohl dessen unwürdig, in ihre Reihen habe eintreten dürfen. Nun empfing sie, wie auch die anderen hatten, eine kleine Zelle zur Wohnung, bei deren Betreten sie den Boden küsste. Alles, was sie von den Eltern mitbekommen hatte, übergab sie ihrer Meisterin, um es für andere zu verwenden. Sie selber aber wollte als die ärmste behandelt und im Gehorsam zu den niedrigsten und beschwerlichsten Arbeiten verwendet werden.»
 
 
«Das heiligste Kind Maria hatte auch das Verlangen, die vier Gelübde der Armut, des Gehorsams, der Keuschheit und der beständigen Klausur abzulegen. Dies Verlangen war Gott im höchsten Grade wohlgefällig, und sie verdiente dadurch, dass in der Kirche und im Gesetze der Gnade der Ordensstand begründet wurde, in welchem durch dieselben Gelübde Jungfrauen sich Gott verbinden. In den Gelübden des heiligsten Kindes Maria ist also der Grund zum Ordensstande gelegt worden, gemäß den Worten des königlichen Sängers: «Ihr nachfolgend werden Jungfrauen zum König geführt» (Psalm 44, 15).»
 
 
'''8.''' Nun möge auch noch ein um mehrere Jahrhunderte älterer Theologe und Geisteslehrer, der gottselige Eadmerus, der Schüler und unzertrennliche Begleiter des heiligen Lehrers Anselmus, gestorben im Jahre 1121, vernommen werden, weIcher über die höchste Würdigkeit der Vorbereitung des Kindes Maria im Tempel auf die Empfängnis des Sohnes Gottes in ihrem heiligsten Schoß mit hoher Salbung sich ausspricht (In seiner Abhandlung über den englischen Gruß, welche sich in dem II. Bande der von D. Gerberon besorgten Ausgabe der Schriften des heiligen Anselmus findet). Es verdienen seine Worte gar sehr der Vergessenheit entrissen zu werden, da kein Leser sie ohne Erhebung des Geistes und ohne Förderung der Liebe zu Jesus und Maria vernehmen wird. Er sagt: <br>
 
«Wer wäre im Stande, auch nur zu ahnen, geschweige mit Worten zu sagen, wie heilig, wie rein, wie Gottes würdig Maria ihr Leben eingerichtet und geführt hat? Ihr reinster Leib, ihre heiligste Seele blieben durch den beständigen Schutz der Engel vor jeglicher Makel auf das Vollkommenste bewahrt, wie es ihr als der Wohnung gebührte, in welcher Gott, ihr und aller Dinge Erschaffer, leiblicherweise seinen Wohnsitz nehmen, und aus der Er die menschliche Natur zur Einigung mit seiner Person auf unbegreifliche Weise annehmen wollte. Wenn es selbst unter den Menschen im Gebrauch ist, dass, wenn ein Machthaber oder Reicher irgendwo Einkehr nehmen will, dessen Diener voraneilen, um die Herberge zu bestellen, zu reinigen, zu schmücken und zu bewachen, damit der Gebieter bei seiner Ankunft alles wohl bereitet und geziemend hergerichtet finde, welche Ausrüstung mit allen Tugenden muss für die Ankunft des himmlischen und ewigen Königs in dem Herzen der heiligsten Jungfrau geschehen sein, welche Ihn nicht für wenige Augenblicke nur in sich beherbergen, sondern mit ihrem Fleische Ihn bekleiden und als Mutter Ihn gebären sollte? Da nämlich die Fülle der Zeit gekommen war, die Gott selbst vor aller Zeit zu seiner Ankunft vorherbestimmt hatte, sandte Er Gabriel, einer der ersten Fürsten seines Reiches, um dir, o seligste aller Frauen anzukündigen, es stehe bevor die Erlösung der Menschen, und Er wolle dieselbe bewirken und aus dir, du Allerreinste, durch die Wirkung des Heiligen Geistes als wahrer Mensch geboren werden. Du vernimmst, o Herrin, diese Botschaft und über dieses zu allen Zeiten unerhörte Geheimnis erstaunst und verwunderst du dich. Doch regt sich in dir kein Unglaube, sondern unbezweifelt hältst du fest, es sei ganz und gar unmöglich, dass nich geschehe, was der Engel verkündet! Maria glaubt und ist gewissest überzeugt, der gütige, liebevolle, an edlen Erbarmungen überreiche Gott steige von seinem himmlischen Sitz hernieder zur Erde, werde Mensch, um durch seinen freiwilligen Tod die Menschen vom ewigen Tode, dem sie verfallen sind, zu erretten. Darum antwortet sie dem Engel mit den Worten: <Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Worte !> Gott so angenehmer Glaube! O wohlgefällige Demut! O Gehorsam, lieblicher vor Gott, als jedes Opfer! Was hätte also Gott bei seiner Herabkunft finden sollen, das Ihm an der Jungfra nicht gefallen hätte, aus welcher der Wohlgeruch der höchste Tugenden Ihm entgegenströmte ? Gewiss, durch seinen Glauben allein hatte Abraham Gott gefallen und das allein, dass er glaubte, wurde ihm zur Gerechtigkeit angerechnet. Über den Demütigen und Sanftmütigen aber und über jenen, die in Ehrfurcht seine Worte bewahren, ruht nach dem Zeugnisse Gottes sein Heiliger Geist, und ihr Gehorsam ist Ihm lieber, als Opfer. Da nun gerade in dem, was Gott am meisten gefällt, die heiligste Jungfrau sein höchstes Wohlgefallen verdiente, so glaube ich, dass sie durch nichts anderes mehr sein Wohlgefallen in noch höherem Grade hätte erlangen können. Wir glauben auch fest und unbezweifelt, dass ihr Herz vor jeder Makel und Sünde vollkommen rein bewahrt blieb, so dass in Wahrheit über ihr der Heilige Geist, als über der Demütigen, Sanftmütigen, die Worte Gottes in Ehrfurcht Bewahrenden, in seiner ganzen Fülle ruhen konnte, und dass Er sie als die mit keuschestem, reinstem Herzen dem Willen Gottes Gehorchende lieblicher erfand, als jedes Brandopfer, und dass Er sie deshalb in der Kraft des Allerhöchsten überschattete und den Sohn Gottes aus ihr mit dem Fleische bekleidete. Darum erhebe sich jedes menschliche Herz und versuche nach Möglichkeiten zu erkennen, welches Gewicht bei dem allmächtigen Gott die Verdienste dieser allerseligsten Jungfrau besitzen. Es versuche, sage ich, jedes Herz, zu betrachten, zu erkennen, zu bewundern den Eingebornen, wesensgleichen, gleich ewigen, gleich allmächtigen, aus dem Schoß des Vaters von Ewigkeit gezeugten Sohn, durch den Er alle sichtbaren und unsichtbaren Geschöpfe aus dem Nichts gemacht hat! Denn diesen seinen so einzigen und so geliebtesten, Ihm in allem durchaus gleichen Sohn wollte Gott der Vater nicht als nur seinen Sohn allein belassen, sondern Er wollte, dass eben Er in voller Wirklichkeit der Natur nach der einzige und der geliebteste Sohn auch der seligsten Jungfrau Maria sei. Und dies nicht so, dass nun zwei Söhne wären, der eine als Gottes Sohn, und der andere als Mariä Sohn, sondern dass der Eine und Selbe Sohn Gottes in Einer Person auch der Sohn Mariä sei, und dass der Sohn Mariä zugleich der Eine und Selbe Sohn Gottes in Einer Person sei. Wer muss nicht in höchstes Erstaunen darüber geraten und für ein ganz unbegreifliches, unaussprechlich großes Wunder es erachten, dass Gott solches beschließen konnte! Die süßeste Jungfrau aber, aus Adams Nachkommenschaft aufgesprosst, wird im Gegensatz zu Eva, die den Fluch zu hören verdiente, nun vom Engel selig gepriesen über alle Frauen. Sie empfängt, sie trägt, sie gebiert den Gottmenschen, der alle Übertretungen der Kinder Adams sühnen, sie von Schuld und Strafe erlösen und zu Erben seines himmlischen Reiches einsetzen wird.»
 
 
In gleichem Sinne richtete auch der heilige Hieronymus an Eustochium die Worte: <br>
 
«Erhebe dein Auge zur seligsten Jungfrau Maria, deren Reinheit so groß ist, dass sie verdiente, die Mutter unseres Gottes und Herrn zu sein.»
 
 
Und es wetteiferten untereinander die Lehrer des Morgenlandes in Lobpreisungen des Schoßes der heiligsten Gottesgebärerin. So nennt der heilige Andreas von Creta «den Schoß Mariä» <br>
 
«das herrlichste Kleinod der Jungfräulichkeit, die Himmel an Reinheit übertreffend, die vollkommenste Darstellung der ursprünglichen Schönheit.»
 
 
Gregor von Neucäsarea legt dem Erzengel Gabriel die Worte in den Mund:
 
 
«Alle himmlischen Heerscharen grüßen durch mich dich heilige Jungfrau.Ja der Gebieter aller himmlischen Scharen hat aus allen seinen Kreaturen nur dich als die heiligste und am reichsten für Ihn geschmückte auserwählt, um aus deinen heiligen, keuschen, reinen, makellosen Schoß zum Heil der ganzen Welt als die hellglänzende Perle hervorzugehen. Denn du Heilige bist aufgestiegen zu einer die ganze Menschheit weit überragenden Schönheit, Reinheit und Heiligkeit. Und dein Herz übertrifft an blendendem Weiß den frischgefallener Schnee, dein Schoß aber an Lauterkeit jedes auch noch so oft im Feuer geläuterte Gold.»
 
 
Auch in ihren liturgischen Hymnen preist die rechtgläubige Kirche des Morgenlandes den Schoß der Jungfrau als «der Thron », geschmückt für Aufnahme des Wortes.
 
 
«Von deiner Schönheit, o vollkommen Unbefleckte, angezogen, nimmt das Wort Wohnung in deinem Schoß, um die Menschen von der Hässlichkeit der Sünde zu erretten und mit der Gabe der ursprünglichen Schönheit zu beschenken.» «Nach dir, ganz unbefleckte Jungfrau, als dem reinsten, schönsten aus allen seinen Geschöpfen, verlangt der Herr alle Schönheit, um aus deinem Schoß geboren zu werden.» « Dich, o Unversehrte, erfindet das allerheiligste Wort als sein Ihm geweihtes Heiligtum und nimmt Wohnung in deinem Schoß. Alle, welche dich ehren, will Er heiligen, erleuchte und Vergebung ihrer Sünden ihnen gewähren.» - «Weil du an Verdiensten alle Kreaturen übertriffst, darum hast du, o Jungfrau, deinen Gott und Erschaffer in deinem Schoß empfangen und zur Erlösung der Sterblichen Ihn geboren.» - « Du bist der Tabernakel des Wortes geworden, weil du allein, o jungfräulich Mutter, ganz rein und schuldlos bist, ja die Engel an Reinheit übertriffst.» - «Weil du heiliger bist als jede Kreatur, hat der heilige Gott in deinem Schoß gewohnt. Du allein bist würdig von Ihm erachtet worden, um die Mutter Gottes zu werden.» « Dich hat unser Herr und Erschaffer erkannt als die reine Rose der Talgründe, als die duftende Lilie und von deiner Schönheit angezogen, wollte Er aus deinem Blute den Leib sich bereiten.»
 
 
Die Würde des Schoßes Mariä nach der Empfängnis des ewigen, unerschaffenen Wortes ist so erhaben, dass er mit vollem Rechte von den heiligen Lehrern dem höchsten Himmel gleich gestellt wird. So sagt der heilige Ephrem der Syrier: <br>
 
«Durch ihre Empfängnis des Wortes ist Maria für uns der die Gottheit in sich tragende Himmel geworden, welche Jesus Christus, ohne von der Herrlichkeit des Vaters sich zurückzuziehen, in die engen Grenzen ihres Schoßes eingeschlossen hat, um die Sterblichen zu der hohen Würde der Kindschaft Gottes zu erheben. Diesen Schoß allein hat Er sich erwählt, auf dass Maria sein Werkzeug für unsere Erlösung werde.»
 
 
Ähnlich lauten die alten Hymnen des Morgenlandes: <br>
 
«Wir preisen dich, o heiligste Mutter, als den Himmel Gottes und als seinen Thron. Denn aus dir will Jesus, die Wahrheit und das Leben, zu uns kommen.» - «Du, 0 Jungfrau, erscheinst in Wahrheit als der Himmel über dem Erdkreis, der höher ist als der höchste Pol. Denn aus dir geht auf die Sonne der Gerechtigkeit.» - «Alle Chöre der Himmel verkünden dein Lob, denn du bist der zweite Himmel über dem Erdkreis. Du bist der neue Himmel über dem Erdkreis. Du bist der neue Himmel, denn aus dir ist für uns aufgegangen die Sonne der Gerechtigkeit.»
 
 
'''9.''' Indem wir nun den weiteren Mitteilungen der gottseligen Emmerick über «die Verkündung des Engels» und «die Geburt des heiligsten Jesuskindes unsere Aufmerksamkeit näher zuwenden, begegnen wir drei höchst bedeutsamen Eröffnungen, die aus mehrfachen Gründen besonders hervorgehoben zu werden verdienen. Dieselben sind nämlich so einfach, so absichtslos und teils wie in zufälliger Verbindung mit anderen Äußerungen vorgebracht, dass eine nur flüchtige Lesung sie leicht übersehen, oder sie doch nicht nach ihrer tieferen Bedeutung würdigen mag. Sie enthalten aber den Schlüssel zu dem ganzen ferneren Leben der allerseligsten Jungfrau, wie dasselbe von der gottseligen Emmerick beschrieben wird, und stehen mit dem Geiste und nicht selten auch mit den Worten der «Offenbarungen» einer heiligen Brigitta in so bemerkenswerter Übereinstimmung, dass es sich wohl der Mühe lohnt, jene so kurzgefassten Worte der seligen Emmerick durch wörtliche Anführung der auf die gleichen Geheimnisse sich beziehenden, aber ausführlicheren Eröffnungen der heiligen Brigitta mehr zu beleuchten. Der geneigte Leser wird dadurch, vielleicht nicht ohne freudige Überraschung, die Überzeugung gewinnen, welch' ein großer Schatz wahrhafter Erbauung und Erleuchtung unter den schmucklosen schlichten Worten der seligen Emmerich verborgen ist.
 
 
Auf Seite 320 findet sich die Stelle: <br>
 
 
«Maria erzählte der heiligen Elisabeth, sie sei in der Stunde der Verkündigung zehn Minuten in Entzückung gewesen und es sei ihr gewesen, als verdopple sich ihr Herz und sie sei mit unausprechlichem Heile erfüllt. In der Stunde der Geburt aber habe sie eine große Sehnsucht empfunden und es sei ihr gewesen, als trenne sich ihr Herz auseinander und die eine Hälfte scheide von ihr.»
 
 
Genau dasselbe hatte im Gesichte auch die heilige Brigitta aus dem Munde der allerseligsten Jungfrau vernommen, die folgende Worte an sie richtete:<br>
 
 
«So oft du das bittere Leiden meines Sohnes betrachtest, so halte dir gegenwärtig, meine Tochter, dass alle Glieder seines heiligsten Leibes mir wie meine eigenen, ja wie mein eigenes Herz selber waren. Er wurde in mir empfangen im Feuer der göttlichen Liebe und durch die Liebe kam Er und war Er in mir. Das Wort aber und die Liebe (der Heilige Geist) haben Ihn in mir gebildet. Und Er war mir, als wäre Er mein Herz. Darum hatte ich, als Er aus mir geboren wurde, die Empfindung, als würde die eine Hälfte meines Herzens geboren und scheide aus mir. Und darum empfand ich, als Er sein Leiden begann, dies sein Leiden als das Leiden meines eigenen Herzens. Denn ein Herz, das zur Hälfte auswendig und zur Hälfte inwendig ist, empfindet inwendig gleichmäßig den ganzen Schmerz, wenn die auswendige Hälfte gefoltert wird. So wurde ich selber d. i. mein Herz auch mit-gegeißelt und mit-durchstochen, als mein Sohn, Er die andere Hälfte meines Herzens, gegeißelt und mit Dornen gekrönt wurde. Auch war ich auf seinem ganzen Leidenswege stets in seiner nächsten Nähe und vermochte nicht, Ihm ferne zu bleiben. Ich stand zunächst an seinem Kreuze; und wie das am wehesten tut, was dem Herzen am nächsten ist, so war, was ich bei dem Kreuzstamme litt, der bitterste Schmerz noch von allen. Und als mein Sohn vom Kreuze herab mich anblickte, und ich zu Ihm meine Augen erhob, da strömten mir die Tränen, wie das Blut aus geöffneter Ader, aus den Augen. Und da Er mich in Pein ganz aufgelöst erblickte, wurde Er über meine Schmerzen so sehr betrübt, dass Er aus Mitleiden mit mir die Martern seiner eigenen Wunden nicht mehr zu verspüren glaubte. Gleichwie Adam und Eva um einen Apfel die Welt verkauft hatten, so haben mein Sohn und Ich, gleichwie mit einem Herzen, die Welt wieder losgekauft.»
 
 
'''10. Ferner finden sich auf Seite 283 die Worte: « Maria wusste, dass sie den Erlöser empfangen habe, dass Er aber, um die Menschen zu erlösen, leiden und sterben werde.»
 
 
Und auf Seite 314: «Wieder sah ich Maria an der Krippe stehen. Sie sah auf ihr Kind und hatte die tiefe Empfindung, es komme auf die Welt, um zu leiden.»
 
 
Das tiefe Geheimnis, welches in diesen so wahren, als einfachen Worten verborgen liegt, wird uns wiederum durch die weiteren Eröffnungen aufgeschlossen, welche die heilige Brigitta aus dem Munde ihres Engels zu vernehmen und auf sein Geheiß niederzuschreiben hatte. Sie lauten (Sermo angelicus cap 17 V 18. in «Revelationes s. Brigittae a Consalvo Duranto notis illustratae»): <br>
 
« In ihren Weissagungen von dem Sohne Gottes redeten die Propheten auch davon, welchen bitteren Tod Er in seinem unschuldigsten Leib auf dieser Welt werde erdulden wollen, auf dass die Menschen in Vereinigung mit Ihm im Himmel des ewigen Lebens teilhaftig werden könnten. Demgemäß schilderten sie in ihren Prophezeiungen, wie der Sohn Gottes für die Erlösung des Menschengeschlechtes werde gebunden und gegeißelt, wie zum Kreuze geführt, wie schimpflich misshandelt und gekreuzigt werden. Wenn wir demnach glauben müssen, dass die Propheten wohl gewusst hatten, warum der unsterbliche Gott einen sterblichen Leib annehmen und in diesem Leib auf so mannigfache Weise gepeinigt werden wolle, so kann der christliche Glaube es um so weniger bezweifeln, dass unsere seligste Jungfrau und Herrin, welche Gott vor aller Zeit zur Mutter erkoren hatte, dies noch viel deutlicher gewusst habe. Und billig ist zu glauben, es sei der Jungfrau die Absicht nicht verborgen gewesen, aus der Gott sich würdigte, in ihrem Schoß mit dem menschlichen Fleisch sich zu bekleiden. Ja gewiss! Es ist fest und unbezweifelt zu bekennen, dass sie aus Eingebung des Heiligen Geistes den Sinn und die Bedeutung der prophetischen Worte weit vollkommener verstanden habe, als die Propheten selber, welche aus dem Munde desselben Heiligen Geistes ihre Worte vorgebracht haben. Darum ist es für gewisseste Wahrheit zu halten, dass, als die Jungfrau den Sohn Gottes nach seiner Geburt zum ersten Male auf ihre Hände nahm, es ihrem Geiste deutlichst vorschwebte, wie Er der Propheten Schriften werde zu erfüllen haben. So oft sie Ihn darnach in Windeln wickelte, empfand sie in ihrem Herzen, mit welch scharfen Geißeln sein ganzer Leib werde zerrissen werden, so dass Er das Aussehen eines vom Aussatz Geschlagenen haben würde. Und so oft die Jungfrau Arme und Füße ihres Kindleins sanft mit Tüchlein umwand, da gedachte sie, wie grausam dieselben mit eisernen Nägeln am Kreuze würden durchbohrt werden. Wendete sie ihr Auge nach dem Antlitz ihres Kindes, da ward sie inne, mit welcher Unehrerbietung die Mäuler der Gottlosen dieses heiligste Antlitz mit ihrem Auswurf besudeln werden. Und wie oft empfand die süßeste Mutter in ihrem Herzen, welche Faustschläge die Wangen ihres Sohnes treffen und welche Schmähungen und Lästerungen seine gebenedeiten Ohren erfüllen würden! Bald stellte sich ihr dar, wie seine Augen durch das herabrinnende Blut verdunkelt. Bald, wie sein Mund mit Essig und Galle werde getränkt werden. Bald drang es ihr zu Herzen, wie seine Arme mit Stricken gebunden, seine Nerven und Adern und alle Gewebe so unbarmherzig am Kreuze ausgedehnt und alle inneren Teile seines Leibes im Tode zusammengezogen und wie sein ganzer glorwürdiger Leib von innen und aussen durch die bittersten Peinen bis zum Verscheiden am Kreuze werde gefoltert werden. Denn es wusste auch die heilige Jungfrau, dass, sobald ihr Sohn seine Seele am Kreuze werde ausgehaucht haben, die scharfe Lanzenspitze seine Seite eröffnen und mitten durch sein Herz hindurch dringen werde.»
 
 
«Wie also die heilige Jungfrau mehr als alle anderen Mütter voll Freude war, so oft sie ihr neugebornes Kind betrachtete, indem sie es als wahren Gott und wahren Menschen erkannte, sterblich zwar nach seiner Menschheit, ewig unsterblich aber nach seiner Gottheit, so war sie doch im Vorherwissen seines bittersten Leidens zugleich die betrübteste aller Mütter. Und solcher Weise war ihre höchste Freudigkeit unabläßig von schwerster Trauer begleitet, gleich als würde einer Gebärenden gesagt: wohl hast du ein lebendes und in allen seinen Gliedern wohlgestaltetes Kind geboren, aber die Wehen des Gebärens werden bis zu deinem Tode nicht mehr aufhören. Wohl würde bei solchen Worten eine Mutter über das Leben und Gedeihen ihrer Leibesfrucht sich freuen, aber ohne Aufhören über ihr eigenes Leiden und ihren Tod sich betrüben. Doch könnte die Betrübnis solcher Mutter bei dem Gedanken an ihre Peinen und den Tod ihres Leibes nicht so groß sein, als es der Schmerz Mariä war, so oft sie des künftigen Todes ihres geliebtesten Kindes gedachte. Sie wusste aus den Worten der Propheten, wie zahllose und schwerste Peinen ihr süßestes Kind werde leiden müssen; und auch Simeon der Gerechte hatte ihr nicht aus ferner Vergangenheit her, wie die Propheten, sondern in das Angesicht geweissagt, dass ihre Seele ein Schwert durchbohren werde. Darum ist es wohl zu beherzigen, dass in dem Grade, als die Seelenkräfte weit stärker und fähiger sind, um Wohl und Wehe zu empfinden, als die körperlichen Sinne, die gebenedeite Seele der seligsten Jungfrau, welche von dem Schwerte durchbohrt werden sollte, von weit ärgeren Qualen erfüllt wurde, noch bevor ihr Sohn sein bitteres Leiden zu beginnen hatte, als der Leib einer Mutter, bevor sie gebiert, zu ertragen vermöchte. Denn das ihr geweissagte Schwert der Schmerzen kam mit jeder Stunde in dem Grade ihr näher, als ihr geliebtester Sohn dem Zeitpunkte seines bittersten Leidens sich näherte. Darum ist unbezweifelt zu glauben, dass der liebreichste und unschuldigste Sohn Gottes mit seiner Mutter ein kindliches Mitleiden trug und ihre Peinen durch häufige Tröstungen zu lindern suchte, sonst hätte ihr Leben es nicht vermocht, sie bis zum Tode ihres Sohnes zu ertragen.»
 
 
«Von jenem Zeitpunkte aber an, da der Sohn der Jungfrau gesprochen: <Ihr werdet Mich suchen, aber nicht finden> (Joh. 7,34.), da verwundete die Spitze des Schwertes ihrer Schmerzen das Herz der Jungfrau noch viel heftiger. Und als Er zuletzt von dem eigenen Jünger verraten und, wie Er geschehen lassen wollte, von den Feinden der Wahrheit und Gerechtigkeit gefangen wurde, da drang das Schwert der Schmerzen grausam durch ihr Herz, durch ihr Innerstes und durch ihre Seele, so dass alle Glieder ihres heiligsten Leibes mit unsäglichen Martern erfüllt wurden. Und so viele Peinen und Beschimpfungen ihrem Sohne angetan wurden, so viel mal erneuerte jenes Schwert seine ganze Schärfe in der Seele der heiligen Jungfrau. Sie musste ja alles mit ansehen, wie ihr Sohn von den Händen der Gottlosen mit Backenstreichen geschlagen, grausam und unbarmherzig gegeißelt und von den jüdischen Obrigkeiten unter dem tobenden Geschrei des ganzen Volkes: <An's Kreuz mit dem Verräter!> zum schimpflichsten Tode verurteilt wurde, wie Er mit gebundenen Händen zur Richtstätte geführt wurde, sein Kreuz in äußerster Erschöpfung auf den Schultern dahin tragend, während vorangehende Schergen Ihn an Stricken nach sich zogen, andere neben Ihm hergehend Ihn mit Faustschlägen antrieben und Ihn, das sanftmütigste Lamm, hetzten wie das grausamste Wild. Er aber war, wie Jesaias geweissagt, in all' seinen Nöten geduldig wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, und klaglos, wie das vor seinem Scherer verstummende Lamm, öffnete Er seinen Mund nicht. Und so, wie Er das Bild der höchsten Geduld, so war es auch seine gebenedeite Mutter, welche alle Peinen mit Ihm teilte. Und wie ein Lamm seiner Mutter nachgeht, wohin sie geführt wird, so folgte auch die jungfräuliche Mutter ihrem Sohne an alle Stätten seiner Martern. So sah sie also mit an, wie ihrem Sohne zum Spotte die Dornenkrone auf das Haupt gesetzt, wie sein Angesicht von Blut überronnen, seine Wangen durch härteste Backenstreiche dunkel gerötet wurden. Der übergroße Schmerz ihres Mitleidens presste ihr Seufzer aus und brachte ihr Antlitz zum Erblassen. Und als bei der Geißelung der heiligste Leib ihres Sohnes aus tausend Wunden blutete, da rannen aus ihren Augen die bittersten Tränenbäche nieder. Bei der grausamsten Ausspannung ihres Sohnes am Kreuzesstamm aber begannen alle Kräfte ihres Leibes zu schwinden. Und als vollends der Schall der Hammerschläge, mit welchen durch die Hände und Füße ihres Sohnes die eisernen Nägel getrieben wurden, an ihr Ohr drang, da vergingen der Jungfrau alle Sinne, und im Übermaß dieser Marter sank sie einer Sterbenden gleich zur Erde nieder. Als die Juden ihn mit Galle und Essig tränkten, da vertrockneten vor Angst ihres Herzens Zunge und Gaumen der Jungfrau, so dass sie nicht vermochte, ihre gebenedeiten Lippen zu einem Worte zu bewegen. Und als sie darauf die klägliche Stimme ihres im Todeskampf rufenden Sohnes vernahm: <Mein Gott, mein Gott, warum hast du Mich verlassen?> und sehen musste, wie alle seine Glieder erstarrten und Er mit geneigtem Haupte seinen Geist aufgab, da schnürte die Heftigkeit der Schmerzen das Herz der Jungfrau so zusammen, dass jedes Gelenk ihres heiligsten Leibes die Bewegung versagte.»
 
 
«Daraus aber mögen wir wohl erkennen, welch ein großes Wunder Gott hier zu wirken hatte, dass die jungfräuliche Mutter deren Herz von so unaussprechlich vielen und großen Martern verwundet war, ihren Geist nicht vollends aufgab, als sie auch noch mit ansehen musste, wie ihr geliebter Sohn seiner Kleider beraubt, von Wunden zerrissen, mit Blut überlaufen, lebend und tot, verhöhnt und verspottet, mit der Lanze durchbohrt zwischen zwei Mördern am Kreuze hing, während die Mehrzahl seiner Anhänger und Freunde Ihn verließ, davon floh und gar weit von der Geradheit des wahren Glaubens sich verirrte. Gleichwie also ihr Sohn unter größeren Peinen, als alle Menschen zusammen nicht zu ertragen vermöchten, den bittersten Tod für uns erdulfet hat, so hat auch seine mit Ihm leidende Mutter in ihrer gebenedeiten Seele dieselben Peinen für uns mitgetragen.»
 
 
«Im ersten Buche der Könige wird von der Frau des Phinees erzählt, dass sie bei der Nachricht von dem Verluste der Bundeslade an die Feinde Gottes vor heftigem Schmerze gestorben sei. Aber der Schmerz dieser Frau lässt sich mit dem Schmerze nicht in Vergleich bringen, welchen die jungfräuliche Mutter empfand, als sie den Leib ihres gebenedeiten Sohnes, dessen Vorbild jene Lade des Bundes gewesen, mit Nägeln an das Holz des Kreuzes geheftet erblickte. Denn die Jungfrau liebte ihren Sohn, als wahren Gott und wahren Menschen, mit unvergleichlich größerer Liebe, als irgend ein Menschenkind sich selbst oder einen anderen lieben könnte. Darum ist es auch ein ganz augenscheinliches Wunder, dass Maria den unbegreiflichen Peinen nicht erlag, welche sie verwundeten, während die Frau des Phinees schon über einen viel geringeren Schmerz das Leben verlor. Wer muss nicht unwillkürlich dabei denken, dass nur das unmittelbare Eingreifen der Allmacht Gottes sie gegen alle Möglichkeit der körperlichen Kräfte am Leben erhalten konnte ?»
 
 
« Durch seinen Tod schloss der Sohn Gottes den Himmel uns auf und aus der Vorhölle erlöste Er im Triumph seine Getreuen. Maria aber blieb im Leben zurück. Und sie war es, die einzig und allein bis zur Auferstehung ihres Sohnes den wahren Glauben unerschütterlich bewahrte und gar viele, welche elendiglich vom Glauben abgeirrt waren, wieder zum Glauben zurückführte und darin bestärkte.»
 
 
Die eben angeführten Stellen aus den «Offenbarungen der heiligen Brigitta» sind in solcher Ausführlichkeit auch aus dem Grunde hier ausgehoben, weil sie zugleich eine glänzende Rechtfertigung der ganzen Auffassung und Schilderung des vollkommenen Miterleidens der ganzen Passion unseres Herrn von Seite seiner heiligsten Mutter enthalten, wie solche in den Mitteilungen der seligen Emmerick über «das bittere Leiden» uns geboten wird.
 
 
'''11.''' Die in erster Reihe oben ausgehobenen Worte der seligen Emmerick: «dass Maria in der Stunde der Verkündigung zehn Minuten in Entzückung gewesen sei», finden in den tiefsinnigen Mitteilungen der seligen Maria von Agreda ihre Beleuchtung und Ergänzung. Letztere berichtet nämlich: <br>
 
«In dem Augenblick, als die allerseligste Jungfrau auf den Gruß des Engels antwortete: (Mir geschehe nach deinem Wort>, geriet ihre heiligste Seele vor Bewunderung, Anbetung und höchster Liebe Gottes in Entzückung und vor Übermacht dieser erhabensten Akte ergossen sich aus ihrem heiligsten Herzen drei Tropfen ihres reinsten Blutes, aus welchen durch die Kraft des Heiligen Geistes der menschliche Leib unseres Herrn in zwar kleinster, aber vollkommener Gestalt gebildet und ihm die in demselben Augenblicke von Gott erschaffene menschliche Seele eingegossen wurde, so dass zugleich, in diesem einen und sei ben Augenblick, sich auch die Person des ewigen unerschaffenen Wortes diese vollkommene menschliche Natur mit seiner Gottheit hypostatisch vereinigte. Dies alles geschah nicht nacheinander, oder in voneinander getrennten kleinsten Zeitteilchen, sondern in dem einen und selben ersten, ungeteilten Augenblick, so dass nicht gesagt werden kann, zuerst war die wahre Menschheit und dann wurde sie in der Person des Wortes mit der Gottheit vereinigt, sondern es war unser Herr und Heiland wahrer Mensch und wahrer Gott zugleich in dem einen und selben ersten Augenblick seiner Empfängnis, in welchem ebenfalls auch die heiligste menschliche Seele unseres Herrn mit der beseligenden Anschauung und der beseligenden Liebe Gottes sowie mit der höchsten Gnadenfülle begabt war. Wer vermag zu fassen, oder nach Gebühr dies Geheimnis zu bewundern, dass in den noch so kleinen menschlichen Leib unseres Herrn die ganze Herrlichkeit und Größe der unermesslichen Gottheit sich einschloss, und dass dieser heiligste Leib zugleich der höchsten Glorie, wie der höchsten Fähigkeit zu leiden teilhaftig war!»
 
 
« In dieser ihrer Entzückung erhielt die heiligste Jungfrau die klare und in das Einzelne dringende Anschauung dieses in ihr nun vollbrachten Geheimnisses der hypostatischen Einigung der göttlichen und der menschlichen Natur in der Person des ewigen Wortes. Und von der heiligsten Dreieinigkeit empfing sie die Bestätigung in der Würde, in dem Namen, in den Rechten und der vollen Wirklichkeit als Mutter Gottes, welche sie in der Tat nun war, indem sie schon die wahrhaftige Mutter eines Sohnes geworden war, der als wahrer Gott von Ewigkeit nun auch wahrer Mensch in ihr geworden.»
 
 
« Sie erhielt ferner in dieser Entzückung die klarste Erkenntnis aller künftigen Ereignisse des Lebens und Sterbens ihres süßesten Sohnes, und damit auch des Geheimnisses der Erlösung der Welt und des auf Grundlage des Evangeliums zu errichtenden neuen Gesetzes der Gnade. In dem durchdringenden Lichte dieser hohen Erleuchtung wurde die weiseste Jungfrau und Mutter Gottes zugleich inne, dass ihr die Anschauung aller dieser Geheimnisse um ihrer Mutterschaft des Sohnes Gottes willen verliehen werde. Darum verdemütigte sie sich vor Gott so sehr, dass sie durch die Heftigkeit ihrer mit dieser Demut vereinigten Liebe hätte ihren Geist aufgeben können.»
 
 
« Dann betete sie die unendliche Wesenheit des Herrn an, wie sie in sich selber ist, und wie sie nun mit seiner heiligsten Menschheit vereinigt war, indem sie für die ihr verliehene höchste Gnade und Auszeichnung der Mutterschaft Gottes dankte, sowie für alles andere, was die göttliche Majestät zum Heile der ganzen Welt auszuführen beschlossen hatte. Auch den Tribut des schuldigen Lobes und Preises brachte sie an Stelle und im Namen aller Sterblichen dem höchsten Gotte dar; sich selbst aber bot sie an und erklärte sich bereit, ihrem süßesten Sohne alle Dienste einer Mutter zu leisten, Ihn zu gebären, zu ernähren und auf alle Weise zu bedienen, um das Werk unserer Erlösung durch ihren Beistand und ihre Mitwirkung, soweit es an ihr liege, nach Kräften zu befördern. Die heiligste Dreieinigkeit nahm diese Bereiterklärung mit solchem Wohlwollen auf, dass sie Maria unserem heiligsten Erlöser als seine wahrhafte Gefährtin in Vollführung des Werkes unserer Wiederherstellung zur Seite gab. Sie erflehte sich auch die für solch erhabenste Aufgabe nötigen Gnaden und Erleuchtungen, um ihrer Würde und ihrem Amte als der Mutter Gottes nach Gebühr zu genügen und Gott ihrem Sohne mit der Ihm schuldigen Ehrerbietung und Anbetung allzeit zu begegnen. Endlich opferte sie schon jetzt ihrem heiligsten Sohne alle Nachkommen Adams, samt den Altvätern in der Vorhölle auf, indem sie in aller und in eigenem Namen die heldenmütigsten Tugenden erweckte.»
 
 
«Als Maria aus dieser tiefen Entzückung zurückkam, betete sie ihr heiligstes Kind an, das sie als wahren Gott und wahren Menschen in ihrem jungfräulichen Schoß trug. Von dieser Stunde an empfand sie in ihrer heiligsten Seele, wie in allen inneren und äußeren Sinnen, neue, bisher ungewohnte Wirkungen der Allmacht Gottes. Und war sie auch während der ganzen Zeit ihres Lebens, der Seele wie dem Leib nach, in einem in jeder Hinsicht höchst erhabenen Stand und Verfassung, so wurde sie doch von dem Tage der heiligsten Menschwerdung an durch noch höhere Gnaden und durch unaussprechliche Gaben ganz vergeistigt und wie vergöttlicht.»
 
 
« Indes denke ja niemand, als wäre von nun an das Leben der jungfräulichen Mutter ein von geistlichen Wonnen überfließendes gewesen. Nein! Ihr Leben war in vollkommenster Gleichförmigkeit mit dem Leben ihres göttlichen Sohnes ein ebenso leidenvolles, als freudenreiches. Denn die klarste Erkenntnis aller Beschwerden, Mühsale, und des Leidens und Sterbens ihres heiligsten Sohnes war so tief, so lebendig und so beständig in ihrer Seele, dass ihr Herz ohne Aufhören von dem Schwerte des heftigsten Schmerzes verwundet wurde. Und dieser Schmerz war ebenso unbegreiflich groß, wie die Klarheit ihrer Erkenntnis und die Stärke der Liebe, die sie zu ihrem Sohne trug. Und gerade die Nähe, die Gegenwart ihres geliebtesten Sohnes und die Süßigkeit des Umganges mit Ihm machte diesen Schmerz so brennend und immerdar wie neu. Das ganze äußere Leben Jesu Christi und seiner heiligsten Mutter war eine ununterbrochene Kette von Pein und Leiden, ein beständiger Weg des Kreuzes in Trübsal jeder Art. Aber das innere, verborgene Leben, das Leben des unschuldigsten liebendsten Herzens der heiligsten Jungfrau war nicht weniger eine ununterbrochene Kette der bittersten Leiden. Denn in diesem allerreinsten Herzen empfand sie ohne Aufhören, ohne Milderung und ohne Trost oder Teilnahme von einem Geschöpfe je zu begehren, alle Misshandlungen und Beschimpfungen, alle Peinen und Qualen des bittersten Todes ihres Sohnes, welche ohne Unterlass vor ihren Augen standen. So war also dieses durch dreiunddreißig Jahre dauernde geheime Leiden des heiligsten Herzens Mariä wie die Vorfeier oder die Vigilie der überreichen Erlösung, welche ihr göttlicher Sohn am Stamme des Kreuzes für uns vollbringen wollte.»
 
 
« Indem sich so im Herzen Mariä Liebe und Leiden in Süßigkeit und Trauer begegneten, seuftze sie gar oft aus dem Innersten der Seele zu ihrem heiligsten Sohne in den Worten: (O mein Herr, Besitzer meiner Seele, süßeste Frucht meines Leibes! Warum hast Du mir verliehen, deine Mutter zu sein und als mein liebstes Kind Dich zu besitzen, an diesen Besitz aber die so schwere Last von Pein geknüpft, dass ich Dich wieder verlieren und deines süßesten Umgangs wieder beraubt werden soll? Kaum hast Du einen Leib Dir angenommen und zu leben begonnen und schon verlautet der Urteilsspruch deines bittersten Todes für die Erlösung der Menschen! Deine Menschwerdung allein war schon ein überreiches Lösegeld und konnte überfließende Genugtuung für die Schuld der ganzen Welt leisten. O wäre doch durch sie die Gerechtigkeit des ewigen Vaters versöhnt und befriedigt und wären nur für mich allein die Marter und der Tod, der Dich erwartet, aufbehalten! Von meinem Blute, von meiner Substanz hast Du einen Leib Dir angenommen, und so hast Du es von mir, dass Du leiden kannst, und ohne mich bist Du des Leidens, wie des Sterbens nicht fähig. Bin ich es also, welche Dir das Werkzeug und die Möglichkeit zum Leiden gegeben hat, so lasse geschehen, dass ich mit Dir auch leide und zwar bis in den Tod! O grausamste, unmenschliche Schuld, wie ist es möglich, dass du trotz deiner Bosheit und aller Übel, die du gebracht, dennoch des Glückes gewürdigt bist, einen Erretter zu finden, der als das höchste Gut und als der Inbegriff aller Seligkeit der Menschen nicht bedarf, aber doch sie selig machen will? O süßester Sohn meiner Liebe! Wer wird Dich schützen, hüten, verteidigen vor deinen Feinden? O wäre es doch der Wille deines Vaters, dass ich vor dem Tode Dich bewahren, oder doch mit Dir sterben dürfte, um nie mehr von Dir getrennt zu werden! Aber ich werde nicht so glücklich sein, wie unser Vater Abraham. Was im ewigen Ratschluss beschlossen ist, das wird geschehen. Ja es geschehe der Wille des Herrn in allen Dingen ! > Solche Seufzer heißester, überströmender Liebe wiederholte unsere Königin und Herrin sehr oft, und der ewige Vater nahm sie als lieblichstes Opfer wohlgefällig an; auch ihr heiligster Sohn empfand darüber süßeste Freude.»
 
 
'''12.''' Alle weiteren Tatsachen und Geheimnisse aus dem Leben der seligsten Jungfrau, vor der Geburt des Sohnes Gottes bis zu dessen Kreuzestod, über welche die selige Emmerick berichtet, sind ohne Ausnahme in demselben Geiste der Wahrhaftigkeit, der Lauterkeit und Heiligkeit geschildert, wie er aus den Worten einer heiligen Brigitta und Maria von Agreda hervorleuchtet, so dass wir ihre Mitteilungen auf keine andere Quelle zurückführen können, als jene ist, aus der auch die beiden letzteren zu schöpfen gewürdigt waren. Außerdem ist alles, was die selige Emmerick erzählt, in der ihr eigenen unnachahmlichen Einfachheit vorgebracht, welche schon an und für sich ein sehr beredtes Zeugnis nicht allein für ihre eigene lauterste Seelenreinheit, sondern auch für die absichtslose Treue und Gewissenhaftigkeit des Aufzeichners ihrer Worte ist. Diese rührende Einfachheit, oder besser gesagt, diese wahrhaft heilige Einfalt tritt besonders in jenen Mitteilungen hervor, welche die Armut und Niedrigkeit der seligsten Jungfrau zum Gegenstand haben. So könnte es einem oder dem anderen Leser sogar befremdlich vorkommen, dass die hochbegnadigte, an Weisheit und Macht über alle Engel erhabene Jungfrau mit dem heiligen Joseph auf der mühseligsten Reise von Nazareth nach Bethlehem unmittelbar vor der Geburt ihres göttlichen Kindes so große Armut und Beschwerden ohne andere Hilfeleistung zu ertragen gehabt haben solle, als ihr von dem guten Willen der Leute gewährt wurde, welche sie demütigst darum zu bitten hatte. Oder schwerer noch möchte die Schilderung der äußersten Not und Verlassenheit ihm einleuchten, welche die heilige Familie auf der Fluchtreise nach Ägypten und während der ganzen Zeit ihres dortigen Aufenthaltes zu erdulden hatte; aber die Rechtfertigung und der Schlüssel zu diesen Geheimnissen lässt sich wiederum aus den Worten der seligen Maria von Agreda entnehmen, welche bezeugt: <br>
 
« In ihrer unvergleichlichen Demut wollte die heiligste Jungfrau, obwohl an Fülle der Weisheit die Cherubim übertreffend, doch gleich einer Unwissenden von allen lernen und geschehen lassen, dass sie belehrt werde. So oft sie aber von der durch Gott ihr eingegossenen Wissenschaft Gebrauch machte, oder den Willen Gottes erkennen wollte, war sie so einsichtig und fasste so erhabene Ziele mit allen sie begleitenden Umständen ins Auge, dass sie durch ihre Entschließungen allezeit das Herz Gottes verwundete und zur Einstimmung in ihren Ihm wohlgefälligsten Willen geneigt machte.»
 
 
« Ebenso groß und bewunderungswürdig war ihre Liebe zur Armut und Strenge. Denn, obwohl sie die Herrschaft über alle Geschöpfe besaß, und alle Geschöpfe ihren Winken unterwürfig waren, so verzichtete sie doch, um ihrem göttlichen Sohne vollkommen gleichförmig zu sein, gänzlich darauf, ihre Herrschaft über das von Gott ihr Unterworfene auszuüben. Denn gleichwie Gott dem Fleisch gewordenen Wort alles übergab, so stellte auch der Sohn alles unter die Macht seiner Mutter; welche aber wiederum, auf dass das Gleiche auch von ihr geschehe, auf alles zur Verherrlichung ihres Sohnes und Herrn im Willen, wie im Werke Verzicht leistete.»
 
 
« Es waren auch alle ihre Handlungen von so hoher Einfalt, ihre Worte von solcher Süßigkeit, ihr ganzes Äußere von so erhabener, himmlischer Anmut, dass man sie für mehr als einen Menschen hätte halten mögen, wenn nicht der Glaube, wie der hl. Dionysius Areopagita von sich bekennt, belehrt hätte, dass sie ein Geschöpf sei.»
 
 
'''13.''' Wenn oben gesagt worden ist, dass das Geheimnis der unbegreiflichen Demut Mariä der Grund und die Vollendung ihrer Tugenden und Verdienste sei, und dass ihr ganzes Leben, so, wie es in Wirklichkeit auf Erden verlaufen ist und wie es die Schilderungen der seligen Emmerick uns vor Augen führen, nur aus dem Geheimnis ihrer Demut gewürdigt werden könne, so finden auch diese Worte ihre Begründung und Rechtfertigung in den Eröffnungen der seligen Maria von Agreda, welche jedem aufmerksamen Leser zu hoher Erbauung gereichen werden. Sie lauten: <br>
 
 
«Über alle anderen Tugenden leuchtet aus jedem Worte und jeder Handlung Mariä ihre unvergleichbare Demut hervor. Darum erfasst mich große Furcht, ich möchte die Erhabenheit dieser ganz einzigen Tugend verletzen, wenn ich es versuche, einen Ozean in die engen Grenzen meiner Worte einzuschließen, der im Stande war, die unermessliche, grenzenlose Größe Gottes in sich aufzunehmen und zu umschließen. Alles, was die Heiligen und selbst die Engel in Hinsicht der Demut in Gedanken und Werken je zu erreichen vermochten, das reicht nicht an das kleinste Teilchen der Demut, welche die so herrliche Zierde unserer Königin ist. Welchen Heiligen oder welchen Engel konnte Gott je seine Mutter nennen? Wer durfte außer Maria und Gott dem ewigen Vater, das Fleisch gewordene Wort seinen Sohn heißen? Wenn nun jene, die in ihrer Mutterwürde Gott dem Vater gleich geworden und die mit allen dieser Hoheit gebührenden Gnaden und Gaben geziert ist, sich in der eigenen Meinung von sich auf die unterste Stufe der Geschöpfe stellt und diese alle als ihr selber vorausgehend betrachtet, welchen Wohlgeruch, welch süßesten Duft muss diese demütige Narde für Gott ausgehaucht haben, sie, die Ihn als den höchsten König aller Könige in ihrem Schoße beherbergte?»
 
 
« Dass die Säulen des Himmels vor dem unnahbaren Glanze der unendlichen Majestät Gottes in Furcht und Zittern geraten, ist nicht zu verwundern, denn vor ihren Augen wurden ihre Mitgenossen aus dem Himmel gestoßen, während sie selber vor dem Falle durch Gaben und Erleuchtungen bewahrt blieben, an denen sie alle miteinander Anteil gehabt hatten. Dass die größten und nie besiegten Heiligen sich verdemütigten, dass sie begehrten, verachtet und erniedrigt zu werden, dass sie sich für gänzlich unwürdig der geringsten Gnadengaben fühlten und auch nicht minder unwürdig des Gebrauches oder der Hilfe der natürlichen Güter, war ganz in Ordnung und wie von selbst aus der Tatsache sich ergebend, dass wir alle Sünder und des Ruhmes vor Gott ermangelnd sind. Auch war niemand je so heilig und erhaben, dass er nicht höher noch hätte werden können, noch je so vollkommen, dass ihm nicht irgend ein Vorzug gefehlt hätte, noch endlich so schuldlos, dass nicht das Auge Gottes an ihm etwas hätte finden können, was seines Wohlgefallens nicht würdig gewesen wäre. Und gesetzt auch, es wäre einer in allen Stücken vollkommen erfunden worden, so wäre er dies doch nur innerhalb der Schranken der allen Menschen gemeinsamen Gnade und deren Gaben, über welche hinaus er allein über alle anderen und in allen Stücken sich nicht zu erheben vermocht hätte.»
 
 
« Die Demut der allerreinsten Jungfrau aber ist darum ohne Ihresgleichen und ganz und gar unerreichbar, weil sie, als die Morgenröte der Gnade, als der Inbegriff und Quell aller guten Gaben, deren die Geschöpfe teilhaftig werden können, und als das über alle Geschöpfe erhabene Wunder der göttlichen Vollkommenheiten, weil sie als der Mittelpunkt der Liebe Gottes, als die Grenze, welche Gott seiner Allmacht gesetzt hat, indem Er ein vollkommeneres Geschöpf als Maria nicht hervorbringen wollte, weil sie endlich jene, die Gott selbst ihren Sohn nennen und von Ihm den Namen Mutter empfangen konnte, sich auf die letzte Stufe unter alle Kreaturen erniedrigt hat. Und sie, welche der höchsten Vollkommenheit unter allen bloßen Geschöpfen Gottes teilhaftig war und keine höhere über sich hatte, zu der sie hätte aufsteigen können, verdemütigte sich so sehr, dass sie für unwürdig sich erachtete, auch nur das geringste Zeichen einer Hochachtung, eines Vorzuges, einer Ehre von dem niedersten mit Vernunft begabten Wesen zu empfangen. Und nicht blass für unwürdig erachtete sie sich, die Mutter Gottes und mit den dieser Würde gebührenden Gnaden geziert zu sein, sondern selbst der Luft, die sie einatmete, der Erde, die sie trug, der Nahrung, die sie zu sich nahm und überhaupt des Dienstes und Gebrauches irgend welchen Dinges. Sie hielt für gewiss, dass sie all dessen, was sie empfange, nicht würdig sei und dankte so aufrichtig dafür, als verhalte es sich in Wirklichkeit so, wie es ihrer Demut erschien. Und um mit wenigen Worten vieles zu sagen: wenn ein mit Vernunft begabtes Wesen nicht nach einem Vorrang strebt, der ihm in keiner Weise gebührt, und dessen es auch in gewisser Hinsicht sich unwürdig gemacht hat, so ist das kein Zeichen einer besonders großen Demut, wenn schon der allerhöchste Gott nach seiner Gütigkeit als solche sie annimmt und den, der sich also demütigt, seines Lohnes versichert. Das aber übersteigt alles Begreifen, dass jene tiefer, als alle Geschöpfe zusammengenommen sich selbst verdemütigt, welche, obwohl ihr alle Herrlichkeit und Auszeichnung gebührt, doch solche weder begehrt noch irgendwie sucht, sondern als die würdige Mutter unseres Gottes, in der eigenen Meinung sich gleich einem Nichts betrachtet, durch welche Demut sie verdiente, dass nach Gerechtigkeit sie zur Herrschaft und zum Vorrang über die ganze Schöpfung erhöht wurde.»
 
 
'''14.''' In den «Offenbarungen der heiligen Brigitta» finden sich viele Worte der seligsten Jungfrau, in denen sie auf rührende Weise die Gläubigen ermahnt, ihrer Schmerzen in wahrem Mitleiden stets eingedenk zu sein. So sprach Maria einmal zu Brigitta: <br>
 
 
« Stelle dir vor, es habe ein armer Mensch auf Rücken und Armen eine schwere Last gar mühselig an einer großen Schar müßiger Leute vorbei zu schleppen. Würde er nicht seine tränenvollen Blicke nach der Menge hinüber richten, ob denn nicht einer darunter sei, der seiner sich erbarmen und die schwere Bürde ihm erleichtern möchte? Siehe dieser Arme bin ich selbst! Denn von der Geburt meines Sohnes an bis zu seinem Tode war ich voll Pein und Trüsbal. Auf meinem Rücken trug ich beständig die schwerste Last, indem ich alles auf mich nahm, was Gott mir zu tragen gab, und alles was mir begegnete, in Geduld ertrug. Auf meinen Armen hatte ich eine gleich schwere Last, indem mein Herz mehr Schmerz und Weh empfunden hat, als irgend ein Geschöpf. Meine Augen waren immerdar voll Tränen, so oft ich an den Händen und Füßen meines Sohnes die künftigen Wundmale der grausamen Nägel erblickte und seines bittersten Leidens gedenken musste. Denn ich wusste, es werde alles an Ihm erfüllt werden, was die Propheten von Ihm geweissagt. Und schaue ich nun nach den Menschen hin, ob nicht unter ihnen doch einige sich finden, die Mitleid mit mir tragen und meiner Schmerzen gedenken möchten, da erblicke ich nur wenige, die daran denken, welche Not und Peinen ich zu tragen hatte. Und von sehr vielen bin ich vergessen und ganz und gar vernachläßigt. So wolle doch du, meine Tochter, dein Auge nach mir wenden, meiner Schmerzen und Tränen gedenken und trauern, dass der Freunde Gottes so wenige sind.»
 
 
Und um die hohe Bedeutung des mitleidenden Betrachtens der Schmerzen Mariä der heiligen Brigitta zu zeigen, wurde sie am Lichtmessfest in der Kirche Maria Maggiore eines himmlischen Gesichtes gewürdigt, aus dem sie Folgendes noch mitteilen konnte (Revel. I. II. c. 24):
 
 
«Ich sah die ganze Vorbereitung des Himmels zur Feier des Festes. Der Himmel erschien als eine große Kirche von wunderbarer Schönheit. Ich sah den greisen Simeon, wie er sich bereit hielt, das heiligste Jesuskind auf seine Arme zu empfangen. Er war in sehnsüchtiger Erwartung und Freudigkeit. Und ich sah die heiligste Jungfrau in derselben demütigsten Anmut, wie einst auf Erden, mit ihrem Kinde auf den Armen, zu ihm herannahen. Eine unzählbare Schar von Engeln und alle Ordnungen der Heiligen zogen in Prozessionen vor und um die heilige Jungfrau, vor welcher her von einem Engel ein großes, breites, blutiges Schwert als das Sinnbild ihrer Schmerzen beim Tode ihres geliebtesten Sohnes, wie sie ihr Simeon als ein Schwert geweissagt hatte, getragen wurde. Ich vernahm die Lob- und Freudengesänge des ganzen himmlischen Hofes und dabei wurde mir gesagt: siehe, das ist die Ehre und Herrlichkeit, weIche an diesem Feste der ganze Himmel seiner Königin für das Schwert der Schmerzen darbringt, das sie in der Passion ihres geliebten Sohnes durchbohrt hat.»
 
 
'''15.''' Dass an diesem Freudenfest der Himmlischen nur jene teilnehmen dürfen, welche während ihres Lebens der Schmerzen Mariä gedenken, das wurde der Heiligen unter dem folgenden Gleichnisse von Maria selbst geoffenbart: <br>
 
« Die Welt, meine Tochter, » sprach Maria, «gleicht einem Hause, wo ein Reigentanz aufgeführt wird. Denn gleichwie bei solchem Tanze nur leere törichte Freude, übermäßige Rede und eitle, vergebliche Anstrengung, so kreist auch die Welt in beständiger Unruhe, die sie törichst genug für Freude erachtet. Wenn nun ein mit Schmerz und Trauer Beladener in dies Haus der Tanzenden eintreten würde, unter denen ein Freund von ihm sich fände, so würde dieser bei seinem Anblick von Mitleid bewegt wohl nicht länger an der törichten Freude Gefallen finden, sondern die Reihen verlassen und mit dem Betrübten trauern. So würden auch jene, welche in dem Reigentanz der Welt sich erinnern wollten, welche Mühsal und Pein ich ertragen, Mitleid mit mir empfinden, dass ich, von aller Weltfreude mich absondernd, das Schwerste beständig zu leiden hatte. Und ihr Mitleiden mit mir würde sie an den Torheiten der Welt kein Gefallen mehr finden lassen.» Und diese ihre Mahnung begleitet Maria, um aller Herzen zu gewinnen, mit der erschütternden Beschreibung ihrer Schmerzen beim Tode ihres Sohnes: «Ich war bei diesem Tode als Mutter, deren Herz von einer fünffachen Lanzenspitze durchbohrt wurde. Die erste Lanze war die schmähliche Entblößung, in der ich meinen geliebtesten, allmächtigen Sohn seiner Kleider beraubt und ohne Verhüllung an der Geisselsäule stehen sah. Die zweite waren die falschen Anschuldigungen, dass Er ein Verräter, ein Lügner, ein Verführer sei, Er, von dem ich wusste, dass Er als der Gerechteste und Wahrhaftigste nicht fähig war, jemanden irgendwie zu betrüben. Die dritte war mir die Dornenkrone, die sie so unmenschlich auf sein heiligstes Haupt schlugen, dass das Blut aus Mund und Ohren rann. Die vierte war seine Wehklage am Kreuzesstamm, da Er zu seinem Vater rief: « O Vater, warum hast Du Mich verlassen?» als wollte Er sagen: O Vater, niemand ist, der Meiner sich erbarmte, als Du allein! Die fünfte, die mein Herz durchbohrte, war sein bitterster Tod. Aus so vielen Adern sein kostbares Blut sich ergoss, aus so vielen Wunden blutete mein durchbohrtes Herz. Denn auch die Adern seiner Hände und Füße waren durchbohrt und die Schmerzen seiner Nerven schossen wie Pfeile nach dem Herzen hin, und von da wieder zurück in die Nerven. Und da sein Herz das kräftigste und stärkste, weil das vollkommenst gebildete war, so rangen in Ihm Leben und Tod miteinander, so dass unter den heftigsten Peinen die Lebenskraft viel länger aushielt, bis endlich im Übermaß der Schmerzen das Herz brach und der Tod sich einstellte. Da erzitterten alle seine Glieder, sein zur Seite geneigtes Haupt schien sich aufzurichten, die Wimpern der geschlossenen Augen hoben sich zur Hälfte, der Mund öffnete sich und ließ die blutbedeckte Zunge erblicken. Die zusammengekrümmten Finger und Arme dehnten sich aus, und da Er die Seele aushauchte, sank das Haupt zur Brust herab. Die Hände sanken in den Wundmalen der Nägel nieder, und auf die Füße senkte sich die ganze Last des Leibes. Da krümmten wie verdorrt sich auch mir die Hände. Meine Augen verdunkelten sich, mein Gesicht erblasste wie das eines Sterbenden. Meine Ohren hörten nicht. Der Mund vermochte nicht zu sprechen. Meine Füße wankten, mein Leib sank zur Erde nieder. Und da ich mich erhob und meinen Sohn erblickte von Blut und Wunden mehr entstellet als ein Aussätziger, da vereinte ich meinen Willen ganz und gar mit Ihm. Ich wusste, dass alles nach seinem Willen geschehen war und ohne seine Zustimmung nie hätte geschehen können. Ich dankte Ihm für alles. Und so mischte sich in meine Trauer auch Freude. Ich sah zu Ihm hinauf, der als der Sündenlose aus übergroßer Liebe für die Sünder solches hatte leiden wollen. O dass doch alle Menschenkinder bedenken und immerdar vor Augen haben wollten, wie es mir in der Todesstunde meines Sohnes ergangen ist!»
 
 
'''16.''' Wer kann dieser Schilderung sein Herz verschließen, wenn er dazu noch die folgenden Worte der allerseligsten Jungfrau an die heilige Brigitta vernimmt (I, II. c. 25.): <br>
 
«Viele wundern sich darob, dass ich zu dir rede. Ich tue es in der Absicht, um meine Demut zu offenbaren. Gleichwie das Herz über ein krankes Glied seines Leibes nicht froh werden kann, bis es nicht wieder gesund geworden, und wie dann im Herzen größere Freude darüber sich einstellt, so ist dasselbe auch bei mir der Fall. Wie sehr krank, d. i. welch ein Sünder ein Mensch auch sein mag, wenn er nur mit ganzem Herzen und mit ernster, wahrhafter Besserung zu mir wiederum zurückkehrt, so bin ich alsogleich bereit, ihn aufzunehmen. Ich sehe nicht auf die Größe seiner Schuld, sondern auf seine Gesinnung und die Absicht, in welcher er wieder zu mir kommt. Ich werde von allen die Mutter der Barmherzigkeit genannt und ich bin sie in Wahrheit. Die Barmherzigkeit meines Sohnes hat mich dazu gemacht und da ich seine Barmherzigkeit kenne, bin ich voll Mitleiden. Darum ist ein Sünder sehr unglücklich, der zu meiner Barmherzigkeit, obwohl er könnte, nicht seine Zuflucht nimmt. So komme du, meine Tochter, und berge dich unter dem Mantel meiner barmherzigen Demut!»
 
 
'''17.''' Im Leben der seligen Veronica von Binasco ([[Acta Sanctorum]], Januarii tom. II. I. I. c. IX) wird berichtet, dass sie in einem Gesichte von unserem Herrn die Worte vernommen habe: <br>
 
«Wisse meine Tochter, dass Mir Tränen, welche bei Betrachtung meines Leidens geweint werden, sehr wohlgefällig sind. Doch ist Mir bei der unbegreiflich großen Liebe, die Ich zur Königin des Himmels trage, die Mich geboren, eine aufmerksame Betrachtung der Schmerzen, welche sie bei meinem Leiden empfunden, noch wohlgefälliger.»
 
 
'''18.''' Aus der sehr ausführlichen Schilderung des «bitteren Leidens und Todes unseres Herrn und Heilandes», wie sie von der seligen Emmerick uns geboten wird, und die seit einer langen Reihe von Jahren ein Gemeingut der Gläubigen des ganzen Erdkreises zum höchsten Segen für die Seelen geworden ist, soll hier nur eine einzige Tatsache hervorgehoben werden, welche so einfach erzählt ist, dass ihre hohe Bedeutung leicht übersehen werden kann. Sie verbreitet aber bei näherer Würdigung ein so überraschendes Licht über die ganze Stellung und Aufgabe der heiligsten Jungfrau im Werke der Erlösung, dass sie wohl verdient, mit erhöhter Aufmerksamkeit erwogen zu werden: die Tatsache nämlich, dass Maria schon, während der heiligste Erlöser von Pilatus zu Herodes geführt wurde, alle bisher zurückgelegten Stationen des Leidensweges wieder aufgesucht, mit ihren Tränen benetzt und unter erneuerten Schmerzen andächtigst verehrt habe. Diese Meldung steht, wie wir sehen werden, im innigsten Zusammenhang mit allen früheren Äußerungen der seligen Emmerick über das Mitleiden der seligsten Jungfrau aller Nöten, Schmerzen und Peinen, welche ihr göttlicher Sohn von seiner heiligsten Menschwerdung an bis zu seinem Tode für unser Heil auf sich nehmen wollte. Schon in seiner Empfängnis war Maria des klarsten Vorherwissens seines Todes und aller mit ihm verbundenen äußeren und inneren Martern teilhaftig geworden, und diese ihre hellste, lebendigste Erkenntnis war für sie der unversiegbare, immerdar sich erneuernde Quell eines Leidens, das sie ohne die Tröstungen der heiligsten Liebe ihres göttlichen Sohnes nicht zu ertragen vermocht hätte. Dasselbe war so unermesslich, dass es für sich allein, ohne die zahllosen, in jedem Augenblicke ihres ganzen Lebens für sie, als Mutter des Erlösers, sich wiederholenden Leidenseindrücke aus den täglichen Begebnissen und Erlebnissen genügt hätte, um Maria als die Königin der Martyrer zu verehren. Sie fühlte und wusste sich als das nächst ihrem Sohne einzig aus allen Geschöpfen von Gott berufene Werkzeug, als welches sie, in ihrer Würde als Mutter des Sohnes Gottes, zur Vollführung des ewigen Ratschlusses der Erlösung in ganz ausgezeichneter Weise mitzuwirken hatte. Und so wusste sie, dass ihr ganzes Leben nur ein Weg des Leidens in höchster Gleichförmigkeit mit ihrem göttlichen Sohne und in würdigster Verherrlichung der ewigen Liebe und Erbarmung sein könnte, welche im Kreuzestod die überfließende Erlösung bewirken wollte. In ihrer Demut war sie einzig und allein vor allen Geschöpfen Himmels und der Erde würdig und befähigt gewesen, ihrem und Gottes Eingeborenem Sohne bei seinem Eintritte in die Welt die von Ihm gewollte äußerste Armut, Erniedrigung und Entblößung von allen erschaffenen Gütern zu bereiten und sie bis zum letzten Augenblick seines irdischen Wandels, als seine heiligste, sündelose Mutter, auf das Vollkommenste mit Ihm zu teilen. Darum hatte sie von Anbeginn darauf verzichtet, für sich selbst, oder für ihr heiligstes Kind zu irgendwelcher Linderung jener vollständigen Entäußerung und aller ihrer Folgen und Wirkungen von der ihr selber verliehenen übernatürlichen Macht und Gewalt je Gebrauch zu machen, oder die Allmacht ihres Sohnes dafür anzurufen. Obwohl sie ferner die klarste Erkenntnis besaß, dass ihr Sohn auch nach seiner heiligsten Menschheit schon jetzt, da Er noch unter ihrem Herzen ruhte, oder als ein Säugling auf ihren Armen lag und Nahrung und Pflege von ihr begehrte, dieselbe Macht und Stärke, dieselbe Fülle der Weisheit, dieselbe Kraft der Wunder und dieselbe unbeschränkte Gewalt über alle himmlischen und irdischen Geschöpfe als ihr König besaß, wie da, als Er den Stürmen und dem Meere gebot, die bösen Geister austrieb, Kranke heilte, Brote mehrte und Tote erweckte, so machte sie doch nie von ihrem mütterlichen Rechte Gebrauch, Ihn zu bitten, dass Er durch Offenbarung seiner Macht seinen oder ihren Nöten und Trüsalen abhelfen möge. Da sie Ihn noch unter ihrem Herzen trug, war sie mit dem heiligen Joseph von Nazareth nach Bethlehem gewandelt und hatte alle Beschwerden und Nöten dieser mühseligsten Reise gerade so auf sich genommen, als wäre sie die Ärmste ihres Geschlechtes auf Erden, und hatte darum nur das, was das äußerste Bedürfnis erforderte, und auch dieses nur als ein Almosen, als eine Liebesgabe von dem guten Willen der Menschen bittend empfangen und in klagloser Geduld jede Abweisung und Härte hinnehmen wollen.
 
 
Sie hatte gewusst, wo sie ihren Sohn werde zu gebären haben, und dass ihr in Bethlehem keine Türe geöffnet sein werde, vor der sie und der heilige Joseph, demütigst um Herberge bittend, anpochen würden. Und doch verschmähte sie es nicht, als Bittende und Hilfesuchende vor den Türen zu erscheinen. Und auch dem heiligen Joseph wollte sie den Schmerz nicht ersparen, vergeblich seine Bitten in allen Straßen des Städtchens zu wiederholen, bis die äußerste Not sie endlich dazu trieb, die von Ewigkeit her bestimmte Felsengrotte, welche sonst nur zum Einstellen der Herden von den Hirten gebraucht wurde, als den Ort der Geburt des Sohnes Gottes zu beziehen, damit schon jetzt erfüllt werde, dass der Menschensohn nichts sein eigen nenne, wohin Er sein Haupt legen könnte. Und dies war für die seligste Jungfrau der Beweggrund, warum sie trotz ihres bestimmten Vorauswissens der Vergeblichkeit aller ihrer Bitten und Bemühungen doch die ganze Härte und Bitterkeit dieser hilflosen Armut und Entbehrung erdulden und sich in nichts von dem vollkommenen Mit-Leiden der Armut des Sohnes Gottes ausnehmen wollte. In noch viel höherem Grade erneuerten sich alle diese Erlebnisse der bittersten Not und Armut auf der Fluchtreise nach Ägypten, welche die Heilige Familie ohne Vorbereitung und ohne die mindeste Ausrüstung mit dem Notwendigsten anzutreten hatte. Und während des siebenjährigen Aufenthaltes in Ägypten war es nur der Ertrag der Hände Arbeit des heiligen Joseph und der göttlichen Mutter, welchen der Knabe Jesus zu seinem Lebensunterhalt anzunehmen sich würdigte.
 
 
'''19.''' Die heilige Brigitta hatte von Maria die Worte zu vernehmen (Revelationes I. 6. c. 58): <br>
 
«Als ich mein Kind nach Ägypten zu flüchten hatte und als ich die Ermordung der unschuldigen Knäblein erfuhr und wie Herodes beständig darauf sinne, meinem Kinde nachzustellen, war mein Schmerz der bitterste. Wusste ich gleich, was die Propheten von meinem Sohne geweissagt, so war doch mein Herz vor Größe der Liebe zu Ihm mit Schmerz und Traurigkeit erfüllt. Und fragst du, was mein Sohn in der ganzen, seinem Leiden vorangehenden Lebenszeit getan habe, so antworte ich dir: Er war, wie das Evangelium sagt, seinen Eltern untertan und zeigte sich im Äußeren gleich anderen Kindern, bis Er in das reifere Alter eintrat. Indes verlief seine früheste Kindheit nicht ohne Wunder. Die Geschöpfe dienten Ihm, als ihrem Schöpfer. Bei seiner Ankunft in Ägypten mussten die Götzenbilder verstummen und die meisten brachen zusammen. Die Weisen aus dem Morgenlande weissagten von Ihm, dass Er Großes vollbringen werde. Auch die Engel brachten Ihm ihre Huldigung dar. Sein heiligster Leib war so rein, wie ein Sonnenstrahl und nie wurde er verunreinigt. Selbst die Haare seines Hauptes waren nie in Verwirrung. In seinem reiferen Alter war Er in beständigem Gebete. Gehorsam zog Er mit uns zu den Festzeiten nach Jerusalem hinauf und auch an andere Orte. Sein Aussehen und seine Redeweise war so wundersam und von solcher Anmut, dass viele, wenn sie in Trübsal waren, zu einander sagten: <Lasset uns zum Sohne Mariä gehen, von dem wir Trost erhalten können!> »
 
 
« Mit zunehmendem Alter fing Er an, seine Weisheit zu offenbaren, deren Fülle von Anfang in Ihm gewesen. Auch verrichtete Er Händearbeit. Und waren wir allein, so sprach Er zu mir und Joseph Worte des Trostes über göttliche Dinge, so dass wir immer mit unausprechlicher Freude erfüllt wurden. So wir aber in Sorgen, in Dürftigkeit und Nöten uns befanden, da erschuf Er für uns weder Gold, noch Silber, sondern ermahnte uns zur Geduld. Vor Neidern blieben wir wunderbar bewahrt. Das zum Leben Notwendigste kam uns teils durch die Mildtätigkeit frommer Seelen zu, teils durch unsere Händearbeit, so dass wir immer nur so viel hatten, als zum Lebensunterhalt durchaus vonnöten war, nicht aber Überflüssiges. Denn wir hatten kein anderes Verlangen, als nur Gott allein zu dienen.»
 
 
«Später aber sprach Er in vertraulichen Unterredungen mit gutgesinnten Menschen, die in unser Haus kamen, über das Gesetz, dessen Vorzeichen und Vorbilder. Zuweilen besprach Er sich auch öffentlich mit den Schriftgelehrten, so dass manche voll Verwunderung sagten: < Sehet, Josephs Sohn belehrt selbst die Lehrer, ein großer Geist redet aus Ihm>.»
 
 
« Sah Er mich betrübt im Gedanken seines künftigen Leidens, da sprach Er: < Mutter, glaubst du nicht, dass Ich im Vater bin und Er in Mir? Wie kannst du so voll Trauer sein? Es ist des Vaters Wille, dass Ich den Tod erleide und mit dem Vater ist es auch mein Wille. Was Ich vom Vater habe, das ist des Leidens nicht fähig. Das Fleisch aber, das Ich von dir angenommen habe, das wird leiden, auf dass das Fleisch der anderen erlöst und die Seelen gerettet werden.> Er war auch so gehorsam, dass, wenn Joseph etwa sagte: tue dies, tue jenes, Er es augenblicklich tat. Denn so sehr verbarg Er die Macht seiner Gottheit, dass sie nur von mir und auch von Joseph erkannt war, indem Joseph, wie ich, Ihn oftmals von Licht umflossen erblickte und die Stimmen der Engel vernahm, die Ihm lobsangen. Wir sahen auch, wie die unreinen Geister, welche die Gesetzeslehrer nicht austreiben konnten, schon bei seinem Anblicke ausfuhren.»
 
 
'''20.''' Aus dem Zeitraum des verborgenen Lebens der heiligen Familie zu Nazareth berichtet die selige Emmerick: « Maria hat bei den Verfolgungen, welche Jesus schon in seinem ersten Jünglingsalter durch heimliche Tücke der Pharisäer zu leiden hatte, unendlich gelitten. Mir sind solche Schmerzen immer größer erschienen, als wirkliche Martern.»
 
 
Ein besonderes Licht verbreitet über diesen Abschnitt des Lebens Mariä die von der seligen Maria von Agreda (I. 5. n. 772) berichtete, sehr bemerkenswerte Tatsache, dass Jesus sein ganzes äußeres Verhalten gegen Maria und alle Beweise seiner Liebe zu ihr, als seiner Mutter, nicht nach dem wirklichen Maß seiner Liebe und seiner kindlichen Hinneigung zu ihr, sondern nach dem Stand des Verdienens eingerichtet habe, in dem Maria gleich den anderen Erdenpilgern sich befand. Würde Jesus seine Mutter mit solchen Gunst- und Liebesbeweisen überhäuft haben, wie es der Größe seiner kindlichen Liebe zu der Seiner so würdigen Mutter entsprochen hätte, so hätte die ununterbrochene Wonne und Freudigkeit, welche Maria daraus empfunden hätte, sie trotz ihrer größten Heiligkeit, wie gehindert, die gleiche unermessliche Fülle von Verdiensten zu erlangen, welche sie durch ihr Dulden und Leiden, ihr Entsagen und Entbehren gewonnen hat. Daraus erhellt auch die tiefe Bedeutung der einfachen Worte der seligen Emmerick, wenn sie sagt: « Maria war unbeschreiblich einfach. Jesus zeichnete sie nie vor anderen Menschen aus, als dass Er sie würdig behandelte. Sie liess sich auch nur mit Kranken und Unwissenden ein und erschien immer ganz demütig, unbeschreiblich stille und einfach.»
 
 
In voller Übereinstimmung hiermit, beginnt der sehr erleuchtete heilige Gottes Louis Grignion von Montfort seine herrliche Abhandlung von «der wahren Verehrung der heiligsten Jungfrau» mit den Worten (Traite de la vraie Devotion lila Sainte Vierge. Paris 1875): <br>
 
« Maria war während ihres ganzen Lebens sehr verborgen. Ihre Demut war so tief, dass sie auf Erden kein mächtigeres und beständigeres Verlangen hatte, als ungekannt zu sein in ihren eigenen Augen, wie von allen Geschöpfen, um nur von Gott allein gekannt zu werden. Ihre Gott so wohlgefälligen Bitten um Armut und Erniedrigung wurden erhört, und darum blieb sie den Blicken aller Menschen verborgen in ihrer Empfängnis, in ihrer Geburt, in ihrem ganzen Leben und in den Geheimnissen ihrer Auferstehung und Himmelfahrt. Selbst ihre Eltern kannten sie nicht, und die Engel fragten einander oft: <Quae est ista? ... Wer ist jene?> weil der Allerhöchste sie ihnen verbarg. Und wie vieles Er ihnen von ihr auch offenbarte, so war das doch unendlich mehr, was ihnen noch veborgen blieb.»
 
 
« Gott der Vater gab seine Zustimmung dazu, dass Maria während ihres Lebens kein Wunder wirkte, wenigstens keines, das Aufsehen machte, obgleich ihr die Macht dazu verliehen war. Gott der Sohn gab seine Zustimmung, dass Maria nur selten redete, obwohl Er seine Weisheit ihr mitgeteilt hatte. Gott der Heilige Geist willigte ein, dass die Apostel und Evangelisten nur sehr wenig von Maria berichteten und nur so vieles, als nötig war, um den Menschgewordenen zu offenbaren, obgleich sie seine treue Braut war.»
 
 
« Maria ist das ausgezeichnete Meisterstück des Allerhöchsten, dessen Kenntnis und Besitz er sich vorbehalten hat Maria ist die bewunderungswürdigste Mutter des Sohnes, der sein Gefallen hatte, sie während ihres Lebens in Niedrigkeit und Verborgenheit zu erhalten. Um ihre Demut zu begünstigen, gab Er ihr den Namen <Frau-mulier>, gleich als wäre sie Ihm nicht so nahe und so teuer, als sie es war. Denn sein Herz schätzte und liebte sie mehr, als es alle Engel und Menschen liebte.»
 
 
''21.''' Aus der Zeit des öffentlichen Lehramtes Jesu sind es ebenfalls nur wenige, aber sehr bezeichnende Züge, welche vor der seligen Emmerick über das Mit-Leiden Mariä mitgeteilt werden. So heißt es: « Maria bat ihren Sohn, nicht in die schreckliche Wüste zu gehen, damit Er nicht verschmachte» oder « nicht nach Jerusalem zu reisen, weil das Synedrium einer Beschluss wider Ihn gefasst habe». «Maria weinte über die Jesu drohenden Gefahren, weil seine Lehren und Wunder so großes Aufsehen im Lande verursachten.» - Aus Sorge über die steigende Erbitterung der in Kapharnaum versammelter Pharisäer bittet sie, « es möge Jesus nicht länger in Kapharnaun bleiben, sondern lieber auf die andere Seite des Sees sich hinüber begeben.» Das sind nun freilich sehr einfache, aber doch vielsagende Mitteilungen. Denn sie lassen erkennen, wie die seligste Jungfrau trotz ihrer gewissesten Voraussicht des künftigen Leidens und Todes ihres Sohnes doch auch die volle Pein jedes gegenwärtigen Augenblickes in demselben Maß empfunden hat, als groß, ja unermesslich ihre Liebe zu Jesus ihrem Sohne war.
 
 
Das heiligste Mitleiden ihres mütterlichen Herzens wurde bei jedem einzelnen Anlass, jedem Ereignis, bei jedem Widerspruch und jeder Verfolgung, welche die Bosheit seiner Feinde wider ihren Sohn erhob, aufs Tiefste bewegt; und es wäre dieses ihr Mitleiden nicht das der demütigsten, heiligster Mutterliebe gewesen, hätte es nicht wenigstens durch Gebet, Tränen und Danksagungen Linderung und Hilfeleistung ihren Sohne zu bereiten, d. i. der Bosheit und den Anschlägen seiner Feinde entgegen zu wirken und die Schuld des auserwählter Volkes, als dessen Tochter Maria sich fühlte, zu mindern und der Gerechtigkeit und Heiligkeit Gottes einen Ersatz für dieser Undank in der Größe ihrer bittersten Schmerzen zu bieten gesucht. Solange die Passion noch eine zukünftige war, trat sie vor den Leidenseindrücken der Gegenwart wie zurück, so dass diese stets ihre volle Gewalt geltend machen konnten, gleich als stünde der betrübtesten Mutter nicht noch viel Härteres unabwend bar bevor. Wenn sie darum in ihrem zärtlichsten Mitleiden ihren geliebten Sohn gar oftmals bittet, dieser und jener Gefahr oder Verfolgung sich nicht auszusetzen, so sind diese ihre Bitten und Tränen nicht etwa ein Abwenden- oder Aufhaltenwollen der Passion, sondern das Ringen ihrer heiligsten Mutterliebe gegen die Unbilden und Beleidigungen Gottes, gegen den Undank, die Härte und Verstocktheit ihres Volkes, wodurch sie verhindern wollte, dass dies Volk sich gegen die Erbarmungen ihres Sohnes und das Heil verschließe, das Er ihm bereiten wollte.
 
 
'''22.''' Während der ganzen Dauer seines heiligsten Lehrwandels übte Maria eine unausgesetzte Gebets- und Leidens-Mitwirkung. Denn sie erkannte, wie niemand außer ihr, den unendlich kostbaren Wert jedes einzelnen Wortes aus dem Munde der ewigen, Mensch gewordenen Wahrheit. Sie würdigte alle Tritte und Schritte, alle Tropfen Schweißes, jede Ermüdung, Entbehrung und Beschwerde, jeden Augenblick der in Gebet und Tränen durchwachten Nächte, welches alles ihr göttlicher Sohn in höchster Langmut, Liebe und Geduld auf sich nahm, um die Herzen der Menschen für Aufnahme seines Heilswortes empfänglich zu machen und zur Buße und Sinnesänderung zu bereiten.
 
 
Es hatte nach den Mitteilungen der seligen Maria von Agreda (p.II.I. V. A. 917-922) unser Herr bei dem Antritt der öffentlichen Lehrtätigkeit seiner heiligsten Mutter geoffenbart, in welchem Grade sie an seinen Arbeiten und an allem, was Er zu tun und zu vollbringen habe, teilnehmen werde, und wie sie seine Gehilfin auch in der Regierung seiner neuen Kirche werden solle. Darum erfuhr sie von Ihm, welche Liebe und Geduld Er mit seinen künftigen Aposteln und Jüngern zu tragen haben werde, unter denen sogar sein Verräter sich befinden werde. Er gab ihr ferner eine so tiefe und umfassende Erkenntnis aller Geheimnisse seines Erlösungswerkes, der Einsetzung, der Kraft und Heiligkeit der künftigen Sakramente, dass sie hierin die Weisheit selbst der Seraphim und Cherubim übertraf. In dieser Erkenntnis und in der Gewalt ihrer flammenden Liebe begehrte die barmherzigste Mutter mit allen Bitten und Seufzern ihres großen Herzens, dass die Worte und Werke unseres Herrn und Erlösers für keine Seele verloren gehen, dass sie von allen ohne Ausnahme mit gebührender Danksagung aufgenommen werden möchten. Und in dieser Liebe begehrte sie, « dem Herrn zu helfen », oder besser gesagt, den Menschen zu helfen, welche seine göttlichen Worte hörten und Zeugen seiner Werke waren, damit sie das dargebotene Heil nicht zurückweisen. Auch brachte sie ohne Unterlass würdigste Danksagung und Lobpreisung des Herrn für die Wunder dar, die Er zum Heile der Seelen wirkte, damit diesen Erweisen seines unendlichen Erbarmens die gebührende Würdigung und Danksagung zu Teil würde. Und zwar in gleicher Weise allen ohne Ausnahme, ob sie Erfolg hatten, oder ob sie aus Schuld der Menschen ohne Erfolg blieben. Die Verdienste, weIche die heiligste Jungfrau sich hierdurch erwarb, waren ebenso verborgene als wunderbare, denn an allem, was Jesus tat, hatte sie durch die Mitwirkung ihrer Liebe sowohl zu Ihm selbst, wie zu den Seelen, welche seine Wohltaten empfangen sollten, geheimnisvollen Anteil.»
 
 
«So oft' die heiligste Mutter in Abwesenheit ihres göttlichen Sohnes einsam in ihrer Wohnung verweilte, war sie in beständigem Flehen für die Rettung der Seelen; und ihre Bitten waren oft so inbrünstig, dass sie mit blutigen Tränen die Sünden der Menschen beweinte. Unzählig Mal warf sie sich dabei auf die Knie und selbst auf ihr Angesicht nieder. Und hierdurch arbeitete sie in ununterbrochener, innigster Vereinigung mit ihrem heiligsten Sohn mit an dem Werke der Erlösung. Und diese ihre Hilfe und Mitarbeit war vor Gott von solchem Gewicht und solchem Erfolg, dass Er um der Verdienste dieser mildesten Mutter willen, so lange sie auf Erden weilte, der Sünden der Menschen nicht gedenken wollte, durch welche sie verdient hätten, dass ihnen die Predigt und Lehre seines Sohnes wieder entzogen würde. So war sie beständig unsere Mittlerin vor Gott, die uns die Gnade immerdar aufs neue erlangte und verdiente, das Gesetz des Evangeliums aus dem Munde seines Mensch gewordenen Sohnes zu empfangen.»
 
 
'''23.''' « Die Liebe, welche Maria zu ihrem heiligsten Sohne trug, ist der Maßstab, nach welchem wir alle ihre Gefühle und Handlungen sowie auch alle ihre Leiden und jeden Schmerz zu beurteilen haben, den sie aus den verschiedensten Anlässen und Ursachen zu erdulden hatte. Die Größe dieser Liebe aber übersteigt unsere ganze Fassungskraft und auch die der Engel. Denn selbst die Engel vermögen sie nur in dem beseligenden Lichte der Anschauung Gottes zu erkennen. Maria liebte ihren Sohn als den wesensgleichen gleich vollkommenen Sohn des ewigen Vaters. Sie liebte Ihn als ihren eigenen, ihr von Natur aus angehörenden, einzigen Sohn, dessen menschliche Natur aus ihrem Fleisch und Blut gebildet worden. Sie liebte Ihn, weil Er in dieser menschlichen Natur der Heilige der Heiligen und durch seine Verdienste die Ursache aller Heiligkeit war. Er war der Schönste unter den Menschenkindern und der gehorsamste, der hingebendste Sohn seiner Mutter. Er war ihr Ruhm, ihre Ehre und Herrlichkeit, denn durch seine Sohnschaft war sie zur höchsten Würde über alle Kreaturen erhöht und einzig über alle bevorzugt durch die Schätze seiner Gottheit, durch die Verleihung der Herrschaft über alles Erschaffene und durch andere Gunstbezeigungen, Gaben und Gnaden, welche außer ihr keinem anderen Geschöpfe gebühren konnten.»
 
 
« Diese Beweggründe und Antriebe der Liebe waren mit noch vielen anderen, welche nur ihre vollkommenste Weisheit zu durchschauen vermochte, in dem weisesten Herzen der göttlichen Mutter niedergelegt und eingeschlossen. Und ihr Herz setzte ihnen keinerlei Schranke entgegen, denn es war das lauterste und reinste, das dankbarste. das tiefste an Demut, das getreueste im Entsprechen. Sie wirkte jeder Gnade mit in der ganzen Kraft ihres feurigsten Willens, mit größter Behendigkeit, in höchster Eifrigkeit und in lebendigster Vergegenwärtigung aller empfangenen Gaben, aller Beweggründe und Pflichten der Liebe. Sie lebte in der Atmosphäre der göttlichen Liebe selbst, weil in beständiger Gegenwart dessen, der ihre Liebe war, in der Schule des wahren Gottes der Liebe, in der Gesellschaft ihres heiligsten Sohnes, als Augenzeuge aller seiner Werke und Handlungen, welche sie, als ihr Vorbild, vollkommen in sich nachbildete. Und so mangelte der liebendsten Mutter nichts, um zu dem höchsten Grade der Liebe aufzusteigen, d. i. eine Liebe über jedes Maß und über jede Schranke zu besitzen.»
 
 
'''24.''' «So war durch dreißig Jahre Maria, als der schönste Vollmond, der Sonne der Gerechtigkeit von Angesicht zu Angesicht zugewendet, und als die aufsteigende göttliche Morgenröte hatte sie den höchsten Glanz erlangt, war durch die Glut ihrer Liebe zum hellsten Tage der Gnade geworden, hatte, über alle sichtbaren Dinge sich erhebend, die höchste Gleichförmigkeit mit ihrem göttlichen Sohne und die vollkommenste Erwiderung seiner Liebe, seiner Gunst- und Gnadenerweise erreicht. Und nun hatte sie die Stimme des ewigen Vaters zu vernehmen, welcher von ihr dasselbe begehrte, was Er ehedem von dem Patriarchen Abraham verlangt hatte, dass er das Unterpfand seiner Liebe und seine Hoffnung, den geliebten Sohn, Ihm als Opfer darbringen solle.»
 
 
« Es war der weisesten Mutter freilich nicht verborgen, dass die Zeit nahe, der Termin gekommen sei, da ihr süßester Sohn die Schuld der Welt zu bezahlen habe- Aber so lange sie noch im Besitz dieses sie so beseligenden Gutes war, war der Schmerz über dessen Beraubung ein Schmerz über einen erst drohenden, aber noch nicht erlebten Verlust. In einer Entzückung vernahm sie nun die vom Throne der heiligsten Dreieinigkeit ausgehenden Worte: < Maria, meine Tochter und Braut, bringe Mir deinen Eingebornen zum Opfer! > Und im Lichte dieser Worte ward sie inne, es sei der Wille des Allerhöchsten, dass sein von Ewigkeit her gefasster Ratschluss der Erlösung der Menschen durch das Leiden und den Tod ihres heiligsten Sohnes nun zur Ausführung gelange. Es erweckte darüber die liebendste Mutter in ihrem Herzen die mannigfachsten Akte der Ergebung, der Demut, der Liebe Gottes und der Menschen, des Mitleidens, des zärtlichsten Mitgefühls mit allem, was ihr heiligster Sohn zu leiden haben werde. Und sie antwortete dem Allerhöchsten: < Der Sohn, den ich Dir weihen und deiner Verfügung übergeben soll, ist dein Sohn, den Du, Vater der Ewigkeit, vor dem Morgenstern gezeugt hast und ewig zeugen wirst. Und ich habe Ihn auch in meinem Schoß mit dem Gewand eines Knechtes bekleidet, Ihn an meiner Brust genährt, als Mutter Ihn gepflegt, so ist doch diese seine heiligste Menschheit ganz dein Eigentum, ebenso, wie ich selbst es bin. Denn von Dir habe ich alles, was ich bin und was ich Ihm geben konnte. Was könnte ich darum opfern, das nicht Dir viel mehr, als mir selber angehörte? Er ist die Kraft meiner Kraft, die Wesenheit meines Geistes, das Leben meiner Seele und die Seele meines Lebens. Er ist es, der mich erhält, Er ist des Lebens, das ich lebe, einzige Wonne. Doch wäre mir süß das Opfer, hätte ich Ihn nur allein Dir, der seinen Wert Du kennst, darzubringen. Aber mehr als schwer ist für meine Mutterliebe das Opfer, Ihn deiner Gerechtigkeit zu übergeben, damit Er von den Händen der grausamsten Feinde misshandelt und seines über alle erschaffenen Güter unendlich kostbaren Lebens beraubt werde. Doch es geschehe nicht mein Wille, sondern der Deine ! Es empfange der Mensch seine Erlösung und seine Heilung, deine Gerechtigkeit die schuldige Genugtuung, deine unendliche Liebe ihre höchste Offenbarung, dein Name seine höchste Verherrlichung ! Und so übergebe ich Dir meinen Sohn, auf dass Er in Wirklichkeit geopfert werde. Ich opfere Ihn, die Frucht meines Leibes, auf dass Er nach dem ewigen Ratschluss deines Willens die Schuld bezahle, die nicht Er, sondern die Kinder Adams sich zugezogen haben, und damit alles an Ihm erfüllt werde, was die Propheten durch deine Eingebung von Ihm geschrieben und geweissagt haben.»
 
 
'''25.''' « Dieses Opfer der heiligsten Jungfrau war in jeder Hinsicht das größte und dem ewigen Vater wohlgefälligste von allen Opfern, welche seit Anbeginn der Welt dargebracht worden waren und bis zum Ende werden dargebracht werden. Jenes allein ausgenommen, welches ihr eigener Sohn, unser Erlöser, dargebracht hat. Es ist aber mit dem Opfer des Sohnes das Opfer seiner Mutter so innigst verbunden, dass beide als ein und dasselbe Opfer gelten können. Und wenn der höchste Grad der Liebe in der Hingabe des Lebens für den Geliebten sich offenbart, so hat Maria fürwahr diese Linie oder Grenze der Liebe gegen die Menschen um so viel weiter überschritten, als sie mehr das Leben ihres heiligsten Sohnes liebte, denn ihr eigenes. Sie liebte es aber mehr mit einer Liebe, welche keine Grenzen kannte. Denn hätte Maria ihr eigenes Leben so vielmal in den Tod hinzugeben gehabt, um das Leben ihres Sohnes zu erhalten, als Menschen auf Erden leben, so hätte sie eben so vielmal, ja noch öfter den Tod dafür auf sich nehmen wollen. Die Größe ihrer Liebe zu den Menschen steht darum über jedem Vergleiche mit der Liebe der anderen Geschöpfe. Sie lässt sich nur mit der Liebe des ewigen Vaters vergleichen, von der unser Heiland zu Nikodemus sprach: < So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass Er seinen Eingebornen Sohn dahingab, damit alle, die an Ihn glauben, nicht verloren gehen.> (Joh. 3, 16.) Dasselbe hat in gewissem Sinne und beziehungsweise auch die Mutter der Barmherzigkeit getan, weshalb wir in Hinsicht dessen auch ihr unsere Erlösung zu verdanken haben. Denn auch sie hat uns so sehr geliebt, dass sie ihren Eingebornen Sohn zu unserem Heile dahingab. Und hätte sie Ihn in diesem Falle, da der ewige Vater Ihn von ihr begehrte, nicht hingegeben, so hätte das Werk der Erlösung nicht in Gemäßheit jenes Ratschlusses Gottes vollführt werden können, welcher für diese Vollführung auch die zustimmende Mitwirkung der jungfräulichen Mutter mit dem Willen des ewigen Vaters verlangte. So groß also dieses Opfer war, so groß ist die Verbindlichkeit, die wir Adamskinder gegen die heiligste Jungfrau Maria haben.»
 
 
'''26.''' « Es richtete aber auch ihr heiligster Sohn an Maria, als seine wahre Mutter, die Worte: < Die menschliche Natur, die Ich in Wahrheit besitze, habe Ich aus deinem Blute empfangen, aus dem Ich in deinem jungfräulichen Schoß die Knechtsgestalt Mir angenommen habe. Du hast Mich auch gepflegt und mit deiner Arbeit mich ernährt. Darum erkenne Ich Mich als deinen Sohn und als dein Eigentum in höherem Grade, als ein Mensch Sohn und Eigentum seiner Mutter je gewesen ist noch sein wird. Und so kommt es dir zu, auch deine Einwilligung zu geben, dass Ich hingehe, den Willen meines ewigen Vaters zu erfüllen. Die Stunde ist gekommen, dass Ich aus deiner süßen Nähe scheide und mein Leiden beginne, um die Kinder Adams zu erlösen. Du wirst bei diesem Werke meine Gehilfin sein und Teil haben an meinem Kreuz und Leiden, das Ich in der Gestalt des Menschen, die Ich von dir empfangen, zu tragen habe. Als meine wahre Mutter willige darum ein, dass Ich meinen Feinden Mich überliefere und im Gehorsam gegen meinen ewigen Vater das Opfer vollbringe, und in dieser deiner Einwilligung wirke mit Mir das ewige Heil der Welt. Aus deinem jungfräulichen Schoß habe Ich ja die leidensfähige und sterbliche menschliche Natur angenommen, in welcher die Welt erlöst und der göttlichen Gerechtigkeit genuggetan werden soll. Gleichwie du aus freiem Willen deine Zustimmung zu meiner Menschwerdung gegeben hast, so begehre Ich deine Zustimmung auch zu meinem Leiden und zu meinem Kreuzestod. Dieses Opfer, das du in der Hingabe Meiner dem ewigen Vater darbringst, soll das Entgelt dafür sein, dass Er dich zu meiner Mutter gemacht hat. Denn Er hat Mich gesandt, dass Ich mittelst der Leidensfähigkeit meines Fleisches die verlorenen Schafe seines Hauses, die Kinder Adams, wieder zu Ihm zurückführe>.»
 
 
'''27.''' «Da nun Jesus am Ölberge die Todesangst litt, flehte Maria zu Gott dem Vater, Er möge jedwede Tröstung und Linderung von ihr fern halten, welche ihrem Herzen ein Hindernis sein könnte, die ganze Härte und Bitterkeit der Schmerzen ihres heiligsten Sohnes mitzufühlen, und ihr gewähren, dass sie auch leiblicherweise alle Peinen seiner Wunden und Martern mitempfinde. Diese Bitte wurde erhört. Und wiewohl die Peinen dieses Mit-Leidens der ganzen Passion ihres heiligsten Sohnes so übermächtig waren, dass, wenn die Allmacht Gottes nicht auf wunderbare Weise Maria am Leben erhalten hätte, sie gar oft darüber hätte sterben müssen, so waren sie doch, weil von Gott kommend, für Maria zugleich die sichere Bürgschaft der Stärkung und Erhaltung ihres Lebens. Auch ist es gewiss, dass für ihre unbegreiflich große, feurigste Liebe die Pein viel härter gewesen wäre, hätte sie Zeuge des bittersten Leidens und Sterbens ihres Sohnes sein müssen, ohne nach dem Grade ihrer Liebe daran teilnehmen zu dürfen. So fühlte sie in dem Augenblicke, da unser Heiland gefangen genommen und gebunden wurde, in ihren Händen die Schmerzen der Stricke und Ketten gerade so, als würde sie selbst gebunden und gefesselt. Ebenso auch die Schläge und Misshandlungen, die Er zu erdulden hatte.»
 
 
'''28.''' « Es ist auch wohl zu beherzigen, dass in dem alle Geschöpfe mit mütterlicher Liebe umfassenden heiligsten Herzen Mariä, als in dem Sitze der Weisheit, die ganze Fülle des göttlichen Glaubens, der Wissenschaft und Liebe aller Kreaturen niedergelegt und eingeschlossen war, so dass sie allein die vollkommenste Erkenntnis und würdigste Vorstellung davon besaß, was es heißt: Gott leidet und stirbt für seine Geschöpfe. Und so durchschaute sie in ihrer Erleuchtung alle Geheimnisse der Erlösung der Menschen und die ganze Art und Weise, in welcher dieselbe nun vor ihren Augen durch die Blindheit der Menschen, die erlöst werden sollten, vollführt wurde. In würdigster Verherrlichung erwog sie beständig: Wer zu leiden, was Er zu leiden und für wen Er zu leiden hatte. Nächst dem heiligsten Erlöser selber hatte allein seine heiligste Mutter die vollkommenste und hellste Erkenntnis der unendlichen Würde seiner göttlichen Person, seiner beiden Naturen, ihrer Vereinigung und ihrer beiderseitigen Vollkommenheiten. Darum war sie einzig und allein vor allen Geschöpfen befähigt, die Geheimnisse des Leidens und Sterbens ihres Sohnes und wahren Gottes nach Gebühr zu würdigen. Sie erregte auf dem ganzen Leidenswege die höchste Bewunderung der Engel, indem sie sahen, wie ihre Herrin und Königin zugleich mit ihrem Sohne dieselben Peinen und Schmerzen geistlicher und leiblicherweise mitempfand. Und da sie erkannten, wie höchst wohlgefällig der heiligsten Dreieinigkeit dieses Mit-Leiden war, so suchten sie durch Lobpreisung und Verherrlichung ihrer Königin einen Ersatz dafür zu bieten, dass nicht auch sie die Schmerzen mit ihr teilen konnten. Oftmals geschah es, dass die schmerzhafte Mutter ihren heiligsten Sohn nicht mit leiblichen Augen erblicken konnte, aber doch in ihrem jungfräulichen Leibe und in ihrer Seele das Echo seiner Martern empfand, bevor sie eine äußere Kunde davon erhielt. Dann brach sie in Worte aus, wie: <Weh mir ! Welche Marter wird jetzt meinem süßesten Herrn und Gebieter angetan?> Und sogleich trat die klarste Anschauung von allem vor sie, was ihrem göttlichen Sohne geschehen war. So wunderbar war auch die Treue der liebendsten Mutter in Nachahmung des Vorbildes ihres Sohnes, dass sie während der ganzen Passion niemals eine Erquickung sich gönnte. Sie ruhte nie, aß nie und schlief nie. Auch lenkte sie ihre Betrachtung niemals auf etwas sie Tröstendes, nur wenn der Allerhöchste durch göttliche Mitteilung ihr Trost einflößte, nahm sie solchen demütigst und dankbarst in der Absicht an, um neue Stärke zu gewinnen, ihre ganze Aufmerksamkeit mit erhöhtem Eifer auf den Gegenstand ihrer Schmerzen und die Ursache ihrer Martern hinzulenken.»
 
 
«In gleich vollkommener Weise durchschaute sie auch die Bosheit der Juden und Schergen, das Elend und Verderben des ganzen Menschengeschlechtes, sowie den schwärzesten Undank der Menschen, für welche ihr heiligster Sohn litt. All dies erkannte sie aufs klarste und vollkommenste und fühlte es mehr, als alle anderen Kreaturen.»
 
 
'''29.''' « Da Jesus, der Urheber des Lebens, vor Kaiphas' stand, opferte Er seinem ewigen Vater den herrlichen Triumph auf, welchen seine Sanftmut und Demut über die Sünde feierte: Er betete für die Priester, die Schriftgelehrten und die Schergen, die Ihn misshandelten, indem Er seine Geduld und seine Schmerzen für sie aufopferte und ihre Blindheit seinem himmlischen Vater vorstellte. Aber die gleichen Bitten, dieselben Aufopferungen brachte im nämlichen Augenblick auch seine heiligste Mutter Gott dar. Auch sie betete für ihre und ihres heiligsten Sohnes Feinde. Sie wusste von allem, was an und von ihrem Sohne geschah, und tat, was er tat. So war zwischen dem Sohne und der Mutter ein süßestes, wunderbares, den Augen des himmlischen Vaters höchst wohlgefälliges und gegenseitig übereinstimmendes Zusammenwirken. Und da Jesus den Backenstreich erhielt, fühlte im gleichen Augenblick seine heiligste Mutter den Schmerz dieses Schlages, wie sie auch im Herzen alle Schmähungen und Lästerworte vernahm, mit denen unser Heiland überschüttet wurde. Nur der Unterschied fand statt, dass unserem Herrn durch die Hände der Schergen die Misshandlungen und Peinen angetan wurden, während seiner reinsten Mutter auf ihre Bitten die Hand Gottes die Mitempfindung derselben gewährte, welche Hand sie auch stärkte, um ihr Mit-Leiden noch weiter fortzusetzen. Denn in beständiger Anschauung sowohl aller innerlichen Handlungen, wie der äußeren Leiden ihres heiligsten Sohnes betete sie mit Ihm für seine Feinde, segnete sie mit Ihm die Gerechten und Auserwählten, und gab sich ihnen als Mutter, Mittlerin und Beschützerin hin, indem sie in aller Namen Lob- und Dank-Gebete besonders dafür verrichtete, dass der Herr die vor der Welt Geringen und Verachteten in seinen Augen so hoch stellte. Dabei erweckte sie immer aufs neue mit höchstem Eifer ihre freieste EntSchließung, alle Mühsale, Verachtungen, Ängsten und Peinen mitzuerdulden, welche während der übrigen Zeit der Passion Ihm noch bevorstanden.»
 
 
'''30.''' «Da Jesus im Gerichtshaus des Kaiphas' eingekerkert wurde und die heiligste Jungfrau der neuen Art von Grausamkeit, mit der die Schergen das unschuldige Lamm banden, sowie der peinvollen und schmerzlichen Lage seines heiligsten Leibes inne wurde, da empfand auch sie denselben Schmerz und alle Faustschläge, Backenstreiche und Beschimpfungen, mit weIchen der Urheber des Lebens überhäuft wurde. Alle Leiden des Heilandes riefen ein wunderbares Echo im jungfräulichen Leibe der reinsten Taube hervor. Ja es war ein und derselbe Schmerz, der den Sohn und die Mutter verwundete, nur mit dem Unterschiede, dass Jesus Christus als Gottmensch und einziger Erlöser der Menschen, Maria aber als blosses Geschöpf und Gehilfin ihres heiligsten Sohnes gelitten hat.»
 
 
«Unvergleichlich war aber ihre Geduld, denn niemals erschien es ihr als zu viel, was sie zu leiden hatte, und nie kam die Waagschale ihrer Leiden der ihrer Liebe gleich. Denn alles bemaß sie nach der Liebe und der Würde ihres heiligsten Sohnes und nach seinen Leiden. So dachte sie nie daran, dass sie zu leiden hatte, sondern sie betrachtete und beweinte das, was sie zu leiden hatte, als Unbilden welche der allerheiligsten Gottheit ihres Sohnes zugefügt wurden und die als solche seinen Peinigern zu ewigem Verderben gereichten. Darum betete und flehte sie für diese, dass Gott ihnen verzeihen und sie erleuchten wolle, um der Frucht der Erlösung teilhaftig zu werden.»
 
 
'''31.''' «Als Jesus an die Geisselungssäule geführt wurde, zog sich die heiligste Jungfrau mit den sie begleitenden heiligen Frauen und Johannes in einen Winkel der diesen Ort umgebenden Hallen zurück, wo sie nicht mit den leiblichen Augen, sondern im Lichte des Schauens Zeuge aller Geisselstreiche und Martern war, welche unser Erlöser erduldete. Diese ihre Anschauung war eine viel deutlichere, als wenn sie alles in der nächsten Nähe mitangesehen hätte. Kein Verstand vermag aber zu fassen, von welcher Art und Größe die Peinen waren, welche Maria dabei gelitten. Sie werden mit den anderen Geheimnissen ihres Leidens erst in der Anschauung Gottes den Auserwählten offenbar sein. Auch hier bei der Geißelung empfand sie leiblicherweise alle Geißelstreiche, durch welche der heiligste Leib ihres Sohnes so grausam zerfleischt wurde. Und wenn sie auch die Wunden selber nicht mitempfing und nur jenes Blut dabei vergoss, das mit ihren Tränen sich mischte, so waren doch vor Heftigkeit der Schmerzen ihre Züge so verändert, dass Johannes und die heiligen Frauen ihr Antlitz kaum erkannten. Größer noch als die leiblichen Schmerzen war die Bitterkeit, die ihr liebendstes, heiligstes Herz erfüllte. Denn so flammend wie die Liebe zu ihrem Sohne, so klar und durchdringend war auch ihre Erkenntnis seiner Unschuld, Heiligkeit und der Würde seiner göttlichen Person, und demgemäß der Größe der Unbilden, die Er von den ungläubigen Juden und überhaupt von den Kindern Adams zu erleiden hatte, die Er doch vom ewigen Tode erlösen wollte.»
 
 
'''32.''' Blicken wir nun im Lichte der aus der «Mystischen Stadt Gottes» ausgehobenen Stellen auf die in Nr. 15 angeführte Mitteilung der seligen Emmerick zurück, so vermögen wir leicht die innigste Übereinstimmung bei der Begnadigten sowohl, als auch die umfassende Bedeutung jenes Gebetes der seligsten Jungfrau zu würdigen. Maria erscheint während der ganzen Passion ihres göttlichen Sohnes in voller Wirklichkeit als das herrliche Urbild der heiligen Kirche. Sie allein ist jetzt die ganze Kirche und zwar die heilige, unbefleckte Kirche, die Kirche ohne Makel und ohne Runzel, ohne jegliche Fehl. Sie allein vertritt jetzt die ganze Gemeinschaft aller Auserwählten, der Gerechten, der Glaubenden aller Zeiten, von dem gerechten Abel herab bis zum Ende der Welt, an deren aller Stelle, in deren aller Namen, zu deren aller Gunsten und Heil sie nach den heiligsten Absichten Gottes in wunderbarster Vereinigung mit dem Erlöser der Welt und auf die Gott wohlgefälligste, verdienstlichste Weise handelt, leidet, anbetet, bekennt, dankt und fleht. Nur sie allein trägt nun in sich und übt die unversehrte Reinheit und Fülle des göttlichen Glaubens, der Hoffnung und Liebe, indem sie allein vor Gott und den Menschen, als die Königin der Patriarchen und Propheten, der Apostel und Martyrer und der Bekenner und Jungfrauen Jesus, Gottes und ihren Eingebornen Sohn, als das Heil der Welt bekennt, jetzt, da Er so ohnmächtig und hilflos der Gewalt seiner Feinde sich überliefert und gleich einem Missetäter zum schimpflichsten Tode verurteilt wird. Während die Säulen der Kirche wanken und Apostel und Jünger sich flüchten und verbergen, ist sie die Erste und Einzige, welche dem in den Tod für uns gehenden Herrn und Erlöser die schuldige Ehre gibt, welche Ihm in höchster Treue und Gleichförmigkeit bis in die äußerste Verlassenheit und alle Peinen seines bittersten Todes nachfolgt, welche Ihm durch würdigste Anbetung, Lobpreisung, Verherrlichung und Danksagung Ersatz für alle Unbilden, Schmähungen und Martern leistet, die von den Menschen Ihm bereitet werden. Und als die wahre, geistliche Lade des neuen Bundes ist nun sie es allein, welche alles Heil, alle Wahrheit und Gnade, die ganze Frucht und Wirkung des anbetungswürdigsten Blutes in demselben Augenblick für die Kirche in sich empfängt und bewahrt, in welchem es vom Sohne Gottes für uns vergossen wird. Es ist kein zweites geistliches Gefäß, keine andere Seele vorhanden, um diese Frucht jetzt, da sie vom Baum des Kreuzes herab der ganzen Menschheit dargereicht wird, so würdig, so dankbar zu empfangen, so vollkommen in sich aufzunehmen, so sicher zu bewahren, als wie «die heiligste unbefleckte Jungfrau und Mutter, welche gebührend zu lobpreisen, der Kirche Gottes die Worte mangeln, da sie den in ihrem Schoß getragen, dessen Größe und Herrlichkeit die Himmel nicht zu fassen vermögen.» Als der erste Bund geschlossen wurde (Ex. 24 6-8), war die alte Kirche in ihrer Gesamtheit gegenwärtig, gelobte Gott Treue und Gehorsam und wurde durch Moses mit dem vorbildlichen Blut der Opfertiere besprengt. Bei Schließung des neuen Bundes aber im Blut des Lammes Gottes steht Maria, als die neue Kirche, als die zweite Eva und als die wahre Mutter des neuen und ewigen Lebens am Fuß des Kreuzes, um das Testament des sterbenden Erlösers im Namen aller und für alle zu empfangen und die Früchte seines kostbarsten Blutes für alle zu sammeln und zu retten. Auf dem ganzen Passionswege hat sie Treue und Gehorsam im Namen aller nicht bloß mit Worten und Beteuerungen gelobt, sondern durch die Tat in vollkommenster, Gottes würdigster Weise geübt und bewährt. Und so durchwandelt sie nun, während ihr heiligster Sohn im Hof des Hauses von Herodes verspottet wird, anbetend, lobpreisend, dankend und die Blindheit, Härte und Verstocktheit des Volkes sühnend, jene Pfade von Jerusalem, die Er mit seinem kostbarsten Blut benetzt hat. Alle durch dasselbe geheiligten Stellen verehrt sie, alle Misshandlungen, die Er daselbst erlitten, beweint sie mit bittersten Tränen und auf den Knien und mit zur Erde niedergebeugtem Angesicht betet sie an den Preis unserer Erlösung in eigenem Namen, wie im Namen aller, die jetzt in der Treue und im Glauben wanken, um Ersatz für ihre Schwäche zu leisten und ihnen neue Kraft und Stärke zu erflehen.
 
 
'''33.''' «Auch, als die heiligste Mutter mitansah, wie ihr gebenedeiter Sohn von Pilatus dem Volk mit den Worten< Ecce homo> vorgestellt wurde, warf sie sich, wie die seI. Maria von Agreda erzählt, auf die Knie nieder, betete Ihn an und bekannte Ihn als den wahren menschgewordenen Gott. Das gleiche taten Johannes, die heiligen Frauen und alle Engel, welche ihre große Königin umgaben. Zu Gott dem himmlischen Vater aber und zu ihrem liebevollsten Sohne flehte sie mit solcher Innigkeit, in solchem Schmerz und Mitgefühl, in so tiefer Ehrfurcht, wie nur ihr liebeentflammtes, reinstes Herz dessen fähig war. Sie erwog in ihrer höchsten Weisheit, dass gerade jetzt in diesem Augenblicke, da ihr heiligster Sohn so beschimpft, verspottet, verachtet und zerfleischt vor den Juden stand, es erfordert werde, den Glauben an seine Unschuld zu erhalten. Darum erneuerte sie ihre Bitten für Pilatus, auf dass er fortfahre, in seiner Eigenschaft als Richter vor der ganzen Welt zu erklären, dass Jesus, unser Heiland, weder eines Vergehens, noch des Todes schuldig sei, wie die Juden dies behaupteten.»
 
 
'''34.''' «Da Jesus sein heiliges Kreuz umarmte, erkannte seine heiligste Mutter in ihrer erhabensten Erleuchtung die unendliche Kraft und Würdigkeit, welche dem Holze des Kreuzes in demselben Augenblick sich mitteilte, da es der Berührung der mit der Gottheit vereinigten Menschheit unseres Erlösers gewürdigt wurde. Darum brachte sie dem heiligen Kreuze die ihm gebührende Verehrung dar und begrüßte, als die Gehilfin des Erlösers, dasselbe mit ähnlicher zärtlichster Ansprache, wie ihr heiligster Sohn es begrüßte.»
 
 
«Als sie die Stimme des Ausrufers vernahm, welcher den Urteilsspruch in den Straßen verkündete, verherrlichte sie mit Lobpreisungen die sündelose Unschuld ihres allerheiligsten Sohnes und Gottes und setzte ihre erhabensten Lob-, Preis- und Dankgebete den Schmähungen entgegen, welche in dem Urteilsspruch enthalten waren; und in Wechselchören stimmten die Engel in diese Lobpreisungen mit ein. Die Bewohner Jerusalems überhäuften ihren Schöpfer und Erlöser mit Lästerworten.»
 
 
'''35.''' «Auf der Höhe des Kalvarienberges angekommen, war nun die betrübteste Mutter dem Leibe nach in nächster Nähe ihres Sohnes. Ihr Geist aber war vor Mit-Leiden wie außer sich. Denn hier wurde sie ihrem geliebtesten Sohn und seinem Leiden nun völlig gleich gestaltet. Mit ihr waren Johannes und die heiligen Frauen, welchen sie die Gnade erflehet hatte, dem Erlöser und seinem Kreuze unmittelbar nahe zu sein.»
 
 
«Während die Schergen den Herrn zur Kreuzigung entkleideten, da betete sie zum himmlischen Vater: < Mein Herr, ewiger Gott, Du bist der Vater dieses deines Eingeborenen Sohnes, weIcher als wahrer Gott von Dir, dem wahren Gotte, von Ewigkeit gezeugt, in der Zeit aber aus meinem Schoß geboren ist, wo ich Ihm die menschliche Natur gegeben habe, in welcher Er nun leidet. An meinem Herzen habe ich Ihn ernährt und gepflegt, als wahre Mutter Ihn geliebt, den besten Sohn, der je von einer Mutter geboren werden konnte. Als seine wahre Mutter habe ich ein natürliches Recht auf die heiligste Menschheit in seiner Person. Und niemals entzieht deine Vorsehung dieses Recht demjenigen, der es besitzt und dem es zusteht. Darum entsage ich in dieser Stunde von neuem meinem Rechte als Mutter und lege es in deine Hände, auf dass dein und mein Sohn geopfert werde zur Erlösung des menschlichen Geschlechtes. Du aber, mein Herr und Gott, nimm wohlgefällig das Opfer an, das ich jetzt Dir darbringe. Ein gleich großes vermöchte ich Dir nicht darzubringen, auch wenn ich mich selber in Leiden und Tod Dir opferte. Und zwar nicht aus dem Grunde allein, weil mein Sohn wahrer Gott und gleichen Wesens mit Dir ist, sondern auch in Hinsicht der Größe meines Schmerzes und meiner Pein. Denn dürfte ich statt Seiner sterben und bliebe dadurch sein allerheiligstes Leben erhalten, so wäre dies für mich ein großer Trost und die Erfüllung meiner Wünsche.> Dieses Gebet der großen Königin nahm der ewige Vater mit höchstem Wohlgefallen auf, und so wirkte auch sie mit dem Willen des Vaters mit in der Opferung seines Eingeborenen.»
 
 
'''36.''' «Außer den letzten sieben Worten des sterbenden Erlösers haben uns die heiligen Evangelisten keine weiteren gemeldet, so dass alles andere, was wir sonst noch über seinen bittersten Tod betrachten, nur Folgerungen sind, die wir aus den Grundsätzen unseres untrüglichen Glaubens für uns ableiten. Indes ist mit anderen Geheimnissen aus dem Leiden unseres Herrn auch ein Gebet mitgeteilt worden, welches Er innerlich an seinen himmlischen Vater richtete, noch bevor Er die in den hl. Evangelien erwähnten sieben Worte aussprach. Ich sage «Gebet», obwohl der Inhalt und die Bedeutung der innerlich zu seinem himmlischen Vater gesprochenen Worte mehr als seine letzte förmliche Willenserklärung oder als seine letztwillige Verfügung, denn als ein Gebet erscheint, indem Er darin, ähnlich einem wahren und einsichtsvollen Familienvater, über all sein Gut zum Besten der ganzen Menschheit verfügte. Es ist eine Forderung selbst der natürlichen Vernunft, dass das Haupt einer Familie, als der rechtmäßige Eigentümer eines größeren oder geringeren Besitzes, sofern er seinen Pflichten genügen will, vor dem Hinscheiden seine bestimmte Willenserklärung darüber abgebe, wie es künftig mit seinem Eigentum gehalten werden und welchen Erben es zufallen solle, damit diese in den friedlichen Besitz der Hinterlassenschaft eintreten können. Eine ähnliche Verfügung nun wollte unser heiligster Erlöser am Kreuze über die geistlichen Schätze und Gnadengaben treffen, welche Er während seines ganzen irdischen Wandels durch seine Verdienste für die Menschen erworben hatte. Sonach testierte Er, wer der rechtmäßige Erbe sein, und wer von der Erbschaft ausgeschlossen bleiben solle. Und diese seine letzte Verfügung legte Er seinem ewigen Vater als dem höchsten Herrn und gerechtesten Schiedsrichter vor. Dieses Testament blieb versiegelt und den Menschen geheim. Nur allein der jungfräulichen Mutter wurde es offenbar. Sie musste Kenntnis davon haben, denn sie war als Universalerbe und als die Eigentümerin seines ganzen Besitztumes eingesetzt, über welches der heiligste Erlöser in diesem Testament verfügte. Überdies stand ihr, als der Gehilfin beim Werk der Erlösung, auch die Testaments-Vollstreckung zu, denn gleichwie der ewige Vater alles in die Hände seines Sohnes übergeben hatte, so legte der Sohn alles in die Hände seiner Mutter. So hatte sie auch seinen letzten Willen zu vollziehen und demgemäß alle Güter ihres Sohnes zu verteilen, die von Ihm erworbenen, wie die Ihm kraft seiner Wesenheit zukommenden.»
 
 
«Die Kenntnis dieser verborgenen, aber wahrhaftigen Tatsache ist mir aus der Absicht verliehen worden, damit durch sie die erhabenste Würde der heiligsten Jungfrau und Mutter für alle um so einleuchtender und das Vertrauen um so kräftiger werde, zu ihr unsere Zuflucht zu nehmen, zu ihr, der alle Schätze des Sohnes Gottes unseres Erlösers übergeben und anvertraut sind, so dass wir nur aus ihren mildesten, freigebigsten Händen allen Schutz, alle Hilfen und Gaben erlangen können.»
 
 
'''37.''' «Seine letzte Verfügung zu Gunsten seiner geliebtesten Mutter drückte der heiligste Erlöser in den Worten aus: < Nun, o ewiger Vater, treffe Ich in deinem und in meinem Namen zu deiner größeren Ehre meine letzte menschliche Willensmeinung in voller Übereinstimmung mit deinem ewigen und göttlichen Willen. Ich will, dass in erster Reihe meine reinste Mutter, welche Mir die menschliche Natur gegeben hat, genannt sei. Darum setze Ich sie als meine einzige Erbin und als die Universalerbin aller Güter der Natur, der Gnade und der Glorie ein, die mein Eigentum sind, auf dass sie als Herrin das volle Eigentumsrecht über alle besitze. Alle Güter der Gnade verleihe Ich ihr nach ihrer vollen Wirkung und Bedeutung, soweit sie als bloße Kreatur dieselben in sich aufzunehmen vermag. Die Güter der Glorie aber sichere Ich ihr zu für ihre Zeit. Ich will, dass die Engel und die Menschen ihr angehören, dass sie über alle die volle Gewalt und Herrschaft besitze, dass alle ihr gehorchen und dienen, dass die bösen Geister sie fürchten und ihr unterworfen seien, dass in gleicher Weise ihr unterworfen seien alle vernunftlosen Geschöpfe, die Himmelskreis, die Gestirne, die Planeten, die Elemente und alle lebenden Wesen, Vögel, Fische und Tiere der Erde. Über alle Geschöpfe setze Ich sie als Herrin ein, auf dass mit Mir sie von ihnen allen geehrt und verherrlicht werde. In gleicher Weise will Ich, dass sie die Schatzmeisterin und Ausspenderin aller Güter sei, die im Umkreise der Himmel und der Erde eingeschlossen sind. Was sie betreffs meiner Kinder, der Menschen, in der Kirche anordnen und verfügen wird, das wird im Himmel von der heiligsten Dreifaltigkeit bestätigt werden, und alles, um was sie für die Menschen bitten wird, jetzt und künftig und zu allen Zeiten, das werden Wir gewähren nach ihrem Willen und ihrer Verfügung.»
 
 
''38.''' «Als die Mutter des Heilandes und als die Teilnehmerin an allen seinen Leiden hatte die seligste Jungfrau von allen seinen Worten und Handlungen die klarste Erkenntnis. Und gleichwie sie auf dem ganzen Passionsweg alle Pein und Marter ihres Sohnes mit-gelitten und mit-empfunden hatte, so ging sie nun mit Ihm auch in jene Schmerzen und Qualen ein, welche Er im Augenblick seines Todes erduldete. Wohl starb sie nicht in Wirklichkeit mit Ihm. Allein natürlicherweise hätte sie nicht am Leben bleiben können. Der Tod hätte auch für sie erfolgen müssen, da ihr letzter Schmerz alle bisher erduldeten Peinen an Gewalt und Heftigkeit weit übertraf. Ja alle Schmerzen, welche die heiligen Martyrer und alle seit Anbeginn der Welt dem Tod überlieferten Menschen gelitten haben, kommen jenen Schmerzen bei weitem nicht gleich, welche die heiligste Mutter bei der Passion gelitten und erduldet hat. In demselben Augenblick, da auch für die betrübteste Mutter der Tod hätte eintreten müssen, geschah es durch ein Wunder, dass Gott sie am Leben erhielt. Und dieses Wunder war das erstaunlichste von allen, durch welche sie während des ganzen Passionsweges von Gott gestärkt worden war.»
 
 
«Die große Herrin verblieb bis zum Abend am Fuß des Kreuzes, da der heiligste Leib in das Grab gelegt wurde. Zur besonderen Belohnung dieses letzten Schmerzens wurde die reinste Mutter in dem Wenigen, was ihr jungfräulicher Leib von der irdischen Natur noch an sich trug, ganz vergeistigt.»
 
 
'''39.''' Die Mitteilung der gottseligen Anna Katharina Emmerick, dass der auferstandene Heiland zuerst seiner heiligsten Mutter erschienen sei, wird gleichmäßig von der heiligen Brigitta und der seligen Maria von Agreda bestätigt. Die erstere hatte von ihrem Engel die Eröffnung empfangen (Sermo angelicus cap. 19):
 
 
«Als nach Vollendung der Passion Christi, ihres Sohnes, die heiligste Jungfrau ihre Kräfte wiedergewonnen hatte, da verherrlichte sie Ihn auf die Gott wohlgefälligste Weise. Denn sie gewann nach dem Kreuzestod durch ihre heilbringenden Worte Gott mehr Seelen, als jede andere Persönlichkeit mit allen ihren Werken. Sie war es allein welche Ihn standhaft als wahren, nach seiner Gottheit ewig unsterblichen Sohn Gottes bekannte, während so viele nach dem Tode seiner Menschheit über Ihn ganz in Verwirrung und Zweifel gerieten. Da nämlich am dritten Tage die Jünger an seine Auferstehung nicht glauben wollten, und die Frauen voll Angst seinen Leib im Grabe suchten und selbst die Apostel vor übergroßer Herzensangst und Furcht sich eingeschlossen hielten, da hat, wie unbezweifelt zu glauben ist, wenngleich die Heilige Schrift kein Wort von Maria aus jenen Tagen uns aufbehalten hat, die jungfräuliche Mutter ihnen allen bezeugt, dass der Sohn Gottes im Fleisch zur ewigen Herrlichkeit auferstanden sei und dass der Tod zukünftig nimmermehr über Ihn herrschen könne. Und sagt auch die Heilige Schrift, dass Madgalena und die Apostel Christi Auferstehung zuerst gesehen haben, so ist doch unbezweifelt zu glauben, dass seine würdigste Mutter früher, als die anderen, gewisse Kenntnis davon gehabt, dass sie zuerst den Erstandenen gesehen habe, und dass Er das Frohlocken ihres demütigsten Herzens zuerst von ihr angenommen habe.»
 
 
Auch aus dem Munde der seligsten Jungfrau selber vernahm die heilige Brigitta (Revelationes I. 6. c. 94): <br>
 
«Da nach dem Tod meines Sohnes mein Herz in unbegreiflich schmerzvoller Trauer war, da erschien Er mir allein zuerst vor allen anderen, zeigte mir seine heiligste Leiblichkeit, tröstete mich und erwähnte, dass Er sichtbar zum Himmel aufsteigen werde. Wenn ich gleich in Demut nicht wollte, dass dieses aufgeschrieben werde, so ist es doch eine gewisse Wahrheit, dass mir zuerst vor allen anderen mein vom Tod erstandener Sohn erschienen ist.»
 
 
'''40.''' Über den Anteil seiner heiligsten Mutter an dem Werke der Erlösung richtete Jesus Christus eines Tages an die heilige Brigitta folgende Worte (I. c. Extravagantes c. 3):<br>
 
«Die ganze Menschheit ist gleich einer Stadt, welche von vier Seiten her vom bösen Feinde belagert wird. Denn durch vierfache Sündhaftigkeit bekommt er den Menschen in seine Gewalt: durch den Ungehorsam gegen das göttliche Gebot, durch die Übertretung des natürlichen Gesetzes, durch die verderbliche Begierlichkeit und durch die Verhärtung des Herzens. Meine heiligste Mutter aber hat die Menschheit von dieser vierfachen Gefahr befreit, indem sie ihren Willen ganz und gar in meine Hände gab und bereitwilligst jegliche Trübsal erduldete, damit die Seelen erlöst würden. Denn das ist die wahre himmlische Weisheit, sein ganzes Wollen und Können an Gott zu übergeben und selbst der Trübsale um Gotteswillen sich zu erfreuen. Wegen dieser Gleichförmigkeit ihres Willens mit dem göttlichen bin Ich, Gott von Ewigkeit und Gottes Sohn, in der Jungfrau Mensch geworden, deren Herz wie Eines mit dem meinigen gewesen ist. Und darum kann Ich in Wahrheit sagen: meine Mutter und Ich haben wie mit Einem Herzen die Menschheit erlöst. Ich durch Leiden im Herzen und im Fleisch, sie aber durch den Schmerz und die Liebe ihres Herzens.» Die heiligste Jungfrau aber sprach zu Brigitta:« Keine Zunge vermöchte es auszusprechen, welche Betrübnis mein Herz erfüllte, als mein Sohn vom Kreuze abgenommen und zum Grabe getragen wurde. Ich war gleich einer Gebärenden, deren Glieder vor Schmerzen zittern, und die, obwohl vor Wehe kaum fähig zu atmen, sich dennoch freut, dass ein Kind geboren ist, das ein gleiches Wehe ihr nicht mehr bereiten wird. So mischte sich auch in meine bitterste Betrübnis über den Tod meines Sohnes die Freude, zu wissen, dass Er nicht mehr sterben, sondern ewig leben werde. In Wahrheit aber kann ich sagen, dass, als mein Sohn im Grabe ruhte, dieses Grab zwei Herzen in sich schloss. Denn heißt es nicht: wo dein Schatz, da ist dein Herz? So weilte im Grabe meines Sohnes mein ganzes Denken und mein ganzes Herz.»
 
 
«Ich empfand auch sehr schmerzvolles Mitleiden mit den Aposteln und den anderen Freunden Gottes, da ich sie in größter Betrübnis erblickte und ihr Schmerz der meinige war. Ich war in stetem Mitleid und in Furcht für sie, dass sie den Anfechtungen und Trübsalen nicht erliegen möchten. Die Passion meines Sohnes aber blieb so lebendig und so tief in meinem Herzen, dass bei allem, was ich tat, sie immerdar wie neu vor meinen Augen stand.»
 
 
'''41.''' Nach den Mitteilungen der gottseligen Anna Katharina hat die heiligste Jungfrau noch fünfzehn Jahre nach der Himmelfahrt ihres göttlichen Sohnes auf Erden verweilt, um als die Mutter und Lehrmeisterin der Apostel und Gläubigen den Weinberg der Kirche zu bestellen und in seinen Schoß aus dem ihr zur Bewahrung und Verteilung von dem heiligsten Erlöser anvertrauten Schatz seiner unendlichen Verdienste und seines kostbarsten Blutes die mannigfachsten Keime des neuen Lebens einzusenken, welche unter ihrer schützenden Obhut und segnenden Mitwirkung schon jetzt, oder in naher und ferner Zukunft, je nach den Bedürfnissen der Christenheit, sich entfalten und Gestalt gewinnen sollten. Dazu hatte sie von ihrem Sohne nach seiner glorreichen Auferstehung in förmlicher Weise Auftrag und Machtfülle empfangen, indem Er sie seinen Aposteln und in ihnen der ganzen Kirche als Mutter, als Mittelpunkt, als Beschützerin und Mittlerin feierlichst vorsetzte. Demgemäß erwies sich die heiligste Jungfrau schon vor der Sendung des Heiligen Geistes, und mehr noch nach dessen Herabkunft, durch die Zuwendung ihrer Erleuchtungen, ihrer Ratschläge und Weisungen, ihrer Tröstungen und Hilfeleistungen, ihres mächtigsten Schutzes und barmherzigsten Beistandes in voller Wahrheit und Wirklichkeit als die Mutter der Kirche. Und es gewannen die Erstlinge derselben aus hundertfachen Erlebnissen und Tatsachen die höchste und tröstlichste Gewissheit, dass ihre erhabenste Mutter und Königin in dieser ihrer Würde auch alle Rechte, alle Macht und Stärke, alle Weisheit und Güte, Liebe und Barmherzigkeit einer um ihrer Aller Heil zärtlichst besorgten Mutter besitze, bei der sie in jedem Anliegen und in jeder Not die sicherste Erhörung und Hilfe finden könnten.
 
 
Je mehr aber die Gaben des Heiligen Geistes in den Aposteln, Jüngern und ersten Gläubigen ihre Wirkungen offenbarten, in einem um so höheren Lichte musste ihnen die heiligste Jungfrau erscheinen. Um so befähigter mussten sie werden, die unaussprechliche Segensfülle ihrer heiligsten Gegenwart und des lebendigen Verkehres mit ihr in sich aufzunehmen und ihren Glauben, ihre Liebe und Verehrung zu Maria in unvergänglicher, lebendiger Überlieferung auf alle kommenden Zeitalter zu vererben.
 
 
Gleichwie die Vorläufer der Apostel, die Propheten des alten Bundes, vom Heiligen Geiste erleuchtet von Maria weissagten, und wie auf seine Eingebung die alte Kirche in der Arche Noes, in der Leiter Jakobs, im brennenden Dornbusch, in dem unüberwindlichen Turme, in dem verschlossenen Garten, in der Stadt Gottes auf dem Berge, in der Heiligkeit des von der Herrlichkeit Gottes erfüllten Tempels die geheimnisvollen Vorzeichen und Sinnbilder der von den Patriarchen ersehnten Jungfrau erblickte, so war es nun eine der vorzüglichsten Wirkungen des in sichtbaren Feuerzungen den Aposteln sich mitteilenden Heiligen Geistes, dass sie unter der Hülle der unbegreiflichen Demut und Herablassung der in ihrer Mitte weilenden heiligsten Gottesgebärerin die glorreichste Erfüllung der Weissagungen und Vorbilder erkannten, unter welchen sie so viele Jahrhunderte lang von allen Erleuchteten der alten Kirche verehrt und ersehnt worden war. Wer könnte auch mit Grund bestreiten, dass in der Verheißung ihres göttlichen Meisters, der Heilige Geist, den Er senden werde, werde sie in alle Wahrheit einführen, nächst den Geheimnissen, die Ihn selbst, sein heiligstes Erlösungswerk und dessen unvergängliche Früchte und Wirkungen betrafen, seine heiligste Mutter vornehmlich mitinbegriffen war, da für deren tiefe Erkenntnis und Würdigung die Apostel und die ganze Kirche der Erleuchtung und des Beistandes des Heiligen Geistes ebenso bedurften, wie für die anderen Artikel des katholischen Glaubens? Es ist ja die heiligste Jungfrau und Gottesgebärerin nach ihrer Gnadenfülle, ihrer Würde, ihrer Bedeutung und für das Heil der ganzen Welt und jedes einzelnen Menschen, für die Erneuerung der Chöre der Engel, wie für die Tröstung und Erleichterung der Seelen im Reinigungsorte ein Mysterium, das kein erschaffener Geist zu fassen vermag. Und war auch die erste Kirche der persönlichen Gegenwart der heiligsten Jungfrau und des persönlichen Verkehres mit ihr gewürdigt, so bedurfte sie doch desselben übernatürlichen, vom Heiligen Geiste ausgehenden Lichtes des göttlichen Glaubens, um zur wahren Erkenntnis von ihr zu gelangen, dessen auch die Apostel bedurft hatten, um den in ihrer Mitte weilenden und mit ihnen so demütig verkehrenden Herrn und Meister als den Sohn des lebendigen Gottes zu bekennen. Und wenn es ferner eine unbestreitbare Wahrheit des Glaubens ist, dass der eine und selbe Heilige Geist die Patriarchen und Propheten, wie die Apostel und Jünger erfüllte und belebte, so müssen die Apostel, da sie in weit höherem Grade seiner Gaben und Wirkungen am Pfingstfeste teilhaft wurden, alle Worte und Geheimnisse, alle Weissagungen, Bilder und Vorzeichen, mit einem Wort, alles, was vorbildlich in der alten Kirche vom Heiligen Geiste in Wort oder Zeichen durch seine Werkzeuge und Organe verkündet worden war, unvergleichlich tiefer als diese selbst verstanden haben, da sie nun im Lichte des Heiligen Geistes die glorreiche Erfüllung aller dieser Weissagungen in Maria zu schauen gewürdigt waren.
 
 
Und darum nahmen sie den Kanon der heiligen Bücher des Alten Bundes in die neue Kirche nicht allein zum Lehrgebrauche auf, sondern auch als einen wesentlichen Bestandteil der Feier ihres Gottesdienstes, so dass bis heute und bis zum Ende der Tage die heilige katholische Kirche Maria, ihre Mutter und Königin in denselben Worten, Lob- und Preisgesängen und Danksagungen verherrlicht, wie es von der alten Kirche in den Weissagungen, in den Psalmen, im hohen Liede, im Buche der Weisheit, in den Sprüchen Salomo's und im Ecclesiasticus geschehen war.
 
 
 
 
Die Gaben des Heiligen Geistes wurden den Aposteln aber auch in weit höherem Grade verliehen, als allen anderen Heiligen nach ihnen; und darum mussten sie mit einer unvergleichlich höheren Liebe, Ehrfurcht. Huldigung und Verehrung gegen die heiligste Gottesgebärerin erfüllt sein, als alle späteren Heiligen und Lehrer der Kirche, von welchen keiner der gleichen Auszeichnung mehr teilhaft werden konnte, in derselben Weise, wie sie, mit Maria zu verkehren und Zeuge ihres heiligsten Lebens und Wandels zu sein, sie als «den Spiegel der Gerechtigkeit» leibhaft vor sich zu sehen und in jedem Augenblicke es inne zu werden, in welch erhabenstem Sinne Maria vom Heiligen Geiste der ganzen Kirche zum «Sitze der Weisheit» und zur «Ursache alles Trostes und heiliger Freudigkeit» gegeben sei. Die Schönheit, die Heiligkeit, die Größe und Herrlichkeit der heiligsten Gottesgebärerin hat außer dem hl. Joseph kein anderes Auge so geschaut, wie die heiligen Apostel, kein anderes Ohr hat so, wie sie, ihre Stimme vernommen, und keines anderen Menschen Herz hat es so lebendig empfunden, wie das der heiligen Apostel, welche Liebe und Barmherzigkeit der Sohn Gottes seiner Kirche dadurch bereitet hatte, dass Er seine Mutter noch so lange bei ihr auf Erden zurückliess.
 
 
'''42.''' In den Geheimnissen und Lobpreisungen der lauretanischen Litanei ist es der Gemeinschaft der Gläubigen aller Zeiten überliefert, welche Verehrung und Huldigung schon die erste Kirche der heiligsten Jungfrau und Gottesgebärerin dargebracht hat. Darum mögen die für das tiefere Verständnis dieser ehrwürdigen Gebetsweise besonders geeigneten Worte, mit weIchen der heilige Ludwig Maria Grignion von Montfort die Notwendigkeit einer ausgezeichneten Liebe und Andacht zur seligsten Jungfrau zu begründen sucht, hier eine Stelle finden: <br>
 
«Gott der Vater wollte seinen Eingebornen Sohn der Welt nur durch Maria geben. Mit welcher Inbrunst die Patriarchen gefleht, mit welchen Bitten die Propheten und Gerechten des alten Gesetzes viertausend Jahre lang zu Gott gerufen, um diesen Schatz zu erlangen. Es war allein Maria, die ihn verdiente, indem sie durch die Kraft ihrer Gebete und die Größe ihrer Tugenden Gnade fand vor Gott. Die Welt war nicht würdig, sagt der heilige Augustinus, den Sohn Gottes unmittelbar aus den Händen des Vaters zu empfangen. Er gab Ihn Maria, damit durch sie die Welt Ihn erhalte. Der Sohn Gottes wurde Mensch, um unser Heil zu wirken, aber in Maria und durch Maria. Gott der Heilige Geist hat dem Sohn Gottes das Gewand seiner Menschheit in Maria gebildet, doch erst, nachdem Er durch einen der ersten Engel des himmlischen Hofes ihre Zustimmung dazu begehrt hatte.»
 
 
«Gott der Vater hat Maria seine Fruchtbarkeit mitgeteilt, soweit sie als ein Geschöpf dieselbe empfangen konnte, um ihr die Macht zu verleihen, Mutter seines Sohnes und aller Glieder seines mystischen Leibes zu werden. Gott der Sohn hat in ihrem jungfräulichen Schoß gewohnt, als zweiter Adam in seinem irdischen Paradies, in welchem Er seine Wonne finden und in Verborgenheit die Wunder seiner Gnade wirken wollte.»
 
 
«Der menschgewordene Gott fand darin seine Freiheit, dass Er von ihrem Schoße sich umschlossen sah, und offenbarte die Größe seiner Allmacht, indem Er getragen sein wollte von der gebenedeiten Jungfrau. Er fand seine und seines Vaters Ehre darin, dass Er seine Herrlichkeit vor allen andern Geschöpfen verborgen hielt, um sie nur allein Maria offenbar sein zu lassen. Seine unermessliche Hoheit und Majestät erkannte sich verherrlicht in der Abhängigkeit von der demütigsten Jungfrau in seiner Empfängnis und seiner Geburt, bei der Darstellung im Tempel, während der dreißig Jahre seines verborgenen Lebens. Selbst in seinem Tod begehrte Er ihren Beistand, damit sein Opfer zugleich Opfer seiner heiligsten Mutter werde, indem auch sie ihre Einwilligung zu geben hatte, dass Er dem ewigen Vater geopfert werde, wie einstens Abraham zu dem Opfer seines Isaak. Wie sie Ihn gesäugt, genährt, gepflegt, erzogen, so hat sie Ihn auch für uns geopfert.»
 
 
«Diese wunderbare und unbegreifliche Abhängigkeit des Sohnes Gottes von seiner heiligsten Mutter wollte der Heilige Geist, um ihre Verdienstlichkeit uns zu zeigen, nicht mit Stillschweigen im Evangelium übergehen, obwohl Er uns fast alle anderen Wunder, welche die menschgewordene Weisheit während ihres verborgenen Lebens gewirkt, verborgen hat. Durch den Gehorsam gegen seine heiligste Mutter hat Jesus Christus während der dreißig Jahre Gott seinen himmlischen Vater mehr verherrlicht, als wenn Er durch die größten Wunderwerke die ganze Welt bekehrt hätte. Darum, welche Ehre vermögen auch wir Gott dem himmlischen Vater zu geben, wenn wir, Ihm zu gefallen, unserem höchsten Vorbilde Jesus Christus hierin nachfolgen !»
 
 
«Durch Maria wollte Jesus Christus seine Wunder beginnen. Er heiligte seinen Vorläufer im Schoße Elisabeths bei dem Gruß seiner heiligsten Mutter. Kaum hatte diese geredet, als Johannes geheiligt war. Es war dies sein erstes und größtes Wunder der Gnade. Auf die demütige Bitte Mariä verwandelte Er auf der Hochzeit zu Kana das Wasser in Wein. Dies war sein erstes Wunder der Natur. Durch Maria hat Er seine Wunder begonnen und fortgesetzt, und durch Maria wird Er sie fortsetzen bis zum Ende der Zeit.»
 
 
«Durch Maria, als seine heiligste Braut, wirkte der Heilige Geist sein größtes Wunder. Mit ihr, in ihr und aus ihr brachte Er das vorzüglichste seiner Werke hervor, die heiligste Menschwerdung des Sohnes Gottes. Auch die Hervorbringung der Auserwählten, der Glieder des Leibes dieses anbetungswürdigsten Hauptes, ist sein Werk, das Er durch Maria, als die Mutter der göttlichen Gnade, fort und fort bis zum Ende der Zeit vollbringen wird. Darum offenbart Er seine Wirkungen an jeder Seele um so mächtiger, um sie ihrem Haupte Jesus Christus gleich zu gestalten, je mehr Er sie mit Maria, seiner geliebten, unzertrennlichen Braut, geeinigt findet. Damit will nicht gesagt werden, als könne der Heilige Geist nicht auch ohne die Vermittlung der heiligsten Jungfrau seine Wirkungen hervorbringen, oder als bedürfe Er ihrer Vermittlung. Aber es ist sein Wille, sein Wohlgefallen, das Geheimnis seines göttlichen Ratschlusses, durch Maria und in ihr die Glieder des Leibes Jesu Christi ihrem Haupte gleichförmig zu gestalten. Gleichwie die drei göttlichen Personen der allerheiligsten Dreieinigkeit das Geheimnis der heiligsten Menschwerdung und die erste Ankunft Jesu Christi auf Erden nicht ohne die Mitwirkung der unbefleckten heiligsten Jungfrau vollbringen wollten, so vollbringen sie in gleicher Weise fort und fort bis zum Ende der Zeit und bis zur letzten Ankunft Jesu Christi die unsichtbaren Wirkungen der Gnade durch Vermittlung Mariä an der ganzen Kirche, wie an jeder einzelnen Seele.»
 
 
«Gott der Vater erschuf die Sammlung der Gewässer und nannte sie Meer, mare. Er schuf aber auch die Sammlung seiner Gnaden und nannte sie Maria. In diese Sammlung, als in seine Schatzkammer, schloss Er alle Schönheit, alle Reichtümer und Kostbarkeiten ein, selbst seinen Eingebornen Sohn. Diese Schatzkammer ist Maria, deren Händen, nach den Worten des heiligen Kirchenlehrers Petrus Damiani, Gott den Schatz seiner Erbarmungen anvertraut hat.»
 
 
«Gott der Sohn übergab seiner heiligsten Mutter alles, was Er durch sein Leben und Sterben erworben hat, seine unendlichen Verdienste und erhabensten Tugenden. Er machte sie zur Schatzmeisterin von allem, was sein Vater Ihm zum Erbe gegeben. Durch Maria wendet Er seine Verdienste seinen Gliedern zu, durch sie teilt Er seine Gnaden, seine Tugenden mit. Sie ist der geheimnisvolle Kanal, die himmlische Wasserleitung, durch welche Er die Süßigkeit und Fülle seiner Erbarmungen auf die Kirche überleitet.»
 
 
«Gott der Heilige Geist hat in gleicher Weise Maria als seiner treuesten Braut die Fülle seiner Gaben mitgeteilt, damit sie dieselben verteile, wie, wem, wann und wie viel sie davon geben will. Keine himmlische Gabe gelangt an die Menschen außer durch die lilienweißen Hände der heiligsten Jungfrau. Denn dies ist der Wille Gottes, der verordnet hat, dass wir alles nur durch Maria empfangen sollen. So reich, so mächtig, so bevorzugt über alle seine Geschöpfe hat der Allerhöchste die heiligste Jungfrau erhöht, die, solange sie auf Erden lebte, in ihrer unbegreiflichen Demut unter alle sich erniedrigt hatte. Das ist die Anschauung der ganzen Kirche und aller heiligen Väter.»
 
 
'''43.''' Die weiteren Geheimnisse und Tatsachen aus den letzten fünfzehn Lebensjahren der heiligsten Jungfrau, wie sie in den einfachen Worten der gottseligen Anna Katharina uns berichtet werden, finden ebenso, wie die früher gemeldeten, in den Offenbarungen der heiligen Brigitta und der seligen Maria von Agreda ihre Bestätigung und in den wichtigsten Punkten eine bedeutsame Vervollständigung. Da die Offenbarungen der heiligen Brigitta leider nur von wenigen gekannt und nach ihrem unschätzbaren Werte gewürdigt sind, die Schriften der seligen Maria von Agreda aber überhaupt nur einem kleinen Kreise von Lesern zugänglich sind, darum bietet der Herausgeber auf den folgenden Blättern eine Auswahl der schönsten, auf den Zeitraum der letzten Lebensjahre der heiligsten Jungfrau bezüglichen Mitteilungen in möglichst sorgfältiger Übersetzung aus dem lateinischen Texte der Offenbarungen der heiligen Brigitta und aus dem spanischen der seligen Maria von Agreda.
 
 
=== A. AUS DEN [[Offenbarung|OFFENBARUNGEN]] DER [[Birgitta von Schweden|HEILIGEN BRIGITTTA]] ===
 
 
==== Warum Maria nach der Himmelfahrt ihres Sohnes noch auf Erden zurückblieb ====
 
 
Sermo angelicus c. 19:
 
 
'''44.''' Als Jesus in das Reich seiner Herrlichkeit auffuhr, wurde der Kirche das unvergleichliche Glück zuteil, dass die seligste Jungfrau noch für längere Zeit auf Erden zurückblieb, um die Guten in der Gnade zu befestigen und die Irrenden zur Wahrheit zu führen. Sie blieb zurück, um die Lehrmeisterin der Apostel, die Stärke der Martyrer, die Erleuchterin der Bekenner, der glänzende Spiegel für die Jungfrauen, der Trost der Witwen, die Heil und Segen bringende Meisterin der Verehelichten zu sein und um alle insgesamt auf das vollkommenste in dem Bekenntnisse des heiligen katholischen Glaubens zu befestigen. Die Apostel hielten sich an sie, um über alle Geheimnisse ihres göttlichen Sohnes, welche sie noch nicht genügend erkannten, von ihr erleuchtet und gründlich aufgeklärt zu werden. Die Martyrer wurden durch sie ermutigt, um für den heiligsten Namen Jesu freudig jede Verfolgung und Trübsal auszuhalten, da auch Er für sie und für aller Heil sich freiwillig den Peinen überliefert hatte. Sie eröffnete ihnen auch die Größe ihres eigenen Leidens, das sie von seiner Geburt bis zu seinem Tode durch dreiunddreißig volle Jahre ohne Unterbrechung mit aller Geduld in ihrem Herzen ertragen hatte. Die Bekenner unterwies sie in den Glaubenssätzen. Durch Wort und Beispiel war sie ihnen zum Vorbilde, wie sie für das Lob Gottes die Tag- und Nachtzeiten weise einteilen und wie sie nach Bedürfnis des leiblichen Lebens der Ruhe, der Nahrung und Arbeit in geistlicher und vernünftiger Mäßigung pflegen sollten. Ihr sittsamster Wandel war für die Jungfrauen das Vorbild aller Ehrbarkeit, der standhaften Bewahrung jungfräulicher Zucht und Reinheit bis zum Tode, der Meidung überflüssiger Rede und jeder Art von Eitelkeit sowie der sorgfältigsten Überlegung aller Handlungen und deren strenger Prüfung auf der Waage eines zarten Gewissens. Der Trost der Witwen war sie durch die Hinweisung auf den Schmerz, den sie über den Willen ihres Sohnes empfunden, für die Erlösung der Welt den Tod zu erleiden. Doch habe sie ihren mütterlichen Willen gänzlich dem göttlichen gleichförmig gemacht und es vorgezogen, für dessen vollkommenste Erfüllung lieber jede Trübsal in Geduld zu ertragen, als nur im geringsten von ihm abzuweichen und nach dem eigenen Willen zu handeln. Den Verehelichten empfahl sie die wahre und ungeheuchelte gegenseitige Liebe und das einmütige Bestreben, in allen Stücken die Ehre Gottes zu fördern, indem sie ihnen zu erkennen gab, wie sie selber unverletzte Treue Gott stets bewahrt und seinem heiligsten Willen unverbrüchlichen Gehorsam geleistet habe.»
 
 
'''45.''' Die heiligste Jungfrau aber sprach zu Brigitta (I. 6. c. 61. 62): «Gedenke, meine Tochter, dass ich nach der Himmelfahrt meines Sohnes noch lange Zeit auf Erden lebte, weil es der Wille Gottes war, dass sehr viele Seelen durch den Anblick meiner Geduld und meines Wandels zu Ihm bekehrt und die Apostel Gottes und andere Auserwählten durch mich gestärkt werden sollten. Auch verlieh mir Gott die leibliche Kraft zu längerem Leben, damit die Krone meiner Verdienste um so herrlicher würde. So lange ich nach der Himmelfahrt meines Sohnes noch auf Erden weilte, war ich unermüdet im Besuche aller Stätten seines bittersten Leidens und seiner Wunderwerke. Das Andenken an seine Passion war mir immer neu und immer gegenwärtig. Von allem anderen in der Welt aber waren meine Sinne gänzlich abgezogen, so dass ich ohne Unterlass die Glut der höchsten Sehnsucht nach Gott und den Schmerz zu tragen hatte, noch nicht bei Ihm zu sein. Doch vermochte ich Freude und Leid zu mäßigen, indem ich nichts unterließ, was zu Gottes Dienst und Ehre war. Und so weilte ich unter den Menschen, ohne von allen Dingen, an welchen sie sich ergötzen, etwas anzusehen oder anzunehmen, als nur das wenige, was mir zum Lebensunterhalt nötig war.»
 
 
«Dass von meiner Aufnahme in den Himmel anfänglich nur wenige eine Kenntnis besaßen, und dass von derselben in den Lehrvorträgen anfänglich nicht gehandelt wurde, das geschah nach dem Willen Gottes, meines Sohnes, nach welchem in die Herzen der Menschen vor allem der Glaube an seine eigene Himmelfahrt eingepflanzt werden sollte, für welche sie in ihrer Härte nur schwer zugänglich waren, und sie dies noch mehr gewesen wären, wenn gleich anfangs auch meine eigene leibliche Aufnahme in den Himmel ihnen gepredigt worden wäre.»
 
 
«Fünfzehn Jahre hatte ich seit der Himmelfahrt meines Sohnes auf Erden gelebt, da kam der wachsenden Sehnsucht nach meinem Sohne die Botschaft des Engels entgegen, der zu mir sprach: Dein Sohn, unser Gott und Herr, hat mich gesandt, dir zu verkünden, dass die Zeit nun da ist, wo du leiblich zu Ihm kommen wirst, um die für dich bereitete Krone zu empfangen. Ich antwortete ihm: Kennst du den Tag oder die Stunde, zu der ich diese Welt verlassen werde? Und der Engel erwiderte: Es werden die Freunde deines Sohnes (die heiligen Apostel) herbeikommen, um deinen Leib zu begraben. Nach diesen Worten verschwand der Engel, und ich bereitete mich auf das Hinscheiden, indem ich nach meiner Gewohnheit alle Leidensstätten meines Sohnes besuchte. Da nun eines Tages mein Geist in die Bewunderung der göttlichen Liebe versenkt, und mein Herz mit solcher Freudigkeit darüber erfüllt war, dass es sie kaum zu fassen vermochte, da löste sich in dieser Entzückung meine Seele von dem Leibe. Doch welche und welch erhabene Geheimnisse meine Seele nun schaute, mit welcher Ehre sie ehrte der Vater, der Sohn und der Heilige Geist, und von welcher Menge der Engel sie emporgetragen wurde, das könntest du weder fassen, noch will ich es dir sagen, bis nicht deine Seele von ihrem Leibe geschieden sein wird. Jene aber, welche mit mir in dem Hause waren, wo ich meine Seele Gott über.gab, erkannten aus dem ungewohnten Glanze gar wohl, welch göttliche Dinge an mir geschahen. Die durch Eingebung Gottes zu mir gesandten Freunde meines Sohnes bestatteten darnach meinen Leib zur Erde. Mit ihnen waren Engel, unzählbar, wie die Stäubchen in den Sonnenstrahlen. Die bösen Geister aber wagten nicht zu nahen.»
 
 
«Durch eine von Gott bestimmte Zahl von Tagen lag mein Leib in der Erde. Danach wurde er in Begleitung jener Engelscharen zum Himmel aufgenommen. Jene Tage waren nicht ohne tiefe, geheimnisvolle Bedeutung, denn in der siebenten Stunde wird die Auferstehung der Leiber geschehen, in der achten aber die Seligkeit der Seelen und der Leiber vollendet werden. Die erste Stunde nämlich war von Erschaffung der Welt bis zur Zeit, da durch Moses das Gesetz gegeben wurde. Die zweite von Moses bis zur Menschwerdung meines Sohnes. Die dritte, da mein Sohn die Taufe einsetzte und die Strenge des Gesetzes milderte. Die vierte, als Er das Evangelium predigte mit Worten und mit seinem Beispiele bestätigte. Die fünfte, als mein Sohn leiden und sterben wollte, von dem Tode erstand und seine Auferstehung durch gewisseste Tatsachen erhärtete. Die sechste, als Er in den Himmel auffuhr, und den Heiligen Geist sendete. Die siebente wird sein, wenn Er kommen wird zum Gerichte und wenn alle mit ihren Leibern zum Gerichte auferstehen werden. Die achte, wenn alle Verheißungen und Prophezeiungen werden erfüllt werden. Dann wird die Seligkeit vollkommen sein, dann wird Gott in seiner Herrlichkeit geschaut werden, dann werden die Heiligen leuchten wie die Sonne und nicht mehr wird sein irgend welcher Schmerz.»
 
 
==== Die Herrlichkeit Mariä im Himmel. Worte des Engels ====
 
 
Sermo angelicus c. 20. und 21:
 
 
'''46.'' «In Anbetracht der Worte des heiligen Evangeliums, dass jedem mit dem Maß, womit er einem anderen ausmisst, wieder zugemessen werde, erscheint es als eine Unmöglichkeit, dass der menschliche Verstand es fasse, mit welchen Ehren die glorreiche Gottesgebärerin bei ihrem Einzuge in das himmlische Jerusalem von allen verherrlicht wurde, da ihre Gütigkeit, so lange sie auf Erden weilte, die Bitten Unzähliger erhört und ihnen Wohltaten gespendet hatte. Darum ist mit Recht zu glauben, dass alle, die Erhörung bei ihr gefunden, in Ehrenbeweisen gegen sie wetteiferten, als es ihrem Sohne gefiel, sie aus dieser Welt zu sich zu rufen. Gleichwie der Schöpfer aller Dinge durch die Vermittlung seiner heiligsten Mutter auf Erden den Ratschluss der Erlösung der Menschen hatte vollführen wollen, so gefiel es Ihm jetzt, sie im Himmel mittelst der Engel durch die höchste Ehre zu verherrlichen. Darum erhöhte Er die Seele der Jungfrau in demselben Augenblick, da sie von ihrem Leibe sich löste, über alle himmlischen Chöre, übergab ihr die Herrschaft über die ganze Welt und machte sie für ewig zur Herrin der Engel. Die Engel selbst weihten ihr solchen Gehorsam, dass sie lieber alle Qualen der Hölle erdulden wollten, als einem ihrer Befehle zu widersprechen. Auch über alle bösen Geister machte sie Gott so mächtig, dass, wenn sie einem Verehrer der Jungfrau nachstellen, sie sogleich von ihm ablassen müssen, wenn er Maria um Hilfe bittet. Denn die Teufel zittern vor jedem Winke der seligsten Jungfrau und fliehen davon, indem sie lieber noch ärgere Peinen ertragen, als die Übermacht der heiligsten Jungfrau über sich empfinden wollen.»
 
 
«Und da sie unter allen Engeln und Menschen als die Demütigste erfunden wurde, darum wurde sie über alle Kreaturen als die Erhabenste, als die Schönste, als die Gott selbst mehr als alle anderen gleichförmige erhöht.»
 
 
«Wie das Gold höher geschätzt ist, als die anderen Metalle, so gehen auch die Engel und die Seelen an Würdigkeit den anderen Geschöpfen voran. Wie aber das Gold ohne Hilfe des Feuers sich nicht in dies oder jenes Kunstwerk umgestalten lässt, im Feuer aber, je nach der Kunst des Meisters, die mannigfachsten Formen annimmt, so hätte in ähnlicher Weise die Seele der seligsten Jungfrau an Schönheit nicht alle erschaffenen Geister so weit übertreffen können, wenn nicht die Stärke und Reinheit ihres Willens, gleich einem kunstreichen Meister, dieselbe in den glühenden Flammen des Heiligen Geistes also zubereitet hätte, dass ihre Werke das höchste Wohlgefallen des Schöpfers aller Dinge erlangen konnten. Gleichwie endlich an einem goldenen Gebilde die Meisterschaft des Künstlers nicht deutlich erkennbar wird, solange dasselbe in einem dunkeln Orte eingeschlossen ist, und wie sein Kunstwert erst im günstigen Lichte der Sonne gewürdigt werden kann, so konnte auch die volle Schönheit der kostbarsten Seele der glorreichsten Jungfrau, d. i. die Fülle ihrer erhabensten Tugendwerke, nicht vollkommen geschaut werden, solange ihre Seele in der Undurchsichtigkeit ihrer sterblichen Hülle eingeschlossen war. Als sie aber in das Licht der wahren Sonne, der Gottheit, gelangte, da schauten unter höchsten Lobpreisungen alle himmlischen Chöre, mit welcher Schönheit sie von ihrem Willen geschmückt worden war, mit einer Schönheit, welche die aller Geschöpfe zusammen übertrifft, und der Schönheit des Schöpfers selber am nächsten kommt. Darum war für diese glorreiche Seele von Ewigkeit her ein Thron in nächster Nähe dereiligsten Dreifaltigkeit zu ihrem künftigen Sitz bestimmt worden. Denn wie Gott der Vater im Sohne war, und der Sohn im Vater, und der Heilige Geist in beiden, als Gott der Sohn nach Annahme des menschlichen Fleisches mit Gottheit und Menschheit im Schoße seiner Mutter ruhte, indem die Einheit der heiligsten Dreieinheit vollkommen ungeteilt, und die Jungfrauschaft der Mutter unversehrt erhalten blieb, so wollte auch Gott der gebenedeiten Seele der Jungfrau ihre Wohnung in der nächsten Nähe des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes bereiten, damit sie aller Güter teilhaft werde, welche Gott verleihen kann.»
 
 
«Kein erschaffenes Herz ist tief genug, um zu fassen, welche Wonne Gott dem ganzen himmlischen Hofe bereitete, als seine liebendste Mutter diese elende Erde verließ. Es wird dies allen, welche nach der himmlischen Heimat seufzen, erst offenbar werden, wenn sie Gott von [[Angesicht zu Angesicht]] schauen dürfen. Die Engel verherrlichten Gott mit lobpreisender Begrüßung der seligsten Jungfrau. Denn durch die Früchte des bittersten Leidens und Sterbens ihres Sohnes werden auch ihre Reihen wieder voll werden, und durch die Ankunft seiner Mutter im Himmel wurde ihre Seligkeit erhöht. Adam und Eva endlich, die Patriarchen und Propheten und die ganze aus dem Kerker der Vorhölle befreite heilige Schar, sowie alle übrigen welche nach dem Tod Jesu Christi in die Glorie eingegangen waren, frohlockten über die Ankunft der Jungfrau im Himmel und lobten und priesen Gott, der sie durch so hohe Ehre auszeichnete, weil sie ihren Erlöser und Herrn so heilig und glorreich geboren hatte. Auch die Apostel und alle Freunde Gottes, welche an der Begräbnisfeier der Jungfrau teilnahmen, während ihr liebevollster Sohn ihre glorreiche Seele mit sich in den Himmel erhob, verehrten sie mit demütiger Huldigung und erhoben ihren ehrwürdigen Leib nach Kräften mit Lob und Benedeiung.»
 
 
'''47.''' «Es ist aber fest und unbezweifelt zu glauben, dass der Leib der seligsten Jungfrau, der von den Freunden Gottes, als tot, dem Grabe übergeben worden war, von Gott, ihrem liebendsten Sohn, mit der Seele wieder vereint und zu dem ewigen Leben in Herrlichkeit aufgenommen worden ist. Wenn Gott, die ewige Wahrheit, den Sterblichen empfiehlt, dass sie selbst Böses mit Gutem vergelten sollen, welch hoher Belohnung von seiner Seite wird Er jene für würdig erachten, welche durch gute Werke Ihm zu dienen sich beeifern! Und wenn im Evangelium jeder guten Tat ein hundertfältiger Lohn verheißen ist, wer wäre nun im Stande, die Fülle der höchsten Belohnungen und Gaben zu ermessen, mit welchen Er seiner ehrwürdigsten, allzeit reinsten, sündelosen Mutter ihre unzählbaren, vollkommensten, Ihm wohlgefälligsten Werke vergolten hat! Gleichwie ihr Herz die Werkstätte aller Tugenden war, so war auch ihr heiligster Leib das vollkommenste und jeder Zeit dienstwilligste Werkzeug für Vollbringung jeden guten Werkes.»
 
 
«Nun ist es aber eine untrügliche Wahrheit des heiligen Glaubens, dass nach Gottes gerechtem Urteil die Leiber aller Menschen am Jüngsten Tag auferstehen müssen, um zugleich mit ihren Seelen, in Gemäßheit der genauesten Ab wägung aller ihrer Werke, die Vergeltung zu empfangen, weil, wie die Seele durch die Akte ihres freien Willens, so der mit ihr verbundene Leib, als ihr Werkzeug, durch seine körperliche Mithilfe jede Tat vollbracht hat.»
 
 
«Wie nun der einer Sünde unfähige Leib des Sohnes Gottes von den Toten erstanden und mit seiner Gottheit verherrlicht worden ist, so ist auch der sündelose Leib seiner würdigsten Mutter wenige Tage nach seiner Bestattung durch Gottes Allmacht mit der Seele der heiligsten Jungfrau wieder vereint, in den Himmel aufgenommen und durch jede Auszeichnung verherrlicht worden. Und wie keines Menschen Verstand auf Erden die Schönheit und Herrlichkeit der Krone zu ahnen vermag, mit der zum Lohne seines bittersten Leidens Jesus Christus, der Sohn Gottes, geschmückt und ausgezeichnet worden ist, so unmöglich ist es auch, den Schmuck der Krone sich vorzustellen, mit der seine jungfräuliche Mutter für alles, was sie in Leib und Seele zur Ehre Gottes getan, ausgezeichnet worden ist. Denn gleichwie die Seele der Jungfrau Gott ihren Schöpfer durch die vollkommenste Übung aller Tugenden verherrlicht hatte, so empfing nun auch sie ihre Verherrlichung aus dem Lohne aller Tugendwerke ihres Leibes, der bei seiner Aufnahme in den Himmel für alle seine Werke mit Herrlichkeit geschmückt wurde. Sie hatte ja nie, solange sie auf Erden lebte, unterlassen, jedes Tugendwerk zu vollbringen, von dem sie wusste, dass Leib und Seele dafür im Himmel belohnt werden würden. Und wie außer der heiligsten Seele Jesu Christi einzig nur die Seele seiner heiligsten Mutter des höchsten Lohnes und der höchsten Auszeichnungen vollkommen würdig war, weil alle ihre guten Werke durchaus vollkommen und ohne jeglichen Mangel waren, so war, außer dem heiligsten Leibe Jesu Christi, nur allein der Leib seiner heiligsten Mutter vollkommen würdig, dass er weit früher, als die Leiber aller anderen, zugleich mit seiner Seele den Lohn seiner Verdienste empfange, da er immerdar mit ihr die höchsten Tugendwerke vollbracht und nie den Zunder einer Sünde empfunden hat.»
 
 
«O wie mächtig offenbarte Gott seine Gerechtigkeit, da Er den Adam nach dem ungehorsamen Genuss der verbotenen Frucht vom Baume der Erkenntnis aus dem Paradiese hinaus wies! O wie herablassend aber offenbarte Er in dieser Welt seine Barmherzigkeit durch die Jungfrau Maria, welche ganz treffend der Baum des Lebens genannt werden kann ! Bedenket also wohl, wie schnell seine Gerechtigkeit Adam und Eva in das Elend verwies, da sie aus Ungehorsam von der Frucht des Baumes der Erkenntnis genossen hatten ! Und erwägt dagegen wie süß seine Barmherzigkeit alle einlädt und zu seiner Glorie anzieht, die im heiligen Gehorsam von der Frucht des Baumes des Lebens ihre Erquickung suchen! Beherzigt endlich, wie alle Chöre der Engel bei dem Aufsprossen des Baumes des Lebens auf Erden, das ist, bei der Geburt und dem Wachstum des Leibes der heiligsten Jungfrau, mit höchster Sehnsucht seiner Frucht entgegen harrten und mit derselben Freudigkeit die gebenedeite Frucht ihres Leibes begrüßten, als sie über die ihnen widerfahrene Gnade frohlockt hatten, in der sie inne wurden, dass die Seligkeit des Himmels für sie eine unverlierbare sei. Darum besonders schauten sie so begierig nach der gebenedeiten Frucht von dem Baum des Lebens, weil sie erkannten, wie herrlich durch sie die unendliche Liebe Gottes an den Menschen geoffenbart werde und aus den Menschen die Ergänzung ihrer Reihen werde hergestellt werden. Darum eilte der Engel Gabriel so schnellen Laufes zur Jungfrau, sie in Liebe durch seine der Zustimmung würdigste Ansprache zu grüßen. Und als sie, das Vorbild der Demut und aller Tugenden, den Gruss des Engels demütigst erwiderte, da erkannte er mit Frohlocken, es werde seine Sehnsucht und die aller anderen Engel erfüllt werden. Der gebenedeite Leib der Jungfrau ist nun mit seiner Seele in den Himmel aufgenommen, und so ist den sterblichen Menschen, welche Gott mit ihren Sünden beleidigen, der Weg des Heiles gezeigt, auf dem sie durch wahre Reue über ihre Sünden zu ihr gelangen können. Sie, die in dem Tale des Elendes durch die mannigfachsten Trübsale Tag für Tag bedrängt werden, sie haben nun die Gewissheit, dass mit dem Tode des Leibes auch die Mühsale dieses Lebens ein Ende nehmen. Und wenn die Sterblichen nach der Süßigkeit der Frucht vom Baum des Lebens Verlangen tragen, dann mögen sie vorerst mit allen Kräften sich bemühen, seine Zweige zu sich herab zu neigen, d. i. seine heiligste Mutter mit dem Gruß des Engels anzurufen, welche sie stark machen wird, um jede Sünde zu meiden und alle ihre Worte und Werke zur Ehre Gottes einzurichten. Denn voll Huld neigt die heiligste Jungfrau sich zu ihnen herab und gewährt ihnen den Beistand ihrer mächtigsten Hilfe, um die Frucht vom Baum des Lebens, d. i. im Sakrament den heiligsten Leib ihres Sohnes zu empfangen, welcher das Brot der Engel im Himmel und das Leben der Sterblichen auf Erden ist. Da Jesus selbst so großes Verlangen trägt, mit den durch sein Blut erkauften Seelen sich zu vereinigen, so wollet auch ihr euch bemühen, dies sein Verlangen zu stillen, indem ihr mit möglicher Andacht und Liebe in seinem Sakramente Ihn empfanget.»
 
 
=== B. [[Maria von Agreda: Mystische Stadt Gottes (Buch 1-4)|AUS DER STADT GOTTES]] DER SELIGEN [[Maria von Agreda|MARIA VON AGREDA]] ===
 
 
==== Die Größe der Liebe des göttlichen Heilandes zu seiner Kirche, für welche Er seine heiligste Mutter noch auf Erden zurückliess ====
 
 
I. 8. n. 680:
 
 
'''48.''' «Erwäge ich die Liebe, welche unser Herr Jesus Christus zu seiner reinsten, würdigsten Mutter getragen, so erscheint sie mir so unermesslich, dass es mich bedünken will, Er hätte im Drang dieser Liebe es vorgezogen, bei ihr auf Erden zurückzubleiben, anstatt auf den Thron seiner Herrlichkeit und zu seinen Engeln und Heiligen zurückzukehren, wenn nicht andere Ursachen es verlangt hätten, dass Er zum Himmel auffahre, seine Mutter aber auf Erden verbleibe. Da in Ihm die Gottheit des Vaters und des Heiligen Geistes ungeteilt in höchster Einheit war, und da die drei göttlichen Personen unzertrennlich ineinanderwohnen, so konnte die Person des Wortes auch auf Erden nie ohne den Vater sein und ohne den Heiligen Geist. Die Gesellschaft der Engel und Heiligen aber konnte für Jesus Christus nicht die gleiche Anziehung haben, wie die seiner würdigsten Mutter. Dies wegen der Macht ihrer gegenseitigen Liebe zueinander. Während seines ganzen irdischen Wandels war Ihm die Gegenwart seiner heiligsten Mutter Ersatz für alle Mühsal und Beschwerden gewesen, die Er zu tragen hatte. Der Anblick der wunderbaren Schönheit ihrer reinsten Seele hatte Ihm jede Bitterkeit in süßeste Tröstung verwandelt. Denn Er schaute in ihr die ganz einzige vollkommenste Frucht seines heiligsten Wirkens. Er kehrte aber nach Vollendung seines Erlösungswerkes zur Rechten des Vaters zurück, indem Er wollte, dass seine heiligste Mutter bei der Kirche zurückbleibe, damit durch ihre mütterliche Obsorge und durch ihre Verdienste die Kraft der Erlösung wirksam werde. Denn sie barg die Frucht seines Leidens und Sterbens gleichwie in ihrem Schoß und durch sie, die geistliche Lade des neuen Bundes, wurde sie an die Menschen übermittelt. Sie hatte durch ihre persönliche Gegenwart im ersten Beginn des die Welt neugestaltenden heiligen Glaubens die Kirche zu erleuchten, ihren erstgeborenen Kindern sichtbaren Beistand zu leisten und sie mit der süßesten Milch ihrer Lehre zu nähren. In jenen Jahren, da sie mit ihrem heiligsten Sohn in der Verborgenheit zu Nazareth gelebt, hatte sie von Ihm die Substanz seines heiligen Evangeliums empfangen und hatte sie in steter Erwägung lebendig in ihrem Herzen bewahrt. Daraus nun schöpfte sie jene süße Nahrung, mit welcher sie die Erstlinge der Kirche speiste, gleichwie Kinder, die einer kräftigeren Nahrung noch nicht fähig sind.»
 
 
«Sie war von Gott zur höchsten Gleichförmigkeit mit seinem Mensch gewordenen Sohne erhöht, und zwar sowohl hinsichtlich ihrer Gnadenfülle, als hinsichtlich ihres Wirkens. Als seine wahre Mutter und Gebärerin hatte sie ihrem göttlichen Sohne die Wesenheit und Gestalt seiner menschlichen Natur gegeben. Der Herr aber hatte ihr eine andere geistliche Wesenheit, d. i. die Fülle der Gnade seines Heiligen Geistes mitgeteilt, durch welche sie Ihm so gleichförmig wurde, wie sie es mit Ihm ihrer menschlichen Natur nach war. Vor allen anderen Geschöpfen war sie allein zu seiner ersten und innigstvertrauten Schülerin erkoren worden, um in seiner Schule das vollkommenste lebendige Abbild des neuen Gesetzes des Evangeliums und des Gesetzgebers selber zu werden. Und so war und ist sie zu aller Zeit in der neuen Kirche in voller Wirklichkeit das Urbild, oder das Ideal, nach welchem alle übrigen Heiligen und alle Früchte des heiligsten Erlösungswerkes ihre Form und Gestalt empfangen sollen. Das Fleisch gewordene Wort war in Herstellung dieses seines ersten, erhabensten Werkes ähnlich einem kunstgeübten Maler verfahren, der auf ein Hauptwerk seine ganze Kunst verwendet, damit es vor allen seinen anderen Arbeiten seine höchste Meisterschaft offenbare und als das Urbild ihrer aller sich darstelle. Wenngleich unbezweifelt zu glauben ist, dass die Heiligkeit und die Glorie aller Gerechten das Werk der Liebe und der Verdienste Jesu Christi, und dass jeder einzelne Heilige ein höchst vollkommenes Werk seiner Hände sei, so erscheinen sie doch im Vergleich mit der Herrlichkeit und Größe der heiligsten Gottesgebärerin nur als Werke von weit geringerem Range. Denn kein Heiliger war je vor dem Auge Gottes ohne Makel. Nur allein seine Mutter ist das makellose lebendige Abbild ihres Eingebornen Sohnes und sie war schon in ihrer heiligsten unbefleckten Empfängnis weit erhabener, als alle Engel und alle Heiligen in ihrer letzten Vollendung. Sie ist das Urbild der Heiligkeit und der Tugenden für alle anderen. sie ist die äußerste Grenze, welche die Liebe Jesu Christi in einem bloßen Geschöpfe zu erreichen vermag. Denn keinem anderen Geschöpfe ist dieselbe Erhöhung und Gnadenfülle verliehen worden, wie Maria sie in sich aufnehmen konnte. Sie aber ist aller Gnadengaben teilhaft geworden, welche den andern Kreaturen nicht verliehen werden konnten. Denn so viele Gnaden sie in sich aufzunehmen fähig war, und so viele ihr glorwürdigster Sohn ihr mitteilen konnte, so viele hat sie auch empfangen.»
 
 
«Ihre Größe und Herrlichkeit leuchtet auch aus dem großen Unterschiede des Wirkens hervor, welches Er auf ihre Vollendung, und welches Er auf die Erbauung seiner Kirche verwenden wollte. Um seine Kirche zu erbauen und auszurüsten, um die Apostel zu berufen, um dem Volke zu predigen, um das Gesetz des Evangeliums zu begründen, waren Ihm die drei Jahre seines Lehrwandels genügend, innerhalb welcher Er das Werk vollendete, das zu vollbringen Er vom Vater gesendet war. Um aber in seiner heiligsten Mutter das vollkommenste Urbild der Heiligkeit für alle seine übrigen Geschöpfe herzustellen, verwendete Er nicht drei, sondern dreimal zehn Jahre, in weIchen Er durch die Kraft seiner göttlichen Liebe und Weisheit unablässlich in ihr wirkte, so dass Gnade um Gnade, Gabe um Gabe, Heiligkeit um Heiligkeit in ihr ohne Unterbrechung gemehrt wurde, bis Er endlich vor seiner wunderbaren Himmelfahrt ihr durch neue Gunsterweisungen die höchste Vollendung verlieh.»
 
 
«Demgemäß wurde sie für die Erstlinge der Kirche, welche des unschätzbaren Glückes ihrer leiblichen Gegenwart gewürdigt waren, der augenfällige, sichtbare Beweis der ganzen Heiligkeit und Reinheit des Evangeliums Jesu Christi, der ganzen Kraft und Erhabenheit des neuen Gesetzes der Gnade und der vollen Frucht und Wirkung der heiligsten Erlösung. Denn dies alles stellte die heiligste Mutter in weit höherer Vollkommenheit und Mächtigkeit in sich allein dar, als die ganze übrige heilige Kirche und alle Auserwählten zusammen. So empfing von ihr, dem wahrhaftigen, reinsten, fehl- und makellosen Urbilde der Kirche, der zum Himmel aufgefahrene Herr und Heiland die höchste Verherrlichung, die Ihm für sein Werk der Erlösung gebührte und unzählige Seelen wurden durch sie für sein heiliges Evangelium gewonnen.»
 
 
«Daraus erkennen wir, wie sehr es der unerforschlichen Weisheit und Vorsicht des heiligsten Erlösers entsprach, dass, wie Salomo (Spr 31, 11) geweissagt: sein Herz ganz und gar auf die starke Frau, seine heiligste Mutter, vertraute. Er fand sich in seinem Vertrauen nicht getäuscht. Denn mit den Schätzen seines bittersten Leidens und kostbarsten Blutes, denen sie ihre eigenen Verdienste, ihre Mühen und Sorgen hinzufügte, bebaute sie den Weinberg der Kirche. Und bis zum Ende der Zeit arbeitet sie am Heile der Seelen, an den Gläubigen, aus denen die Kirche bestehen wird bis zum Ende der Welt und an den Auserwählten, welche die Kirche im triumphierenden Jerusalem mehren durch alle Ewigkeit. Es war der Ehre des Allerhöchsten entsprechend, dass dieses Werk der Bestellung des Weinberges der Kirche der heiligsten Mutter anvertraut werde, auf dass der göttliche Erlöser nach seiner glorreichen Auferstehung in die Herrlichkeit seines Vaters eingehe. Aber in gleicher Weise entsprach es auch der Liebe des Eingebornen Sohnes zu seiner heiligsten Mutter, ihrer eigenen Heiligkeit und der Größe ihrer Aufgabe, dass Er, solange sie noch auf Erden weilte, den innigsten Verkehr mit ihr unterhielt. Darum ward sie sehr häufig der Freude seines Besuches teilhaftig. Sie selbst wurde sehr oft zum Throne seiner Herrlichkeit erhoben, so dass die unüberwindliche Königin nicht die ganze Zeit über außerhalb ihres Palastes zu weilen hatte und dass auch der ganze himmlische Hof der seligen Anschauung seiner Königin sich oftmals erfreuen durfte.»
 
 
==== Warum in den heiligen Evangelien die Größe und Herrlichkeit der heiligsten Jungfrau nur dunkel ausgesprochen ist ====
 
 
'''49.''' «Vor seiner wunderbaren Himmelfahrt richtete im Abendmahlssaal der heiligste Erlöser an die Apostel und an die mit ihnen daselbst Versammelten folgende Worte (I. 6. n. 1505): <Meine geliebtesten Söhne! Ich kehre nun zu meinem Vater zurück, aus dessen Schoß Ich, um die Menschen zu erlösen, zur Erde niedergekommen bin. Aber Ich lasse euch meine Mutter als eure Beschützerin, Helferin und Trösterin zurück, auf welche ihr immerdar hören, und der ihr in allem gehorchen werdet. Und gleichwie Ich euch gesagt habe, dass, wer Mich sehe, den Vater sehe, wer Mich erkenne, den Vater erkenne, so spreche Ich jetzt zu euch: wer meine Mutter erkennt, der kennt auch Mich. Wer meine Mutter hört, der hört auch Mich, wer ihr Gehorsam leistet, der gehorcht auch Mir. Aber auch Mich beleidigt, wer sie beleidigt, und die Ehre, die ihr erzeigt wird, die empfange auch Ich. Darum betrachtet sie als eure Mutter und als die über euch alle gesetzte Herrin und Meisterin. Und wie ihr, so haben auch alle euere Nachfolger dasselbe zu tun. In allen Zweifeln fragt sie um Rat, sie wird euch alle Schwierigkeiten lösen und in ihr werdet ihr Mich jederzeit finden, so oft ihr Mich in ihr suchen werdet. Denn in ihr bin Ich bis zum Ende der Welt, gleichwie Ich auch jetzt in ihr bin, obwohl die Weise meiner Gegenwart in ihr euch noch verborgen ist.>
 
 
<Den Petrus hinterlasse ich euch als das Oberhaupt meiner Kirche. Er sei für euch mein Stellvertreter, dem ihr als dem obersten Priester Gehorsam und Ehrfurcht leisten werdet. Johannes aber sei euch der Sohn meiner Mutter, als welchen Ich ihn vom Kreuze herab ernannt und bestätigt habe.>
 
 
«Dann wendete der Sohn Gottes das Antlitz nach seiner Mutter und gab ihr seine Absicht kund, in den Anwesenden der ganzen Gemeinschaft der Gläubigen aller Zeiten das Gebot zu erteilen, dass ihr als seiner Mutter die solcher höchsten Würde gebührende Verehrung dargebracht werde, welches Gebot von diesem Augenblick an verbindende Kraft für alle Zeiten haben solle. Die demütigste Jungfrau aber flehte mit höchster Inbrunst zu ihrem Sohne, Er möge nur so viele Verehrung gegen sie jetzt offen begehren, als nötig wäre, um alles auszuführen und zu vollbringen, was Er zum Besten seiner Kirche ihr aufgetragen habe. Ja sie bat, dass sie auch von den ersten künftigen Kindern der Kirche keine höhere Ehre empfangen dürfe, als sie bis jetzt zu tragen gehabt habe, auf dass alle Ehre hauptsächlich und unmittelbar Ihm dem Herrn zugewendet und hierdurch die Verbreitung seines heiligen Evangeliums und die Verherrlichung seines heiligsten Namens mehr gefördert würde. Der heiligste Erlöser billigte die erhabene Weisheit dieser Bitte und bewahrte darum auf eine spätere, dazu geeignetere Zeit die höhere Offenbarung der Herrlichkeit seiner Mutter und der ihr gebührenden Verehrung.»
 
 
«Auch den heiligen Evangelisten befahl die seligste Jungfrau später, (nr. 1508) von ihren Vorrechten nicht ausführlicher zu handeln, als nötig wäre, um die Kirche in den Artikeln des Glaubens und in den Geboten des göttlichen Gesetzes gehörig zu unterweisen. Denn in dem, als die Lehrmeisterin der ganzen Kirche, von Gott empfangenen Lichte erkannte sie aufs klarste, dass bei dem ersten Beginn des neuen Gesetzes der Gnade dies nicht von Nutzen sein würde. Ihr höchster Vorrang über alle Geschöpfe und der ganze Inbegriff ihrer Vorrechte wurde aber doch deutlich genug darin schon ausgedrückt, dass sie als die Mutter Gottes und als die aller Gnaden Volle in den Evangelien verkündet worden ist. Die weiter hierin beschlossenen Geheimnisse aber wurden im Anfang nicht allen klar und offenbar, (1.7. n. 11) sondern blieben wie die Perlen in der Muschel, oder wie das Gold im Schoß der Erde, verborgen, oder wie die heiligen Lehrer sagen, unter dem Dunkel der heiligen Schriften, besonders der Geheimen Offenbarung, bewahrt, bis die Kirche auf Antrieb des Heiligen Geistes sie daraus hervorziehen würde.»
 
 
«Auch dem Volke Israel hatte Gott den Leichnam und das Grab des Moses verborgen gehalten, um zu verhüten, dass es dem Leib seines größten Propheten einen abgöttischen Dienst zuwende. Und in ähnlicher Absicht hatte Moses selber in seiner Schöpfungsgeschichte der Welt von den Engeln, diesen vornehmsten der Geschöpfe, nicht klar und ausdrücklich, sondern nur andeutungsweise sprechen wollen, in den Worten: Fiat lux et facta est lux; indem er es den Lesern freistellte, diese Worte in buchstäblichem Sinne auf das sichtbare Licht der den Erdkreis erleuchtenden Gestirne, oder im figürlichen Sinne auf die Engel, als die heller als das Licht strahlenden Geister, zu deuten, welche er allerdings auch darunter verstanden hatte, deren ausdrückliche Erwähnung ihm aber für jene Zeit nicht als ratsam erschienen war.»
 
 
«Wenn also für das hebräische Volk bei seinem Verkehr mit den götzendienerischen Heiden die Pest der Abgötterei so sehr zu befürchten war, um wie viel näher wäre diese Gefahr den Heiden selbst gelegen, wenn ihnen gleich bei der ersten Predigt des Evangeliums mit dem Glauben an den Erlöser auch die Größe seiner heiligsten Mutter verkündet worden wäre! Als Beweis hierfür dient der hl. Dionysius, welcher schon als Heide nicht den Götzen gedient, sondern Gott den Schöpfer aus seinen Werken erkannt hatte, der aber doch gestand, als er nach seiner Taufe gewürdigt war, die heiligste Jungfrau zu sehen und zu sprechen, dass, wenn nicht der Glaube ihn versichert hätte, Maria sei nur ein Geschöpf, er sie als eine Gottheit betrachtet und angebetet hätte. In gleiche Gefahr wären die unwissenden Heiden gar leicht geraten, wäre ihnen die Gottheit des Erlösers und die Größe seiner reinsten Mutter in gleicher Zeit zu glauben vorgestellt worden. Sie hätten beides verwechselt und geglaubt, Maria sei wegen ihrer Gleichförmigkeit mit der Heiligkeit ihres Sohnes auch mit Ihm von der gleichen göttlichen Wesenheit.»
 
 
«Diese Gefahr aber besteht nicht mehr, nachdem der Glaube an die Lehren und Wahrheiten des Evangeliums in der Kirche so mächtige Wurzeln geschlagen und in den Schriften der heiligen Lehrer eine so klare Erläuterung gefunden hat, und nachdem Gott selbst zur Offenbarung des heiligsten Erlösers so große Wunder gewirkt hat. In diesem hellen Lichte wissen wir, dass nur Er wahrer Gott und Mensch ist, voll Gnade und Wahrheit, und dass seine Mutter ein bloßes Geschöpf, aber als die Gnadenvolle über alle anderen Kreaturen erhaben ist. Gott hat es sich allein vorbehalten, die Zeit und die Weise zu bestimmen, wann und wie Er die Größe seiner heiligsten Mutter noch mehr offenbaren und die Geheimnisse der heiligen Schriften noch mehr erschließen werde, unter welchen Er ihre Herrlichkeit verschlossen hat.»
 
 
«Wer im Lichte des heiligen Glaubens zu einer würdigen Erkenntnis der Größe der seligsten Jungfrau und zu der ihr schuldigen Ehrerbietung und Liebe gelangen will, der wird ohne Mühe einsehen, dass alle ihre Vorrechte und Auszeichnungen ihrer Würde als der Mutter unseres Gottes entsprechen (I. 8. n. 622). Die unendliche Majestät Gottes tut, was sie tut, auf das Vollkommenste. Wer dies aber bezweifeln wollte, der würde auch nicht erkennen wollen, weder wer Gott ist, noch wer Maria als seine Mutter ist. Wenn Gott schon an den anderen Heiligen seine Allmacht und Güte so freigebig offenbart, die doch weit unter Maria stehen, wer könnte dann mit Grund das bestreiten, was Gott an ihr getan hatte? Alle Verdienste, welche der heiligste Erlöser für die Menschen erwarb und alle Gnaden, die Er ihnen erwies, hatten kein anderes Ziel, als seine Verherrlichung, nächst der seinigen die seiner heiligsten Mutter. Nun schätzt und liebt man doch mehr den Zweck, als die Mittel. Denn die Mittel werden nur um ihres Endzweckes willen geliebt. Demgemäß war auch die Liebe, welche Gott bewogen hat, Maria Gnaden zu spenden, eine unvergleichlich größere, als jene, die Er zu allen anderen Gerechten trug, die Er ja um Maria willen begnadigt hat. Es ist darum nicht zu verwundern, dass, was Er den anderen nur einmal und nur in weit geringerem Maß verleihen wollte, Er seiner heiligsten Mutter in der ganzen Fülle mitgeteilt hat.»
 
 
«Die Einfältigen wie die Weisen sind von der heiligen Kirche hinreichend darüber belehrt, dass der Maßstab für alle Vorrechte und Auszeichnungen, die Maria aus der Hand ihres heiligsten Sohnes empfangen hat, kein anderer sein kann, als seine Allmacht und ihre Empfänglichkeit. Sie hat alle Gnaden von Ihm erhalten, die Er ihr geben konnte und die zu empfangen sie fähig war. Diese Gnaden waren in Maria nie müßig, sondern trugen stets alle Früchte, die sie in einem bloßen Geschöpfe tragen konnten. Ihr heiligster Sohn war ja Gott der Herr selber, der mächtig ist, überall zu wirken, wo das Geschöpf Ihm kein Hindernis entgegensetzt. Seine Mutter aber stellte Ihm nie ein Hindernis entgegen. Wer könnte sich also erdreisten, seine Werke zu verkleinern und der Liebe, die Er zu seiner Mutter trug, Grenzen zu setzen, indem Er selber sie seiner Gnaden und Auszeichnungen würdiger gemacht hat, als alle anderen Heiligen zusammen! Solange Maria noch auf Erden weilte, entbehrte sie nie, auch nur für einen Augenblick, des Genusses aller empfangenen Gnaden und Vorrechte, um der heiligen Kirche ihren mächtigsten Beistand ohne Unterlass zu leisten.»
 
 
«Alle mögen endlich wohl erwägen, dass alle Gnadenauszeichnungen Gottes in Maria ihre Grundlage in dem Geheimniss ihrer heiligsten und unbefleckten Empfängnis haben und dass sie schon darin eingeschlossen war. Etwas Größeres nämlich war es, dass Gott Maria seiner Herrlichkeit würdigte, da sie dieselbe noch nicht verdienen konnte, als dass Er sie an ihr offenbarte, nachdem sie auch selbst sich für sie empfänglich machte und sie verdiente.»
 
 
==== Die ununterbrochene Gegenwart des heiligsten Altarsakramentes im Herzen der seligsten Jungfrau ====
 
 
I. 7. n. 115 und 116:
 
 
'''50.''' «Als mir der Allerhöchste den Titel <Mutter und Lehrmeisterin der Kirche> gab, verlieh Er mir zugleich eine unaussprechlich große Teilnahme an seiner eigenen unendlichen Liebe und Barmherzigkeit gegen die Kinder Adams. Da ich ein bloßes Geschöpf, die Gabe dieser Teilnahme aber eine unermessliche war, so hätte ich vor der Macht, in welcher die eingegossene Liebe in mir wirkte, gar oft das leibliche Leben verlieren müssen, wenn die Allmacht Gottes es mir nicht wunderbar erhalten hätte. Dies geschah sehr oft bei den feurigsten Liebesakten, die ich in den Danksagungen für Bekehrung der Seelen zur Kirche, oder bei Aufnahme selig Gestorbener in die Freuden des Himmels erweckte. Denn ich allein vermochte solches Glück nach seinem ganzen Umfang zu würdigen. Dieser Erkenntnis gemäß war auch die Glut und Inbrunst meiner dem Allerhöchsten dargebrachten Danksagung. In noch viel höherem Grade aber bedurfte mein leibliches Leben der allmächtigen Hilfe Gottes, so oft ich um Bekehrung der Sünder flehte und wenn ich einen Gläubigen verloren gehen sah. Denn hierbei litt ich allein mehr, als alle Martyrer in ihren Qualen, indem ich für jede einzelne Seele mit der Übermacht einer Liebe rang, welche jede erschaffene Kraft überragte. Welchen Dank sind mir also die Kinder Adams schuldig, für welche ich so oft mein Leben hingegeben habe! Und wenn ich auch jetzt nicht mehr imstande bin, dasselbe zu opfern, so ist doch die Liebe, mit der ich für ihr ewiges Heil besorgt bin, nicht geringer, sondern noch erhabener und vollkommener.»
 
 
«Wenn die Liebe Gottes so mächtig in Mir wirkte schon in Hinsicht der Menschen, zu welcher Macht wird sie erst sich erhoben haben gegen den Herrn selber, besonders, so oft ich Ihn in der heiligen Kommunion empfing! Als ich dieselbe zum ersten Mal aus der Hand des hl. Petrus erhielt, da kam Er gegen die Übermacht dieser Liebe mir wunderbar zu Hilfe, indem mein Herz in voller Wirklichkeit geöffnet und, wie ich begehrt, so viel Raum in ihm frei wurde, dass mein unter der Gestalt des Brotes verborgener Sohn darin eingehen und wie auf seinem rechtmäßigen Throne sich in meinem Herzen niederlassen konnte.»
 
 
«Diese wunderbare sakramentalische Gegenwart unseres göttlichen Heilandes in dem reinsten, unbefleckten Herzen seiner heiligsten Mutter (I. 7. n. 121. ff) ward für sie, solange sie auf Erden bei der Kirche verweilte, eine überreiche Entschädigung für den persönlichen Umgang mit Ihm, den sie durch dreiunddreißig Jahre genossen hatte. So oft sie kommunizierte, so verzehrten sich die sakramentalen Gestalten, welche sie von der vorausgehenden Kommunion her noch im Herzen trug, und an ihre Stelle gingen nun die neuen in das Herz ein. Dieses Wunder wiederholte sich bei jeder Kommunion bis zur letzten Stunde ihres heiligsten Lebens auf Erden, so dass ihr Herz nie einen Augenblick ohne die sakramentale Gegenwart ihres Sohnes, des wahren Gottes, gewesen ist.»
 
 
«Es wollte der göttliche Heiland durch dieses aus Liebe zu seiner heiligsten Mutter vollbrachte Wunder auch sein den Aposteln und in ihnen der ganzen Kirche gegebenes Versprechen lösen, dass Er bei ihnen bleiben werde bis zum Ende der Welt. Denn von der Stunde an, da Er vor seiner Himmelfahrt diese Verheißung gemacht hatte, ging sie auch in Erfüllung. Wäre Er nicht auf diese ganz einzige, nur allein seiner heiligsten Mutter mitteilbare Weise wunderbar bei seiner Kirche vom Anfang an gewesen, so wäre seine Verheißung in jener ersten Zeit nicht erfüllt worden. Denn damals hatten die Apostel keine festen Tempel und keine Gelegenheit, um die heiligste Eucharistie ununterbrochen aufzubewahren, weshalb sie dieselbe bei jeder heiligen Messe ganz konsumierten. Die heiligste Jungfrau war so durch einige Jahre der einzige Tempel, das einzige Tabernakel, in welchem das heilige Sakrament aufbewahrt wurde, so dass das menschgewordene Wort von seiner Himmelfahrt an bis zum Ende der Welt nie von seiner Kirche abwesend war, noch sein wird.»
 
 
«Es war die heilige Eucharistie im Herzen Mariä gegenwärtig freilich nicht für den Gebrauch der Gläubigen, aber doch zu ihrem höchsten Segen. Denn die große Himmelskönigin betete für alle in dem Tempel, der sie selber war. Im Namen der ganzen Kirche betete sie den unter den sakramentalen Gestalten in ihrem Herzen, als in seiner Kirche, weilenden Heiland an, weIcher ja nur durch seine Mutter und durch seine wunderbare Gegenwart in ihr mit dem ganzen geheimnisvollen Leib der Kirche vereinigt war. Dadurch, dass die heiligste Mutter ihren Sohn und wahren Gott sakramental im Herzen trug, machte sie jenes Zeitalter glücklicher, als es das unsrige ist, wo Er in unzähligen Tempeln und Tabernakeln gegenwärtig ist. Denn in dem Tabernakel seiner heiligsten Mutter empfing Er die ununterbrochene Huldigung ihrer tiefsten Verehrung und Anbetung, und nie ward Ihm in diesem Heiligtum eine Unbild bereitet, wie dies nun so oft in unseren Gotteshäusern geschieht. Die Wonne, die es Ihm ist, bei den Menschenkindern zu sein, fand Er in Maria in der ganzen Fülle ihrer Süßigkeit, und nie mehr erreichte Er diese Absicht seiner unendlichen Güte so vollkommen, als da Er noch im Herzen seiner reinsten Mutter sakramental weilen konnte. Sie war die eigentliche Sphäre seiner göttlichen Liebe, das entsprechende Element, in welchem allein sie ihr Genügen finden konnte. Denn alle anderen Kreaturen sind im Vergleich mit ihr, wie die Fremde, wo das Feuer der Gottheit, welches in unendlicher Liebe allezeit brennt, seine Sphäre, seine wahre Heimat nicht finden konnte.»
 
 
==== Die Andacht der seligsten Jungfrau zum bitteren Leiden ====
 
 
'''51.''' «Außer der ununterbrochenen Sorgfalt und Tätigkeit für die Regierung der Kirche waren es noch andere, mehr in Verborgenheit vollbrachte, geistliche Werke, durch welche die heiligste Jungfrau Unermessliche Gnaden und Wohltaten für die Gemeinschaft der Gläubigen im Ganzen, wie für einzelne Seelen, und zwar nach den Tausenden, von Gott verdient und ihnen zur ewigen Seligkeit verholfen hat. Um das Wirken der seligsten Jungfrau durch ihr Gebet und ihre verborgenen geistlichen Übungen überhaupt, so weit es unseren schwachen Kräften möglich ist, kennenzulernen, ist zu erwägen, dass ihrem Herzen und Gedächtnisse in lebendigster Weise das ganze Leben ihres göttlichen Sohnes mit allen seinen Geheimnissen und Werken beständig gegenwärtig war. Denn ihre Seele war nach allem ihrem Vermögen in solcher Kraft und Stärke von Gott erschaffen, dass ihrem Gedächtniss nicht das Geringste mehr entschwand, oder in Vergessenheit geriet, was sie seit ihrer heiligsten Empfängnis im Lichte Gottes inne geworden, und was sie im Laufe der Jahre erlebt und erfahren hatte. Es ist oben bereits geschildert worden, wie die heiligste Jungfrau geistig und leiblich alle Peinen des bittersten Leidens ihres göttlichen Sohnes mit-empfunden und mit-getragen hatte, und dass ihr nichts von denselben entgangen oder von dem Herrn verborgen worden war. Alles aber, was sie auf dem ganzen Kreuzweg erlebt, gehört und geschaut hatte, blieb in der vollen Treue des ersten Eindruckes ihrem Geiste gegenwärtig, solange sie noch auf Erden weilte. Darum erneuerten sich auch in ihr leiblich wie geistig alle Passionsschmerzen immer wieder, so oft sie das Auge ihres Geistes nach der Passion ihres göttlichen Sohnes hinwendete, Diese Hinwendung aber war eine ununterbrochene. Sie war eine Übung, welcher sich die heiligste Jungfrau ganz und vollkommen geweiht hatte. Nachdem sie einmal Augenzeuge der Passion ihres göttlichen Sohnes und seine treueste Begleiterin auf dem ganzen Kreuzweg gewesen war, so hätte ihre treueste, glühendste Liebe ein längeres Leben auf Erden nicht zu ertragen vermocht, wenn dieses Leben für sie nicht zugleich ein ununterbrochenes Fort-Leiden seiner Passion geworden wäre. Obwohl sie von Gott mit den höchsten Tröstungen heimgesucht wurde, so begehrte sie selber doch nie darnach. Denn ihr Leben auf Erden war ihr nur insoweit erträglich, als sie mit ihrem Sohne gekreuzigt wurde, als sie seine Marter beständig empfand und an ihr selber seine Passion erneuerte. Das Bild ihres heiligsten, mit Blut und Wunden bedeckten Sohnes stellte sich ihrem Geistesauge beständig so lebendig dar, als leuchte es aus ihrem Herzen wie aus dem hellsten Spiegel. Es bedurfte nur eines einfachen Blickes ihres Geistes, und die ganze Passion stand als das vollkommenste, treueste Abbild des Geschehenen, mit allen Umständen, mit allen Örtlichkeiten, mit allen Personen vor ihr, und sie hörte alle Worte, alle Schmähungen und Beschimpfungen ihres Sohnes und sah auf das klarste jede einzelne Handlung. Obwohl, wie gesagt, ein Blick genügte, ihr dies alles zu vergegenwärtigen und der martervolle Anblick nicht allein die beständige Erneuerung aller Peinen, sondern auch die beständige Übung der erhabensten Tugendakte hervorrief, so bestimmte doch die heiligste Jungfrau für jeden Tag noch besondere Stunden, in denen sie ohne andere Zeugen, als die sie stets umgebenden Engel, der Betrachtung der einzelnen Stationen des heiligen Kreuzwegs sich hingab.»
 
 
«So verrichtete sie zu Ehren jeder Wunde, welche der Heiland der Welt empfangen hatte, eigene Gebete und Begrüßungen, mit welchen sie ihrem leidenden Sohne Anbetung, ausgezeichnete Verehrung und Huldigung darbrachte. Zum Ersatz für die Lästerworte und Beschimpfungen, die Er von den Juden und seinen übrigen Feinden erduldet, für den Grimm und Hass, welchen Er durch seine Wunder sich zugezogen, für die Wut und Rachgier, die Ihn im Leben und Leiden verfolgt hatte, für jede einzelne dieser Unbilden und Lästerungen betete sie einen eigenen Lobgesang, um die Anbetung und Ehre Ihm wieder zu geben, welche Ihm seine Widersacher noch immer zu rauben und zu verdunkeln suchten. Den verspottenden Gebärden und den Verhöhnungen seiner Feinde setzte sie ebenso viele Akte der Verdemütigung, Kniebeugungen und Fußfälle entgegen, um die Beschimpfungen und Unbilden, mit denen ihr heiligster Sohn während seines ganzen Lebens und Leidens überhäuft worden war, zu sühnen und ungeschehen zu machen; und zugleich bekannte und verherrlichte sie seine Gottheit und Menschheit, seine Heiligkeit, seine Wunder, seine Werke und seine Lehre vor den sie umgebenden Engeln, welche über solche Weisheit, Treue und Liebe eines bloßen Geschöpfes zu höchster Bewunderung hingerissen wurden.»
 
 
«Hätte darum die seligste Jungfrau außer dieser Verehrung des bitteren Leidens nichts anderes sonst getan, so hätte sie schon damit allein mehr gewirkt und verdient, als alle Heiligen mit allem, was sie zur Ehre Gottes getan und gelitten haben. Und so ist Maria durch die Heftigkeit der Liebe und des Schmerzens, den sie bei diesen Übungen empfand, mehr als einmal Martyrin geworden. Denn gar oft wäre sie darüber gestorben, wäre sie nicht durch die Kraft Gottes zur Mehrung ihrer Verdienste und Glorie am Leben erhalten worden.»
 
 
«Wenn wir aber erwägen wollen, dass die seligste Jungfrau mit unaussprechlicher Liebe alle diese Werke für die Kirche aufgeopfert hat, so mögen wir die Größe unserer Dankesschuld gegen solche Güte und Barmherzigkeit unserer heiligsten Mutter wohl erkennen, welche den Schatz der Gnaden und Verdienste, aus dem wir arme Kinder Evas Hilfe empfangen, so überreich gemehrt hat. Um aber unsere Mattherzigkeit noch mehr anzuspornen, will ich offen aussprechen, dass die heiligste Jungfrau in Betrachtung des bitteren Leidens sehr häufig blutige Tränen vergossen hat, und dass bei der Betrachtung der Todesangst am Ölberg ihr blutiger Schweiß nieder bis zur Erde rann. Ja ihr Herz wurde nicht selten durch die Gewalt des Schmerzes von seiner natürlichen Stelle wie losgerissen, so dass, wenn ihr Mit-Leiden der Todesangst aufs höchste gestiegen war, ihr heiligster Sohn zu Hilfe kam, um die schwindenden Kräfte am Leben zu erhalten und die Liebeswunden wieder zu heilen. Was überhaupt die göttliche Mutter in den Betrachtungen des heiligen Kreuzweges gelitten hat, das zu fassen übersteigt die menschlichen Kräfte. Es wird aber im Lichte der Heiligen des Himmels einstens allen offenbar werden. Ich kann nur sagen, dass sie die ganze Passion genau so, wie sie verlaufen war, von der Fußwaschung an bis zum Geheimnis der Auferstehung, vollständig in sich erneuerte. Sie sprach dieselben Worte und Gebete aus, die ihr heiligster Sohn gesprochen hatte, und empfand leiblicher weise alle Schmerzen ebenso und im selben Augenblick, wie unser Herr und Erlöser sie gelitten hatte. Um kurz alles zu sagen: solange die seligste Mutter auf Erden verweilte, wurde jede Woche vom Abend des Donnerstags bis zu Sonntags Anfang die Passion ihres heiligsten Sohnes in ihr erneuert.»
 
 
« Durch diese ihre unermessliche Liebe hat sie für alle andächtigen Verehrer des bitteren Leidens wunderbare Vergünstigungen und Wohltaten erfleht, und als die mächtigste Königin der Barmherzigkeit hat sie ihnen allen ihren besonderen Schutz und die reichliche Zuwendung der Schätze der Passion zugesichert. Denn sie trägt das heiße Verlangen, dass das Andenken an das bittere Leiden lebendigst in der Kirche erhalten und bis zum Ende der Zeit fortererbt werde. Und um dieses ihres Verlangens willen und um die Bitten seiner heiligsten Mutter zu erfüllen, verleiht der göttliche Heiland seiner Kirche die Gnade und Auszeichnung, dass zu allen Zeiten einzelne Seelen von Ihm berufen werden, welche in möglicher Gleichförmigkeit mit der heiligsten Gottesgebärerin das bittere Leiden andächtigst verehren und lebendig in sich erneuern.»
 
 
==== Maria die Mutter und Lehrmeisterin der Kirche ====
 
 
'''52.''' «Es war der Wille ihres göttlichen Sohnes, dass seine heiligste Mutter, während sie noch auf Erden weilte, die Würde und die Namen, <Königin, Mutter, Lehrmeisterim und ähnliche in der Kirche besaß (1. 8. n.611). Diese Namen aber waren nicht leere Ehrentitel, wie Menschen sie verleihen. Denn das, was der Titel ausspricht, was er bedeutet und was er fordert, das war, das besaß, das übte die heiligste Jungfrau in voller Wahrheit und Wirklichkeit kraft ihrer überströmenden Gnadenfülle. So besaß sie als <Königin die klarste Erkenntnis ihres ganzen Reiches und alles dessen, worüber ihre königliche Macht sich erstreckte. Als <Mutter> erkannte sie alle ihre Kinder, alle Angehörigen ihrer großen Familie, d. i. der ganzen Kirche bis zum Ende der Zeiten; und keines war ihren Blicken verborgen von allen, die ihrer Obsorge unterstellt wurden. Als <Lehrmeisterin war sie mit der ganzen Fülle der Weisheit und Wissenschaft ausgestattet, weIche für die Regierung der Kirche je nach den Bedürfnissen der wechselnden Zeitalter erforderlich war. Denn durch die Vermittlung Mariä leitet, regiert und erhält in der Wahrheit der Heilige Geist die Kirche bis ans Ende der Welt. Aus diesem Grunde hatte Maria auch die klarste Kenntnis von allen früheren und von allen zukünftigen Heiligen der Kirche, von ihrem Wirken, ihrem Tod und von ihrem Lohn im Himmel.»
 
 
«Und im Zusammenhang hiermit waren ihr auch offenbar alle heiligen Gebräuche, Zeremonien, Anordnungen und Feste, welche nach und nach in der Kirche eingeführt werden sollten und aus welchen Gründen, Veranlassungen, Bedürfnissen, und zu welch geeigneten Zeitpunkten dies alles unter dem Beistand des Heiligen Geistes zu geschehen haben werde, der Speise gibt zu rechter Zeit für Gottes Ehre und zum Segen seiner Kirche.»
 
 
«In dieser ihrer Weisheit und Heiligkeit begehrte sie auch, dass die streitende Kirche auf Erden mit der im himmlischen Jerusalem triumphierenden in Anbetung, Danksagung, Lobpreisung und Verherrlichung Gottes wetteifere, und darum suchte sie den ganzen Gottesdienst der streitenden Kirche, soweit es möglich ist, zu einem treuen Abbild dessen zu machen, was zur Verherrlichung des Allerhöchsten im himmlischen Jerusalem geschieht.»
 
 
«In eigener Person machte sie ferner den Anfang mit Verrichtung gar vieler heiligen Übungen und Gebräuche, welche im Laufe der Zeit nach und nach von der ganzen Kirche beobachtet wurden. Sie belehrte auch die heiligen Apostel, dieselben anzuordnen und einzuführen, soweit es für damals schon geschehen konnte. Im Besonderen waren es alle Übungen der andächtigen Verehrung des bitteren Leidens, mit denen die heiligste Jungfrau den Anfang machte und welche sie zum Teil wie Keime in den Weinberg der Kirche pflanzte, auf dass sie in späteren Zeiten in den von ihr hervorgerufenen Ordensfamilien zur vollen Entfaltung gelangen sollten. Ihrer Weisheit entging nicht das Geringste, und alles brachte sie in Übung, wovon sie erkannte, dass die Ehre Gottes und die christliche Frömmigkeit dadurch gefördert werde.»
 
 
''''53.''' «Eine besondere Sorgfalt verwendete ihre hohe Weisheit darauf, dass die Apostel und Jünger in würdigster Weise sich auf die Herabkunft des Heiligen Geistes bereiteten (I. 7. n. 47, ff), denn sie vermochte mehr, als sie alle, diese unschätzbare Gabe zu würdigen, welche ihnen der Vater der Lichter vor allen anderen Sterblichen mitteilen wollte. Sie erkannte aber auch, wie die Liebe der Apostel zu der heiligsten Menschheit ihres göttlichen Meisters noch eine zu natürliche war, weshalb die Trauer über seine Entfernung ihr Herz sehr nieder drückte. Um diese hemmende Traurigkeit zu heben und um ihre Liebe in jeder Weise zu heiligen, bat sie die Apostel, sich über sich zu erheben, und mit ihren Herzen lieber da zu weilen, wo im Glauben an seine Gottheit ihre Liebe erhöht und vergeistigt würde, als da, wo sie mit den Sinnen ihres irdischen Lebens festgehalten seien.
 
 
Sie sollen sich durch die alleinige Anschauung nur seiner heiligsten Menschheit nicht gefangen nehmen lassen, sondern diese solle ihnen vielmehr die Pforte und der Weg sein, um zu seiner Gottheit zu gelangen, wo sie ihr volles Genügen und die Ruhe des Herzens finden würden. Sie tröstete sie und richtete sie aus ihrer tiefen Betrübnis wieder auf, indem sie täglich eine Stunde lang mit ihnen über die Geheimnisse des Glaubens sich unterredete, in welchen sie von ihrem heiligsten Sohn unterwiesen worden war. Sie tat dies jedoch nicht in der Weise eines förmlichen Unterrichts, sondern nach Art einer vertraulichen Besprechung. Auch gab sie ihnen den Rat, sich jeden Tag eine Stunde lang auch unter einander selber über alles zu besprechen, was sie an Ermahnungen, Verheißungen und Lehren von ihrem göttlichen Meister empfangen hatten. Die übrige Zeit sollten sie mit mündlichem Gebet, besonders des Vaterunsers, mit Psalmengesang und in Übung des innerlichen Gebetes zubringen, am Abend aber Brot und Fische genießen und dann der nötigen Ruhe pflegen. Durch diese Gebete und dieses Fasten sollten sie auf den Empfang des ihnen verheißenen Heiligen Geistes sich vorbereiten.»
 
 
«Niemals begann die seligste Jungfrau ihre Unterredungen mit den Aposteln, ohne von dem heiligen Petrus oder Johannes dazu aufgefordert worden zu sein. Denn sie wollte in jeder ihrer Handlungen die höchste Stufe der Vollkommenheit erreichen. Darum hatte sie es von ihrem göttlichen Sohn erfleht, den beiden Aposteln einzugeben, dass sie es ihr niemals an Gelegenheit mangeln lassen sollten, um den Gehorsam gegen sie als seine Stellvertreter und Priester üben zu können. Als die Lehrmeisterin aller Demut wollte sie nie in ihrer Würde als Königin und Herrin erscheinen, sondern gleich einer Dienenden nur gehorsam und untertänig sein.»
 
 
«Sie erklärte bei ihren Unterredungen den Aposteln das Geheimnis der heiligsten Dreieinigkeit in sehr erhabenen und nach ihrer ganzen Tiefe für sie zwar unbegreiflichen, doch für ihre Fassungskraft verständlichen Worten. Ebenso das Geheimnis der Vereinigung der göttlichen und menschlichen Natur in der Person des Wortes, der heiligsten Menschwerdung, und sehr viele andere Stücke aus den Lehrvorträgen Jesu Christi, indem sie verhieß, dass der Heilige Geist über alles eine noch höhere Erleuchtung ihnen mitteilen werde,»
 
 
'''54.''' «Über die Notwendigkeit und die Vorzüge des innerlichen Gebetes gab sie ihnen eine besonders umständliche Unterweisung. Sie zeigte ihnen, wie es die erste und vorzüglichste Aufgabe und das edelste und wichtigste Geschäft eines mit Vernunft begabten Geschöpfes sei, sich mit Geist und Herz über alle erschaffenen Dinge zur Erkenntnis und Liebe Gottes zu erheben. Sie leitete sie auch dazu an, wie sie dem Vater der Erbarmungen dafür danken sollten, dass Er uns seinen Eingebornen zum Erlöser und Meister gegeben, sowie für die Liebe, welche dieser uns durch sein bitterstes Leiden und Sterben erzeigt habe. Ferner für ihre Berufung zum Apostolat und zu dem vertrautesten Verkehr mit ihrem göttlichen Meister, der vor allen Sterblichen sie zu den Grundsteinen seiner Kirche erlesen habe.»
 
 
«Da sie aller Herzen durchschaute, und die Fähigkeiten, den inneren Stand und die Bedürfnisse jedes einzelnen aufs deutlichste erkannte, so richtete sie ihre Worte und alles, was sie für ihr Bestes tat, in der entsprechenden Weise darnach ein, so dass die Apostel in höchster Bewunderung oftmals zueinander sprachen: <Ja in Wahrheit, wir finden bei ihr alle Unterweisung und allen Trost wieder, der durch den Hingang ihres Sohnes uns entzogen wurde. Alle ihre Handlungen, Worte und Ratschläge, die Gütigkeit und süßeste Sanftmut, in der sie mit uns verkehrt, sind uns Licht und Stärke, nicht anders, als wir aus dem Umgang mit unserem Herrn und Meister selber zu empfangen das Glück hatten. Auch jetzt werden unsere Herzen durch die Lehre und Ermahnungen unserer wunderbaren Herrin ebenso entzündet, wie zuvor durch die Worte unseres Heilandes. Der allmächtige Gott hat in Wahrheit in die Mutter seines Eingebornen den Schatz der göttlichen Weisheit und Macht niedergelegt. Wir dürfen unsere Tränen trocknen, da zu unserem Trost und Heil diese Mutter und Lehrmeisterin uns gelassen ist, sie, die lebendige Arche des Bundes, in welche Gott sein Gesetz, den wunderwirkenden Stab und das süßeste Manna des Lebens niedergelegt hat.»
 
 
«Bei Herabkunft des Heiligen Geistes am Pfingstfest, brachte die seligste Jungfrau Gott eine größere Verherrlichung, Lobpreisung und Danksagung dar, als die ganze übrige Kirche (I. 7, n, 62, und 67) und alles was sie tat, wurde von der heiligsten Dreieinigkeit mit solchem Wohlgefallen aufgenommen, dass die göttliche Majestät darin für ihre in der Sendung des Trösters den sterblichen Menschen erwiesene Wohltat den vollen und gebührenden Dank erblickte. Maria war ja das einzige Geschöpf aus allen, welches Gott der Vater als seine Tochter, Gott der Sohn als seine Mutter, der Heilige Geist als seine Braut liebte, und der um dieser unaussprechlichen Würde willen der heiligste Gott die vollen Erweise seiner Huld und Gnade nicht verweigern konnte. Und erwägen wir die Worte des heiligen Paulus im Epheserbrief (5, 31-32), dass der Mann Vater und Mutter verlasse, um seiner Braut anzuhängen, welches Geheimnis groß sei in Christus und seiner Kirche, so sehen wir, dass die Herabkunft des Heiligen Geistes in gewissem Sinne der heiligsten Jungfrau gebührte. Denn war der Sohn Gottes aus dem Schoß des Vaters herabgekommen, um in seiner Menschheit mit der Kirche sich zu vermählen, so erscheint es nur als eine Folgerung daraus, dass auch der Heilige Geist um Maria willen herabkomme, welche ebenso seine Braut ist, wie die Kirche die Braut Jesu Christi, und die von Ihm ebenso geliebt ist, wie die Kirche von dem Fleisch gewordenen Worte.»
 
 
«Die Predigt Petri und der andern Apostel am Pfingstfest hörte die heiligste Jungfrau von dem Orte ihres Verweilens aus (I, 7. n. 80, ff). Sie blickte aber auch in die Herzen aller Zuhörer und erkannte ihre geheimsten Gedanken. Darum lag sie auf den Knien und flehte unter reichlichsten Tränen für ihre Bekehrung. Ja sie sandte die sie stets umgebenden Engel zu den predigenden Aposteln, um sie durch Einsprechungen zu ermutigen und zu stärken, mit aller Kraft die Geheimnisse der Gottheit und Menschheit unseres Erlösers zu verkünden; und an die Zuhörer, um ihnen Gedanken und Entschließungen einzuflössen, die Worte der Apostel willig aufzunehmen.»
 
 
«Als danach die Apostel mit den reichlichen Erstlingsfrüchten ihrer Predigt und des Heiligen Geistes zu Maria kamen, empfing sie alle mit unglaublicher Freundlichkeit und Güte, als ihre wahre und liebevolle Mutter. Dann wandte sich der heilige Petrus an die Neubekehrten mit den Worten: <Meine Brüder, Diener des Allerhöchsten, diese ist die Mutter unseres Erlösers und Meisters Jesu Christi, an Den ihr nun glaubt und Den ihr als wahren Gott und wahren Menschen bekennt. Sie hat Ihn mit der Gestalt der Menschheit bekleidet, da sie in ihrem Schoß Ihn empfangen und als unversehrte Jungfrau Ihn geboren hat, vor, in und nach seiner Geburt ewig Jungfrau bleibend. Er hat sie zu seiner Mutter angenommen, auf dass sie euere Beschützerin, euere Fürsprecherin, euere Mittlerin sei, und auf dass ihr und wir alle durch sie Licht, Trost und Heilung unserer Sünden und Schwachheiten erlangen>».
 
 
«Diese Worte des Apostels und der Anblick der heiligsten Gottesgebärerin erfüllte die Herzen der Neubekehrten mit Licht und Trost. Denn sie besaß das ganz einzige Vorrecht, allen, welche mit Verehrung und Andacht nach ihr die Augen wendeten, innerliche Gaben und Erleuchtungen mitzuteilen. In lebendigster Empfindung der aus Maria in sie überfließenden Gaben warfen sich die Neubekehrten auf die Knie und baten, weinend vor tiefster Rührung, um ihren Segen. Die demütigste und weiseste Jungfrau aber wollte in Gegenwart der Apostel und Priester und insbesondere des heiligen Petrus, des Stellvertreters Jesu Christi, die feierliche Segenserteilung von sich ablehnen, bis Petrus mit den Worten sie bat: <O Herrin und Mutter, versage den Gläubigen nicht, um was sie aus Andacht zum Trost ihrer Herzen dich bitten>! Dann erst gab die hehre Gottesgebärerin, dem Oberhaupte der Kirche Gehorsam leistend, voll Demut in königlicher Hoheit den Neubekehrten ihren Segen.»
 
 
==== Die Entstehung des [[Apostolisches Glaubensbekenntnis|apostolischen Symbolums]] ====
 
 
1. 7. n. 211 ff:
 
 
'''55.''' «Als der Zeitpunkt herannahte, da die Apostel über den ganzen Erdkreis sich verteilen sollten, um durch ihre Predigt die Kirche auszubreiten, erkannte die heiligste Jungfrau aufs klarste, wie notwendig es vor allem sei, dass sie in vollkommener Übereinstimmung die Lehre verkündeten, auf welcher das ganze Gebäude der christlichen Vollkommenheit begründet werden sollte. Darum hielt sie es für geboten, dass alle göttlichen Geheimnisse, welche die Apostel zu verkündigen, die Gläubigen aber zu glauben hätten, in einen kurzen Inbegriff zusammengezogen werden, damit diese Wahrheiten, wenn sie in wenige Sätze zusammengefasst wären, von allen um so leichter aufgenommen und behalten werden könnten, und die Kirche selber in ihnen die volle Einheit des Glaubens mit Ausschluss jeder wesentlichen Verschiedenheit besitzen würde, indem diese Artikel für alle Zukunft die Grundsäulen sein sollten, welche das geistliche Gebäude des neuen Evangeliums zu tragen hätten.»
 
 
«In Würdigung der höchsten Bedeutung dieser Angelegenheit verharrte die heiligste Mutter durch vierzig Tage im Gebet, Fasten und geistlichen Übungen, um von ihrem göttlichen Sohn zu erlangen, dass Er seinem Stellvertreter Petrus und den andern Aposteln die Kraft des Heiligen Geistes verleihe, um auf unfehlbare Weise die Wahrheiten des heiligen Glaubens in solche Fassung und Ordnung zu bringen, dass für alle Zeit seine Kirche sich mit voller Sicherheit darauf zu stützen und alle Gläubigen zu erkennen vermöchten, was sie einmütig zu bekennen hätten. Wie einstens Moses, als der Mittler zwischen Gott und dem Volke Israel, vierzig Tage lang auf dem Berge Sinai in Gebet und Fasten verweilt hatte, um von Gott das geschriebene Gesetz zu empfangen, und wie unser heiligster Erlöser selber, als der Mittler zwischen dem ewigen Vater und den Menschen, bevor Er das neue Gesetz der Gnade gab, vierzig Tage in der Wüste gefastet hatte, so tat nun das Gleiche jetzt die heiligste Jungfrau, als die Mittlerin zwischen ihrem heiligsten Sohn und der Kirche des neuen Bundes, um für diese das neue Gesetz, in die Artikel des Glaubens gefasst, zu erhalten, die als göttlich geoffenbarte Wahrheiten ihren unveränderlichen, ewigen Bestand haben sollten.»
 
 
«Dies Gebet fand überreiche Erhörung, indem der göttliche Heiland seiner geliebtesten Mutter erschien, und ihr die bestimmten Ausdrücke, die Worte und Sätze zu erkennen gab, in welche die Wahrheiten des heiligen Glaubens gefasst werden sollten. Dem Petrus aber und den andern Aposteln flößte Er den Gedanken und Entschluss ein, ein Glaubensbekenntnis für die ganze Kirche zu entwerfen. In dieser Absicht nahten sie ihrer Mutter und Lehrmeisterin mit der Bitte, sie dabei zu unterstützen. Ehe sie an die Ausführung gehen wollten, beschlossen sie, durch zehn Tage zu fasten und dem Gebete zu obliegen, damit sie der Erleuchtung des Heiligen Geistes teilhaftig würden. Nach diesen zehn Tagen hielten sie ihre Versammlung. Zuerst las Petrus die Heilige Messe, unter welcher die heiligste Jungfrau und die Elf kommunizierten. Darnach verharrten sie eine Zeitlang im Gebete um den Heiligen Geist, der in sichtbarer Weise sich ihnen mitteilte,»
 
 
«Nun richtete die heiligste Jungfrau an die Apostel die Bitte, dass jeder einzelne das bestimmte Geheimnis ausspreche und verkünde, welches der Heilige Geist ihm eingegeben habe. Petrus machte den Anfang und sprach: <Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater, den Schöpfer Himmels und der Erde,> Andreas: <Und an Jesus Christus, seinen Eingebornen Sohn, unsern Herrn.> Jakobus der Ältere: <Der empfangen ist von dem Heiligen Geiste, geboren aus Maria, der Jungfrau,> Johannes: <Gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben.> Thomas: <Abgestiegen zu der Hölle, am dritten Tage wieder auferstanden von den Toten.> Jakobus der Jüngere: <Aufgefahren in den Himmel, sitzt Er zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters.> Philippus: <Von dannen Er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten.> Bartholomäus: <Ich glaube an den Heiligen Geist.> Matthäus: <Eine heilige, katholische Kirche, Gemeinschaft der Heiligen,> Simon: <Nachlass der Sünden.> Thaddäus: <Auferstehung des Fleisches.> Mathias: <Ein ewiges Leben. Amen.>»
 
 
«Nachdem die heiligste Jungfrau mit den Aposteln Gott dem Allerhöchsten für diese wunderbare Abfassung des ersten heiligen Glaubensbekenntnisses den schuldigen Dank dargebracht hatte, war sie nun die erste, welche auf den Knien, zum Vorbilde für alle Gläubigen, die zwölf Artikel des apostolischen Glaubensbekenntnisses mit lauter Stimme betete. Sie tat es im eigenen Namen, wie im Namen aller gegenwärtigen und künftigen Kinder der Kirche, indem sie an Petrus die Worte richtete: <Ich erkenne dich als den Stellvertreter meines Sohnes. Darum lege ich in deine Hände für meine Person, wie für alle Kinder der Kirche, das Bekenntnis des Glaubens ab und halte fest und für wahr, was ihr als die unfehlbaren göttlichen Wahrheiten des katholischen Glaubens erklärt habt. In diesen Wahrheiten lobe und preise ich den Allerhöchsten, von welchem sie ausgehen>.»
 
 
«Seit dieser Stunde habe ich jeden Tag mehrmals (Worte der heiligsten Jungfrau an die selige Maria von Agreda) das apostolische Symbolum kniend mit größter Ehrfurcht gebetet. Hatte ich den dritten Artikel auszusprechen, so warf ich mich in Demut, Danksagung und Lobpreisung zur Erde nieder. Ich hatte stets alle Sterblichen dabei vor Augen, um die Unehrerbietigkeiten zu ersetzen, welche sie beim Aussprechen der heiligen Worte des Symbolums begehen würden. Auf meine Bitte ist es auch geschehen, dass der Herr seiner Kirche es eingab, im göttlichen Offizium so oft das Credo, das Ave Maria und Pater noster zu wiederholen, dass in manchen Ordensfamilien diese Gebete kniend gesprochen werden und bei dem <lncarnatus est> alle Gläubigen die Knie beugen. Ich wollte, dass von der Kirche Gott dem Herrn hindurch beständig die schuldige Danksagung dafür dargebracht werde, dass Er sie der aller Verehrung und Danksagung würdigen Geheimnisse des apostolischen Glaubensbekenntnisses teilhaftig gemacht hat.»
 
 
==== Das selige Hinscheiden der heiligsten Jungfrau und ihr Abschied von der Kirche ====
 
 
I. VIII.c. 18 und c. 19. n. 722-744:
 
 
'''56.''' «Um allen ihren Handlungen den höchsten Grad der Heiligkeit zu verleihen, bat die seligste Jungfrau den Herrn um seine Zustimmung, dass sie von der heiligen Kirche Abschied nehme. Sie sprach: <Heiligster Gott, mein höchstes Gut, Heil und Glorie der Seelen, gestatte mir als einer Tochter der mit deinem Blute erkauften und gepflanzten heiligen Kirche, dass ich von dieser gütigen Mutter und allen ihren Kindern, deinen Brüdern Abschied nehme. Heilige Katholische Kirche, künftig die römische genannt meine Mutter und Gebieterin, wahrer Schatz meiner Seele, mein einziger Trost in der Zeit meiner Verbannung, meine Zuflucht und Trösterin in allen Trübsalen, meine Erholung, meine Freude und Hoffnung auf der ganzen Pilgerreise, solange ich der wahren Heimat noch ferne war! Du hast mich erhalten, seitdem ich in dir von deinem und meinem Haupt, Jesus Christus, meinem Sohn und Herrn, das Leben der Gnade empfangen habe! In dir sind die Schätze und Reichtümer seiner unendlichen Verdienste. Du bist für seine treuen Kinder der sichere Übergang in das Land der Verheißung. Du gibst ihnen das sichere Geleit auf ihrer gefahrvollen und mühseligen Pilgerschaft. Du bist die Herrin der Völker, welche alle dir Ehrfurcht schuldig sind. In dir finden sich die reichsten Kleinodien unschätzbaren Wertes: d. i. die Beschwerden, die Mühsale, die Widersprüche, die Unbilden, die Schweißtropfen, die Peinen, das Kreuz und der Tod, - sie alle sind geheiligt durch das Leiden und Sterben meines Herrn, deines Vaters, deines Meisters, deines Hauptes, aufbehalten für seine treuen Diener und geliebtesten Freunde. Du hast mit dem kostbarsten Geschmeide mich beschenkt und geschmückt, damit ich zur Hochzeit des Bräutigams gelange. Du warst meine Freude, mein Glück. Denn du besitzst in deiner Mitte deinen Herrn in dem heiligsten Sakramente. Dir, meiner glückseligen Mutter, der streitenden Kirche, die so reich und überreich an geistlichen Schätzen, dir gehörte allzeit mein ganzes Herz, alle meine Sorgfalt. Nun aber ist die Zeit des Scheidens aus deiner süßen Gesellschaft, damit ich meine Laufbahn vollende. Darum wende mir jetzt die Kraft deiner so großen Gnadenschätze zu, durchdringe mich mit dem Blut des unbefleckten Lammes, das dir anvertraut und mächtig genug ist, viele Welten zu heiligen.
 
 
Gerne wollte ich tausendmal mein Leben hingeben, um alle Völker und alle Geschlechter der Erde dir zuzuführen, damit auch sie deiner Schätze sich erfreuen. Meine Kirche, meine Ehre und mein Ruhm, für dieses sterbliche Leben verlasse ich dich, aber im ewigen Leben werde ich dich selig wieder finden in Gott, der alle Güter in sich schließt. Mit Mutterliebe werde ich immerdar auf dich herabschauen, für deine Ausbreitung, dein Gedeihen, deine Erfolge alle Zeit Sorge tragen>.»
 
 
'''57.''' «Nach diesen Abschiedsworten von der heiligen römisch-katholischen Kirche, der Mutter aller Gläubigen, erklärte in Gegenwart der allerheiligsten Dreifaltigkeit und aller himmlischen Heerscharen die heiligste Jungfrau, als die wahre Mutter der Weisheit, ihre letzte Willensmeinung oder ihr Testament (I. c. c. 18. n. 18. n. 723-727), indem sie von Gott dem Vater seine Zustimmung in den Worten zu vernehmen hatte: <Meine Tochter, deine letzte Willenserklärung erhält meine volle Zustimmung; kein Verdienst deiner Werke soll durch dein Testament dir selber verlorengehen. Ich werde alle deine Wünsche erfüllen>.»
 
 
«Dieselbe Bestätigung empfing sie von ihrem göttlichen Sohne und dem Heiligen Geiste. Und nun fuhr sie also weiter: <In Gegenwart des allerhöchsten Gottes erkläre ich meinen letzten Willen. An Gütern des sterblichen Lebens und dieser Erdenwelt besitze ich nichts, was ich hinterlassen könnte. Denn nie besaß oder liebte ich etwas außer Gott, meinem höchsten und einzigen Gut. Den Himmelskörpern aber, den Sternen, Planeten, den Elementen und allen Geschöpfen, die darin sind, sag ich Dank, dass sie, dem Willen Gottes gehorchend, ohne mein Verdienst mich erhalten haben. Ich verlange und erwarte von ihnen, dass sie mit allen ihren Kräften und Verrichtungen Gott dienen und Ihn verherrlichen, und dass sie den Menschen, meinen Brüdern, Unterhalt und Gaben spenden. Damit dies um so gewisser geschehe, so trage ich, soweit es möglich ist, das Recht, die Herrschaft, den Besitz, den mir die göttliche Majestät über die vernunftlosen Kreaturen verliehen hat, auf die Menschen über, damit diese ihre Dienste empfangen. Die beiden Kleider samt dem Mantel, deren ich mich bediente, trete ich an Johannes ab, den ich an Sohnes Statt angenommen, dass er nach seinem Gutdünken darüber verfüge. Meinen Leib möge die Erde, die Mutter aller, das Werk deiner Hände, das dir zu dienen hat, nach deinem Wohlgefallen empfangen. Meine Seele aber, wenn sie von ihrem Leib und allen sichtbaren Dingen sich scheidet, übergebe ich in deine Hände, o mein Gott, auf dass sie durch deine ganze Ewigkeit dich liebe und preise. Meine Verdienste und alle Schätze, welche ich mit deiner Gnade durch meine Werke und Mühen erworben habe, hinterlasse ich der heiligen Kirche, meiner Mutter und Gebieterin, als meiner Universal-Erbin. Ihr übergebe ich alles mit deiner Zustimmung. Könnte ich doch mehr hinterlassen! In erster Reihe soll dies mein Erbe zur Verherrlichung deines heiligsten Namens verwendet werden, auf dass an allen Orten, bei allen Völkern, im Himmel und auf Erden dein heiligster Wille geschehen, und dass alle Nationen zum Glauben, zur Liebe, zur Anbetung des wahren Gottes gelangen>.
 
 
<An zweiter Stelle übergebe ich meine Verdienste meinem Herrn, den Aposteln, und allen Priestern, die jetzt und künftig leben, auf dass sie durch deine unaussprechliche Gütigkeit taugliche Diener und würdige Verwalter ihres Amtes und Standes seien, erfüllt mit Weisheit, Stärke und Heiligkeit, um die mit deinem Blut erkauften Seelen zu erbauen und zu heiligen.>
 
 
<An dritter Stelle begehre ich meine Verdienste dem Seelenheil aller zuzuwenden, die mich lieben, mir dienen und als ihre Beschützerin mich anrufen werden, auf dass sie hier auf Erden deiner Gnade und deines Erbarmens und dereinst des ewigen Lebens teilhaftig werden>.
 
 
<An vierter Stelle übergebe ich die Früchte meiner Mühsale und alles dessen, was ich im Dienste Gottes getan, deiner Barmherzigkeit, welche sie allen Sündern zur Rettung aus dem unglückseligen Stande der Sünde zugute kommen lassen wollen. Und von dieser Stunde an ist es mein fester Entschluss und Vorsatz, in der Gegenwart Gottes beständig für sie zu beten>.»
 
 
«Dieses Testament der heiligsten Jungfrau besiegelte der göttliche Heiland, indem Er ihrem Herzen die Worte eindrückte: <Es geschehe, wie du willst und wie du verordnest>. Er gewährte aber auch ihre Bitte um die Gegenwart der heiligen Apostel bei ihrem Hinscheiden mit den Worten: <Meine Apostel werden zugegen sein. Sie sollen zu ihrem Trost, zu meiner und deiner Ehre Zeugen deines Hingangs zu den Wohnungen der Ewigkeit werden. Aus den fernsten Gegenden sollen sie durch meine Engel hergeleitet werden>.»
 
 
'''58.''' «Meine Tochter», sprach die hl. Jungfrau zur seI. Maria von Agreda (I. c. c. 18. n. 728-730), «ich habe dir in der Absicht meine Hochschätzung und Liebe zur heiligen Kirche zu erkennen gegeben, um dich in Stand zu setzen, die heilige Kirche nach Gebühr zu ehren, zu schätzen und zu lieben. Du vermagst freilich nicht zu fassen, was in meinem Herzen vorging, da ich mir die hl. Kirche vergegenwärtigte. Doch wirst du meine Worte besser verstehen, wenn du erwägst, warum mein Herz so sehr bewegt wurde, nämlich durch die Erwägung der Liebe, die mein heiligster Sohn zu seiner Kirche trägt, und alles dessen, was Er für sie getan hat. Und wenn du Tag und Nacht betrachten willst, was Er für seine Kirche getan und vollbracht hat, dann magst du die Größe seiner Liebe zur Kirche daraus mehr und mehr erkennen. Um auf Erden das Haupt des Kirchenleibes, und um in der Ewigkeit das Haupt aller Auserwählten zu sein, ist Er aus dem Schoß seines ewigen Vaters herabgekommen und in mir Mensch geworden. Um die Kinder der Kirche, deren Erstgeborner Er selber ist, aus dem Verderben der Schuld des ersten Adams zu erretten, bekleidete Er sich mit dem sterblichen und leidensfähigen Fleische. Um dem Menschen das Vorbild seines schuldlosen Wandels und die heilbringende Lehre der Wahrheit zu hinterlassen, wurde Er ihnen sichtbar, lebte und wandelte Er durch dreiunddreißig Jahre auf Erden unter ihnen. Um durch die Tat sie zu erlösen und ihnen die unendlichen Güter der Gnade und der Glorie zu verdienen, welche sie selber nie und in keiner Weise sich hätten verdienen können, erduldete Er das Äußerste, vergoss Er sein Blut und nahm Er den bittersten und schimpflichsten Tod des Kreuzes auf sich. Und auf dass zuletzt aus seinem heiligsten, am Kreuze in den Tod geopferten Leib in höchst geheimnisvoller Weise seine Kirche hervorgehe, liess Er durch den Lanzenstich seine Seite eröffnen.»
 
 
«Da ferner der ewige Vater in dem ganzen Leben, Leiden und Sterben seines Eingebornen das höchste Wohlgefallen gefunden, so wollte nun der Erlöser der Welt der Kirche das Sakrament seines Leibes und Blutes übergeben in der Absicht, dass durch dieses Sakrament das dem himmlischen Vater so wohlgefällige Gedächtnis seines Leidens und Sterbens beständig erneuert werde, und auf dass die Gläubigen der Kirche dadurch ein Opfer erlangten, durch welches sie die über ihre Sünden zürnende Gerechtigkeit Gottes immer wieder versöhnen könnten. Zugleich wollte Er mittelst der heiligsten Eucharistie immerdar bei seiner Kirche bleiben, als die geistliche Nahrung ihrer Kinder, als der Quell der Gnade, als die letzte Wegzehrung und das sicherste Unterpfand des ewigen Lebens. Außer diesem allem sandte Er den Heiligen Geist in seine Kirche, erfüllte sie mit dessen Gaben und Weisheit, indem Er ihr die bestimmte Verheißung gab, dass sie durch Ihn vor jedem Irrtum, vor jeder Täuschung und Gefährdung durch die Arglist des Bösen bewahrt werden solle».
 
 
«Ferner begabte Er seine Kirche mit allen Verdiensten seines Lebens, Leidens und Sterbens, indem Er diese Verdienste an seine Sakramente knüpfte, in welche Er alles niederlegte, wessen die Menschen bedürfen vom Tag der Geburt bis zum Ende des Lebens, um vom Schmutz der Sünde rein gewaschen zu werden, um in der Gnade auszuharren, um gegen den Satan gerüstet und befähigt zu sein, ihn mit den Waffen der Kirche niederzuwerfen, um endlich die Angriffe von Seiten der eigenen Natur und der Gewalt der Leidenschaften zu besiegen. Und zu allen diesen Heilmitteln der Gnade gab Er ihnen auch noch die von Ihm selber tauglich gemachten und auf das Vollkommenste ausgerüsteten Diener und Werkzeuge, seine Priester. Auch wählt Er sich aus der streitenden Kirche zu jeder Zeit einzelne Seelen zu seinen besonderen Vertrauten aus, um ihnen seine Gunsterweise und seine geheimen Ratschlüsse mitzuteilen. Durch sie vollbringt Er im Verborgenen nicht selten die wunderbarsten Dinge, indem Er ihre Gebete und Fürbitten für andere, wo es seine Ehre erfordert  empfangen und erhören will, so dass in der Kirche die Gemeinschaft der Heiligen stets lebendig und tatsächlich erhalten bleibt.»
 
 
«Eine andere Quelle des Lichtes und der Wahrheit erschloss Er seiner Kirche in den heiligen Evangelien und in den andern vom Heiligen Geiste eingegebenen Schriften, nächst diesen in den Beschlüssen der heiligen Kirchenversammlungen und in den alten Überlieferungen. Zu bestimmten Zeiten sendet Er auch heilige, mit aller Weisheit erfüllte Lehrer, Meister des geistlichen Lebens, Herolde des Evangeliums und unzählige Diener seiner heiligen Geheimnisse. Er erleuchtet sie durch bewunderungswürdige Heilige. Er ziert sie durch die mannigfaltigsten Ordensfamilien, in welchen die Vollkommenheit des apostolischen Lebens ununterbrochen erhalten wird. Er regiert sie durch Bischöfe und erhabene Würdenträger. Und auf dass alle diese Gaben und Zierden seiner Kirche wohl geordnet und einträchtig zusammenwirken, darum bestellte Er ein höchstes Oberhaupt d. i. den römischen Papst, seinen Stellvertreter, mit der Fülle der göttlichen Gewalt ausgerüstet, zum wahren Haupt des ganzen schönsten mystischen Leibes der Kirche. Dieses Haupt schützt Er gegen alle Mächte der Welt und der Hölle und erhält es bis zum Ende der Welt!»
 
 
«Unter allen diesen Wohltaten aber, die Er seiner Kirche erzeigt hat und bis zum Ende ihr erweisen wird, nimmt jene nicht die letzte Stelle ein, dass Er nach seiner wunderbaren Himmelfahrt Mich der Kirche zurückgelassen hat, damit ich sie leite durch meine Verdienste und Gegenwart sie bestelle und pflege. Darum betrachte ich die Kirche als die meinige, und um so mehr, da der Allerhöchste selber sie durch Schenkung mir übergeben und mir aufgetragen hat ihr als Mutter und Herrin meine Sorgfalt beständig zuzuwenden.»
 
 
'''59.''' «Als die Apostel drei Tage lang um die heiligste Jungfrau versammet waren (I. c. c. 19. n. 739-741) und der Augenblick gekommen war, dass die wahre lebendige Lade des Bundes in das Heiligtum des himmlischen Jerusalems erhoben werde, kam der göttliche Heiland von seinem himmlischen Throne, begleitet von allen Heiligen des Himmels und unzählbaren Engelchören, hernieder und erfüllte das ganze Haus mit wunderbarem Glanze. Die seligste Jungfrau vollbrachte nun ihre letzte tiefste Anbetung und Danksagung in solcher Demut, wie nie ein Mensch zur Sühnung schwerster Verschuldung sie je erwecken könnte. Ihr heiligster Sohn segnete sie und sprach: <Meine liebste Mutter, die Ich zur Wohnung mir erkoren, die Stunde ist gekommen, welche dich aus dem sterblichen irdischen Leben in meine und meines Vaters Herrlichkeit bringen wird, wo Dir zu meiner Rechten der Thron für die ganze Ewigkeit bereitet ist. Gleichwie Ich dich als meine Mutter frei und unberührt von jeder Schuld in diese Welt habe eintreten lassen, so hat nun jetzt, um aus dieser Welt zu scheiden, der Tod weder eine Erlaubnis, noch ein Recht auf dich. Darum, wenn du nicht durch seine Pforte gehen willst, so komme nun mit mir und sei teilhaftig der durch deine Verdienste dir erworbenen Herrlichkeit !> Die weiseste Mutter aber antwortete voll Freudigkeit in tiefster Demut: <Mein Sohn und Herr! lasse deine Mutter und Magd zum ewigen Leben durch die allgemeine Pforte des natürlichen Todes eingehen, wie alle anderen Adamskinder ! Du selbst hast als wahrer Gott den Tod erdulden wollen, der in keiner Weise Dir hätte nahen dürfen. So ist es billig, dass ich auch im Tode von deiner Gemeinschaft mich nicht trenne, wie ich durch mein ganzes Leben dir nachzufolgen bestrebt war.> Der göttliche Heiland gab seine Zustimmung. Die Engel sangen in himmlischen Melodien die Worte des Hoheliedes, wunderbare Gerüche erfüllten alle Räume. Die süßeste Mutter aber sank auf ihr Lager zurück, die Hände zum Gebete aneinander schließend, die Augen nach ihrem heiligsten Sohn wendend, während sie wie eine Liebesflamme aufgelöst erschien.»
 
 
«Als die Engel an die Worte kamen: <Stehe auf, eile, meine Freundin, meine Taube, meine Schöne, und komme. Der Winter ist vergangen!> sprach Maria: <in Deine Hände, o Gott, empfehle ich meine Seele>, schloss die Augen und hatte ausgelebt. Die Liebe allein, nicht Krankheit oder Schwäche, machte sie verscheiden, und nur dadurch konnte der Tod erfolgen, dass Gottes Allmacht seine wunderbare Einwirkung zurückzog, durch weIche die natürlichen Kräfte bisher gestärkt worden waren, um nicht in den Flammen der göttlichen Liebe zu verglühen.»
 
 
'''60.''' «Die reinste Seele hob sich in unermesslicher Herrlichkeit empor auf den Thron zur Rechten des Sohnes Gottes (I. c. n. 742), begleitet von den Chören der Engel und Heiligen. Die Apostel hörten die englischen Melodien sich nach und nach in die Lüfte verlieren. Der heilige Leib der seligsten Jungfrau, der Tempel, das Heiligtum des lebendigen Gottes, blieb von Licht und Glanz übergossen und hauchte so wunderbare Wohlgerüche, dass alle Umstehenden mit Süßigkeit erfüllt wurden.»
 
 
«Die Apostel in Schmerz und Freudentränen, waren geraume Zeit wie in Verzückung. Dann aber sangen sie Loblieder und Psalmen zu Ehren ihrer hingeschiedenen heiligsten Mutter.»
 
 
'''61.''' «Hätte ich», sprach die heiligste Jungfrau zur seligen Maria von Agreda (I. c. n. 744 und 745), «den Tod von mir ferne halten wollen, so hätte mir der Allerhöchste dies bewilligt. Denn so wenig die Sünde einen Teil an mir hatte, so wenig konnte der Tod, die Strafe der Sünde, einen Teil an mir haben. Da aber mein heiligster Sohn, an welchem der Tod noch viel weniger Teil haben konnte, freiwillig leiden und sterben wollte, um der göttlichen Gerechtigkeit für die Schuld der Welt genugzutun, so wählte ich aus freiem Willen auch für mich den Tod, um meinem Sohn, wie im Leiden, so auch im Sterben gleichförmig zu sein. Da ich meinen Sohn und wahren Gott den Tod erleiden sah, so wäre die Liebe, die ich Ihm schuldete, nie befriedigt gewesen, hätte ich mich geweigert, den Tod für mich anzunehmen; und meine höchste Sehnsucht, zur vollen Gleichförmigkeit mit dem Mensch gewordenen Sohn Gottes zu gelangen, die Er in seiner Menschwerdung so sehr von mir begehrte, wäre weit hinter ihrem Ziele zurückgeblieben. Da ich nie diesen Mangel hätte mehr gut machen können, so könnte meine Seele nicht jene Fülle der Seligkeit genießen, die sie jetzt dafür genießt, dass ich sterben wollte, wie auch mein Herr und Gott gestorben ist.»
 
 
«Zum Lohn dieser meiner Todes-Wahl verlieh mir Gott der Herr zu Gunsten der Kinder der Kirche das mir so teure Vorrecht, kraft dessen alle meine Verehrer, welche in der Todesstunde zu mir rufen, dass ich durch die Verdienste meines freiwilligen Sterbens ihnen zu Hilfe komme, meinen besonderen Schutz gegen die Angriffe des bösen Feindes, sowie meinen Beistand und meine Verwendung vor dem Richterstuhl der göttlichen Barmherzigkeit empfangen werden. Der Herr gab mir hierzu eine eigene Vollmacht und die ausdrückliche Verheißung, dass er meinen Verehrern große Gnadenhilfen zu einem guten Tode und zu wahrer Lebensbesserung verleihen werde, wenn sie des Geheimnisses meines kostbaren Todes gedenkend, mich anrufen wollen.»
 
 
==== Die Herrlichkeit der heiligsten Seele Mariä ====
 
 
I. c. c. 21. n. 769:
 
 
'''62.''' «Der göttliche Erlöser hatte beim Einzug in den Himmel zu seiner Rechten die Seele seiner seligsten Mutter. Und zu seiner Rechten wird sie auch erscheinen bei dem allgemeinen Gericht, um mit Ihm über alle Kreaturen das Urteil zu fällen. Dies in Kraft ihrer Verdienste. Schon im ersten Augenblick ihrer unbefleckten Empfängnis war sie die hellglänzende Morgenröte, von den Strahlen der Sonne der Gerechtigkeit höher erleuchtet, als selbst die himmlischen Lichter der brennenden Seraphim. Als aber das ewige unerschaffene Wort in ihrem reinsten Schoß seine menschliche Natur von ihr annahm, wurde sie über alle Kreaturen in die innigste Vereinigung mit der Gottheit erhöht. Darum kam es ihr zu, für die ganze Ewigkeit zu solcher Mit-Teilnahme und Gleichförmigkeit der Herrlichkeit ihres Sohnes erhoben zu werden, wie sie zwischen Sohn und Mutter möglich ist, mit dem einen Unterschiede, dass ihr Sohn Gott und Mensch, sie aber nur eine Kreatur ist. Wenn schon die Glorie des niedersten Heiligen im Himmel so groß ist, dass keine Zunge auf Erden sie auszusprechen vermag, wie ganz unbegreiflich wird die Herrlichkeit der seligsten Jungfrau als der heiligsten über alle Heiligen sein, welche schon auf Erden für sich allein ein vollkommeneres Abbild ihres Sohnes war, als alle Heiligen zusammen! Unser Verstand ist zu schwach, unsere Worte sind zu eng und zu dürftig, um auch nur den geringsten Teil dieser Herrlichkeit zu fassen und auszusprechen. Darum wollen wir hienieden so leben, auf dass wir einstens dahin gelangen, wo im Lichte der Glorie diese Herrlichkeit uns klar und offenbar sein wird.»
 
 
«Unter dem Namen <Mutter> wurde von dem Erlöser der Welt Maria dem Throne Gottes dargestellt und in Gegenwart der staunenden Himmelsbürger sprach Er (I. c. n. 762): <Ewiger Vater! meine liebendste Mutter, deine geliebte Tochter, die schönste Braut des Heiligen Geistes kommt, um die unvergängliche, ihren Verdiensten bereitete Krone und Herrlichkeit in Besitz zu nehmen. Sie wurde unter den Adamskindern geboren als die Rose unter den Dornen, unbefleckt, rein, schön und ganz und gar würdig, auf jenen Thron erhöht zu werden, wohin kein anderes unserer Geschöpfe je gelangt ist und wohin kein in Sünde Empfangener gelangen kann. Sie ist die Auserwählte, ihr einzig und allein haben Wir eine Gnadenfülle und Teilnahme an unseren Vollkommenheiten verliehen, welche das für alle anderen Kreaturen bestimmte Maß übersteigt. In sie haben Wir den Schatz unserer unfassbaren Gottheit und ihrer Gaben niedergelegt. Sie hat diesen Schatz getreu bewahrt, mit den ihr verliehenen Talenten gewuchert, ist nie von unserem Willen abgewichen und hat Gnade und Wohlgefallen gefunden in unseren Augen. Nach dem höchst gerechten Urteil unserer Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, wonach Wir die guten Werke unserer Freunde überschwänglich belohnen, ist es nun durchaus billig und gerecht, dass meine Mutter als Mutter ihre Belohnung empfange. Wie sie in ihrem ganzen Leben und in all ihren Werken Mir so gleichförmig war, als dies einem bloßen Geschöpfe möglich ist, so soll sie nun auch in der Herrlichkeit Mir ähnlich sein, und empfangen ihren Sitz am Throne unserer Majestät, auf dass, wo die höchste Heiligkeit in ihrer Wesenheit ist, dort auch die Heiligkeit sei, welche die größte ist durch unsere Mitteilung.>»
 
 
«Dieser Ausspruch des menschgewordenen Wortes wurde vom Vater und vom Heiligen Geiste bestätigt (I. c. n. 763); und die heiligste Seele Mariä wurde zur Rechten ihres Sohnes des wahren Gottes auf den königlichen Thron der allerheiligsten Dreifaltigkeit erhöht, wohin weder ein Mensch, noch ein Engel, noch ein Seraph je gelangt ist, noch in alle Ewigkeit gelangen kann. Diese Erhöhung auf den Thron der drei göttlichen Personen ist die höchste und erhabenste Auszeichnung der seligsten Jungfrau. Sie ist die Königin des Himmels, umgeben von den Engeln und Heiligen, als den Dienern und Untertanen des Allerhöchsten. Dieser ihrer Erhöhung entsprechen auch ihre Gaben der Glorie, der Erkenntnis, der Anschauung und des Genusses Gottes. Sie ist des höchsten unendlichen Gutes, an welchem die Seligen in zahllosen Graden und Abstufungen teilhaben, mehr teilhaftig, als alle Seligen zusammen. In gleicher Weise erkennt, durchschaut und erfasst sie die Wesenheit und die Vollkommenheiten Gottes unvergleichlich mehr, als alle Himmelsbürger, und ihre Liebe, ihre Seligkeit in der Anschauung der tiefsten und verborgensten Geheimnisse Gottes ist größer, als die des ganzen himmlischen Hofes.»
 
 
«Und ist auch die Glorie der seligsten Jungfrau in einem unermesslichen Abstand von der Glorie der drei göttlichen Personen, da nach den Worten des heiligen Apostels das Licht der Gottheit unnahbar ist und in ihm allein die wesenhafte Unsterblichkeit und Herrlichkeit selber wohnt. Übertrifft auch die heiligste Seele Jesu Christi an den Gaben der Glorie in unvergleichlichem Grade die Seele seiner heiligsten Mutter, so ist doch die Herrlichkeit der Königin des Himmels im Vergleich mit der Glorie der anderen Heiligen eine so erhabene, gleich als wohne auch sie in dem unzugänglichen Lichte. Darin besitzt sie eine Gleichförmigkeit mit der Glorie Christi, welche in diesem Leben nicht zu verstehen oder auszusprechen ist.»
 
 
«Auch sind unsere Worte nicht vermögend, um zu beschreiben, welche Mehrung ihrer Freuden alle Himmelsbürger durch die Aufnahme ihrer Königin empfangen haben (I. c. n. 764). In allen Himmelsräumen erschallten Lobgesänge zum Preise des Allmächtigen, seiner Tochter, Mutter und Braut, in welcher Er allen seinen Werken die Krone aufgesetzt hatte. Und kann auch Gott selbst keinen Zuwachs an der Ihm wesentlichen Glorie empfangen, weil Er seine unendliche Seligkeit von Ewigkeit her voll und unveränderlich besaß und besitzt, so offenbarte Er doch seine Freude und sein Wohlgefallen über die Erfüllung seiner ewigen Ratschlüsse an diesem Tage höher, denn je.»
 
 
«Vom Throne Gottes ging die Stimme aus, welche sprach: <In der Verherrlichung unserer geliebten und liebendsten Tochter ist unser Verlangen und unser heiliger Wille zu unserem höchsten Wohlgefallen erfüllt. Alle Geschöpfe, die leben, haben Wir aus dem Nichts hervorgebracht, um sie nach dem Maß unserer unendlichen Güte an unseren Gütern und Schätzen teilnehmen zu lassen. Sie aber haben die Gnade dieser unendlichen Wohltätigkeit verscherzt, obwohl Wir sie fähig gemacht hatten, unsere Gnade und Glorie zu empfangen. Nur sie allein, unsere Auserkorene, unsere Tochter, hat keinen Teil an dem Ungehorsam und der Übertretung der Übrigen. Sie hat darum verdient, das zu empfangen, was die Kinder des Verderbens von sich gestoßen haben. Zu keiner Zeit, in keinem Augenblicke wurde in ihr unser Vertrauen getäuscht. Ihr sollen darum auch angehören alle Belohnungen, welche die ungehorsamen Engel und Menschen hätten empfangen dürfen, wenn sie unserer Gnade und Berufung treu geblieben wären. Durch ihre Unterwürfigkeit und den Eifer ihres Gehorsams hat sie das Widerstreben der Ungehorsamen ersetzt und in allem, was sie getan, hat sie unser ganzes Wohlgefallen sich erworben, so dass sie es verdient, ihren Sitz auf dem Throne unserer Majestät zu empfangen.>»
 
 
==== Die leibliche Himmelfahrt der heiligsten Jungfrau und ihre Krönung zur Königin des Himmels und der ganzen Welt ====
 
 
I. c. nr. 760-769:
 
 
'''63.''' «Am dritten Tage nach der Aufnahme der Seele Mariä in die Seligkeit des Himmels machte Gott den Heiligen seinen Willen kund, dass Maria auf die Erde zurückkehre, um sich mit ihrem heiligen Leib zu vereinigen, ihn vom Tode zu erwecken und so mit Leib und Seele zur Rechten ihres heiligsten Sohnes aufzufahren, ohne die allgemeine Auferstehung der Toten abzuwarten.»
 
 
«Unser Herr und Heiland selbst geleitete die Seele seiner heiligsten Mutter, gefolgt von unzähligen Engeln, den Altvätern und Propheten, zu dem Tempel ihres jungfräulichen Leibes im Grab. Hier sprach Er zu seinen Heiligen: <Meine Mutter ist ohne Makel der Erbsünde empfangen worden, damit Ich von ihrer jungfräulichen, reinsten, unbefleckten Substanz das Gewand der Menschheit annehmen konnte, in welchem ich in die Welt gekommen bin, sie zu erlösen. So ist mein Fleisch von ihrem Fleische; auch hat sie zu dem ganzen Werke der Erlösung ihre Mitwirkung Mir verliehen. Darum gebührt ihr die Auferstehung von den Toten, wie auch Ich erstanden bin, und zwar zur selben Zeit und Stunde. Denn in allem will Ich sie Mir gleichgestalten.>» Die Heiligen des alten Bundes stimmten Loblieder an. Am meisten aber frohlockten Adam und Eva, Anna und Joachim und der hl. Joseph. Die reinste Seele der Himmelskönigin vereinigte sich mit ihrem jungfräulichen Leib, das neue, unsterbliche Leben in den vier Gaben der Glorie: der Klarheit, Leidensunfähigkeit, Beweglichkeit und Feinheit ihm mitteilend. Sie erhob sich mit ihm, ohne den Stein, welcher die Grabhöhle verschloss, von der Stelle zu bewegen. Auch die Gewänder und Tücher blieben in derselben Lage, wie sie den heiligen Leib bedeckt hatten.»
 
 
«Da es unmöglich ist, die Herrlichkeit dieser Auferstehung mit Worten zu bezeichnen, so sage ich nur das eine: Gleichwie die göttliche Mutter in ihrem jungfräulichen Schoß dem Sohn Gottes den reinsten, edelsten, der Sünde unfähigen Leib gegeben hatte, so verlieh er zum Danke dafür ihrem Leib bei seiner Auferstehung, als bei seiner zweiten Geburt, eine Herrlichkeit und Schönheit, welche seinem eigenen verklärten heiligsten Leibe so ähnlich und gleichförmig ist, wie schon auf Erden sein heiligster, aus Maria empfangener Leib die höchste Ähnlichkeit mit dem seiner süßesten Mutter an sich getragen hatte.»
 
 
«Als <die Königin im goldenen Kleid und buntem Gewand> (Ps. 44, 10) erhob sich zur Rechten ihres Sohnes die heiligste Jungfrau zum Himmel empor in solcher Schönheit, dass alle Himmelsbewohner darüber in Staunen gerieten. Die Chöre der Engel begrüßten ihre Königin mit den Worten des Hoheliedes (3, 6-6, 9.-8,5). <Wer ist jene, welche aufsteigt aus der Wüste wie eine Rauchsäule von Spezereien aus Myrrhen und Weihrauch? Wer ist die, welche wie die aufsteigende Morgenröte hervorkommt. schön wie der Mond, auserkoren wie die Sonne, furchtbar wie ein geordnetes Heerlager?> <Wer ist die, die heraufsteigt aus der Wüste, von Lust überfließend, und auf ihren Geliebten gelehnt?> <Wer ist die, an welcher Gott selbst solche Freude und solches Wohlgefallen gefunden vor allen Kreaturen, dass Er sie über alle erhebt auf den Thron seines unnahbaren Lichtes und seiner göttlichen Majestät? 0 Wunder, wie noch nie in den Himmeln gesehen wurde! O neues Werk, würdig der unendlichen Weisheit! O Wunder der Allmacht Gottes, wie erhebst und verherrlichst du deinen Urheber!>»
 
 
«Vor dem Thron der Heiligsten Dreieinigkeit empfing Gott der Vater die heiligste Jungfrau mit den Worten: <Erhebe Dich über alle meine Geschöpfe, meine Tochter, meine Auserwählte, meine Taube!> Der Sohn Gottes sprach: <Meine Mutter, die menschliche Natur, welche Ich besitze, habe Ich von dir empfangen, und in allen meinen Werken, die Ich auf Erden vollbrachte, bist du in höchster Gleichförmigkeit Mir nachgefolgt; so empfange nun aus meiner Hand die Belohnung deiner Verdienste!> Der Heilige Geist begrüßte sie mit den Worten: <Gehe ein, meine geliebteste Braut, in die ewigen Freuden, welche deiner treuesten Liebe gebühren! Nun liebe und genieße ohne Sorge! Vorüber ist die Zeit der Leiden, du bist in sicherem, in ewigem Besitze unserer Liebeserweise.> Unsere heiligste Mutter wurde bei diesen Worten vom Abgrund der Gottheit, von dem Ozean unendlicher Wonne gleichwie verschlungen. Und alle Himmelsbewohner wurden mit Bewunderung und neuer Seligkeit erfüllt.»
 
 
«Wenn ich vom <Throne Gottes> rede, auf welchen Maria erhöht wurde, so ist hier nicht an einen körperlichen Thron zu denken, da Gott als der reinste, körperlose Geist in seiner Unendlichkeit, Unermesslichkeit, Unerfassbarkeit eines körperlichen Thrones oder eines materiellen Sitzes nicht bedarf, indem Er alles erfüllt und in jedem Geschöpfe gegenwärtig ist, ohne dass Er von einem derselben umgeben oder umschlossen werden kann. Auch schauen die Seligen Gott nicht mit körperlichen Augen, sondern mit den Augen des Geistes. Da sie Ihn aber doch an einem bestimmten, von anderen Räumen verschiedenen Orte, nämlich im höchsten Himmel schauen, darum sprechen wir nach unserer irdischen, sinnlichen Ausdrucksweise, dass Gott auf seinem königlichen Thron, als dem Sitz der Heiligsten Dreifaltigkeit wohne. Obwohl Er in Wirklichkeit die Herrlichkeit in sich selber trägt, an der Er seine Heiligen teilnehmen lässt.
 
 
«Damit soll aber nicht in Abrede gestellt sein, dass die heiligste Menschheit unseres Erlösers Jesu Christi und seine heiligste Mutter sich an einem, ihnen besonders zukommenden, höheren Orte im Himmel befinden, als die übrigen Heiligen, und dass auch unter den Seligen selber, wenn sie mit Leib und Seele im Himmel sein werden, die mannigfachsten Abstufungen der größeren oder geringeren Entfernung von unserm Erlöser Jesus Christus und von der Himmelskönigin stattfinden werden. Unter <Thron der Gottheit> verstehen wir darum den Ort, wo Gott den Heiligen als der Urgrund der Glorie, als der ewige, unendliche Gott sich offenbart, der unabhängig ist von allem außer Ihm, dessen Willen aber alle Geschöpfe unterworfen sind; wo Er endlich sich offenbart als der König, der Richter und Herr alles dessen, was Dasein besitzt. Diese Herrlichkeit und Würde kommt unserem Erlöser Jesus Christus, sofern Er Gott ist, nach seiner Natur oder Wesenheit zu. Sofern Er aber Mensch ist, besitzt Er sie kraft der hypostatischen Einigung, durch welche sie seiner heiligsten Menschheit mitgeteilt wird, und darum thront Er auch nach seiner Menschheit im Himmel als höchster König, Herr und oberster Richter. Die Heiligen aber, obwohl ihre Glorie und ihre Würde jede menschliche Fassungskraft übersteigt, sind als seine Diener und Untertanen tief unter seiner unnahbaren Majestät.»
 
 
«In der nächsten Nähe unseres Herrn und Erlösers ist seine heiligste Mutter, welche an der höchsten Hoheit ihres heiligsten Sohnes in dem geringeren Grade Anteil nimmt, in welchem sie als ein Geschöpf derselben teilhaft werden kann. So dass sie also nach Gott die unmittelbar Ihm Nächste ist und immer und ewig zur Rechten ihres Sohnes als Königin und Herrin, als mächtige Gebieterin aller Geschöpfe thront, deren Herrschaft, so weit sich erstreckt, als die ihres Sohnes, wenn gleich in anderer Weise.»
 
 
«Bei Erhöhung der seligsten Jungfrau auf diesen erhabensten Thron sprach Gott der Vater zu den Engeln und Heiligen (I. c. n. 777) : <Maria Unsere Tochter wurde nach ewigem Ratschluss aus allen Kreaturen zu unserem Eigentum erkoren, und sie war die erste, an der Wir vor allen anderen unser Wohlgefallen fanden. Niemals hat sie des Namens und der Würde einer Tochter, die sie von Anbeginn von Uns empfangen hatte, sich unwert gezeigt. So hat sie das Recht, als rechtmäßige Herrin und einzige Königin unseres Reiches anerkannt und gekrönt zu werden.> Und ihr heiligster Sohn sprach: <Meiner wahren Mutter gehören alle Kreaturen, die Ich erschaffen und erlöst habe. Über alles, worüber Ich der König bin, sei auch sie die rechtmäßige, höchste Königin.> Der HI. Geist sprach: <Als meiner einzigen, auserwählten, treuesten Braut gebührt ihr die Krone der Himmelskönigin für alle Ewigkeit.»>
 
 
«Nach diesen Worten setzten die drei göttlichen Personen der heiligsten Mutter eine himmlische Krone von solchem Glanze auf das Haupt, wie eine andere Kreatur nie mehr empfangen kann. Vom Throne ging eine Stimme aus, welche sprach: <Freundin, Auserwählte aus allen Geschöpfen, Unser Reich gehört Dir. Du bist Königin, Herrscherin und Gebieterin über die Seraphim, über alle Engel und alle Kreaturen. Beginne, fahre fort mit Glück und herrsche (Ps 44, 5) über sie. Denn nach Unserem höchsten Rat übertragen Wir Dir die Herrrschaft, Majestät und höchste Gewalt. Der Gnade voll über alle, hast Du unter alle aus Demut dich erniedrigt. Darum empfange den ersten Platz vor allen und die Herrschaft über alles, was Unsere Allmacht hervorgebracht. Von deinem königlichen Throne aus wirst du herrschen bis zum Mittelpunkt der Erde. Der Gewalt, welche Wir dir gaben, ist die Hölle mit ihren Einwohnern unterworfen. Sie müssen dich fürchten als die Gebieterin und Herrin auch über die Wohnungen der Finsternis. Herrschen wirst du über die Erde, die [[Elemente]], über alle Geschöpfe auf Erden. In deine Hände und in dein Verfügen stellen Wir die Kräfte und Wirkungen aller erschaffenen Ursachen, ihre Tätigkeiten, ihre Erhaltung, auf dass du nach deinem Gefallen Sonnenschein, Regen, Fruchtbarkeit und Gedeihen spenden mögest. Du bist Königin und Gebieterin über alle Sterblichen, über Tod und Leben. Du bist Königin und Gebieterin, Beschützerin, Fürsprecherin, Mutter und Lehrmeisterin der streitenden Kirche. Du bist die besondere Patronin der katholischen Reiche. Und wer immer zu dir von Herzen ruft, dir zu dienen und zu gefallen sucht, dem wirst du in aller Not und Trübsal zu Hilfe kommen. Du bist die Freundin, Beschützerin und Führerin aller Gerechten. Du wirst sie trösten, stärken und beglücken je nach dem Maß ihrer Andacht zu dir. Zu diesem Ende machen Wir dich zur Bewahrerin Unserer Reichtümer, zur Schatzmeisterin Unserer Güter. In deine Hand geben Wir die Hilfen und Wirkungen der Gnade, auf dass du sie austeilest. Nichts wollen Wir der Welt gewähren, was nicht durch deine Hand ginge. Nichts wollen wir ihr verweigern, was du ihr gewähren willst. Gnade wird über deine Lippen ausgegossen sein bei all deinen Bitten und Anordnungen. Im Himmel und auf Erden und an allen Orten werden Engel und Menschen dir gehorchen. Denn alles, was Unser ist, ist Dein, gleichwie auch du Unser Eigentum warst zu jeder Zeit. Du wirst mit Uns regieren in Ewigkeit.»
 
 
«Nun empfing die Königin des Himmels und der Erde die Huldigung aller Chöre der Engel und Heiligen des Himmels (I. c. n. 779). Sie alle erblickten auf dem verklärten Herzen der großen Himmelskönigin eine glänzende Gestalt, gleich einer Kugel oder Scheibe von unaussprechlicher Schönheit, welche ihnen besondere Bewunderung und Freude verursachte und immer verursacht. Es ist dies eine Belohnung und ein ewiges Zeugnis dafür, dass Maria in ihrem Herzen, als in dem würdigsten Tabernakel, das fleischgewordene Wort in sakramentaler Gestalt getragen und dasselbe so würdig, so rein und heilig, ohne irgendweiche Makel oder Unvollkommenheit, vielmehr mit höchster Ehrfurcht, Liebe und Anbetung empfangen hat, wie nie ein anderer Heiliger dies zu tun vermöchte.»
 
 
'''64.''' Worte der heiligsten Jungfrau an die selige Maria von Agreda (I. c. n. 783). «Meine Tochter! Wenn etwas den Genuss meiner höchsten Seligkeit und Glorie vermindern könnte, und wenn in ihr ein Schmerz noch möglich wäre, so würde ich darüber den größten Schmerz empfinden, dass ich die heilige Kirche in der so großen Trübsal erblicken muss, in welcher sie gegenwärtig sich befindet. Alle Gläubigen wissen, dass ich ihre Mutter, ihre Beschützerin und Mittlerin bin, dass sie durch meine Hilfe und Führung zum Himmel gelangen sollen und dass ich als Königin und Mutter der Barmherzigkeit meine Macht und Güte nur zu ihrem Heile verwende. Aber sie weisen meine hilfreiche Hand zurück, und unzählige Seelen gehen zu Grunde, weil sie es unterlassen, mich von Herzen um meinen Beistand anzurufen, und weil sie mich so der Freude berauben, dem ewigen Verderben sie zu entreissen.»
 
 
«Zu keiner Zeit war es den Kindern der Kirche unbekannt, welche Macht ich im Himmel besitze und was meine Vermittlung vermag, um allen zu helfen. Denn durch so viele tausend und tausende von Zeugnissen ist ihnen dies bestätigt, als es Wunder, Zeichen und Gnaden gibt, die ich meinen Dienern zuliebe gewirkt habe. Immerdar erzeigte ich allen, die in ihren Nöten zu mir rufen, meine freigebigste Güte, und um meinetwillen auch mein heiligster Sohn. Nun naht aber die Welt ihrem Ende und doch säumen die Sterblichen, zu Gott sich zu bekehren. Die Kinder der Kirche verstricken sich durch ihre Lauigkeit immer mehr in die Bande des Satans, die Zahl der Sünder wächst, die Verbrechen nehmen zu, je mehr die Liebe erkaltet. Ist es darum zu verwundern, wenn die göttliche Gerechtigkeit zürnt und die angedrohten Strafgerichte sich erfüllen, da die Bosheit der Menschen den höchsten Grad erreicht hat?»
 
 
«Doch größer als diese Bosheit ist meine Gütigkeit und Milde, und sie allein ist es, welche die Zuchtrute der göttlichen Gerechtigkeit aufzuhalten vermag, wenn nur die Sterblichen meine Vermittlung anrufen und mir wohlzugefallen sich bestreben wollten!»
 
 
«O möchten doch alle Kinder der Kirche beherzigen (ruft die selige Maria von Agreda aus [I. n, 7. 33. ff.]), dass sie keine Ausflucht, keine Entschuldigung haben werden, wenn sie das göttliche Licht zurückweisen, welches die jungfräuliche Gottesgebärerin der Welt bereitet hat. Zur Erleuchtung der Kirche hatte sie der Sohn Gottes in den Anfangszeiten des Glaubens noch auf Erden zurückgelassen, um ihren Erstlingen durch ihre sichtbare, persönliche Gegenwart beizustehen. In dem letzten Zeitalter aber, d. i. in dem gegenwärtigen, will Er ihre Herrlichkeit und Größe noch mehr offenbaren, weil die Kirche dieser Zeit ihres mächtigsten Schutzes und ihrer gütigsten Hilfe viel mehr als je bedürftig ist, um die Welt, den Satan und das Fleisch zu überwinden. Denn in unseren Tagen haben die Feinde Gottes, mächtig geworden durch die Gleichgültigkeit und die Verbrechen der Sterblichen, ihre Herrschaft viel weiter ausgedehnt und üben sie mit weit größerer Gewalt aus, als es jemals der Fall gewesen, um die Menschen der Gnade Gottes und der ewigen Seligkeit zu berauben. Diesen Anstrengungen Luzifers und seiner Verbündeten will der barmherzigste Herr und Heiland die Verdienste und Fürbitten seiner reinsten, unbefleckten Mutter, und die unbegrenzte Macht ihre Schutzes entgegenstellen, sofern nur wir selber in unseren Nöten und Gefahren zu ihr unsere Zuflucht nehmen und unsere Rettung von ihr erflehen wollen. In seiner heiligsten Mutter hat Er uns das Heil gegen alle Geißeln, alle Heimsuchungen und Zuchtruten bereitet, von denen wir um unserer Sünden willen geschlagen werden. Luzifer hat heutzutage nur darum so große Macht auf Erden und vermag nur darum seine Angriffe gegen die heilige Kirche so sehr zu steigern, weil er sieht, dass alle die Eitelkeit und Lust der Welt lieben. Der größte Teil der Schuld und Strafe fällt aber auf die Glieder der Kirche. Denn ihre Sünden, als die Sünden der Kinder, welche den Willen ihres himmlischen Vaters kennen, sind viel schwerer, als die aller anderen. Sie wissen auch, dass das Reich der Himmel Gewalt leidet und dass nur die Gewaltigen es an sich reissen (Mt 11, 12); und doch ergeben sie sich der geistlichen Trägheit und dienen dem Geiste der vergänglichen Welt und den Gelüsten des Fleisches. Weil sie also freiwillig vom bösen Feinde sich täuschen lassen, darum züchtigt sie der höchste Richter durch eben diesen Feind, indem Er nach gerechtem Urteil ihm Gewalt lässt, die heilige Kirche so schrecklich zu verfolgen und ihre Kinder mit den härtesten Geißeln zu schlagen.»
 
 
«Da aber der Vater der Erbarmungen die Werke seiner Hände nicht vernichten lassen will, darum bietet Er in dem Schutz unserer heiligsten Mutter Heil und Rettung uns an, indem Er ihre Gebete, ihre Verwendung, ihre flehentlichen Fürbitten seiner Gerechtigkeit entgegenhält, um einen Titel und Anlass zu haben, die durch unsere Sünden verdienten, noch härteren Züchtigungen von uns abzuwenden, oder zu mildern. O möge doch niemand es versäumen, durch eifrigste Liebe und Verehrung der heiligsten Jungfrau ihres mächtigsten Schutzes sich teilhaft zu machen! Keinem kann sie ihr gütigstes Herz verschließen, der in ihm seine Rettung sucht. Mag er kommen in der Nacht der Sünde, oder am hellen Tage der Gnade. Er wird sicher Zutritt und Hilfe finden. Denn so groß ist ihre Liebe und Barmherzigkeit, dass sie nicht erst wartet, bis wir mit Ungestüm vor ihrer Pforte pochen. Denn sie ruft selber uns zu und ist immerdar bereit, die Bitten aller zu erhören, die zu ihr flehen.»
 
 
«Wir haben nicht Ursache, die erste Kirche über die glückselige Auszeichnung zu beneiden (1. c. n. 88), dass sie die heiligste Jungfrau noch so viele Jahre in ihrer Mitte besitzen durfte. Denn schon damals hatte die liebevolle Mutter auch uns, die wir in den letzten und gefährlichsten Zeiten leben, vor Augen. Sie hat uns alle gekannt, schon damals für uns gebetet, und um uns sich verwendet, nicht anders als für jene, in deren Mitte sie weilte. Sie ist uns in gleicher Weise Mutter, wie sie es jenen war, und sieht uns ebenso als ihre Kinder an, wie sie jene als solche ansah. Aber leider ist unser Glaube, unser Eifer, unsere Andacht von der der ersten Christen gar sehr verschieden! Maria hat sich nicht geändert, noch hat sich ihre Liebe vermindert. Darum wäre ihr Schutz und Schirm an uns noch heute ebenso mächtig und ebenso fühlbar, wie damals, wenn wir in diesen unglücklichen Tagen eben so vertrauend, eben so demütig und eifrig unser Wohl und Wehe ihren Händen übergeben wollten, wie es die ersten Kinder der Kirche getan haben; und dadurch würde die ganze katholische Kirche bei der großen Königin des Himmels auch jetzt, in ihren letzten Zeiten, dieselbe Hilfe finden, welche sie in der ersten Zeit bei ihr gefunden hat.»
 
 
'''65.''' Endlich sei noch bemerkt, dass die gottselige A. K. Emmerich jener Überlieferung beipflichtet, nach welcher die seligste Jungfrau nicht in Jerusalem, sondern in der Nähe von Ephesus ihre letzten Lebenstage zugebracht hat, daselbst aus diesem Leben geschieden und zu Grabe von den heiligen Aposteln getragen worden ist. Aus dem sie wenige Tage danach wieder glorreich erstanden und in die ewige Herrlichkeit als Königin des Himmels aufgenommen worden ist. Papst Benedikt XIV. will sich weder für diese noch für die andere Überlieferung entscheiden, wonach nicht in Ephesus, sondern in Jerusalem die heiligste Jungfrau ihre irdische Pilgerschaft beschlossen haben solle. Er sagt: «Nos in utraque controversia, tum de anno, tum de loco quo obiit beata Virgo, nullius partes sequimur, satis contenti, diversas recensuisse sententias et fundamenta, quibus quaeque eorum innititur. Illud tamen repetimus, exploratum esse, beatam Virginem ex hac vita migrasse, ejus animan a corpore fuisse sejunctam, statimque, nulla vel minima mora interjecta, non solum beata visione fuisse praeditam, sed sublatam ad empyreum, et exaltatam esse super choros Angelorum ... Neque hic praetereundum, quod fusius infra docebimus, beatae Virginis corpus paulo post obitum, incorruptibili et gloriosa temperatione suscepta, rursus cum anima coaluisse et nunc in coelo esse.»
 
 
Zum Schluss erklärt der Herausgeber in vollkommenster Unterwerfung unter die Dekrete Urbans VIII., dass er dem ganzen Inhalte des vorliegenden Buches keine andere, als rein menschliche Glaubwürdigkeit beilegt und beigelegt wissen will.
 
 
<center> P. Carl Erhard Schmoeger </center>
 
  
 
== DIE SCHÖPFUNG ==
 
== DIE SCHÖPFUNG ==

Aktuelle Version vom 20. Juli 2021, 08:28 Uhr

EMMERICK - VISIONEN
Das arme Leben und bittere Leiden unseres Herrn Jesus Christus und seiner heiligsten Mutter Maria nebst den Geheimnissen des Alten Bundes nach den Visionen der gottseligen Anna Katharina Emmerick

aus den Tagebüchern des Clemens Brentano, Herausgegeben von Pater C. E. Schmöger von der Kongregation des allerheiligsten Erlösers (CSSR), Mit kirchlicher Druckerlaubnis, 1. Band des 4 Bände umfassenden Gesamtwerkes, Immaculata Verlag Reussbühl / Luzern 1970 (414 Seiten, Erste Auflage; Seiten: 129-271).

Emmerick Visionen.jpg


DIE SCHÖPFUNG

Imprimatur, Würzburg am 24. September 1969, Wittig, Generalvikar.

Altes Testament Einheitsübersetzung 1979 Teil A, Altes Testament Einheitsübersetzung 1979 Teil B.
Katholisches Religionsbüchlein#Altes Testament

0. Einleitung

Anna Katharina erzählte von den Gesichten ihrer frühesten Jugend: Als ich in meinem fünften bis sechsten Jahre den ersten Artikel des katholischen Glaubensbekenntnisses betrachtete: «Ich glaube an Gott Vater den allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erde», da kamen mir allerlei Bilder von der Erschaffung des Himmels und der Erde vor die Seele. Ich sah den Sturz der Engel, die Erschaffung der Erde und des Paradieses, Adams und Evas und den Sündenfall. Ich dachte nicht anders, als dies sehe ein jeder Mensch so, wie die anderen Dinge um uns her, und so erzählte ich dann meinen Eltern, Geschwistern und Gespielen ganz unbefangen davon, bis ich merkte, dass man mich auslachte und fragte, ob ich ein Buch habe, worin das alles stehe. Da fing ich nach und nach an, von diesen Dingen zu schweigen und dachte, es schicke sich wohl nicht, von solchen Sachen zu reden. Ohne mir jedoch besondere Gedanken darüber zu machen. Ich habe diese Gesichte gehabt sowohl bei Nacht, als auch bei hellem Tag im Feld, im Haus, gehend, arbeitend, unter allerlei Geschäften. Als ich einmal in der Schule ganz arglos anders, als es gelehrt wurde, von der Auferstehung sprach und zwar mit Gewissheit und in der unbefangenen Meinung, das müsse jedermann auch so wissen, wie ich, und gar nicht ahnend, dass dies eine persönliche Eigenschaft von mir sei, wurde ich von den Kindern mit Verwunderung ausgelacht und bei dem Magister verklagt, der mich ernstlich ermahnte, solche Vorstellungen mir nicht einzubilden. Ich sah aber diese Gesichte stillschweigend fort, wie ein Kind, das Bilder betrachtet und sich dieselben auf seine Weise auslegt, ohne viel zu fragen, was dieses und jenes bedeute. Weil ich nun öfter die gewöhnlichen Heiligenbilder oder Darstellungen aus der biblischen Geschichte bald so, bald anders dieselben Gegenstände vorstellen sah, ohne dass dies irgend eine Änderung in meinem Glauben gemacht hätte, so dachte ich, die Gesichte, die ich habe, sind mein Bilderbuch und betrachtete dieses in allem Frieden und machte immer die gute Meinung dazu: Alles zur größeren Ehre Gottes! Ich habe nie etwas in geistlichen Dingen geglaubt, als was Gott der Herr geoffenbart hat und durch die heilige katholische Kirche zu glauben vorstellt, es sei solches ausdrücklich geschrieben oder nicht. Und nie habe ich das, was ich in Gesichten gesehen, ebenso geglaubt. Ich sah diese an, wie ich hie und da verschiedene Weihnachtskrippen andächtig betrachtete, ohne an der einen durch die Verschiedenheit der andern gestört zu werden. Ich betete in einer jeden nur dasselbe liebe Jesuskindlein an, und so ging es mir auch bei diesen Bildern von der Schöpfung Himmels und der Erde und des Menschen. Ich betete Gott den Herrn, den allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erde darin an.

1. Sturz der Engel

Zuerst sah ich einen unbegrenzten Raum voll Licht vor mir aufgehen und hoch in demselben wie eine lichtere Kugel gleich einer Sonne und in derselben, fühlte ich, sei die Einigkeit von Dreien. Ich nannte es in mir die Einstimmung und sah aus ihr wie eine Wirkung. Da entstanden unter der Kugel wie in einander liegende leuchtende Kreise, Ringe, Chöre von Geistern unendlich leuchtend und kräftig und schön. Diese Lichtwelt stand wie eine Sonne unter jener höheren Sonne.

Erst bewegten sich diese Chöre alle wie in Liebe aus der höheren Sonne. Auf einmal sah ich einen Teil aus allen Kreisen stillstehen in sich, versenkt in eigene Schönheit. Sie empfanden eigene Lust, sahen alle Schönheit in sich, sie besannen sich, sie waren bei sich.

Erst waren sie alle in höherer Bewegung außer sich. Nun stand ein Teil still in sich. Und in demselben Augenblick sah ich diesen ganzen Teil der leuchtenden Chöre niederstürzen und sich verfinstern und die anderen gegen sie hindringen und ihre Räume ausfüllen, die nun kleiner waren. Doch sah ich nicht, als ob sie dieselben aus der Figur des Bildes ausschweifend verfolgten. Jene standen still in sich, stürzten ab und die NichtstilIgestandenen drangen in ihren Raum und alles dieses war zugleich.

Da sie niedergestürzt waren, sah ich unten eine Schattenscheibe entstanden, als sei dies ihr Aufenthalt. Ich wusste, sie seien in eine ungeduldige Form gefallen. Der Raum aber, welchen sie jetzt unten einnahmen, war weit kleiner, als der, den sie oben eingenommen hatten, so dass sie mir viel enger zusammengedrängt erschienen.

Seit ich diese als Kind hatte niederfallen sehen, war ich bei Tag und bei Nacht bange vor ihrem Wirken und dachte immer, sie müssten der Erde viel schaden. Sie sind immer rund um sie her. Gut, dass sie keine Körper haben, sie würden sonst die Sonne verfinstern und man würde sie immer wie Schatten vor derselben schweben sehen. Das wäre entsetzlich.

Gleich nach dem Sturz sah ich, dass die Geister der leuchtenden Ringe sich vor dem Gotteskreise demütigten, untertänig wurden und flehten, das Niedergestürzte möge wieder hergestellt werden.

Hierauf sah ich ein Bewegen und Wirken in dem Gottes-Lichtkreise, der bis dahin stille gestanden, und, wie ich gefühlt, auf dieses Bitten gewartet hatte.

Nach dieser Handlung der Geisterchöre ward ich inne, nun sollten sie fest bleiben und nicht mehr zerfallen können. Es wurde mir aber bewusst, dass dies Gottes Erklärung und ewiger Ausspruch gegen sie war: bis diese gefallenen Chöre wieder hergestellt seien, so lange solle Streit sein. Und ich sah diese Länge für meine Seele ganz unendlich lang, ja wie unmöglich. Der Kampf aber solle auf Erden sein und dort oben solle kein Kampf mehr sein, das befestige Er.

Nach diesem Innewerden konnte ich kein Mitleid mehr mit dem Teufel haben. Denn ich habe ihn aus freiem bösem Willen sich mit Gewalt niederstürzen sehen. Auch konnte ich nicht auf Adam so böse sein. Ich hatte immer großes Mitleid mit ihm. Denn ich dachte immer, es sei ja vorhergesehen.

2. Erschaffung der Erde

Gleich nach dem Flehen der gebliebenen Geisterchöre und nach der Bewegung in der Gottheit, sah ich neben der Schattenscheibe, die unten entstanden war, zur Rechten nicht weit voneinander getrennt, eine dunkle Kugel entstehen.

Nun heftete ich meine Augen mehr auf diese dunkle Kugel rechts von der Schattenscheibe und sah eine Bewegung in derselben, als würde sie größer und größer und sah lichtere Punkte aus der Maß hervordringen und sie wie helle Bänder umziehen und hie und da in breitere helle Flächen austreten. Zugleich sah ich die Gestalt des hervortretenden Landes sich gegen das Wasser abgrenzen. Dann sah ich in den lichten Stellen eine Bewegung, als würde in ihnen was lebendig. Und auf den Landflächen sah ich Gewächse hervordringen und zwischen diesen auch lebendiges Gewimmel entstehen. Ich dachte noch als Kind, die Pflanzen bewegten sich.

Bisher war alles grau gewesen, nun wurde alles lichter, und ich sah wie Sonnenaufgang. Es war, als wie es am frühen Morgen ist auf der Erde, und als erwache alles aus dem Schlafe.

Alles andere von dem Bilde verschwand mir. Der Himmel war blau, die Sonne zog an ihm hervor. Ich sah einen Teil der Erde allein von ihr beschienen und erleuchtet und diesen ganz herrlich und lustig und dachte, dies ist das Paradies.

Alles aber, wie es sich auf der dunkeln Kugel veränderte, sah ich gleich einem Ausströmen aus jenem höchsten Gotteskreise. Es war, als die Sonne höher stieg, alles wie morgens im Erwachen; aber es war der erste Morgen und doch wusste dies kein Wesen. Sie waren, als seien sie ewig da gewesen, sie waren in Unschuld.

Wie die Sonne stieg, sah ich auch die Bäume und Pflanzen größer geworden und immer größer werdend. Das Wasser war heller und heiliger, alle Farben waren reiner und leuchtender, alles war unaussprechlich angenehm. Es war auch keine Spur da, wie jetzt die Geschöpfe sind. Alle Pflanzen, alle Blumen und Bäume hatten andere Figuren. Jetzt sieht alles ganz wüst und verkrüppelt dagegen aus, es ist jetzt alles, wie ganz ausgeartet.

Oft wenn ich in unserem Garten Pflanzen oder Früchte sah, welche ich in südlichen Ländern ganz anders, groß, edel und schmackhafter gesehen, wie z. B. Aprikosen, dachte ich, was diese unsere Früchte gegen die Südfrüchte, das sind die Südfrüchte und noch viel schlechter gegen die Früchte des Paradieses. Rosen sah ich darin, weiße und rote, und dachte dabei, sie bedeuten das Leiden Christi und die Erlösung. Auch sah. ich Palmbäume und große breite Bäume, welche einen weiten Schatten warfen, wie ein Dach.

Ehe ich die Sonne sah, war alles ganz klein an der Erde, nachher größer und endlich ganz groß.

Die Bäume standen nicht dicht. Ich sah von jeder Art der Gewächse, der größeren wenigstens, nur eines, und sah sie getrennt stehen, wie man auf Gartenbeeten die Gattungen erst aussetzt. Alles war übrigens ganz grün und auf eine Art rein, unzerstört und unzerrissen, die gar nicht an menschliches Aufräumen und Reinigen erinnerte. Ich dachte noch, wie ist alles so schön, da noch keine Menschen da sind! Es ist noch keine Sünde, keine Zerstörung, kein Zerreissen dagewesen. Hier ist alles heil und heilig, hier ist noch nichts geheilt und geflickt, hier ist alles rein und nicht gereinigt.

Die Fläche, die ich sah, war sanft hügelig und durchaus mit Gewächsen überzogen. In der Mitte aber war eine Quelle, aus welcher sich Flüsse nach allen Seiten ergossen, deren einige wieder ineinander flossen. In diesen Gewässern bemerkte ich zuerst Bewegung und lebendige Tiere. Dann aber sah ich die Tiere hie und da zwischen den Büschen und Sträuchern, wie aus dem Schlafe sich erheben und hervorgucken. Sie waren nicht scheu und ganz anders, als jetzt. Ja sie waren gegen die jetzigen Tiere schier wie Menschen. Sie waren rein, edel, schnell, freudig und sanft. Es ist nicht auszusprechen, wie sie waren. Die meisten Tiere waren mir fremd. Ich sah schier keine wie jetzt. Den Elephanten, Hirsch, das Kamel sah ich und besonders das Einhorn, welches ich auch in der Arche gesehen habe, wo es besonders liebevoll und sanft war. Es war kürzer als ein Pferd und hatte einen runderen Kopf. Ich sah keine Affen, keine Insekten und elende hässliche Tiere. Ich dachte immer, diese seien eine Sündenstrafe. Ich sah viele Vögel und hörte den lieblichsten Gesang, wie am Morgen. Aber ich hörte keine Tiere brüllen und sah keinen Raubvogel.

Das Paradies besteht noch immer. Es ist aber den Menschen ganz unmöglich, dahin zu gelangen. Ich habe gesehen, wie es noch in seinem Glanze besteht, hoch droben, schräg von der Erde abgesondert, wie die finstere Scheibe des Engelsturzes vom Himmel.

3. Adam und Eva

Ich sah Adam nicht im Paradies erschaffen, sondern in der Gegend vom nachmaligen Jerusalem. Ich sah ihn glänzend und weiß aus einem gelben Erd-Hügel hervorgehen, wie aus einer Form. Die Sonne schien, und ich dachte, da ich als Kind dies sah, die Sonne scheint den Adam aus dem Berge heraus. Er wurde wie von der Erde geboren, die eine Jungfrau war. Gott segnete sie und sie ward seine Mutter. Er trat nicht plötzlich aus der Erde, es währte einige Zeit, bis er hervortrat. Er lag in dem Hügel auf seiner Linken, den Arm über den Kopf geschlungen, und war mit leichtem Nebel wie mit Flor bedeckt. Ich sah eine Figur in seiner Rechten und ward inne, dass es Eva sei, welche im Paradies von Gott aus ihm hervorgezogen wurde. Gott rief ihn, und es war, als tue der Erdhügel sich auseinander, und Adam trat allmählich hervor. Es waren keine Bäume, sondern nur kleine Blumen umher. Auch die Tiere hatte ich in lauter Einheiten aus der Erde hervorkommen sehen und dann die weiblichen sich daraus absondern.

Ich sah, dass Adam weit hinweg nach einem hoch liegenden Garten, dem Paradies getragen wurde.

Gott führte ihm im Paradies die Tiere vor. Adam nannte sie und sie folgten ihm und spielten um ihn. Alles war vor der Sünde ihm dienend. Eva war noch nicht aus ihm herausgebildet. Alle Tiere, die er genannt, folgten ihm später auf die Erde nach.

Ich sah den Adam im Paradies, nicht weit vom Quell in der Mitte des Gartens, sich wie aus dem Schlafe zwischen Blumen und Kräutern emporheben. Er war weiß schimmernd. Sein Leib aber hatte doch mehr dem Fleisch, als einem Geist ähnliches. Er wunderte sich über nichts, auch über sich selbst nicht. Er ging, als sei er an alles gewöhnt, zwischen den Bäumen und Tieren umher, wie jemand, der seine Felder besieht.

Ich sah Adam an dem Hügel bei dem Baum am Wasser auf der linken Seite mit der Linken unter der Wange liegend. Gott senkte Schlaf auf ihn und er war entzückt in Gesichten.

Da zog Gott aus Adams rechter Seite Eva an der Stelle hervor, wo die Seite Jesu durch die Lanze eröffnet wurde. Ich sah Eva fein und klein. Sie ward schnell größer, bis sie vollkommen groß und schön war. Ohne den Sündenfall würden alle Menschen so in sanftem Schlafe geboren worden sein.

Der Hügel wich auseinander, und ich sah an Adams Seite einen Fels wie von kristallförmigen Edelsteinen entstehen, an der Seite Evas aber ein weißes Tal, wie mit feinem weißem Fruchtstaub bedeckt.

Als Eva gebildet war, sah ich, dass Gott Adam etwas gab oder zufließen ließ. Es war, als flössen von Gott, in Menschenform erscheinend, aus Stirne, Mund und Brust und Händen Lichtströme und einigten sich zu einem Lichtballen, der in die rechte Seite Adams einging, aus welcher Eva genommen war. Adam empfing dies allein. Es war dies der Keim des Segens Gottes. In diesem Segen war eine Dreiheit. Der Segen, den Abraham von dem Engel empfing, war Eines, das in gleicher Form, doch nicht so leuchtend erschien.

Eva stand aufgerichtet vor Adam, und dieser gab ihr die Hand. Sie waren wie zwei Kinder, unaussprechlich schön und edel. Sie waren ganz leuchtend, mit Strahlen bekleidet, wie mit einem Flor. Aus dem Munde Adams sah ich einen breiten Lichtstrom leuchten und auf seiner Stirne wie ein ernstes Antlitz. Um seinen Mund war eine Strahlensonne, um Eva's Mund war dieses nicht. Das Herz sah ich ziemlich wie jetzt im Menschen, die Brust aber war mit Strahlen umgeben und mitten im Herzen sah ich eine leuchtende Glorie und darin ein kleines Bild, als halte es etwas in der Hand. Ich meine, es sei die dritte Person in der Gottheit dadurch bedeutet gewesen. Auch aus ihren Händen und Füßen sah ich Lichtstrahlen fließen. Ihre Haare fielen in fünf leuchtenden Strahlenbündeln vom Haupte nieder, zwei von den Schläfen, zwei hinter der Ohrengegend, einer am Hinterhaupte.

Ich habe immer die Empfindung gehabt, durch die Wunden Jesu seien Pforten des menschlichen Leibes geöffnet worden, welche durch den Sündenfall verschlossen worden waren, und dass Longinus an der Seite Jesu die Pforte der Wiedergeburt zum ewigen Leben geöffnet habe. Darum ist keiner in den Himmel eingegangen, ehe diese Pforte geöffnet war.

Die leuchtenden Strahlenbündel auf dem Haupte Adams sah ich als seinen Überfluss, seine Glorie, seinen Bezug auf andere Ausstrahlungen. Und diese Glorie stellt sich an den verklärten Seelen und Leibern wieder her. Unsere Haare sind die gefallene, erloschene, erstarrte Glorie, und wie unser jetziges Haar zum Strahl, so verhält sich unser jetziges Fleisch zum Fleisch Adams vor dem Fall. Die Strahlensonne um Adams Mund hatte Beziehung auf den Segen heiliger Nachkommenschaft aus Gott, welcher ohne den Sündenfall durch das Wort gewirkt haben würde.

Adam reichte Eva die Hand. Sie gingen von dem schönen Orte der Entstehung Evas durch das Paradies, alles betrachtend und Freude daran habend. Jener Ort war der höchste im Paradies, alles war Glanz und Licht daselbst mehr, als irgendwo.

4. Der Baum der Lebens und der Baum der Erkenntnis

Mitten in dem leuchtenden Garten sah ich ein Wasser und in demselben eine Insel, die auf einer Seite mit dem Land durch einen Damm zusammenhing. Diese Insel und auch der Damm war voll schöner Bäume. Aber in der Mitte der Insel stand ein schöner Baum, der alle anderen überragte und gleichsam beschützte. Seine Wurzel war der Boden der Insel. Er überdeckte die Insel und nahm von großer Breite leise bis zu einer feinen Spitze ab. Seine Äste streckten sich gerade aus, und von diesen stiegen wieder Zweige wie kleine ähnliche Bäume in die Höhe. Die Blätter waren fein, die Früchte waren gelb und saßen in einer Blätterhülse, wie eine aufgehende Rose. Der Baum hatte etwas wie die Zedern. Ich erinnere mich nicht, jemals Adam oder Eva, oder ein Tier auf dieser Insel bei dem Baum gesehen zu haben, wohl aber sehr schöne, edle, weiße Vögel, welche ich in seinen Zweigen singen hörte. Dieser Baum war der Baum des Lebens.

Gerade vor dem Damm, der auf die Insel führte, stand der Baum der Erkenntnis. Der Stamm war geschuppt, wie bei Palmen. Die Blätter wuchsen unmittelbar vom Stamm aus, waren sehr groß und breit und von der Form wie Schuhsohlen. Vorne in den Blättern verborgen hingen die Früchte zu fünf in einer Traube beisammen, eine voraus und vier um ihren Stiel. Die gelbe Frucht hatte weniger die Gestalt von einem Apfel, sie war mehr birn- oder feigenartig gebildet, hatte fünf Rippen und ihr Butzen glich einem Nabel. Das Innere der Frucht war weich wie bei den Feigen, von der Farbe braunen Zuckers, mit blutroten Adern durchzogen. Der Baum war oben breiter als unten, die Zweige senkten sich tief zur Erde nieder. Ich sehe die Gattung dieses Baumes noch in den heißen Ländern. Er senkt Schösslinge seiner Zweige zur Erde nieder, wo sie Wurzel fassen und zu neuen Stämmen emporschießen, welche wieder so fortwuchern, so dass ein solcher Baum oft eine große Strecke mit dichten Lauben bedeckt, unter welchen große Familien leben.

Eine Strecke zur Rechten des Baumes der Erkenntnis sah ich einen kleinen eirunden, sanft abhängigen Hügel von schimmernden roten Körnern und allerlei farbigen Edelsteinen. Er war gestuft mit Kristallformen. Um ihn her waren feine Bäume gerade hoch genug, dass man ungesehen auf dem Hügel sein konnte. Auch Kräuter und andere Gewächse waren darum her. Diese Bäume und Gewächse hatten Blüten und Früchte, die kräftig und farbig waren.

Eine Strecke zur Linken des Baumes der Erkenntnis sah ich eine Vertiefung, ein kleines Tal. Es war wie von weißer, zarter Erde oder von Nebel, mit weißen Blümchen und Fruchtstaub bedeckt. Auch an dieser Seite waren mancherlei Gewächse, sie waren aber farbloser und hatten mehr wie Staub als Frucht.

Es war, als hätten die beiden Orte einen Bezug aufeinander, als sei der Hügel aus dem Tal genommen, oder als solle von ihm in das Tal gelegt werden. Sie waren wie Saat und Acker. Die beiden Orte erschienen mir heilig. Ich sah sie beide, besonders aber den Hügel leuchtend. Zwischen ihnen und dem Baum der Erkenntnis waren mancherlei kleine Bäumchen und Büsche. Alles dieses, wie überhaupt die ganze Natur, war wie durchsichtig und von Licht.

Diese beiden Orte waren die Aufenthaltsstellen der ersten Eltern. Der Baum der Erkenntnis war wie eine Absonderung zwischen ihnen. Ich meine, Gott hat nach der Schöpfung Evas ihnen diese Orte angewiesen.

Ich sah sie anfangs auch wenig zusammen gehen. Ich sah sie ganz ohne Begierde, und jedes an seiner Stelle sich ergehen. Die Tiere waren unbeschreiblich edel und leuchtend und dienten ihnen. Die Tiere hatten alle nach ihren Arten bestimmte Aufenthaltskreise, Wohnungen, Wege und Absonderungen, und alle diese Kreise hatten ein großes Geheimnis des göttlichen Gesetzes und Zusammenhanges in sich.

DIE SÜNDE UND IHRE FOLGEN

1. Der Sündenfall

Ich sah, wie Adam und Eva zum ersten Mal durch das Paradies wandelten. Die Tiere traten ihnen entgegen und begleiteten sie. Sie hatten mehr mit Eva zu tun, als mit Adam. Eva hatte überhaupt mehr mit der Erde und den Geschöpfen zu tun, sie schaute mehr nieder und um sich her und schien neugieriger. Adam war stiller und mehr zu Gott empor gerichtet. Unter allen Tieren aber war eines, das sich mehr an Eva anschloss, als alle. Es war ein ungemein freundliches, schmeichelndes, geschmeidiges Tier. Ich kenne keines, mit dem ich es vergleichen könnte. Es war ganz glatt und dünn und als habe es gar keine Knochen, seine Hinterfüße waren kurz und es lief aufrecht auf denselben. Es hatte einen spitzen Schweif an die Erde hängend. Hoch oben nah am Kopfe hatte es kurze kleine Pfoten. Der Kopf war rund und ungemein klug. Es hatte eine feine bewegliche Zunge. Die Farbe seines Bauches, der Brust und des Halses war weißgelb und den ganzen Rücken hinauf war es braun gewolkt, fast wie ein Aal. Seine Höhe war etwa die eines zehnjährigen Kindes. Es war immer um Eva herum und so schmeichelnd und zierlich, so beweglich und hin und her zeigend, dass Eva großes Vergnügen an ihm hatte. Dieses Tier hatte aber für mich doch etwas Schreckliches, und ich sehe es immer noch deutlich vor Augen. Ich sah nicht, dass es Adam oder Eva berührten. Es war vor dem Falle zwischen Menschen und Tieren ein großer Abstand. Ich sah die ersten Menschen kein Tier berühren. Waren die Tiere auch vertrauter zu den Menschen, so waren sie doch getrennter.

Als Adam und Eva wieder auf den glänzenden Ort zurückkehrten, trat eine leuchtende Gestalt, wie die eines ernsten Mannes mit weißglänzenden Haaren zu ihnen und schien ihnen, mit kurzen Worten umherzeigend, alles zu übergeben und etwas zu befehlen. Sie waren nicht scheu, sondern hörten ihn unbefangen an. Als er verschwand, schienen sie zufriedener, glücklicher, sie schienen mehr zu verstehen und mehr Ordnung in allem zu finden. Denn sie fühlten nun Dank. Adam aber mehr, als Eva, welche mehr an das Glück und die Dinge dachte, als an den Dank. Sie war nicht so in Gott, wie Adam, sie war mehr in der Natur mit ihrer Seele. Ich meine, sie sind dreimal durch das Paradies gewandelt.

Nun sah ich Adam dankend und bewundernd wieder auf dem leuchtenden Hügel, an dem er im Schlafe entzückt war, als Gott die Frau aus seiner Seite bildete. Adam stand allein unter den Bäumen. Eva sah ich dem Baum der Erkenntnis sich nahen, als wolle sie vorübergehen. Das Tier war wieder bei ihr und noch schmeichelnder und bewegter, und sie ward ganz eingenommen von der Schlange und hatte großes Wohlgefallen an ihr. Die Schlange stieg nun an dem Baum so hoch, dass ihr Kopf dem der Eva gleich kam, sie hielt sich mit den Füßen an dem Stamm, wendete den Kopf gegen Evas Haupt sprechend: wenn sie von der Frucht des Baumes essen würden, würden sie frei und keine Sklaven mehr sein und wissen, weIches die Art ihrer Vermehrung sei. Sie hatten das Wort ihrer Vermehrung schon empfangen. Aber ich vernahm, dass sie noch nicht erkannten, wie Gott es wolle, und dass, wenn sie es gewusst hätten und doch in die Sünde gefallen wären, die Erlösung nicht möglich sein würde. Eva ward immer nachdenkender und begieriger nach dem, was das Tier sagte. Es ging in ihr etwas vor, was sie niedriger machte. Es ward mir bange. Nun schaute sie nach Adam, der noch ganz ruhig unter den Bäumen stand, und rief ihm, und er kam.

Eva ging ihm entgegen und wieder zurück. Es war ein Zögern, eine Unruhe in ihr. Sie ging wieder, als wolle sie an dem Baum vorüber. Aber sie näherte sich ihm von der linken Seite und stand hinter ihm von seinen langen niederhängenden Blättern bedeckt. Der Baum war oben breiter, als unten und die breiten Blattzweige hingen tief gegen die Erde nieder. Es hing, wo Eva stand, eine besonders schöne Frucht.

Als Adam kam, fasste ihn Eva an dem Arme und zeigte nach dem sprechenden Tiere, und Adam hörte auch zu. Da sie ihn am Arme fasste, berührte sie ihn zum ersten Mal. Er berührte sie nicht, aber es ward finsterer um sie.

Ich sah, dass das Tier die Frucht zeigte, aber nicht wagte, sie der Eva zu brechen. Als aber Eva nach der Frucht gelüstete, brach sie das Tier und reichte sie ihr. Es war die mittelste schönste Frucht von fünf zusammenhängenden Früchten.

Ich sah, dass Eva nun Adam mit der Frucht nahte und sie ihm gab, und dass ohne dessen Einwilligung die Sünde nicht geschehen sein würde. Ich sah, als zerbreche die Frucht in der Hand Adams und als sehe er Bilder in derselben. Es war, als würden sie inne, was sie nicht wissen sollten. Das Innere der Frucht war blutfarben mit Adern durchzogen. Ich sah, dass sie sich verfinsterten und in ihrer Gestalt sanken. Es war, als weiche auch die Sonne. Das Tier stieg vom Baum nieder, ich sah es auf allen Vieren weglaufen.

Ein Essen der Frucht mit dem Mund wie jetzt, habe ich nicht gesehen. Aber die Frucht verschwand zwischen ihnen.

Ich sah, dass Eva schon sündigte, indem die Schlange auf dem Baume saß, denn ihr Wille war bei ihr. Ich erfuhr dabei, was ich nicht vollkommen wiederzugeben vermag. Es war, als sei die Schlange die Gestalt und Figur ihres Willens, wie eines Wesens, womit sie alles machen und erreichen konnten. Hier hinein fuhr der Satan.

Durch das Genießen der verbotenen Frucht war die Sünde nicht vollendet. Aber diese Frucht von dem Baum, der seine Zweige in die Erde senkt und immer wieder auf solche Weise neue Pflanzen auftreibt, die ebenso tun auch nach dem Fall, enthielt den Begriff eigenmächtiger Fortpflanzung, eines sinnlichen, von Gott trennenden Einpflanzens in sich. So ging aus ihrem Genuss mit dem Ungehorsam das Trennen der Kreatur von Gott und das Pflanzen in sich und durch sich und die selbstische Begierde in die menschliche Natur. Der in der Nießung in sich aufgenommene Begriff der Frucht hatte als seine Folge die Umkehrung, die Erniedrigung der Natur und die Sünde und den Tod.

Der Segen heiliger und reiner Mehrung aus Gott und durch Gott, den Adam nach der Bildung Evas empfangen hatte, war wegen dieses Genusses ihm wieder entzogen worden. Denn ich sah, als Adam seinen Hügel verließ, um zu Eva zu gehen, als greife der Herr hinter ihm her und als nehme Er ihm etwas hinweg. Es war mir, als werde das Heil der Welt daraus kommen.

Als ich einmal am Fest der heiligen unbefleckten Empfängnis ein Bild dieses Geheimnisses von Gott erhielt, sah ich in Adam und Eva das leibliche und seelische Leben aller Menschen miteingeschlossen, und wie es durch den Fall verderbt und mit Bösem vermischt wurde, und die gefallenen Engel darüber Gewalt bekamen. Ich sah aber die zweite Person der Gottheit wie mit einer krummen Schneide herabkommen und dem Adam, bevor er in die Sünde willigte, den Segen nehmen. In demselben Augenblick sah ich aus Adams Seite die Jungfrau wie ein lichtes Wölklein zu Gott in die Herrlichkeit emporschweben.

Durch den Genuss der Frucht wurden Adam und Eva wie berauscht und in der Einwilligung in die Sünde ging eine große Veränderung mit ihnen vor. Es war aber die Schlange bei ihnen, sie waren von ihrem Wesen durchdrungen, und es kam das Unkraut unter den Weizen.

Es wurde die Beschneidung als Strafe und Sühne eingesetzt. Wie aus dem Weinstock der erste Zweig geschnitten wird, auf dass der Wein nicht wild, sauer und unfruchtbar werde, so musste es ähnlich am Menschen geschehen, als er wieder veredelt werden sollte. Als mir einmal die Heilung des Falles in Bildern gezeigt wurde, da sah ich Eva aus Adams Seite hervorsteigend schon den Hals nach der verbotenen Frucht hin verlängern und schnell nach dem Baum hineilen und ihn umfassen. Ich sah aber in einem Gegenbild Jesus von der unbefleckten Jungfrau geboren gleich nach dem Kreuze laufen und seinen Stamm umfassen und sah, wie die durch Eva verfinsterte und sich zersplitternde Nachkommenschaft durch das Leiden Jesu gereinigt wurde, und dass mit den Schmerzen der Buße die finstere Eigenlust aus dem Fleisch herausgearbeitet werden muss. Die Worte der Epistel (Sonntag Laetare aus Gal. 4 30. 31), dass der Sohn der Magd nicht Miterbe sein solle, habe ich immer so verstanden, dass unter der Magd das Fleisch und die knechtische Unterwürfigkeit darunter gemeint sei. Die Ehe ist ein Stand der Buße und fordert Entsagung, Beten, Fasten, Almosengeben und die Absicht, das Reich Gottes zu mehren.

Vor der Sünde waren Adam und Eva ganz anders beschaffen, als wir elende Menschen es jetzt sind. Mit der verbotenen Frucht aber nahmen sie ein Form- und Sache-Werden in sich auf, und was geistig war, ward Fleisch, Sache, Werkzeug, Gefäß. Sonst waren sie eins in Gott, sie wollten sich in Gott. Jetzt sind sie getrennt im eigenen Willen, und dieser Eigenwille ist Eigenlust, Sündenlust, Unreinheit. Durch den Genuss der verbotenen Frucht wendete sich der Mensch von seinem Schöpfer, und es war, als nehme er die Schöpfung in sich selber auf. Alle Kräfte und Wirkungen und Eigenschaften und deren Verkehr miteinander und mit der ganzen Natur wurden im Menschen zu körperlichen Sachen von allerlei Gestalten und Verrichtungen.

Zuvor war er aus Gott der Herr der ganzen Natur. Jetzt war in ihm alles zur Natur geworden, er war ein von seinem Diener unterjochter und gefesselter Herr und muss nun mit ihm ringen und kämpfen. Ich kann es nicht recht aussprechen: es war, als hätte der Mensch den Grund und den Mittelpunkt aller Dinge vorher in Gott gehabt und nun in sich selbst hineingebracht, und das sei nun Meister über ihn geworden.

Ich sah das Innere, alle Organe des Menschen als in das Fleisch, ins Körperliche und Verwesliche gefallene Ebenbilder der Geschöpfe und ihres Verkehrs miteinander von den Gestirnen bis zum kleinsten Tierchen. Und alles dies wirkte in ihm, von allem diesem hing er ab und hatte damit zu tun und zu kämpfen und zu leiden. Ich kann es nicht klar sagen, eben weil ich auch ein Glied der gefallenen Menschheit bin.

Der Mensch ist erschaffen, um die Reihen der gefallenen Engel auszufüllen. Ohne den Sündenfall hätte er sich nur bis zur Vollzahl der gefallenen Engel vermehrt und dann würde die Schöpfung vollendet gewesen sein. Hätten Adam und Eva nur eine Generation ohne Sünde erlebt, so wären sie nie mehr gefallen. Es ist mir gewiss, dass die Welt nicht eher untergehen wird, bis nicht die Zahl der gefallenen Engel erfüllt und aller Weizen aus der Spreu geerntet sein wird.

Ich hatte einmal ein unermessliches, zusammenhängendes Bild von aller Sünde und allem Heil. Ich sah alle Geheimnisse klar und deutlich und verstand sie. Aber es ist mir unmöglich, das Ganze mit Worten wiederzugeben. Ich sah die Sünde vom Sturz der Engel und von Adams Fall an, bis auf heute in ihren unzähligen Verzweigungen und sah alle Vorbereitungen der Heilung und Erlösung bis auf Jesu Ankunft und Tod. Jesus zeigte, mir die ungemeine Vermischtheit und innere Unlauterkeit aller Dinge und alles, was Er von Anbeginn zur Reinigung und Wiederherstellung getan.

Im Sturz der Engel kamen viele böse Geister auf die Erde und in die Luft. Ich sah vieles von ihrem Grimm verschiedener Art gesättigt und besessen.

Der erste Mensch war ein Ebenbild Gottes, er war wie der Himmel. Alles war eins mit ihm und in ihm. Seine Form war ein Abdruck göttlicher Form. Er sollte die Erde und Geschöpfe haben und genießen, aber aus Gott und dankend. Er war aber frei und darum der Prüfung ausgesetzt, weshalb ihm verboten ward, von dem Baum zu essen. Anfangs war alles gleich und eben. Als das Berglein, der schimmernde Hügel, auf dem Adam stand, aufstieg, und sich erhöhte und als das weiße, blütenstaubige Tal, an dem ich Eva stehen sah, sich senkte, nahte schon der Verderber.

Nach dem Fall war alles anders. Alle Formen des Schaffens waren erschaffen und zerstreuend in ihnen, alles Einige war uneins, aus Eins ward Viel, und sie nahmen nichts mehr aus Gott allein, sondern nur aus sich. Nun waren sie erst recht zwei und wurden drei und endlich eine Unzahl. Ebenbilder Gottes waren sie, und wurden nun Eigenbilder, welche Ebenbilder ihrer Sünde hervorbrachten. Sie waren nun mit dem Kreise der gefallenen Engel in Bezug. Sie empfingen aus sich und aus der Erde, mit denen beiden die gefallenen Engel Bezug hatten, und es entstand in der unendlichen Vermischung und Zerstreuung der Menschen mit sich und der gefallenen Natur eine unendliche Mannigfaltigkeit der Sünde, der Schuld und des Elendes.

Mein Bräutigam zeigte mir alles das ganz klar, deutlich und verständlich, klarer, als man das tägliche Leben sieht, und ich meinte damals, es könne das ein Kind verstehen, und kann jetzt nichts mehr davon vorbringen. Er zeigte mir den Plan und die Wege der Erlösung von Anfang an, und alles, was Er getan. Ich erkannte auch, es sei unrichtig zu sagen, Gott habe nicht Mensch zu werden gebraucht und nicht zu sterben für uns am Kreuz. Er habe es durch seine Allmacht anders machen können. Ich sah, dass Er es aus unendlicher Vollkommenheit und Barmherzigkeit und Gerechtigkeit tat. Dass zwar kein Muss in Gott ist, aber dass Er tut, was Er tut, und ist, der Er ist.

Ich sah Melchisedech als einen Engel und Vorbild Jesu als Priester auf Erden. Insofern das Priestertum in Gott ist, war er ein Priester der ewigen Ordnung als Engel. Ich sah sein Vorbereiten, Gründen, Bauen, Sondern der Menschenstämme, sein Einleiten. Auch Henoch und Noe habe ich in ihrer Bedeutung und Wirkung gesehen. Und neben allen diesen das wirkende Reich der Hölle und die tausendförmigen Erscheinungen und Wirkungen eines irdischen, fleischlichen, teuflischen Götzendienstes, und in allem dem gewisse ähnliche, aber verpestete zur fortgesetzten Zerstreuung und Sünde führende und verführende, weil aus geheimer, innerer Notwendigkeit ähnliche Formen. So sah ich alle Sünden und alle Einleitungen und Vorbilder der Herstellung, welche ihrer Art nach den Gotteskräften ebenso ebenbildlich waren, als der Mensch selbst Gottes Ebenbild war. So wurde mir von Abraham auf Moses, von Moses auf die Propheten alles gezeigt, und immer mit Bezug und Ebenbildern von allem in unserer nächsten Mitwelt. Hier trat zum Beispiel die Unterweisung ein, warum die Priester nicht mehr helfen und heilen, und warum es ihnen nicht mehr oder so verschieden gelingt. Es wurde mir diese Gabe des Priestertums unter den Propheten gezeigt und die Ursache ihrer Form. Ich sah z. B. die Geschichte, wie Eliseus dem Giezi seinen Stab gibt, ihn auf das tote Kind der Frau aus Sunam zu legen. In diesem Stab aber war des Eliseus Kraft und Sendung geistlicher Weise inliegend. Er war sein Arm, die Fortsetzung seines Armes. Ich sah hier die innere Ursache des Stabes der Bischöfe, des Szepters der Könige und ihre Macht, wenn sie der Glaube trägt, der sie gewissermaßen mit dem Aussendenden verbindet und von allem andern trennt. Giezi aber glaubte nicht fest genug, und die Mutter glaubte, nur durch Eliseus selbst Hilfe erhalten zu können, und so waren zwischen des Eliseus Kraft aus Gott und dessen Stab Zweifel aus menschlichem Eigendünkel unterbrechend getreten, und der Stab heilte nicht. Ich sah aber Eliseus sich Hand auf Hand, Mund auf Mund, Brust auf Brust über den Knaben strecken und beten, und die Seele des Knaben in den Leib zurückkehren. Ich hatte auch die Erklärung dieser Form der Heilung, ihren Bezug und ihre Vorbildlichkeit auf Jesu Tod. In Eliseus waren durch den Glauben und die Gabe Gottes alle Pforten der Gnade und Sühnung am Menschen eröffnet, die nach der Sünde verschlossen wurden: Haupt, Brust, Hände, Füße. Und er legte sich wie ein lebendiges, vorbildliches Kreuz über das tote, verschlossene Kreuz der Gestalt des Knaben und strömte durch sein Gebet und seinen Glauben das Leben, die Heilung wieder in ihn ein und sühnte und büßte für die Sünden der Eltern, welche sie mit Haupt, Herz, Hand und Fuß begangen und dadurch dem Knaben den Tod zugezogen hatten. Ich sah bei allem dem immer Gegenbilder vom Kreuzestod und den Wunden Jesu, und wie in allem eine Harmonie ist. Seit Jesu Kreuzestod aber sah ich im Priestertum seiner Kirche im vollen Maß und überhaupt im glaubenden Christen diese Gabe der Herstellung und Heilung. Denn insofern wir in Ihm leben und mit Ihm gekreuzigt sind, sind die Gnadenpforten seiner heiligen Wunden in uns eröffnet. Ich hatte vieles über Handauflegung und auch über Segenwirkung und Wirkung der Hand in die Ferne und zwar wurde mir dieses mit dem Beispiele des Stabes (des Repräsentanten der Hand) von Eliseus erklärt. Dass die heutigen Priester so selten heilen und segnen, wurde mir in einem Beispiele gezeigt, das auch aus der Ebenbildlichkeit, auf welcher alle solche Wirkungen mitbegründet sind, hergenommen war. Ich sah dreierlei Maler, welche Figuren auf Wachs eindrückten. Einer hatte schönes, weißes Wachs und war selbst sehr klug und geschickt; aber er hatte den Kopf voll von sich selbst und hatte das Bild Christi nicht in sich und sein Bild ward nichts. Der andere hatte bleiches Wachs, aber er war lau und eigensinnig und machte gar nichts. Ein anderer war ungeschickt und arbeitete mit großem Ungeschick, aber mit Fleiß und Einfalt an ganz gelbem, gemeinem Wachs, und seine Arbeit war ganz gut und ein redliches Ebenbild, wenngleich mit rohen Zügen. So sah ich auch die vornehm redenden, mit Weltweisheit prahlenden Priester nichts wirken und manche arme Einfalt allein noch die Macht des Priestertums in Segnung und Heilung fortpflanzen.

Ich ging in diesem allem wie in die Schule, und mein Bräutigam zeigte mir, wie Er von seiner Empfängnis an bis zu seinem Tod gelitten und immer gesühnt und genuggetan habe, und ich sah dieses in lauter Bildern seines Lebens. Ich sah auch, wie durch Gebet und Aufopferung von Schmerzen für andere manche Seele, welche auf Erden gar nicht gearbeitet, noch in der Todesstunde zur Bekehrung gebracht und gerettet wird.

Ich sah auch, dass die Apostel über den größten Teil der Erde verbreitet wurden, um die Macht des Satans in derselben zu brechen und Segen hinzubringen, und dass jene Gegenden am heftigsten vom Feinde vergiftet waren, dass aber Jesus mit seiner vollkommenen Genugtuung den Menschen, die seinen Heiligen Geist empfingen und noch empfangen, diese Gewalt erworben und ewig gegründet hat. Und es wurde mir gezeigt, dass diese Gabe, die Erde und Gegenden der Macht des Satans zu entziehen durch Segnung, in dem Ausdruck: «ihr seid das Salz der Erde», bezeichnet ist, und dass eben deswegen auch das Salz eine Ingredienz des geweihten Wassers ist.

Ich sah in diesem Bilde auch, wie der Zeremoniendienst des fleischlichen Weltlebens höchst skrupulös ausgeübt wird, dass der Fluch der umgekehrte Segen, und dass die Wunder im Reiche des Satans, dass Naturdienst, Aberglauben, Zauberei, Magnetismus, weltliche Wissenschaft und Kunst und alle Mittel, den Tod zu schminken, die Sünde zu schmücken und das Gewissen einzuschläfern, mit strenger, abergläubischer Gewissenhaftigkeit selbst von jenen ausgeübt werden, welche in den Mysterien der katholischen Kirche lauter Formen des Aberglaubens finden wollen, die auf jede andere Weise ebenso gut gefeiert würden; während diese Leute doch ihr ganzes weltliches Treiben und Leben in ähnlichen Formen höchst gewissenhaft feiern, so dass nur das Reich des Mensch gewordenen Gottes vernachläßigt werden soll. Und ich sah auch den Dienst der Welt vollkommen geübt, den Dienst Gottes aber ärgerlich versehen.

2. Die Verheißung des Heiles

Nach dem Fall des Menschen zeigte Gott den Engeln, wie Er das Menschengeschlecht wiederherstellen werde.

Ich sah den Thron Gottes, die Heiligste Dreifaltigkeit, eine Bewegung in ihren Personen. Ich sah die neun Chöre der Engel und wie Gott ihnen verkündigte, auf welche Art Er das gefallene Menschengeschlecht wiederherstellen wolle, und sah eine ganz unbeschreibliche Freude und Jubel in den Engeln darüber.

Ich sah den leuchtenden Edelsteinfels des Adam vor dem Throne Gottes erscheinen, als werde er durch Engel dahin getragen. Er war gestuft, er wuchs, er wurde ein Thron, ein Turm, er breitete sich aus, bis er alles umfasste. Die neun Chöre der Engel sah ich um ihn, und über den Engeln im Himmel sah ich das Bild der Jungfrau. Sie war Maria nicht in der Zeit, sie war es in der Ewigkeit, in Gott. Sie war etwas, das aus Gott ausging. Die Jungfrau ging in den Turm, der sich öffnete und sie verschmolz wie mit ihm. Ich sah auch aus der heiligsten Dreifaltigkeit eine Erscheinung gegen den Turm ausgehen und in ihn eingehen.

Zwischen den Engeln erblickte ich eine Art von Monstranz, an der sie alle miterbauten und wirkten. Sie glich einem Turm mit mancherlei geheimnisvollem Bildwerk. Es standen zwei Figuren daran, welche sich auf der anderen Seite die Hände reichten. Sie wuchs und ward immer herrlicher. Ich sah etwas aus Gott durch alle Chöre der Engel hindurch in die Monstranz eingehen, ein leuchtendes Heiligtum, das immer bestimmter wurde, je näher es derselben kam. Es erschien mir als der Keim des göttlichen Segens zur reinen Mehrung, welcher von Gott dem Adam gegeben, ihm aber wieder entzogen ward, da er im Begriff stand, auf Eva zu hören und in den Genuss der verbotenen Frucht einzuwilligen. Es war der Segen, den Abraham wieder erhielt, der dem Jakob genommen und durch Moses wieder in die Bundeslade gegeben wurde, den zuletzt Joachim, der Vater Mariä empfing, auf dass Maria so rein und unbefleckt empfangen würde, wie Eva aus der Seite des schlafenden Adam hervorgekommen. Die Monstranz aber ging in den Turm über.

Ich sah von den Engeln auch einen Kelch bereiten von der Gestalt des Abendmahlkelches, der auch in den Turm einging. An der äußeren rechten Seite des Turmes sah ich wie auf goldenem Wolkenrande Wein und Weizen, wie die Finger gefalteter Hände sich durcheinander senkend. Daraus sprosste ein Zweig, ein ganzer Stammbaum, auf dessen Ästen in kleinen Figuren Männer und Frauen sich die Hände reichten. Seine letzte Blüte war die Krippe mit dem Kinde.

Ich sah nun in Bildern das Geheimnis der Erlösung als Verheißung bis herab zur Fülle der Zeit, und sah auch Bilder der Gegenwirkung. Zuletzt sah ich über dem leuchtenden Felsen eine große herrliche Kirche, die Eine heilige katholische Kirche, welche das Heil aller Welt lebendig in sich trägt. In allen diesen Bildern war ein wunderbarer Zusammenhang und Übergang. Selbst das Feindliche und das, was vom Übel war und durch die Engel hinweg geschoben wurde, musste zur Entfaltung des Heiles dienen. So sah ich den alten Tempel von unten aufsteigen. Er glich der heiligen Kirche, hatte aber keinen Turm. Er war sehr groß, wurde aber von den Engeln beiseite geschoben und stand schief. Ich sah eine große Muschelschale (Das Sinnbild der heidnischen Göttertabein und des Gräueldienstes) erscheinen, die in den alten Tempel eindringen wollte, aber sie wurde beiseite gedrängt.

Ich sah einen breiten, stumpfen Turm (eine ägyptische Pyramide) erscheinen, durch dessen zahlreiche Tore Gestalten wie Abraham und die Kinder Israel durchzogen. Er deutete auf deren Sklaverei in Ägypten. Diese Pyramide wurde weggeschoben, wie der andere treppenförmige ägyptische Turm, der die Sterndeuterei und Wahrsagerei bedeutete. Dann sah ich einen ägyptischen Tempel, der auch zurückgeschoben wurde und schief zu stehen kam.

Endlich sah ich ein Bild auf Erden, wie Gott dem Adam zu erkennen gab, dass eine Jungfrau erscheinen und das verlorene Heil ihm wiederbringen werde. Adam aber wusste nicht, wann dies geschehen werde. Darum sah ich ihn später sehr traurig, als Eva ihm nur Söhne gebar, bis sie endlich eine Tochter erhielt.

Ich sah Noe und sein Opfer, bei dem er von Gott den Segen empfing. Dann hatte ich Bilder von Abraham, von seinem Segen und der Verheißung Isaaks. Ich sah diesen Segen von dem Erstgebornen auf den Erstgebornen übergehen und dies immer in einer sakramentalischen Handlung. Ich sah Moses und wie er in der Nacht vor dem Auszug aus Ägypten das Geheimnis erhielt, und wie nur Aaron davon wusste. Ich sah das Geheimnis in der Lade des Bundes, und dass nur die Hohenpriester und einzelne Heilige durch Offenbarung Gottes davon Kenntnis hatten. So sah ich den Lauf des Geheimnisses herab durch die ganze Stammlinie Jesu Christi bis auf Joachim und Anna, dieses reinste und heiligste Ehepaar aller Zeiten, aus dem Maria als die unbefleckte Jungfrau geboren ward. Nun war Maria die Bundeslade des Geheimnisses.

3. Verweisung aus dem Paradiese

Nach einer Weile sah ich Adam und Eva in großer Traurigkeit umherirren. Sie waren finster, gingen getrennt, als suchten sie etwas, das sie verloren hatten. Sie schämten sich voreinander. Mit jedem Schritt kamen sie tiefer abwärts. Es war, als weiche der Boden, und wo sie gingen, ward es trüb, die Gewächse verloren ihren Glanz, wurden wie grau, und die Tiere flohen. Sie suchten aber große Blätter und machten sich einen Kranz um die Lenden und irrten immer getrennt.

Als sie ziemlich lange so geflohen, war der glänzende Ort ihres Ausgangs schon wie eine ferne Bergeshöhe, und sie verbargen sich getrennt unter Büschen einer dunkleren Ebene. Da rief sie eine Stimme aus der Höhe. Sie kamen aber nicht zum Vorschein, wurden noch banger, flohen noch ferner, sich tiefer versteckend. Das tat mir sehr leid. Die Stimme aber ward strenger. Sie hätten sich gerne noch tiefer versteckt, aber sie wurden gezwungen, hervorzutreten.

Die ernste glänzende Gestalt erschien. Sie traten hervor mit gesenktem Haupt und sahen den Herrn nicht an. Sie sahen aber einander an und beschuldigten sich. Nun wies Er ihnen noch tiefer eine Ebene an, wo Büsche und Bäume waren, und da wurden sie demütig und erkannten erst recht ihren elenden Stand. Als sie allein waren, sah ich sie beten. Sie sonderten sich von einander ab, warfen sich auf die Knie und an die Erde, hoben die Hände empor, schrieen und weinten. Da ich dies sah, fühlte ich, wie wohltätig die Absonderung im Gebete ist.

Sie waren nun mit einem Gewand bedeckt. Es verhüllte den Leib bis über die Schultern und reichte bis zu den Knien. Um den Leib gürteten sie sich mit einem Streifen Bast.

Während sie niederflohen, schien das Paradies hinter ihnen wegzuziehen, wie eine Wolke. Es kam aber ein feuriger Ring vom Himmel, so wie man den Hof um die Sonne oder den Mond sieht, und legte sich um die Höhe, wo das Paradies gewesen.

Sie waren nur einen Tag im Paradies gewesen. Das Paradies sehe ich jetzt von fern wie eine Bank unter der Sonne, wenn sie aufgeht. Sie geht, wenn ich es sehe, am Ende der Bank rechts auf. Es liegt östlich vom Prophetenberg, ganz wo die Sonne aufgeht und erscheint mir immer wie ein Ei schwebend über unbeschreiblich hellem Wasser, durch welches es von der Erde getrennt ist und es ist, als sei der Prophetenberg ein Vorgebirge davon. Man sieht auf diesem wunderbar grüne Gegenden und dazwischen tiefe Abgründe und Schluchten voll Wasser. Ich habe schon Leute gesehen, die am Prophetenberg hinangestiegen, sie sind aber nicht weit gekommen.

Ich sah Adam und Eva auf der Buß-Erde ankommen. Es war ein unbeschreiblich rührender Anblick die beiden büßenden Menschen auf der nackten Erde. Adam hatte einen Ölzweig aus dem Paradiese mitnehmen dürfen, den er da pflanzte. Ich sah, dass nachher das Kreuz aus diesem Holze gezimmert wurde. Sie waren unbeschreiblich betrübt. Wie ich sie da sah, konnten sie das Paradies kaum mehr sehen. Sie waren immer abwärts gezogen, und es war auch, als wende sich was um, und sie kamen durch Nacht und Dunkel an dem traurigen Orte der Buße an.

4. Die Familie Adams

Es war die Gegend des Ölberges, wo ich Adam und Eva habe ankommen sehen. Das Land war anders als jetzt, aber es wurde mir gezeigt, dass es diese Gegend sei. Ich sah sie wohnen und büßen an jenem Orte des Ölberges, wo Jesus Blut geschwitzt. Sie bauten das Feld. Ich sah sie von Söhnen umgeben und in großer Betrübnis zu Gott schreien, Er möge ihnen auch Töchter bescheren. Sie hatten die Verheißung, der Same der Frau solle der Schlange das Haupt zertreten.

Eva gebar in bestimmten Zwischenräumen Kinder. Es war immer eine Anzahl von Jahren in Buße dazwischen hingegangen. So ward nach siebenjähriger Buße Seth, das Kind der Verheißung, in der Krippenhöhle von Eva geboren und es wurde hier von einem Engel ihr gesagt, Seth sei der Same, den Gott ihr für Abel gegeben habe. Seth wurde lange hier verborgen und auch in der Säughöhle Abrahams versteckt, denn seine Brüder strebten ihm, wie die Brüder Josephs diesem, nach dem Leben.

Einmal sah ich etwa zwölf Menschen: Adam, Eva, Kain, Abel und zwei Schwestern und einige kleinere Kinder. Alle waren bekleidet und zwar mit Fellen wie ein Skapulier übergeworfen und gegürtet. Die Felle waren um die Brust weiter und dienten als Tasche, um die Beine waren sie länger und an den Seiten zugeheftet. Die Männer trugen kürzere Felle und hatten eine Tasche aufgeheftet, worin sie etwas steckten. Über die Schultern bis zum halben Arm waren diese Felle sehr weiß und fein und bei den Frauen unter den Armen einmal geheftet. Sie sahen in der Kleidung sehr schön und edel aus. Es waren Hütten da, etwas in die Erde vertieft und oben mit Pflanzen bedeckt. Es war eine ganz ordentliche Hauswirtschaft. Ich habe Felder mit niederen Obstbäumen, doch ziemlich stark, gesehen. Auch war Getreide da, Weizenkörner, welche Gott dem Adam zur Aussaat gegeben.

Es ist mir nicht erinnerlich, Weizen und Weinstock im Paradies gesehen zu haben. Im Paradies war keine Frucht, die zur Speise zubereitet werden musste. Das Zubereiten ist Folge der Sünde und darum ein Sinnbild der Leiden. Gott gab Adam alles, was er säen musste. Ich erinnere mich auch, dass ich Männer gleich Engeln dem Noe etwas bringen sah, als er in die Arche ging, es schien mir ein Rebzweig, der in einem Apfel steckte.

Es wuchs von selbst auch eine Art wildes Getreide, zwischen welches Adam den edlen Weizen säen musste. Dann besserte sich das wilde, es ging aber immer wieder zurück und wurde schlechter. Dieses wilde Korn stand in den ersten Zeiten ganz besonders gut und wie veredelt weiter gegen Morgen in Indien oder China, als noch wenige Menschen dort waren. Wo Wein und Fische sind, gerät es nicht.

Sie tranken Milch der Tiere und aßen auch Käse, den sie an der Sonne trockneten. An Tieren habe ich besonders Schafe gesehen. Alle Tiere, die Adam genannt hatte, sind auch gefolgt. Aber sie flohen, und er musste die Haustiere erst wieder mit Futter an sich locken und gewöhnen. Ich sah auch Vögel umherlaufen, kleine Tiere, auch Springtiere.

Es war eine ganz hausväterliche Ordnung. Ich sah die Kinder Adams in einer eigenen Hütte zum Speisen um einen Stein liegen, sah sie beten und danken.

Gott hatte Adam im Opfer unterrichtet, und er war Priester in seiner Familie. Kain und Abel waren es auch, und ich sah, dass die Vorbereitungen sogar in einer eigenen Hütte geschahen.

Sie hatten das Haupt bedeckt mit einer schiffartigen Haube von Blättern und Blattrippen geflochten: vorne stand sie etwas vor, dass man sie greifen konnte. Sie waren von glänzender, schöner gelblicher Hautfarbe, wie Seide und hatte rotgelbliche Haare, wie Gold. Adam trug die Haare auch lang. Er hatte anfangs einen kurzen, später einen langen Bart. Eva trug die Haare anfangs sehr lang, dann in Bündel gewickelt um den Kopf gewunden wie eine Haube.

Das Feuer sah ich immer wie eine verdeckte Glut, wie unterirdisch. Sie empfingen es zuerst vom Himmel, Gott lehrte sie, es brauchen. Es war ein gelber Stoff, wie Erde, wie eine Kohle, welche sie brannten. Kochen sah ich sie nicht. Ich sah sie anfangs an der Sonne dörren, sogar den Weizen zerquetscht unter einer geflochtenen Decke der Sonne in kleinen Gruben aussetzen.

Das Getreide, das Gott ihnen brachte, war Weizen, Roggen und Gerste. Er unterrichtete sie im Anbau, wie Er sie auch in allem leitete.

Grosse Flüsse, z. B. den Jordan, sah ich nicht, aber es sprangen Quellen, die sie in Teiche leiteten.

Vor Abels Tod wurde kein Fleisch gegessen.

Von dem Kalvarienberg hatte ich einmal das Bild, wie ein Prophet, der Gefährte des Elias, an diesem Orte, der damals ein Hügel mit Höhlen und gemauerten Grablagern war, sich in eine solche Höhle unter der Erde begab und in einem Steinsarg mit Gebeinen den Schädel Adams ergriff. Es stand die Erscheinung eines Engels bei ihm, der ihm sagte: «Dieses ist der Schädel Adams», und ihm verwehrte, denselben herauszunehmen. Es waren auf diesem Schädel dünne gelbe Haare hie und da. Ich sah auch, dass durch die Erzählung des Propheten der Ort Schädelstätte genannt wurde. Senkrecht über diesem Schädel kam bei der Kreuzigung der Fuß des Kreuzes Christi zu stehen. Ich erhielt die Anschauung, dass diese Stelle die Mitte der Erde sei und es wurde mir die Länge nach Morgen, Mittag und Abend mit Zahlen gesagt, die ich aber vergessen habe.

5. Kain. Kinder Gottes. Die Riesen

Ich sah, dass Kain am Ölberg den Anschlag zu dem Mord Abels fasste und dass er nach der Tat hier verwirrt und bange herumging. Er pflanzte Bäume und riss sie wieder aus. Da sah ich die Erscheinung eines ernsten leuchtenden Mannes, der fragte: Kain, wo ist dein Bruder Abel? Kain sah ihn anfangs nicht. Nun wendete er sich zu ihm und sagte: ich weiss es nicht, er ist mir nicht aufzuheben gegeben. Da aber Gott sprach, dass sein Blut von der Erde zu Ihm schreie, wurde dem Kain banger. Doch sah ich, dass er lange mit Gott disputierte. Gott sagte ihm auch, dass er verflucht sei auf der Erde, und dass sie ihm keine Frucht bringen und er hinwegfliehen solle. Da sprach Kain, so würde er überall getötet werden. Es waren schon viele Leute auf der Erde. Kain war schon sehr alt und hatte Kinder und Abel auch, und es waren noch andere Brüder und Schwestern da. Gott aber sagte, nein, wer ihn erschlage, solle siebenfach gestraft werden. Er hatte auch ein Zeichen gemacht, dass er nicht erschlagen werden sollte. Seine Nachkommen wurden farbige Menschen. Cham hatte auch Kinder, die bräuner waren als die Kinder Sem's. Die edleren Menschen waren immer weißer. Die mit dem Male Bezeichneten hatten ähnliche Kinder und durch das wachsende Verderbnis ging das Mal endlich auf den ganzen Leib über, und die Menschen wurden immer dunkler gefärbt. Doch waren im Anfang noch keine ganz schwarzen Menschen vorhanden, dies wurden sie erst allmählich.

Gott wies ihm auch eine Gegend an, wohin er fliehen sollte. Und weil Kain sagte: so wirst Du mich verhungern lassen, da ihm die Erde verflucht war, sagte Gott, nein! Er solle Fleisch der Tiere essen, und es solle ein Volk von ihm entstehen und auch noch Gutes von ihm kommen. Vorher aßen die Menschen kein Fleisch.

Kain ist nachher fortgezogen und hat eine Stadt gebaut, und nach seinem Sohn Henoch benannt.

Abel wurde im Tale Josaphat gegen den Kalvarienberg hin erschlagen. Es ist in dieser Gegend nachher noch mancherlei Mord und Unglück geschehen. Kain erschlug Abel mit einer Art Keule, mit der er beim Pflanzen weiche Steine und Erde zerschlug. Sie muss wohl von hartem Stein gewesen sein und der Griff von Holz, denn er war wie ein Haken gekrümmt.

Das Land vor der Sündflut darf man sich nicht so wie jetzt vorstellen. Es war das Gelobte Land bei weitem nicht so von Tälern und Schluchten zerrissen. Die Flächen waren weit größer und einzelne Berge viel sachter ansteigend. Der Ölberg war damals nur eine sanfte Anhöhe. Auch die Krippenhöhle bei Bethlehem war da, eine wilde Felsenhöhle, doch die Umgebung war anders.

Die Menschen waren größer, doch nicht unförmlich. Man würde sie jetzt mit Verwunderung, doch nicht mit Schrecken ansehen. Sie waren weit schöner durch ihren Bau. Unter den alten Marmorbildern, welche ich an manchen Orten in Räumen unter der Erde liegen sehe, sind noch solche Gestalten.

Kain zog alle seine Kinder und Kindeskinder nach jener Gegend, die ihm angewiesen war und diese teilten sich dann wieder. Ich habe von Kain selbst nichts Abscheuliches mehr gesehen, und seine Qual schien, dass er sehr hat sich abarbeiten müssen und ihm persönlich nichts gedeihen wollte. Ich sah ihn auch von seinen Kindern und Kindeskindern geschmäht und verachtet und überhaupt schlecht behandelt. Doch folgten sie ihm im Ganzen als dem Oberherrn, aber als einem, der verflucht ist. Ich sah, dass Kain nicht verdammt, aber strenge bestraft wurde.

Einer seiner Nachkommen war Tubalkain. Von diesem kamen mannigfache Künste und auch die Riesen. Ich habe oft gesehen, dass beim Sturz der Engel eine gewisse Anzahl einen Moment der Reue hatten und nicht so tief fielen, als die anderen, und dass diese später auf einem einsamen, ganz hohen und unzugänglichen Gebirge, das bei der Sündflut ein Meer geworden ist, ich meine das schwarze Meer, einen Aufenthalt erhielten. Diese hatten eine Freiheit, auf die Menschen zu wirken, insofern sie sich von Gott entfernten. Nach der Sündflut sind sie von da verschwunden und in die Luft versetzt worden. Erst am Jüngsten Tage werden sie in die Hölle verstoßen werden.

Ich sah die Nachkommen Kains immer gottloser und sinnlicher werden. Sie zogen an jenem Bergrücken immer mehr hinan und die gefallenen Engel nahmen viele dieser Frauen in Besitz und regierten sie ganz und lehrten sie alle Künste der Verführung. Ihre Kinder waren sehr groß, hatten allerlei Fertigkeiten und Gaben und machten sich ganz zu Werkzeugen der bösen Geister. So entstand auf diesem Gebirge und weit umher ein arges Geschlecht, das durch Gewalt und Verführung auch die Nachkommen Seths in seine Lasterwelt hineinzuziehen suchte. Da kündigte Gott dem Noe die Sündflut an, der während seines Bauens von diesem Volke entsetzlich zu leiden hatte.

Ich habe viel von dem Riesenvolke gesehen, wie sie ungeheure Steine ganz leicht den Berg hinaufschleppten, immer höher und höher drangen und ganz erstaunliche Dinge vermochten. Sie liefen gerade an Wänden und Bäumen hinauf, wie ich es auch sonst an anderen Besessenen gesehen habe. Sie konnten alles und die wunderbarsten Sachen, aber lauter Gaukeleien und Künstlichkeiten, die mit Hilfe des Teufels geschehen. Mir sind darum alle Taschenspielereien und Wahrsagerkünste so zuwider. Sie konnten allerlei Bilder von Stein und Metall machen- Von Gottes Wissenschaft hatten sie keine Spur mehr und suchten doch allerlei, das sie anbeteten. Ich habe gesehen, dass sie plötzlich aus dem ersten besten Stein ein wunderliches Bild machten und es anbeteten, auch irgend ein gräuliches Tier, oder sonst eine nichtswürdige Sache. Sie wussten alles, sahen alles, bereiteten Gift, trieben Zaubereien und alle Laster. Die Frauen erfanden die Musik. Ich sah sie herumziehen, um die bessern Stämme zu verführen und mit in ihre Gräuel zu ziehen. Ich sah, dass sie keine Wohnhäuser oder Städte hatten, sondern sie bauten sich dicke, runde Türme von glimmerigen Steinen, an denen unten kleinere Anbauten waren, die in große Höhlen führten, worin sie ihre Gräuel trieben. Auf den Dächern dieser Anbauten konnte man rings herumgehen, und in den Türmen stiegen sie hinauf und sahen durch Rohre weit in die Ferne, aber nicht wie durch Fernrohre, sondern es war mit satanischer Kunst. Sie sahen, wo andere Ortschaften lagen und zogen hin, überwanden alles und machten alles frei und gesetzlos, überall führten sie diese Freiheit ein. Ich sah, dass sie Kinder opferten und lebendig in die Erde begruben. Gott hat diesen Berg in der Sündflut vertilgt.

Henoch. der Vorfahre Noes, hat gegen sie gelehrt. Er hat auch viel geschrieben und war ein sehr guter Mann und Gott sehr dankbar. Er hat an vielen Orten im freien Felde Altäre von Stein aufgerichtet, wo die Früchte gerieten, hat Gott gedankt und geopfert. Besonders hat er die Religion auf die Familie Noe herab erhalten. Er ist in das Paradies versetzt und ruht am Tore des Ausgangs und noch ein anderer (Elias), woher er vor dem Jüngsten Tag wiederkommen wird.

Auch Chams Nachkommen hatten nach der Sündflut ähnliche Verbindungen mit feindlichen Geistern, und darum so viele Besessene, Zauberer und weltlich mächtige und wieder große, wilde, freche Menschen.

Auch Semiramis ist aus der Ehe von Besessenen gekommen. Sie konnte alles, nur nicht selig werden.

Es entstanden so noch andere Leute, die später von den Heiden für Götter gehalten wurden. Die ersten Frauen, welche von den bösen Geistern sich regieren ließen, waren sich dessen bewusst. Die anderen aber wussten es nicht, sie hatten es in sich wie Fleisch und Blut, wie die Erbsünde.

6. Noe und seine Nachkommen. Die Slammführer Hom und Dsemschid

Ich sah Noe, einen alten kindlichen Mann, in einem langen weißen Gewand in ein Obstbaumfeld gehen und mit einem krummen beinernen Messer die Bäume beschneiden. Es kam eine Wolke vor ihn, in welcher eine Menschengestalt erschien. Noe kniete, und ich sah, dass er inne ward, Gott wolle alles vertilgen, und er solle einen Kasten bauen. Ich sah Noe sehr traurig darüber und ich sah ihn beten um Verschonung. Er begann seine Arbeit nicht gleich, und noch zweimal erschien ihm der Herr und befahl ihm, den Bau anzufangen, sonst würde er auch mit vertilgt werden. Ich sah ihn dann mit seiner Familie aus dieser Gegend hinwegziehen nach dem Lande, wo Zoroaster, der Glanzstern, nachher gelebt hat. Er wohnte in hoher, waldreicher und mehr einsamer Gegend und lebte mit den vielen Leuten, welche mit ihm zogen, unter Zelten. Er hatte auch einen Altar, vor dem er opferte. Noe und seine Familie bauten keine festen Häuser, weil sie an die Verheißung der Sündflut glaubten. Das gottlose Volk aber rings umher hatte schon gemauerte Gehöfte, Grundlagen von dicken Steinwällen und allerlei Bauten für die Dauer und zum Widerstand.

Es war in jener Zeit ein schreckliches Treiben auf Erden. Die Menschen verübten alle Laster, selbst die unnatürlichsten. Jeder nahm und raubte, was ihm gefiel, und sie verwüsteten einander Häuser und Felder und raubten Frauen und Jungfrauen. Je weiter sich die Stammverwandten Noes vermehrten, um so verdorbener und boshafter wurden sie, und sie beraubten und ärgerten auch ihn. Die Menschen aber waren in diesen schlechtesten Sitten nicht als rohe, wilde Menschen, sondern sie waren so aus Lasterhaftigkeit, denn sie lebten ganz bequem und hatten alles geordnet. Sie trieben die schändlichste Abgötterei, jeder machte sich einen Götzen aus dem, was ihm dazu am besten gefiel. Sie suchten durch teuflische Künste die Kinder Noes zu verführen. Mosoch, der Sohn Japhets und Enkel Noes, wurde so zum Falle gebracht, da er auf dem Felde arbeitend den Saft einer Pflanze getrunken hatte, von dem er berauscht wurde. Es war kein Wein, sondern Saft einer Pflanze, den sie bei der Arbeit in kleinem Maß genossen und deren Blätter und Früchte sie auch kauten. Mosoch wurde der Vater eines Sohnes, der Hom genannt wurde.

Als das Kind geboren wurde, bat Mosoch seinen Bruder Thubal, sich desselben anzunehmen, damit seine Schmach verborgen bleibe und Thubal tat es aus Liebe. Es wurde das Kind mit dem Stengel und den Sprossen der Schleimwurzel Hom vor Thubals Zelthütte von seiner Mutter gelegt, welche dadurch ein Recht auf sein Erbe zu erlangen hoffte. Aber die Flut war schon nahe, und es war aus mit der Frau. Thubal nahm das Kind zu sich und ließ es in seinem Hause aufziehen, ohne seine Herkunft zu verraten. So geschah es, dass das Kind in die Arche kam. Thubal gab ihm den Namen der Wurzel Hom, weil sie als das einzige Abzeichen bei ihm lag. Das Kind ist nicht mit Milch, sondern mit jener Wurzel ernährt worden. Diese Pflanze wird, wo sie gerade in die Höhe wächst, wohl mannshoch. Wo sie aber kriecht, da treibt sie Sprösslinge mit weichen Spitzen, wie die Spargel, der untere Teil ist hart. Sie dient als Nahrung und Ersatz der Milch. Sie wächst aus einem Knollen oder Zwiebel, hat über der Erde eine Krone von wenigen braunen Blättern. Ihr Stengel wird ziemlich dick und sein Mark wird als Mehl gebraucht, das zu Brei gekocht, dünn gestrichen, auch gebacken wird. Wo sie gedeiht, wuchert sie auf Stunden Weges fort. Ich sah diese Pflanze auch in der Arche.

Es ging eine lange Zeit über dem Bau der Arche hin, bis sie endlich fertig wurde. Noe stellte das Bauen oft viele Jahre lang ein. Dreimal wurde er von Gott neuerdings ermahnt. Dann nahm er wieder Gehilfen an, ließ aber in Erwartung, Gott werde verschonen, die Arbeit immer wieder einschlafen, bis er endlich den Bau fertig machte.

Ich sah, dass an der Arche wie auch am Kreuz, viererlei Holz gewesen: Palm-, Ölbaum-, Zedern- und Zypressenholz, und ich sah sie das Holz fällen und bereiten gleich auf dem Platz, und wie Noe selbst das Holz auf seinen Schultern auf den Bauplatz trug, so wie Jesus sein Kreuz getragen. Der Bauplatz war ein Hügel von einem Tal umgeben. Erst wurde unten der Grund gelegt.

Die Arche war hinten rund, der Grund hohl wie eine Mulde und wurde verpicht. Die Arche hatte zwei Stockwerke, zwei Pfosten standen übereinander. Sie waren hohl, es waren keine runden Baumstämme, sie waren etwa im Durchschnitt länglich rund und hatten inwendig ein weißes Mark, das faserig nach der Mitte zuging. Die Stämme hatten Rinnen oder Absätze, die großen Blätter wuchsen rings wie Schilf herum ohne Äste. (Wahrscheinlich eine Palmengattung.) Ich sah, dass sie mit Stempeln das Mark herausstießen. Alles andere schnitten sie zu dünnen Brettern. Als Noe alles hingetragen und geordnet hatte, begannen sie zu bauen. Der Grund ward gelegt und verpicht, die erste Reihe von Pfosten ward aufgestellt und die Löcher verpicht, worin sie zu stehen kamen. Dann kam der zweite Boden, darauf wieder eine Reihe von Pfosten, dann der dritte Boden und das Dach. Die Zwischenräume zwischen den Pfosten wurden mit den dünnen Brettern von bräunlichem und gelblichem Holze kreuzweise zugeflochten und alle Ritzen und Löcher mit Wolle von Bäumen und Pflanzen und einem weißen Moos, das um gewisse Bäume viel wuchs, zugestopft, und dann inwendig und außen mit Pech überstrichen. Sie war oben auch rund zugewölbt. Über der halben Höhe in der Mitte der Seite war die Tür und an beiden Seiten dieser Tür zwei Fenster, in der Mitte des Daches eine viereckige Öffnung. Als sie ganz verpicht war, glänzte sie wie ein Spiegel in der Sonne. Nun arbeitete Noe noch lange ganz allein darin an den Abteilungen für die Tiere. Jedes hatte einen aparten vom andern getrennten Raum, und es waren zwei Gänge durch die Mitte der Arche. Hinten im runden Teil der Arche war ein Altar aus Holz, dessen Platte einen Halbkreis bildete. Es war eine Absonderung von Teppichen herum. Etwas vor dem Altar war ein Becken mit Kohlen, was ihre Feuerung war. Da waren auch rechts und links Scheidewände für ihr Lager. Sie trugen nun allerlei Geräte und Kasten herein, viele Sämereien und Gewächse und Stauden in Erde an die Wände der Arche, welche ganz grün davon waren. Ich sah sie auch wie Reben mit armlangen großen, gelben Trauben hereintragen.

Es ist nicht zu sagen, welche Leiden Noe unter dem Bauen hatte durch die Bosheit und Tücke der Arbeitsleute, die er mit Vieh bezahlte. Sie verachteten und verspotteten ihn auf alle Weise und nannten ihn einen Narren. Sie arbeiteten um guten Lohn, hörten aber nicht auf, zu lästern. Niemand wusste, für wen Noe den Kasten baute und er litt viel Hohn deswegen. Ich sah, wie er fertig war und dankte, und wie Gott ihm erschien und sagte, er solle nach den vier Weltgegenden die Tiere mit einer Rohrpfeife rufen. Je näher die Zeit des Gerichtes kam, desto finsterer ward der Himmel. Es war eine ungeheure Bangigkeit auf Erden. Es schien keine Sonne mehr und ein schwerer Donner rollte immer. Ich sah Noe mit einer Rohrpfeife ein Stück Weges nach den vier Weltgegenden gehen und pfeifen, und sah nun die Tiere ordentlich und paarweise Männchen und Weibchen auf einer Brücke, welche an der Tür lag und nachher aufgezogen wurde, hineingehen, die großen Tiere, weiße Elephanten und Kamele gingen voran. Alle Tiere waren bange wie vor einem Gewitter. Sie gingen mehrere Tage lang herbei. Die Vögel flogen fortwährend durch die offene Luke hinein. Die Wasservögel aber gingen unten in den Bauch des Schiffes, die Landtiere in den mittleren Raum. Die Vögel unter dem Dache saßen auf Stangen und in Käfigen. Vom Schlachtvieh kamen immer sieben Paare hinein.

Wenn man die fertige Arche von ferne auf der Höhe einsam liegen sah, so sah sie bläulich glänzend aus, als komme sie aus den Wolken. Ich sah die Zeit der Sündflut nahe. Noe hatte sie den Seinen schon verkündet. Er nahm Sem, Cham und Japhet mit ihren Frauen und Abkömmlingen mit. Es waren Enkel von fünfzig bis achtzig Jahren, und von diesen kleine und große Kinder in der Arche. Alle, die an ihr gebaut und gut und frei von Abgötterei geblieben waren, kamen hinein. Es waren über hundert Menschen, was schon wegen der vielen Tiere notwendig war, denen täglich Futter gegeben und ausgereinigt wurde. Ich kann nicht anders sagen, ich sehe es immer, dass auch die Kinder von Sem, Cham und Japhet mit in der Arche waren.Ich sehe viele Mägdlein und Knaben darin, alle Nachkommen Noes, die gut waren. In der Schrift stehen auch keine Kinder Adams außer Kain, Abel und Seth, und doch sehe ich noch viele dazwischen und immer paarweise, Knaben und Mägdlein. Ähnlich werden auch im ersten Briefe Petri 3, 20. nur acht Seelen als in der Arche befindlich erwähnt, nämlich die vier Stammpaare, aus denen nach der Sündflut die Erde bevölkert wurde. Auch Hom sah ich in der Arche. Dieses Kind lag in einer Mulde von Bast, mit einem Fell darin festgebunden. Ich sah viele solche Wiegenkinder in diesen Bastmulden auf den Wässern der Sündflut schwimmen (In den Höhlen und in den gemauerten Unterbauten der Zeltwohnungen waren eingemauerte Vertiefungen, worin die Bastwiegen standen. Auch die SchlafsteIlen der Erwachsenen waren reihenweise wie die Grablager der Juden in den Mauern angebracht).

Als die Arche sich im Wasser erhob und viele Menschen ringsumher auf Bergen und hohen Bäumen wimmerten, auch Leichnam und Bäume angeschwommen kamen, waren Noe und die Seinen schon darin. Ehe Noe mit seiner Frau, seinen drei Söhnen und ihren Frauen in sie einzog, flehte er noch zu Gott um Erbarmen. Sie zogen die Brücke nach sich und schlossen die Tür. Alles ließ er zurück, selbst nahe Verwandte und ihre kleinen Kinder, welche während des Baues sich von ihm entfernt hatten. Es brach ein schreckliches Gewitter herein, die Blitze stürzten wie Feuersäulen nieder und die Regenstrahlen waren so dicht wie Bäche. Die Höhe, auf der die Arche stand, ward bald eine Insel. Das Elend war so groß, dass ich hoffe, es werden sich doch noch viele Menschen bekehrt haben. Ich sah einen schwarzen Teufel in schrecklicher Gestalt mit spitzem Rachen und langem Schweife durch das Wetter hin und herfahren und die Menschen zur Verzweiflung treiben. Kröten und Schlangen suchten hie und da ihre Winkel in der Arche. Mücken und Ungeziefer habe ich nicht gesehen. Das ist nachher den Menschen zur Plage entstanden.

Ich sah Noe in der Arche Rauchopfer bringen. Sein Altar war mit Weiß über Rot bedeckt. Er hatte in einem gewölbten Kasten mehrere Gebeine Adams, welche er beim Gebet und Opfer auf dem Altar aufstellte. Ich sah auch über dem Altar den Kelch des Abendmahles, welcher während des Baues dem Noe von drei Gestalten in langen, weißen Gewändern, wie die drei Männer, welche zu Abraham kamen und ihm die Geburt eines Sohnes verkündeten, gebracht worden war. Sie kamen aus einer Stadt, die bei der Sündflut zu Grunde ging, und sprachen zu Noe, er sei ein so ruhmvoller Mann, da sei etwas Geheimnisvolles, das er mitnehmen solle, damit es in der Flut nicht verloren gehe. In dem Kelche lag ein Weizenkorn, groß wie ein Sonnenblumenkern, und ein Rebzweig. Noe steckte beides in einen gelben Apfel, den er in den Kelch legte, auf dem kein Deckel war. Es musste der Zweig herauswachsen. Nach der Trennung beim Turmbau sah ich den Kelch bei einem Nachkommen Sems im Lande der Semiramis, dem Stammvater der Samanen, die durch Melchisedech nach Kanaan versetzt wurden und den Kelch dahin mitbrachten.

Ich habe die Arche schweben und viele Leichname schwimmen sehen. Sie ließ sich auf einem hohen Gebirge weit gegen Morgen von Syrien nieder, das einsam liegt und sehr felsig ist. Sie hat lange da gestanden. Ich sah schon Land hervorgetaucht. Es lag Schlamm darauf mit Grün wie mit Schimmel überdeckt.

Im Anfang nach der Sündflut aßen sie Muscheln und Fische. Brot und Vögel aber, als sie sich schon vermehrt hatten. Sie pflanzten Gärten und der Boden war so fruchtbar, dass der Weizen, den sie säten, so starke Ähren hatte, wie das türkische Korn. Auch die Homs- oder Schleimwurzel wurde von ihnen angebaut. Das Zelt Noes stand auf die Art, wie später das Zelt von Abraham, in der Ebene und rings in der Umgegend hatten Noes Söhne ihre Zelte.

Ich sah die Verfluchung Chams. Sem und Japhet aber empfingen von Noe, da sie vor ihm knieten, den Segen, wie ich später Abraham diesen Segen dem Isaak übergeben sah. Den Fluch, den Noe über Cham aussprach, sah ich wie eine schwarze Wolke gegen diesen fahren und ihn verfinstern. Er war nicht mehr so weiß, wie zuvor. Seine Sünde war die einer Sakramentsschändung, wie die eines Menschen, der in die Arche des Bundes dringen wollte. Ich sah von Cham ein sehr verdorbenes Geschlecht herstammen, das immer tiefer in die Verfinsterung geriet. Ich sehe die schwarzen, heidnischen und ganz stupiden Völker als Abkömmlinge von Cham, und dass ihre Farbe nicht durch die Sonne, sondern aus dem finstern Ursprung der verdorbenen Rasse entstanden ist.

Es ist nicht möglich auszusprechen, wie ich die Völker sich mehren und ausbreiten und auf alle Art sich verfinstern sah, und wie aus ihnen doch wieder mancher lichte Faden ausströmte und das Licht suchte.

Als Thubal, der Sohn Japhets, mit seinen Kindern und den Kindern seines Bruders Mosoch von Noe sich das Land, wohin sie ziehen wollten, anweisen ließ, waren sie fünfzehn Familien stark. Die Kinder Noes wohnten schon sehr weit umher, und auch die Familien Thubals und Mosochs waren entfernt von Noe. Als aber die Kinder Noes sich drängten und uneinig wurden, wollte Thubal sich noch weiter entfernen, um nichts mit den Kindern Chams zu tun zu haben, welche schon in Gedanken des Turmbaues waren. Thubal und die Seinen folgten nicht, als sie zum Turmbaue später berufen wurden, wie auch die Kinder Sems sich weigerten.

Thubal kam mit seiner Schar vor die Zeltwohnung Noes, auf dass er ihm das Land anweise. Noe wohnte auf einem Gebirge zwischen dem Libanon und Kaukasus. Er weinte, denn er liebte dies Geschlecht, das frömmer und besser war. Er zeigte ihnen eine Gegend gegen Nordost und befahl ihnen die Gebote Gottes und das Opfer und ließ sich versprechen, dass sie die Reinheit der Abstammung bewahren und nicht mit den Kindern Chams sich vermischen sollten. Er gab ihnen Gürtel und Brustgewänder mit, die er in der Arche gehabt, dass die Familienhäupter bei dem Gottesdienst und der Verehelichung sich damit bekleideten, um vor Unsegen und übler Nachkommenschaft bewahrt zu werden. Der Gottesdienst Noes bei dem Opfer erinnerte mich an das Heilige Messopfer. Er bestand in Gebet und Antworten, Noe wandelte am Altar hin und her und verbeugte sich. Er gab ihnen auch eine lederne Tasche mit einem Gefäß aus Bast, worin eine goldene Büchse in Gestalt eines Eies, in welchem wieder drei kleine Gefäße waren. Auch die Knollen oder Zwiebel der Schleimpflanze erhielten sie von ihm und Schriftrollen von Bast oder Fellen, auf denen Zeichen standen, und runde Holzstöcke, in welche Zeichen eingeschnitten waren.

Die Leute waren sehr schön, von rötlichgelber glänzender Farbe. Sie trugen Felle mit Wolle und Gürtel. Nur die Arme waren unbekleidet. Ich sah, dass sie sich diese Felle, kaum dass sie den Tieren abgezogen waren, noch blutig über die Glieder schlugen, und dass sie ihnen so dicht anlagen, dass ich anfangs meinte, die Leute seien behaart. Sie hatten aber eine Haut wie Atlas. Sie hatten außer den Sämereien nicht viel Gepäck bei sich, als sie weg nach einer hohen Gegend gegen Nordost zogen. Kamele sah ich nicht bei ihnen, aber Pferde, Esel und breitgehörnte Tiere wie Hirsche. Ich sah sie an einem hohen Berg hin und übereinander in niederen langen Hütten wohnen, die wie Lauben an den Berg angebaut waren, an dem ich sie auch graben, pflanzen und Bäume in langen Reihen setzen sah. Die andere Seite des Berges war kalt, und später wurde auch die ganze Gegend viel kälter, so dass einer der Enkel Thubals, der Stammführer Dsemschid, sie gegen Südwest weiterführte. Alle, welche Noe gesehen und von ihm Abschied genommen hatten, starben bis auf wenige hier. Die mit Dsemschid Ziehenden waren alle hier geboren, und sie nahmen die wenigen Greise, welche den Noe noch gekannt hatten, mit sich und trugen sie sehr sorgsam in Körben ruhend.

Als Thubal mit den Familien von Noe schied, da sah ich jenes Kind des Mosoch, den Hom, das mit in die Arche gekommen war, auch darunter. Hom war schon erwachsen. Ich sah ihn nachmals ganz verschieden von den anderen und groß wie einen Riesen, sehr ernst und eigen. Er trug ein langes Mantelkleid und war wie ein Priester. Er sonderte sich ab und brachte viele Nächte allein auf dem Gipfel des Gebirgsrückens zu. Er sah nach den Sternen und trieb Zauberei und war durch den Teufel in Gesichten, die er in eine Ordnung und Lehre brachte, durch welche er die Lehre Henochs trübte. Der böse Trieb aus seiner Mutter vermischte sich in ihm mit der reinen Erblehre Henochs und Noes, an welche die Kinder Thubals sich hielten. Hom brachte durch seine Offenbarungen und Gesichte falsche Wendungen und Deutungen in die alte Wahrheit. Er klügelte und studierte, sah nach den Sternen und hatte Gesichte, welche vom Teufel verunstaltete Figuren der Wahrheit ihm zeigten, die durch ihre Ähnlichkeit mit der Wahrheit seine Lehre und Abgötterei zur Mutter der Ketzereien machten. Thubal war ein guter Mann. Homs Treiben und seine Lehre gefiel ihm nicht, und es tat ihm wehe, dass einer seiner Söhne, der Vater Dsemschids, dem Hom anhing. Ich hörte Thubal klagen: «meine Kinder sind nicht einig, ich wollte, ich wäre bei Noe geblieben.»

Hom leitete von dem Berge, an dem sie wohnten, zwei Quellen nieder, die sich zu einem Flusse vereinigten, der nach kurzem Laufe zu einem breiten Strome wurde, über den ich sie bei ihrem Wegzug unter Dsemschid ziehen sah. Hom empfing von seinen Anhängern beinahe göttliche Verehrung. Er brachte ihnen die Lehre bei, dass Gott im Feuer sei. Auch mit dem Wasser hatte er viel zu tun und besonders mit der Schleimwurzel, von der er seinen Namen hatte. Er pflanzte sie und teilte sie als heilige Nahrung und Arznei mit Feierlichkeit aus, so dass eine religiöse Handlung zuletzt daraus entstand. Ihren Saft oder Brei trug er in einem braunen Gefäß, wie ein Mörser, bei sich. Ihre Zelthaken waren von dem gleichen Metall. Diese wurden von den Leuten eines anderen Stammes gemacht, welche ferne von ihnen an einem Gebirge lebten und im Feuer arbeiteten. Ich sah sie an Bergen, aus denen bald hier bald dort Feuer hervorbrach und ich meine, dass jenes Gefäß von herausfließendem Metall oder Gestein war, das in einer Form von ihnen aufgefangen wurde. Hom war nicht verheiratet und wurde nicht sehr alt. Er verkündete viele Gesichte über seinen Tod, an die er selber, wie später Derketo, und seine Anhänger glaubten. Ich sah ihn aber schrecklich sterben, dass nichts von ihm zurückblieb, indem der böse Feind ihn mit sich nahm. Darum glaubten seine Anhänger, er sei wie Henoch an einen heiligen Ort entrückt worden. Der Vater Dsemschids wurde von ihm unterrichtet, er hinterließ ihm seinen Geist, damit er an seine Stelle trete.

Dsemschid wurde durch seine Weisheit der Führer seines Stammes, der sich schnell mehrte und ein ganzes Volk war, als es von Dsemschid immer weiter nach Süden geführt wurde. Dsemschid war sehr vornehm erzogen worden und hatte Homs Lehre empfangen. Er war unbeschreiblich lebendig und rasch, viel tätiger und auch besser als Hom, der mehr finster und steif war. Er brachte Homs Lehre und Religion recht in Ausübung, setzte noch mancherlei dazu und sah auch viel nach den Sternen. Das Volk, das ihm anhing, hatte schon das heilige Feuer und zeichnete sich auch mit einem Rassezeichen. Die Menschen hielten sich damals ganz rassenweise zusammen und gingen nicht so durcheinander wie jetzt. Dsemschid sah besonders auf Reinerhaltung und Veredlung der Geschlechter und trennte und verpflanzte sie, wie er für gut befand. Die Menschen waren ganz frei und doch sehr untertänig. Die wilden Stämme, die ich jetzt noch in fernen Ländern und Inseln sehe, sind mit der Schönheit und dem edlen einfachen und doch ganz gewaltigen Wesen dieser ersten Rassen gar nicht zu vergleichen. Sie sind auch bei weitem nicht so geschickt, so stark und gewandt.

Dsemschid baute auf seinen Zügen Grundlagen von Zeltstädten, zeichnete Felder ab, machte lange Straßen von Stein und setzte da und dort so und so viele Menschenpaare hin mit Tieren und Bäumen und Pflanzen. Er umritt ganze Strecken Landes und hieb mit seinem Instrument, das er immer in der Hand hatte, in die Erde, und gleich waren seine Leute da und gruben und hackten und machten Zäune und Gräben. Er war erstaunlich strenge und gerecht. Ich sah ihn als einen alten großen, sehr hageren, gelbroten Mann auf einem kleinen gelb und schwarz gestreiften, erstaunlich schnellen Tier, das einem Esel mit feinen Beinen glich. Er umritt ein Stück Land, wie bei uns arme Leute in der Heide nachts Feld umgehen und es sich zum Anbau zueignen. An einzelnen Punkten hielt er still und schlug mit seinem Haken ein, oder steckte eine Stange in die Erde, dann wurde hier angesiedelt. Dieses Instrument, welches später die goldene Pflugschar Dsemschids genannt wurde, war wie ein lateinisches armlanges Kreuz mit einer Klinge, die herausgezogen mit dem Schaft einen rechten Winkel bildete. Damit machte er Risse in die Erde. Er trug dieses Zeichen auch an der Seite seines Rockes abgebildet, wo man sonst die Taschen hat. Es erinnerte an das Zeichen, welches Joseph und Aseneth in Ägypten immer trugen und mit dem auch sie das Feld maßen. Doch war dieses mehr wie ein Kreuz und hatte oben einen Ring, in welchen es eingelegt werden konnte. Dsemschid trug einen Mantel, der von vorne nach rückwärts zurückfiel. Von dem Gürtel bis zu den Knien hingen vier Lederlappen, zwei hinten und zwei vorne, die an den Seiten streifweise zusammengehalten und unter den Knien geheftet waren. Die Füße waren mit Leder und Riemen umwunden. Auf der Brust trug er ein goldenes Schild. Er hatte mehrere solche Brustschilde, welche er bei feierlichen Gelegenheiten wechselte. Seine Krone war ein runder Reif von Gold mit Zacken, nach vorne aber mit einem höheren Bügel, wie ein Horn, und es spielte an der Spitze desselben wie ein Fähnchen.

Er sprach sehr viel von Henoch und wusste, dass er von der Erde entnommen worden und nicht gestorben sei. Er lehrte, Henoch habe alles Gute und alle Wahrheit dem Noe übergeben, welchen er den Vater und Bewahrer alles Guten nannte. Von Noe aber sei alles auf ihn selber übergegangen. Dsemschid hatte ein goldenes, eiförmiges Gefäß umhängen, in welches, wie er sagte, das von Noe in der Arche bewahrte und auf ihn gekommene Gute eingeschlossen sei. Wo er auf seinen Zügen die Zelte aufschlug, da wurde das goldene Gefäß auf eine Säule gestellt und darüber auf zierlichen Stangen mit allerhand geschnitzten Figuren ein Zeltdach wie ein Tempelchen errichtet. Das Gefäß hatte eine durchbrochene Krone als Deckel, und wenn Dsemschid Feuer machte, nahm er etwas heraus und warf es in das Feuer. Das Gefäß war in der Arche gewesen, und Noe hatte das Feuer darin aufbewahrt. Nun wurde es das Heiligtum Dsemschids und seiner Leute. Wenn es aufgestellt wurde, brannten Feuer darum her, welche sie anbeteten und vor denen sie Tiere opferten. Dsemschid lehrte, der große Gott wohne im Lichte und im Feuer und habe viele andere Untergötter und dienende Geister.

Alles Volk unterwarf sich ihm. Er setzte Männer und Frauen mit Herden da und dorthin, und ließ pflanzen und bauen. Sie durften nicht nach ihrem Willen sich verbinden, er behandelte sie wie Herden und teilte nach seinen Absichten den Frauen den Mann zu. Er selbst hatte mehrere Frauen und eine sehr schöne von besserem Stamme, von der er einen Sohn hatte, der sein Nachfolger ward. Er baute auch große runde Türme, die man auf Stufen bestieg, um nach den Sternen zu sehen. Die Frauen, welche abgesondert und untertänig waren, hatten kurze Röcke, um die Brust und den Oberleib ein Geflecht von Riemen, hinten hing etwas Zeug nieder, und um den Hals über die Schultern bis über die Knie hing eine unten runde, breite Bahn. Sie war über Schultern und Brust mit Zeichen oder Buchstaben verziert. Aus allen Ländern, die er gegründet hatte, ließ er gerade Bahnen in der Richtung nach Babel machen.

Wo er hinzog, war noch niemand. Er hatte kein Volk zu vertreiben, es ging alles ganz friedlich her. Es war nur ein Bauen und Ansiedeln. Sein Stamm war rotgelb, glänzend von Farbe wie Ocker. Es war ein schöner Schlag Menschen. Alle Stämme wurden gezeichnet, um reine und vermischte Abstammung zu kennen. Er kam mit seinen Leuten über ein hohes Eisgebirge, ich weiß nicht mehr durch welche Kunst, ziemlich glücklich hinüber; viele aber blieben stecken. Sie hatten Pferde oder Esel, und Dsemschid ritt auf einem kleinen, gestreiften Tier. Eine Naturveränderung trieb sie aus ihrem Lande, es war so kalt - jetzt ist es wieder wärmer dort. Er traf auf seinem Zuge hie und da auf hilflose Stämme, teils der Tyrannei einzelner Oberhäupter entlaufen, teils in großer Not auf irgend einen Führer harrend. Sie unterwarfen sich ihm gerne. Denn er war milde und brachte Getreide und Segen. Es waren bedrängte Vertriebene, die so wie Job beraubt und gehetzt worden waren. Ich sah solche, die ohne Feuer waren und ihr Brot auf heißen Steinen an der Sonne bereiteten. Als Dsemschid ihnen Feuer brachte, war er ihnen wie ein Gott. Er fand auch einen Stamm, welcher Kinder opferte, die ihnen nicht schön genug und etwas missgestaltet waren. Sie gruben sie halb ein und machten Feuer um sie. Er schaffte dies ab und befreite solche Kinder und ließ sie in einem Zelthaus von Frauen großziehen. Hernach brauchte er diese Kinder wieder als Knechte hie und da. Er hatte große Sorge um reine Abstammung.

Dsemschid war anfangs südwestlich gezogen und hatte den Prophetenberg zur Linken im Süden. Hernach wendete er sich südlich und hatte ihn links im Morgen. Ich meine, dass er nachher über den Kaukasus gekommen ist. Damals, als alles dort von Menschen wimmelte und rege war, war in unseren Ländern alles Morast, Wald und Wüste. Gegen Morgen zu hie und da ein kleiner, verirrter Haufen. Der Glanzstern (Zoroaster), der viel später ist, war ein Nachkomme vom Sohn Dsemschids und erneuerte seine Lehre. Dsemschid schrieb auf Tafeln von Stein und Bast allerlei Gesetze. Ein langer Buchstabe bedeutete manchmal einen ganzen Satz. Diese Sprache ist noch von der Ursprache, sie hat Berührung mit der unsern. Dsemschid traf noch in die Zeit von Derketo und ihrer Tochter, der Mutter von Semiramis. Bis Babel selbst kam er nicht, aber sein Lauf kam in diese Richtung.

Ich sah die Geschichte Homs und Dsemschids, als Jesus vor den heidnischen Philosophen in Lanifa auf Zypern lehrte. Diese hatten vor Jesus von Dsemschid als von einem ältesten weisen König gesprochen, der hoch oben hinter Indien hervorgekommen sei und mit einem goldenen Dolch, den er von Gott erhalten, so viele Länder geteilt und bevölkert und überall Segen verbreitet habe. Sie fragten Jesus über ihn und allerlei Wunder, die sie von ihm erzählten. Jesus sagte ihnen, dass Dsemschid ein natürlich-kluger und sinnlich-weiser Mann und Völkerführer gewesen sei, der einen Stamm, als die Völker sich nach der Trennung beim Turm von Babel zerstreuten, geführt, und Länder nach gewissen Ordnungen mit ihm besetzt habe, und dass es solche Führer gegeben habe, welche übler gehaust hätten, als er, weil seine Rasse nicht so verfinstert gewesen sei. Er zeigte ihnen aber auch, welche Fabeln auf seine Rechnung geschrieben würden, und wie er ein falsches Nebenbild und Irrbild des Priesters und Königs Melchisedech sei. Er sagte ihnen, auf diesen zu schauen und auf Abrahams Stamm. Denn als die Ströme der Völker sich bewegten, habe Gott den besseren Familien den Melchisedech gesandt, dass er sie führe und verbinde und ihnen Länder und Wohnstätten bereite, auf dass sie rein erhalten und nach ihrem Wert der Annäherung an die Gnade der Verheißung fähiger oder unfähiger würden. Wer Melchisedech gewesen, das möchten sie selbst denken. Aber das sei die Wahrheit, er sei ein frühes Vorbild künftiger, jetzt so naher Gnade der Verheißung gewesen, und sein Opfer von Brot und Wein, welches er gebracht, werde erfüllt werden und vollendet und werde bestehen bis ans Ende der Welt.

7. Turmbau von Babel

Der Turmbau von Babel war das Werk der Hoffart. Die Bauleute wollten ein Werk nach ihrem Verstand machen, um den Führungen Gottes zu widerstehen. Als der Kinder Noes sehr viele geworden waren, taten sich die Kunstfertigsten und Stolzesten aus ihnen zusammen und gedachten ein Werk so groß und fest hervorzubringen, dass man es zu ewigen Zeiten bewundern und von den Erbauern als den kunstreichsten und gewaltigsten Menschen sprechen sollte. An Gott dachten sie nicht dabei, nur an ihre eigene Ehre, sonst hätte Gott, wie mir bestimmt erklärt wurde, sie ihre Arbeit vollenden lassen. Die Semiten waren nicht bei dem Bau. Sie wohnten in ebenem Land, wo Palmbäume und ähnliche edle Früchte wuchsen, mussten aber, da sie nicht so weit entfernt waren, doch einiges zum Bau liefern. Nur die Abkömmlinge von Cham und auch von Japhet waren mit dem Bau beschäftigt und nannten die sich weigernden Semiten ein dummes Volk. Die Semiten waren überhaupt nicht so zahlreich wie die andern, und unter ihnen war der Stamm Hebers und Abrahams wieder besonders ausgeschieden. Auf Heber, der nicht beim Turmbau war, hatte Gott sein Auge geworfen, um ihn und seine Nachkommen aus der allgemeinen Verwirrung und Verderbtheit zu einem heiligen Volke abzusondern. Darum gab ihm Gott auch eine neue heilige Sprache, welche kein anderes Volk besaß, damit sein Stamm sich abgesondert halten sollte. Es ist dies die hebräische oder chaldäische reine Sprache. Die erste Muttersprache, welche Adam, Sem, Noe redeten, ist eine andere und ist nur noch in einzelnen Mundarten vorhanden. Ihre ersten reinen Töchter sind die Sprache der Baktrier, der Zend und die heilige Sprache der Indier. In diesen Sprachen sind noch Wörter ganz wie in dem tiefen Plattdeutsch meiner Heimat. In dieser Sprache ist auch das Buch geschrieben, das ich im heutigen Ktesiphon am Tigris liegen sehe. Heber lebte noch zu der Zeit der Semiramis. Sein Grossvater Arphaxad war der auserwählte Sohn des Sem, voll tiefer Einsicht und Weisheit. Aber es sind viele abgöttische Dienste und Zauberei von ihm abgeleitet worden. Die Magier führten ihre Quelle auch auf ihn zurück.

Der Turm wurde auf einer Anhöhe, welche ungefähr zwei Stunden im Umkreise hatte und aus einer sehr großen mit Feldern, Gärten, Bäumen bedeckten Ebene aufstieg, erbaut. Zu den Grundmauern des Turmes d. i. bis zur Höhe seines ersten Absatzes führten ringsum von allen Seiten aus der Ebene fünfundzwanzig sehr breite aufgemauerte Straßen. Es waren fünfundzwanzig Stämme, welche bauten, und jeder Stamm sollte seine eigene Straße nach dem Turm haben, und in der Richtung der Straße in der ferneren Umgebung die eigene Stadt, um bei Gefahren sich nach dem Turm zu retten. Der Turm sollte auch zum Tempel ihres abgöttischen Dienstes werden. Die gemauerten Straßen waren da, wo sie in der Ebene ihren Anfang nahmen, ziemlich weit voneinander entfernt, kamen aber da, wo sie ringsum an dem Turm anlangten, sich so nahe, dass der Zwischenraum zwischen den einzelnen nicht größer mehr war, als die Breite einer großen Straße. Vor ihrer Endigung in den Turm waren sie durch Querbogen verbunden, und hier führte zwischen je zwei Straßen ein etwa zehn Schuh breites Tor in die Basis des Turmes. Hatten die sanft aufsteigenden Straßen eine gewisse Höhe erreicht, so wurden sie zuerst von einfachen großen Bogenstellungen, und näher dem Turm kommend von doppelt über einander stehenden Bogenstellungen unterzogen, so dass man am Umkreise des Turmes durch diese Bogen unter allen Straßen hinweg rund um die erste Basis des Turmes herumgehen konnte. Da, wo die Bogenstellungen unter den Straßen von der einen zur anderen quer durchliefen, waren die Straßenflächen horizontal.

Diese sanft aufsteigenden Straßen waren teils, wie die Wurzeln eines Baumes, die stützende Widerlage zur Befestigung der Fundamente des ungeheuren Baues, teils dienten sie als Wege, um die großen Lasten und Baumaterialien von allen Seiten auf die erste Höhe des Turmes zu bringen.

Zwischen diesen ausgestreckten Wurzeln des Turmes waren Zeltlager mit gemauertem Unterbau. Sie waren von den Straßen durchschnitten und an manchen Stellen ragten die Zeltgiebel über die Straßen hinaus. Aus jedem Zeltlager führten Stufeneinschnitte auf die Höhe der Straßen. Im Umkreise des Turmes konnte man durch die Bogenstellungen durch alle Zeltlager unter den Steinwegen wegziehen.

Außer den Bewohnern dieser Zeltlager lebten andere in den vielen Gewölben und Räumen, die auf beiden Seiten unter den Steinwegen sich befanden. Es war ein ungeheures Gewimmel um und über das Ganze, es war wie ein großer Ameisenhaufen. Kamele, Elephanten und Esel in Unzahl zogen mit breiten und schweren Lasten ringsum auf und nieder, und konnten zu mehreren aneinander vorübergehen. Es waren Futter- und Abladeplätze unterwegs und auch Zelthäuser auf den ebenen Stellen der Wege und ganze Gewerke. Ich sah Tiere, die ohne Führer den Weg beladen hinauf und hinabzogen.

Die Tore an der Basis des Turmes führten in eine ungeheure Menge von Hallen, in Labyrinthe von Gängen und Kammern. Man konnte an dieser Unterlage des Turmes selbst von allen Seiten auf eingeschnittenen Treppen hinauf. Vom ersten Absatz des Turmes an führte der Weg äußerlich schneckenförmig um das vieleckige Gebäude. Auch hier bestand das Innere aus ungeheuer festen Kellern und verwickelten Kammern und Gängen.

Der Bau wurde von allen Seiten zugleich in der Richtung nach dem Mittelpunkt in Angriff genommen, wo anfänglich noch ein großes Zeltlager stand. Sie bauten mit Ziegeln, schleppten aber auch große behauene Steine herbei. Die Oberfläche der Straßen war ganz weiß und glänzte in der Sonne. Es war ein wunderbarer Anblick in der Ferne. Der Turm war mit großer Kunst angelegt, und es wurde mir gesagt, dass er zustande gekommen wäre und noch stehen und ein schönes Andenken an die Kraft der Menschen sein würde, wenn sie ihn zu Gottes Ehre erbaut hätten. Sie dachten aber nicht an Gott dabei, sondern es war ein Werk des eigenen Übermutes. Inwendig in den Gewölben mauerten sie mit andersfarbigen Steinen ganz groß die Namen und das Lob derjenigen in die Pfeiler, welche beim Bauen Grosses geleistet hatten. Sie hatten keine Könige, sondern nur Stammväter, und diese regierten wieder alles nach gemeinsamem Rat. Die Steine waren künstlich gemacht, und alles griff und schloss aneinander. Es arbeitete alles mit. Es waren Kanäle und Zisternen zum Wasserbedarf gegraben. Die Frauen traten Ton mit den Füßen. Die Männer hatten die Arme und Brust bei der Arbeit unbekleidet. Die Vornehmeren trugen eine kleine Mütze mit einem Knopf. Die Frauen hatten schon sehr früh das Haupt verhüllt.

Der Bau wurde so hoch und groß, dass es durch den Schatten auf der einen Seite ganz kalt, und auf der andern durch den Widerschein sehr heiß war. Sie hatten dreißig Jahre gebaut und waren an dem zweiten Absatz, hatten ihn schon umfangen und mauerten im Inneren die turmähnlichen Säulen auf und mit bunten Steinen ihre Namen und Geschlechter hinein, als die Verwirrung losbrach. Es war keine erhabene Bildhauerarbeit an dem Bau, aber vieles wurde mit farbigen Steinen eingelegt, und hie und da wurden auch Figuren in Nischen eingehauen. Ich sah unter den Führern und Meistern des Baues einen Gesandten Gottes, Melchisedech, auftreten, der sie über ihr Tun zur Rede stellte und die Strafe Gottes ankündigte. Nun begann die Verwirrung. Viele, die anfänglich in Ruhe fortgearbeitet hatten, rühmten nun sich ihrer Geschicklichkeit und Verdienste am Bau, machten Partei und nahmen diese und jene Vorrechte in Anspruch. Dagegen erhob sich Widerspruch, Befeindung, Aufruhr. Es wurden nur zwei Stämme für die Unzufriedenen gehalten, sie sollten niedergehalten werden. Nun fand sich aber, dass alle uneins waren. Sie wurden untereinander handgemein und erschlugen sich. Sie verstanden sich nicht mehr, trennten und zerstreuten sich über den ganzen Erdkreis. Ich sah das Geschlecht Sems mehr gegen Mittag ziehen, wo Abrahams Heimat war und sah einen Mann desselben, der gut war, nicht hinwegziehen, sondern um seiner Frau willen unter den Bösen zu Babel bleiben. Und dieser ist der Stammvater der Samanen, welche sich immer getrennt hielten und später unter der grausamen Semiramis durch Melchisedech nach dem gelobten Lande einzeln verpflanzt wurden.

Da ich als Kind das Bild vom Turmbau hatte, konnte ich es nicht fassen und verwarf es immer. Ich hatte ja nichts gesehen, als unsere Hütte, wo die Kühe zum Schornstein hinausgingen, (d. i. wo das Tor auch dem Rauch zum Ausgang diente) und die Stadt Koesfeld; manchmal glaubte ich sogar, es müsste der Himmel sein. Ich hatte aber das Bild immer wieder in der gleichen Weise, später und auch heute noch, und sah, wie der Turm zu Jobs Zeiten aussah.

Einer der Hauptführer bei dem Turmbau war Nemrod, der nachmals als Götze unter dem Namen Belus verehrt wurde. Er ist der Stammvater der auch als Göttinnen verehrten Derketo und der Semiramis. Nemrod erbaute aus den Steinen des Turmes die Stadt Babyion, und Semiramis führte den Bau zu Ende. Er legte auch den Grund von Ninive, gemauerte Grundlagen für Zeltwohnungen. Er war ein großer Jäger und Tyrann. Es gab damals wilde, grausame Tiere in Unzahl, welche große Verwüstungen verursachten. Die Jagdzüge gegen sie waren so großartig wie Kriegszüge. Wer recht wilde Tiere erlegte, wurde wie ein Gott verehrt. Nemrod trieb auch Menschen zusammen, die er sich unterwarf. Er trieb Götzendienst, war voll Grausamkeit und Zauberkünste und hatte viele Nachkommen. Er ist gegen zweihundertsiebzig Jahre alt geworden. Er war von gelblicher Farbe und führte von früher Jugend an ein sehr wildes Leben und war ein Werkzeug des bösen Geistes und dem Sterndienst sehr ergeben. Von den Figuren und mannigfachen Bildern, welche er in den Planeten und Gestirnen erblickte und aus denen er über dies und jenes Volk und Land weissagte, suchte er Nachbildungen zu fertigen und machte diese dann zu Götzen. So haben die Ägypter die Figur der Sphinx von ihm, wie auch die vielarmigen und vielköpfigen Götzenbilder empfangen. Siebzig Jahre lang war Nemrod mit diesen Götzen-Gesichten und der Einrichtung des abgöttischen Dienstes und der Götzenopfer und mit der Einsetzung der Götzenpriester beschäftigt. Durch seine teuflische Weisheit und Gewalt hatte er sich die Stämme unterworfen, welche er dann zum Turmbau führte. Als die Sprachverwirrung entstand, rissen sich viele Stämme von ihm los, und die wildesten zogen unter Mesraim nach Ägypten. Nemrod aber erbaute Babyion, unterjochte alles ringsumher und gründete das babylonische Reich. Unter seinen vielen Kindern waren auch Ninus und die als Göttin verehrte Derketo.

8. Derketo

Von Derketo bis Semiramis sah ich drei Geschlechter, und eine die Tochter der andern. Ich sah Derketo, eine große gewaltige Frau, in Tierfelle mit vielen hängenden Riemen und Tierschweifen gekleidet, und einer Mütze von Vogelfedern auf dem Haupte, mit vielen andern Frauen und Männern aus der Gegend von Babyion hervorbrechen. Sie war in stetem Prophezeien, Sehen, Stiften, Opfern und Herumstreifen begriffen. Sie trieben einzelne Geschlechter mit ihren Herden mit sich fort, weissagten gute Wohnplätze, türmten hohe Steine auf, die oft ungeheuer waren, opferten und trieben alle Laster. Alles zog sich zu ihr hin. Sie war bald hier, bald dort und wurde überall verehrt und hatte in spätem Alter eine Tochter, welche nachher ihre Rolle fortspielte. Ich sah dieses ganze Bild mehr in einer Ebene, wodurch der Anfang dieses Gräuels bedeutet wurde. Ich sah sie zuletzt als eine alte furchtbare Frau in einer Stadt am Meer wieder am Wasser ihre Zauberei treiben und in einem teuflisch ekstatischen Zustande allem Volke verkünden, dass sie für alle sterben und sich opfern wolle. Sie könne nicht bei ihnen bleiben, sie werde sich aber in einen Fisch verwandeln und als solcher immer in ihrer Nähe sein. Sie ordnete auch den Dienst an, den man ihr erweisen sollte, und stürzte sich vor allem Volke ins Meer. Es waren bei allen diesen Prophezeiungen Geheimnisse und allerlei Bedeutungen vom Wasser und dergleichen. Ich sah auch, dass sich bald nachher ein Fisch erhob, und dass das Volk ihn mit allerlei Opfern und Gräueln begrüßte, und dass aus all dem Zeug der Derketo eine ganze Abgötterei wurde.

Nach ihr sah ich eine andere, ihre Tochter, auf einem niederen Berge erscheinen. Dies deutete auf einen schon gewaltigeren Zustand. Es war dies noch unter Nemrods Zeiten. Sie waren aus einem Geschlecht. Diese Tochter sah ich in ähnlichem Treiben wie Derketo, doch noch ungestümer und wilder. Sie war meist mit großen Scharen jagend und herumziehend oft hundert Meilen weit, gegen die Tiere fechtend, dazwischen opfernd, zaubernd und weissagend. Es wurden dabei allerlei Plätze gegründet und Götzendienerei eingerichtet. Diese sah ich gegen ein Nilpferd kämpfend ins Meer stürzen.

Ihre Tochter Semiramis sah ich auf einem hohen Berge mit allen Reichtümern und Schätzen der Welt umgeben, als wenn der Teufel sie ihr zeige und gäbe, und sah sie den ganzen Gräuel dieser Rasse in Babyion vollenden.

In den ersten Zeiten waren solche Zustände ruhiger und bei vielen. Später wurden sie in einzelnen ganz gewaltig. Diese wurden nun Führer und Götter der andern und gründeten allerlei Götzendienste auf ihre Gesichte, wirkten auch äußerlich hie und da allerlei Kunst, Gewalt und Erfindung. Denn sie waren voll des bösen Geistes. Hieraus entstanden ganze Stämme, erst von Herrschern und Priestern zugleich, später nur Priester-Geschlechter. Ich habe in der ersten Zeit mehr Frauen als Männer solcher Art gesehen, und diese waren überall in einem inneren Zusammen-Fühlen, Wissen und Wirken. Vieles, was man von ihnen sagt, sind unvollkommene Darstellungen ihrer ekstatischen oder magnetischen Äußerungen über sich, ihren Ursprung und ihr Treiben, teils von ihnen selbst, teils von andern Teufels-Somnabulen über sie ausgesprochen. Auch die Juden hatten in Ägypten viele geheime Künste. Moses aber rottete sie aus und war der Seher Gottes. Bei den Rabbinern aber blieb vieles davon als Sache der Gelehrten. Später ward es bei einzelnen Völkern ein niedriges, armes Treiben, und spukt noch im Hexenwesen und als Aberglauben. Es ist aber alles aus demselben Baum des Verderbens gewachsen, aus dem einen niedern Reiche. Ich sehe alle ihre Bilder dicht über oder gar unter der Erde. Es ist auch im Magnetismus ein Element davon.

Jenen ersten Götzendienern war das Wasser sehr heilig. Alle ihre Dienste übten sie beim Wasser, und der Anfang der prophetischen und Visions-Zustände war immer ein Sehen ins Wasser. Sie hatten bald eigens geweihte Teiche dazu. Später wurden diese Zustände bleibend, und sie sahen auch ohne Wasser ihre bösen Gesichte. Ich habe bei dieser Gelegenheit von ihren Gesichten gesehen, und es ist ganz kurios. Es ist dann, als wenn unter dem Wasser die ganze Welt nochmals wäre mit allen Dingen, die oben sind. Aber alles ganz in einen finstern, bösen Kreis gehüllt. Es steht Baum unter Baum, Berg unter Berg, Wasser unter Wasser. Ich sah, dass diese zauberischen Frauen alles so sahen, Kriege, Völker, Gefahr usw., wie solche Gesichte auch jetzt gesehen werden, nur, dass sie alles gleich taten und wahr machten, was sie sahen. Sie sahen: dort ist ein Volk, das könnt ihr unterjochen, jenes überfallen, dort eine Stadt bauen. Sie sahen ausgezeichnete Männer und Frauen, und wie sie dieselben überlisten sollten. Ja allen den Teufelsdienst, den sie trieben, sahen sie voraus. So sah die Derketo voraus, dass sie sich ins Wasser stürze und ein Fisch werde und tat es auch. Selbst ihre Gräuel sah sie im Wasser voraus und übte sie dann.

Die Tochter der Derketo lebte schon mehr in einer Zeit, da man große Dämme baute und Wege machte. Sie streifte bis nach Ägypten hinein, und ihr ganzes Leben war ein Ziehen und Jagen. Ihr Anhang gehört zu jenen, die Job in Arabien so sehr beraubten. In Ägypten kam dieses alles recht in eigenes festes Wesen, und man war so darin versunken, dass viele solche Hexen auf kuriosen Sitzen vor allerhand Spiegeln in Tempeln und Kammern saßen, und dass alle ihre Gesichte, während sie noch darin begriffen waren, von hunderten von Menschen, denen Priester immer die Sachen berichteten, in steinerne Wände von Höhlen gehauen wurden.

Es ist auch seltsam, dass ich alle solche schrecklichen Hauptwerkzeuge der Finsternis in einer unbewussten Gemeinschaft zueinander sah, und dass ich an verschiedenen Orten von Verschiedenen aus ihnen dieselben oder ähnliche Händel treiben sah, nur mit einigem Unterschied der Landesart und bösen Bedürfnisse der Völker. Einige Völker waren jedoch nicht so tief in diesen Gräueln und der Wahrheit näher; z. B. jene, aus denen die Familie Abrahams, das Geschlecht Jobs und der drei Könige herkommen, wie auch die Sterndiener, in Chaldäa und die den Glanzstern (Zoroaster) hatten.

Als Jesus Christus auf die Erde kam, und als die Erde mit seinem Blut begossen ward, nahm die wilde Kraft dieses Treibens sehr ab, und es wurden diese Zustände matter. Moses war von Kindsbeinen an ein Sehender, aber ganz in Gott, und folgte immer dem, was er sah.

Derketo, ihre Tochter und ihre Enkelin Semiramis wurden sehr alt nach Art jener Zeit. Sie waren gewaltige, große, mächtige Menschen, die uns jetzt schier einen Schrecken machen würden. Sie waren unbegreiflich kühn und stürmend und frech und handelten mit einer ungemeinen Sicherheit immer in ihrem bösen Geiste vorhersehend. Sie fühlten sich ganz erwählt und als Götter. Sie waren ganz eine Wiederholung jener noch rasenderen Zaubermenschen auf dem hohen Gebirge, welche durch die Sündflut umkamen.

Rührend ist es zu sehen, wie die gerechten Altväter sich mitten durch diese Gräuel auch mit vielen Offenbarungen Gottes, aber unter stetem Kampfe und Leiden durchwinden mussten, und wie das Heil auf verborgenen, mühsamen Wegen endlich zur Erde kam, während jenen Teufelsdienern alles äußerlich gelang und zu Diensten war.

Als ich dieses sah und den ungeheuren Wirkungskreis um diese Göttinnen und den großen Dienst, den sie über der Erde hatten, und daneben die kleine Schar Mariä, mit deren Vorbild in der Wolke des Elias die Philosophen auf Zypern ihre Lügengräuel zusammen bringen wollten, und Jesus, die Erfüllung aller Verheißung, arm und geduldig lehrend vor ihnen stehen und dem Kreuze entgegengehen - Ach! Das war mir sehr traurig, und war doch nichts, als die Geschichte der Wahrheit und des Lichtes, das in die Finsternis geleuchtet, und das die Finsternis nicht begriffen hat, bis auf heutzutage!

Aber unendlich ist die Barmherzigkeit Gottes. Ich habe gesehen, dass in der Sündflut sehr viele Menschen durch Schrecken und Angst sich bekehrt haben und ins Fegfeuer gekommen sind, die Jesus bei der Höllenfahrt erlöst hat. Es blieben sehr viele Bäume in der Sündflut auf ihren Wurzeln stehen, die ich nachher wieder grünen sah, die meisten aber sind verschlammt und verschüttet worden.

9. Semiramis

Die Mutter der Semiramis war in der Gegend von Ninive geboren. Dieselbe erschien äußerlich spröde, insgeheim aber war sie sehr ausschweifend und grausam. Der Vater der Semiramis war ein syrischer Mann und wie ihre Mutter in den gräulichsten abgöttischen Götzendienst verwickelt. Er wurde nach ihrer Geburt umgebracht, was auch mit Wahrsagerei zusammenhing. Semiramis wurde in der Ferne zu Askalon in Palästina geboren und dann von Götzenpriestern bei Hirten in einer Wüste erzogen Semiramis war als Kind viel auf einem Berge allein, und ich sah Götzenpriester und auch ihre Mutter auf den Jagdzügen bei ihr. Ich sah auch den Teufel in allerlei Gestalten mit ihr spielen, wie Johannes in der Wüste mit Engeln umging. Ich sah auch Vögel mit bunten Flügeln bei ihr, die ihr allerlei kuriose Spiele brachten. Ich weiß nicht mehr alles, was mit ihr getrieben wurde; es war die gräulichste Abgötterei. Sie war schön, voll Verstand und allen Weltkünsten und alles gelang ihr.

Sie wurde zuerst auf Weissagerei hin die Frau eines Herdenaufsehers des Königs von Babel und dann die Frau des letzteren selber. Dieser hatte ein Volk, weiter gegen Norden, bezwungen und einen Teil davon als Sklaven in sein Land geschleppt, weIche, nachdem Semiramis die Regierung später allein führte, sehr von ihr gequält wurden und bei ihren unbegreiflichen Bauten mitarbeiten mussten. Semiramis wurde von ihrem Volke für eine Göttin gehalten.

Ihre Mutter habe ich noch wildere Jagden machen gesehen. Sie zog mit einem kleinen Kriegsheer auf Kamelen, gestreiften Eseln und Pferden umher. Ich sah sie auch einmal in Arabien gegen das Rote Meer zu eine große Jagd halten, da Job dort in seiner Stadt wohnte. Diese jagenden Frauen waren sehr behende und saßen wie Männer zu Pferde. Sie waren vollständig bekleidet bis herab zu den Knien, von wo die Beine mit Riemen geschnürt waren. Unter den Füßen hatten sie Sohlen mit je zwei hohen Absätzen, auf welchen Figuren mit Farben eingezeichnet waren. Sie trugen kurze Leibröcke aus feinen bunten Federn in den verschiedensten Farben und Mustern. Über Brust und Arme kreuzte sich Riemenwerk mit Federn besetzt, die Schultern deckte ein Kragen, ebenfalls als Federn mit blinkenden Steinen und Perlen besät. Den Kopf bedeckte eine Art Hut aus roter Seide oder Wolle. Vor dem Gesichte hatten sie zwei Hälften eines Schleiers, um mit der einen oder andern gegen Staub und Wind sich zu decken. Auch einen kurzen Mantel hatten sie überhängen. Die Jagdwaffen waren Spieß, Bogen und Pfeil. An der Seite hatten sie einen Schild. Die wilden Tiere hatten sich entsetzlich vermehrt. Die Jagenden trieben sie aus großen Strecken zusammen und erlegten sie. Es wurden auch Gruben gemacht und bedeckt, um darin die Tiere zu fangen und mit Kolben und Beilen zu töten. Die Mutter der Semiramis sah ich auch das Tier jagen, welches Job unter dem Namen Behemoth beschreibt. Auch Tiger, Löwen und ähnliche. In diesen ersten Zeiten sah ich keine Affen. Auch auf dem Wasser sah ich Jagden. Überhaupt wurden an den Gewässern Abgötterei und viele Gräuel getrieben. Die Mutter war äußerlich nicht so ausschweifend wie Semiramis. Doch hatte sie ein teuflisches Wesen und war von furchtbarer Kraft und Tollkühnheit. Was war das für eine schreckliche Sache, im Kampfe mit dem gewaltigen Riesentiere (einem Nilpferde) ins Meer zu stürzen! Sie saß auf einem Dromedar und verfolgte das Tier, da stürzte sie mit dem Dromedar ins Meer. Sie wurde als Göttin der Jagd und Wohltäterin der Menschen verehrt.

Semiramis kam von einem ihrer Jagd- oder Kriegszüge aus Afrika heimkehrend auch nach Ägypten, welches Reich von Mesraim, dem Enkel Chams, gegründet wurde, der bei seiner Ankunft schon einzelne zerstreute Haufen von unedleren Nebenstämmen dort vorfand. Ägypten ist von mehreren Volksstämmen bevölkert worden, und es hatte bald dieser, bald jener Stamm die Oberhand. Als Semiramis nach Ägypten kam, bestanden vier Städte. Die älteste war Thebä, wo ein mehr schlanker, leichter und behenderer Stamm lebte, als um die Stadt Memphis, wo die Bewohner kurz untersetzt waren. Es lag auf dem linken Nilufer, über den eine lange Brücke führte. Auf dem rechten Ufer lag das Schloss, wo zu Moses Zeit die Tochter Pharaos wohnte. Die dunkleren Bewohner mit wollichten Haaren waren schon in den ersten Zeiten Sklaven und haben nie in Ägypten regiert. Die zuerst hinein kamen und Thebä erbauten, sind (glaube ich) über Afrika gekommen. Die andern kamen übers Rote Meer und da wo die Israeliten hereinkamen. Eine dritte Stadt hieß Chume und später Heliopolis. Sie liegt weit oben von Thebä herab. Als Maria und Joseph mit Jesus nach Ägypten flüchteten, sah ich um diese Stadt noch außerordentlich große Gebäude. Weiter unten als Memphis, nicht sehr weit vom Meer, lag die Stadt Sais. Ich meine, sie ist noch älter als Memphis. Jede dieser vier Städte hatte einen eigenen König.

Semiramis wurde in Ägypten sehr verehrt und mehrte mit ihren Anschlägen und Teufelskünsten dort die Abgötterei. Ich sah sie in Memphis, wo Menschenopfer in Übung waren, Pläne machen, Sterndeuterei und Zauberei treiben. Den Stier Apis sah ich noch nicht, aber Götzenbilder mit einem Kopf gleich der Sonne und einem Schweif. Sie gab hier auch den Plan der ersten Pyramide an, welche auf dem östlichen Ufer des Nils nicht ferne von Memphis erbaut wurde, wobei das ganze Volk mithelfen musste. Als der Bau vollendet war, sah ich Semiramis mit ein paar hundert Leuten wieder dahin kommen. Es war die Einweihung, und Semiramis wurde schier göttlich verehrt.

Die Pyramide kam auf einen Ort zu stehen, wo Wasser und Sumpf war. Es wurde eine Unterlage von erstaunlichen Pfeilern, wie eine große, breite Brücke gebaut, über welcher sich die Pyramide erhob, so dass man unter ihr, wie in einem großen Säulentempel, umhergehen konnte. Es befanden sich viele Räume, Gefängnisse und weite Gemächer darin, und ebenso enthielt die Pyramide bis zu ihrer Spitze viele große und kleinere Räume mit Fensteröffnungen, aus welchen ich Bahnen von Tuch hängen und wehen sah. Rings um die Pyramide waren Bäder und Gärten. In diesem Bau war der eigentliche Sitz der ägyptischen Abgötterei, Sterndeuterei, Zauberei und der gräulichen Vermischungen. Es wurden Kinder und Greise geopfert. Sternseher und Zauberer wohnten in der Pyramide und hatten dort ihre teuflischen Gesichte. Bei den Bädern war eine große Anstalt, um das schlammige Nilwasser zu reinigen. Auch später sah ich ägyptische Frauen in größter Üppigkeit in diesen Bädern, welche mit den schändlichsten Gräueln des Götzendienstes zusammenhingen. Diese Pyramide hat nicht sehr lange gestanden; sie ist zerstört worden.

Das Volk war erschrecklich abergläubisch und die Götzenpriester in solcher Finsternis und Wahrsagerei, dass sie in Heliopolis sogar die Traumgesichte der Leute sammelten und aufzeichneten und dabei immer nach den Sternen sahen. Es standen immer mehr magnetische Personen mit teuflischen Gesichten auf, die Wahres und Falsches untereinander mengten. Danach wurde der Götzendienst eingerichtet und sogar die Zeitrechnung gemacht. So sah ich, dass die Götzen Isis und Osiris nichts anderes sind, als Aseneth und Joseph, deren Ankunft in Ägypten die Sterndeuter aus ihren dämonischen Gesichten vorausgesehen und in ihre Religion aufgenommen hatten. Als sie kamen, wurden sie abgöttisch verehrt, und ich sah, wie Aseneth darüber weinte und dagegen schrieb.

Unsere jetzigen Gelehrten, welche über Ägypten schreiben, sind in großem Irrtum, weil sie so vieles bei den Ägyptern für Geschichte, für Erfahrung und Wissenschaft halten, was sich doch nur auf falsche Visionen und Sterndeuterei gründet, wobei die Leute so dumm und viehisch bleiben können, wie die Ägypter es in Wirklichkeit gewesen sind. Die Gelehrten aber halten dergleichen dämonische Eingebungen und solches Treiben für unmöglich, verwerfen es und schätzen darum die Ägypter für älter, weil sie frühe schon so tiefsinnige und gelehrte Dinge gehabt haben sollen.

Ich sah aber, wie sie schon bei der Ankunft der Semiramis in Memphis in allerhand Hoffart und Verwirrung mit ihren Zeitrechnungen gewesen sind. Sie wollten immer als das älteste Volk erscheinen und machten eine Menge verwirrter Zeiten und Königsgeschlechter. Sie kamen dadurch ganz außer alle wahre Zeitrechnung, und da sie mehrmals ihre Berechnungen änderten, wussten sie fast keinen Bescheid mehr. Dazu kam, dass sie jeden Irrtum durch große Gebäude und durch große Inschriften zu verewigen suchten, wodurch die Verwirrung erst recht fest wurde. So rechneten sie lange Zeit die Alter der Vorfahren und Nachkommen so nacheinander, als wäre der Todestag des Vaters der Tag der Entstehung des Sohnes. Die Könige, die mit den Priestern immer über die Zeitrechnung stritten, schoben Vorfahren ein, die nie gelebt hatten. Auch wurden die vier gleichnamigen Könige, welche zu gleicher Zeit in Thebä, Heliopolis, Memphis und Sais regierten, nacheinander aufgezählt. Ich sah auch, dass einmal ein Jahr zu 970 Tagen gerechnet, dann wieder Jahre wie Monate gezählt wurden. Auch sah ich einen Götzenpriester eine Zeitrechnung machen, wo für 500 Jahre immer 1100 herauskamen.

Ich habe diese falschen Zeitberechnungen und das Treiben der Götzenpriester unter der Sabbatslehre in Aruma gesehen, wo Jesus vor den Pharisäern von dem Beruf Abrahams und seinem Aufenthalt in Ägypten und dabei gegen die ägyptische Zeitrechnung sprach. Jesus sagte den Pharisäern, dass jetzt die Welt 4028 Jahre bestehe. Und als ich Jesus dies aussprechen hörte, war Er selber einunddreißig Jahre alt.

Ich sah in jenen Zeiten auch Leute, welche den Seth als einen Gott sehr hoch verehrten und weite, gefährliche Reisen an sein vorgebliches Grab machten, das sie in Arabien glaubten. Es ist mir, als leben noch von diesen Leuten, und als ziehen sie durch türkisches Gebiet, wo sie gerne durchgelassen werden, noch zu diesem Grabe.

10. Melchisedech

Ich habe Melchisedech oft gesehen, aber nie als einen Menschen, sondern immer als ein Wesen anderer Art, als einen Engel und Gesandten Gottes. Ich habe keinen bestimmten Wohnort, keine Heimat, keine Familie, keinen Zusammenhang von ihm je gesehen. Ich habe ihn nie essen, trinken oder schlafen gesehen und bin nie auf den Gedanken gekommen, dass er ein Mensch sei. Er war gekleidet, wie kein Priester damals auf Erden, sondern wie ich die Engel im himmlischen Jerusalem erblicke, und wie ich nachher durch Moses auf Gottes Befehl die Priesterkleider herstellen sah. Ich habe Melchisedech da und dort auftreten, vermitteln und einrichten gesehen in Sachen, welche Völker betrafen, zum Beispiel bei Siegesfesten der damals so fürchterlichen Kriege. Wo er auftrat, und wo er war, übte er eine unwiderstehliche Gewalt aus durch seine Persönlichkeit. Niemand widerstand ihm, und doch brauchte er keine heftigen Mittel, und alle Menschen, die doch Götzendiener waren, ließen gerne seine Entscheidung, seinen Rat gelten. Er hatte keinen seines Gleichen, keinen Genossen, er war ganz allein. Manchmal hatte er zwei Boten, die er annahm. Sie waren Läufer, weiß und kurz gekleidet, und pflegten irgendwo seine Ankunft zu verkünden. Dann entließ er sie wieder. Was er brauchte, hatte er, ward ihm. Die Menschen, von denen er etwas annahm, entbehrten es nicht oder gaben es ihm mit Freude. Man schätzte sich glücklich, wo er war, und fürchtete ihn ehrerbietig. Die Bösen schwätzten über ihn und demütigten sich doch vor ihm. Es ging ihm, dem Wesen einer höheren Art, unter diesen heidnischen Großen, teils gottlosen und sinnlichen Menschen, wie es noch heutzutage jedem ausgezeichneten frommen Menschen geht, der fremd irgendwo auftritt und Gutes verbreitet.

So sah ich ihn am Hofe der Semarimis zu Babyion. Sie hatte hier eine unbeschreibliche Pracht und Größe. Sie ließ durch Sklaven die größten Bauwerke aufführen und bedrückte dieselben viel ärger, als Pharao die Kinder Jakobs in Ägypten. Es war auch der grässlichste Götzendienst daselbst. Menschen wurden geopfert und bis an den Hals eingegraben. Alle Wollust, Pracht und Reichtum und Kunst war vollauf, und alles grenzte an das Unmögliche. Semiramis führte auch große Kriege mit ungeheuren Kriegsheeren, aber fast immer gegen Völker nach Osten; gegen Abend zu kam sie nicht viel, gegen Mitternacht waren dunkle, finstere Völker.

Es war aber in ihrem Land ein zahlreicher Menschenstamm aus dem nach dem Turmbau in Babel zurückgebliebenen semitischen Stamm nach und nach entstanden. Sie lebten als ein Hirtenvölklein unter Zelten, hatten Viehzucht und feierten ihren Gottesdienst bei Nacht in einem oben offenen Zelt, oder unter freiem Himmel. Sie hatten vielen Segen. Alles gedieh ihnen, und ihr Vieh war immer ganz besonders schön. Diesen Stamm wollte die teuflische Frau ausrotten und hatte schon einen großen Teil vertilgt. Aus dem Segen, der auf dem Stamm lag, erkannte Semiramis, dass Gott barmherzige Absichten mit ihm habe, darum wollte sie als ein Werkzeug des Teufels ihn erdrücken. Als die Not des Stammes am größten war, sah ich den Melchisedech dort auftreten. Er kam zu Semiramis und begehrte, dass sie diesen Stamm ziehen lasse. Er verwies ihr auch ihre Gräuel. Sie widerstand ihm nicht, und er führte den gedrückten Stamm in verschiedene Scharen geteilt gegen das Gelobte Land zu. Melchisedech hatte bei Babyion zur Wohnung ein Zelt und hier brach er dem guten Stamm das Brot, wodurch sie erst die Kraft erhielten, auszuziehen. In Kanaan wies er ihnen da und dort Plätze zum Anbau an, und sie bekamen verschiedenes Land an Güte. Sie selber wurden von ihm nach ihrer Reinheit verteilt, auf dass sie nicht mit andern sich vermischen sollten. Ihr Name lautet wie Samanen oder Semanen. Einzelnen von ihnen wies Melchisedech die Gegend am nachmaligen Toten Meer zur Ansiedelung an. Ihre Stadt aber ging mit Sodom und Gomorrha zugrunde.

Semiramis hatte den Melchisedech mit großer Ehrfurcht und mit geheimen Schrecken vor seiner Weisheit aufgenommen. Er erschien vor ihr als der König des Morgensternes, d. i. des fernsten Morgenlandes. Sie bildete sich ein, er könnte sie zur Ehe begehren. Er aber redete sehr strenge mit ihr, verwies ihr ihre Gräuel und verkündete ihr die Zerstörung der bei Memphis erbauten Pyramide. Sie erschrak und war sehr kleinlaut. Ich sah die Strafe, die über sie kam. Sie wurde wie ein Vieh und war lange Zeit eingesperrt. Man warf ihr aus Verachtung Gras und Stroh in eine Krippe. Nur ein Diener hielt bei ihr aus, der ihr Speise reichte. Sie wurde wieder frei, aber trieb ihr Unwesen aufs neue fort. Sie kam endlich auf schreckliche Art um. Es wurden ihr die Eingeweide aus dem Leib gerissen. Sie ist hundertsiebzehn Jahre alt geworden.

Melchisedech wurde wie ein Prophet, wie ein Weiser, wie ein Mensch höherer Art betrachtet, dem alles gelinge. Es gab damals und auch später mehrere solche Erscheinungen von Persönlichkeiten einer höheren Ordnung und sie waren den Völkern jener Zeit ebensowenig fremd, als es die Engel dem mit ihnen verkehrenden Abraham waren. Es wirkten aber auch böse Erscheinungen neben den guten, wie neben den wahren die falschen Propheten. Die Ausführung des Stammes hatte Ähnlichkeit mit der Geschichte und Ausführung der Israeliten aus Ägypten. Doch waren jener lange nicht so viele, als dieser.

Von den nach dem Gelobten Land von Melchisedech verpflanzten Samanen sah ich drei Männer in der Nähe des Tabor am sogenannten Brotberg in Höhlen wohnen lange vor Abrahams Ankunft. Sie waren von braunerer Farbe als Abraham, waren mit Fellen bekleidet und banden ein großes Blatt gegen die Sonne auf den Kopf. Sie führten in der Weise des Henoch ein heiliges Leben, hatten eine einfache geheime Religion und Offenbarungen und einfache Gesichte. Es war in ihrer Religion, dass Gott sich mit den Menschen verbinden wolle, und dass sie dazu alles Mögliche vorbereiten müssten. Sie opferten auch, indem sie von ihrer Speise den dritten Teil an der Sonne verzehren ließen, oder vielleicht legten sie es für andere Hungernde hin, welches ich wohl auch gesehen habe. Diese Leute sah ich ganz einsam und abgesondert von der noch nicht sehr großen Menge der Einwohner des Landes leben, die weit getrennt in einzelnen Orten wohnten, welche nach Art der festen Zeltstädte gebaut waren. Ich sah diese Männer in den verschiedenen Teilen des Landes umhergehen, Brunnen graben, einzelne Wildnisse ausrotten und Grundsteine an einzelnen Stellen legen, wo später Städte gebaut wurden. Ich sah sie von ganzen Gegenden die bösen Geister aus der Luft hinwegtreiben und sie in andere schlechte, sumpfige, neblige Orte verbannen. Ich sah da wieder, dass die bösen Geister mehr in solchen schlechten Gegenden sich aufhalten. Ich sah diese Männer oft mit diesen Geistern ringen und gegen sie kämpfen. Ich wunderte mich anfangs, wie an den Stellen, wo sie die Steine hinlegten, welche doch ganz wieder überwuchsen und verwilderten, Städte entstehen sollten, und sah doch in einem Bilde eine Menge von Orten, die über ihre Steine gebaut worden sind, z. B. Saphet, Bethsaida, Nazareth, wo sie an der Stelle arbeiteten, auf welcher später das Haus stand, in welchem die Botschaft des Engels an Maria geschah, Gatepher, Sephoris, in der Gegend von dem nachmaligen Hause Annä bei Nazareth, Meggido, Naim, Ainon, die Höhlen von Bethlehem und bei Hebron. Auch Michmethath sah ich sie gründen, und viele andere Orte, die ich vergessen habe.

Auf diesem Berg aber sah ich sie alle Monate mit Melchisedech zusammenkommen, der ihnen ein großes viereckiges Brot brachte, welches wohl drei Quadratschuhe groß, ziemlich dick und in sehr viele kleine Abteilungen geteilt war. Es war bräunlich und in der Asche gebacken. Ich sah Melchisedech immer allein zu ihnen kommen, manchmal sah ich ihn das Brot ganz leicht tragen, als schwebe es in seiner Hand. Manchmal, wenn er ihnen nahte, hatte er es schwer auf seinem Nacken. Ich glaube, es war dieses, weil er ihnen nahend, wie ein Mensch erscheinen sollte. Sie betrugen sich gegen ihn sehr ehrerbietig und warfen sich auf das Angesicht nieder. Er lehrte diese Männer auch den Weinstock bauen am Tabor, und sie streuten an vielen Stellen des Landes allerlei Samen von Gewächsen aus, die er ihnen gab, und die noch jetzt dort wild wachsen. Ich sah sie vom Brot täglich einen Teil mit dem braunen Spaten abstechen, mit dem sie arbeiteten. Sie assen auch Vögel, die ihnen in großer Menge zuflogen. Sie hatten Feiertage und kannten die Sterne, sie feierten den achten Tag mit Opfer und Gebet und einige Tage des Jahreswechsels. Ich sah sie auch in dem noch sehr unwegsamen Lande mehrere Wege bahnen nach den Orten, wo sie die Steine gegründet, die Brunnen gegraben, die Pflanzen gesät hatten, so dass nachher die einziehenden Menschen, diesen Wegen folgend, sich von selbst an den Brunnen, und fruchtbringenden, bequem gemachten Plätzen ansiedelten. Ich sah sie bei ihren Arbeiten oft von Scharen böser Geister umgeben, sie konnten sie sehen, und ich sah, wie sie dieselben mit Gebet und Befehl nach sumpfigen, wüsten Orten verbannten, und wie sie wichen, und wie die Männer in ihrer Arbeit ruhig fortfahrend räumten und reinigten.

Nach Kana, Meggido, Naim machten sie Wege, auch veranlassten sie auf diese Weise die Geburtsorte der meisten Propheten. Von Abelmehola und Dothaim legten sie den Grund, und machten den schönen Bade-Brunnen von Bethulia. Melchisedech zog noch fremd und einzeln im Lande umher, und man wusste nicht, wo er sich aufhielt. Diese Leute waren alt, aber noch sehr rasch. Am nachmaligen Toten Meer und in Judäa waren schon Städte, auch einige oben im Lande, in Mitten aber noch nicht.

Diese Leute haben sich selbst ihr Grab gemacht und sich hineingelegt. Der eine bei Hebron, der eine am Tabor, der andere in den Höhlen nicht weit von Saphet. Sie waren im allgemeinen das für Abraham, was Johannes für Jesus gewesen. Sie bereiteten und reinigten das Land und die Wege und säten gute Früchte und führten das Wasser hervor für den Stammvater des Volkes Gottes. Johannes aber bereitete die Herzen zur Buße und zur Wiedergeburt in Jesus Christus. Sie taten für Israel, was Johannes für die Kirche. - Ich habe auch an andern Orten einzelne solche Männer gesehen, sie waren von Melchisedech dahin versetzt.

Ich habe Melchisedech oft gesehen, wie er lange vor der Zeit der Semiramis und Abrahams im Gelobten Lande, da es noch ganz wüste war, erschien, als ordne er das Land, als bezeichne und bereite er einzelne Stellen. Ich sah ihn ganz einsam und dachte dabei: was will dieser Mann so frühe hier, es ist ja noch gar niemand da! So sah ich ihn an einem Berge einen Brunnen bohren. Es war die Quelle des Jordan. Er hatte einen langen feinen Bohrer, der wie ein Strahl in den Berg eindrang. So sah ich ihn an verschiedenen Orten der Erde Quellen öffnen. In den ersten Zeiten vor der Sündflut sah ich die Flüsse nicht so wie jetzt hervorquellen und fließen. Ich sah aber sehr vieles Wasser von einem hohen Berge im Morgen herabkommen.

Melchisedech nahm viele Orte des gelobten Landes durch Bezeichnung in Besitz. Er maß die Stelle des Teiches Bethesda aus. Er legte einen Stein, wohin der Tempel kommen sollte, eher, als Jerusalem war. Ich sah ihn die zwölf edeln Steine, welche im Jordan lagen, wo die Priester mit der Bundeslade beim Durchzug der Kinder Israels standen, als Körner pflanzen, und sie sind gewachsen.

Ich habe Melchisedech immer allein gesehen, außer wo er mit Versöhnung, Ausscheidung und Führung von Familien und Völkerstämmen zu tun hatte.

Ich habe auch gesehen, dass Melchisedech ein Schloss bei Salem baute. Es war aber mehr ein Zelt mit Galerien und Treppen umher, auf die Art, wie das Schloss des Mensor in Arabien. Nur die Grundlage war sehr fest von Steinen. Ich meine zu Johannes Zeiten noch die vier Ecken gesehen zu haben, wo die Hauptpfähle drin standen. Es hatte nur ein sehr starkes steinernes Fundament, das wie eine überwachsene Schanze aussah, da Johannes seine kleine Binsenhütte darauf stehen hatte.

Jenes Zeltschloss war ein Ort, wo sich viele fremde und durchziehende Leute aufhielten, eine Art freier, köstlicher Herberge bei dem angenehmen Wasser. Vielleicht hat Melchisedech, den ich immer wie einen Ratgeber und Führer von hin- und herziehenden Völkern und Stämmen gesehen habe, dies Schloss gehabt, sie dort zu beherbergen oder zu belehren. Es hatte aber damals schon einen Bezug auf die Taufe.

Melchisedech hatte hier seinen Punkt, von wo aus er zu seinen Bauten nach Jerusalem, zu Abraham und sonsthin zog. Er sammelte und verteilte hier auch Familien und Leute, die sich da und dort ansiedelten. - Es war dies noch vor dem Opfer von Brot und Wein, welches, meine ich, in einem Tal gegen Mittag von Jerusalem geschah. Er baute Salem, ehe er in Jerusalem baute.

Wo er wirkte und baute, war es, als lege er den Grundstein einer künftigen Gnade, als lenke er die Aufmerksamkeit auf einen Ort, als beginne er etwas Künftiges.

Melchisedech gehört zu jenem Chor der Engel, welche über Länder und Völker gesetzt sind, die zu Abraham und den Patriarchen kamen und ihnen Botschaften brachten. Sie stehen den Erzengeln Michael, Gabriel und Raphael gegenüber.

11. Job

Der Vater des Job, ein großer Stammführer, war ein Bruder Phalegs des Sohnes Hebers. Kurz vor seiner Zeit war die Zerstreuung des babylonischen Turmbaues. Er hatte dreizehn Söhne, deren jüngster Job, und wohnte mitternächtlich vom Schwarzen Meere, in der Gegend eines Gebirges, wo es auf der einen Seite warm, auf der anderen kalt und voll Eis ist. Job ist ein Vorfahre Abrahams, dessen Mutter eine Urenkelin von Job war, welche in die Familie Hebers heiratete. Job kann noch zur Zeit der Geburt Abrahams gelebt haben. Er hat an verschiedenen Orten gewohnt und seine Leiden an drei verschiedenen Orten ausgehalten. Das erste Mal hatte er neun, dann sieben, dann zwölf Jahre Ruhe, und immer traf ihn das Leiden auf einer anderen Wohnstelle. Er wurde nie so ganz zugrunde gerichtet, dass er gar nichts mehr gehabt hätte. Er wurde nur gegen vorher ganz arm, indem er aus dem Übriggebliebenen alle seine Schulden bezahlte.

Job konnte nicht im Hause seiner Eltern bleiben. Er hatte eine andere Gesinnung. Er betete den alleinigen Gott an in der Natur, besonders in den Sternen und in dem Wechsel des Lichtes. Er redete immer von den wunderbaren Werken Gottes und hatte einen reineren Gottesdienst. Er zog mit den Seinen nördlich vom Kaukasus. Hier war eine sehr elende Gegend und viel Moor, und ich meine, es wohnt jetzt ein Volk dort mit platten Nasen, hohen Backenknochen und kleinen Augen. Hier fing Job zuerst an, und es gelang ihm alles. Er sammelte allerlei arme, verlassene Menschen, die in Höhlen und Büschen wohnten und nichts zu leben hatten, als Vögel und andere Tiere, die sie fingen und deren Fleisch sie roh aßen, bis Job ihnen dasselbe zubereiten lehrte. Er baute mit ihnen das Land, und sie gruben selbst alles um. Job und seine Leute trugen damals nur wenig Bekleidung. Sie wohnten in Zelten. Job hatte schon hier bald große Herden, worunter viele gestreifte Esel und andere gefleckte Tiere. Es wurden ihm einmal drei Söhne, ein andermal drei Töchter zugleich geboren. Er hatte hier noch keine Stadt, sondern lebte hin- und herziehend auf seinen Feldern, welche in einer Ausdehnung von sieben Stunden sein Eigentum waren. Sie bauten in dieser Moorgegend kein Getreide, sondern ein dickes Schilf, das auch im Wasser wuchs und ein Mark enthielt, das sie als Brei und auch geröstet aßen. Das Fleisch dörrten sie anfänglich in Gruben an der Sonne, bis Job das Kochen einführte. Auch viele Kürbisarten pflanzten sie zur Nahrung.

Er war unbeschreiblich sanft, lieb, gerecht und wohltätig und half allem armen Volke. Auch war er sehr keusch, war mit Gott sehr vertraut und Er erschien ihm oft durch einen Engel oder weißen Mann, wie sie es nannten. Diese Engelerscheinungen waren wie leuchtende Jünglinge, doch ohne Bart. Sie trugen lange weiße Gewänder voll herabfließender Falten oder Streifen, es war nicht zu unterscheiden. Sie waren gegürtelt und nahmen Speise und Getränke zu sich. Job wurde in seinen Leiden von Gott durch solche Gestalten getröstet, und sie richteten über seine Freunde, Brudersöhne und Verwandten. Er betete keine Götzen an, wie die anderen Leute umher, welche sich allerlei Tierbilder machten und sie anbeteten. Er hatte sich aber ein Bild des allmächtigen Gottes ersonnen und verfertigt. Es war die Figur eines Kindes mit Strahlen um den Kopf, die Hände hielt es untereinander und hatte in der einen Hand eine Kugel, worauf Wasserwellen und ein Schiffchen abgebildet waren. Ich meine, es sollte die Sündflut vorstellen, von welcher Job oft mit seinen zwei vertrautesten Knechten sprach und auch von der Weisheit und Barmherzigkeit Gottes. Die Figur war glänzend wie von Metall. Er konnte sie überall mitnehmen. Er betete und opferte Körner davor, die er verbrannte. Der Dampf stieg wie durch einen Trichter in die Höhe. Hier überkam den Job sein erstes Unglück. Es war immer ein Gefecht und Streiten zwischen jenem Leiden, denn er war von vielen bösartigen Stämmen umgeben, und er zog nachher mehr auf das Gebirge, den Kaukasus, wo er wieder neu anfing und wo ihm alles wieder gedieh. Hier fingen er und seine Leute schon an, sich mehr zu bekleiden, und sie wurden schon viel vollkommener im Leben.

Von diesem seinem zweiten Wohnplatz aus, kam Job mit einem großen Zug nach Ägypten, wo damals fremde Hirtenkönige, aus dem Vaterlande Jobs einen Teil des Landes beherrschten. Nachmals wurden diese von einem ägyptischen Könige wieder vertrieben. Job hatte für den Sohn eines dieser Hirtenkönige die Braut nach Ägypten zu begleiten, welche mit ihm verwandt war. Er brachte reiche Geschenke mit und hatte wohl dreißig Kamele und viele Knechte. Als ich ihn hier in Ägypten sah, war Job ein kräftiger großer Mann von angenehmer gelbbrauner Farbe und rötlichen Haaren. Abraham war von mehr heller Farbe, die Leute in Ägypten aber waren schmutzig braun. Job war sehr ungern in Ägypten, und ich sah, dass er mit Sehnsucht gegen Morgen nach seinem Vaterland zurückschaute, welches südlicher als das hinterste Land der drei Könige lag. Ich hörte ihn vor seinen Knechten klagen, dass er lieber mit den wilden Tieren, als mit den Menschen hier in Ägypten leben möchte. Denn er war sehr betrübt über den schrecklichen Götzendienst daselbst. Sie opferten einem hässlichen Götzen mit emporgehobenem Ochsenkopf und breitem offenem Maul lebendige Kinder, welche sie dem Götzen in seine glühend gemachten Arme legten.

Der Hirtenkönig, für dessen Sohn Job die Braut nach Ägypten geführt hatte, wollte ihn gerne zurückbehalten und wies ihm Matarea als Wohnort an. Der Ort war damals ganz anders, wie später, als die Heilige Familie daselbst sich aufhielt, doch sah ich, dass Job auf derselben Stelle, wie die letzteren, wohnte, und dass der Brunnen Mariä schon ihm von Gott gezeigt wurde. Als Maria diesen Brunnen fand, war er nur verdeckt, aber unten schon ausgemauert. Job gebrauchte auch den Stein bei dem Brunnen zu seinem Gottesdienste. Die Gegend um seinen Wohnort befreite er durch Gebet von wilden und giftigen Tieren. Er hatte hier Gesichte vom Heil der Menschheit und auch von den Prüfungen, die ihm noch bevorstanden. Er eiferte sehr gegen die Schändlichkeiten des ägyptischen Volkes und die Menschenopfer, und ich glaube, dass sie abgestellt wurden.

Als er wieder in sein Vaterland zurückgekehrt war, traf ihn das zweite Unglück. Und als das dritte nach zwölf Jahren Ruhe über ihn kam, wohnte er mehr südlich und von Jericho aus gerade gegen Morgen. Ich glaube, es war ihm diese Gegend nach seinem zweiten Leiden gegeben worden, weil man ihn überall sehr liebte und ehrte wegen seiner großen Gerechtigkeit, Gottesfurcht und Wissenschaft. Er hatte hier wieder von neuem angefangen in einem sehr ebenen Land. Auf einer Höhe, die fruchtbar war, liefen allerlei edle Tiere, auch wilde Kamele, und man fing sie sich da heraus, wie bei uns die wilden Pferde in der Heide.

Auf dieser Höhe baute er sich an, wurde sehr reich und baute eine Stadt. So sehr nahm er zu. Die Stadt war auf steinernen Grundlagen oben mit Zeltdächern. Als er wieder ganz in Flor war, überfiel ihn das dritte Leid, da er so entsetzlich krank ward. Als er auch dieses überstanden hatte mit großer Weisheit und Geduld, wurde er wieder ganz gesund und bekam noch viele Söhne und Töchter. Ich meine, er ist ganz spät gestorben, als ein anderes Volk da eindrang.

Wenngleich die Geschichte im Buch Job ganz anders erzählt ist, so sind doch noch sehr viele wirkliche Reden von Job darin, und ich meine, ich wollte sie alle unterscheiden. In der Geschichte von den Knechten, wie sie so schnell hintereinander kommen, ist zu bemerken, dass die Worte: «und als er noch davon redete», bedeuten: und als das letzte Leiden im Gedächtnis der Menschen noch nicht ganz getilgt war.

Dass der Satan vor Gott tritt mit den Kindern Gottes und den Job verklagt, das ist auch nur so zusammengezogen dargestellt. Es war damals viel Verkehr böser Geister mit den abgöttischen Menschen, und sie erschienen ihnen wohl in Gestalt von Engeln. So wurden hier die bösen Nachbarn gegen Job aufgehetzt. Sie verleumdeten Job, sie sagten, er diene Gott nicht recht, er habe alles vollauf, er habe leicht gut sein. Da wollte nun Gott zeigen, dass Leiden oft nur Prüfung sind usw.

Die Freunde, die um Job herum sprechen, bezeichnen die Betrachtung der ihm Befreundeten über seine Schicksale. Job erwartete sehnsüchtig den Erlöser und trug zum Stamm Davids bei, er verhält sich zu Abraham durch Abrahams Mutter, die aus seinen Nachkommen war, wie die Vorfahren Annas zu Maria.

Seine Geschichte und seine Gespräche mit Gott wurden weitläufig von zweien seiner treuesten Knechte, welche die Rentmeister waren, aufgeschrieben, und zwar aus seinem Munde, wie er es ihnen selbst erzählte. Diese beiden Diener hießen Hai und Uis oder Gis. Sie schrieben auf Rinden. Diese Geschichte wurde gar heilig gehalten bei seinen Nachkommen und kam von Geschlecht auf Geschlecht bis auf Abraham. Auch in der Schule der Rebekka wurden die Kananiterinnen daraus unterrichtet wegen der Unterwürfigkeit unter die Prüfungen Gottes.

So kam diese Geschichte durch Jakob und Joseph zu den Kindern Israels nach Ägypten, und Moses zog sie zusammen und richtete sie zum Gebrauch der Israeliten in ihrer Bedrückung in Ägypten und ihren Beschwerden in der Wüste anders ein. Denn sie war viel weitläufiger und es war vieles darin, was sie nicht verstanden hätten und was ihnen nicht gedient haben würde. Salomo aber arbeitete sie nochmals ganz um, ließ vieles weg und setzte vieles hinzu von dem Seinigen. Und so ward diese wahre Geschichte zu einem Erbauungsbuch, voll der Weisheit Jobs, Moses und Salomos, und man konnte schwer die eigentliche Geschichte Jobs herausfinden. Denn sie war auch in Länder- und Volksnamen dem Lande Kanaan näher gebracht, wodurch man glaubte, Job sei ein Edomiter.

12. Abraham

Abraham und seine Voreltern waren ein eigener Schlag von großen Menschen. Sie führten ein Hirtenleben und waren eigentlich nicht zu Ur in Chaldäa zu Hause, sondern waren dahin gezogen. Diese Leute hatten eine eigene Gewalt und Gerechtigkeit. Sie nahmen hie und da Gegenden ein, wo gute Weide sich fand. Sie steckten sich die Grenzen ab, richteten Steine zu einem Altar auf, und das abgegrenzte Land war dann ihr Eigentum. In seiner Jugend ist dem Abraham etwas ähnliches wie dem Kinde Moses geschehen, indem seine Amme ihm das Leben rettete. Es war dem Oberhaupt des Landes prophezeit worden, dass ein wunderbares Kind werde geboren werden, das ihm gefährlich sein würde. Er traf Maßregeln dagegen. Die Mutter Abrahams hielt sich darum verborgen und Abraham wurde in derselben Höhle geboren, in der ich Seth von Eva hatte verbergen sehen. Abraham wurde von seiner Amme Maraha hier auch heimlich erzogen. Sie lebte als arme Sklavin in der Wildnis arbeitend und hatte ihre Hütte nahe bei der Höhle, welche nach ihr Milchhöhle genannt wurde, und wo sie auch von Abraham auf ihre Bitten zuletzt begraben wurde.

Abraham war ungewöhnlich groß, seine Eltern nahmen ihn aus der Höhle wieder zu sich, da er als Kind gelten konnte, das schon vor jener Prophezeiung geboren war. Er kam aber doch in Gefahr wegen seiner frühzeitigen Klugheit. Die Amme flüchtete mit ihm und verbarg ihn wieder geraume Zeit in der Höhle. Es wurden damals viele Kinder seines Alters ermordet. Abraham hatte diese Amme sehr lieb und führte sie später bei seinen Zügen auf einem Kamel mit sich. Er wohnte mit ihr auch in Sukkoth. Sie war bei ihrem Tod hundert Jahre alt, und Abraham bereitete ihr das Grab in der weißen Steinmasse, welche wie ein Hügel die Höhle verengte. Die Höhle wurde ein Ort der Andacht, besonders für Mütter. In dieser ganzen Geschichte war ein geheimes Vorbild auf die früheste Verfolgung, welche Maria mit dem Jesuskinde zu erleiden hatte, welche sich auch in dieser Höhle vor den Soldaten des Herodes verborgen hielt, als sie nach dem Kinde suchten.

Der Vater Abrahams wusste viele Geheimnisse und hatte viel Gnade. Die Leute seines Stammes hatten die Gabe, Gold in der Erde zu finden, und er verfertigte daraus kleine Götzenbilder ähnlich jenen, welche Rachel dem Laban entwendete. Ur ist ein Ort nördlich in Chaldäa. Ich sah in dieser Gegend an vielen Orten, auf Bergen und in der Ebene, weißes Feuer aufsteigen, als brenne der Erdboden. Ich weiß aber nicht, ob dies Feuer natürlich oder von Menschen gemacht war.

Abraham war ein großer Sternkundiger. Er sah auch Eigenschaften der Dinge und Einflüsse der Sterne auf Geburt. Er sah allerhand in den Sternen. Aber er lenkte alles auf Gott und folgte in allem Gott und diente Gott allein. Er lehrte in Chaldäa auch andere diese Wissenschaft. Aber er führte alles auf Gott zurück.

Ich sah, dass er von Gott in einem Gesicht den Befehl erhielt, fortzuziehen. Gott zeigte ihm ein anderes Land, und Abraham trieb, ohne zu fragen, am andern Morgen alle seine Leute zum Aufbruch an und zog fort. Darnach sah ich, dass er seine Zelte aufgeschlagen hatte in einer Gegend des Gelobten Landes, welche mir da herum schien, wo nachmals Nazareth stand. Abraham erbaute hier selbst einen länglichen Altar von Steinen und ein Zelt darüber. Als er vor dem Altar kniete, kam ein Glanz vom Himmel auf ihn, und ein Engel, ein Bote Gottes, trat vor ihn, der mit ihm sprach und ihm eine durch und durch leuchtende Gabe überbrachte. Der Engel sprach mit Abraham, und dieser empfing das Geheimnis des Segens, das Heiligtum des Himmels öffnete sein Gewand und legte es auf seine Brust. Mir wurde aber gesagt, dieses sei das Sakrament des Alten Bundes. Abraham kannte seinen Inhalt noch nicht, er war ihm verhüllt, wie uns der Inhalt des heiligsten Sakramentes. Es war ihm aber als Heiligtum und als ein Unterpfand der verheißenen Nachkommenschaft gegeben. Der Engel war ganz auf die Art wie jener, welcher der heiligen Jungfrau die Empfängnis des Messias verkündigte. Er war auch so sanft und ruhig in seiner Verrichtung und nicht so schnell und eilend, wie ich andere Engel in ihren Geschäften sehe. Ich meine Abraham hat das Geheimnis immer bei sich getragen. Der Engel sprach mit ihm auch von Melchisedech, der das Opfer vor ihm feiern werde, welches nach der Ankunft des Messias erfüllt werden und zu ewigen Tagen dauern werde.

Abraham nahm darnach aus einem Kasten fünf große Gebeine, die er auf dem Altar in Kreuzform aufstellte. Es brannte Licht davor, und er opferte. Das Feuer brannte wie ein Stern und war in der Mitte weiß und nach den Spitzen rot.

Ich sah Abraham auch in Ägypten mit Sara. Er kam wegen Hungersnot dahin, aber auch um einen Schatz zu holen, der durch eine Verwandte Saras dahin gekommen war. Es war ihm dies von Gott befohlen. Der Schatz war ein aus zusammengereihten dreieckigen Goldstücken bestehendes Stammregister von den Kindern Noes und besonders von Sem bis auf seine Zeit. Es hatte ihn eine Schwestertochter von Saras Mutter mit nach Ägypten entführt, welche mit dem Hirtenvolk von Jobs Geschlecht, d. i. mit verwilderten Seitensprossen desselben, nach Ägypten gekommen war und dort wie eine Magd gedient hatte. Sie hatte diesen Schatz wie Rachel die Götter Labans entführt. Es war dieser Stammbaum wie eine Waagschale samt ihren Schnüren gemacht. Die Schnüre nämlich bestanden aus aneinander gereihten dreieckigen Stückchen mit einzelnen Nebenlinien. Auf allen waren mit Figuren und Buchstaben die Namen der Stammglieder von Noe und besonders von Sem angeschrieben, und wenn man die Schnüre niederließ, lag alles in der Schale beisammen. Ich habe auch gehört, aber vergessen, wie viel Sickel, so hieß eine Summe, das Ganze betrug. Das Stammregister war in die Hände der Priester und des Pharao gekommen, welche allerlei daran bei ihren ewigen Rechnungen aber nicht richtig heraus studiert hatten.

Als der Pharao mit schweren Plagen heimgesucht wurde, beriet er sich mit seinen Götzenpriestern und gab darnach dem Abraham alles, was er verlangte.

Als Abraham wieder in das Gelobte Land zurückgekehrt war, sah ich Lot bei ihm im Zelt und Abraham zeigte mit der Hand rings umher. Er hatte in seinem Wesen viel von den Sitten der drei Könige und war in langes, weißes Wollzeug mit Ärmeln gekleidet, woran ein geflochtener weißer Gürtel mit Quasten und nach rückwärts eine Art Kapuze nieder hing. Auf dem Haupt trug er ein Käppchen und über der Brust ein Herzschild von Metall oder Edelstein. Er hatte einen langen Bart. Ich kann nicht sagen, wie gütig und freigebig er war. Wenn er irgend etwas hatte, was einem andern wohlgefiel, besonders an Vieh, so gab er es ihm gleich. Denn er war ein besonderer Feind von Neid und Habsucht. Lot war beinahe ebenso gekleidet. Er war aber nicht so groß wie Abraham und auch nicht so edel. Er war zwar gut, aber doch etwas habsüchtig. Ich sah aber ihre Knechte oft streiten und sah, wie Lot abzog, Aber er zog in Nebel. Über Abraham sah ich Licht und sah ihn nachher seine Zelte abbrechen und herumziehen, und dass er einen Altar von Feldsteinen erbaute und ein Zelt darüber. Die Leute waren gar geschickt, aus rohen Steinen etwas aufzubauen, und es legte der Herr wie der Knecht die Hand an. Dieser Altar war in der Gegend von Hebron, dem späteren Wohnort von Zacharias, dem Vater des Täufers. Die Gegend, wo Lot hingezogen war, war eine sehr gute Gegend, wie all dieses Land gegen den Jordan zu. Ich sah auch, wie die Städte der Gegend, wo Lot wohnte, geplündert wurden, und wie Lot mit Hab und Gut fortgeschleppt wurde. Und ich sah, wie ein Flüchtling das Abraham sagte, und dieser betete und mit allen seinen Knechten auszog und die Feinde überfiel und seinen Bruder frei machte, und wie dieser dankte und es ihm Leid tat, von Abraham fortgezogen zu sein. Die Feinde und die Kriegführenden überhaupt und besonders die Riesen, welches ungewöhnlich große Leute waren und alles mit Gewalt und rohem Trotze erzwangen, und denen es auch wieder so abgejagt wurde, waren nicht wie Abrahams Leute gekleidet. Sie waten enger und kürzer gekleidet, hatten mehr Kleidungsteile und besonders viele Knöpfe, Sterne und Zieraten.

13. Melchisedechs Opfer von Brot und Wein

Melchisedech sah ich mehrmals bei Abraham. Er kam auf die Art, wie sonst oft Engel zu Abraham kamen. Einmal befahl er ihm ein dreifaches Opfer von Tauben und andern Vögeln und weissagte über Sodoma und Lot, und dass er wieder zu ihm kommen werde, um Brot und Wein zu opfern. Auch sagte er, um was Abraham zu Gott beten sollte. Dieser war voll Ehrfurcht vor Melchisedech und voll Erwartung des verheißenen Opfers. Darum erbaute er einen sehr schönen Altar und umgab ihn mit einer Laubhütte. Melchisedech ließ dem Abraham, als er zum Opfer von Brot und Wein herannahte, durch Boten seine Ankunft als des Königs von Salem melden. Abraham zog ihm entgegen, kniete vor ihm und empfing seinen Segen. Es war dies in einem Tal mittäglich von dem fruchtbaren Tal, das nach Gaza sich hinzieht.

Melchisedech kam von dem nachmaligen Jerusalem her. Er hatte ein graues, sehr schnelles Tier, mit kurzem breitem Hals bei sich, das breit beladen war. Auf der einen Seite trug es ein Gefäß mit Wein, das an der Seite, wo es gegen den Leib des Tieres lag, flach war. Auf der andern Seite trug es einen Kasten, worin ovalrunde, flache, nebeneinander stehende Brote und derselbe Kelch, den ich später bei der Einsetzung des heiligen Sakramentes beim Abendmahl sah, und Becher von der Gestalt kleiner Fässchen waren. Diese Gefäße waren nicht von Gold oder Silber, sondern durchsichtig, wie von bräunlichem Edelstein. Sie schienen mir gewachsen, nicht gemacht. Melchisedech machte den Eindruck wie der Herr in seinem Lehrwandel. Er war sehr schlank und groß, ungemein ernst und sanft. Er trug ein langes Gewand, so weiß und licht, dass es mich an das weiße Gewand erinnerte, das um den Herrn bei seiner Verklärung erschien. Das weiße Kleid Abrahams war ganz trübe dagegen. Er trug auch einen Gürtel mit Buchstaben, wie später die jüdischen Priester, und ich sah, dass er wie diese eine gefaltete Mütze bei dem Opfer auf dem Haupt trug. Seine Haare waren glänzend gelb, wie lichte lange Seide, sein Angesicht leuchtend.

Der König von Sodoma war, als Melchisedech nahte, schon bei Abraham im Zelt und rings umher waren viele Menschen mit Tieren, Säcken und Kisten. Alle waren sehr still und feierlich und voll Ehrerbietung gegen Melchisedech, dessen Gegenwart sie ernst machte. Er trat an den Altar, auf dem eine Art Tabernakel war, wo hinein er den Kelch stellte. Auch eine Vertiefung war an ihm, ich meine für das Opfer. Abraham hatte wie immer bei dem Opfer Gebeine von Adam auf den Altar gestellt, welche Noe in der Arche gehabt hatte. Sie flehten vor ihnen, Gott wolle die Verheißung des Messias erfüllen, die Er dem Adam gegeben. Melchisedech legte über den Altar zuerst eine rote Decke, die er mitgebracht und über diese eine durchsichtige weiße. Seine Feier erinnerte mich an die Heilige Messe. Ich sah ihn Brot und Wein emporheben, opfern, segnen und brechen. Dem Abraham reichte er den nachmaligen Abendmahlskelch zum Trinken. Die anderen tranken aus den kleineren Gefäßen, weIche von Abraham und den vornehmsten Anwesenden dem ganzen Volke gereicht wurden, wie auch die gebrochenen Brote. Sie erhielten größere Bissen, als in der ersten Zeit bei dem heiligen Abendmahl. Ich sah die Bissen leuchtend. Sie waren nur geweiht, nicht konsekriert. Die Engel können nicht konsekrieren. Alle wurden erweckt und zu Gott erhoben.

Melchisedech reichte dem Abraham Brot und Wein zum Genuss, und er empfing feineres, leuchtenderes Brot als die anderen. Er erhielt große Kraft und solche Stärke des Glaubens, dass er später sich nicht weigerte, den Sohn der Verheißung auf Gottes Befehl zu opfern. Er prophezeite und sprach die Worte aus: Das ist nicht, was Moses auf Sinai den Leviten gibt. Ich weiß nicht, ob Abraham auch selber das Opfer von Brot und Wein dargebracht hat, aber das weiß ich, dass der Kelch, aus dem er trank, derselbe ist, in welchem Jesus das heiligste Sakrament eingesetzt hat.

Als Melchisedech den Abraham bei der Opferung von Brot und Wein segnete, da weihte er ihn zum Priester. Er sprach über ihn die Worte: «Es spricht der Herr zu meinem Herrn, setze dich zu meiner Rechten. Du bist ein Priester ewig nach Ordnung Melchisedechs. Der Herr hat geschworen und es wird Ihn nicht gereuen.» Er legte Abraham die Hände auf und dieser gab ihm nachher den Zehnten. Ich erkannte die große Bedeutung, dass Abraham nach dieser Weihe den Zehnten gab. Es ist mir aber die Ursache dieser Wichtigkeit nicht mehr erinnerlich (Vgl. das siebente Kapitel des Hebräerbriefes). Ich sah auch, dass David, als er diesen Psalm verfasste, ein Gesicht von der Weihe Abrahams durch Melchisedech hatte und des letzteren Worte prophetisch wiederholte. Die Worte: «setze dich zu meiner Rechten» haben eine eigene Bedeutung. Wenn mir in Bildform die ewige Zeugung des Sohnes aus dem Vater gezeigt wird, da sehe ich den Sohn aus der Rechten des Vaters hervorgehen in einer Lichtform, welche von einem Dreieck, wie man das Auge Gottes abbildet, umgeben ist, in dessen oberen Spitze ich den Heiligen Geist erblicke. Doch es ist dieses unaussprechlich.

Die Eva sah ich aus der Rechten Adams hervor steigen, und dass die Altväter den Segen in der Rechten trugen und dass sie die Kinder, denen sie den Segen gaben, zur Rechten stellten. Jesus hat den Lanzenstich in seine Rechte empfangen, und die Kirche wächst aus dieser seiner Rechten hervor. In die Kirche eingehend gehen wir in Jesu rechte Seite ein und sind in Ihm mit seinem himmlischen Vater vereinigt.

Ich meine, dass Melchisedechs Sendung auf Erden mit diesem Opfer und der Weihe Abrahams erfüllt war. Denn ich sah ihn nachher nicht mehr. Den Kelch mit den sechs Bechern hinterließ er dem Abraham.

14. Abraham empfängt das Sakrament des Alten Bundes

Abraham saß betend vor seinem Zelt unter einem großen Baum, an dem die Heerstraße vorbeiführte. Er saß hier oft, um den Reisenden Gastfreundschaft zu erweisen. Er sah betend nach dem Himmel und hatte die Erscheinung Gottes wie in einem Sonnenstrahl, welcher ihm die Ankunft der drei weißen Männer verkündigte. Darnach opferte er ein Lamm auf dem Altar, und ich sah in davor in Entzückung auf den Knien um das Heil der Menschen flehen. Der Altar stand rechts von dem großen Baum in einem oben offenen Zelt. Weiter rechts vom Baum stand ein zweites Zelt, worin die Opfergerätschaften bewahrt wurden und wo Abraham sich zumeist aufhielt, wenn er mit seinen umherwohnenden Hirten zu tun hatte. Entfernter davon lag auf der anderen Seite der Heerstraße das Zelt der Sara und ihrer Hauswirtschaft, die Frauen wohnten immer abgesondert.

Das Opfer Abrahams war schier vollendet, als er die drei Engel in die Heerstraße eintreten sah. Sie wandelten gleich weit hintereinander mit geschürzten Kleidern. Abraham eilte ihnen entgegen, sprach vor ihnen sich beugend zu Gott und führte sie vor das Zelt des Altars, wo sie die Gewänder niederließen und dem Abraham zu knien befahlen. Ich sah die wunderbare Handlung, welche nun an Abraham, der in Entzückung war, durch die Engel vorging, in sehr kurzer Zeit, wie alles was in solchem Zustand geschieht, vor sich gehen. Ich sah, dass der erste Engel dem knienden Abraham verkündete, Gott wolle aus seinen Nachkommen eine unbefleckte, sündelose Jungfrau hervorgehen lassen, welche als unversehrte Jungfrau die Mutter des Erlösers sein werde. Er selber aber solle nun empfangen, was Adam durch die Sünde verloren habe. Nun reichte ihm der Engel einen leuchtenden Bissen und ließ ihn aus einem kleinen Becher eine lichte Flüssigkeit trinken. Hierauf fuhr er segnend mit seiner Rechten vom Haupt Abrahams gerade hernieder, dann von seiner rechten und von seiner linken Schulter bis unter die Brust, wo sich die drei Linien des Segens vereinigten. Hierauf reichte der Engel mit beiden Händen etwas Leuchtendes wie ein Wölkchen gegen die Brust Abrahams, das ich in ihn übergehen sah, und ich hatte die Empfindung, als empfange er das heilige Sakrament.

Der zweite Engel verkündete dem Abraham, er solle das Geheimnis dieses Segens auf dieselbe Weise, wie er es empfangen, vor seinem Tod dem Erstgebornen Saras übergeben, und dass sein Enkel Jakob der Vater von zwölf Söhnen sein werde, von denen zwölf Stämme kommen sollten. Der Engel sagte auch, dass dem Jakob dieser Segen wieder genommen werden solle. Und nachdem Jakob zu einem Volke geworden sein würde, solle der Segen in die Arche des Bundes als ein Segen des ganzen Volkes, der durch Gebet erhalten werde, wieder gegeben werden. Er zeigte ihm, dass wegen Gottlosigkeit der Menschen dieses Geheimnis aus der Arche an die Propheten und zuletzt an einen Mann übergehen werde, welcher der Vater der Jungfrau werden solle. Ich hörte auch in dieser Verheißung, dass den Heiden durch sechs Prophetinnen und durch Sternbilder das Heil der Welt aus der Jungfrau solle verkündigt werden.

Alles dieses ward Abraham in dem Gesichte inne. Und er sah auch die Jungfrau am Himmel erscheinen und ihr zur Rechten einen Engel schweben, der mit einem Zweige ihren Mund berührte. Aus dem Mantel der Jungfrau sprosste darnach die Kirche hervor.

Der dritte Engel verkündete Abraham die Geburt von Isaak. Ich sah Abraham so erfreut über die verheißene heilige Jungfrau und das Gesicht, das er von ihr gehabt, dass er an Isaak gar nicht dachte, und ich meine, dass die Verheißung der Jungfrau ihm auch später den Befehl Gottes, Isaak zu opfern, erleichterte. Nach dieser heiligen Handlung sah ich erst das Bewirten der Engel und das Lächeln der Sara. Ich sah Abraham auch den Engeln das Geleite geben und für Sodoma flehen.

Als Abraham aus seiner Entzückung zurückkam, führte er die Engel unter den Baum, stellte Schemel um denselben, auf welche die Engel sich niederließen, da er ihnen die Füße wusch. Nun eilte Abraham in das Zelt der Sara, dass sie ein Mahl bereite, welches sie darnach verschleiert auf halbem Wege entgegenbrachte. Nach dem Mahl begleitete Abraham die Engel eine Strecke Weges, und da sie von der Geburt eines Sohnes zu ihm sprachen, lachte Sara, welche dieses hörte, da sie hinter den Zeltverzäunungen sich genaht hatte. Ich sah sehr viele Tauben zahm wie Hühner vor den Zelten. Das Mahl bestand aus solchen Tauben, runden Broten und aus Honig.

Abraham hatte schon früher bei seinem Auszug aus Chaldäa das Geheimnis des Segens durch einen Engel empfangen, aber noch verhüllt und mehr als ein Unterpfand der Erfüllung der Verheißung, dass er der Vater eines zahllosen Volkes werden solle. Jetzt aber wurde das Geheimnis durch die Engel in ihm erweckt, und er darüber erleuchtet.

15. Jakob

Rebekka wusste, dass Esau keinen Strahl aus dem göttlichen Geheimnis hatte. Esau war tölpisch, rau und faul. Jakob sehr behend, klug und mehr auf die Art der Mutter. Isaak hielt mehr auf Esau als den Erstgeborenen. Dieser zog viel auf die Jagd. Rebekka dachte hin und her, wie sie dem Jakob das Recht und den Segen zuwenden sollte. Das Abkaufen der Erstgeburt lehrte sie dem Jakob. Es war Gemüse mit Fleisch und grüne Blätter wie Lattich. Esau kam müde. Jakob schmeichelte ihm, und so erhielt er das Abtreten der Erstgeburt.

Isaak war schon sehr alt und blind, er fürchtete zu sterben und wollte Esau seinen Segen geben. Rebekka, die wusste, dass Jakob ihn haben sollte und haben müsste, konnte Isaak nicht dazu bereden. Sie war darum sehr bekümmert und ging ganz unruhig umher. Und als Isaak sich nicht länger wollte hinhalten lassen und Esau, der in der Nähe war, hereinrief, musste sich Jakob verstecken, dass Esau ihn nicht sah. Rebekka schickte Jakob fort, ein Böckchen von der Herde zu holen, denn Isaak befahl dem Esau, ein Wild zu töten. Kaum war Esau fort, so war das Gericht schon fertig.

Die guten Kleider Esaus, die nun Rebekka dem Jakob anlegte, waren eine solche Jacke, wie dieser selbst trug, nur steifer und auf der Brust bunt gestickt. Esau war auf den Armen dicht schwarzwollicht und ebenso auf der Brust, wie ein Fell. Deshalb wickelte sie Jakob die Felle um die Arme und legte sie ihm auf die Brust, wo die Jacke geschlitzt war. Nur durch die Arbeit war diese Jacke von den gewöhnlichen verschieden. An der Seite war sie offen, der Hals wurde durch ein Loch gesteckt, das in weiches, bräunliches Leder geschnitten war. An den Seiten wurde sie mit Riemen zusammengebunden, wurde ein Gürtel umgelegt. So diente dieser zugleich als Tasche. Darunter waren sie bloß, die Jacke hatte keine Ärmel, die Brust war frei, die Kopfbinde und Schürze waren bräunlich oder grau.

Ich sah, wie Isaak den Jakob auf der Brust, wo Esau voll Haare war und an den Händen betastete, und wie er etwas taumelig und trüb war und zweifelte. Aber weil der Augenblick da und es Gottes Wille war, glaubte er dennoch, es sei Esau und gab Jakob den Segen, den er von Abraham und Abraham von dem Engel empfangen hatte. Er hatte aber zuvor etwas Geheimnisvolles mit Rebekka bereitet, was zum Segen gehörte. Es war dies ein Getränk in einem Becher.

Die Kinder wussten nichts davon, und nur der, welcher den Segen hatte, erfuhr das Geheimnis, das ihm dennoch, wie uns das heilige Sakrament, ein Geheimnis blieb. Das Gefäß war an einer Seite platter, als an der anderen. Es war durchsichtig und schimmernd wie Perlmutter. Es war mit etwas Rotem gefüllt, und ich hatte die Empfindung, es sei wie Blut, wie von Isaaks Blut. Rebekka war bei der Bereitung.

Als Isaak Jakob segnete, war dieser allein bei ihm. Er musste die Brust entblößen und stand vor Isaak. Der Vater führte die segnende Hand von der Stirne gerade nieder bis zum Schoße Jakobs und von der rechten Schulter eben dahin, dann ebenso von der linken Schulter. Darauf legte er ihm die Rechte auf das Haupt und die Linke in die Herzgrube. Dann musste Jakob das Gläschen austrinken, und endlich war es, als wenn ihm Isaak alles, alle Gewalt und Kraft gebe, indem er mit beiden Händen wie etwas aus seinem Leib nahm und in den Leib Jakobs hingab. Ich fühlte, dieses sei seine Kraft und der Segen. Bei allem diesem betete Isaak laute Worte. Isaak richtete sich segnend vom Lager auf. Er ward begeistert unter dem Segen und es strahlte Glanz von ihm. Als er die Segenslinien zog, hatte Jakob die Hände halb erhoben geöffnet, wie die Priester beim Dominus vobiscum. Wenn der Vater bloß betete, hatte Jakob die Hände auf der Brust gekreuzt. Als Isaak den Segen übergab, empfing ihn Jakob und kreuzte die Hände unter der Brust, wie einer, der etwas fasst. Die Hände auf Kopf und Magengegend legte ihm Isaak am Schluss auf. Das Gläschen, woraus er getrunken, bekam er auch.

Als aber der Segen vollendet war durch die Übergabe, sah ich Isaak vor Anstrengung, oder wirklichem Hin- und Übergeben und Nichtmehrhaben einer Kraft ganz ohnmächtig. Jakob aber sah ich blühend, kräftig, voll Leben und mächtig geworden. Nun kam Esau zurück.

Als Isaak den Übertrag des Segens auf einen anderen merkte, ward er nicht unwillig - er erkannte Gottes Willen. Esau aber ward ganz wütend, er raufte sich die Haare. Doch schien es mehr Neid gegen Jakob, als Leid um den Segen.

Beide Söhne waren große Männer, als der Segen gegeben wurde. Esau hatte schon zwei Frauen, die seinen Eltern nicht lieb waren. Beide waren über vierzig Jahre alt. Wie aber Rebekka den Zorn Esaus sah, sendete sie Jakob zu ihrem Bruder Laban heimlich fort. Ich sah ihn fortgehen. Er hatte bis auf den Gürtel eine Jacke und bis auf die Knie eine Schürze, unter den Füßen Sohlen und um den Kopf eine Binde gewickelt. Ein Hirtenstab in der Hand, ein Säckchen mit Brot von der Schulter hängend, unter dem anderen Arm eine Flasche, war alles, was er hatte. So sah ich ihn unter den Tränen der Mutter forteilen. Isaak segnete ihn auch noch und befahl ihm, dorthin zu gehen und dort eine Frau zu nehmen. Die Eltern hatten viel auszustehen mit Esau, und besonders hatte Rebekka vieles Leid.

Ich sah Jakob auf seiner Reise nach Mesopotamien an dem Ort schlafen, wo nachher Bethel erbaut wurde. Die Sonne war untergegangen. Er legte sich einen Stein unter sein Haupt und entschlief auf dem Rücken liegend, gerade ausgestreckt. Sein Stab ruhte ihm im Arm. Ich sah dann auch die Leiter, die er im Traum sah und von der in der biblischen Geschichte gesagt ist: «welche auf der Erde stand und mit der Spitze bis in den Himmel reichte». Ich sah aber diese Leiter von dem an der Erde liegenden Jakob bis zu dem Himmel emporsteigen. Ich sah sie wie einen lebendigen Stammbaum seiner Nachkommenschaft. So wie man die Stammbäume abbildet, sah ich unten an der Erde, als wachse aus dem Leib des schlafenden Jakobs eine grüne Rebe, die sich in drei Stämme teilte, welche sodann als gerade Stämme wie eine dreiseitige Pyramide zu einer Spitze bis in den Himmel emporreichten. Die drei Stämme waren unter einander nach den drei Seiten hin durch gewachsene Zweige verbunden, welche die Sprossen einer dreiseitigen Leiterpyramide bildeten. Ich sah diese Leiter von vielen Erscheinungen umgeben. Ich sah die Nachkömmlinge Jakobs auf der Leiter aufsteigend, welche die Geschlechtslinie Jesu nach seiner Menschheit bildeten. Sie stiegen von einer Seite oft nach einer anderen übertretend und stiegen einander vor. Einige blieben zurück und andere von der anderen Seite überstiegen diese, je nachdem der Keim der Menschheit Jesu durch die Sünde getrübt und wieder durch Enthaltung gereinigt wurde. Bis endlich die reine Blume, die heilige Jungfrau, in welcher Gott Mensch werden wollte, auf der höchsten Spitze der Leiter den Himmel berührte. Ich sah über ihr den Himmel offen und die Herrlichkeit Gottes. Gott sprach von da aus mit Jakob.

Ich sah, wie Jakob, als er am Morgen erwachte, zuerst eine runde Unterlage von Steinen machte, darauf einen platten Stein legte und auf diesem den Stein aufrichtete, den er unter sein Haupt gelegt hatte, da er schlief. Ich sah auch, dass er ein Feuer machte und etwas opferte, auch etwas in das Feuer auf den Stein goss. Er betete kniend. Ich glaube, er machte das Feuer, wie die drei Könige, durch Reiben.

Dann sah ich Jakob auf der Reise zu Laban mit seinem Stab in der Hand noch an mehreren Orten, wie zu Bethel. Ich sah ihn auf dieser Reise abermals zu Ainon, wo er auch schon früher gewesen und daselbst eine Zisterne, die später der Taufbrunnen des Johannes wurde, erneuert hatte. Ich sah, dass er schon damals an der Stelle Mahanaim betete, Gott möge ihn doch schützen und ihm auch seine Kleider erhalten, damit er bei seiner Ankunft in Mesopotamien nicht so schlecht aussehe und Laban ihn doch anerkennen möge. Ich sah, dass er damals schon zwei Scharen auf seinen beiden Seiten schwebend erblickte, gleich zwei Lagern, als ein Zeichen: so sei er geschützt, so mächtig werde er werden. - Auf der Rückkehr sah er die Erfüllung von diesem Gesicht.

Dann sah ich ihn weiter östlich wieder auf die Mittagsseite des Flusses Jakob kehren und eine Nacht an der Stelle zubringen, wo er nachher mit dem Engel gerungen. Auch hier hatte er ein Gesicht.

Bei der Rückkehr Jakobs aus Mesopotamien stand Jakobs Lager östlich von der Lage des nachmaligen Jabesch Gilead. Ich sah, wie sein Schwiegervater Laban ihm nachsetzte, weil ihm seine Götzenbilder entführt worden waren, und wie er ihn einholte und es hier wegen der Götzenbilder viel Streitens mit Worten zwischen ihnen gab. Jakob wusste nicht, dass Rachel sie heimlich mitgenommen hatte. Als diese merkte, dass ihr Vater Laban, der das ganze Lager nach seinen Götzenbildern durchsuchte, nun auch bald zu ihrem Zelt kommen werde, versteckte sie die entwendeten Götzenbilder, welche etwa fünf einen halben Arm lange Wickelpuppen von Metall waren, unter einem sehr großen Haufen von Streu für die Kamele, der nicht weit von Zelte am Abhang des Tales südlich vom Jabok aufgehäuft lag, und setzte sich verhüllt darauf, als sei sie krank und abgesondert. Es saßen gleich ihr noch mehrere andere Frauen auf diesem Streuhaufen. Auf einem ähnlichen, noch größeren Streuhaufen habe ich den aussätzigen Job sitzen sehen. Der Haufen Rachels war von der Größe eines vollen Erntewagens. Sie führten viel Streu auf den Kamelen mit sich und nahmen unterwegs oft noch mehr dazu. Rachel hatte sich lange an diesen Götzenbildern geärgert und sie bloß mitgenommen, um ihren Vater davon loszumachen.

Jakob hatte Boten zu Esau geschickt, vor dem er sich fürchtete. Diese kamen wieder und sagten, dass Esau mit vierhundert Mann nahe. Da teilte Jakob sein ganzes Gefolge in zwei Haufen, und den ersten Herdenhaufen in mehrere, die er dem Esau entgegenschickte. Er führte diese auch bis Mahanaim. Da sah er jenes Gesicht wieder, das er bei seinem Auszug gesehen, die Heerlager der Engel, und sagte: «mit meinem Stab bin ich ausgezogen und bin um zwei Heere reicher geworden». Er verstand nun jenes frühere Gesicht.

Als alles über dem Jabok war, setzte Jakob in der Nacht auch seine Frauen und Kinder hinüber und blieb allein. Er ließ sich sein Zelt auf der Stelle errichten, wo er bei seinem Auszug aus Palästina Gottes Angesicht gesehen. Er wollte in der Nacht da beten. Sein Zelt ließ er von allen Seiten zumachen und hieß seine Knechte sich entfernen. Ich sah ihn da ganz herzlich zu Gott schreien und Ihm alles vorstellen, besonders seine große Angst vor Esau. Das Zelt war oben offen, damit er besser zum Himmel beten konnte.

Ich sah nun, wie Jakob mit dem Engel rang: Es geschah in einem Traumgesicht. Er stand auf und betete. Da kam in einem Licht von oben eine große, glänzende Gestalt vor ihn und begann mit ihm zu ringen, und es war, als wolle die Erscheinung ihn aus dem Zelt hinausdrängen. Sie drängten sich im Zelte hin und her, nach allen Richtungen. Die Erscheinung tat, als wolle sie Jakob nach allen Weltgegenden verdrängen, und Jakob wendete sich immer wieder in die Mitte des Zeltes. Es war dies wie ein Vorbild, dass Israel von allen Seiten bedrängt nicht aus dem gelobten Lande werde verdrängt werden.

Als aber Jakob sich abermals nach der Mitte des Zeltes wendete, griff der Engel in seine Hüfte. Ich sah dies geschehen, da Jakob, der im Gesicht gerungen, sich auf sein Lager legen wollte, oder auf dasselbe niedersank. Indem der Engel Jakobs Hüfte berührt und damit getan hatte, was er wollte, sagte er zu Jakob, der ihn noch immer festhielt: «lasse mich, denn die Morgenröte bricht an!» Nun aber erwachte Jakob aus dem Gesicht und dem Kampfe und sah den Engel Gottes noch vor ihm stehen und er sagte: «nein! ich lasse dich nicht, ehe du mich segnest». Denn er fühlte ein Bedürfnis des Segens Gottes, weil er sich schwächer fühlte und Esaus Ankunft ihm bevorstand. Da sprach der Engel zu ihm: «wie heißst du?» Das gehörte schon zum Segen. Abram wurde auch beim Segen Abraham genannt. Er sagte: «Jakob». Da sprach der Engel: «Du sollst Israel heißen, denn du hast mit Gott und Menschen gerungen und bist nicht unterlegen». Jakob fragte nun: «wie heißst du?» Und der Engel sagte: «warum fragst du mich, wie ich heiße?» Das hieß so viel, als: kennst du mich nicht? Hast du mich nicht schon früher erfahren? Und Jakob kniete vor ihm und empfing den Segen. Der Engel segnete ihn, wie Abraham von Gott gesegnet wurde, und wie er diesen Segen weiter auf Isaak und dieser auf Jakob übertragen hatte, in drei Linien. Dieser Segen ging besonders auf Geduld und Ausdauer. Nun verschwand der Engel und Jakob sah die Morgenröte und nannte diese Stelle Phanuel. Er ließ sein Zelt abbrechen und ging über den Jakob zu seiner Familie. Da ging ihm die Sonne auf, und er hinkte an der rechten Seite, denn er war da entkräftet.

Als Esau weggezogen war, zog Jakob mit all den Seinen nach Manahaim und nahm die Gegend von Sukkoth bis zum Hügel Ainon mit seinen Herden und Knechten ein. Er selbst wohnte zehn Jahre zu Ainon. Nachher erstreckte sich seine Ansiedlung von Ainon gegen Abend bis über den Jordan nach Salem, und er hatte seine Zelt bis wo Sichem gewohnt, und kaufte dort ein Feld.

Ich sah Dina mit ihren Mägden dort spazieren gehen und mit den Sichemiten sprechen aus Neugierde. Ich sah, dass Sichem freundlich mit ihr tat, dass ihre Mägde zurückgingen und dass Sichem sie mit in die Stadt nahm. Da kam großes Leid über sie und Mord und Totschlag über die Sichemiten. Sichar war damals eine noch nicht große Stadt von Quadersteinen erbaut und hatte nur ein Tor.

Abraham, Isaak und Jakob, die Altväter, waren an der rechten Seite ihres Leibes etwas stärker, als an der anderen. Man merkte es jedoch nicht. Sie trugen ihre Kleider weit und schützend. Es lag ihnen in dieser Seite eine Fülle wie ein Geschwulst. Es war ein Heiligtum, ein Segen, ein Geheimnis darin. Es hatte die Gestalt einer Bohne mit einem Keim. Es war leuchtend. Der Erstgeborne empfing es von seinem Vater, darum hatte er so großen Vorzug. Jakob empfing das Geheimnis statt Esau, weil die Mutter wusste, dass er gezeichnet dazu war. Durch die Berührung des Engels ward dem Jakob der Segen genommen. Er brachte ihm keine Wunde bei. Es war wie ein Verdorren jener Fülle. Er war nachher nicht mehr so sicher und auf Gottes Schutz hinlebend. Früher war er wie einer, der durch ein Sakrament in sich gestärkt ist. Nachher war er gedemütigter, sorglicher und hatte mehr Not. Er fühlte wohl, dass ihm jener Segen genommen war, darum ließ er den Engel nicht, bis er ihn durch Segnung gestärkt hatte. Erst Joseph erhielt durch einen Engel den Segen wieder, als er sich im Kerker des Pharao von Ägypten befand.

16. Joseph und Aseneth

Als Joseph nach Ägypten verkauft wurde, war er sechzehn Jahre alt. Er war mittelgroß, sehr schlank, geschmeidig, beweglich mit Leib und Seele. Er war ganz anders, als seine Brüder. Jedermann musste ihn lieben. Hätte der Vater ihn nicht so vorgezogen, die Brüder hätten ihn lieben müssen. Ruben war auch geschmeidiger, als die anderen, aber Benjamin war ein sehr großer, plumper Mensch, doch gutmütig und leitsam. Joseph trug das Haar in drei Teile gescheitelt: zu beiden Seiten je einen Teil, ein dritter hing im Nacken lang und kraus hernieder. Als er Herrscher über Ägypten wurde, trug er das Haar geschoren, später aber wieder lang.

Mit dem bunten Rock hatte Jakob auch Gebeine von Adam dem Joseph übergeben, ohne dass Joseph wusste, was es war. Jakob gab sie ihm als ein schützendes Kleinod, weil er wohl wusste, dass seine Brüder ihn nicht liebten. Joseph hatte die Gebeine auf der Brust in einem Säckchen von Leder hängen, das oben rund war. Da seine Brüder ihn verkauften, zogen sie ihm nur seinen bunten Rock und sein gewöhnliches Kleid aus. Er hatte aber auf dem bloßen Leib noch eine Binde und eine Art Skapulier über die Brust, worunter er jenes Säckchen hängen hatte.

Der bunte Rock war weiß mit breiten roten Streifen. Auf der Brust hatte er drei schwarze Querschnüre, in der Mitte mit gelber Verzierung. Er war nach oben weit gegürtet, dass er etwas hineinschieben konnte, unten war er eng, hatte aber an der Seite Einschnitte, um beim Gehen Raum zu lassen. Er ging bis herab und war hinten etwas länger und vorne offen. Josephs gewöhnliches Kleid ging nur bis über die Knie.

Joseph war dem Pharao und seiner Frau schon bekannt, ehe er ins Gefängnis kam. Er besorgte die Geschäfte Putiphars so vollkommen und Putiphar machte während Josephs Aufenthalt in seinem Hause alles so gut bei Pharao und war so gesegnet, dass Pharao seinen Diener sehen wollte. Pharaos Frau, welches sehr heilsbegierig und anbetend war und wie alle Ägypter sehr nach neuen Göttern verlangend, erstaunte so über den wunderbaren, geistreichen, weisen Fremdling, dass sie ihn innerlich wie einen Gott verehrte und zu Pharao immer sagte: dieser Mann ist von unsern Göttern gesendet, er ist kein Mensch, wie wir. Er kam darum in das vornehme Gefängnis, wo er später Aufseher über die andern wurde. Sie beweinte ihn sehr, da er als ein Verbrecher gefangen wurde, dass sie in ihm sich geirrt. Als er frei wurde und an den Hof kam, war sie ihm immer sehr gut. Derselbe Becher, den er dem Benjamin einpackte, war das erste Geschenk von ihr. Ich kenne ihn gut, er hatte zwei Henkel und keinen Fuß. Er war wie von einem Edelstein oder einer durchsichtigen Masse, die ich nicht kenne, und war ganz geformt, wie der obere Teil des Abendmahlkelchs. Er war auch unter den Gefäßen, welche die Kinder Israel mit aus Ägypten nahmen, und wurde in der Bundeslade bewahrt.

Joseph war sieben Jahre im Kerker und hat daselbst in der größten Betrübnis das Geheimnis Jakobs auf dieselbe Art wie die Altväter erhalten und auch ein Gesicht von großer Nachkommenschaft.

Putiphars Frau kenne ich gut. Ich habe auch gesehen, wie sie Joseph verführen wollte. Nach seiner Erhöhung aber tat sie Buße, ward fromm und keusch. Sie war eine große, starke Frau von gelbbrauner wie Seide glänzender Hautfarbe. Sie trug ein farbiges Kleid und darüber ein feines mit Figuren durchbrochenes Gewand, wodurch das untere wie durch Spitzen durchschimmerte. Joseph war viel mit ihr, weil ihm alles von seinem Herrn übergeben war. Als er aber merkte, dass sie vertraulicher wurde, schlief er nicht mehr im Hause seines Herrn, wenn dieser nicht da war. Sie suchte ihn oft bei seiner Arbeit, wenn er etwas schrieb. Ich sah sie einmal sehr unschicklich gekleidet zu ihm kommen, als er im Winkel eines Saales stand und schrieb. Sie schrieben auf Rollen an abhängigen Flächen, vor denen man stehen und sitzen konnte, die an den Wänden waren. Sie sprach mit ihm, und er antwortete; sie ward aber damals frech. Da drehte er sich um und eilte weg. Sie fasste nach seinem Mantel und er ließ ihn im Stich.

Ich sah Joseph beim Götzenpriester Putiphar in Heliopolis, bei welchem Aseneth, die Tochter Dinas und des Sichemiten, als eine Prophetin und Götzenschmückerin mit sieben andern Mägdlein lebte. Er hatte sie in ihrem fünften Jahre von ihrer Amme, mit welcher sie von Jakob an das Rote Meer geflüchtet worden war, damit seine Söhne das Kind nicht ermordeten, gekauft. Sie besaß den Geist der Weissagung und galt dem Putiphar als eine Prophetin. Joseph kannte sie. Er wusste nicht, dass sie seine Nichte war. Sie war ein ganz ernstes, die Zurückgezogenheit suchendes Wesen und hasste bei ihrer großen Schönheit die Männer. Sie hatte tiefsinnige Gesichte und kannte den ägyptischen Sterndienst, hatte aber eine geheime Ahnung von der Religion der Patriarchen. Zauberei sah ich nicht von ihr. Sie sah in Gesichten das ganze Geheimnis des Lebens, der Fortpflanzung, der Zukunft und des Auszugs Israels, ja den ganzen Zug durch die Wüste. Sie schrieb viele Rollen voll auf die Blätter einer Wasserpflanze und auf Häute mit wunderlichen Buchstaben, welche wie die Köpfe von Tierchen und Vögeln waren. Diese Bücher wurden schon zu ihren Lebzeiten von den Ägyptern missverstanden und zu argen Gräueln missbraucht. Aseneth war sehr betrübt über das Missverstehen, das der Teufel angestellt, und weinte sehr viel. Sie hatte mehr Gesichte, als irgend ein Mensch ihrer Zeit, und war voll wunderbarer Weisheit. Sie tat aber alles ganz still hin und gab allen Rat. Sie konnte auch weben und sticken und war so voll Weisheit, dass sie auch das Verderben der Wahrheit durch die Menschen erkannte und war darum so ernst, zurückhaltend und stille.

Ich sah, dass Aseneth durch das Missdeuten ihrer Gesichte und Schriftrollen die Veranlassung wurde zu ihrer abgöttischen Verehrung als Isis und Joseph zu der als Osiris. Vielleicht hat sie deshalb so viel geweint. Sie hat auch Schriftrollen dagegen geschrieben, dass man sie eine Mutter aller Götter nennen werde.

Wenn Putiphar opferte, ging Aseneth auf einen Turm, wo sie wie in einem Gärtchen war, und sah bei Mondlicht nach den Sternen. Sie kam in Entzückung und sah alles in den Sternen sehr klar und sah die Wahrheit in den Bildern, weil sie von Gott auserwählt war. Ich habe aber Götzenpriester gesehen, welche die gräulichsten Dinge sahen, da sie in ganz fremde, teuflische Welten gezogen wurden. Durch diese teuflischen Gesichte wurden die geheimen Eröffnungen der Aseneth in die Gräuel der Abgötterei verunstaltet.

Aseneth hatte vieles in Ägypten eingeführt. Sie ließ viele nützliche Tiere kommen, z. B. Kühe. Sie lehrte auch die Bereitung von Käse, ebenso Weberei und manche unbekannte Kunst. Sie heilte auch viele Krankheiten. Von Joseph wurde der Pflug in Ägypten eingeführt, den er selber zu führen verstand. Eine Sache war mir recht wunderbar. Aseneth ließ von den vielen geschlachteten Opfertieren das Fleisch in großen, unter freiem Himmel eingegrabenen Kesseln lange kochen, bis es eine Masse wie Leim wurde, welche auf Kriegszügen und bei Hungersnot zur Nahrung diente. Darüber waren die Ägypter sehr froh und erstaunt.

Als Joseph bei dem Götzenpriester Aseneth sah, nahte sie ihm und wollte ihn umarmen. Es war dies keine Frechheit, sondern eine Art Weissagung, eine prophetische Handlung. Darum geschah sie vor dem Götzenpriester. Aseneth war wie heilig gehalten. Ich sah aber, dass Joseph sie mit vorgestreckter Hand zurückschob und ernste Worte zu ihr sprach. Da sah ich sie sehr erschüttert sich in ihre Stube zurückziehen und in Trauer und Buße leben.

Ich sah Aseneth in ihrem Gemach, sie stand hinter einem Vorhang, ihre Haare hingen lang und reich nieder und waren am Ende gelockt. Sie hatte auf der Magenhöhle ein wunderbares, in die Haut eingedrücktes Zeichen. In einer Figur, wie eine herzförmige Schale, stand ein Kind mit ausgebreiteten Armen, das in der einen Hand eine kleine Schale, in der andern einen Becher oder Kelch hielt. In der Schale waren drei weiche aus der Hülse brechende Ähren und die Figur einer Taube, die nach der Traube im Kelch auf der andern Hand des Kindes zu picken schien. Dem Jakob war dies Zeichen bekannt. Dennoch musste er Aseneth fortschaffen, um sie vor dem Zorn seiner Söhne zu bewahren. Als er aber zu Joseph nach Ägypten kam, und dieser ihm alles vertraute, erkannte er seine Enkelin an diesem Zeichen. Auch Joseph hatte ein solches Mahlzeichen einer Traube mit vielen Beeren auf der Brust.

Nun sah ich einen Engel erscheinen in sehr festlichem Gewand, mit einer Lotosblume in der Hand. Er grüßte Aseneth. Sie schaute nach ihm und verhüllte sich. Er befahl ihr, nicht mehr zu trauern und sich festlich zu schmücken, und begehrte Speise von ihr. Sie ging und kehrte geschmückt zurück und brachte auf einem leichten niederen Tischchen Wein und kleine platte Brote in Asche gebacken. Sie war nicht scheu, ganz einfältig und demütig, so wie Abraham und andere Altväter bei heiligen Erscheinungen. Da der Engel mit ihr sprach, entschleierte sie sich. Er begehrte Honig von ihr. Da sagte sie, sie habe keinen Honig, wie andere Jungfrauen, die ihn aßen. Darauf sprach der Engel, sie werde Honig zwischen den Götzenbildern finden, die in dem Gemach in verschiedenen Gestalten, in gewickelten Bildern mit Tierköpfen und mit nach unten geschlungenen Schlangenleibern standen.

Da fand sie nun eine schöne, hostienweiße, großzellige Honigwabe und stellte sie vor den Engel, der sie davon essen hieß. Er segnete den Honig und ich sah ihn leuchten und zwischen beiden auflodern. Ich kann die Bedeutung dieses himmlischen Honigs nicht mehr ganz aussprechen. Denn wenn man solche Dinge sieht, weiß man alles, weil man die Dinge wirklich weiß. Jetzt aber scheint einem der Honig wieder das, was man Honig heißt, ohne dass man weiß, was Blumen, Bienen und Honig eigentlich sind. Ich kann nur soviel sagen: Aseneth hatte wirklich nur Brot und Wein und keinen Honig in sich und sie kam durch diesen Honig erst vom Götzendienst ab und das Israelitische (das Heil des Alten Bundes) fand in ihr einen Aufgang. Es war dabei, dass sie vielen helfen solle, dass viele wie Bienen um sie bauen sollten. Sie sagte selbst, sie wolle nun keinen Wein mehr trinken, der Honig sei ihr nötiger. In Midian bei Jethro sah ich vielen Honig, viele Immen.

Der Engel segnete die Honigwabe nach allen Weltgegenden mit seinem Finger. Dies bedeutete, dass sie mit ihrem Dasein, ihrer Vorbildlichkeit und mit dem Geheimnis ihres Inhaltes so vielen sollte eine Mutter und Führerin sein. Als man nachher sie selbst göttlich verehrte und sie mit so vielen Brüsten abbildete, war dies auch ein Missverstehen ihrer eigenen Gesichte, wie sie so viele ernähren sollte.

Der Engel sagte ihr auch, dass sie die Braut Josephs sei und mit ihm verbunden werden solle. Er segnete sie auch, wie Isaak den Jakob und der Engel Abraham segnete. Die drei Segenslinien aber wurden über sie zweifach gezogen, einmal zur Herzgrube, das zweite Mal zum Schoße.

Ich hatte später ein Bild, wie Joseph wieder zu Putiphar kam, Aseneth zur Frau zu begehren, und erinnere mich nur, dass er, wie der Engel, eine Lotosblume in Händen trug. Er wusste von ihrer großen Weisheit, aber ihre beiderseitige Verwandtschaft war ihm ein Geheimnis und war es auch für Aseneth.

Ich sah auch, dass der Sohn Pharaos Aseneth liebte und dass sie sich verborgen halten musste. Dass in diesem Handel es durch Juda verhindert wurde, sonst hätten Dan und Gad, von Pharaos Sohn dazu aufgehetzt, der sich mit ihnen in einen Hinterhalt legte, den Joseph umgebracht. Ich meine, Juda hatte eine göttliche Warnung in einem Gesicht und sagte Joseph, dass er auf einem anderen Wege reisen solle. Ich erinnere mich, dass auch Benjamin in dieser Sache sich ein Verdienst erworben und Aseneth verteidigt hat. Dan und Gad erlitten eine Strafe, es starben ihnen Kinder. Sie waren auch von Gott gewarnt, ehe noch jemand etwas davon wusste.

Joseph und Aseneth trugen wie der Götzenpriester Putiphar ein heilig gehaltenes Zeichen der höchsten Gewalt, wenn sie dem Volke sich zeigten, in der Hand. Der obere Teil dieses Zeichens war ein Ring, der untere ein lateinisches Kreuz, ein T. Es diente als Siegel, und wenn Korn gemessen und abgeteilt wurde, wurden die Haufen durch Eindrücke damit bezeichnet. Ebenso die Kornhäuser und Kanalbauten, auch das Steigen und Fallen des Nils wurde damit angezeichnet. Schriften wurden damit gestempelt, nachdem sie zuvor mit rotem Pflanzensaft bestrichen waren. Wenn Joseph ein Amtsgeschäft hatte, lag das Zeichen, das Kreuz in den Ring eingeschlagen, auf einem Teppich neben ihm. Es schien mir auch wie ein Abzeichen des noch in Joseph eingeschlossenen Geheimnisses der Bundeslade.

Aseneth hatte auch ein Instrument wie eine Rute, womit sie im Gesicht wandelnd da, wo es zuckte, in die Erde schlug, und Wasser und Quellbrunnen fand. Es war unter dem Einfluß der Gestirne gemacht.

Bei festlichen Aufzügen fuhren Joseph und Aseneth auf einem blinkenden Wagen. Aseneth trug ein ganz goldenes Brustschild, das unter den Armen den ganzen Leib umschloss. Auf dem Schild waren viele Figuren und Zeichen. Ihr Kleid fiel bis über die Knie, von da an waren die Beine bewickelt. Auf dem Rücken trug sie einen weiten Mantel, der nach vorne über den Knien zusammengehalten war. Die Schuhe hatten aufwärts gebogene Schnäbel, wie Schlittschuhe. Der Kopfputz, wie ein Helm, bestand aus bunten Federn und Perlen.

Joseph trug einen engen Leibrock mit Ärmeln und darüber ein Brustschild von Gold mit Figuren, um die Lenden kreuzten sich Streifen mit goldenen Knoten, über den Rücken fiel ein Mantel und sein Kopfschmuck war auch von Federn und Geschmeiden.

Als Joseph nach Ägypten kam, wurde an Neu- Memphis gebaut, das ungefähr sieben Stunden nördlich vom alten Memphis lag. Zwischen beiden Städten war auf Dämmen eine Landstraße mit Alleen. Da und dort waren zwischen Bäumen Figuren von gar ernsthaft und traurig aussehenden weiblichen Götzenbildern, welche Leiber wie Hunde hatten und auf Stein platten saßen. Sonst gab es noch keine schönen Gebäude, aber ungeheuer lange Wälle und künstliche Steinberge (Pyramiden) voll von Gewölben und Kammern. Die Wohnungen waren leicht, mit einem Oberbau von Holz. Es gab noch große Wälder und Moräste dazwischen. Der Nil hatte schon bei der Flucht Mariä nach Ägypten seinen Lauf verändert.

Die Ägypter beteten allerlei Tiere, Kröten, Schlangen, Krokodile an. Sie sahen ganz ruhig zu, wenn ein Mensch von einem Krokodil gefressen wurde. Bei Josephs Ankunft war der Stiergott noch nicht in Verehrung. Dieser Dienst kam aber bald darauf durch den Traum des Pharao von den sieben fetten und mageren Kühen in Aufnahme. Sie hatten vielerlei Götzenbilder, manche wie Wickelkinder, andere wie Schlangen gewunden, darunter solche, die verkürzt und verlängert werden konnten. Manche Götzenbilder waren mit Brustschildern geschmückt, auf welchen Pläne von Städten und deren Lauf des Nils wunderlich eingezeichnet waren. Diese Schilder wurden nach den Bildern gemacht, welche die Götzenpriester auf ihren Türmen in den Sternen sahen, wonach sie dann die Städte und Kanäle bauten. Auf solche Art wurde Neu-Memphis gegründet.

Die bösen Geister müssen damals eine andere, mehr körperliche Macht gehabt haben. Denn ich sah die ägyptische Zauberei mehr aus der Erde, aus der Tiefe kommen. Wenn ein Götzenpriester sein Zauberwerk begann, sah ich allerlei hässliche Tiergestalten aus dem Erdboden um den Zauberer hervorkommen und in einer schwarzen Dampflinie in seinen Mund eingehen. Er wurde davon berauscht und hellsehend. Es war aber, als gehe mit jedem eingezogenen Geist eine verschlossene Welt in ihm auf, und er sah nun Nahes und Fernes, die Tiefen der Erde, Länder und Menschen, geheime und verborgene Dinge, d. i. alles, worauf jene Geister einen Bezug hatten. Die spätere Zauberei erschien mir immer, als stehe sie mehr unter dem Einfluss von den Geistern aus der Luft. Das, was die Zauberer durch diese Geister sahen, erschien wie ein Blendwerk, eine Spiegelung, welche die Geister vor ihnen machten. Ich konnte hinter diesen Gestalten wegsehen, sie waren wie Schatten, und als schaue man hinter den Vorhang.

Wenn die ägyptischen Götzenpriester in den Sternen lesen wollten, so gingen Fasten und Reinigungen vorher, sie hüllten sich in Säcke und bestreuten sich mit Asche, und während sie nach den Sternen auf einem Turm schauten, wurde geopfert.

Die Heiden jener Zeit hatten eine getrübte Kenntnis von den Religions-Geheimnissen des wahren Gottesdienstes, welche von Seth, Henoch, Noe und den Patriarchen dem auserwählten Volke überliefert wurden. Darum waren so mannigfache Gräuel in ihrem Götzendienst, durch welche der Teufel, wie später durch die Ketzereien, der reinen, ungetrübt bewahrten Offenbarung Gottes an die Menschen entgegenwirkte. Darum wurde von Gott das Geheimnis der Bundeslade mit Feuer umhüllt, um es zu bewahren.

Die Frauen in Ägypten sah ich zu Josephs Zeit noch ähnlich gekleidet wie Semiramis.

Jakob war, als er zu Joseph nach Ägypten kam, durch die Wüste auf demselben Weg gezogen, wo Moses später nach dem Gelobten Land zog. Er hatte gewusst, dass er Joseph wieder sehen würde, es lag ihm dieses dunkel auf dem Herzen. Schon als er nach Mesopotamien ging, hatte er da, wo er den Stein aufrichtete, nicht da, wo er die Leiter sah, ein Gesicht von seinen künftigen Söhnen, und dass einer in der Gegend, wo Joseph verkauft wurde, versinke und wie ein Stern im Süden wieder aufgehe. Er sagte darum, als sie ihm den blutigen Rock brachten und ihm das Vorgesicht, das er ganz vergessen hatte, wieder aufging: ich will Joseph beweinen, bis ich ihn wieder finde.

Jakob hatte zuerst durch Ruben ausforschen lassen, welche Frau Joseph habe, hatte ihm aber noch nicht gleich geoffenbart, dass sie seine Nichte sei. Er wurde aber gut Freund mit Putiphar, und dieser, nachdem er viel mit ihm zusammen war, nahm die Beschneidung an und diente dem Gotte Jakobs.

Jakob wohnte von Joseph etwa eine Tagreise entfernt, und da er krank wurde, fuhr Joseph zu ihm. Jakob fragte ihn manches von Aseneth, und da er das Zeichen auf ihrer Brust erfahren hatte, sagte er Joseph mit den Worten: «das ist Fleisch von deinem Fleische, das ist Bein von deinem Beine», wer Aseneth sei. Joseph war so gerührt, dass er ohnmächtig ward, und als er nach Hause kam, sagte er es seiner Frau, und sie weinten beide herzlich darüber.

Jakob wurde nachher viel kränker, und Joseph war wieder bei ihm. Jakob setzte seine Füße vom Lager nieder und Joseph musste die Hand unter seine Hüfte legen und ihm schwören, ihn in Kanaan zu begraben, und als er schwur, betete Jakob den Segen in Joseph an. Er wusste, dass Joseph den Segen von dem Engel empfangen hatte, der ihm selber entzogen worden war. Joseph trug diesen Segen in seiner Rechten bis zu seinem Tod. Er blieb auch in seinem Leichnam, bis er in der Nacht vor dem Auszug der Israeliten von Moses erhoben und mit den Überresten Josephs in die Lade des Bundes als das Heiligtum des auserwählten Volkes gebracht wurde.

Ein Vierteljahr nach dem Besuch starb Jakob. Es wurde nach seinem Tod über ihn von Juden und Ägyptern ein Totenurteil gehalten, worin er sehr gelobt und geliebt wurde.

Aseneth hatte dem Joseph zuerst Manasse und Ephraim und im ganzen achtzehn Kinder geboren, darunter mehrere Zwillinge. Sie starb drei Jahre vor Joseph und ward von jüdischen Frauen einbalsamiert. Solange Joseph noch am Leben war, stand ihr Leib in seinem künftigen Grabmonument. Die Ältesten des Volkes hatten aber etwas von ihren Eingeweiden an sich genommen, welches in einer kleinen Figur von Gold bewahrt wurde. Weil aber die Ägypter auch darnach trachteten, wurde es den jüdischen Hebammen anvertraut und von einer derselben am Kanal in einer verpichten Rohrbüchse im Schilfe verborgen. In der Nacht des Auszugs brachte eine Amme aus dem Stamme Asser dies Geheimnis dem Moses. Sie hieß Sara.

Joseph wurde bei seinem Tod durch Juden in Anwesenheit von Ägyptern einbalsamiert, und es geschah die Vereinigung der Leiber Josephs und Aseneths nach den Aufzeichnungen, welche Aseneth aus ihren Gesichten gemacht und den Juden zurückgelassen hatte. Auch die ägyptischen Priester und Sterndeuter, welche Joseph und Aseneth unter ihre Gottheiten aufnahmen, hatten Kenntnis von diesen Aufzeichnungen und eine Ahnung von der hohen Bedeutung und dem Segen Josephs und Aseneths für Israel, welchen Segen sie aber an sich zu reissen und Israel zu erdrücken suchten. Darum wurden die Israeliten, die nach Josephs Tod sich erstaunlich vermehrten, von Pharao so geplagt. Die Ägypter wussten auch, dass die Israeliten ohne die Gebeine Josephs nicht aus dem Land ziehen würden. Darum raubten sie die Leiche Josephs mehrmals und brachten sie zuletzt ganz in ihren Besitz. Das Volk der Juden wusste nur von der Leiche Josephs, nicht aber von dem Geheimnisse ihres Inhaltes, das nur wenigen bekannt war. Das ganze Volk aber war in großer Niedergeschlagenheit, als den Ältesten bekannt wurde, dass ihnen das Heiligtum, auf welchem die Verheißung ruhte, entwendet sei. Moses am Hofe Pharaos in aller ägyptischen Weisheit erzogen, besuchte sein Volk und kannte die Ursache seiner Trauer. Als er den Ägypter erschlug, fügte es Gott, dass er als Flüchtling zu Jethro kam, weil dieser durch seine Verbindung mit der Sibylle Segola ihm zur Entdeckung des geraubten Geheimnisses behilflich werden konnte. Moses hatte auch auf Geheiß Gottes die Sephora geheiratet, um diesen Zweig in Israel einzusammeln.

Segola war die natürliche Tochter des Pharao aus einer jüdischen Mutter und, wenngleich im ägyptischen Sterndienst erzogen, den Juden sehr zugetan. Sie war es, welche zuerst dem Moses, da er noch am Hofe erzogen wurde, entdeckt hatte, dass er kein Sohn des Pharao sei.

Aaron musste nach dem Tod seiner ersten Frau eine Tochter dieser Segola heiraten, damit die Vertrautheit der Mutter mit den Israeliten um so größer wurde. Die Kinder dieser Ehe zogen mit den Israeliten aus. Aaron aber musste sich wieder von ihr scheiden, damit das aaronische Priestertum aus rein jüdischem Stamme entspringen konnte. Die von Aaron geschiedene Tochter Segolas, heiratete wieder und ihre Nachkommen wohnten zur Zeit unseres Heilands zu Abila, wohin ihre Mumie durch sie gebracht worden war.

Segola war sehr erleuchtet und vermochte sehr viel beim Pharao. Sie hatte an der Stirne eine Erhöhung, wie solche oft in alter Zeit prophetische Menschen an sich hatten. Sie war vom Geist getrieben, den Israeliten viele Vergünstigungen und Geschenke zu verschaffen.

In der Nacht, da in Ägypten der Engel des Herrn die Erstgeburt schlug, ging Segola verhüllt mit Moses, Aaron und drei anderen Israeliten nach zwei Grabhügeln, welche durch einen Kanal getrennt, aber mit einer Brücke verbunden waren. Der Kanal mündete zwischen Memphis und Gosen in den Nil. Der Eingang in das Grabmonument lag unter der Brücke tiefer als der Wasserspiegel, zu welchem von der Brücke Stufen hinabführten. Segola ging mit Moses allein hinab und warf den Namen Gottes auf einem Zettel in das Wasser, welches nun wich und den Eingang in das Monument freilegte. Sie stießen an den Stein, der die Pforte bildete und nach Innen sich öffnete. Nun riefen sie auch die anderen zu sich herab. Hier band ihnen Moses die Hände mit seiner Stola zusammen und ließ sie schwören, das Geheimnis zu bewahren. Nach dem Eide band er ihre Hände los. Nun gingen alle in das Grabgewölbe, wo sie Licht hervorzogen. Man sah noch allerlei Gänge und Totenbilder drin stehen.

Der Leib Josephs und die mit ihm vereinigten Überreste von Aseneth lagen in einem ägyptischen Stiersarg von Metall, der wie gescheuertes Gold glänzte. Sie hoben den Rücken, welcher den Deckel bildete, ab. Moses nahm das Geheimnis aus dem hohlen Leib Josephs, hüllte es in Tücher und reichte es Segola, die es vor sich mit ihrem Gewand verhüllend trug. Die übrigen Gebeine wurden auf einem Steine mehr zusammengeschoben, in Tücher eingeschlagen und von den Männern fortgetragen. Nun, da sie das Heiligtum hatten, konnte Israel aus dem Land ziehen. Segola weinte, Israel war voll Freude.

Moses verbarg in der Spitze seines Stabes, die gelblich von der Gestalt einer Mispel und mit Blättern umgeben war, eine Reliquie vom Leib Josephs. Dieser Stab war ein anderer, als der Hirtenstab, den Moses vor Gott zu Boden werfen musste, wo er in eine Schlange sich verwandelte. Er war ein Rohr, aus welchem die obere und untere Spitze heraus- und hineingeschoben werden konnte. Mit der unteren Spitze, welche mir von Metall schien und die Form eines spitzen Stiftes hatte, berührte Moses den Felsen, als schreibe er Worte auf ihn. Der Fels öffnete sich unter der Spitze und Wasser drang hervor. Auch wo Moses mit der Spitze seines Stabes auf den Sand Zeichen machte, floss Wasser heraus. Der mispelförmige oberste Teil des Rohrstabes konnte aus- und eingeschoben werden, und vor ihm teilte sich das Rote Meer.

Von Josephs Tod bis auf den Auszug Israels aus Ägypten sind es etwa hundertsiebzig Jahre nach unserer Art zu rechnen. Sie hatten dort eine andere Rechnung, andere Wochen und Jahre. Es ist mir dies oft erklärt worden; allein ich kann es nicht wiederholen.

Solange die Israeliten in Ägypten lebten, hatten sie statt eines Tempels nur Zelte. Sie richteten Steine auf, gossen Öl darüber, opferten Getreide und Lämmer, sangen und beteten.

17. Die Arche des Bundes

Noch in derselben Nacht, da Moses das Heiligtum an sich gebracht, wurde der sargähnliche goldene Kasten hergerichtet, in welchem sie bei dem Auszug das Heiligtum mit sich führten. Er musste so groß sein, dass ein Mensch darin ruhen konnte. Denn es sollte eine Kirche werden und ein Leib. Es war in der Nacht, da sie die Türen mit Blut bezeichneten. Ich dachte bei ihrer schnellen Arbeit an dem Kasten an das heilige Kreuz, das auch so eilends in der Nacht vor dem Tod Jesu gezimmert wurde. Der Kasten war von Goldblech und von der Figur eines ägyptischen Mumiensarges. Er war oben breiter als unten, und hatte oberhalb das Bild eines mit Strahlen umgebenen Angesichtes. An den Seiten waren die Armslängen und die Lage der Rippen angedeutet.

In diesen Sargkasten wurde, etwa in der Mitte seiner Länge, ein goldenes Kästchen hineingestellt, welches das von Segola aus dem Grabgewölbe getragene Heiligtum enthielt. In den untersten Teil kamen heilige Gefäße und die Becher der Patriarchen, welche Abraham von Melchisedech empfangen und mit dem Segen auf die Erstgebornen vererbt hatte. Dies war der erste Inhalt und die erste Gestalt der Lade des Bundes, welche mit einer roten und darüber mit einer weißen Decke verhüllt wurde.

Erst am Berge Sinai wurde die hölzerne in- und auswendig übergoldete Lade verfertigt, in welche der goldene Mumiensarg mit dem Heiligtum hineingestellt wurde. Er reichte ungefähr bis zur halben Höhe der Lade herauf und war nicht so lang wie die Lade, denn an seinem oberen und unteren Ende war noch Raum für zwei kleinere Behälter, in welchen sich Reliquien von Jakob und Josephs Familie befanden und wohin später auch der Stab Aarons kam. Als die Bundeslade im Tempel auf Sion aufgestellt wurde, wurde sie im Inneren verändert, indem der goldene Mumiensarg herausgenommen und mit einer ähnlichen kleineren Figur von weißer Masse vertauscht wurde.

Ich habe schon als Kind die Bundeslade oft gesehen und alles was in ihr und über ihr war, und wie immer mehr in sie hineinkam. Sie legten alle größeren Heiligtümer hinein, welche sie erhielten. Sie muss aber nicht sehr schwer gewesen sein, denn sie konnte leicht getragen werden.

Die Lade war länger als breit und ebenso hoch als breit. Sie hatte unten eine vorspringende Fußleiste. Ihr oberer Teil war mit einer einhalben Elle breiten kunstreichen Goldverzierung eingefasst von verschiedenen Farben, Blumen, Schnörkeln, Angesichtern, Sonnen und Sternen. Alles war prächtig, doch nicht sehr hervorspringend gearbeitet und reichte mit seinen Spitzen und Blättern nur wenig über den oberen Rand der Lade hinaus. Unterhalb dieser Einfassung waren an den Ecken der zwei Langseiten Ringe, wodurch die Tragstangen gesteckt wurden. Der übrige Teil der Lade war mit allerlei Figuren von verschiedenfarbigem Sittimholz in Gold sehr schön eingelegt.

In der Mitte der Lade war eine kleine, nicht bemerkbare Türe, damit der Hohepriester, wenn er allein im Allerheiligsten war, das Heiligtum zum Segnen und Weissagen aus der Lade nehmen und wieder hineintun konnte. Diese Türe schob sich in zwei Teile rechts und links nach innen und war so groß, dass der Hohepriester gut in das Innere der Lade greifen konnte. Wo die Tragstangen über die Türe liefen, waren sie leicht ausgebogen. Wurden die beiden Türen zurückgeschoben, so ging auch der goldene Behälter, worin das Heiligtum mit feinen Tüchlein umgeben bewahrt wurde, wie ein Buch auf, das aufgeschlagen wird.

Über dem Deckel der Lade erhob sich der Gnadenthron. Es war dies eine hohle, auch mit Goldblech überzogene Platte, in der heilige Gebeine lagen. Sie war so groß, wie der Deckel und nur wenig über denselben vorspringend. An ihren beiden Breitseiten war sie je mit vier Schrauben aus Sittimholz, welche in die Lade gingen, so über dem Deckel befestigt, dass man dazwischen durchsehen konnte. Die Schrauben hatten oben goldene Fruchtknöpfe. Die vier äußeren Schrauben fassten in die vier Ecken der Lade, die vier inneren gingen in das Innere. An jeder Breitseite des Gnadenthrones war ein Ausschnitt, in welchem je ein goldener Cherubim von der Größe eines Knaben befestigt war. In der Mitte des Gnadenthrones aber war eine runde Öffnung, durch welche ein Rohr durch den Deckel in die Lade führte. Man konnte es zwischen Gnadenstuhl und Deckel sehen. Diese Öffnung war mit einem goldenen Korbe, wie mit einer Krone umgeben, welche oben durch Querspangen an eine Stange schloss, welche von dem Heiligtum im Innern der Lade durch das Rohr und die Krone emporstieg und in sieben Spitzen, wie die Blätter einer Blume auslief. An diese Stange fassten untereinander die rechte Hand des einen und die linke des andern Cherub, während hinter der Stange der rechte Flügel des einen und der linke des anderen sich ausgebreitet berührten. Die beiden anderen Flügel legten sie nur wenig ausgebreitet über ihre Schultern, ohne sich zu berühren und ließen von der Vorderseite der Lade die Ansicht der Krone in der Mitte der Tafel frei. Unter diesen Flügeln streckten sie die Arme mit warnender Hand vor. Die Cherubim knieten nur mit einem Beine in dem Ausschnitt der Tafel, das andere hielten sie schwebend ausgestreckt. Ihr Angesicht war mit dem Ausdruck der Bewegtheit nach außen gewendet, als tragen sie heilige Scheu vor dem Glanz um die Krone. Sie trugen nur um die Mitte des Leibes ein Gewand. Auf weiteren Zügen wurden sie von der Lade abgenommen und besonders getragen.

Ich sah, dass oben auf den wie Blumenblätter sich ausbreitenden Spitzen der Stange Lichter oder Flammen brannten, welche die Priester anzündeten. Es war eine braune Masse, ich meine ein heiliges Harz, das sie dazu gebrauchten. Sie hatten es in Büchsen. Ich habe aber auch oft gesehen, dass aus der Krone große Lichtstrahlen an der Stange hinaufschossen und ähnliche Ströme vom Himmel in die Krone hinein, und dass auch seitwärts Lichtstrahlen in feinen Fäden hervorbrachen und dadurch anzeigten, wohin zu ziehen sei.

An dem unteren Teile der Stange im Inneren der Lade waren Haken, von denen der goldene Behälter mit dem Heiligtum und über demselben die beiden Gesetztafeln schwebend gehalten wurden. Vor dem Heiligtum hing, ohne den Boden der Lade zu berühren, ein goldenes geripptes Gefäß, mit Manna gefüllt. Wenn ich seitwärts in die Lade sah, konnte ich vor demselben den Altar, das Heiligtum, nicht erblicken. Ich erkannte die Lade des Bundes immer als eine Kirche und das Heiligtum als den Altar mit dem heiligsten Sakrament, und so sah ich dann das Gefäß mit Manna als die Lampe vor dem Altare an. Ging ich als Kind in die Kirche, so habe ich mir immer dies und jenes nach der Bundeslade erklärt, und das Geheimnis in ihr war mir das, was bei uns das heiligste Sakrament ist. Nur war es mir nicht so gnadenvoll, sondern strenge und ernst. Es machte mir einen mehr finstern, schauerlichen Eindruck, aber doch einen sehr heiligen, geheimnisvollen. Es war mir immer, als sei in der Bundeslade alles, was heilig und all' unser Heil sei in ihr, wie in einem Knäuel eingewickelt und wie im Werden. Das Heiligtum in der Lade aber sei das Geheimste. Es schien mir die Grundlage des heiligsten Altarsakramentes und dieses seine Erfüllung. Ich kann es nicht aussprechen. Es war das Geheimnis so verborgen, wie Jesus bei uns im heiligsten Sakrament. Ich fühlte, dass nur wenige Hohepriester wussten, was es war, und dass nur die Frommen aus ihnen auf höhere Erleuchtung es kannten und gebrauchten. Vielen war es unbekannt, und sie gebrauchten es nicht, wie uns so viele Gnaden und Wunder der Kirche unbekannt und verloren werden, und wie unser ganzes Heil verlorengehen würde, wenn es auf menschliche Verstandeskräfte und Willen gebaut wäre. Es ist aber auf den Felsen gebaut.

Der Zustand und die Blindheit der Juden kommt mir immer zum Weinen traurig vor, da sie doch alles im Keime gehabt, aber die Frucht nicht erkennen wollen. Zuerst hatten sie das Geheimnis: es war das Zeugnis, die Verheißung, darauf kam das Gesetz und dann die Gnade. Als ich den Herrn in Sichar lehren sah, fragten ihn die Leute, wo denn das Geheimnis der Bundeslade hingekommen sei. Er antwortete ihnen, davon hätten die Menschen vieles empfangen und es sei nun in sie übergegangen. Daraus allein schon, dass es nicht mehr da sei, wäre zu erkennen, dass der Messias geboren sei.

Ich sah das Geheimnis, das Heiligtum in einer Form, in einer Art Hülle als einen Inhalt, ein Wesen, eine Kraft. Es war Brot und Wein, Fleisch und Blut, es war der Keim des Segens vor dem Sündenfall. Es war das sakramentalische Dasein der vorsündlichen Fortpflanzung, welches den Menschen in der Religion bewahrt wurde und ihnen durch Frömmigkeit eine immer mehr sich reinigende Stammlinie möglich machte, die in Maria endlich vollendet wurde, um den lang ersehnten Messias aus dem Heiligen Geist zu empfangen. Noe, der den Weinberg pflanzte, hatte die Zubereitung, hierin aber war schon die Versöhnung und der Schutz. Abraham hatte es empfangen in jenem Segen, den ich ihm als eine Sache, eine Wesenheit übergeben sah. Es blieb ein Familiengeheimnis. Daher das große Vorrecht der Erstgeburt.

Vor dem Auszug aus Ägypten empfing Moses das Geheimnis wieder, und so wie es zuvor das Religionsgeheimnis der Familien gewesen war, so ward es jetzt das Geheimnis des ganzen Volkes. Es trat in die Bundeslade, wie das heiligste Sakrament in den Tabernakel und die Monstranz.

Als die Kinder Israels das goldene Kalb anbeteten und in große Verirrung gerieten, zweifelte Moses an der Kraft des Heiligtums und wurde gestraft, nicht in das Gelobte Land einzugehen. Wenn die Bundeslade in die Gewalt der Feinde fiel, so wurde, wie in jeder Gefahr, das Geheimnis als der Vereinigungspunkt von Israel von dem Hohenpriester herausgenommen. Und dennoch blieb die Lade so heilig, dass die Feinde durch Strafen Gottes gezwungen wurden, dieselbe zurückzugeben. Nur wenige kannten das Geheimnis und seine Teilhaftwerdung. Oft verdarb ein Mensch den daraus empfangenen Strahl zur reinen Stammlinie des Messias wieder durch Verunreinigung, und die Annäherung des Heilands oder vielmehr des reinen Gefäßes, das ihn aus Gott empfangen sollte, ward dadurch der Menschheit lange hinaus verzögert. Aber sie konnten durch Buße sich wieder reinigen.

Ich weiß nicht bestimmt, ob bei dem Inhalt dieses Sakraments nur eine göttliche Grundlage und eine übernatürliche priesterliche Füllung durch eine Art Konsekration stattfand, oder ob es ganz und unmittelbar sich aus Gott herstellte. Doch glaube ich das erstere. Denn ich weiß gewiss, dass Priester es oft zurücksetzten und das Heil verhinderten und dafür schwer, ja mit dem Tode bestraft wurden. Wenn das Geheimnis wirkte und das Gebet erhört ward, so leuchtete es, so wuchs es und schimmerte rötlich durch die Hülle. Der Segen mehrte und minderte sich in verschiedenen Zeiten nach der Andacht und Reinheit der Menschen. Durch Gebet, durch Opfer und Buße schien er zu wachsen.

Vor dem Volke sah ich es nur bei dem Durchgang durch's Rote Meer und bei derAnbetung des Goldenen Kalbes von Moses gebraucht, aber verhüllt. Es wurde aus dem goldenen Behälter von ihm herausgenommen und so überdeckt wie das heiligste Sakrament am Karfreitag, und ebenso getragen oder vor der Brust gehalten zum Segen oder zum Bann, als wirke es in die Ferne. Moses hat dadurch viele Israeliten an sich gehalten und von Abgötterei und dem Tod errettet.

Ich sah aber öfter, dass der Hohepriester es allein, wenn er im Allerheiligsten war, gebrauchte und es nach einer Seite hin bewegend, wie eine Gewalt, einen Schutz, ein Abhalten hervorbrachte, oder einen Segen, eine Erhörung, eine Wohltat, eine Strafe. Er fasste es nicht mit bloßen Händen an.

Das Heiligtum wurde von ihm zu heiligen Zwecken auch in Wasser getaucht, und dieses Wasser als ein Segen zum Trinken gereicht. Die Prophetin Debbora, Hanna, die Mutter Samuels in Silo und Emerentia, die Mutter der hl. Anna, tranken von diesem Wasser. Durch diesen heiligen Trank war Emerentia zur Empfängnis der hl. Anna vorbereitet. Die hl. Anna trank nicht von diesem Wasser. Der Segen war in ihr.

Joachim empfing durch einen Engel das Geheimnis aus der Bundeslade. Und so wurde Maria unter der goldenen Pforte des Tempels empfangen und mit ihrer Geburt ist sie selber die Lade des Geheimnisses geworden. Der Zweck desselben war erfüllt und die hölzerne Lade im Tempel war nun ohne Heiligtum.

Als Joachim und Anna unter der goldenen Pforte sich begegneten, umgab sie Licht und Glanz, und die heilige Jungfrau ward ohne Erbsünde empfangen. Es war ein wunderbares Tönen um sie, wie eine Stimme Gottes.

Dies Geheimnis der unbefleckten Empfängnis Mariä in Anna können die Menschen nicht fassen, und darum bleibt es ihnen verborgen.

Die Geschlechtslinie Jesu hatte den Keim des Segens zu der Menschwerdung Gottes empfangen. Jesus Christus aber setzte das Sakrament des neuen Bundes als die Frucht, als die Erfüllung desselben ein, um die Menschen wieder mit Gott zu vereinen.

Als Jeremias bei der babylonischen Gefangenschaft die Bundeslade am Berg Sinai mit anderen heiligen Sachen verbergen ließ, war das Geheimnis nicht mehr darin. Nur die Hüllen desselben wurden mit der Bundeslade durch ihn vergraben. Er kannte seinen Inhalt und seine Heiligkeit und wollte davon offen, wie auch von den Gräueln seiner Misshandlung zum Volke sprechen. Aber Malachias hielt ihn davon ab und nahm das Geheimnis an sich. Durch ihn kam es nachmals an die Essener und durch einen Priester wieder in die nachgemachte Bundeslade. Malachias war wie Melchisedech ein Engel, ein Gesandter Gottes. Ich sah ihn nicht als einen gewöhnlichen Menschen. Er erschien als Mensch wie Melchisedech, nur abweichend von diesem, sowie es für seine Zeit angemessen war. Kurz nach Daniels Abführung nach Babyion sah ich ihn gleich einem verirrten, etwa siebenjährigen Knaben in einem rötlichen Gewand mit einem Stab in der Hand zu einem frommen Ehepaare nach Sapha im Stamme Zabulon kommen. Sie hielten ihn für ein von den weggeführten Israeliten verlorenes Kind und behielten ihn bei sich. Er war sehr lieblich, übermenschlich geduldig und sanft, dass ihn alle liebten, und er ohne Widerspruch lehren und handeln konnte. Er hatte vielen Verkehr mit Jeremias und hat ihm in größten Gefahren mit Rat geholfen. Er war es auch, durch den Jeremias aus dem Kerker in Jerusalem befreit wurde.

Die von Jeremias am Sinai verborgene alte Bundeslade ist nicht mehr aufgefunden worden. Die nachgemachte Bundeslade war nicht mehr so schön, und es war nicht mehr alles in ihr. Der Stab Aarons kam zu den Essenern auf Horeb, wo auch ein Teil des Heiligtums bewahrt wurde. Das Geschlecht, das Moses zur näheren Behütung der Bundeslade bestellt hatte, bestand bis in die Zeit des Herodes.

Am Jüngsten Tage wird alles erscheinen, und da wird das Geheimnis erklärt werden zum Schrecken aller, die es missbraucht haben.

DIE ALLERSELIGSTE JUNGFRAU

1. Abstammung, Geburt und Vermählung der heiligen Anna

Die Voreltern der heiligen Anna waren Essener. Diese wunderbar frommen Leute rührten von den Priestern her, welche in der Zeit von Moses und Aaron die Arche trugen und erhielten in der Zeit von Isaias und Jeremias ihre bestimmtere Ordnung. Es waren ihrer anfangs nicht sehr viele. Sie wohnten aber nachher im Gelobten Land in Versammlungen, 48 Meilen in die Länge und 36 in die Breite, und kamen erst später in die Gegend des Jordan. Sie wohnten hauptsächlich am Berg Horeb und Karmel.

In der ersten Zeit, ehe Isaias sie sammelte, lebten diese Leute als fromme, sich abtötende Juden zerstreut. Sie trugen immer dieselben Kleider und flickten sie nicht, bis sie ihnen vom Leibe fielen. Sie lebten in der Ehe, aber sehr enthaltsam. Mit gegenseitiger Einwilligung trennten sich oftmals Mann und Frau und lebten in entfernten Hütten. Sie aßen auch abgesondert, zuerst der Mann und wenn er sich entfernt hatte, die Frau. Schon damals waren Leute von den Vorfahren Annas und anderer heiligen Familien unter ihnen. Aus ihnen stammten jene, die man Prophetenkinder nannte. Sie wohnten in der Wüste und um den Berg Horeb. Auch in Ägypten gab es sehr viele. Ich habe auch gesehen, dass sie durch Krieg eine Zeit lang vom Berge Horeb vertrieben waren, aber von ihren Oberhäuptern wieder gesammelt wurden. Die Makkabäer waren auch unter ihnen. Sie waren große Verehrer des Moses und hatten ein Kleidungsstück von ihm, das er Aaron gegeben, und von dem es auf sie gekommen war. Es war für sie ein großes Heiligtum, und ich habe ein Bild gehabt, wo an fünfzehn von ihnen in Verteidigung dieses Heiligtums umgekommen sind. Ihre Häupter hatten Wissenschaft von dem Geheimnis der Bundeslade.

Jene von ihnen, welche unverehelicht blieben, bildeten eine eigene Gesellschaft, wie einen geistlichen Orden, und wurden bis zur Aufnahme jahrelang geprüft. Sie wurden von ihrem Oberhaupt auf höhere prophetische Eingebungen für längere oder kürzere Zeit aufgenommen. Die verehelichten Essener, welche eine strenge Zucht unter ihren Kindern und Hausgenossen hielten standen zu dem eigentlichen Essener-Orden in einem ähnlichen Verhältnis wie die Tertiaren des heiligen Franziskus zu dem Franziskaner-Orden. Sie holten sich in allem Rat bei ihrem geistlichen Oberhaupt auf Horeb.

Die ehelosen Essener waren von einer unbeschreiblichen Frömmigkeit und Reinheit. Sie trugen lange weiße Kleider, die sie sehr reinlich hielten. Sie nahmen Kinder zur Erziehung auf. Um ein Mitglied ihres strengen Ordens zu werden, musste man vierzehn Jahre alt sein. Leute von bewährter Frömmigkeit wurden nur ein Jahr geprüft - andere zwei Jahre. Sie lebten ganz jungfräulich und enthaltsam, hatten keine Art von Handel. Was sie brauchten, tauschten sie gegen Produkte des Ackerbaues. Wenn sich einer schwer versündigte, wurde er ausgestoßen, und ihrem Bann folgte eine Kraft, wie dem Bannspruch des heiligen Petrus gegen Ananias: sie starben. Das Oberhaupt wusste auf prophetische Weise, wer gesündigt hatte. Ich sah auch welche, die nur büßten und z. B. in einem steifen Rock mit ausgebreiteten unbiegsamen Ärmeln stehen mussten, der inwendig voll Stacheln war.

An dem Berge Horeb hatten sie ihre Höhlenzellen, und an eine größere Höhle war von Flechtwerk ein großer Versammlungssaal angebaut, wo sie um die elfte Stunde zum Mahl zusammenkamen. Jeder hatte ein kleines Brot und einen kleinen Becher vor sich. Das Oberhaupt ging von Stelle zu Stelle und segnete einem jeden sein Brot. Nach dem Essen kehrten sie in ihre einzelnen Zellen zurück. In diesem Saal war ein Altar, auf welchem geweihte Brote lagen. Sie waren bedeckt und zur Verteilung an die Armen bestimmt. Sie hatten sehr viele zahme Tauben, die sie aus der Hand fütterten. Sie aßen Tauben, hatten aber auch religiöse Handlungen mit ihnen, indem sie etwas über sie sprachen und sie fliegen ließen. Auch sah ich, dass sie Lämmer in die Wildnis laufen ließen, über die sie etwas ausgesprochen hatten.

Ich sah, dass sie alle Jahre dreimal nach Jerusalem zum Tempel gingen. Sie hatten auch Priester unter sich, denen besonders die Besorgung der heiligen Kleider zukam, die sie reinigten, zu denen sie beisteuerten und zu denen sie auch neue bereiteten. Ich sah sie Ackerbau, Viehzucht und besonders Gartenbau treiben. Der Berg Horeb war zwischen ihren Hütten voll von Gärten und Obstbäumen. Auch sah ich viele weben, flechten und Priesterkleider sticken. Die Seide sah ich sie nicht selbst gewinnen. Sie kam in Bündeln zum Verkauf, und sie tauschten sie gegen Produkte ein.

In Jerusalem hatten sie eine eigene Wohngegend und auch im Tempel einen besonderen Ort. Die anderen Juden mochten sie nicht recht leiden. Ich sah sie zum Tempel auch Opfergaben senden, wie große Trauben, welche zwei Leute zwischen sich an einer Stange trugen. Auch Lämmer, welche aber nicht geschlachtet wurden, sondern die man laufen ließ. Ich sah nicht, dass sie blutige Opfer brachten. Vor der Abreise zum Tempel bereiteten sie sich durch Gebet, strenges Fasten, Geißelung und andere Bußwerke. Wer mit ungebüßter Sünde zum Tempel zog, fürchtete plötzlich sterben zu müssen, was manchmal geschah. Trafen sie auf dem Wege zum Tempel einen Kranken oder Hilflosen, so gingen sie nicht weiter, bis sie ihm auf irgend eine Art geholfen hatten. Ich sah sie Kräuter sammeln und Tränke bereiten, und dass sie Kranke durch Auflegung der Hände heilten, oder indem sie sich mit ausgebreiteten Armen ganz über dieselben ausstreckten. Auch sah ich, dass sie in die Entfernung heilten. Kranke, welche nicht selber kommen konnten, sendeten einen Stellvertreter, an welchem alles geschah, was der Kranke zur Heilung bedurfte, und es fand sich, dass er zur selben Stunde genesen war.

Zur Zeit der Großeltern Annas war ihr Oberhaupt ein Prophet Namens Archos. Er hatte Gesichte in der Höhle des Elias auf Horeb, welche sich auf die Ankunft des Messias bezogen. Er wusste um das Geschlecht, aus dem der Messias kommen würde. Wenn Archos den Voreltern Annas über ihre Nachkommen weissagte, sah er auch, wie die Zeit sich nahte. Die Störung und Unterbrechung, das Verzögertwerden durch Sünde wusste er nicht, und nicht, wie lange es noch währen sollte, aber er ermahnte zu Buße und Opfer.

Der Großvater Annas, ein Essener, hieß vor seiner Vermählung Stolanus. Durch seine Frau und deren Güter erhielt er den Namen Garescha oder Sarziri. Die Großmutter Annas war von Mara in der Wüste und hieß Moruni oder Emorun d. i. erhabene Mutter. Sie vermählte sich mit Stolanus auf Geheiß des Propheten Archos, welcher gegen neunzig Jahre das Oberhaupt der Essener und ein sehr heiliger Mann war, bei dem sie vor der Vermählung sich immer berieten, um nach seinen Weisungen ihre Wahl zu treffen. Wunderbar erschien mir, dass diese prophetischen Oberhäupter immer auf weibliche Nachkommenschaft weissagten, und dass die Voreltern Annas und Anna selbst immer Töchter hatten. Es war, als sei ihrem heiligen Dienste die religiöse Heranbildung der reinen Gefäße obgelegen, welche heilige Kinder empfangen sollten: den Vorläufer, den Herrn selber, Apostel und Jünger.

Ich sah, wie Emorun vor ihrer Vermählung zu Archos kam. Sie hatte. an dem Versammlungssaal auf Horeb in einen abgesonderten Raum einzutreten und wie durch das Gitter eines Beichtstuhles mit dem Oberhaupte zu sprechen. Darnach ging Archos auf vielen Stufen zur Spitze des Berges, wo die Höhle des Propheten Elias sich befand. Der Eingang war klein und führte einige Stufen abwärts. Die Höhle war reinlich ausgearbeitet. Das Licht fiel durch eine Öffnung in der Wölbung. Ich sah an der Wand einen kleinen Altar von Stein und auf demselben die Rute Aarons und einen glänzenden Kelch wie aus einem Edelstein. In diesem Kelch lag ein Teil von dem Geheimnis der Bundeslade. Die Essener hatten dasselbe erhalten, als einmal die Lade des Bundes in Feindes Gewalt gekommen war. Die Rute Aarons stand in einem Bäumchen mit schneckenförmig gewundenen, gelblichen Blättern wie in einem Futteral. Ich kann nicht sagen, ob dies Bäumchen lebendig oder ein Kunstwerk wie eine Wurzel Jesse war. Hatte das Oberhaupt wegen einer Verehelichung zu beten, so nahm er die Rute Aarons in die Hand. Diese trieb, wenn die Verehelichung zur Stammlinie Mariä beitragen sollte, eine Sprosse, aus der eine oder mehrere Blüten mit den Zeichen der Auserwählung hervorbrachen. Die Voreltern Annas waren so bestimmte Sprossen dieser Stammeslinie und ihre auserwählten Töchter waren durch solche Zeichen vorgestellt worden, welche weiter aufblühten, wenn eine Tochter zur Ehe schreiten sollte. Das Bäumchen mit den gewundenen Blättern war gleich wie der Stammbaum, wie die Wurzel Jesse, woran zu erkennen war, wie weit die Herannahung Mariä schon gediehen. Es standen auch niedrige Kräuterbüschchen in Töpfen auf dem Altare, welche durch Grünen und Welken auch etwas anzudeuten hatten. Rings an den Wänden sah ich vergitterte Räume, worin alte heilige Gebeine sehr schön in Seide und Wolle gehüllt bewahrt wurden. Es waren Gebeine von Propheten und heiligen Israeliten, die auf dem Berge und in der Umgebung gelebt hatten. Auch in den Zellenhöhlen der Essener sah ich solche Gebeine, vor denen sie beteten, Blumen aufstellten und Lampen anzündeten.

Archos war ganz auf die Art des Hohenpriesters am Tempel gekleidet, da er in der Höhle betete. Seine Kleidung bestand aus etwa acht Teilen. Zuerst nahm er das Brustgewand, eine Art breiten Skapuliers, das Moses auf bloßem Leib getragen. Es hatte in der Mitte eine Öffnung für den Hals und fiel in gleicher Länge über Brust und Rücken. Über diesem Brustkragen trug er eine weiße Albe von gezwirnter Seide, welche mit einem breiten Cingulum, wie auch die über der Brust gekreuzte und bis an die Knie reichende breite Stola gegürtet wurde. Darüber legte er eine Art Messgewand an von weißer Seide, das nach hinten bis zur Erde reichte und zwei Glöcklein am unteren Saum hatte. Um das Halsloch war ein stehender Kragen, nach vorne mit Knöpfen geschlossen. Sein Bart lag über dem Kinn gescheitelt auf diesem Kragen auf. Zuletzt legte er ein kleines schimmerndes Mäntelchen von weißer ungezwirnter Seide um, das vorne durch drei Krampen mit Steinen, worauf etwas eingeschnitten war, geschlossen wurde. Auch von den beiden Schultern war vorne gegen die Brust laufend eine Reihe von sechs Edelsteinen befestigt, in welche ebenfalls Zeichen eingegraben waren. Auf der Mitte des Rückens war ein Schild befestigt, auf welchem Buchstaben eingeschnitten waren. An diesem Mantel waren auch Fransen, Quasten und Früchte. Er trug außerdem an dem einen Arme eine kurze Manipel, die Kopfbedeckung war von weißer Seide, rundgewulstet, wie ein Turban. Oben hatte sie Erhabenheiten und einen Busch von Seide, vor der Stirne eine goldene Platte mit Edelsteinen.

Archos betete auf die Erde geworfen vor dem Altar. Ich sah, dass er ein Gesicht empfing, wie aus Emorun ein Rosenstock mit drei Zweigen hervorwachse. An jedem war eine Rose und die des zweiten Zweiges war mit einem Buchstaben bezeichnet. Auch sah er einen Engel Buchstaben an die Wand zeichnen. Darnach erklärte Archos der Emorun, dass sie heiraten solle und zwar ihren sechsten Freier, und dass sie ein auserwähltes Kind mit einem Zeichen gebären werde, das ein Gefäß der herannahenden Verheißung sein werde. Der sechste Freier war Stolanus. Die Vermählten wohnten nicht lange in Mara, sondern zogen später nach Ephron. Doch sah ich auch noch ihre Töchter Emerentia und Ismeria mit Archos sich beraten, der ihnen den Ehestand befahl, weil sie mitwirkende Gefäße der Verheißung seien. Die älteste Tochter Emerentia ehelichte einen Leviten mit Namen Aphras und wurde Mutter der Elisabeth, welche Johannes den Täufer gebar. Eine dritte Tochter hieß Enue. Ismeria war die zweitgeborene Tochter von Stolanus und Emorun. Sie hatte bei ihrer Geburt jenes Zeichen an sich, das Archos an der Rose des zweiten Zweiges in seinem Gesichte über Emorun erblickt hatte. Ismeria verehelichte sich mit Eliud aus dem Stamme Levi. Sie waren reich. Ich sah dies an ihrer großen Wirtschaft. Sie hatten viele Herden, aber sie hatten nichts für sich, sie gaben alles den Armen. Sie wohnten in Sephoris vier Stunden von Nazareth, wo sie ein Gut besaßen. Sie hatten aber auch ein Besitztum im Tal Zabulon, wohin sie in der schönen Jahreszeit mit ihrer Familie sich begaben und wo Eliud nach dem Tod der Ismeria seinen bleibenden Wohnsitz nahm. In demselben Tal hatte sich auch der Vater Joachims mit seiner Familie niedergelassen.

Die hohe Zucht und Enthaltsamkeit von Stolanus und Emorun war auch auf Ismeria und Eliud übergegangen. Die erste Tochter, welche Ismeria gebar, erhielt den Namen Sobe. Diese Sobe ehelichte später einen Salomo und ward Mutter der Maria Salome, welche mit Zebedäus sich vermählte und die späteren Apostel Jakobus Major und Johannes gebar. Da Sobe bei ihrer Geburt das Zeichen der Verheißung nicht an sich trug, so wurden die Eltern sehr bekümmert und reisten nach Horeb zu dem Propheten, der sie zu Gebet und Opfer ermahnte und ihnen Trost verhieß. Sie blieben gegen achtzehn Jahre bis zur Empfängnis der Anna unfruchtbar. Dann hatten beide Eheleute auf ihrem Lager in der Nacht Gesichte. Ismeria sah einen Engel Buchstaben neben sich an die Wand schreiben. Sie erzählte es ihrem Manne, der das gleiche gesehen, und beide erblickten beim Erwachen das Zeichen an der Wand. Es war wieder der Buchstabe M, welchen Anna bei ihrer Geburt auf der Magengegend mit zur Welt brachte.

Die Eltern hatten Anna besonders lieb. Ich sah Anna als Kind. Sie war nicht besonders schön, aber doch schöner, als andere. So schön wie Maria war sie bei weitem nicht, aber ungemein einfältig, kindlich und fromm. So habe ich sie alle Zeit gesehen, als Jungfrau, als Mutter und altes Mütterchen, so dass, wenn ich eine recht kindliche, alte Bauernfrau sah, ich immer denken musste, diese ist wie Anna.

Anna ward in ihrem fünften Jahre nach dem Tempel gebracht, wie später Maria. Sie lebte zwölf Jahre am Tempel und wurde in ihrem siebzehnten Jahre wieder nach Hause gesendet. Inzwischen hatte ihre Mutter eine dritte Tochter, namens Maraha geboren, und Anna fand bei ihrer Rückkehr auch ein Söhnlein ihrer älteren Schwester Sobe, Namens Eliud, im elterlichen Hause. Maraha bekam später das elterliche Gut bei Sephoris und wurde die Mutter der späteren Jünger Arastaria und Cocharia. Der junge Eliud wurde der zweite Mann der Witwe Maroni von Naim.

Ein Jahr darauf wurde Ismeria krank und starb. Auf dem Sterbelager ließ sie alle Hausgenossen vor sich kommen, ermahnte sie und stellte ihnen Anna als künftige Hausmutter vor. Mit Anna aber sprach sie noch allein, dass sie heiraten müsse, indem sie ein Gefäß der Verheißung sei. Ungefähr anderthalb Jahre darnach, in ihrem neunzehnten Jahre, heiratete Anna den Heli oder Joachim, und zwar auch auf eine geistliche Weisung des Propheten. Sie hätte eigentlich einen Leviten aus dem Stamme Aarons heiraten müssen, wie ihr ganzes Geschlecht, aber wegen der Nähe des Heiles musste sie Joachim aus dem Stamme Davids ehelichen. Denn Maria sollte aus dem Stamme Davids sein. Sie hatte mehrere Freier und kannte Joachim noch nicht - allein sie wählte ihn auf höhere Weisung.

Joachim war arm. Er war mit dem heiligen Joseph verwandt. Der Großvater Josephs stammte aus David durch Salomo und hieß Mathan. Er hatte zwei Söhne: Joses und Jakob. Dieser war der Vater Josephs. Als Mathan starb, heiratete seine Witwe einen zweiten Mann Namens Levi, der aus David durch Nathan stammte, und von diesem Levi gebar sie Mathat, den Vater Helis oder Joachims. Joachim war ein kleiner, breiter, hagerer Mann. Der heilige Joseph war in seinem Alter noch sehr schön gegen ihn. Er war aber von Betragen und Gemüt ein ganz herrlicher Mensch. Er hatte wie Anna etwas sehr Besonderes. Beide waren zwar ganz jüdisch. Es war etwas in ihnen, was sie selbst nicht kannten, ein Sehnen und Erwarten, ein wunderbarer Ernst. Ich habe beide selten lachen gesehen, wenn sie gleich im Anfang nicht eigentlich traurig waren. Sie hatten einen stillen gleichmäßigen Charakter und in ihrem frischen Alter schon etwas von alten gesetzten Leuten.

Sie wurden in einem kleinen Ort getraut, wo nur eine geringe Schule war. Es war nur ein Priester zugegen. Das Freien war damals ganz einfach. Die Freier waren sehr schlicht. Man sprach zusammen und dachte nichts beim Heiraten, als, es müsse so sein. Sagte die Braut ja, so waren die Eltern zufrieden, sagte sie nein und hatte sie Gründe, so war es auch recht. Zuerst war die Sache bei den Eltern ins reine gebracht. Dann geschah die Versprechung in der Synagoge. Der Priester betete im Heiligen vor den Gesetzesrollen, die Eltern am gewöhnlichen Ort. Die Brautleute beredeten sich in einem Raum allein über ihre Verträge und Absichten. Dann erklärten sie sich vor den Eltern, und diese sprachen mit dem Priester, der zu ihnen heraustrat. Tags darauf war die Trauung.

Joachim und Anna hausten bei Eliud, dem Vater Annas. Es herrschte in seinem Hause die strenge Zucht und Sitte der Essener. Das Haus gehörte zu Sephoris. Es lag aber ein wenig davon ab zwischen einer Gruppe von Häusern, unter denen es das größere war. Hier lebten sie wohl an sieben Jahre.

Annas Eltern waren wohlhabend. Sie hatten viele Herden, schöne Teppiche, Geschirre und viele Knechte und Mägde. Ackerbauen habe ich sie nicht gesehen, aber wohl Vieh treiben auf der Weide. Sie waren sehr fromm, innig, wohltätig, schlicht und recht. Sie teilten oft ihre Herden und alles in drei Teile und gaben einen Teil in den Tempel, wohin sie es selber trieben, und wo es von Tempeldienern empfangen wurde. Den anderen Teil gaben sie den Armen oder begehrenden Anverwandten, von denen meistens einzelne da waren, die es wegtrieben. Den dritten Teil behielten sie für sich. Sie lebten sehr mäßig und gaben alles hin, wo begehrt wurde. Da habe ich als Kind schon gedacht: geben reicht aus, wer gibt, kriegt doppelt wieder. Denn ich sah, dass ihr dritter Teil sich immer wieder mehrte, und dass alles bald wieder so vollauf war, dass sie wieder in drei Teile teilen konnten. Sie hatten viele Verwandte, die bei allen feierlichen Gelegenheiten beisammen waren. Da sah ich dann nie viel Schmauserei. Wohl reichten sie den Armen Speise, aber eigentliche Gastmahle sah ich nie. Wenn sie zusammen waren, lagen sie gewöhnlich im Kreise an der Erde und redeten von Gott mit großer Erwartung. Es waren oft auch böse Menschen aus ihrer Verwandtschaft dabei, welche mit Unwillen und Erbitterung es ansahen, wenn sie voll Sehnsucht nach dem Himmel in ihren Gesprächen emporblickten. Aber sie waren diesen Bösen doch gut und versäumten bei keiner Gelegenheit, sie zu sich zu bitten, und sie gaben ihnen alles doppelt. Ich sah oft, dass diese mit Unwillen und stürmend das begehrten, was die guten Leute mit Liebe ihnen entgegenbrachten. Es waren auch Arme in ihrer Familie, denen sie oft ein Schaf und auch mehrere hingaben.

Hier gebar Anna ihre erste Tochter, welche auch Maria hieß. Ich sah Anna voll Freude über das neugeborne Kind. Es war ein ganz liebes Kind. Ich sah es etwas dick und stark heranwachsen. Es war auch sanft und fromm, und die Eltern hatten es lieb. Es hatte aber eine Bewandtnis mit ihm, die ich nicht verstand. Es war immer, als sei das Kind nicht das, was die Eltern als die Frucht ihrer Verbindung erwartet hatten. Es war darum eine Betrübnis und Unruhe in ihnen, als hätten sie sich gegen Gott versündigt. Sie büßten deswegen lange, lebten in Enthaltung und vermehrten alle ihre guten Werke. Ich sah sie oft zum Gebete sich absondern.

So lebten sie bei dem Vater Eliud wohl sieben Jahre, was ich an dem Alter des ersten Kindes sehen konnte, als sie sich entschlossen, sich von den Eltern zu trennen in der Absicht, in der Einsamkeit ihr eheliches Leben ganz von neuem zu beginnen und durch Gott noch wohlgefälligeren Wandel seinen Segen auf ihre Verbindung herabzuziehen. Ich sah sie diesen Entschluss im Hause der Familie fassen und sah Annas Vater die Ausstattung ihnen zurüsten. Die Herden wurden geteilt und für den neuen Haushalt Ochsen, Esel und Schafe abgesondert, welche viel größer als bei uns zu Lande waren. Auf Esel und Ochsen wurden allerlei Geräte, Gefäße und Gewänder gepackt, und die guten Leute waren so geschickt, es aufzupacken, als die Tiere es zu empfangen und fortzutragen. Wir können unsere Sachen kaum so geschickt auf Wagen packen, als diese Leute es auf diese Tiere konnten. Sie hatten schöne Geschirre. Alle Gefäße waren zierlicher, als jetzt. Zerbrechliche schöne Krüge von künstlicher Form, worauf allerlei Bildwerk, wurden mit Moos ausgefüllt, umwickelt, an die beiden Ende eines Riemens befestigt, und so den Tieren über den Rücken gehängt. Auf dem freien Rücken der Tiere aber wurden allerlei Päcke von bunten Decken und Gewändern gelegt. Auch kostbare, mit Gold gestickte Decken wurden aufgepackt, und Vater Eliud gab den Ausziehenden einen kleinen schweren Klumpen in einem Beutel, wie ein Stück edlen Metalls. Als alles bereitet war, traten Knechte und Mägde zu dem Zug und trieben die Herden und Lasttiere vor sich hin nach der neuen Wohnung, welche wohl fünf bis sechs Stunden von da entlegen war.

Das Haus lag auf einem Hügel zwischen dem Tal bei Nazareth und dem Tal Zabulon. Es führte eine Allee von Terebinthen dahin. Vor dem Hause war auf nacktem Felsengrund ein Hof mit einer niederen Felsenmauer umgeben, auf oder hinter weIcher ein lebendiger Flechtzaun wuchs. An einer Seite dieses Hofes waren Schoppen, das Vieh unterzustellen. Die Türe des ziemlich großen Hauses war in der Mitte und ging in Angeln. Man trat durch sie in eine Art Vorsaal, welcher die ganze Breite des Hauses einnahm. Auf der rechten und linken Seite des Saales waren durch leicht geflochtene Stellwände, die man nach Belieben wegnehmen konnte, kleine Räume abgeschlagen. In diesem Saale wurden an Festen die größeren Mahlzeiten gehalten, wie da, als Maria zum Tempel gebracht wurde. Aus dem Saal führte der Haustüre gegenüber ein Gang durch eine leichte geflochtene Türe zwischen vier zur Rechten und vier zur Linken liegenden Kammern, welche durch geflochtene, sich oben in Gitter endende Verschläge oder Stellwände gebildet wurden, in einen runden oder vielmehr dreiseitigen Raum, dessen hintere Mittelwand, der Türe gegenüber die Feuerstelle enthielt. Die beiden schiefen Seiten, links und rechts, enthielten hinter Stellwänden auch Kammern. In der Mitte des Küchenraumes hing eine mehrarmige Lampe von der Decke nieder.

An das Haus schlossen sich Obstgärten und Felder. Als Joachim und Anna in dem Hause ankamen, fanden sie schon alles an Ort und Stelle durch die vorausgeschickten Leute geordnet. Die Knechte und Mägde hatten alles so schön und ordentlich abgepackt und an seinen Ort gebracht, wie sie es beim Aufpacken getan hatten. Denn sie waren so hilfreich und taten alles so still und verständig vor sich hin, dass man ihnen nicht immer wie heutzutage alles einzelne befehlen musste.

Hier fingen nun die heiligen Leute ein ganz neues Leben an. Alles Vorhergegangene opferten sie Gott auf und dachten nur, als wären sie erst jetzt zusammen gekommen, und ihr ganzes Streben war, durch ein gottgefälliges Leben jenen Segen auf sich herabzuflehen, den sie eigentlich ersehnten. Ich sah beide unter ihre Herden gehen, sie in drei Teile teilen und den besten zum Tempel nach Jerusalem treiben. Den andern Teil erhielten die Armen, den schlechtesten Teil behielten sie für sich, und so taten sie mit all dem Ihrigen.

2. Die heilige und unbefleckte Empfängnis Mariä

Anna hatte die Gewissheit und den festesten Glauben, es müsse der Messias sehr nahe sein, und dass sie unter seinen menschlichen Verwandten stehe. Sie flehte und strebte stets nach größter Reinheit und hatte auch die Eröffnung erhalten, dass sie ein Kind der Gnade empfangen solle. Ihre erstgeborne Tochter, welche im Hause Eliuds zurückgelassen war, erkannte und liebte Anna als ihr und Joachims Kind, aber sie fühlte gewiss, es sei nicht jene Tochter, welche sie nach ihrer inneren Gewissheit gebären sollte. Anna und Joachim blieben von der Geburt dieses ersten Kindes an neunzehn Jahre und fünf Monate lang unfruchtbar. Sie lebten im beständigen Gebete und Opfern, in Abbruch und Enthaltung. Ich sah sie ihre Herden oft teilen - aber alles mehrte sich schnell wieder. Oft lag Joachim ferne bei seinen Herden im Flehen zu Gott.

Die Betrübnis und Sehnsucht beider nach dem verheißenen Segen war aufs höchste gestiegen. Manche schmähten über sie, dass sie schlechte Leute sein müssten, weil sie keine Kinder bekämen, und dass ihre Tochter bei Eliud ein von Anna unterschobenes Kind sei, sonst hätten sie es bei sich. Als Joachim, der bei seinen Herden war, wieder nach dem Tempel zu opfern, reisen wollte, sandte ihm Anna mancherlei Vögel, Tauben und anderes in Körben und Käfigen durch Knechte auf das Feld zu den Herden. Joachim nahm zwei Esel von der Weide und belastete sie damit und mit drei weißen, kleinen munteren Tierchen mit langen Hälsen, Lämmern oder Ziegenböckchen in Gitterkörben. Er trug eine Laterne auf einem Stock - sie war wie ein Licht in einem ausgehöhlten Kürbis. Ich sah ihn so auf einem schönen grünen Feld zwischen Bethanien und Jerusalem ziehen, wo ich auch Jesus öfter gesehen, und gegen Abend zum Tempel kommen. Sie stellten die Esel da ein, wo sie bei Mariä Opferung eingestellt wurden, und trugen ihre Gaben die Treppen am Tempelberg hinauf. Als man ihnen die Opfer abgenommen hatte, gingen die Knechte hinweg. Joachim aber kam noch in die Halle, wo das Wasserbecken war und alle Gaben gewaschen wurden. Hernach kam er durch einen langen Gang nach einer Halle zur Linken des Heiligen, wo der Rauchopfer-Altar, der Tisch der Schaubrote und der siebenarmige Leuchtet standen. Es waren in dieser Halle noch mehrere Opferbringende. Joachim wurde von einem Priester, der Ruben hieß, ganz verächtlich behandelt. Er wurde nicht recht zugelassen und in einen schimpflichen vergitterten Winkel geschoben. Auch seine Opfergaben wurden nicht, wie die der anderen an der rechten Seite des Vorhofes hinter Gittern sichtbar aufgestellt, sondern beiseite gesetzt. Die Priester waren in dem Raum des Rauchaltars und es ward da ein Rauchopfer gehalten. Es wurden auch Lampen angezündet und es brannte Licht auf dem siebenarmigen Leuchter, doch nicht alle sieben zugleich. Ich habe öfter gesehen, dass bei verschiedenen Gelegenheiten verschiedene Arme des Leuchters erleuchtet wurden.

Ich sah Joachim in großer Betrübnis den Tempel wieder verlassen und von Jerusalem über Bethanien in die Gegend von Machärus gehen, wo er Trost in einem Hause der Essener suchte. Hier und früher in dem Essenerhaus von Bethlehem hatte der Prophet Manahem gelebt, der dem Herodes als Kind sein Königreich und seine großen Vergehen voraussagte. Joachim begab sich von da zu seinen fernsten Herden an den Berg Hermon. Sein Weg führte ihn durch die Wüste Gaddi über den Jordan. Der Hermon ist ein langer, schmaler Berg, dessen Sonnenseite schon grünt und blüht, wenn die andere noch von Schnee bedeckt ist. Joachim war so traurig und beschämt, dass er Anna gar nicht sagen ließ, wo er sich aufhielt. Und die Betrübnis Annas, als ihr andere hinterbrachten, wie es ihm im Tempel ergangen, und als er nicht mehr heimkehrte, war unbeschreiblich. Fünf Monate blieb Joachim am Hermon so verborgen. Ich sah sein Flehen und Beten; wenn er seine Herden und die Lämmer besah, ward er sehr traurig und warf sich mit verhülltem Angesicht zur Erde. Die Knechte fragten ihn, warum er so betrübt sei. Er aber sagte nicht, dass er seiner Unfruchtbarkeit gedachte. Er teilte auch seine schönen Herden in drei Teile, den schönsten sendete er zum Tempel, den andern erhielten die Essener, den geringsten behielt er für sich.

Anna hatte in ihrer Betrübnis auch viel durch eine unverschämte Magd zu leiden, welche ihr sehr bitter und hart ihre Unfruchtbarkeit vorwarf. Lange hatte sie es ertragen. Nun aber wies sie die Magd aus dem Haus. Diese hatte von ihr begehrt, zu einem Fest zu gehen, was nach der strengen Sitte der Essener nicht anging. Als Anna es ihr abschlug, machte die Magd ihr Vorwürfe, sie verdiene, unfruchtbar und von ihrem Mann verlassen zu sein, weil sie so hart und unbillig sei. Da sandte Anna die Magd mit Gaben und von zwei Knechten begleitet ihren Eltern zurück, sie möchten sie wieder empfangen, wie sie zu ihr gekommen, sie könne sie fortan nicht mehr bewahren. Dann ging sie traurig in ihre Kammer und betete. Am Abend dieses Tages warf sie ein langes Tuch über das Haupt und hüllte sich ganz darin ein. Sie nahm ein bedecktes Licht unter den Mantel und ging unter einen großen Baum im Hofraum, zündete dort die Lampe an und betete. Es war dies ein Baum, der seine Zweige über die Mauer nieder in die Erde senkte, die dort aufschossen und sich wieder senkten und so eine ganze Strecke von Lauben bildeten. Die Blätter an diesem Baum sind sehr groß, und ich meine solche, womit Adam und Eva sich im Paradies bedeckten. Der ganze Baum hatte die Art des Baumes der verbotenen Frucht. Die Früchte hängen gewöhnlich zu fünft um die Spitze der Zweige, sind birnförmig, inwendig fleischig, blutfarbig geadert und haben in der Mitte einen hohlen Raum, um welche die Kerne im Fleisch sitzen. Die großen Blätter brauchten die Juden besonders bei Laubhütten, um die Wände damit zu schmücken, da sie, schuppenförmig gelegt, mit ihren Rändern sehr bequem ineinander passten. Um den Baum waren Lauben mit Sitzen.

Als Anna hier lange Zeit zu Gott geschrien: wenn Er ihren Leib auch verschlossen habe, so möge Er doch ihren frommen Gefährten Joachim nicht von ihr ferne halten, erschien ihr ein Engel. Er trat aus der Höhe vor sie und sagte: sie möge ihr Herz beruhigen, der Herr habe ihr Gebet erhört, sie solle am folgenden Morgen mit zwei Mägden nach Jerusalem zum Tempel reisen, unter dem goldenen Tore von der Seite des Tales Josaphat eingehend werde sie Joachim begegnen. Er sei dahin unterwegs, sein Opfer werde angenommen werden, er werde erhört werden. Er (der Engel) sei auch bei ihm gewesen. Sie solle Tauben zum Opfer mitnehmen. Den Namen des Kindes, das sie empfangen werde, solle sie sehen.

Anna dankte dem Herrn und ging zu ihrem Haus zurück. Als sie nach langem Gebet auf ihrem Lager entschlafen war, sah ich einen Glanz auf sie niederkommen, ja sie durchdringen. Ich sah sie von einer inneren Wahrnehmung erschüttert erwachen und aufrecht sitzen und sah eine Lichtgestalt neben ihr, welche große hebräische leuchtende Buchstaben rechts an die Wand ihrer Lagerstätte schrieb. Ich wusste den Inhalt Wort für Wort. Es hieß, dass sie empfangen werde, dass ihre Frucht eine ganz einzige sei, und der Segen Abrahams war als die Quelle dieser Empfängnis erwähnt. Ich sah, dass sie bange war, wie sie dies dem Joachim eröffnen sollte. Aber sie war getröstet, als der Engel ihr das Gesicht des Joachim eröffnete. Ich hatte auch die deutliche Erklärung der unbefleckten Empfangenwerdung Mariä, und dass in der Bundeslade ein Sakrament der Menschwerdung, der unbefleckten Empfängnis, ein Geheimnis zur Wiederherstellung der gefallenen Menschheit enthalten sei. Ich sah Anna mit Schrecken und Freude die rot und golden leuchtenden Buchstaben dieser Schrift lesen und ihre Freude wuchs dermaßen, dass sie viel jünger aussah, als sie aufstand, um nach Jerusalem zu reisen. Ich sah in dem Augenblick, als der Engel zu ihr kam, auf dem Leib Annas einen Glanz und in ihr ein leuchtendes Gefäß. Ich kann es nicht bezeichnen, als mit dem Ausdruck: es war wie eine Wiege, ein Tabernakel, der gedeckt, geöffnet, erschlossen ist, ein Heiligtum zu empfangen. Wie wunderbar ich dieses sah, ist nicht zu sagen. Denn ich sah es, wie die Wiege des ganzen menschlichen Heiles und auch wie einen kirchlichen Behälter geöffnet mit zurückgezogenem Vorhang und sah es auch natürlich und alles zugleich und eins und heilig.

Ich sah die Erscheinung des Engels auch bei Joachim. Er befahl ihm, das Opfer in den Tempel zu bringen und verhieß ihm Erhörung und wie er dann durch die goldene Pforte gehen solle. Joachim war bei der Verkündigung des Engels ganz schüchtern, nach dem Tempel zu reisen. Der Engel aber sagte ihm, dass es den Priestern schon eröffnet sei. Es war dies zur Zeit des Laubhüttenfestes. Joachim hatte mit seinen Hirten schon die Laubhütten aufgerichtet. Er kam am vierten Tag des Festes mit einer großen Opferherde in Jerusalem an und wohnte am Tempel. Anna aber, die auch am vierten Tage nach Jerusalem kam, wohnte bei der Familie des Zacharias am Fischmarkt und traf erst am Schluss des Festes mit Joachim zusammen.

Als Joachim zum Tempel kam, gingen ihm zwei Priester vor dem Tempel entgegen. Es geschah dies auf eine übernatürlich empfangene Mahnung. Joachim brachte zwei Lämmer und drei Ziegenböcklein. Sein Opfer wurde angenommen, an der gewöhnlichen Stelle des Tempels geschlachtet und verbrannt. Ein Teil dieses Opfers aber wurde weggebracht und an einer anderen Stelle zur Rechten der Vorhalle verbrannt, in deren Mitte der große Lehrstuhl sich befand. Als der Rauch emporstieg, sah ich einen Lichtstrahl auf den opfernden Priester und auf Joachim kommen. Es ward ein Stillstand, eine große Verwunderung, und ich sah, dass zwei Priester zu Joachim hinausgingen und ihn durch die Seitenkammern in das Heilige vor den Rauchopferaltar führten. Hier legte der Priester Weihrauch, nicht in Körnern, sondern in einem Klumpen auf den Altar, der sich von selbst entzündete, und nun wurde Joachim von dem Priester, der sich entfernte, vor dem Rauchopferaltar allein gelassen. Ich sah ihn in den Knien liegen mit ausgespannten Armen, während das Rauchopfer sich verzehrte. Joachim war die ganze Nacht im Tempel eingeschlossen und betete mit großer Sehnsucht. Ich sah ihn in Entzückung. Es trat eine leuchtende Gestalt zu ihm, wie zu Zacharias, und gab ihm eine Rolle mit leuchtenden Buchstaben. Es waren die drei Namen Helia, Hanna, Mirjam und bei diesem das Bild einer kleinen Bundeslade oder eines Tabernakels. Joachim legte diese Rolle unter sein Gewand auf die Brust. Der Engel sprach: Anna werde ein unbeflecktes Kind empfangen, von dem das Heil der Welt ausgehen werde. Er solle nicht trauern über seine Unfruchtbarkeit, diese sei nicht eine Schande, sondern ein Ruhm für ihn. Denn was seine Frau empfangen werde, solle nicht von ihm, sondern durch ihn eine Frucht aus Gott, der Gipfel des Segens Abrahams sein. Ich sah, dass Joachim dies nicht fassen konnte, und dass der Engel ihn hinter den Vorhang führte, welcher das Gitter des Allerheiligsten so weit umgab, dass man dahinter stehen konnte. Nun sah ich den Engel eine schimmernde Kugel wie einen Spiegel dem Joachim vor das Angesicht halten, der sie anhauchen und in sie schauen musste. Ich dachte noch, als der Engel sie ihm so nahe vor das Gesicht hielt, an einen Gebrauch bei unseren Hochzeiten auf dem Lande, wo man einen gemalten Kopf küsst und dem Küster vierzehn Pfennige schenkt. Es war aber, als entstünden unter dem Hauch Joachims allerlei Bilder in der Kugel, die er sah, denn der Hauch hatte sie nicht getrübt. Es war mir auch, als sage ihm der Engel dabei, dass Anna ebenso unbefleckt durch ihn empfangen solle. Er nahm nun die Kugel von Joachim und hob sie empor. Ich sah sie in der Luft schweben, und wie durch eine Öffnung in sie hinein und in ihr unzählige wunderbare Bilder, wie eine ganze Welt wachsend auseinander gehen. Oben im höchsten Gipfel war die allerheiligste Dreifaltigkeit, unter ihr zu einer Seite das Paradies, Adam und Eva, dann der Sündenfall, die Verheißung der Erlösung, Noe, die Arche, alles von Abraham und Moses, die Bundeslade und viele Sinnbilder Mariä. Ich sah Städte, Türme, Tore, Blumen. Alles war durch Licht- Brücken wunderbar miteinander verbunden, aber auch angefochten und bestürmt von Tieren und Erscheinungen, welche jedoch überall von dem sie umgebenden Glanze zurückgeschlagen wurden.

Ich sah auch einen Garten, der ringsum mit einer dichten Dornhecke eingeschlossen war und sah allerlei hässliche Tiere, die hinein wollten, aber nicht vermochten. Ich sah einen Turm und viele Kriegsleute gegen ihn stürmen und immer abfallen.

So sah ich unzählige Bilder, die Bezug auf Maria hatten, und sah sie durch Übergänge oder Brücken verbunden, welche über Hindernisse, Störungen und Ankämpfungen siegten, und sah die Bilder im himmlischen Jerusalem an der anderen inneren Seite sich schließen. Diese Kugel aber verschwand in die Höhe, oder, indem ich die Bilder gesehen und zwar in dem innern Kugelraum, war sie nicht mehr da.

Nun nahm der Engel aus der Bundeslade, ohne das Türchen zu öffnen, etwas heraus. Es war das Geheimnis der Bundeslade, das Sakrament der Menschwerdung, der unbefleckten Empfängnis, der Gipfel des Segens Abrahams. Ich sah es als einen leuchtenden Körper. Der Engel segnete oder salbte mit den Spitzen seines Daumens und Zeigefingers die Stirne Joachims, dann schob er den leuchtenden Körper unter das geöffnete Gewand Joachims, wo es in ihn, ich kann nicht sagen wie, überging. Auch gab er ihm aus einem glänzenden Becher, den er unten mit zwei Fingern fasste, etwas zu trinken. Der Becher war von der Gestalt des Abendmahlkelches, aber ohne Fuß, und Joachim musste ihn bei sich behalten und nach Hause bringen.

Ich vernahm, dass der Engel dem Joachim die Bewahrung des Geheimnisses gebot, und erkannte daraus die Ursache, warum Zacharias, der Vater des Täufers stumm geworden, nachdem er den Segen und die Verheißung der Fruchtbarkeit Elisabeths aus dem Geheimnis der Bundeslade empfangen hatte. Erst später nachher wurde von den Priestern das Geheimnis der Bundeslade vermisst. Da wurden sie erst in sich verwirrt und wurden ganz pharisäisch. Der Engel führte nun Joachim wieder aus dem Allerheiligsten heraus und verschwand. Joachim aber lag wie erstarrt an der Erde.

Ich sah, dass Priester in das Heilige kamen und Joachim sehr ehrerbietig herausführten und auf einen Stuhl setzten, der auf Stufen stand, wie sonst nur Priester darauf saßen. Er war fast wie der, auf dem Magdalena oft in ihrem Prunke saß. Sie wuschen ihm das Angesicht, hielten ihm etwas vor die Nase, oder gaben ihm zu trinken: kurz sie taten wie mit einem, der ohnmächtig geworden. Joachim aber war durch das, was er vom Engel empfangen hatte, ganz leuchtend, wie jung und blühend geworden.

Hernach wurde Joachim von den Priestern an die Türe des unterirdischen Ganges geführt, welcher unter dem Tempel und unter der goldenen Pforte sich hinzog. Es war dies ein eigener Weg, in den man unter gewissen Umständen zur Reinigung, Versöhnung und Lossprechung geführt wurde. Die Priester verließen unter der Türe den Joachim, der allein in dem anfangs engen, dann sich erweiternden Gang voranging, der unmerklich abwärts führte. Es standen gewundene Säulen wie Bäume und Weinstöcke darin und es schimmerten die goldenen und grünen Verzierungen der Wände in einem rötlichen Licht, das von oben einfiel. Joachim war ein Dritteil des Weges gewandelt, als Anna ihm an einer Stelle entgegenkam, wo in der Mitte des Ganges unter der goldenen Pforte eine Säule, wie ein Palmbaum mit niederhängenden Blättern und Früchten stand. Anna war vom Priester, dem sie mit ihrer Magd die Opfertauben in Körben gebracht und eröffnet hatte, was der Engel ihr gesagt, durch einen Eingang auf der anderen Seite in den unterirdischen Weg geführt worden. Auch von einigen Frauen, unter denen die Prophetin Hanna, war sie mit dem Priester dahin begleitet worden.

Ich sah, dass Joachim und Anna in Entzückung sich umarmten. Sie waren von einer unzählbaren Menge von Engeln umgeben, welche mit einem leuchtenden Turm, wie aus den Bildern der lauretanischen Litanei, über sie niederschwebten. Es verschwand der Turm zwischen Joachim und Anna, und beide waren von Glanz und großer Glorie umgeben. Ich sah zugleich, dass der Himmel über ihnen sich auftat, und sah die Freude der Engel und der heiligen Dreifaltigkeit und den Bezug derselben auf die Empfängnis Mariä. Beide waren in einem übernatürlichen Zustand. Als sie sich umarmten und der Glanz sie umgab, erfuhr ich, dass dieses die Empfängnis Mariä sei und zugleich, Maria sei empfangen, wie die Empfängnis ohne Sündenfall geschehen sein würde.

Joachim und Anna wandelten hierauf Gott lobend bis zum Ausgang. Sie kamen unter einem hohen Bogen, wie in einer Kapelle, wo viele Lichter brannten, wieder heraus. Sie wurden hier von Priestern empfangen, die sie hinweg geleiteten. Im Tempel war alles geöffnet und mit Laub- und Fruchtgewinden geziert. Der Gottesdienst war unter freiem Himmel. An einem Ort waren acht freistehende Säulen, über welche Laubgewinde gezogen waren.

In Jerusalem ging Joachim mit Anna in ein Priesterhaus und dann reisten sie gleich zurück. In Nazareth sah ich sie eine Mahlzeit halten, bei der viele Arme gespeist und mit Almosen beschenkt wurden. Viele Leute wünschten Joachim zur Annahme seines Opfers Glück.

Zu Hause angekommen eröffneten sich die heiligen Eheleute die Erbarmungen Gottes in rührender Freude und Andacht. Sie lebten fortan in vollkommener Enthaltung und großer Gottesfurcht. Ich hatte eine Belehrung, welch großen Einfluss die Reinheit der Eltern, ihre Enthaltsamkeit und Abtötung auf die Kinder habe.

Vier und einen halben Monat weniger drei Tage, nachdem die heilige Anna unter der goldenen Pforte empfangen hatte, sah ich die Seele Maria von der Heiligsten Dreifaltigkeit gebildet werden. Ich sah die Heiligste Dreifaltigkeit sich bewegen und durchdringen und es war wie ein großer leuchtender Berg und doch auch wie die Gestalt eines Menschen. Und ich sah etwas wie aus dessen Mitte gegen den Mund aufsteigen und wie einen Glanz aus dem Mund ausgehen. Und dieser Glanz stand abgesondert vor dem Angesicht Gottes und nahm eine menschliche Gestalt an oder wurde vielmehr zu solcher gebildet. Denn indem er die menschliche Gestalt annahm, sah ich, dass er wie durch den Willen Gottes so schön gebildet wurde. Ich sah auch, dass Gott die Schönheit dieser Seele den Engeln zeigte und dass diese eine unaussprechliche Freude darüber hatten.

Ich sah diese Seele mit dem lebendigen Körper Mariä im Schoß Annas sich vereinigen. Anna schlief auf ihrem Lager. Ich sah einen Glanz über ihr und einen Strahl auf sie niederkommen auf die Mitte ihrer Seite und ich sah, dass der Glanz in Gestalt einer leuchtenden kleinen Menschenfigur in sie einging. In demselben Augenblick richtete Anna sich auf, sie war ganz von Licht umgeben und hatte ein Gesicht, als gehe ihr Leib auseinander und sie sehe in ihm eine heilige leuchtende Jungfrau wie in einem Tabernakel, aus der alles Heil ausgehe. Ich sah auch, dass dieses der Augenblick war, da Maria im Mutterleib sich zum ersten mal bewegte.

Anna erhob sich und verkündete es dem Joachim und darnach ging sie unter den Baum zu beten, wo ihr die Empfängnis verheißen worden war. Ich vernahm, dass die Seele Mariä fünf Tage früher ihren Leib beseelte, als bei andern Kindern und dass sie zwölf Tage früher geboren wurde.

3. Vorbilder des Geheimnisses der unbefleckten Empfängnis

Ich sah das ganze Land vertrocknet und Elias mit zwei Dienern auf den Berg Karmel steigen, anfänglich über einen hohen Rücken, dann über Felsentreppen zu einer Terrasse und wieder über solche Stufen zu einer Fläche mit einem Hügel, der eine Höhle enthielt, in welche Elias hinaufstieg. Seine Diener ließ er am Rande der Fläche, dass sie auf den See von Galiläa hinabschauten, der vertrocknet und voll Höhlungen, Sumpf und verfaulenden Tieren war. Elias kauerte sich nieder, senkte den Kopf auf die Knie, verhüllte sich und betete heftig zu Gott. Siebenmal rief er seinem Diener zu, ob er keine Wolke aus dem See aufsteigen sehe. Endlich sah ich in der Mitte des Sees einen weißen Wirbel, aus welchem ein schwarzes Wölkchen, worin eine kleine leuchtende Figur, aufstieg, das in die Höhe ziehend sich ausbreitete. Indem die Wolke sich erhob, erblickte Elias in ihr die Gestalt einer leuchtenden Jungfrau. Ihr Kopf war mit Strahlen umgeben, die Arme ins Kreuz erhoben, eine Hand hielt einen Siegeskranz, ihr langes Gewand war unter den Füßen wie zugebunden. Sie erschien über Palästina ausgestreckt. Elias erkannte in diesem Gesichte vier Geheimnisse von der heiligen Jungfrau, dass sie im siebten Zeitalter, und aus weIchem Stamm sie kommen werde. Denn er sah auch auf dem einen Ufer des Sees einen niedern breiten, auf dem anderen einen sehr hohen Baum, der seinen Gipfel in jenen niedern hinein senkte.

Ich sah auch, wie diese Wolke sich teilte und an bestimmten heiligen Gegenden, und wo fromme flehende Leute wohnten, sich in weißen Wirbeln niederließ, welche regenbogenfarbige Ränder erhielten und in deren Mitte sich ihr Segen wie zur Perle in einer Muschel vereinte. Ich erhielt die Erklärung, es sei dies ein Sinnbild und die wirkliche Darstellung, wie aus diesen Segenspunkten die Vorbereitung zur Erscheinung der heiligen Jungfrau hervorgehen werde.

Elias erweiterte gleich nachher die Höhle, wo er gebetet, und brachte auch größere Ordnung unter die Prophetenkinder, von welchen seitdem immer einzelne in dieser Höhle um die Ankunft Mariä flehten und ihre Zukunft verehrten.

Elias hat durch sein Gebet die Wolken gerufen und nach inneren Anschauungen gelenkt. Sonst wäre vielleicht ein zerstörender Regenguss daraus geworden. Ich sah die Wolken zuerst den Tau senden, sie senkten sich in weißen Flächen, bildeten Wirbel, hatten regenbogenfarbige Ränder und ließen sich endlich in Tropfen nieder. Ich erkannte auch einen Bezug auf das Manna in der Wüste, welches des Morgens bröcklicht und dicht, wie Felle auf der Erde lag, dass sie es aufrollen konnten. Ich sah die Tauwirbel längs des Jordan ziehen und nicht überall sich niederlassen, sondern nur hie und da wie zu Salem, wo Johannes nachher getauft hat, und auf der Stelle, wo sein Taufteich später stand. Ich fragte auch, was diese bunten Ränder bedeuten, und es wurde mir eine Erklärung gegeben von einer Muschel im Meere, welche auch so bunte Schimmerränder habe und sich der Sonne aussetzend das Licht an sich sauge und von Farben reinige, bis in ihrer Mitte die weiße, reine Perle entstehe. Ich kann es nicht mehr wiederbringen. Es wurde mir aber gezeigt, dass dieser Tau und der nachfolgende Regen mehr sei, als was man unter einer Erfrischung der Erde zu verstehen pflege. Ich erhielt das klare Verständnis, dass ohne diesen Tau die Ankunft Mariä um wohl hundert Jahre verspätet worden wäre, indem durch die Besänftigung und den Segen der Erde die Geschlechter von den Früchten der Erde lebend auch gerührt und veredelt wurden, und das Fleisch den Segen empfangend sich in seiner Fortpflanzung wieder veredelte. Auf Maria und Jesus bezog sich das Bild von der Perlenmuschel.

Ich sah außer der Dürre der Erde auch eine große Dürre und Unfruchtbarkeit der Menschen, und die Strahlen des befruchtenden Taues von Geschlecht zu Geschlecht bis in die Substanz Mariä. Ich kann es nicht beschreiben. Manchmal saßen auf einem solchen farbigen Rand eine, auch mehrere Perlen, und auf diesen wie eine Menschengestalt, welche wie Geist aushauchte, und das spross wieder mit anderen zusammen.

Ich sah auch, dass aus großer Barmherzigkeit Gottes den frömmeren Heiden damals kund getan wurde, dass durch eine Jungfrau aus Judäa der Messias geboren werden solle. Es geschah dieses in Chaldäa bei den Sterndienern durch das Erscheinen eines Bildes in einem Sterne oder am Himmel und sie weissagten darüber. Auch in Ägypten sah ich diese Nachricht des Heiles verkündet.

Es wurde Elias von Gott befohlen, an drei Orten aus Mitternacht, Morgen und Mittag mehrere zerstreute gute Familien nach Judäa rufen zu lassen. Elias suchte drei Prophetenschüler aus, die er durch ein von Gott erflehtes Zeichen als die tauglichen erkannte. Er brauchte zuverlässige Leute, denn es war ein weites und sehr gefährliches Unternehmen.

Einer zog nach Mitternacht, der zweite nach Morgen und ein dritter nach Mittag. Der Weg führte diesen nach Ägypten, wo es für Israeliten sehr gefährlich war. Ich sah ihn auf den Wegen der Fluchtreise der heiligen Familie und auch bei Heliopolis. Auf einer großen Ebene kam er vor einen mit vielerlei Gebäuden umgebenen Götzentempel, wo ein lebender Stier verehrt wurde. Auch ein Stierbild und andere Götzen waren in dem Tempel. Es wurden missgestaltete Kinder dem Götzen geopfert. Als der Prophet vorüber wandelte, ergriffen sie ihn und führten ihn vor die Priester. Zum Glück waren sie außerordentlich neugierig, sonst hätten sie ihn vielleicht umgebracht. Sie fragten ihn aus, woher er wäre, und er sagte ihnen alles gerade heraus, dass eine Jungfrau werde geboren werden, aus der das Heil der Welt kommen werde. Dann würden alle ihre Götzenbilder hier zerbrechen. Sie bewunderten, was er sagte, waren gerührt und entließen ihn wieder. Nachher hielten sie Rat und machten das Bild einer Jungfrau, das sie in die Mitte der Tempeldecke in niederschwebender Lage befestigten. Sie hatte einen Kopfputz auf die Art der Götzenbilder, die halb Jungfrau, halb Löwe dort so viel liegen. Die Oberarme waren an den Leib gezogen, die Unterarme wie abwehrend ausgebreitet. An den Ober- und Unterarmen war strahlenförmiges Gefieder mit zwei durcheinander greifenden Federkämmen, ein ähnliches Gefieder lief über die Seiten und die Mitte des Leibes hinab bis zu den kleinen Füßen.

Sie verehrten dieses Bild und opferten ihm, damit es den Götzen Apis und andere nicht zertrümmern möge. Übrigens blieben sie in allem ihrem Gräuel, nur dass sie von nun an das Bild der Jungfrau immer anriefen, das sie aus allerlei Bedeutungen in der Erzählung des Propheten zusammengesetzt hatten.

Ich sah auch vieles von der Geschichte des Tobias und der Ehe des jungen Tobias mit Sara durch den Engel und sah, dass ein Vorbild der heiligen Anna in ihr enthalten war. Der alte Tobias stellte den frommen, auf den Messias hoffenden Stamm der Juden vor. Sein Blindwerden deutete darauf, dass er keine Kinder mehr erhalten und sich bloß der Betrachtung und dem Gebet übergeben sollte. Seine zänkische Frau war ein Bild der Quälereien und leeren Formen der pharisäischen Gesetzlehrer. Die Schwalbe war ein Bote des Frühlings und des nahen Heiles. Die Blindheit überhaupt bedeutete das treue und dunkle Harren und Sehnen nach dem Heile und die Unwissenheit, woher es kommen würde. Der Engel hatte wahr geredet, da er sagte, er sei Azaria, der Sohn Ananiä. Denn diese Worte heißen ungefähr: die Hilfe des Herrn aus des Herrn Wolke. Der Engel war die Führung der Geschlechter und die Bewahrung und Lenkung des Segens bis zur Empfängnis der heiligen Jungfrau. Im gleichzeitigen Gebet des alten Tobias und der Sara, das ich von den Engeln zum Throne Gottes bringen und erhört werden sah, erkannte ich das Flehen der Frommen aus Israel und der Tochter Sion um das Kommen des Heiles, und auch das gleichzeitige Flehen Joachims und Annas um das verheißene Kind. Die Blindheit und das Zanken der Frau des Tobias bedeutete wieder die Verachtung Joachims und die Verwerfung seines Opfers. Die sieben ermordeten Männer der Sara, bedeuten jene unter den Vorfahren der heiligen Jungfrau, welche die Ankunft Mariä und des Heiles gehindert haben, und auch die Freier Annas vor Joachim, welche sie abweisen musste. Das Schmähen der Magd Saras deutete auf das Schmähen der Heiden und Ungläubigen und gottlosen Juden, dass der Messias immer noch nicht komme, wodurch die Frommen zum Gebete angetrieben wurden und auch sie, und ist ganz ein Vorbild des Schmähens der Magd Annas auf diese, worauf sie beschämt so innig betete, dass sie erhört wurde. Der Fisch, der Tobias verschlingen wollte, deutet auf die lange Unfruchtbarkeit Annas, das Ausschneiden des Herzens, der Leber und Galle aber auf die guten Werke und die Abtötung. Das Zicklein, welches des Tobias Frau um Arbeitslohn nach Hause brachte, war wirklich ein gestohlenes, das ihr die Leute um ein billiges gelassen hatten. Tobias kannte diese Leute und wusste es, und wurde deswegen beschimpft. Es hatte auch eine Bedeutung des Verhältnisses und der Verachtung der frommen Juden und Essener durch die Pharisäer und leeren Formjuden, welches ich nicht mehr weiß. Die Galle, wodurch der blinde Tobias sehend wurde, deutete auf die Bitterkeit und das Leiden, durch welches die erwählten Juden zur Erkenntnis des Heils und zu ihrer Teilnahme daran gelangten. Es deutet auf die Einkehr des Lichtes in die Finsternis durch das bittere Leiden Jesu von seiner Geburt an.

4. Festbild

Ich sah aus der Erde eine feine Säule emporsteigen, wie den Stengel einer Blume, und wie den Kelch der Blume oder die Samenkapsel am Mohnstengel sah ich die achteckige Kirche auf dieser Säule stehen. Die Säule aber stieg in der Mitte der Kirche wie ein Baum empor, der sich in verschiedene Zweige teilte, auf welchen Glieder der heiligen Familie standen, welche in diesem Kirchenbild der Mittelpunkt der Feier waren. Sie standen wie auf den Staubfäden einer Blume. Es war oben die heilige Anna zwischen zwei heiligen Männern, Joachim und ihrem Vater, oder einem anderen der Familie. Unter der Brust der heiligen Anna sah ich einen leuchtenden Raum ungefähr in der Gestalt eines Herzens, und in diesem Lichtraum sah ich die Gestalt eines glänzenden Kindes sich entwickeln und größer werden. Es hatte die Hände über der Brust gefaltet und den Kopf geneigt und es sendete unendlich viele Strahlen nach einer Seite der Welt aus. Dies fiel mir auf, dass es nicht nach allen Richtungen die Strahlen sendete. Auf anderen umgebenden Zweigen saßen gegen diese Mitte gerichtet Anbetende und rings in der Kirche umher waren in Ordnungen und Chören unzählige Heilige gegen diese heilige Mitte anbetend gewendet. Die Süße, Innigkeit und Einigkeit dieses Gottesdienstes ist mit nichts zu vergleichen als mit einem Blumenfeld, welches von einem leisen Wind gegen die Sonne bewegt wird und seine Düfte und Farben den Strahlen derselben opfernd hinschwenkt, als welchen alle Blumen diese Gaben, ja ihr Dasein selbst empfangen haben. Über diesem Bilde des Festes der unbefleckten Empfängnis erhob sich der Gnadenstamm über Anna zu seinem Gipfel, und über ihr in einer zweiten Zweigkrone saß Maria und Joseph, und Anna saß vor ihnen niedriger anbetend. Über ihnen aber saß im Gipfel das Kind Jesus mit dem Reichsapfel in der Hand in unendlichem Glanz. Um diese Gruppe herum beteten die Chöre der Apostel und Jünger an in der nächsten Umgebung und in weiteren Kreisen andere Heilige. Oben sah ich im höchsten Licht unbestimmtere Figuren von Kräften und Formen und oben in der Kuppel herein strahlte wie eine halbe Sonne. Dieses zweite Bild schien auf den Advent zu deuten. Ich sah anfangs unter der Säule durch die Gegend, hernach auch in die Kirche, und sah das Kind in dem Glanzherzen sich entwickeln. Zugleich erhielt ich eine unaussprechliche Überzeugung der Empfängnis ohne Erbsünde, ich las es deutlich wie in einem Buch und verstand es. Ich erfuhr auch, es sei hier eine Kirche gestanden, sie sei aber wegen vielen Ärgernisses und Disputierens über die unbefleckte Empfängnis der Zerstörung preisgegeben worden. Doch feiere die triumphierende Kirche hier immer dieses Fest. Ich vernahm auch die Worte: «In jedem Gesicht bleibt ein Geheimnis bis zur Erfüllung».

5. Vorabend von Mariä Geburt

Es ist solche Freude in der Natur! Ich höre Vögel singen, sehe Lämmer und Böcklein springen und die Tauben schwärmen in Scharen freudig umher, wo einstmals Annas Haus gestanden. Jetzt sehe ich nur eine Wildnis dort. Ich hatte aber ein Bild von Pilgern aus sehr alter Zeit, welche geschürzt und Tücher wie Mützen um das Haupt geschlagen mit langen Stäben durch diese Gegend nach dem Berge Karmel zogen. Sie empfanden auch diese Freudigkeit der Natur; und als sie in Verwunderung darüber bei Einsiedlern, die in der Nähe wohnten, über die Ursache dieser Freude fragten, erhielten sie zur Antwort, solche Freude sei hier für Mariä Geburt immer an den Vorabenden dieses Tages und es habe in der Gegend hier das Haus der heiligen Anna gestanden. Sie erzählten ihnen von einem heiligen Manne aus früher Zeit, der zuerst diese Freudigkeit beobachtet habe und der Veranlassung geworden sei, dass die Feier des Festes von Mariä Geburt allgemein in der Kirche eingeführt wurde. Ich sah nun diese Veranlassung selbst.

Zweihundertfünfzig Jahre nach dem Tode Mariä sah ich einen frommen Pilger durch das heilige Land ziehen und alle Orte und Spuren, die sich auf den Wandel Jesu auf Erden bezogen, aufsuchen und verehren. Ich sah, dass dieser fromme Pilger eine übernatürliche Führung genoss und manchmal an einzelnen Orten mehrere Tage lang durch eine große Süßigkeit und durch Offenbarungen in Betrachtung und Gebet aufgehalten wurde. Er hatte schon mehrere Jahre lang immer vom siebten auf den achten September im Gelobten Lande eine große Freude in der Natur und einen lieblichen Gesang der Engel in den Lüften gehört. Nun ward ihm auf sein dringendes Gebet in einem Gesicht eröffnet, es sei dieses die Geburtsnacht der heiligen Jungfrau Maria. Er hatte diese Eröffnung auf dem Weg nach dem Berge Sinai und zugleich, dass dort eine vermauerte Kapelle der Verehrung Mariä in einer Höhle des Propheten Elias sei, und dass er beides den Einsiedlern am Berge Sinai berichten solle.

Ich sah ihn hierauf am Berge Sinai ankommen. Wo jetzt das Kloster steht, wohnten damals schon Einsiedler zerstreut, und die Stelle war von der Talseite ebenso unwegsam, als jetzt, wo man mit einem Zugwerk hinaufgewunden wird. Ich sah, dass auf seine Mitteilung hier der 8. September zuerst gefeiert wurde um das Jahr 250, und dass später dieses Fest von der Kirche eingeführt wurde.

Ich sah auch, dass die Einsiedler mit ihm nach der Höhle des Elias und der vermauerten Marienkapelle darin suchten. Es war diese aber schwer zu finden. Denn sie entdeckten mehrere Höhlen ehemaliger Einsiedler und der Essener und viele verwilderte Gärten, worin noch herrliche Früchte wuchsen. Der Seher sagte nun, man sollte einen Juden in die Höhlen gehen lassen, und die, aus welcher er hinausgestoßen werden würde, sei die Höhle des Elias. Es war ihm dieses in einem Gesicht gesagt. Ich hatte dann das Bild, wie sie einen alten Juden in die Höhlen schickten, und wie dieser aus einer Höhle mit engem vermauerten Eingang immer wieder hinausgestoßen wurde, so sehr er sich auch eindrängte. Auf dieses Wunder erkannten sie die Höhle des Elias und fanden in derselben eine vermauerte zweite Höhle, welche die Kapelle gewesen, wo er zu Ehren der künftigen Heilandsmutter gebetet. Sie fanden darin noch allerlei heilige Gebeine von Propheten und Altvätern, auch mancherlei geflochtene Wände und Geräte zum alten Gottesdienst, was dadurch der Kirche erhalten wurde.

Der Ort, wo der Dornbusch gestanden, heißt nach dortiger Sprache: Schatten Gottes, und wird nur barfuß betreten. Die Elias-Kapelle ist mit großen schönen, durchblümten Steinen vermauert gewesen, die zum Kirchenbau verwendet wurden.

Es ist dort ein Berg ganz von rotem Sand, der doch sehr schöne Früchte trägt.

Von der heiligen Brigitta vernahm ich, dass wenn gesegnete Frauen den Vorabend von Mariä Geburt mit Fasten und neun Ave zu Ehren ihres neunmonatlichen Verweilens im Schoße Annas feierten und diese Andacht öfter während ihres Zustandes auch am Vorabend ihrer Entbindung erneuerten und dabei die heiligen Sakramente mit Andacht empfängen, Maria ihr Gebet vor Gott bringen und ihnen selbst bei schwierigen Umständen eine glückliche Geburt erlangen werde.

Ich sah am Vorabend ihrer Geburt die heilige Jungfrau. Sie sagte mir, wer von diesem Vorabend an neun Tage lang neun Ave zu Ehren ihres neun monatlichen Verweilens im MutterSchoße und ihrer Geburt bete, der gebe den Engeln täglich neun Blumen zu einem Strauß, den sie im Himmel empfange und der heiligsten Dreifaltigkeit darbringe, um dem Betenden eine Gnade zu erlangen.

Ich wurde auf eine Höhe zwischen Himmel und Erde entrückt. Ich sah die Erde unten dunkel und grau und den Himmel zwischen den Chören der Engel und Ordnungen der Heiligen, die heilige Jungfrau vor dem Throne Gottes. Ich sah ihr zwei Ehrenthrone, Ehrengebäude, die zuletzt ganze Kirchen, ja Städte wurden, aus dem Gebete der Erde erbauen. Ich sah diese Gebäude ganz von Blumen, Kräutern, Kränzen erbauen, in deren verschiedenen Gattungen der verschiedene Charakter und Wert der Gebete der einzelnen und ganzer Gemeinden sich ausbildete, welche von Engeln oder Heiligen aus den Händen der Betenden abgeholt und hinaufgetragen wurden.

6. Mariä Geburt

Schon mehrere Tage zuvor hatte Anna zu Joachim gesagt, dass ihre Zeit der Geburt herannahe. Sie hatte auch Boten nach Sephoris zu ihrer Schwester Maraha gesendet, dann in das Tal Zabulon zu der Witwe Enue, der Schwester Elisabeths, und nach Bethsaida zu Salome, der Frau des Zebedäus, welche die Tochter ihrer Schwester Sobe war. Ihre Söhne Jakobus Major und Johannes lebten noch nicht. Anna lud diese drei Frauen zu sich. Ich sah sie auf der Reise zu ihr. Zwei waren von ihren Männern begleitet, die aber in der Nähe von Nazareth wieder umkehrten. Joachim hat die Knechte zu den Herden und auch die überflüssigen Mägde aus dem Hause geschickt. Maria Heli, die älteste Tochter Annas, Cleophä Frau, besorgte das Hauswesen.

Am Vorabend ging Joachim selbst auf das nächst gelegene Feld zu seinen Herden hinaus. Ich sah ihn mit seinen Knechten, welche Verwandte von ihm waren. Er nannte sie Brüder. Sie waren Bruders- Kinder von ihm. Die Weiden sah ich schön abgeteilt und umzäunt. An den Ecken standen Hütten, wohin ihnen Speise aus Annas Haus gebracht wurde. Sie hatten auch einen Altar, wo sie beteten. Er war von Stein. Es führten einige Stufen zu ihm hinab, und der Grund rings umher war mit dreieckigen Steinplatten sauber ausgelegt. An der Rückseite des Altars war eine Mauer mit Staffeln an den Seiten aufgerichtet und der ganze Platz war mit Bäumen umgeben.

Joachim betete hier und suchte dann seine schönsten Lämmer, Böcklein und jungen Stiere zum Opfer im Tempel aus und sandte sie durch Knechte dahin. Er kam erst in der Nacht wieder nach Hause.

Die drei Frauen sah ich gegen Abend in Annas Haus ankommen. Sie begaben sich zu ihr in ihr Gemach hinter dem Herde. Sie umarmten sich, und Anna sagte, ihre Zeit sei nahe, und stimmte stehend mit ihnen einen Psalm an: «Lobet Gott den Herrn, Er hat sich seines Volkes erbarmt und hat Israel erlöst und hat wahr gemacht die Verheißung, welche Er Adam im Paradies gegeben: der Same der Frau soll der Schlange das Haupt zertreten». Ich weiß nicht mehr alles nach der Reihe, aber sie erwähnte alle Vorbilder Mariä und sagte: «der Keim, den Gott dem Abraham gegeben, ist in mir gereift, die Verheißung Saras und die Blüte des Stabes Aaron ist in mir vollendet». Dabei leuchtete sie. Ich sah das Gemach voll Glanz und über Anna die Leiter Jakobs. Die Frauen waren unbeschreiblich verwundert und entzückt. Ich glaube, dass sie die Leiter auch sahen.

Hierauf wurde ihnen eine kleine Erfrischung gegeben. Sie aßen und tranken stehend und legten sich gegen Mitternacht zur Ruhe nieder. Anna aber blieb auf und betete. Nachher kam sie und weckte die Frauen, sie fühle ihre Zeit nahe, sie möchten mit ihr beten. Sie gingen nun hinter einen Vorhang, wo der Betort war. Anna machte die Türen eines kleinen Wandschrankes auf. Es stand darin ein Heiligtum in einer Büchse und an beiden Seiten Lichter, die man aus einem Behälter in die Höhe schob und worunter man kleine Späne steckte, damit sie nicht sanken. Diese zündeten sie an. Unter dem Altärchen stand ein gepolsterter Schemel. In der Büchse waren Haare von Sara, welche Anna sehr verehrte, Gebeine von Joseph, welche Moses mit aus Ägypten gebracht, etwas von Tobias, ich glaube Kleidungsreliquien, und der kleine weiße, schimmernde birnförmige Becher, aus dem Abraham beim Segen des Engels getrunken, und den Joachim aus der Bundeslade mit dem Segen erhalten hatte. Dieser Segen war gleich Wein und Brot, ein Sakrament, eine übernatürliche Nahrung und Stärkung. Anna kniete vor dem Schränkchen, an jeder Seite eine der Frauen und die dritte hinter ihr. Ich hörte sie wieder einen Psalm sprechen und meine, der brennende Dornbusch auf Horeb kam darin vor. Ich sah aber ein übernatürliches Licht die Kammer füllen, das sich um Anna herum webt. Die drei Frauen sanken wie betäubt auf ihr Antlitz. Um Anna bildete sich das Licht ganz zu jener Gestalt, welche der Dornbusch auf Horeb gehabt so dass ich nichts von ihr sah. Die Flamme strahlte ganz nach Innen, und ich sah auf einmal, dass Anna das leuchtende Kind Maria in ihren Händen empfing, es in ihren Mantel einschlug, an ihr Herz drückte, dann auf den Schemel vor dem Heiligtum legte und noch betete. Da hörte ich das Kind weinen und sah, dass Anna Tücher hervorzog, die sie unter dem großen Schleier hatte, der sie verhüllte. Sie wickelte das Kind bis unter die Arme grau und rot darüber - Brust, Arme und Kopf waren bloß. Nun war der leuchtende Dornbusch um sie verschwunden. Die heiligen Frauen richteten sich auf und empfingen zu ihrer großen Verwunderung das Kind schon geboren auf ihre Arme, weinten und waren in großer Freude. Alle stimmten einen Lobgesang an, und Anna hob ihr Kind in die Höhe. Ich sah dabei die Kammer wieder voll Glanz und mehrere Engel, welche sangen und verkündeten: Maria solle das Kind am zwanzigsten Tage genannt werden. Sie sangen Gloria und Alleluja. Ich habe die Worte alle gehört.

Anna ging hierauf nach ihrem Schlafraum und legte sich auf ihr Lager. Die Frauen aber badeten und wickelten das Kind ein und legten es zur Mutter. Neben dem Lager konnte, wie man es wollte, vorne oder gegen die Wand oder zu Füßen ein kleiner geflochtener Gitterkorb mit Zapfen in Löcher befestigt werden, um dem Kind hier oder dort seinen Ruheplatz einzurichten. Nun rief eine der Frauen Joachim. Er kam an das Bett Annas und kniete nieder und weinte in Strömen auf das Kind. Dann hob er es in die Höhe und sprach einen Lobgesang wie den des Zacharias. Er sprach auch, dass er nun zu sterben verlange, und erwähnte des Keimes, den Gott Abraham gegeben und der aus ihm vollendet geworden, und sprach von der Wurzel Jesse. Ich habe erst nachher bemerkt, dass Maria Heli das Kind erst später zu sehen bekam. Sie musste schon einige Jahre Mutter der Mariä Cleophä sein. Doch war sie nicht bei der Geburt zugegen, weil sich dieses nach jüdischen Gesetzen von der Tochter bei der Mutter nicht schickte.

Als Maria geboren war, sah ich sie im Himmel vor der Heiligsten Dreifaltigkeit und auf Erden auf den Armen Annas zu gleicher Zeit, und sah die Freude aller himmlischen Chöre. Ich sah, dass ihr alle Seligkeiten und Geschicke auf eine übernatürliche Weise bekanntgemacht wurden. Ich habe oft solche Bilder, aber sie sind für mich unaussprechlich und für die Menschen wohl nicht ganz verständlich, darum sage ich sie nicht, Maria ward von unendlichen Geheimnissen unterrichtet. Als dieses Bild endete, weinte sie auf Erden.

Ich sah die Botschaft von ihrer Geburt auch in der Vorhölle verkünden und sah die Altväter in unendlicher Freude, besonders aber Adam und Eva, dass die im Paradies ihnen gegebene Verheißung nun erfüllt sei. Ich sah auch, dass die Altväter vorrückten in ihrem Gnadenstand, ihr Aufenthalt sich erweiterte und mehr aufhellte und dass sie eine größere Wirkung auf die Erde bekamen. Es war, als sei alle ihre Arbeit und Buße und all das Ringen, Sehnen und Schreien ihres Lebens zu seiner Frucht gelangt.

Ich sah eine große Bewegung und Freude in der ganzen Natur und in allen Tieren und Menschen und hörte süßen Gesang. In den Sündern aber war große Angst und Zerknirschung. Ich sah besonders in der Gegend von Nazareth und sonst im gelobten Land viele Besessene, die zur Stunde ihrer Geburt ganz wie rasend wurden. Sie schrieen entsetzlich und wurden hin und her geschleudert, und die Teufel brüllten aus ihnen: wir müssen weichen, wir müssen ausfahren!

Am meisten freute es mich, auch den alten Priester Simeon am Tempel in dieser Nacht zu sehen, da Maria geboren wurde. Ich sah ihn durch das heftige Schreien der Besessenen erweckt werden, welche in einer der Straßen am Tempelberg eingesperrt waren. Simeon, der mit anderen die Aufsicht über sie hatte, ging in der Nacht vor das Haus und fragte, woher das Geschrei, das alles aus dem Schlafe schrecke. Der zunächst da wohnende Besessene schrie nun entsetzlich, er müsse heraus. Simeon öffnete ihm und nun schrie der Teufel: «ich muss ausfahren, wir müssen ausfahren; es ist eine Jungfrau geboren, es sind so viele Engel auf Erden, die uns quälen, wir müssen ausfahren, und nie dürfen wir wieder einen Menschen besitzen». Ich sah nun den Menschen schrecklich auf dem Platze vom Teufel geschleudert werden, bis er endlich ausfuhr. Simeon betete. Mir machte es viel Freude, den alten Simeon jetzt zu sehen.

Auch die Prophetin Hanna und eine andere Lehrerin Mariä am Tempel sah ich erwacht und durch Gesichte unterrichtet von der Geburt eines Kindes. Sie erzählten es sich. Ich meine, sie wussten etwas von Anna.

Im Lande der heiligen drei Könige hatten weissagende Frauen Gesichte von der Geburt der heiligen Jungfrau. Sie sagten ihren Priestern, es sei eine Jungfrau geboren, zu der viele Geister zur Erde niedergestiegen, sie zu grüßen. Andere Geister aber trauerten. Auch die sternsehenden Könige hatten Bilder davon in ihren Sternen.

In Ägypten wurde in der Nacht der Geburt ein Götzenbild aus seinem Tempel heraus in das Meer geschleudert. Ein anderes aber fiel von seiner Stelle nieder und ging in Trümmer.

Am Morgen darnach sah ich eine große Menge von Leuten aus der Gegend, auch Knechte und Mägde Annas, das Haus umgeben. Ihnen allen wurde das Kind von den Frauen gezeigt. Viele waren sehr gerührt und viele Böse besserten sich. Sie kamen herbei, weil sie in der Nacht einen Glanz über Annas Haus gesehen und weil die Geburt ihres Kindes für eine große Gnade erkannt wurde.

Es kamen später noch mehrere Verwandte Joachims aus dem Tale Zabulon in das Haus und auch die ferneren Knechte. Allen wurde das Kind gezeigt und im Haus wurde eine Mahlzeit veranstaltet.

Nach und nach kamen an den folgenden Tagen immer mehrere Leute, das Kind Maria zu sehen, das dann in seinem Wiegenschiffchen auf einem erhöhten Gestelle, wie auf einem Sägebock, in den vorderen Raum getragen wurde. Es lag auf roten und darüber weißen Tüchern und war rot und durchsichtig weiß bis unter die Ärmchen eingehüllt. Es hatte gelbe krause Härchen. Ich sah auch Maria Cleophä, das Kind der Maria Heli und des Cleophas, das Enkelchen Annas, als ein Mädchen von einigen Jahren mit dem Kinde Maria spielen und es liebkosen. Es war ein dickes, starkes Mädchen, trug ein weißes Kleidchen ohne Ärmel mit einer roten Borde, an der rote Äpfel hingen, eingefasst. Um die bloßen Ärmchen hatte sie weiße Kränzchen wie von Federn oder Seide oder Wolle. Das Kind Maria hatte auch ein durchsichtiges Schleierchen um den Hals.

7. Das Kind empfängt den Namen Maria

Ich sah ein großes Fest im Haus Annas. Es war alles aufgeräumt. Vorne im Haus waren die Flechtwände bei Seite geräumt und ein großer Saal bereitet. Ringsum war eine große niedrige Tafel aufgestellt und mit Tischgerät, aber noch nicht mit Speisen besetzt. In der Mitte des Saales stand ein mit Rot und Weiß bedeckter Altar und ein Gestell, worauf Rollen zu liegen kamen. Auf dem Altar war ein kleines muldenförmiges Wiegenkörbchen, weiß und rot geflochten und mit himmelblauer Decke ausgelegt. Es waren Priester von Nazareth in ihren Amtskleidern da und einer derselben war ausgezeichneter gekleidet. Mehrere anwesende Frauen von der Verwandtschaft Annas waren auch in ihren Festkleidern. Es waren: Annas älteste Tochter Maria Heli, dem Cleophas verheiratet und Annas Schwester von Sephoris und andere, auch mehrere Verwandte Joachims. Anna war auf, aber sie erschien nicht, sie war hinter dem Herde in ihrer Kammer. Enue, Elisabeths Schwester, brachte das Kind Maria in Rot und durchsichtigem Weiß bis unter die Ärmchen gewickelt heraus und gab es Joachim. Die Priester traten zum Altar, wobei dem Obersten die Schleppe getragen wurde und beteten aus Rollen. Joachim legte dem ersten Priester das Kind auf die Arme und dieser hob es empor, betete und legte es in das Körbchen auf den Altar. Dann nahm er eine Kneipschere, an deren Ende ein Kästchen war, so dass das Abgeschnittene hineingedrängt wurde, wie an einer Lichtschere, und schnitt dem Kind ein wenig Haare an den beiden Seiten und in der Mitte des Kopfes ab und verbrannte sie auf einem Kohlenbecken. Dann nahm er eine Büchse mit Öl und salbte dem Kind die fünf Sinne. Er drückte dem Kind Salbe mit dem Daumen auf die Ohren, Augen, Nase und Mund und in die Herzgrube. Auch schrieb er den Namen Maria auf ein Pergament und legte ihn dem Kind auf die Brust. Dann ward Maria von Joachim der Enue zurückgegeben, welche sie zu Anna brachte. Die Frauen standen im Hintergrund. Es wurden noch Psalmen gesungen.

Ich sah dieses Mal allerlei Speisegerätschaft, das ich sonst nicht beachtet hatte. Es standen Gefäße ganz leicht, oben durchlöchert auf dem Tisch, ich glaube Körbe, um Blumen hineinzutun. Ich sah auf einem Nebentisch viele weiße Stäbchen wie von Bein liegen, auch Löffel. Es lagen auch krumme Rohre darauf. Ich weiß nicht wozu diese gebraucht wurden. Das Mahl selbst habe ich nicht mehr mitangesehen.

8. Mariä Opferung

Vorbereitung

Maria war drei Jahre und drei Monate alt, als sie das Gelübde machte, unter die Tempeljungfrauen aufgenommen zu werden. Sie war sehr zart hatte rötlichblonde Haare, unten ein wenig gelockt und hatte schon die Größe wie hier zu Lande ein fünf- bis sechsjähriges Kind. Die Tochter von Maria Heli war einige Jahre älter und viel stärker und derber. Ich sah im Haus Annas die Vorbereitung Mariä zur Aufnahme in den Tempel. Es war ein großes Fest. Fünf Priester waren zugegen, aus Nazareth, Sephoris und anderen Orten, unter ihnen Zacharias und ein Bruderssohn von Annas Vater. Sie hatten mit dem Kind Maria eine heilige Zeremonie vor. Es war eine Art Prüfung, ob sie geistesreif sei, in den Tempel aufgenommen zu werden. Außer den Priestern waren noch die Schwester Annas von Sephoris und deren Tochter, dann Maria Heli und ihr Kind und mehrere andere kleine Mädchen und Verwandte zugegen.

Die teils von den Priestern zugeschnittenen Kleider des Kindes waren von den Frauen fertig genäht und wurden bei diesem Fest dem Kind in verschiedener Zeit angelegt und das Kind wurde dabei allerlei gefragt. Diese Handlung war an sich ganz ernst und feierlich, wenn sie gleich von den alten Priestern einzeln mit einem kindlichen Lächeln vollzogen wurde, das aber immer von ihrer Verwunderung über die Äußerungen und Antworten des Kindes Maria unterbrochen ward, sowie von den Tränen der Eltern. Es waren für Maria drei verschiedene vollständige Anzüge bereitet die sie ihr zu verschiedener Zeit anlegten, indem sie dazwischen sie über Allerlei ausfragten. Es geschah dieses Alles in einem größeren Raume neben dem Speiseraum. Er empfing das Licht durch eine viereckige Öffnung in der Mitte der Decke, welche oft mit einem Florgitter überspannt war. Über dem Boden war eine rote Decke gebreitet. In der Mitte stand ein Altartisch mit roter und darüber weißdurchsichtiger Decke und auf dem Altar ein Schrank mit Schriftrollen und einem Vorhang auf dem das Bild von Moses gestickt oder genäht war. Moses war in seinem großen Betmantel, die Gesetztafeln am Arme hängend, dargestellt. Ich sah Moses immer von großer breitschultriger Gestalt. Er hatte einen hohen spitzen Kopf, eine große gebogene Nase und auf der breiten hohen Stirne zwei gegeneinander geneigte Erhöhungen, was ihm ein sehr wundersames Aussehen gab. Moses hatte sie schon als Kind wie kleine Warzen. Die Farbe seines Angesichts war feurig rotbraun, die Haare rötlich. Ich sah mehrfach solche Erhöhungen an der Stirne der alten Propheten und Einsiedler und auch nur ein derartiges Gewächs mitten auf der Stirne.

Auf dem Altar lagen die drei Anzüge des Kindes Maria und außerdem Stoff und Zeug, welche die Verwandten zur Ausstattung des Kindes geopfert hatten. Vor dem Altar stand auf Stufen eine Art Thronsessel. Die Priester traten mit entblößten Füßen in den Saal, aber nur drei von ihnen hielten die Prüfung und segneten das Kind in seiner letzten Bekleidung. Joachim und Anna mit ihren Verwandten waren auch zugegen. Die Frauen standen zurück, die kleinen Mädchen zu den Seiten Mariä. Einer der Priester nahm die Gewänder vom Altar, erklärte ihre Bedeutung und reichte sie der Schwester Annas von Sephoris, welche das Kind damit bekleidete.

Sie legte ihr zuerst ein gelbliches gestricktes Röckchen an und darüber ein buntes Bruststück mit Schnüren, das über den Hals geworfen und um den Leib zusammen gezogen wurde. Es hatte auf der Brust etwas wie Schnüre. Darüber kam ein bräunlicher Mantel mit Armlöchern, an denen oben Lappen nieder hingen. Er war oben ausgeschnitten und unter der Brust bis herab geschlossen. Sie hatte braune Sandalen mit grünen dicken Sohlen. Ihre rötlichgelben, krausen Haare waren gekämmt und sie hatte einen Kranz von weißer Seide mit gestreiften Federn unterbrochen auf. Die Federn waren fingerlang nach einwärts des Kranzes gekrümmt. Ich kenne den Vogel dort im Land, von dem sie sind. Es wurde ihr ein großes viereckiges, aschfarbiges Tuch über den Kopf gelegt, wie eine große Hülle. Es konnte unter den Armen zusammengezogen werden, dass die Arme wie in zwei Schlingen darin ruhten. Es schien dies ein Buß-, Bet- oder Reisemantel.

Die Priester legten nun dem Kind allerlei Fragen in Bezug auf die Disziplin im Tempel vor. Sie sagten ihr: «Deine Eltern haben, als sie dich zum Tempel verlobten, das Gelübde getan, du sollst keinen Wein, keinen Essig, keine Weinbeeren, keine Feigen genießen. Was willst du nun selbst zu diesem Gelübde hinzufügen? Darauf magst du dich während der Mahlzeit besinnen.» Die jüdischen Leute und besonders die jungen Mädchen tranken gerne Essig und auch Maria liebte ihn. Sie wurde noch Allerlei dergleichen gefragt.

Nun wurde ihr das zweite Kleid angelegt. Es bestand aus einem himmelblauen Leibrock, einem weißlich-blauen Mantel, einem reicheren Bruststück und einem weißen wie Seide schimmernden Schleier mit Falten hinten, auf die Art eines Nonnenweihels. Sie hatte ein feines, eng anschließendes Kränzchen von bunten Blumenknospen von Seide mit grünen Blättchen auf. Die Priester legten ihr einen weißen Gesichtsschleier über, er war wie eine Kappe oben zusammengezogen und mit drei immer niedriger stehenden Spangen durchzogen, welche man auf dem Kopf in die Höhe schieben und so den Schleier um ein Drittel zur Hälfte und ganz heben konnte. Sie wurde über den Gebrauch dieses Schleiers unterrichtet, wie sie ihn lüften müsse, zum Essen und niederlassen, wenn sie gefragt werde und antworte.

In diesem Anzug ging Maria zur Mahlzeit wo sie zwischen den beiden Priestern und einer ihr gegenüber saß. Die Frauen und anderen Kinder saßen an einem Ende des Tischs von den Männern getrennt. Während der Mahlzeit prüften die Priester das Kind auf mancherlei Weise im Gebrauch des Schleiers durch Fragen und Antworten und in allerlei anderen Sittengesetzen. Sie sagten auch, nun dürfe sie noch von Allem essen, und reichten ihr verschiedene Speisen, prüften sie im Abbruch und versuchten sie. Maria aber setzte sie in Allem, was sie tat und sagte, in Erstaunen. Sie nahm nur von wenigen Speisen wenig und antwortete auf alle Fragen mit einer kindlichen Weisheit. Ich sah während der Mahlzeit und der ganzen Prüfung Engel um sie, welche sie in Allem unterstützten und anleiteten.

Nach dem Mahl wurde sie nochmals in dem andern Raum vor dem Altar umgekleidet. Es war die Schwester Annas von Sephoris und ein Priester, welche sie ankleideten. Der Priester erklärte die Bedeutung der Kleider und sprach über geistliche Dinge dabei. Maria erhielt nun die festlichsten Kleider: einen violblauen Leibrock und darüber ein buntgesticktes Bruststück. Es wurde neben mit dem Rückenstück zusammengezogen, fasste den Rock kraus, lief spitz unten zu. Hierüber einen violblauen Mantel weiter und feierlicher gemacht, hinten rund und überhaupt etwas geschweift wie ein Messgewand. Unter der Brust geschlossen ließ er an den Armen offene Bogen, worin die Arme sich einlegen konnten. Man sah in sie hinein. Er hatte geschlossen fünf Linien vorne herab mit senkrechter, goldgestickter Verzierung. Die mittelste geteilt war der Schlussrand und mit Knöpfen oder Hacken geschlossen. Der Mantel war auch sonst am Rande gestickt. Dann wurde ihr ein großer schillernder Schleier übergelegt von der einen Seite fiel er weiß, von der andern violbläulich ins Auge. Es wurde ihr eine oben mit fünf Spangen geschlossene Krone aufgesetzt. Sie bestand aus einem dünnen inwendig Gold glänzenden, breiten Reif. Der obere Rand war breiter und hatte Zacken mit Knöpfen. Sie war auswendig mit Seide übersponnen und mit Seiden-Röschen verziert, worin fünf Perlen befestigt waren. Die fünf Schlussbogen waren von Seide und hatten einen Knopf. Das Bruststück wurde hinten auf dem Rücken zusammengefügt, doch waren vorn Schnüre daran. Der Mantel war erst über der Brust durch ein Querband verbunden, welches durch einen am Bruststück abstehenden Knopf lief, damit es nicht aufdrückte. Dann schloss er sich aber unter dem Oberleib und fiel hinten in Falten nieder, welche hinter jedem Arm hervorsahen.

Maria wurde in diesem feierlichen Anzug auf die Stufen vor dem Altärchen gestellt. Die kleinen Mädchen standen zur Seite. Sie sagte nun auch, dass sie kein Fleisch und keinen Fisch essen und keine Milch trinken wolle, aber ein Getränk aus Wasser und dem Mark eines Schilfes bereitet, was im Gelobten Lande arme Leute, wie hier zu Land Reis- oder Gerstenwasser, trinken, und dann und wann etwas Terebinthensaft. Es ist dieses wie ein weißes Öl, zieht sich lang und ist sehr erquickend, doch nicht so fein als Balsam. Auch wolle sie gar kein Gewürz essen und keine Früchte, als eine Art gelber Beeren, die in Träubchen wachsen. Ich kenne sie wohl, es essen sie dort Kinder und geringe Leute. Auch wolle sie an der bloßen Erde liegen und alle Nacht dreimal zum Gebete aufstehen. Die anderen standen nur einmal auf.

Anna und Joachim weinten, als sie dieses alles hörten. Und der alte Joachim drückte sein Kind weinend in die Arme und sagte: ach mein Kind, das ist zu hart wenn du so enthaltsam leben willst dann sehe ich alter Mann dich nicht mehr wieder. Es war dieses sehr rührend.

Die Priester sagten ihr, sie solle nur einmal, wie die anderen aufstehen und machten noch andere mildernde Bedingungen. Zuletzt sagten sie: «Viele von den anderen Jungfrauen, welche ohne Ausstattung und Beköstigung an den Tempel kommen, machen sich mit Einwilligung ihrer Eltern verbindlich, die mit Blut besprengten Kleider der Priester und andere Tücher von rauer Wolle zu waschen, was eine schwere Arbeit ist und wohl blutige Hände kostet. Du hast dieses nicht nötig, weil deine Eltern dich am Tempel erhalten». Maria aber erwiederte schnell, sie wolle auch diese Arbeit tun, wenn sie dazu würdig gehalten werde. Joachim war auch hierüber sehr bewegt.

Während dieser heiligen Handlung sah ich Maria oft so groß unter den Priestern werden, dass sie über sie emporsah. Das war mir ein Bild ihrer Weisheit und Gnade. Die Priester waren in Ernst und freudigem Erstaunen.

Zuletzt wurde Maria durch die Priester gesegnet. Ich sah sie leuchtend auf dem Thrönchen stehen. Zwei Priester standen ihr zur Seite, einer ihr gegenüber. Die Priester hatten Schriftrollen in den Händen und beteten über sie. Sie hielten beim Gebet die Hände ausgestreckt über Maria. Ich hatte dabei ein wunderbares Gesicht in das Kind Maria. Es war, als werde sie von dem Segen durchleuchtet und ich sah in ihr eine Glorie von unaussprechlichem Glanz und in derselben das Geheimnis der Bundeslade wie in einem schimmernden Kristallgefäß. Ich sah das Herz Mariä darüber sich voneinander tun, wie eine Tempeltüre, und das Heiligtum der Bundeslade, um welches sich wie ein Thronhimmel, ein Tabernakel von mannigfaltigen bedeutungsvollen Edelsteinen gebildet hatte, durch diese Öffnung in das Herz einziehen, wie die Bundeslade in das Allerheiligste, wie die Monstranz in den Tabernakel. Ich sah dabei das Kind Maria wie verklärt und über die Erde emporschwebend. Mit dem Einziehen dieses Sakramentes in das Herz Mariä, welches sich über demselben schloss, ging das Bild in Ruhe über, und ich sah das Kind nun von einer glühenden Innigkeit durchgossen. Ich sah während dieser Erscheinung, dass Zacharias auch eine innere Überzeugung oder himmlische Mahnung erhielt, dass Maria das auserwählte Gefäß des Geheimnisses sei. Er hatte einen Strahl aus dem empfangen, was ich figürlich in Maria hatte erscheinen gesehen.

Nun führten die Priester das Kind seinen Eltern zu. Anna hob ihr Kind an die Brust empor und küsste es mit ernster Rührung. Joachim gab ihm sehr gerührt und ehrend die Hand. Die ältere Schwester, Maria Heli, umarmte das gesegnete Kind viel lebhafter, als Anna getan, welche eine sehr ernsthafte, geschäftige und sich mäßigende, besonnene Frau war. Die Nichte Maria Cleophä tat wie Kinder freundlich umhalsend.

Hierauf nahmen die Priester das Kind wieder, legten ihm die Kleider ab und führten es in seinem gewöhnlichen Kleidchen heraus. Ich sah sie stehend noch aus einem Becher trinken und dann abreisen.

9. Die Reise zum Tempel

Joachim, Anna und ihre älteste Tochter sah ich in der Nacht mit Packen und Anstalten zur Reise beschäftigt. Es brannte eine Lampe mit mehreren Dochten und Maria Heli sah ich mit einem Licht geschäftig herumgehen. Schon Tags zuvor hatte Joachim Knechte mit Opfertieren, je fünf der schönsten von jeder Gattung zum Tempel gesandt die eine hübsche Herde ausmachten. Er rüstete nun zwei Lasttiere, auf welche er allerlei Gepäck befestigte: Kleider für das Kind und Geschenke für den Tempel. Auf den Rücken der Tiere kam ein breiter Pack, dass man bequem darauf sitzen konnte. Die Sachen, welche aufgepackt wurden, waren alle in Bündel geordnet. Es wurden auch Körbe auf beide Seiten eines der Lasttiere befestigt, schlüsselförmige mit gewölbtem Deckel, worin Vögel so groß wie Feldhühner und längliche mit Früchten. Über die Ladung wurde eine Decke, woran dicke Quasten, gebreitet.

Von den Priestern waren noch zwei zugegen. Der eine war sehr alt und trug eine Kappe, welche auf der Stirn herab spitz zulief und über die Ohren herab Lappen hatte. Sein Oberkleid war kürzer als das Unterkleid und er hatte auch eine Art Stola an sich herabhängen. Er hatte viel mit dem Kind zu tun. Der andere war jünger.

Ich sah aber auch zwei Knaben gegenwärtig. Sie waren nicht natürlich, sie waren hier in geistlicher Bedeutung, als Propheten. Sie trugen lange Bahnen über Stäbe gerollt, die oben und unten mit einem Knopf hervorragten. Der größere hatte seine Bahn aufgerollt. kam auf mich zu und las mir vor und erklärte es. Es waren mir ganz fremde einzelne goldene Buchstaben verkehrt geschrieben. Jeder Buchstabe bedeutete ein ganzes Wort. Die Sprache lautete ganz fremd, aber ich verstand sie doch. Er zeigte mir in seiner Rolle die Stelle vom brennenden Dornbusch des Moses und erklärte sie mir: wie der Dornbusch brenne und nicht verbrenne, so entbrenne nun das Feuer des Heiligen Geistes in dem Kind Maria und in ihrer Demut wisse sie wie nicht davon. Es deute auch auf die Gottheit und Menschheit in Jesu und wie Gottes Feuer nun mit dem Kind Maria sich vereinige. Das Ausziehen der Schuhe legte er aus, dass das Gesetz nun erfüllt werde, dass die Hülle niederfalle und das Wesentliche nun komme. Das Fähnchen, welches er an seinem Stab trug, deutete er, dass Maria nun ihren Weg beginne, ihren Gang, die Mutter des Erlösers zu werden. Der andere Knabe war wie spielend mit seiner Rolle, er hüpfte und vagierte damit herum. Das bedeutete die Unschuld Mariä, auf welcher so große Verheißung ruhte und welche doch spielte wie ein Kind in dieser heiligen Bestimmung. Ich kann nicht sagen, wie lieblich diese Knaben waren. Aber sie waren anders, als alle Anwesenden und es war, als wenn diese sie gar nicht sähen.

Außer Anna waren es etwa noch sechs verwandte Frauen mit ihren Kindern und einige Männer, welche mitreisten. Joachim führte das Tier, auf welchem das Kind Maria abwechselnd saß und trug eine Leuchte. Denn es war noch dunkel, als sie fortzogen. Das andere Tier führte ein Knecht. Ich sah aber den Zug auch von den zwei Propheten-Erscheinungen begleitet. Als Maria aus dem Haus eilte, zeigten sie mir eine Stelle in ihren Rollen, wie herrlich der Tempel sei, wie aber Maria noch Herrlicheres umschließe. Maria war in das gelbliche Röckchen und das große Schleiertuch gekleidet welches um den Leib zusammengezogen wurde, dass die Arme darin ruhen konnten. Wenn sie auf dem Lasttier saß, zogen die Prophetenknaben hinter ihr, wenn sie ging, ihr zur Seite. Sie sangen auch den 44. und 49. Psalm und ich erfuhr, dass diese Psalmen auch im Tempel bei der Aufnahme gesungen werden würden. Das Kind Maria sah sie wohl, aber sie sagte nichts davon, war ganz still und in sich gekehrt.

Die Reise war beschwerlich, sie führte über Berg und Tal. In den Tälern lag kalter Nebel und Tau. Einmal sah ich sie an einer Quelle unter Balsamstauden rasten und in einer Herberge am Fuß eines Berges übernachten.

Zwölf Stunden von Jerusalem trafen sie in der Herberge mit der vorausgesandten Opferherde zusammen, als sie eben weiter zog. Joachim war hier gut bekannt und ganz wie in seinem Eigentum. Mit seinem Opfervieh war er hier immer eingekehrt, und da er von seinem Bußleben bei den Hirten wieder nach Nazareth zurückkehrte, war er auch hier gewesen.

Sechs Stunden von Jerusalem sah ich sie in der Stadt Bethoron. Sie waren über ein Flüsschen und an Gophna und Ozensara vorüber gekommen und hatten noch ein paar Stunden zu einer Straße, von wo aus man Jerusalem sehen konnte. Hier in Bethoron kehrten sie in einer Levitenschule ein und es waren hierher noch weitere Verwandte Joachims und Annas aus Nazareth, Sephoris, Zabulon und der Umgegend mit ihren Töchtern gekommen, sodass ein ordentliches kleines Fest mit Maria wurde. Sie wurde in Begleitung vieler Kinder in einen Saal geführt, wo ihr der Platz auf einem höher stehenden Thronsessel bereitet war. Sie war bekränzt. Die Lehrer stellten Fragen an sie und waren voll Staunen über ihre Antworten. Man sprach auch von der Klugheit einer anderen Jungfrau, welche vom Tempel nach ihrer Heimat Gophna zurückreisend vor kurzem hier gewesen war. Sie hieß Susanna und ich meine, dass Maria an ihre Stelle am Tempel kam. Susanna war fünfzehn Jahre alt und kam später zu den heiligen Frauen, die Jesus folgten.

Maria war voll Freude, dem Tempel schon so nahe zu sein. Ich sah, wie Joachim sie weinend umarmte und sagte: ich sehe dich wohl nicht wieder. Während der Mahlzeit ging Maria hin und her, legte sich manchmal neben Anna zu Tisch oder stand hinter ihr die Hand um ihren Hals gelegt.

Am folgenden Tag reisten sie sehr früh nach Jerusalem weiter, begleitet von dem Lehrer der Levitenschule und seiner Familie. Die jungen Mädchen trugen Geschenke an schönen Früchten und Kleidungsstücke für das Kind. Es schien mir in Jerusalem ein rechtes Fest zu werden. Je näher sie der heiligen Stadt kamen, um so eiliger und begieriger war Maria. Sie lief gewöhnlich vor den Eltern her.

Ich sah die Ankunft des Zuges in Jerusalem und auch alle Wege und Stege und Gebäude Jerusalems so deutlich, wie lange nicht. Jerusalem ist eine sehr wunderliche Stadt. Man darf sie sich gar nicht mit so vielen Leuten auf den Straßen wie unsere heutigen großen Städte denken. Viele tief liegende und steil aufsteigende Straßen führen hinter Stadtmauern herum, wo keine Tür herausgeht. Die hochliegenden Häuser hinter den Stadtmauern sind nach der anderen Seite zugekehrt. Denn es sind mehrere Stadtteile nacheinander erbaut und immer wieder ein neuer Bergrücken dazu gezogen worden. Die alten Stadtmauern aber blieben stehen. Oftmals sind die tiefen Talwege mit hohen, festen Steingewölben überbaut. Die Häuser haben ihre Höfe und Zimmer nach Innen. Gegen die Straßen zu haben sie nur Türen, auch wohl Terrassen oben auf der Mauer. Sonst sind die Häuser sehr geschlossen. Wenn die Bewohner nicht auf den Plätzen der Stadt zu tun haben oder nach dem Tempel ziehen, sind sie meist im Innern ihrer Häuser und Höfe. Im Ganzen ist es ziemlich still auf den Straßen außer in der Gegend der Märkte und Paläste, wo mehr Gehen und Ziehen von Soldaten und Reisenden ist. An Tagen und zu Zeiten, wo alles am Tempel ist, ist es in vielen Gegenden recht tot. Durch die vielen tiefen einsamen Wege und Täler und die Zürückgezogenheit in die Häuser konnten auch Jesus und die Jünger so viel ungestört gehen. Wasser ist auch nicht viel in der Stadt und oft sieht man ganz hohe Gebäude, worin es hin- und hergeleitet ist, auch Türme, wo es hinaufgepumpt wird. Am Tempel, wo sehr vieles Wasser zum Waschen und Reinigen der Gefäße gebraucht wird, ist man sehr achtsam damit. Es sind große Pumpwerke, womit es hinaufgepumpt wird. Es sind viele Krämer und Kaufleute in der Stadt sie stehen meistens auf Märkten und öffentlichen Plätzen in leichten Hütten zusammen. So stehen z.B. nicht weit vom Schaftor viele Leute, die mit allerlei Geschmeide, Gold und glänzenden Steinen handeln. Sie haben leichte runde Gebäude die ganz braun sind, als wären sie mit etwas überstrichen, wie Pech oder Harz. Sie sind leicht und doch ganz fest. Da haben sie dann ihre Wirtschaft drin und von einem zum anderen sind Zelte gespannt, wo sie ihre Waren auslegen. Es sind auch Gegenden der Stadt z.B. bei den Palästen, wo mehr Leben nach der Straße geht und es lebhafter ist. Das alte Rom liegt eigentlich viel angenehmer, es ist nicht so steil und war auch belebter auf den Straßen. Der Berg, worauf oben der Tempel liegt, hat an einzelnen Seiten, wo er sanfter abhängend ist, mehrere Straßen auf Terrassen hinter dicken Mauern um sich, wo teils Tempeldiener teils Priester, auch geringe Leute wohnen, welche niedrige Dienste tun, z.B. die Gräben reinigen, wohinein aller Unrat von dem geschlachteten Vieh vom Tempel nieder kommt. An einer Seite, (sie meint die Nordseite) ist der Tempelberg sehr steil ab und ist dieser Graben ganz schwarz. Es ist auch noch um den Tempelberg ein grüner Rand oben, wo die Priester allerlei Gärtchen haben. Es wurde zu Christi Zeiten noch immer an einzelnen Orten am Tempel gebaut, das ließ nie ab. Sehr vieles Erz ist in dem Tempelberg und sie haben beim Bau viel herausgeholt und oben verwendet. Es sind auch viele Schmelzereien und Gewölbe darunter. Mir war es nie heimlich in dem Tempel, für mich fand ich keinen rechten Ort zum Beten drin. Es ist alles so schrecklich fest und dick und hoch, und die vielen Höfe sind doch wieder eng und finster und mit so vielen Gerüsten und Stühlen verbaut. Wenn die Leute alle drin sind, macht sich alles ganz schauerlich und selbst eng bei den dicken hohen Mauern und Säulen. Auch war mir das viele, immerwährende Schlachten und das viele Blut so unheimlich, wenn es gleich gar nicht auszusprechen ist welche ungemeine Ordnung und Reinlichkeit in allen diesen Verrichtungen war.

10. Einzug in Jerusalem

Ich sah den Zug mit Maria Jerusalem von der Nordseite her nahen und vor den ersten Gärten und Palästen der Stadt sich um diese herum bis zur Morgenseite wenden. Sie durchschnitten das Tal Josaphat und kamen den Weg nach Bethanien links lassend durch das Schaftor, das nach dem Viehmarkt führte, in die Stadt hinein. Hier war auch ein Teich, wo Schafe gewaschen wurden. Von da führte sie der Weg rechts zwischen Mauern in einen andern Stadtteil und da sie durch einen langen Talweg nach der Abendseite der Stadt in die Gegend des Fischmarktes zogen, kamen ihnen aus dem Haus, wo Zacharias, wenn er den Tempeldienst hatte, immer einkehrte, Männer, Frauen und Kinder mit Kränzen entgegen, um sie festlich zu empfangen und nach dem Haus zu geleiten, wohin sie etwa noch eine Viertelstunde hatten. Zacharias war jetzt nicht zugegen. Aber ein sehr alter Mann, ich glaube seines Vaters Bruder und Verwandte aus der Gegend von Hebron und Bethlehem mit ihren Kindern. Es war hier im Haus ein ordentliches Fest. Das Kind Maria trug die zweite Festkleidung mit dem blauen Mäntelchen.

Zacharias holte sie hier ab, um sie nach der Festherberge zu führen, die er für sie gemietet hatte. Es lagen vier solcher Festherbergen an dem nordöstlichen Ende des Tempelberges. Die von Zacharias gemietete war sehr groß. Vier Hallen umgaben einen großen Hof. in denen längs den Wänden Schlafstellen und lange niedrige Tische waren. Auch ein geräumiger Saal und ein Kochherd war für sie bereit. In zwei Seiten der Festherberge wohnten Tempeldiener, welche mit den Opfertieren zu tun hatten, und der Hof, wo die Opferherde Joachims eingestellt wurde, lag ganz in der Nähe.

Es war eine ordentliche Prozession, da Zacharias den Zug in diese Festherberge abholte. Er ging mit Joachim und Anna voraus, dann folgte Maria umgeben von vier weißgekleideten Mädchen, den Schluss machten die übrigen Kinder und Verwandten. Der Weg führte sie am Palast des Herodes und dem des römischen Landpflegers vorüber, die Burg Antonia im Rücken lassend und zuletzt an einer hohen Mauer über fünfzehn Stufen aufwärts. Maria stieg ohne Hilfe hinauf. Man wollte sie führen; allein sie gab es nicht zu und alle erstaunten über sie. Bei dem Einzug in das Festhaus wurden ihnen die Füße gewaschen. Dann wurden sie in den großen Saal geführt, in dessen Mitte eine Lampe von der Decke über einem großen erzenen Wasserbecken niederhing. Hier wuschen sie sich Angesicht und Hände.

Joachim und Anna begaben sich dann noch mit Maria in eine höher gelegene Priesterwohnung. Auch hier eilte das Kind vom inneren Geiste getrieben die Stufen hinauf. Die zwei Priester im Hause bewillkommten sie freundlich. Beide waren bei der Prüfung Mariä in Nazareth gewesen. Sie riefen eine der Tempelfrauen, eine bejahrte Witwe, welche die Aufsicht über das Kind haben sollte, herbei. Sie wohnte mit den anderen Frauen in der Nähe des Tempels, wo sie allerlei weibliche Arbeiten verrichteten und Mägdlein erzogen. Ihre Wohnung war etwas entfernter vom Tempel, als die an ihn angebauten Räume mit den Betzellen der Tempeljungfrauen, aus denen man ungesehen in das Heilige hinabschauen konnte. Die Witwe war ganz in ihr Gewand gehüllt dass man nur wenig von dem Angesicht sah. Die Priester und Eltern stellten ihr das Kind Maria als ihren künftigen Pflegling vor. Sie war feierlich freundlich und das Kind demütig und ehrerbietig. Die Witwe ging mit zu der Festherberge und empfing einen Pack zu der Ausstattung des Kindes.

Der Tag darauf ging mit den Vorbereitungen zu Joachims Opfer und zur Aufnahme Mariä in den Tempel vorüber.

Joachim kam mit dem Opfervieh schon früh zum Tempel, vor welchem es von Priestern ausgesucht wurde. Das ausgeschlossene wurde gleich zum Viehmarkt zurückgetrieben. Ich sah, wie Joachim vor dem Schlachten jedem Tier die Hand auf den Kopf legen musste und auch das Blut und einzelne Teile des Tieres empfangen. Es waren da allerhand Säulen, Tische und Gefäße, wo alles zerlegt, geteilt und geordnet wurde. Der Schaum des Blutes ward weggetan. Das Fett, Milz und Leber wurden abgesondert. Es wurde auch alles gesalzen. Die Eingeweide der Lämmer wurden gereinigt, mit Etwas gefüllt und wieder in das Lamm gelegt, dass es wie ein ganzes Lamm war. Die Füße der Tiere waren alle kreuzweise gebunden. Es wurde manches von dem Fleisch den Tempeljungfrauen nach einem andern Hof gebracht, welche etwas damit zu tun hatten, vielleicht es für sich oder die Priester zuzubereiten. Alles dieses geschah mit unbeschreiblicher Ordnung. Die Priester und Leviten gingen und kamen immer zwei und zwei und bei der vielen und beschwerlichen Arbeit ging alles wie am Schnürchen. Die bereiteten Opferstücke lagen alle bis zum anderen Tag.

Es war aber in der Herberge ein Fest und eine Mahlzeit. Es waren wohl an hundert Menschen mit den Kindern. Darunter vierundzwanzig Mägdlein von verschiedenem Alter. Unter andern sah ich Seraphia, nach Jesu Tod Veronika genannt, schon ziemlich erwachsen. Sie mochte wohl zehn bis zwölf Jahre alt sein. Sie bereiteten Kränze und Blumengewinde für Maria und ihre Begleiterinnen und schmückten auch sieben Kerzen. Diese waren wie szepterförmige Leuchter ohne Fußgestell und oben brannte eine Flamme. Es gingen bei dem Fest mehrere Priester und Leviten in der Herberge ein und aus. Sie nahmen auch teil an der Mahlzeit. Als sie sich über die Größe von Joachims Opfer verwunderten, sagte ihnen dieser, eingedenk seiner am Tempel erlittenen Schmach, da sein Opfer nicht angenommen worden und der großen Barmherzigkeit Gottes, der sein Flehen erhört, wolle er nun nach seinen Kräften dankbar sein. Ich sah das Kind Maria mit den andern Mägdlein in der Gegend des Hauses auch spazieren gehen.

11. Einzug Mariä in den Tempel und Opferung

Zacharias und die anderen Männer waren bereits in den Tempel gezogen. Nun wurde auch Maria von den Frauen und Jungfrauen begleitet nach dem Tempel geführt. Anna und ihre älteste Tochter Maria Heli mit ihrem Töchterlein Maria Cleophä gingen voraus, dann folgte Maria in dem zweiten himmelblauen Kleide und Mantel, mit Kränzen an den Armen und um den Hals geschmückt. Sie trug den mit Kränzen geschmückten Leuchterstab in der Hand. Zu jeder Seite gingen ihr drei Mägdlein mit ähnlich bekränzten Leuchterstäben. Sie waren weiß mit Gold gestickt gekleidet und hatten auch bläuliche Mäntel an. Sie waren ganz mit Blumenkränzen umwunden und trugen kleine Kränze um die Arme. Nun folgten die anderen Jungfrauen und Mägdlein, welche alle auch schön, aber etwas verschieden gekleidet waren. Doch hatten sie alle Mäntelchen. Sie folgten nach, es waren wohl an die zwanzig. Es folgten auch die Frauen. Sie konnten von hier nicht gleich zum Tempel kommen, sie mussten einen Umweg machen und hatten fast eine halbe Stunde zu gehen. Sie kamen durch einige Straßen und auch an Veronikas Haus vorbei. Man tat dem Zug an mehreren Häusern Ehre an. Alle Leute wunderten sich über das Kind und den schönen Aufzug. Maria hatte etwas ganz Außerordentliches in ihrer Erscheinung. Viele Leute am Tempel waren beschäftigt, eine große wunderbar schöne Türe des Tempels aufzutun. Es waren allerlei Köpfe, Weinstöcke und Ähren daran angebracht. Es war die goldene Pforte. Priester brachten die heilige Jungfrau die sehr vielen Stufen zu dieser Pforte hinauf. Joachim und Zacharias kamen in der Pforte entgegen, welche ein langer Bogen war und führten sie rechts durch Hallen nach einem Saal, wo Maria nochmals von den Priestern gefragt und ihr dann das dritte violblaue gestickte Festkleid angelegt wurde.

Nun ging Joachim mit den Priestern zum Opfer. Er empfing Feuer von einem bestimmten Ort und stand zwischen zwei Priestern am Altar. Man konnte von drei Seiten zum Altar, an der vierten nicht. An den vier Ecken standen kupferne Säulchen, eine Art Rauchfänge mit einem kupfernen weiten Trichter, der oben in ein schlangenförmig gewundenes Rohr auslief, so dass der Rauch über die Köpfe der Priester wegzog, wenn die Opfer verbrannt wurden. An drei Seiten des Altars konnten Platten herausgezogen werden, um darauf zu legen, was in die Mitte kommen sollte, wohin zu reichen es zu weit war.

Als das Opfer angezündet war, zog Maria mit den Kindern und den Frauen an ihren Betort im Vorhof der Frauen: Maria stand mit den Kindern vor den Frauen. Dieser Vorhof war durch eine Mauer mit einem Tor und oben mit einem Gitter von dem Hof des Brandopferaltares getrennt. Unter diesem Tor war Joachim in den unterirdischen Gang eingetreten, da er am Tage der unbefleckten Empfängnis Mariä mit Anna unter der goldenen Pforte zusammen traf. Die zuhinterst stehenden Frauen konnten besser zum Altar sehen, denn sie standen auf schräg aufsteigenden Stufen. An einem abgesonderten Ort stand eine Schar weißgekleideter Tempelknaben, welche auf Flöten und Harfen musizierten.

Nach dem Opfer wurde unter dem Torbogen ein tragbarer Altar aufgerichtet und davor ein paar Stufen gestellt. Zacharias und Joachim kamen mit Priestern und zwei Leviten, welche Rollen und Schreibgerät hatten, aus dem Hof des Brandopferaltars dahin und Anna führte Maria an die Stufen davor. Maria kniete auf die Stufen. Joachim und Anna legten Maria die Hände auf das Haupt und sprachen Worte der Aufopferung ihres Kindes, welche von den beiden Leviten aufgeschrieben wurden. Der Priester aber schnitt ihr eine Locke ab und verbrannte sie auf einem Feuerbecken. Dann legte er ihr einen braunen Schleier über. Während diesem allem sangen die Mägdlein den 44. Psalm: Eructavit cor meum und die Priester den 49. Deus deorum Dominus und die Knaben musizierten.

Nun brachten zwei Priester die heilige Jungfrau viele Stufen hinauf auf die Scheidewand, welche das Heilige von dem übrigen Tempel trennte und stellten sie wie in eine Nische, aus der sie in den Tempel hinabsah, in welchem viele Männer geordnet standen, die mir auch dem Tempel verlobt schienen. Zwei Priester standen Maria zur Seite und die Stufen herab noch mehrere, welche beteten und laut aus Rollen lasen. Hinter Maria, jenseits der Scheidewand stand ein Priester, so dass man ihn halb sehen konnte, am Rauchopferaltar. Auch von außen konnte man durch eine Öffnung Rauchwerk hinein werfen. Dieser Priester war ein alter heiliger Mann. Während er opferte und die Rauchwolke um Maria sich verbreitete, sah ich ein Bild um Maria, welches zuletzt den ganzen Tempel erfüllte und verdunkelte.

Ich sah über dem Herz Mariä die Glorie und das Geheimnis der Bundeslade, zuerst ganz wie die Arche, so dass ihr Haupt daraus hervorsah, dann wie die Bundeslade, dann wie den Tempel erscheinen. Zuletzt stieg aus dem Geheimnis ein Kelch, wie der des Abendmahls, vor ihrer Brust empor und über dem Kelch vor ihrem Mund ein Brot mit einem Kreuz bezeichnet. Rings um Maria verbreiteten sich Strahlen, an welchen wieder andere Sinnbilder und Beziehungen von ihr erschienen. Die geheimnisvollen Bilder der lauretanischen Litanei und die anderen Titel und Namen Mariä sah ich auf den Stufen der ganzen Treppe hinauf um sie her erscheinen.

Von ihrer rechten und linken Schulter legten sich ein Öl- und ein Zedernzweig ins Kreuz über einen feinen Palmbaum, der hinter ihr gerade stand und einen kleinen Blätterbusch hatte. In den Zwischenräumen dieser grünen Kreuzstellung erschienen alle Marterwerkzeuge des Leidens Christi. Über dem Bild schwebten der Heilige Geist, eine mit Scheinen geflügelte Gestalt, mehr in menschlicher, als in Figur der Taube. Über ihr war der Himmel offen, und die Mitte des himmlischen Jerusalems, die Gottes-Stadt schwebte über ihr mit allen Gärten, Palästen und Wohnungen der künftigen Heiligen. Und alles war mit Engeln erfüllt, wie auch die Glorie, welche Maria umgab, mit Engels-Angesichtern erfüllt war.

Wer kann das aussprechen? Alles war unendlich mannigfaltig und aus einander folgend und sich verwandelnd. Ich habe Unzähliges vergessen. Alle Pracht und Zierde des Tempels, die schön geschmückte Wand hinter Maria, alles schien dunkel und trüb. Ja der ganze Tempel schien nicht mehr da, Maria und ihre Glorie erfüllte alles.

In dieser Erscheinung der Entwicklung ihres geistlichen Inhalts sah ich Maria nicht als Kind, sondern groß und schwebend und sah doch die Priester und den Opferrauch und alles durch das Bild durch. Und es war, als ob der Priester am Rauchopfer-Altar weissagte und dem Volke verkündete, es solle Gott danken und beten, es werde Großes aus diesem Kinde werden. Alle Leute im Tempel. obschon sie das Bild nicht sahen, das ich sah, waren sehr stille und feierlich gerührt. Dann sank das Bild ebenso wieder nach und nach in sich ein, wie ich es hervor kommen gesehen. Zuletzt schimmerte das Geheimnis der Bundeslade wieder in seiner Glorie über ihrem Herzen und das geschmückte Kind stand wieder allein da.

Hierauf führten die Priester, worunter Zacharias einer der unteren war, Maria an der Hand die Stufen herab. Ein Priester nahm ihr nun die Kränzchen von den Armen und den Leuchter und gab sie den anderen Mägdlein. Maria wurde nach einer anderen Halle durch eine Tür geführt, wo ihr sechs ältere Tempeljungfrauen und ihre Lehrerin Noemi, des Lazarus Mutterschwester, Hanna und noch eine Frau entgegen traten und Blumen vor ihr streuten. Diesen übergaben die Priester das Kind.

Als der Gesang zu Ende war, nahm Maria von ihren Eltern Abschied. Joachim war besonders bewegt. Er hob sie empor, drückte sie an sein Herz, weinte und sprach: gedenke meiner Seele vor Gott.

Maria ging nun mit den Tempelfrauen und Kindern nach der Frauenwohnung, welche an der Mitternachtsseite war. Sie konnten auch durch Gänge Wendeltreppen hinauf in kleine Kammern neben dem Heiligen und Allerheiligsten kommen, wo sie Betzellen hatten. Die anderen begaben sich in die Räume neben dem Tor, wo sie zuerst gewesen, und nahmen mit den Priestern ein Mahl ein, die Frauen getrennt. Es waren noch viele andere Betende im Tempel; viele waren auch dem Zug bis zum Eingang gefolgt. Es waren viele unter den Anwesenden, welche wussten, dass Maria ein Kind der Verheißung in der Familie war, und ich erinnere mich dunkel, als habe Anna mit andern Worte gesprochen wie: nun geht das Gefäß der Verheißung in den Tempel: nun ist die Arche des Bundes im Tempel. Durch eine besondere Offenbarung des göttlichen Willens war es geschehen, dass dieses Fest so feierlich und reich gehalten wurde.

Anna und Joachim waren eigentlich wohlhabend, aber sie lebten doch sehr arm: sie gaben alles an den Tempel und die Armen. Ich weiß nicht mehr, wie lange Anna gar nichts als kalte Speise zu sich nahm. Ihr Gesinde hielten sie reichlich und statteten es aus. Ich meine, Anna und Joachim reisten mit dem ganzen Zug am selben Tag noch nach Bethoron zurück.

Ich sah auch noch ein Fest bei den Tempelkindern. Sie hatten eine Mahlzeit und Maria musste dort bei den Lehrerinnen und bei allen einzelnen Jungfrauen fragen, ob sie sie unter sich haben wollten. Es war dies so ein Gebrauch. Ich sah auch noch einen Tanz der Mägdlein unter sich. Sie standen paarweise einander gegenüber und tanzten wandelnd in Kreuzlinien und Figuren durcheinander. Es war kein Hüpfen, aber es waren mannigfaltige schaukelnde Bewegungen des ganzen Leibes dabei, die etwas von den Gemütsbewegungen der Juden hatten. Einige der Mädchen machten Musik dazu. Sie spielten auf Flöten, Triangeln, Schellen und besonders war ein Instrument dabei, welches angenehm und wunderbar lautete. Es war ein Kästchen mit schräg abfallenden Seitenflächen, worauf Saiten gespannt waren, auf welchen man klimperte. Die Mitte des Kästchens aber enthielt Blasebälge und es sahen mehrere krumme und gerade Pfeifen daran heraus. Unter dem Klimpern wurde bald hier bald dort auf die Mitte gedrückt und die Blasetöne mischten sich so mit den Saitentönen. Man spielte es auf den Knien, oder auf einem Schemel. unter dem die Knie standen. Am Abend führte Noemi Maria in ihre Zelle, aus der sie in den Tempel sehen konnte. Maria sprach hier noch mit Noemi von dem öfteren Aufstehen zum Gebet in der Nacht. Noemi aber untersagte ihr dies bis auf weiteres. Die Tempelfrauen trugen lange, weite weiße Kleider und Gürtel. Ihre weiten Ärmel hatten sie bei der Arbeit aufgeschürzt.

Es waren weit zurück am Tempel mehrere Kammern in der Tempelmauer, welche mit den Wohnungen der Frauen zusammenhingen. Die Zelle Mariä war eine der äußersten gegen das Allerheiligste zu. Man trat aus dem Gang, der zu ihr führte, zuerst durch einen Vorhang in einen Raum, eine Art Vorgemach, welcher durch eine halbrunde leichte Stellwand von der Zelle getrennt war. Hier standen in den Winkeln rechts und links Fächer, um Kleider und Gerätschaften aufzubewahren. Der Tür gegenüber, welche durch die Stellwand in die Zelle führte, war eine mit Flor und Teppich verhängte Öffnung, welche in den Tempel hinabsah. Diese Öffnung war etwas hoch in der Tempelmauer angebracht. Man stieg auf Stufen zu ihr hinauf. Auf der linken Seite der Zelle war ein Teppich in einen Wulst zusammengerollt, den Maria um zu schlafen aufrollte. In einer Nische der Wand war eine Armlampe, vor welcher ich das heilige Kind auf einen Schemel tretend aus einer Rolle mit roten Stabknäufen beten sah. Es war ein rührender Anblick. Das Kind trug ein grob gewirktes, weiß und blau gestreiftes Kleidchen mit gelben Blumen. Es stand ein rundes Schemeltischchen in dem Raum, worauf ich Hanna eine Schale mit Früchten, wie Bohnen groß, und ein kleines Krüglein stellen sah.

Das Kind war weit über sein Alter geschickt. Es arbeitete schon an kleinen weißen Tüchern für den Tempeldienst. Die Wand der Zelle war mit dreieckigen bunten Steinen belegt.

Oft sah ich das Kind Maria in heiliger Sehnsucht zu Hanna sprechen: ach wird das verheißene Kind bald geboren werden? Oh, wenn ich nur das Kind sehen dürfte! Oh, wenn ich nur erlebe, dass das Kind geboren wird ! Hanna sagte dann: ich bin schon so alt und muss so lange schon auf das Kind warten und du bist noch so jung! Und Maria weinte oft vor Sehnsucht nach nach dem Erlöser.

Die Jungfrauen, welche unter Aufsicht der Matranen am Tempel erzogen wurden, beschäftigten sich mit Stickereien und mit allerlei Zierwerk und mit der Reinigung der Priesterkleider und der Tempelgeräten. In ihren Zellen, aus denen sie in den Tempel sehen konnten, beteten und betrachteten sie. Sie waren von ihren Eltern durch die Übergabe an den Tempel ganz dem Herrn geopfert. Hatten sie das bestimmte Alter erreicht, so wurden sie vermählt. Denn es war unter den eingeweihteren Israeliten die stillschweigende fromme Erwartung, es werde aus einer solchen Gott geopferten Jungfrau der Messias geboren werden.

Ich sah nie, dass Herodes den Tempel neu gebaut. Es wurde zwar unter ihm manches daran verändert, aber da Maria elf Jahre vor Christi Geburt hinein kam, wurde am eigentlichen Tempel nicht gebaut. nur, wie immer, an den Außenwerken.

12. Ein Blick auf die Verstocktheit der Pharisäer

Wie verstockt und eigensinnig die Pharisäer und das Priestervolk am Tempel waren, kann man aus der wenigen Achtung ersehen, welche sie den Auszeichnungen der heiligen Familie gönnten.

Zuerst wurde Joachims Opfer abgewiesen. Nach einigen Monaten aber wurde sein und seiner Frau Opfer auf Gottes Befehl endlich angenommen. Joachim kommt sogar in die Nähe des Heiligtums und wird mit Anna, doch beide nicht voneinander wissend, in die Gänge unter dem Tempel geführt. Hier begegnen sie sich und Maria wird empfangen. Priester erwarten sie am Ausgang dieser Tempelkeller. Alles das war Befehl Gottes. Ich habe es nur einige Mal, nicht häufig gesehen, dass Unfruchtbare auf Befehl dahin geführt wurden.

Maria kommt im vierten Jahr zum Tempel. Sie ist in allem ganz ausgezeichnet und wunderbar. Lazari Mutterschwester war ihre Pflegerin und Meisterin. Ihr Wesen war so auserwählt und wunderbar, dass ich von alten Priestern große Rollen über sie habe schreiben gesehen. Ich meine auch, dass diese Rollen noch bei verborgenen Schriften liegen.

Dann kam die wunderbare Offenbarung bei der Trauung Josephs, dass dessen Zweig grünte. Dann die Geschichte der drei Könige, der Hirten, dann Jesu Opferung, Hannas und Simeons Zeugnis und die Lehre des zwölfjährigen Jesus im Tempel.

Alles das beachteten die Priester und Pharisäer nicht. Sie hatten den Kopf voll anderer Händel und Hofsachen. Weil die Heilige Familie in freiwilliger Armut und in Verborgenheit lebte, wurde sie in der Menge vergessen. Die tiefer Erleuchteten, wie Simeon, Hanna und ähnliche wussten schweigend von ihnen.

Als Jesus aber auftrat und Johannes sein Zeugnis gab, gerieten die Pharisäer mit Jesu Lehre so in Widerspruch, dass sie die Zeichen seiner Herkunft, wären sie ihnen auch nicht vergessen gewesen, gewiss nicht bekannt machten. Die Regierung des Herodes und dann das Joch der Römer hatte sie ganz in Händel und Intrigen verwickelt und aller Geist war von ihnen gewichen. Achteten sie das Zeugnis des Johannes nicht und vergaßen sie des Enthaupteten, achteten sie die Lehren und Wunder Jesu nicht, hatten sie ganz verkehrte Ideen von den Propheten und dem Messias, konnten sie Jesus so schändlich misshandeln und töten, seine Auferstehung und alle Zeichen nachher, und die Erfüllung seiner Prophezeiung von der Zerstörung Jerusalems nicht anerkennen, so ist das Nichtbeachten aller Zeichen seiner Herkunft noch weit weniger an ihnen zu verwundern. Denn damals hatte Er noch nicht gelehrt und Wunder gewirkt. Wäre ihre Blindheit und Verstocktheit nicht so unbegreiflich groß gewesen, wie könnte sie bis zu diesem Tage währen?

Wenn ich in dem jetzigen Jerusalem den Kreuzweg gehe, so habe ich öfters schon unter einem ganz verwüsteten Gebäude ein großes Gewölbe oder mehrere zusammenhängende Gewölbe gesehen, welche teils zusammengestürzt sind und teils ist Wasser in sie eingedrungen. Das Wasser reicht bis an die Platte eines Tisches, von dessen Mitte bis zur Decke des Gewölbes eine Säule sich erhebt, um welche herum Kistchen voll Rollen hängen. Auch unter dem Tisch sah ich Rollen im Wasser liegen. Diese Gewölbe müssen vielleicht Gräber sein. Sie gehen bis unter den Kalvarienberg hin. Ich meine, es sei das Gebäude das Haus, wo Pilatus gewohnt und der Schatz werde noch einmal entdeckt werden.

13. Johannes wird dem heiligen Zacharias verheißen

Ich sah Zacharias mit Elisabeth sprechen, wie er schwermütig sei, weil die Zeit nahe, dass er zum Opfer in den Tempel müsse und wie es ihn betrübe, dass er wegen seiner Unfruchtbarkeit dort verächtlich angesehen werde. Zacharias ging alle Jahre zweimal zum Tempel. Der Ort, wo er wohnte, war nicht Hebron selbst sondern hieß Juta und war etwa eine Viertelstunde von Hebron. Es lagen noch verfallene Mauerwerke zwischen beiden Orten, dass man glauben konnte, sie hätten einmal zusammengehangen. Nach den andern Seiten von Hebron lagen noch mehrere solche Überreste. Denn Hebron war einstens wohl so groß, wie Jerusalem. Es wohnten in Hebron niedrigere, in Juta vornehmere Priester und Zacharias war wie der Vorstand von allen. Er und Elisabeth wurden dort ungemein verehrt, weil sie beide in einer reinen Linie von Eltern aus dem Geschlecht Aaron stammten.

Ich sah Zacharias mit vielen andern Leuten der Gegend auf einem kleinen Gut, das er in der Nähe von Juta besaß und das aus einem Laubengarten, einem Haus und Brunnen, bestand, zusammen kommen. Er ist bei Mariä Heimsuchung auch mit der Heiligen Familie dort gewesen. Er lehrte und betete mit den Leuten, es war wie eine Vorbereitung zum Fest. Er sagte ihnen auch von seiner großen Schwermut und dass er glaube, ihm stehe etwas bevor.

Ich sah ihn in Begleitung dieser Leute nach Jerusalem gehen, und dass er dort noch vier Tage warten musste, ehe ihn die Reihe des Opfers traf. Er betete bis dahin vorne im Tempel. Als ihn aber die Reihe traf, ging er in das Heilige, welches vor dem Eingang zum Allerheiligsten war. Die Decke wurde oben über dem Rauchaltar geöffnet, dass man den freien Himmel sah. Den opfernden Priester konnte man draußen nicht sehen, es war eine Scheidewand, wohl aber konnte man den Rauch aufsteigen sehen. Es war, als sage Zacharias zu den andern Priestern, er müsse allein sein. Denn ich sah diese aus dem Heiligen wieder herausgehen. Zacharias aber ging in das Allerheiligste, worin es dunkel war und es schien mir, als habe er die Gesetzestafeln aus der Bundeslade geholt und auf den goldenen Rauchaltar gesteilt. Als er das Rauchopfer anzündete, sah ich rechts am Altar einen Glanz auf ihn niederkommen und in ihm leuchtende Gestalten. Zacharias trat erschreckt zurück und sank wie in Entzückung an die rechte Seite des Altars. Der Engel richtete ihn auf und sprach mit ihm und Zacharias antwortete. Ich sah vom Himmel her wie eine Leiter zu ihm und dass zwei Engel zu ihm auf- und niederstiegen. Einer nahm etwas von ihm. Der andere aber gab einen leuchtenden kleinen Körper in seine Seite, wo Zacharias sein Gewand geöffnet hatte. Er war aber stumm geworden. Ich sah ihn auf ein Täfelchen, das dort lag, schreiben, ehe er herausging und es darnach Elisabeth voraus senden, welche in dieser Stunde auch ein Gesicht gehabt hatte.

Ich sah das Volk bewegt und unruhig, dass Zacharias so lange nicht aus dem Heiligen herauskam - man wollte schon gegen die Tür, sie zu öffnen. Er aber brachte die Tafeln in die Lade zurück und trat heraus. Man drang in ihn, warum er so lange im Heiligen geblieben. Er wollte reden, vermochte es aber nicht und gab Zeichen, dass er stumm geworden und ging weg. Er war ein alter großer, sehr majestätischer Mann.